Veranstaltungsbericht (pdf, 0.45 MB, DE)

Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH ● Sitz der Gesellschaft Bonn und Eschborn ● Friedrich-Ebert-Allee 40 ● 53113 Bonn/Deutschland
T +49 228 44 60-0 ● Dag-Hammarskjöld-Weg 1-5 ● 65760 Eschborn/Deutschland ● T +49 61 96 79-0 ● F + 49 61 96 79-11 15 ● E [email protected] www.giz.de
GIZ-Reihe „Forschung trifft Praxis“
29. Oktober 2015
Himmel auf Erden? Der Beitrag von Werten und Religion für nachhaltige Entwicklung
Acht von zehn Menschen fühlen sich weltweit einer Religion zugehörig. Religiöse Werte
beeinflussen ihr Denken und Handeln. Religionsgemeinschaften können daher einen
wichtigen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung leisten. Ein GIZ-Praktiker und ein
islamischer Theologe diskutierten am Beispiel Islam über Möglichkeiten und Grenzen, das
Potenzial von Religion für nachhaltige Entwicklung einzubeziehen
„Man hätte nicht geglaubt, dass Religion im 21.
Jahrhundert diese Tragkraft erlangen würde. Sie
wurde für tot erklärt. Aber Religion begegnet uns
auch heute jeden Tag“, begann Dr. Ahmad Milad
Karimi, Religionsphilosoph, Islamwissenschaftler
und Koranübersetzer, seinen Impuls über den
Islam. Die Frage nach der Nachhaltigkeit sei in
der islamischen Tradition immer gestellt worden:
„In einer Welt, die ansonsten von Produktivität
Dr. Ahmad Milad Karimi (Universität Münster)
und Nutzen geprägt ist, lehrt der Islam Werte wie
Demut, Verzicht, Geduld, Hoffnung und Fürsorge für Bedürftige. Der Koran ist ein Buch, das das
vielfältige Leben der Schöpfung wertschätzt und die Zukunft bejaht“, so Karimi. Die Kämpfer des
Islamischen Staats (IS) verneinen mit ihrer Einstellung hingegen das Sein, eine laut Karimi urunreligiöse, werteabschaffende Haltung.
Islamische Werte auf der einen Seite, Fanatismus im Namen des Islams auf der anderen. In der
täglichen Berichterstattung haben Nachrichten über den Missbrauch von Religion durch islamistische
Terrorgruppen wie IS, Boko Haram oder al-Qaida großes Gewicht. Bei der von der Journalistin
Jacqueline Boysen moderierten Veranstaltung in Bonn ging es hingegen um die entwicklungsrelevanten Beiträge, die Religion im Allgemeinen und der Islam im Besonderen in Zukunft leisten
können. Hierzu war neben Karimi der Geograph und Islamwissenschaftler Björn Zimprich eingeladen.
In Jordanien leitet er ein Projekt der GIZ zur kommunalen Wassereffizienz, das bereits erfolgreich mit
religiösen Autoritäten zusammenarbeitet. In einem der wasserärmsten Länder der Welt, in dem der
Islam Staatsreligion ist, werden jordanische Bevölkerung und syrische Flüchtlinge angehalten,
verantwortungsvoll mit Wasser umzugehen. „Zusammen mit Imamen und weiblichen Religionsgelehrten bringen wir das Thema in die religiöse Lehre ein, an Schulen, Hochschulen und in die
Freitagspredigten. Weibliche Predigerinnen und Imame werden zu Wasserbotschaftern ausgebildet,
ausgewählte Moscheen mit Anlagen für Regenwassersammlung und Wasserspararmaturen zu
sogenannten Blauen Moscheen umgerüstet. Dabei arbeiten wir sowohl mit dem jordanischen
Wasserministerium als auch mit dem Religionsministerium zusammen“, berichtete Zimprich.
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Die Moscheen seien ein geeigneter Ort, um
möglichst
viele
Gläubige
zu
erreichen.
Gleichzeitig seien sie aufgrund der rituellen
Waschungen vor dem Gebet aber auch Orte
hohen Wasserverbrauchs. Aus dem Leben des
Propheten ist überliefert, dass er nur einen Liter
Wasser benötigte, um sich rituell zu reinigen.
Bei einer Waschung fielen derzeit in Jordanien
hingegen bis zu 25 Liter Wasser pro Person an.
„In unserem Lösungsansatz verbinden wir
Björn Zimprich (GIZ)
technische Lösungen mit religiösen Werten und verringern dadurch den Wasserverbrauch in
Moscheen und privaten Haushalten,“ so Zimprich. Als praktizierender Muslim bekräftigte Karimi, dass
religiöse Praktiken stärker von Gläubigen reflektiert werden müssten. „Als Einzelner muss ich mir die
Frage
stellen,
wie
die
rituelle
Waschung
auch
zukünftig
stattfinden
kann“,
sagte
der
Religionsphilosoph. Hier gelte es, aus theologischer Sicht Positionen zu entwickeln, Themen zu
definieren und Projekte anzugehen, die Theologie-Studenten dann aus eigener Religiosität vertreten
können. „Religiöse Gemeinschaften und Imame sind in der Verantwortung, aktiv zu werden“, meinte
Karimi und ermutigte, den interreligiösen Dialog zu suchen und Berührungsängste abzulegen. Dem
pflichtete Zimprich bei: Man müsse nicht Islamwissenschaften studiert haben oder selbst religiös sein,
um in Kontakt mit religiösen Autoritäten zu treten. Eine gewisse Kenntnis und ein Verständnis der
Religion sowie eine positive Grundeinstellung für die Menschen, mit denen man zusammenarbeitet,
seien für eine erfolgreiche Kooperation aber essentiell. Auf Grundlage gemeinsamer Werte gäbe es
viele Kooperationsmöglichkeiten im Bereich der nachhaltigen Entwicklung. Großes Potential bietet die
Zusammenarbeit zwischen deutscher IZ und staatlichen Zakat-Fonds. die die Almosensteuer, eine der
fünf Säulen des Islams, verwalten. Mit über 500 Milliarden Euro überstiege das Zakat-System alle
Zahlungen westlicher Gebergelder zusammen, informierte Zimprich. Diese Fonds seien häufig
schlecht gemanagt und orientierten sich nur unzureichend an nachhaltigen Entwicklungszielen und
Erfahrungen der IZ, fuhr er fort. Im Bereich Wasser gäbe es eine hohe inhaltliche Übereinstimmung
zwischen der GIZ und ihren politischen Partnern. Trotzdem müsse man in der praktischen
Zusammenarbeit aufpassen, Religionen nicht für die Erreichung von Entwicklungszielen zu
instrumentalisieren: „Wir wollen weder eine Islamisierung des Wassersektors noch eine Verwässerung
des Islams bewirken“, formulierte es Zimprich.
Die abschließende Diskussion mit dem Publikum lieferte wertvolle Anregungen: Die Bedeutung von
Werten und Religion für nachhaltige Entwicklung wäre in der Vergangenheit in der internationalen
Zusammenarbeit zu stark vernachlässigt worden und sollte möglichst als Querschnittsthema in allen
Projekten der GIZ verankert werden, so die Wortmeldungen. Zimprich warnte jedoch davor, den
Bogen zu überspannen: „Lasst uns Praxiserfahrung sammeln, diese zurückspiegeln und im Austausch
mit dem neuen GIZ-Sektorvorhaben „Werte, Religion und Entwicklung“ angepasste Zusammenarbeit
planen.“
Text: Sofia Shabafrouz
Fotos: Deniss Kacs
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