Erik - inne-sein

WAS IST ERWACHEN?
WAS IST ERWACHEN?
immer klarer. Dann sollte es uns nicht wundern, dass immer mehr auch Jüngere erwachen. Ich freue mich jedenfalls sehr, ihn zu
treffen, wir haben uns zuvor noch nie gesehen.
Geister in der Wohnung
Erik
FLICKR.COM, © H.KOPP-DEALNEY
Die spirituelle Reise eines plutonischen
Menschen, der die Tiefe nicht scheut
Erik ist Handwerker. Er hat eine kleine Firma in einem Ort in Unterfranken, der von
einer wunderschönen Burg dominiert wird.
Hier sind eher konservative Menschen zu
Hause, und ich bin angenehm berührt, hier
einem Wesen wie Erik zu begegnen, der alles andere als konservativ wirkt. Dunkles
Haar, dunkle Augen, Jeans und Sweatshirt,
ein offenes Gesicht, groß, schlank, gute Figur, Mitte Dreißig, ein attraktiver Mann.
Gleich zu Beginn unseres Gespräches überrascht mich Erik, denn ich habe noch keinen Menschen kennen gelernt, dessen Weg
zum innersten Kern sich über einen solchen
Pfad eröffnet hätte: »Es hat angefangen mit
Geistern. Wir haben plötzlich gemerkt, dass
wir oben in der Wohnung Geister oder Dämonen hatten. Wir haben damit dann herum
experimentiert, haben die Geister auch gerufen, teilweise durch Tischerücken. Irgendwann mal, meine Freundin und ich hatten
gerade Sex und sahen uns in einer Pause an,
da sah ich plötzlich in ihr einen total anderen Menschen. Dieses Gesicht hat sich dann
sehr schnell verändert. Kurz darauf kam eine furchtbare Fratze. Minka ging es mit mir
ebenso. Das war an einem Sonntag. Am
Montag musste ich wieder arbeiten, doch
irgendwie hat das einfach nicht mehr aufgehört. Selbst aus den Augenwinkeln sah ich
immer irgendetwas, wir hatten keine Chance mehr, das zu verdrängen. Oft hatten wir
das Gefühl, dass jemand in der Wohnung
ist. Es waren eher schlechte Energien, aber
sehr verschiedene. Einmal hatten wir jemanden, der hieß der ›Wanderer‹. Lauter solche Sachen …«
Ich frage mich und ihn, was das denn mit »Erwachen« zu tun habe.
Die andere Welt
Erik, ein Handwerker aus Unterfranken, ging auf seinem Weg
durch tiefes Leiden hindurch. Das meiden die meisten
Menschen, aber dadurch vertieft sich ihr Leben auch nicht, sagt
er. Sein Weg führte über Geisterwahrnehmung, Bibellektüre und
viele persönliche Krisen zum Advaita Vedanta und der
Erfahrung, dass man das Leiden nicht abzulehnen braucht –
es nicht ablehnen sollte, um hundertprozentig da zu sein
VON GABI PALM
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ch komme in eine Wohnung, in der mir
sofort warm wird. Ein gemütliches Sofa,
warme Farben, ein Kiefertisch und blaue
Bezüge, ein Bauernschrank – und viel Helligkeit. Der Blick durchs Fenster fällt auf
Blätter und Zweige, ein Bach fließt nahe
dem Haus vorbei; diese kleinstädtische Ruhe ist mir schon draußen vor der Tür angenehm aufgefallen.
Mein Hund stört Erik nicht, er begrüßt uns
beide gleichermaßen freundlich, und ich bin
erstaunt, wie jung und gut aussehend er ist.
Denn irgendwie denkt man ja doch beim
Thema »Erwachen« eher an reifere Persönlichkeiten – mindestens graue Haaren sollten sie haben. Aber vielleicht werden wir
Menschen ja von Generation zu Generation
I
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»Na zum Beispiel dieser Wanderer«, antwortete Erik, »der war einfach da. Der kam
aus einer Welt, bzw. lebte in einer Welt, die
zwar schon diese ist, aber die auch völlig
anders ist. Solche Erlebnisse haben uns gezeigt, dass die ›andere Welt‹, nach der wir
uns sehnten, dass das eigentlich diese ist –
denn, wo fand dieser Wanderer statt? Es ist
ein Erlebnis, ein wirkliches Erlebnis, dass
diese Welt hier die spirituelle Welt ist! Sie ist
nirgendwo anders. Wenn das plötzlich klar
wird, das ist eine große Erkenntnis, und das
kommt mit einem Ruck.
Setz dich mal an einem Abend mit einer Kerze vor den Spiegel und schau in den Spiegel
und halte das mal ein oder zwei Stunden
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durch. Die meisten Leute haben Angst davor, aber halt das mal durch! Was dann passiert, ist der Wahnsinn. Dabei zerlegt es dir
alles. Das ist ein Weg. Weil es nicht auszuhalten ist! Der Weg über das Leid ist ein anderer, der ist ähnlich, denn das Leid ist auch
irgendwann nicht mehr auszuhalten. Da sieht
man plötzlich die Löchrigkeit der Realität.«
Es gibt nur das Hier
Diese »Löchrigkeit der Realität« schwingt in
mir nach. Ich versuche mir Löcher im Raum
vorzustellen und stelle fest, dass dies ein The-
»Meine Freundin und ich
hatten gerade Sex …,
da sah ich plötzlich
in ihr einen total
anderen Menschen«
wann der Punkt war, an dem sich der Standpunkt geändert hat, denn es ändert sich ja
nichts, nur der Standpunkt. Und dann beginnt der nächste Traum. Bei mir war das eher
gemütlich, vielleicht irgendwann nach dem
Mittagsschlaf oder so ... Nach dem Erwachen
hast du die Wahl. Du bist dir bewusst, dass
du die Wahl hast. Das war vorher nicht der
Fall. Davor bist du getrieben, ständig getrieben: weg vom Leid, ständig hin zur Freude,
immerzu, und das hört nicht auf. Nach einem
solchen ›Erwachen‹ hast du mehr die Wahl,
du kannst freier entscheiden, was du machst
und was du lässt. Vielleicht kann man es auch
so sagen: Man hört dann einfach auf, das Leid
zu verlassen. Wenn du mich fragen würdest,
ob ich jetzt nicht mehr leide, dann würde ich
sagen: Ich leide hundertprozentig. Ja! Aber
das Glück ist auch hundertprozentig da. Ob
du es ›spirituelles Herz‹ nennst, oder wie
auch immer, es ist alles hundertprozentig da.
Gleichzeitig. Es ist ein ›Daheim‹ darin. Du
hörst auf, heraus zu wollen.
Wobei ich nach wie vor gerne meditiere. Aber
ich meditiere ja nicht. Ich sage lieber ›Ich gehe dort hin, wo ich nicht bin …‹« (Er lacht).
Jesus ist jetzt
ma ist, mit dem mein Verstand Schwierigkeiten hat. Also werde ich still und versuche, es anders zu verstehen. Und, ja, da dämmert es mir, was er meint. Es gibt nicht ein
Diesseits und Jenseits, es gibt nur das Hier,
nichts anderes als das Hier. Und auch das,
was man gemeinhin als »Jenseits der Geister« kennt, befindet sich nur hier. Das deckt
sich mit meiner Erfahrung, meiner Überzeugung und mit der Lehre des Advaita (NichtZwei): Es gibt nicht zwei, es gibt nur diese
eine Realität. Zu Advaita kam Erik später.
»Das mit den Geistern ging dann weiter.
Wir haben da weiter gemacht, auch mit Räuchern, Reinigen von Wohnungen und solchen
Sachen. Dann kam das viele Lesen von Büchern aus der Esoterik-Ecke, obwohl das
früher nie mein Ding war, und dann kamen
wir über die Bücher zu den Erleuchtungsthemen, und nebenbei begannen wir
auch mit Meditation. Bei Minka und mir
lief das alles sehr parallel – nicht zusammen, aber parallel. Wir haben über diese Sachen immer sehr viel geredet.«
Es ist interessant und gleichzeitig anstrengend, sich mit Erik zu unterhalten. Er springt
assoziativ von Thema zu Thema, so komme
ich mit meinem Fragenkatalog nicht durch.
Mir fällt auf, dass er sehr konzentriert und
wach ist und vor seinen Antworten immer
erst länger inne hält. Ich gebe es auf, mein
Konzept durchzuziehen, und frage ihn spontan, wie er zum Christentum steht.
»Ich habe immer an Gott geglaubt. Es gab
eine Phase in meinem Leben, in der ich nichts
von ihm wissen wollte, aber ich habe immer
geglaubt. Es war nie Nichtglaube da. Zwar
Reibung, aber immer auch Glaube. Ich habe
die Bibel komplett gelesen. Das ist auch ein
Weg. Obwohl man eigentlich jemanden
bräuchte, der sie einem erklärt. Das ist das
Gemeine: Du brauchst jemanden, der dir
hilft, es zu verstehen. Das Entblättern musst
du selber machen, doch du brauchst Hilfe.
Ich hatte, wie man so schön sagt, einen ›Kinderglauben‹. Den habe ich heute noch. Jesus ist jetzt. Es gab ihn auch vor 2000 Jahren, das ist klar, aber Jesus ist jetzt. An eine
dieser beiden Personen, Gott und Jesus, habe ich immer meine Gebete gerichtet, sozusagen nach Lust und Laune. Das mache ich
heute auch noch, oder immer wieder. Ich
bin auch nie aus der Kirche ausgetreten.
Nachschlagen in der Bibel
Irgendwann nach dem
Mittagsschlaf ...
Erik erzählt mir, dass es bei ihm kein spezielles Schlüsselerlebnis gab, von dem er sagen
könnte, da hätte er es kapiert. »Ich weiß nicht,
Ich habe diese unheimliche Liebe zur Bibel
– und zwar als geschlossenes System. Ob die
Bibel wahr ist oder nicht, ist für mich nebensächlich. Die Frage ist: Wie stehen die
Dinge in diesem geschlossenen System zu-
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knickte Rohr nicht brechen‹. Dieser Satz aus
der Bibel hat mich an die
Hand genommen«
Deine eigenen Höllen
Heilige und Mörder
PAUL GAUGUIN »AREAREA«
»Ich war 29, als ich die Bibel wieder in die
Hand nahm. Das fand ich diesen Satz von
Jesus: ›Er (Gott) wird das geknickte Rohr
nicht brechen‹. Dieser Satz hat mich an die
Hand genommen. Er ist für einen Menschen,
der innerlich am Ende ist. Für mich war er
eine Einladung, mich mit der Bibel zu beschäftigen. Diesen Satz habe ich geglaubt.
Ich bin da rein gegangen mit all meiner Lust
und Energie. So mache ich das mit allem: Ich
Erik ist das, was ich einen plutonischen Menschen nennen würde. Er fühlte sich schon immer mehr zur dunklen Seite des Lebens hingezogen. Das strahlt er auch aus. Ich kann
mir vorstellen, dass manche Menschen sich
vor ihm fürchten oder ihn lieber meiden,
denn er schaut sich wirklich alles genau an
und macht vor nichts halt. Man spürt einfach
sofort, dass ihm kein Schmerz fremd ist. Dass
er an diesem Leben und vor allem an seinen
Abgründen gereift ist, und dass ihm der
Schmerz und die Unzulänglichkeiten des
Menschseins die Tiefe gaben, sich ganz in den
Schoß des Lebens fallen zu lassen.
»Du musst erst mal durch deine eigenen Höllen durch, und dann musst du auch noch
durch die der Welt durch, hat mal irgendwer
geschrieben. In Wirklichkeit sind ja beides
deine Höllen, aber es stimmt einfach.
Nunja, es war ein Prozess von zwei Jahren
mit den verschiedensten Leiden. Finanziell
stand es übel, die Firma lief schlecht, ich
war in einer neuen Stadt. Ich hatte keine Lust
zum Arbeiten, las viel und habe mich auf diese neuen Inhalte gestürzt. Dann wurde es immer leichter, in diese Zustände rein zu kommen, wo man weggeht; das wurde immer
verlockender. Hermann Lehner sagt es so:
»Nur wer schlecht träumt, will erwachen«.
Der Traum wurde immer schlechter, immer
kritischer. Ich hatte auch Minderwertigkeitsgefühle, und vor allem hatte ich keinen
Antrieb, irgendetwas gegen meinen Untergang zu tun.
Das mag eine Charakterschwäche sein: Sachen, die mich interessieren, interessieren
mich einfach, da lasse ich dann Anderes
schleifen. So ging es der Firma schlecht, und
ich habe mich in meine Welt begeben. Der
Druck von außen wurde immer stärker. Außerdem hatte ich wegen meiner Freundin
meine Frau verlassen. Früher hätte ich nie
gedacht, dass ich das jemals tun würde. Dann
merkte ich, dass es das auch nicht war, dass
diese Partnerschaft meine Probleme auch
nicht löste. Tja, so war das.«
Rebell ohne Scheuklappen
»Du musst erst mal durch
deine eigenen Höllen durch«
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Erik ging seinen Weg ganz ohne persönliche Lehrer. Auf meine Frage hin erklärt er
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»›Er (Gott) wird das ge-
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geh’ rein und durch. Was ich da wirklich lernen konnte, war, dass die Bilder zerstört werden, diese Frömmeleien oder Vorstellungen,
wie man zu sein hat. Es ist ja Mord und Totschlag in der Bibel, die Einen werden von
Gott bestraft, die Anderen nicht – man kann
da so viele Parallelen sehen. Das geht an die
gesamte menschliche Existenz, an den Menschen als Gesamtes. Du als Mensch bist alles. Du bist Heiliger, bist Mörder, alles ist in
dir. Jeder kann sich da wiederfinden und Resonanz finden.«
FLICKR.COM, © GARLANDCANNON
einander? Und in diesem geschlossenen
System ist alles wahr. Dort auf Geheimnissuche zu gehen …. Ich habe die Bibel sehr
langsam gelesen, im Schneckentempo. Auch
diese ewigen Namenslisten. Dann habe ich
gemerkt, dass meine Gedanken immer
wegdrifteten, also fing ich wieder an dem
vorigen Absatz an. Habe immer wieder gelesen, gelesen, gelesen und gedacht: Vielleicht passiert ja mal etwas dabei, das ich
nicht begreife. Das war 1999, da habe ich die
Bibel in einem Jahr durchgelesen. Ich glaube nicht an die Kraft der Bibel an sich, aber
unter den tausend Dingen, die es gibt auf
der Welt, ist das etwas, das für mich eine
Kraft hat. Auch wenn ich nicht weiß, was
ich machen soll, wenn eine Entscheidung zu
treffen ist, nehme ich die Bibel. Dann schlage ich sie irgendwo auf und lese einen Satz,
dann weiß ich es.«
WAS IST ERWACHEN?
»Andere gehen durch Themen,
ich gehe durch Leute«
mir, dass er seine Lehren durch die Fotos von
Menschen empfangen hat: »Ich gehe immer
durch Leute. Andere Menschen gehen durch
Themen, ich gehe durch Leute. Wenn ich
mich von jemandem angesprochen fühle, mache ich das so. Das war bei mir zum Beispiel
Sri Nisargadatta. So um 2005/2006 ging das
los mit ihm und mit Advaita. Vorher war ja
das Religiöse, die Bibel, da war mein Gott
eher einer, der augenzwinkernd da oben sitzt.
Heute ist Gott für mich dasselbe wie immer: Alles. Das hat nichts mit Moral zu tun.
Ich bin wirklich einer der unmoralischsten
Menschen, die ich kenne.«
Erik zündet sich eine Zigarette an. Er hat
und pflegt das, was man »schlechte Angewohnheiten« nennt. Man spürt auch, dass er
schon durch manchen alkoholischen Exzess
hindurch gegangen ist. Er hat vieles ausprobiert, ihm ist nichts Menschliches fremd.
Neben ihm komme ich mir vor wie ein kleiner braver Rauschgoldengel, so sehr dem Positiven verhaftet und so geradlinig und angepasst in meinen Lebens-Maximen. Er ist
da ganz anders: ein stiller Rebell, ohne Scheuklappen, sehr direkt, sehr schonungslos –
auch und vor allem zu sich selbst.
Im falschen Film sein
»Eine vollkommene Ablehnung von dem,
was ist, hat mich immer begleitet, also das
Gefühl, immer im falschen Film zu sein. Im
Nachhinein finde ich das gut. Das ist jetzt an-
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ders. Aber ich weiß, dass
eben genau dieses ›Ungesunde‹, dieses sich fühlen wie
ein Frem der und sich mit
ebensolchen Menschen zu
umgeben, hilfreich war. Ich
war böse und auch teilweise
aggressiv, dann habe ich mich
wieder verkrochen und
Angstzustände gehabt. Drogen habe ich nicht genommen oder nur selten, habe sie
nur als Jugendlicher probiert,
auch Beruhigungsmittel.
Aber jetzt seit fünfzehn Jahren nicht mehr. Nur Alkohol.
Das Gute an Drogen ist, dass
du merkst, dass die Welt
überhaupt nicht so ist, wie du
glaubst, sondern dass alles
davon abhängt, wie du
schaust. Es zeigt sich dann
einfach, dass die Realität keine feste Sache ist, sondern etwas, was wirklich schwankt.«
Eriks Sicht der Wirklichkeit
fasziniert mich, und ich forsche tiefer nach. Seine Antwort ist eines Plutonikers
mehr als würdig.
Nach unten oder nach oben
»Wenn man sich die Welt vorstellen will wie
eine senkrechte Linie, dann gibt es 20 cm, in
denen wir uns normalerweise bewegen. Dann
geht es einen Kilometer hoch, einen Kilometer runter, außen herum ist alles Wirklichkeit. Und du kannst oben raus oder unten raus. Hast du Depressionen, geht es unten raus, aber man kann auch oben raus. Alles, was passiert, geht immer entweder nach
da oder nach da, und es geht immer nur um
Erleuchtung. Du kommst gar nicht drum herum, kein Mensch kommt da drum herum! Alles, was passiert, geht in diese Richtung. Nur
diese Pseudo-Hilfen, die verhindern es, dass
du oben oder unten raus kommst, die hemmen dich. Dann fängst du dich ab – und das
ist das Falsche.
Das einzige Problem an dem ganzen Leid
und den Depressionen ist der Gedanke, dass
da etwas nicht passt. Wenn du spürst, du gehst
durch den Boden und du hast – durch Glück
– den Gedanken ›Es ist okay so, ja, besser
könnte es gar nicht sein‹, dann brauchst du
nicht mehr als das. Aber meistens haben wir
den Gedanken: ›Ne, also jetzt nicht, jetzt
möchte ich was dagegen tun.‹ Das bringt einen aber erst richtig in die Hölle. Da würde
ich eher sagen: Dann zerbrich daran! Denn
es ist ja so: Was auch immer kommt, es kommt
immer richtig! Es kommt aus dieser riesigen Kiste irgendetwas heraus, und du kannst
dieses Spiel nicht gewinnen, das ist unmög-
»Das einzige Problem an
dem ganzen Leid und den
Depressionen ist der
Gedanke, dass da
etwas nicht passt
lich. Du kannst aber daran zerbrechen. Und
dann tut es dir nichts mehr. Wenn ich diese
ganzen Leidgeschichten wirklich lasse, und
das nicht, um sie zu verdrängen, sondern sie
wirklich lasse und da nicht mehr rausflüchte, dann kommt zu diesem hundertprozentigen Leid auch hundert Prozent Glück. Dann
ist alles da.«
Dieser Mensch hat mich vielleicht gerade deshalb so beeindruckt, weil er so komplementär
zu mir ist. Manches an ihm habe ich erst drei
Jahre nach unserem Gespräch, als ich die Audio-Aufnahme davon abhörte, wirklich verstanden. Erik ist ein tiefes Wasser, das nicht
nur klar ist, sondern auch schlammig sein darf.
Er scheint mir in seiner Art des Ergründens
ein ganz besonderer Mensch zu sein, einer
der wenigen wirklich freien Menschen, denen ich begegnet bin.
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In unregelmäßiger Folge bringen wir in Connection
Geschichten von Menschen, deren Leben durch tiefe,
existenzielle Erlebnisse völlig umgekrempelt wurde.
Gabriele Palm sammelt diese Geschichten. Sie interviewt
die Betroffenen, manchmal aber auch schicken sie uns
ihre Geschichte selbst ein.
GABRIELE PALM, 57, war 26
Jahre auf der spirituellen
Suche (Zen-Buddhismus,
westliche wie östliche Traditionen, Astrologie). Die
tiefgehende Öffnung am
Ende des Tunnels, am Punkt
des völligen Aufgebens, und
ihre grenzenlose Überraschung brachten sie dazu, ihre Erfahrungen und
Erlebnisse als Buch zu veröffentlichen. Sie lebt
mit Partner, Hund und Katze im vorderen
Odenwald.
www.inne-sein.de, [email protected]
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