Ärztekammer für Vorarlberg Den Spitälern gehen die Ärzte aus Arbeitsverdichtung und überlaufene Ambulanzen bringen Ärzteschaft ans Limit Die Bundeskurie Angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) sieht weiteren Handlungsbedarf in den heimischen Spitälern: Der zusätzliche Bedarf an Ärztinnen und Ärzten steigt weiterhin, gleichzeitig ist der ungebremste Zustrom in die Ambulanzen nicht mehr zu bewältigen. Ein schonender Umgang mit der ärztlichen Arbeitskraft ist dringend notwendig, um eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung zu vermeiden. „Die Zahlen sprechen eine überdeutliche Sprache“, sagte Harald Mayer, Obmann der Bundeskurie Angestellte Ärzte und ÖÄK-Vizepräsident, am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. „Trotz wachsender Spitalsärztezahlen arbeiten immer weniger Ärztinnen und Ärzte in Vollzeit. Schuld ist ein unstrukturierter, unüberlegter Umgang mit den vorhandenen Ressourcen. Wenn wir so weitermachen, wird sich die Lage deutlich verschlechtern“, warnte Mayer. Er forderte zur Entlastung der Spitalsambulanzen einen niederschwelligen Einstieg ins Gesundheitssystem über das Haus- und Vertrauensarztmodell der ÖÄK, den Zugang zu Ambulanzen nur noch mittels ärztlicher Überweisung oder im Notfall, altersgerechte Arbeitszeitmodelle und Arbeitsbedingungen sowie die Entlastung von Dokumentation und Administration und die Delegation nichtärztlicher Tätigkeiten an den mitverantwortlichen Tätigkeitsbereich. Nur so könne der Arbeitsplatz Krankenhaus langfristig attraktiv bleiben und der Ärztemangel eingedämmt werden. Spitalsärzte werden älter Die sich nach oben verschiebende Altersverteilung der Spitalsärzteschaft werde über kurz oder lang ein Problem darstellen, führte Mayer weiter aus: „Wir wissen, dass in den kommenden zehn Jahren etwa 25 Prozent der jetzt aktiven Ärztinnen und Ärzte in Pension gehen werden. Das ist ein Verlust von ca. 6.400 Medizinerinnen und Medizinern, den wir unbedingt auffangen müssen.“ Allerdings zeichne sich bereits jetzt ab, dass junge Ärztinnen und Ärzte nicht ihr gesamtes Berufsleben im Spital verbringen wollten. Viele von ihnen würden aus dem System ausscheiden, in die Niederlassung gehen, auswandern oder überhaupt den Beruf wechseln. Mayer: „Fakt ist: Es gibt in Österreich zwar über 24.000 Spitalsärztinnen und –ärzte. Durch Berufsaussteiger wird sich der ohnehin bestehende Mangel in Zukunft aber noch weiter verschärfen.“ 48-Stunden-Woche Die Novellierung des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes (KA-AZG) und die damit einhergehende Verkürzung der Arbeitszeit sei ein wichtiger Schritt gewesen, so Mayer weiter. „Es kann aber nicht angehen, dass Arbeitgeber sich jetzt hinter der mit 13jähriger Verspätung umgesetzten Arbeitszeitrichtlinie verschanzen und sie als Ausrede dafür benutzen, dass es zu wenig Personal gibt“, betonte der Kurienobmann. Die Übergangsbestimmungen bis 2021, die es der Spitalsärzteschaft erlauben, mehr als die Dokument erstellt: Freitag, 22.04.2016 18:49:50 Uhr Seite: 1/4 Ärztekammer für Vorarlberg gesetzlich vorgesehenen 48 Stunden zu arbeiten, müssten nur sinnvoll genutzt werden. Wo das nicht möglich sei, müsse man über neue Organisationsmodelle nachdenken, so Mayer. Überlaufene Ambulanzen: Geregelter Zugang gefordert Zur demografisch bedingten Personalknappheit komme das nach wie vor ungelöste Problem des ungebremsten, ungefilterten Zustroms in die Ambulanzen, das in Kombination mit Dokumentation und Administration zu einer massiven Arbeitsverdichtung führe. Das bedeutet, dass in derselben Arbeitszeit wesentlich mehr gearbeitet werden muss. „Wir wiederholen es seit Jahren nahezu gebetsmühlenartig: Wir brauchen dringend einen geregelten Zugang ins Gesundheitssystem, am besten über den niederschwelligen Einstieg etwa beim Haus- bzw. Vertrauensarzt“, sagte der Kurienobmann. Die Bundeskurie habe wiederholt vorgeschlagen, den Zutritt zu Ambulanzen nur noch per Überweisung oder im Notfall zuzulassen. Mayer: „Egal, wie man den Zustrom in die Ambulanzen regelt – wir brauchen klare Strukturen, die Patienten müssen durch das System geleitet werden anstatt sich selbst zuzuweisen.“ Baustellen: Ausbildung und Ärztemigration Auch die praktische Ausbildung, die seit Juni auf neuen Beinen steht, sei trotz Reform noch verbesserungsbedürftig, führte der stv. Bundeskurienobmann und Sprecher der Sektion Turnusärzte, Karlheinz Kornhäusl, aus. „Mit der Ausbildungsreform ist uns sicherlich ein großer Wurf gelungen. Dennoch wird die Reform die bestehenden Mängel nicht von heute auf morgen beseitigen können, und wir wissen auch, dass es nach wie vor Unzufriedenheit mit der Ausbildungssituation in manchen Häusern gibt“, sagte Kornhäusl. Zentral sei für ihn die Forderung, auszubildende Ärztinnen und Ärzte aus der bisherigen Umklammerung als Systemerhalter und Lückenbüßer zu befreien. Dazu müssten aber entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden. Kornhäusl: „Die Spitalsträger müssen auf die Wünsche und Forderungen der jungen Ärzteschaft Rücksicht nehmen bzw. darauf eingehen. Tun sie das nicht, dann wird sich die Ärztemigration weiter verstärken. Allein in Deutschland sind derzeit mehr als 2.600 österreichische Ärztinnen und Ärzte gemeldet.“ Österreich habe seit 2003 insgesamt 7.000 Ärztinnen und Ärzte ans Ausland verloren, weil verabsäumt wurde, adäquate Arbeits- und Lebensbedingungen zu schaffen, kritisierte Kornhäusl. Jährlich würden etwa 1.500 junge Menschen mit dem Medizinstudium beginnen. „Manche werfen noch während des Studiums das Handtuch, sodass im Schnitt pro Jahr etwa 1.300 promovierte Medizinerinnen und Mediziner die Universitäten verlassen. Davon verzichten durchschnittlich rund 400 Absolventinnen und Absolventen eines Jahrgangs auf eine praktische Ausbildung, streben also gar keine ärztliche Berufstätigkeit an. Selbst von jenen, die im Anschluss an das Studium eine praktische Ausbildung beginnen, verlieren wir im Schnitt 100 Personen jährlich. Anders gesagt: 35,5% der Promovenden stehen dem österreichischen Gesundheitssystem mittel- bis langfristig nicht zur Verfügung, entweder, weil sie auswandern oder weil sie einen anderen Beruf ergreifen“, führte Kornhäusl aus. Er forderte zur Entlastung der Turnusärztinnen und -ärzte die schon lange überfällige Installation von Dokumentationsassistenten und die Umsetzung des TurnusärzteDokument erstellt: Freitag, 22.04.2016 18:49:50 Uhr Seite: 2/4 Ärztekammer für Vorarlberg Tätigkeitsprofils sowie die Einrichtung von Abteilungssekretariaten. Aber auch Förderungsmaßnahmen für junge Ärztinnen und Ärzte wie Kinderbetreuung im Haus seien dringend erforderlich. Berufsausstieg verhindern Es gelte zu verhindern, dass Jungmedizinerinnen und -mediziner nach Beendigung ihres Studiums oder während ihrer folgenden praktischen Ausbildung aussteigen, ergänzte Rudolf Knapp, stv. Bundeskurienobmann. „Der Verlust hoch qualifizierter junger Medizinerinnen und Mediziner ist auch volkswirtschaftlicher Unsinn. Die gesamte Ausbildung eines Arztes kostet rund 400.000 Euro – Geld, das der Steuerzahler verliert, wenn fertig ausgebildete Ärzte das Land verlassen“, zeigte Knapp auf. Und: „Jährlich kostet uns die Absolventenflucht rund 250 Millionen Euro. Das ist untragbar.“ Einen späten Berufsausstieg gebe es aber auch bei arrivierten Ärzten, so Knapp weiter. Viele Medizinerinnen und Mediziner würden ihre berufliche Zukunft langfristig nicht im Spital sehen und sich neu orientieren. Knapp: „Eine von uns in Auftrag gegebene Umfrage hat im Jahr 2013 ergeben, dass 64 Prozent der Befragten es für unwahrscheinlich halten, bis zur Pensionierung bzw. bis zum Alter von 65 Jahren im Spital zu arbeiten.“ Diesen Entwicklungen müsse man schnellstens wirksame Maßnahmen entgegensetzen. So müsse der gesundheitliche Zustand der Spitalsärzteschaft berücksichtigt werden, aber auch die Rahmenbedingungen müssten sich ändern. „Wir brauchen altersgerechte, auf die jeweilige Lebenssituation zugeschnittene flexible Arbeitszeitmodelle, wenn wir die Kolleginnen und Kollegen im Spital halten wollen. Unser Ziel muss es sein, den Beruf attraktiv zu gestalten. Dazu gehört auch mehr Entscheidungsfreiheit. Gelingt das nicht, wird sich der Ärztemangel weiter verschärfen.“ Die Auswirkungen auf die medizinische Versorgung seien dann verheerend, schloss Knapp. Zahlen, Daten, Fakten • In den kommenden zehn Jahren werden ca. 6.400 Ärztinnen und Ärzte in Pension gehen, das entspricht 21% der gesamten Spitalsärzteschaft. • Die Medizin wird weiblich: Fast 60% der unter 30-jährigen Ärzte sind bereits Frauen. • Derzeit arbeiten 24.099 Ärztinnen und Ärzte in den heimischen Spitälern, davon 21.757 Vollzeit (90%). Zum Vergleich: 2005 waren 19.295 Ärztinnen und Ärzte tätig, davon 18.617 in Vollzeit (96,4%). Die Zahl der Teilzeitstellen ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen. • Die Zahl der stationären Patienten ist zwischen 2004 und 2014 um 7,9% gestiegen und lag zuletzt bei 2.518.806 (2004: 2.334.444). • Die ambulanten Fälle sind von 6.514.738 im Jahr 2004 auf 8.267.794 im Jahr 2014 gestiegen (+ 27%). Dokument erstellt: Freitag, 22.04.2016 18:49:50 Uhr Seite: 3/4 Ärztekammer für Vorarlberg • Im Studienjahr 2013/2014 haben 1.346 Personen ihr Medizinstudium beendet. Davon wurden 896 (66,6%) in die Ärzteliste eingetragen. Lediglich 835 (62%) waren mit Stand September 2015 noch ärztlich tätig. • Nur 36% der Turnusärzte wollen nach Abschluss der Ausbildung weiter im Spital arbeiten. • Mehr als zwei Drittel der Spitalsärzte - 64% - können sich nicht vorstellen, bis zur Pensionierung bzw. bis zum Alter von 65 Jahren im Krankenhaus tätig zu sein. • Derzeit verzeichnen die heimischen Spitalsträger insgesamt rund 300 unbesetzte Arztstellen. Dokument erstellt: Freitag, 22.04.2016 18:49:50 Uhr Seite: 4/4
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