Leichter Stoff - Leibniz Gemeinschaft

4/2015
Leibniz-Journal
Vorbild
Natur
Werkstatt
Museum
Mysterium
Gummi
Altlast
Vergangenheit
Aus dem Baukasten
der Evolution
Reifen heilen
sich selbst
Objekte in ihrer
Vergänglichkeit
NS-Beamte
im Innenministerium
Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft
Leichter Stoff
G 49121
Innovationen
aus der Materialforschung
Deutsche Universitätszeitung
Wissenschaft weiterdenken
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Hintergrundinfos
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L E I B N I Z | I N H A LT
38
SPEKTRUM
Museum neu denken
10
THEMENSCHWERPUNKT: MATERIALFORSCHUNG
Innovationen, die aus der Natur abgeschaut werden, selbstheilende Autoreifen, chirurgisches Nahtmaterial, das sich automatisch auflöst, und Mikroelektronik für energiesparende
Speichermedien: Materialforschung sorgt in allen Bereichen unseres Lebens für Fortschritt.
4
KURZ & FORSCH
30Mikroelektronik:
Vernetzte und sparsame Speicher
9
NUR SO EIN VORSCHLAG…
34Werkstoffe:
Selbstheilende Autoreifen
...von Leibniz-Präsident Matthias Kleiner
10 TITEL: MATERIALFORSCHUNG
36SPEKTRUM
42
AUSSTELLUNGEN
Senckenbergs verborgene Schätze
44 LEIBNIZ LIFE
44Leibniz-Jahrestagung
47Leibniz-Liste
48Verlosung
49 LEIBNIZ 2016
50 LEIBNIZ LEKTÜRE
10Natur:
Materialien inspiriert von der Evolution
36 Geschichte: NS-Belastung
im Innenministerium
16
Museen: Spurensicherung
in Forschungssammlungen
38 Interview: Johannes Vogel
will das Museum neu denken
55 LEIBNIZ LEUTE
24
Gesundheit: Innovationen
für das Wohlbefinden
42AUSSTELLUNGEN
15IMPRESSUM
4/2015
Fotos: Kai Uhlig und Emanuel Richter/IPF Dresden (Titel); IHP;
Carola Radke/MfN; Senckenberg; privat
Liebe Leserin, „Harter Stoff“ heißt die aktuelle Sonderaus- an den acht Leibniz-Forschungsmuseen imlieber Leser, stellung im Deutschen Museum in Bonn. Sie mer wichtiger, denn sie führt unmittelbar zum
4/2015 zeigt, wie vielfältig sich Carbon, das „Material
der Zukunft“, verwenden lässt. Unter anderem
wird ein Leichtbauhocker (unser Titelmotiv!)
präsentiert, entwickelt von Wissenschaftlern
des Leibniz-Instituts für Polymerforschung in
Dresden. Höchste Zeit also, dem harten wie
häufig eben auch „leichten Stoff“ ein LeibnizJournal zu widmen. ab Seite 10
Ob es um Schutzfolien für Handys, besonders haftstarke Pflaster oder sich selbst
heilende Autoreifen geht. Wie sehr unser Alltag schon heute von materialwissenschaftlichen Errungenschaften durchdrungen ist,
­beschreibt Leibniz-Präsident Matthias Kleiner
in seiner Kolumne „Nur so ein Vorschlag...“
Seite 9
Auf der Suche nach der Authentizität der
Exponate wird die Materialwissenschaft auch
Objekt. Teils leiten die Häuser daraus ein völlig neues Selbstverständnis ab. So fordert der
Generaldirektor des Museums für Naturkunde
in Berlin, Johannes Vogel, auf, „das Museum
neu zu denken“. Wir wollen in diese und viele
­Welten der Erkenntnis mehr eintauchen. Seite 38
Nicht zuletzt finden sich zu unserem
Leibniz-Jahr 2016 auf der neuen Internetseite
www.bestewelten.de alle Aktivitäten. Auch
unser Magazin wird in neuer Gestalt erscheinen. Dann unter dem schlichten Titel „leibniz“.
Seite 49
Eine inspirierende Lektüre,
Christine Burtscheidt
Chefredakteurin
3
„Mit dem Strom schwimmen“
hat Claudia Pogoreutz, Doktorandin am
Leibniz-Zentrum für Marine Tropen­
ökologie in Bremen, ihr Foto eines
­jagenden ­Schwarzspitzen-Riffhais auf den
Malediven betitelt. Das Bild gewann beim
Foto­wettbewerb der britischen Royal
Society den ersten Preis in der Kategorie
„Verhalten“ und setzte sich dabei gegen
mehr als 1.000 Teilnehmer durch.
Farben – 48 Millionen
Jahre alt
Erstmals haben Wissenschaftler
des Senckenberg Forschungsinstitutes in Frankfurt am Main
gemeinsam mit Kollegen die
Farbe eines fossilen Säugetiers
bestimmt. Anhand von konservierten Melaninen – rötliche,
braune oder schwarze Pigmente, die die Färbung von Haut,
Haaren, Federn und Augen bewirken – wiesen die Forscher
nach, dass zwei 48 Millionen
Jahre alte Fledermäuse aus dem
UNESCO Welterbe Grube Messel
ein rötlich-braunes Fell hatten.
In der Forschung ist die Bestimmung des Merkmals Farbe eine
neue Errungenschaft. Mit ihr
könnten viele Fragen zu mit Farben assoziiertem Verhalten wie
Partnerwahl, Überlebens- und
Schutzstrategien von Tieren beantworten werden.
PNAS. DOI: 10.1073/pnas.1509831112
4
West-Antarktis
könnte komplett
schmelzen
Der Eispanzer der
westlichen Antarktis könnte komplett
schmelzen. Das haben
Wissenschaftler des
Potsdam-Instituts
für Klimafolgenforschung für den
Fall berechnet, dass
die vergleichsweise
kleine Region des
Amundsen-Beckens
instabil geworden
sein sollte. Studien der
vergangenen Monate
deuteten darauf hin.
Mit Computersimulationen zeigen die
Potsdamer Forscher
nun die möglichen Folgen: Schmilzt das Eis
weitere 60 Jahre in der
derzeitigen Geschwindigkeit, führe dies zu
einem nicht mehr zu
stoppenden Eisverlust, der Jahrtausende
anhalten könne.
Insgesamt könnte der
Meeresspiegel um drei
Meter steigen. Die Eismassen der Antarktis
reagierten nicht-linear
auf die Erwärmung
der Ozeane. Nach
einer langen Zeit ohne
große Veränderungen
breche das Gleichgewicht schließlich
rasch zusammen, da
das Schmelzen der
Ränder immer dickere
Eisflächen in Kontakt
mit dem wärmeren
Meerwasser bringe.
PNAS. DOI: 10.1073/
pnas.1512482112
DOI = Digital Object Identifier, ein eindeutiger und
­dauerhafter Identifikator für digitale Objekte, vor allem ­
für Online-Artikel von wissenschaftlichen
Fachzeitschriften verwendet
4/2015
LEIBNIZ | KURZ & FORSCH
Materiallager Deutschland
Deutschland sitzt auf einer unbekannten Schatztruhe: Bauwerke, Straßen, Abwasser- und
Stromleitungen sowie Autos oder
große Haushaltsgeräte enthalten
wertvolle Rohstoffe. Insgesamt
sind es 42 Milliarden Tonnen, wie
Forscher des Leibniz-Instituts für
ökologische Raumentwicklung
in Dresden gemeinsam mit Partnern ermittelt haben. Sie entwickelten außerdem ein Konzept,
um ein langfristiges Monitoring
dieses anthropogenen Lagers
aufzubauen. Eine wichtige Vor-
aussetzung, um die Wiederverwendung von bereits genutzten
Rohstoffen künftig systematisch
betreiben zu können. Durch eine
intelligente
Kreislaufführung
könnten natürliche Rohstoffe geschont und ihr oft umweltschädlicher Abbau verringert werden.
Außerdem würde Deutschland
unabhängiger von Rohstoffimporten.
www.umweltbundesamt.de/
publikationen/kartierung-desanthropogenen-lagers-in-deutschland
Fotos: Claudia Pogoreutz/ZMT; Senckenberg; Fotolia/TomFreeze; Gulimila Shabuer/HKI; DPA
Neuer Wirkstoff
gegen Pflanzenkrankheiten
4/2015 Neuigkeiten aus der AntibiotikaForschung: Über eine überraschende Überlebensstrategie verfügt das Bakterium Clostridium
puniceum, der Erregers der Kartoffelfäulnis. Das eigentlich sauerstoff-empfindliche Bakteri­um
kann in einer sauerstoffreichen
Umgebung überleben, indem es
eine Gruppe schützender Wirkstoffe produziert, die Clostrubine.
Sie schützen Clostridium sogar
doppelt und wehren antibiotisch
andere, konkurrierende Krankheitserreger der Pflanze ab. Diese
Doppelfunktion der Clostrubine
haben Forscher des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung
und Infektionsbiologie – HansKnöll-Institut in Jena entdeckt.
Ob Clostrubine die Grundlage für
Antibiotika in der Medizin und als
Wirkstoffe gegen Pflanzenkrankheiten in der Landwirtschaft eingesetzt werden könnten, wollen
die Forscher jetzt weiter untersuchen.
Ungeahnte
Selbstheilungskräfte
Auch Freundschaft hat ihre
Grenzen
Nature. DOI: 10.1038/
nature15397
International Migration
Review. DOI: 10.1111/
imre.12163
Das herausragende
Regenerationsvermögen heutiger
Salamander ist
vermutlich eine ursprüngliche Fähigkeit
aller vierfüßigen
Landwirbeltiere, die
diese erst im Laufe
der Evolutionsgeschichte verloren
haben. Das zeigt
eine neue Studie zu
fossilen Amphibien
von vor 300 Millionen Jahren des
Berliner Museums
für Naturkunde –
Leibniz-Institut für
Evolutions- und
Biodiver­sitätsforschung.
Bisher wurde vermutet, dass die Fähigkeit,
lebenslang die durch
Amputationen oder
Verletzungen verlorenen Beine, Schwänze
und Teile der inneren
Organe vollständig
regenerieren zu
­können, spezifisch für
Salamander sei. Als
Grund dafür wurde
dessen andersartige
embryonale Beinentwicklung angenommen. Die Studie
widerlegt ­diesen
Zusammenhang nun
und zeigt, dass in
den Erdzeitaltern des
Oberen Karbon und
Unteren Perm verschiedene Gruppen
vierfüßiger Wirbeltiere in der Lage
waren, ihre Beine und
Schwänze auf diese
Art zu regenerieren.
Deutsche Freunde
helfen Jugendlichen
aus Zuwandererfamilien nicht zwangsläufig, sich besser zu
integrieren. Das haben
Forscher vom Wissenschaftszentrum Berlin
für Sozialforschung
und vom Mannheimer
Zentrum für Europäische Sozialforschung
herausgefunden; so
wurden jetzt erstmals
Daten von 2.500
15-Jährigen aus dem
Nationalen Bildungspanel von 2010
untersucht. Die Studie
zeigt, dass Jugendliche
aus dem ehemaligen
Jugoslawien, südeuropäischen Ländern
und Russlanddeutsche
sich umso stärker
mit Deutschland
identifizieren, je mehr
deutsche Freunde sie
haben. Bei polnischen und türkischen
Jugendlichen ist dies
nicht der Fall. Die
Forscher vermuten,
dass die Unterschiede
damit zusammenhängen, wie stark die
jeweilige Zuwanderergruppe Diskriminierung wahrnehme.
Der positive Effekt
einheimischer Freunde könnte auch dann
geringer sein, wenn
sich die Identitäten
des Aufnahme- und
des Herkunftslandes
nur schwer vereinbaren ließen.
Science. DOI: 10.1126/
science.aac9990
5
LEIBNIZ | KURZ & FORSCH
in
„Neue“ Väter dank Elternzeit
Eine längere Elternzeit von Müttern geht mit traditionellerer Arbeitsteilung einher. Allerdings kann bereits eine kurze Elternzeit
von Vätern dies ändern. Das hat eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Bamberg Graduate School of
Social Sciences mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)
ergeben. Wenn Väter auch nur eine kurze Elternzeit nehmen, scheinen sich die traditionellen Strukturen zu verändern, sodass die Familienarbeit auch noch Jahre später gleichmäßiger zwischen den
Partnern aufgeteilt wird. Dies trifft zumindest dann zu, wenn die
Väter nicht gleichzeitig mit ihrer Partnerin Elternzeit nehmen, sondern eine Zeit lang alleinverantwortlich sind. Wenn Mütter hingegen eine längere Elternzeit nehmen, so ist auch nach der Rückkehr
beider Eltern in den Beruf die Arbeitsteilung in der Familie traditioneller als bei einer kürzeren Elternzeit der Mutter.
DIW Wochenbericht 50/2015
Bewegung
stärkt die Knochen
Zahlen
55
Milliarden Euro
pro
Jahr könnte der Zustrom an Flüchtlingen die öffentlichen Haushalte
in den nächsten Jahren kosten.
Im günstigsten Fall betragen die
jährlichen Kosten rund 25 Milliarden Euro. Das hat das Institut
für Weltwirtschaft in Kiel berechnet. Selbst im ungünstigsten Fall
blieben sie aber unter zwei Prozent
des Bruttoinlandsprodukts,
schätzen die Forscher und meinen,
dass die Kosten im Verhältnis zur
Wirtschaftskraft Deutschlands
beherrschbar blieben.
http://bit.ly/IfW-Fluechtingskosten
15,6
6
und Muskelkraft kombiniert auf
die Knochengesundheit und -entwicklung bei Kindern wirken.
Die Knochenfestigkeit der Kinder
wurde mit einem Ultraschallgerät am Fersenknochen gemessen.
Weiterhin wurden die Kinder mit
einem Bewegungsmesser (Accelerometer) ausgestattet, der ihre
Bewegungsaktivität aufzeichnete.
So war zu erkennen, wie viel Zeit
die Kinder in sitzender, leichter,
moderater oder intensiver körperlicher Aktivität verbracht hatten.
International Journal of Behavioral
Nutrition and Physical Activity. DOI:
10.1186/s12966-015-0273-6
Fotos: Fotolia/Focus Pocus LTD; Fotolia/Monkey Business; Carola Radke/MfN
Bewegung fördert bereits im
Kindesalter die Knochenentwicklung, während Sitzen diese negativ beeinflusst. Nur zehn Minuten
zusätzliche moderate bis intensive körperliche Aktivität am Tag
erhöht die Knochenfestigkeit bei
Vorschul- und Grundschulkindern. Dies zeigen Untersuchungen
von rund 4.500 Kindern zwischen
zwei und zehn Jahren im Rahmen
der europäischen IDEFICS-Studie,
die das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS und die Universität Bremen koordinierten. Ziel
der Studie war es, zu erforschen,
wie körperliche Aktivität, Sitzen
Millionen Unterrichtsstunden in rund
695.000 Veranstaltungen haben die
deutschen Volkshochschulen im Jahr
2014 angeboten. Der Unterrichtsumfang wuchs damit um 1,7 Prozent. Das
geht aus der aktuellen VolkshochschulStatistik des Deutschen Instituts für
Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen in Bonn
hervor. 45 Prozent aller Stunden entfallen dabei auf Sprachkurse.
www.die-bonn.de/id/31690
50.
Auf ihre
Expedi­
tion bricht das Forschungsschiff „Maria
S. Merian“ Anfang Januar 2016 auf.
­Unter der Leitung des Leibniz-Instituts
für Ostseeforschung Warnemünde
wollen die Wissenschaftler bestimmte
Prozesse am Meeresboden von Nordund Ostsee erstmals auch im Winter
erforschen.
www.io-warnemuende.de/
fs-maria-s-merian.html
4/2015
LEIBNIZ | KURZ & FORSCH
Berlin
zeigt Zähne
Das einzige Originalskelett eines
Tyrannosaurus rex in Europa ist
seit Mitte Dezember im Berliner
Museum für Natur­kunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und
Biodiversitätsforschung zu sehen. „Tristan Otto“ ist etwa 66
Millionen Jahre alt und wurde
2010 in Montana, USA, gefunden. Das zwölf Meter lange und
vier Meter hohe, außergewöhnlich gut erhaltene Skelett aus der
Oberkreidezeit ist eine Leihgabe des dänischen Mäzens Niels
Nielsen, der diese dem Museum
„Tristan Otto“ für mindestens
drei Jahre zur Verfügung stellt;
freilich unter der Maßgabe, dass
„Tristan“ erforscht und öffentlich ausgestellt wird.
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perfekte Organisation. Mehr als perfekte
Räumlichkeit. Mehr als perfekter Service.
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ein Gastgeber, der sich um den Rahmen
kümmert. Berlin, die aufregendste
Metropole in Europa, tut das. Ob Kultur,
Sport oder Party, Berlin gibt sein Bestes.
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4/2015 7
LEIBNIZ | KURZ & FORSCH
Den meisten deutschen Pflegeheimen
geht es wirtschaftlich
gut, und der Pflegemarkt wächst. Trotzdem prognostizieren
die Herausgeber des
„Pflegeheim Rating
Report 2015“, dass
bis 2030 Investitionen von bis zu 80
Milliarden Euro nötig
seien, um ausreichend
Pflegeplätze und -personal für die alternde
Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. 2013
gab es 2,6 Millionen
pflegebedürftige Menschen, die zunehmend
ambulant und von
privaten Einrichtungen versorgt wurden,
so der Report. Ihre
Zahl werde jedoch bis
2030 voraussichtlich
um ein Drittel auf 3,5
Millionen Menschen
steigen. Um drohenden Engpässen zu
begegnen, schlagen
die Verfasser vor,
private Geldgeber
durch schlankere
Heimgesetze zu Investitionen ermutigen
und den Pflegeberuf
attraktiver zu machen.
Der alle zwei Jahre
erscheinende Report
wird vom RheinischWestfälischen Institut
für Wirtschaftsforschung, der Institute
for Health Care
Business GmbH und
Philips erarbeitet.
Gewinner und
Verlierer im
­Klimawandel
Der Klimawandel
wirkt sich unterschiedlich auf die europäische Vogelwelt
aus. Es gibt Gewinner
und Verlierer. Das haben Untersuchungen
von Wissenschaftlern
des Senckenberg Biodiversität und Klima
Forschungszentrums
mit internationalen
Kollegen ergeben. Sie
basieren auf Beobachtungen von mehr
als 50.000 Bürgerwissenschaftlern in
einem Zeitraum von
18 Jahren. Wärmere
Winter wirken sich
beispielsweise positiv
auf so genannte
„Standvögel“ wie Gartenbaumläufer oder
Türkentauben aus;
von längeren Frühjahren und damit auch
Brutzeiten profitieren
Kurzstrecken-Zieher,
wie der Stieglitz oder
die Heidelerche. Bedroht sind vor allem
Vögel in kälteren
Regionen wie der
Haussperling, die Raben- und Nebelkrähe,
der Wiesenpieper und
verschiedene Zeisigarten. So werde sich
der Klimawandel vermutlich überwiegend
negativ auswirken, so
die Forscher.
Global Change Biology.
DOI: 10.1111/gcb.13097
Wird es unter dem Klimawandel schwer haben:
der Birkenzeisig.
8
Alterns-Genom entschlüsselt
Der Türkise Prachtgrundkärpfling (Nothobranchius furzeri) ist
das kurzlebigste Wirbeltier, das unter Laborbedingungen gehalten werden kann. Er wächst sehr schnell und altert wie im
Zeitraffer. Forschern des Leibniz-Instituts für Alternsforschung
– Fritz-Lipmann-Institut in Jena ist es nun gelungen, das Genom
des Fisches zu entziffern – ein Meilenstein für die Etablierung
von N. furzeri als neues Modellsystem in der Alternsforschung.
Die Ergebnisse sind nun in der renommierten Fachzeitschrift
Cell erschienen.
Cell. DOI: 10.1016/j.cell.2015.10.071
Neue Fachkräfte
für die Landwirtschaft
Die Beschäftigung von Migranten und Flüchtlingen könnte dem
Fachkräftemangel in der ostdeutschen Landwirtschaft entgegenwirken. Davon sind Wissenschaftler des Leibniz-Instituts
für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien überzeugt.
Durch Renteneintritte vor allem
qualifizierter Mitarbeiter entsteht
in den kommenden Jahren eine
erhebliche Fachkräftelücke. Bislang setzen Agrarbetriebe ausländische Arbeitskräfte vor allem als
Erntehelfer ein. Absolventen von
osteuropäischen Agraruniversitäten, aber auch viele aus landwirtschaftlich geprägten Herkunftsländern stammende Flüchtlinge
stellen somit ein Potenzial für die
Gewinnung von Fachkräften dar,
so die Forscher. Da sich viele Agrarbetriebe seit Jahren vergeblich
um deutsche Nachwuchskräfte
bemühen und so zum Beispiel
in Sachsen-Anhalt 2014 nur jedes zehnte Unternehmen Nachwuchskräfte in landwirtschaftlichen Berufsgängen ausbildete,
stellten Migranten eine bislang
weitgehend unausgeschöpfte Alternative dar. Die Eingliederung
von ausländischen Beschäftigten
in die Agrarunternehmen dürfte
aber einen erheblichen Aufwand
an Zeit und Geld kosten, vermuten die Wissenschaftler. Die
Betriebe müssten in gezielte Anwerbekampagnen, Sprach- und
Fachkurse sowie Integrationspaten investieren.
www.iamo.de/policybrief-25
4/2015
Fotos: Nadine Grimm/FLI; Fotolia/Gerhard Seybert; David Dillon/BirdLife International
Mehr ­Investitionen
in die Pflege
LEIBNIZ | KOLUMNE
Foto: Christoph Herbort-von Loeper
Liebe Leserinnen und Leser,
4/2015 „willst du gelten, mach‘ dich selten“, heißt es. Aber nein! mangeln – vielleicht gerade weil sie mit Deutschlands
Wissenschaft und Forschung sind vielfach präsent – um industrieller Entwicklung und Produktionsbasis eng
nicht zu sagen: omnipräsent – und gerade deswegen zusammenhängt und schlicht vorausgesetzt wird. An
wichtig. Eine Selbstdarstellung durch Abwesenheit hier alltäglicher Relevanz mangelt es ihr keinesfalls.
als Zeichen einer hohen Beschäftigung und UnabkömmNeue Kombinationen technologischer Verarbeilichkeit dort haben sie nicht nötig.
tungs- und Nutzungsprozesse gehören ebenso zu den
Meine Kolleginnen und Kollegen in Wissenschaft „versteckten Innovationen“ wie die vielzitierten soziaund Forschung sind vielbeschäftigt – keine Frage. Sie len und kreativen Innovationen, die mittels klassischer
sind häufig unabkömmlich; gerade weil sie frei und
Indikatoren wie Publikationen und Patenten meist
selbstbestimmt arbeiten können und dabei
nur unzureichend abgebildet werden. Die verdie Belange der Menschen und der Geselldeckten, aber wirkungsmächtigen Bereiche
„Die
schaft aufgreifen. Auch Forschungsergebdeutscher Weltmarktführer liegen obenMaterialnisse und Erkenntnisse sind buchstäblich
drein zu großen Teilen im produzierenwissenschaft ist
überall. Halten Sie doch einen Moment
den Gewerbe, in industriellen Bereichen
inne und schauen Sie sich um: Schon unselbstverständlich und im Anlagen- und Maschinenbau und
ser Leibniz-Journal in Ihren Händen ist
sind uns Bürgerinnen und Bürgern auch
in unserem
in haptischer Gestalt und Bild auch das
daher nicht immer direkt einsichtig und
Alltag“
Ergebnis von Analysen zu Material, Schrift,
zugänglich. Nichtsdestotrotz beruhen auch
Satz und Sprachverwendung. Neben, unter,
sie auf tiefgehenden wissenschaftlichen Unüber und vor Ihnen: Gegenstände aus vielfältigen
tersuchungen von beispielsweise polymeren
Werkstoffen und Materialien, in Materialkombinatio- Funktionsmaterialien, die sich in medizinischen, komnen und Formen, eingerichtet für ihre unterschiedli- munikationstechnischen und energieeffizienten Techchen Zwecke – die Wände des Gebäudes, in dem Sie sich nologien und Lösungen niederschlagen. Oder Kristallbefinden, die Heizungen, die Ihre Räume wärmen, die züchtung in Photovoltaik und Elektronik. Oder Plasmen
Straßen, auf denen Sie fahren, die Autos, die Sie steuern, in Umwelt, Gesundheit und Energie – um nur einige,
die Brücken, die Sie überqueren und so vieles mehr ist viel zu wenige, Beispiele zu nennen.
und wird weiter erforscht.
Die Gestalt und Gestaltwerdung von Wissenschaft
Die Materialisierung wissenschaftlicher Arbeit – und Forschung ist auch geprägt von ihrer VerbindlichErkenntnisse der Forschung realisiert in Anwendun- keit. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind
gen – ist selbstverständlich in unserem Alltag. Das ist Ansprechpartner für Fragen und Probleme, die sie eruGrund genug für ein Leibniz-Journal, das diesmal die ieren und lösen. Sie beraten und erklären uns die Welt.
Scheinwerfer auf die Materialwissenschaften richtet. Daher schauen Sie erstens genau hin, wo in der Welt Sie
Dazu zählen die vielfältigen Forschungsarbeiten etwa wissenschaftliche Erkenntnisse finden. Und fragen Sie
an metallischen Werkstoffen, die mindestens mittel- zweitens nach – zum Beispiel, wenn Sie uns bei einer
bar – gewissermaßen anwendungsinspiriert nach unserer vielfältigen, gar nicht seltenen Veranstaltungen
Leibniz’scher Façon – dazu dienen, Korrosion, Reibung zum Leibniz-Jubiläumsjahr 2016 besuchen. Nur so zwei
und Verschleiß zu verringern oder zu vermeiden. Damit Vorschläge...
wird allein im öffentlichen Raum und an öffentlicher
Infrastruktur gegen Wertvernichtung von bis zu vier
Prozent des Bruttosozialproduktes angegangen. Dieser Forschung mag es hierzulande an Aufmerksamkeit m atth i as kl ei n er , pr äsi d en t d er l ei b n i z - g em ei n s c h aft
9
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
Inspiriert
von der
Evolution
Nach dem Vorbild der Natur entwickeln
Wissenschaftler neue Materialien
10 4/2015
Fotos: Isselee/Dreamstime.com; Rüdiger Nehmzow
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
4/2015 Einrollbare Bildschirme, Roboter
mit hochsensiblen Greifarmen
oder eine Therapie gegen Rückenmarkverletzungen: Häufig
fehlt es an Materialien, um solche
Ideen zu verwirklichen. Daher
schauen sich Materialwissenschaftler zunehmend in der Natur nach Lösungen um. Sie bietet
einen unendlichen Fundus, im
Testlabor der Evolution geprüft,
verfeinert und für gut befunden.
Die Forscher versuchen, diese
natürlichen Prinzipien in neue
technische Lösungen zu übertragen.
„Es ist wie beim Kochen: Wir
kennen die Grundrezeptur, verändern aber die Zutaten, um das
Gericht passend für unsere Bedürfnisse zuzubereiten“, erklärt
Andreas Walther vom LeibnizInstitut für Interaktive Materialien (DWI) in Aachen. Er und
sein Forscherteam haben nach
diesem Prinzip eine von der Natur inspirierte Folie entwickelt,
sen. „Damit eröffnen sich völlig
neue Möglichkeiten an Formen,
zum Beispiel ausrollbare Displays oder Tablets“, so Walther.
Bruchsicher wie
Muschelschalen
Perlmuttschicht auf der
Innenseite einer Meeresschnecke
(Abalone).
die eine neue Generation von
Fernsehern und Displays ermöglichen könnte. Sie ist besonders
reißfest und bietet durch ihre
Struktur eine Gasbarriere, die
Luftmoleküle kaum durchdringen können. Ideal, um die empfindliche Elektronik von Handys
und Tablets vor schädlichen Lufteinflüssen zu schützen und das
starre Glas, das bisher für diesen
Schutz verwendet wird, abzulö-
Bei der Folie haben sich die
Wissenschaftler von der Muschel inspirieren lassen, genauer gesagt, dem Perlmutt, das
dem Tier Schutz gegen Fressfeinde wie den Hummer bietet.
„Die mechanischen Eigenschaften des Perlmutts sind herausragend, das Material ist extrem
bruchresistent“, erklärt Walther.
Das Geheimnis dafür liegt in der
Perlmutt-Struktur. „Perlmutt ist
ein Polymer-Keramik-Verbund,
der aufgebaut ist wie eine Backsteinmauer“, so Walther. „Die
Backsteine bestehen aus Calciumcarbonat, der Mörtel ist ein
Kleber aus Proteinen.“
11
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
Die Leibniz-Forscher haben
dieses Prinzip übernommen,
aber durch andere Komponenten ersetzt, um eine leichtere,
stabilere und flexiblere Keramik herstellen zu können. Dazu
bringen die Wissenschaftler die
„Backsteine“, die aus einfachen
Tonmineralien – so genannten
Schichtsilikaten – bestehen, in
Wasser mit einem Kunststoff
auf Cellulose-Basis als ,Mörtel‘ zusammen. „So entstehen
Bausteine, bei denen der Mörtel direkt auf dem Backstein
ist“, erläutert Andreas Walther.
„Dieser Prozess ist mit der Papierherstellung verwandt und
großtechnisch gut umsetzbar,
um in Zukunft künstliches Perlmuttpapier herzustellen.“
Interessant für die
Automobilbranche
Die Eigenschaften dieser neuartigen Kunststoffe machen sie
als Werkstoff nicht nur für die
Automobilbranche interessant,
sondern spielen auch beim Feuerschutz eine wichtige Rolle. So
lassen sich daraus Feuerbarriereschichten in Gebäuden herstellen. Diese sind noch dazu
besonders umweltfreundlich,
weil sie keine giftigen Stoffe
enthalten, die im Brandfall freigesetzt werden. Auch Textilien
lassen sich durch Eintauchen in
eine Lösung mit diesem Material beschichten. Die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten
entwickeln die Forscher häufig
gemeinsam mit der Industrie.
Technische Innovation kann
vielfältig nützlich sein: So ist
gerade erst ein anderes DWIProjekt zur Entwicklung einer neuartigen Therapie von
Rückenmarksverletzungen gestartet.
Dafür
orientieren
sich die Wissenschaftler am
Wachstums­prinzip von Körpergewebe. „Man weiß, dass alle
Gewebearten ein gerichtetes
Wachstum haben, also in eine
bestimmte Richtung wachsen,
auch Nerven“, sagt Walther.
Auf dieses natürliche Prinzip greift auch Laura De ­Laporte
mit ihrem Team am DWI zurück.
Damit sich bei einer Rücken­
marksverletzung das Gewebe
regenerieren kann, muss das
Nervenwachstum angeregt werden; und zwar so, dass es nur
in eine Richtung erfolgt und
die Nerven nicht wild aufeinander zuwachsen. Diese Aufgabe
könnten künftig neuartige Hydrogele übernehmen – in Wasser gequollene Polymernetzwerke, die in ihrer Konsistenz
dem weichen Körpergewebe
ähneln. Dazu müsste das Material per Spritze ins Rückenmark
injiziert werden und dort dann
eine geordnete Struktur ausbilden, die das Wachstum der Nervenbahnen in die richtige Richtung lenkt. Sofern das Gel vom
Organismus gut vertragen wird,
könnte es vielen Menschen den
Vom Perlmutt
inspirierte Folie ist
eine effiziente
Feuer- und
Hitzebarriere.
12 4/2015
LEIBNIZ | LICHT
Rollstuhl ersparen. Das Projekt
ist zunächst auf fünf Jahre ausgelegt, die ersten klinischen
Versuche wird es wahrscheinlich in etwa zehn Jahren geben.
Fotos: Rüdiger Nehmzow; Janine Hillmer
Wie ein Gecko-Fuß
4/2015 Im Vergleich dazu befindet sich
am Leibniz-Institut für Neue
Materialien (INM) in Saarbrücken sich die Gecomer-Technologie – eine Wortschöpfung aus
Gecko und Polymer – in einer
fortgeschritteneren Entwicklungsphase. Sie orientiert sich
am Haftprinzip des Geckofußes, dank dem das 40 Zentimeter große Tier an Decken und
Wänden laufen kann. Der Gecko
nutzt dafür Wechselwirkungen
zwischen Molekülen, so genannte Van-der-Waals-Kräfte:
Jede Materie hat die Tendenz,
einen Festkörper in ihrer Nähe
anzuziehen. „Gott sei Dank spüren wir das im Alltag nicht. Die
Kraft und ihre Reichweite sind
sehr gering, sonst würden wir
überall festkleben“, sagt Eduard Arzt, wissenschaftlicher
Geschäftsführer am INM. Der
Gecko hingegen will genau das
und erhöht diesen Effekt mit
feinen Härchen, die an der Fußunterseite bündelweise angeordnet und nur unter dem Elektronenmikroskop sichtbar sind.
Diese nur wenige hundert Nanometer winzigen Hafthärchen
schmiegen sich an allerkleinste
Unebenheiten auf glatten Oberflächen an.
„Dadurch, dass die Van-derWaalschen Kräfte an vielen Einzelhärchen gleichzeitig wirken,
ist die Summe aller Wechselwirkungen so stark, dass der Gecko
ein Vielfaches seines Eigengewichts, immerhin bis zu 300
Gramm, halten kann, wenn er
all seine Hafthärchen gleichzeitig nutzt“, erklärt Eduard Arzt.
Das Aufspalten einer Kontaktfläche in viele Einzelkontakte
erhöht also die Haftkraft. Um
sich fortzubewegen, muss das
Tier die Haftkraft innerhalb von
Millisekunden jedoch wieder
aufheben können. Das gelingt
durch eine leichte Veränderung
des Winkels zwischen Härchen
und Oberfläche. So kann das
Tier den Fuß lösen und sich
fortbewegen.
Transparent wie
Glas: Andreas
­Walther (rechts) und
­Doktorand Thomas
Heuser mit Perlmuttinspirierter Folie.
Forschen im
Nanometer-Maßstab
Inspiriert vom Gecko haben die
Forscher ein Verfahren entwickelt, mit dem sie Kunststoffen diese außergewöhnlichen
Hafteigenschaften
verleihen
können. Dazu gießen sie zum
Beispiel Silikone oder Gummi-
13
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
Gecomer®-Technologie in
Kombination mit Robotik für
das Handling von Objekten. So
können hochsensible Objekte
in Fertigungslinien unter sehr
geringem Energieaufwand
bewegt werden.
materialien in eine Gussform,
die es in sich hat. Sie enthält
die filigranen Haarstrukturen,
wie sie am Geckofuß zu finden
sind. Ihre Größe entspricht
etwa ­einem Hundertstel eines
menschlichen Haares. Wissen­
schaftler erschaffen die Härchen über das Verfahren der Fotolithografie: Die Form besteht
aus einem Kunststoff, der auf
Licht anspricht. Per Belichtung
wird nur an belichteten Stellen das Material weggeätzt. Je
nach Anwendung und Anforderungen variieren die Forscher
Formgröße, Gussmaterial und
die Struktur der Härchen beziehungsweise ihrer Enden. Beschaffenheit und Ausrichtung
sind dabei ausschlaggebend
für die Stärke der Haftung. Pilzkopfartige Verbreiterungen der
Haarenden erhöhen beispielsweise die Haftkraft.
­Anwendungsmöglichkeiten
gibt es viele. So haben die
Wissenschaftler einen Robotergreifarm mit einer GeckoKunststoffstruktur versehen. Er
kann dadurch hochsensible Objekte, etwa Mikroelektronik
zur industriellen Fertigung von
Tablets oder Mobiltelefonen,
bewegen sowie auf- und absetzen, ohne sie zu beschädigen.
Im Gegensatz zur Saugtechnik
arbeitet dieses System völlig
geräuschlos, deutlich energieärmer und funktioniert auch im
Vakuum. „So lässt sich die Greifarmtechnologie beispielsweise
auch zur Beseitigung des Weltraumschrotts einsetzen“, sagt
INM-Chef Eduard Arzt.
14 Nicht zuletzt ist die Superhaftkraft auch in der Medizin gefragt. „Wir entwickeln derzeit
gemeinsam mit einer Hals-Nasen-Ohren-Klinik ein Implantat,
das Trommelfellverletzungen
rückgängig machen soll“, erläutert der Materialforscher. „Über
den Gecko-Effekt haftet das
Implantat am Trommelfell und
unterstützt dort die Wundhei-
Fotos: Uwe Bellhäuser; INM (2)
Superhaftkraft
für die Medizin
4/2015
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
Vorbild und Adaption:
Im Elektronenmikroskop lassen
sich links die feinen Härchen an
den Geckofüßen erkennen.
Die mikrostrukturierte
Haftoberfläche aus synthetischem
Polymer rechts ahmt den
Geckoeffekt nach.
lung.“ Zum einen muss es Druck,
der etwa durch Niesen entsteht,
standhalten. Zum anderen sollte es sich auch wieder leicht per
Pinzette entfernen lassen. Und
das alles bei nachgewiesener
Verträglichkeit im menschlichen Körper.
In Zukunft könnte die Gecomer-Technologie auch herkömmliche Heftpflaster ersetzen. „Pflaster funktionieren ja
hauptsächlich mit Klebstoff, auf
IMPRESSUM
Leibniz-Journal
Herausgeber:
Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft
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den viele Patienten allergisch
reagieren, was die Wundheilung negativ beeinflussen kann“,
berichtet Eduard Arzt. „Unser
Pflaster würde ohne Kleber
auskommen und nur durch seine besondere Struktur haften.“
Doch warten hier noch einige
Herausforderungen auf die Forscher: Denn das Pflaster muss
auf einer weichen Oberfläche
haften, der Haut. Und: Es muss
dermatologisch verträglich sein
und Schweiß oder anderen Körperflüssigkeiten trotzen. Trotzdem meint Eduard Arzt: „An
der Gecomer-Technologie sieht
man, wie sich ein Prinzip aus
der Natur in viele verschiedene
Lebens- und Arbeitsbereiche
übertragen lässt.“ Und ständig
erreichen ihn und seine Kollegen neue Ideen, was man noch
alles damit machen kann.
SABINE WYGAS
Redaktion:
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Herbort-von Loeper (C.v.D.),
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Ausgabe 4/2015: Dezember
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Die Leibniz-Gemeinschaft — 88 Mal Forschung zum Nutzen und Wohl der Menschen:
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auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder
unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungs4/2015 museen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und
Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit
den Hochschulen ‑ u.a. in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit
der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren.
Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die LeibnizInstitute beschäftigen rund 18.100 Personen, darunter 9.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt
bei mehr als 1,6 Milliarden Euro.
15
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
Spurensicherung
In den Leibniz-Forschungsmuseen arbeiten Materialforscher und
Restauratoren Hand in Hand. Anders als früher besteht ihr Ziel
nicht darin, makellose Exponate zu schaffen. Vielmehr sollen
heute Spuren der ­Geschichte und der Vergänglichkeit freigelegt
werden.
16 Vor Steffen Seidel auf dem Tisch
liegt Hightech aus dem Jahre
1900. Jeder Bergmann konnte
froh sein, wenn die Grubenwehr
seiner Zeche mit Taucheranzügen wie diesem ausgestattet war.
Die Arbeit unter Tage war riskant, immer drohte die Gefahr,
dass Wasser in die Stollen eindrang und sie überschwemmte.
Dann zwängten sich die Männer
der Grubenwehr im dicken Wollzeug durch die Halsöffnung in
ihre Taucheranzüge und eilten
in die „abgesoffenen“ Stollen, um
ihre Kumpel zu retten, wertvolle
Maschinen zu bergen oder Reparaturen durchzuführen.
Steffen Seidel ist Restaurator am
Deutschen Bergbau-Museum in
Bochum (DBM), und was heute vor ihm liegt, ist eigentlich
„Schrott“. Der hellgelbe Anzugstoff scheint sich sanft zu wellen,
aber als Seidel vorsichtig eines
der Beine bewegt, ist es steif wie
ein Brett. Leise knirscht der Naturkautschuk.
Auch „Schrott“
wird restauriert
Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass der Anzug ein Lehrstück war und wahrscheinlich
nie benutzt wurde. „Viele Schäden sind durch unsachgemäße
Lagerung und Präsentation entstanden“, sagt Seidel. Der Anzug
habe lange zusammengefaltet auf
einem Stahlregal gelegen, „man
sieht Rostflecken“. Einmal wurde er ausgestellt. „Dafür hat man
ein Holzgestell reingeschoben, es
später aber nicht mehr rausgekriegt“, sagt Seidel. „Da hieß es
dann wohl: ‚Komm, schneid das
mal auf‘. Man ist zu dieser Zeit
eben anders mit Objekten umgegangen.“
Die Probleme, vor denen Seidel jetzt steht: Wie bringt man
dieses brettharte Gummiobjekt
Fotos: DBM; Susanne Greiff
Restaurator
Steffen ­Seidel und
­Material­wissen­schaftlerin Elena
Gomez Sánchez
entnehmen Proben
aus dem Gummikragen
eines Tauchanzugs.
4/2015
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
Eine Fibel in der
Anlage zur Röntgen­
fluoreszenzanalyse.
wieder in eine Form, die Museumsbesuchern begreiflich macht,
wie der Taucheranzug funktionierte? Und wie verlangsamt
man den Verfall des Materials?
Warum zerbröckelt
die Sohle?
4/2015 Mit solchen Fragen ­können sich
die Restauratoren der LeibnizForschungsmuseen an die Materialforscher im eigenen Haus
wenden. Bislang war das DBM
vor allem bei der Untersuchung
anorganischer Materialien stark
aufgestellt, zum Beispiel von
Metallen, Gestein, Keramik oder
Glas. Seit Februar nimmt die Chemikerin Elena Gómez Sánchez
verstärkt organische Materialien wie Kunststoffe in den Blick.
Zurzeit untersuchen Gómez
und ihre Kollegen Dutzende von
Bergmannschuhen, deren Sohlen aus Polyurethan sich in den
unterschiedlichsten Stadien des
Verfalls befinden. „Wir verstehen
noch nicht, warum die eine Sohle zerbröckelt, die andere weich
und klebrig wird und wieder andere völlig in Ordnung sind“, sagt
Gómez. Mithilfe der Infrarotspektroskopie bestimmt sie die chemische Zusammensetzung der
Sohlen und welche Weichmacher,
Pigmente oder Kleber verwendet
wurden. Sie kann auch feststellen, unter welchen Bedingungen
sich die Stoffe chemisch verändern, zum Beispiel durch Licht,
Wärme oder Sauerstoff.
Im besten Fall führen die
Erkenntnisse der Materialforschung Restaurator Steffen Seidel
zu einer Methode, wie er Kunststoffobjekte vor dem weiteren
Verfall schützen kann. Im Fall des
Taucheranzugs plant das DBM,
das spröde Gummi vorsichtig ein
letztes Mal zu erweichen und so
auf eine Stützkonstruktion aufzubringen, dass der Anzug in seiner
ursprünglichen Form erhärten
kann. Er könnte dann ausgestellt,
aber auch ohne weitere Schäden
transportiert und gelagert werden.
„Damit greifen wir zwar ein,
aber wir verändern das Objekt
materialtechnisch nur geringfügig“, sagt Stefan Brüggerhoff, Direktor des DBM. Er ist Sprecher
des Netzwerks Restaurierung
und Konservierung im LeibnizForschungsverbund „Historische
Authentizität“. Dort werde zurzeit intensiv über Standards für
solche Eingriffe diskutiert. „In
der bildenden Kunst ist das Interpretieren des Objekts durch
die Restaurierung schon fast ein
Sakrileg. Bei archäologischen
Funden hingegen ist das Freilegen bestimmter Oberflächen ein
entscheidender Punkt, um ein
Objekt überhaupt interpretierbar
zu machen.“ Erst die Materialforscher können den Historikern oft
entscheidende Hinweise geben.
Accessoire der
Merowinger-Mode
Das ist auch bei Susanne Greiff so.
Sie ist Spezialistin für Granate am
Römisch-Germanischen Zentralmuseum – Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie (RGZM) in
Mainz. Die roten Edelsteine waren im frühen Mittelalter extrem
populär. „In der Merowingerzeit
waren Schmuckstücke regelrecht
zugepflastert mit hauchdünnen
Granatplättchen“, sagt die Leiterin des Kompetenzbereichs „Naturwissenschaftliche Archäologie“ und des Archäometrielabors
am RGZM. Bis heute sei nicht
völlig geklärt, wie die Handwerker aus größeren Granatstücken
diese nur 0,3 Millimeter dünnen
Scheibchen fabrizieren konnten,
ohne den Stein zu zerstören. „Nur
wenn der Granat eine sehr gute
Qualität hat, kann man ihn mit ei-
17
nem härteren Material, zum Beispiel Korund, auf diese Dicke herunterschleifen und auch noch auf
brillanten Hochglanz polieren.“
Mithilfe der Mikro-Röntgenfluoreszenz-Analyse
untersucht
Greiff die chemische Zusammensetzung der verwendeten Granate. Dank der großen Referenzdatenbank am RGZM kann sie
Steine, deren Herkunft bis jetzt
noch unbekannt war, durch Materialvergleiche genauer zuordnen. Greiffs Analysen haben ergeben, dass Granate der benötigten
Qualität aus Sri Lanka und Indien
importiert wurden, womöglich
als bereits hauchdünn geschliffene und polierte Vorstufen für die
Goldschmiede in Mitteleuropa.
Anfang des 7. Jahrhunderts wandelte sich der Stil der
Schmuckstücke abrupt. Nun
wurden vor allem Granate aus
Böhmen verwendet. Sie waren
von minderer Qualität und ließen
sich nicht so filigran verarbeiten.
„Wir nennen es ‚das verflixte 7.
Jahrhundert‘“, sagt Greiff, „und
versuchen zu verstehen, warum es zu einer Veränderung des
Edelsteinhandels kam.“ Bisher
nahm man an, dass das Aufkommen des Islams die Handelswege im Nahen Osten unterbrach.
Greiff und ihr Team untersuchten
jedoch Schmuck aus den Nachbarländern der Merowinger. „In
Großbritannien, Skandinavien
und Ungarn blüht der Stil mit den
filigranen Plättchen in dieser Zeit
sogar auf, und die Granate stammen weiterhin aus den alten Lagerstätten in Indien und Sri Lanka.“ Es muss also andere Gründe
gegeben haben, warum ausgerechnet die Merowinger plötzlich
auf dem Trockenen saßen.
Richtige Fragen
stellen
18 Fragestellungen wie die nach
den Gründen für den Stilwandel des Merowinger-Schmucks
entwickeln Kuratoren, Restauratoren und Materialforscher in
den Forschungsmuseen gemeinsam. Dabei ist die Formulierung
der richtigen Frage oft schon
die erste Hürde. Ein Restaurator
muss verstehen, was Material-
wissenschaftler ihm zu seinem
Objekt sagen können. Und er
muss das technische Ergebnis
wieder zurück auf seine eigene
Fragestellung übersetzen. Elena
Gómez Sánchez vom DBM nennt
ein Beispiel: „Die Frage ‚Ist das
Objekt echt?‘ kann ein Chemiker
nicht beantworten. Aber wenn es
ein Material gibt, das zur Entstehungszeit des Objekts noch nicht
bekannt war, dann können wir
daraufhin testen.“ Diese Übersetzungsleistung, sagt DBM-Direktor Stefan Brüggerhoff, stelle
an alle Seiten höhere Anforderungen als früher. Für Techniker
sei es manchmal unverständlich,
dass Restauratoren neue Verfahren nicht sofort anwenden. Doch
Museen hätten immer wieder
die Erfahrung gemacht, dass vermeintliche Verbesserungen nach
fünfzig Jahren schlimme Effekte
haben. „Jede Generation versucht, ein Optimum für die Erhaltung der Objekte zu finden“, sagt
Brüggerhoff. „Was unsere Nachfolger über unsere Arbeit sagen
werden, wissen wir nicht.“
Während vergleichsweise
neue Materialien wie Kunststoffe für die Forschung auch neue
Probleme aufwerfen, weil Erfahrungswerte fehlen, wie und warum sie altern, stellen manche
Stoffe Restauratoren seit Jahrhunderten vor dieselben Probleme.
Haarlack als
Konservierungsmittel
Eisen zum Beispiel rostet. Von
dieser Banalität bleibt auch ein
ehemaliger Himmelskörper nicht
verschont. „Bei der Konservierung von Eisenmeteoriten ist
über die Jahrhunderte viel rumexperimentiert worden. Viele hat
man einfach mit Haarlack eingesprüht. Der wird irgendwann
spröde, und dann sieht es noch
hässlicher aus, als wenn der Meteorit normal verrostet wäre“,
fasst Ansgar Greshake vom Berliner Museum für Naturkunde
– Leibniz-Institut für Evolutionsund
Biodiversitätsforschung
(MfN) die Versuche seiner Vorgänger zusammen, Korrosion zu
verhindern.
Aktuell hat Greshake, der am
MfN die mineralogische Präparation leitet und Kustos der
Meteoritensammlung ist, einen
Kompromiss gefunden. Ein Präparator hat für das MfN alle Eisenmeteoriten im Vakuum mit
organischen Lösungsmitteln ent­rostet. Anschließend tränkte
er die Gesteine in Wachs. „Wir
lagern die Meteoriten mit Silikagel trocken. Bislang hält es“,
sagt Greshake. Allerdings müsse
dem Präparator bewusst sein,
dass er zusammen mit dem Rost
womöglich auch das Besondere
von alten Meteoriten entfernt.
„Die Wittmannstätten-Struktur,
ein typisches Streifenmuster, das
bei der Ätzung mit Salpetersäure
entsteht und wichtig ist für die
Klassifizierung des Eisens als außerirdisch, verschwindet dabei
meistens auch.“ Bei Meteoriten,
die bereits sehr lange korrodiert
seien, habe die Entrostung allerdings genau das Gegenteil bewirkt und das Muster geradezu
dreidimensional herauspräpariert. Hier fällt die Konservierung
der Objekte glücklich zusammen
mit dem Wunsch der Ausstellungsmacher, die Spuren früherer Wissenschaftler sichtbar zu
machen, die vor rund 200 Jahren
mit der Salpetersäure-Ätzung
erstmals das Material von Meteoriten analysierten.
Materialwissenschaftler und
Restauratoren im Museum forschen auch immer an der Geschichte der eigenen Fachdiszi­
plin. Ihre Arbeit legt die Versuche
ihrer Vorgänger frei, das Material
zu formen, zu verschönern oder
haltbar zu machen. Die Entscheidung, wie die Objektgeschichte
später dem Museumsbesucher
erzählt werden soll, ist eine
wesentliche, sagt Stefan Brüggerhoff vom Deutschen Bergbau-Museum: „Wir betreiben
teilweise hochkomplexe Materialforschung, um Dinge zu erklären,
die vor 5.000 Jahren mit einem
Objekt geschehen sind.“ Ob ein
Exponat dem Besucher schön erscheint oder fleckig: All das habe
Ursachen, Gründe und eine Vielzahl von Argumentationsketten.
„Am Ende ist es das, was die Freude an den Objekten ausmacht.“
S T E FA N I E H A R D I C K
Foto: Senckenberg
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
4/2015
Außerirdische in der Schublade
... beherbergt die ­Meteoritensammlung des Senckenberg Forschungsinstituts in Frankfurt am Main. Hier
entnimmt ­Jutta Zipfel, Leiterin der Sektion Meteoritenforschung, einen Eisenmeteorit. Die etwa 1.900
Meteorite umfassende Sammlung hilft, eine Vielzahl
von Forschungsfragen zu beantworten: Wie und wann
entstand feste Materie in unserem Sonnensystem?
Wie und aus welchem Material haben sich die Asteroiden gebildet? Wie entstanden daraus die Erde und
die anderen terrestrischen Planeten? Dabei bedienen
sich die Forscher unterschiedlicher Methoden der Mikroskopie, mi­
neralchemischen Untersuchungen mit
der Elektronmikrosonde oder Analysenmethoden zur
chemischen und isotopenchemischen Zusammensetzung. Ihren persönlichen Asteroiden hat Jutta Zipfel,
obwohl der nicht Bestandteil der Sammlung ist: 2006
benannte die Internationale Astronomische Union
den Asteroiden (7565) Zipfel aus dem Hauptgürtel
zwischen den Planetenbahnen von Mars und Jupiter
in Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Leistungen
nach ihr.
4/2015
19
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
Säure frisst Felle
... und ist damit ein großer „Schädling“ an Sammlungsobjekten in Museen. Im Museum für Naturkunde Berlin - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung sind vor allem Felle und Häute der Säugetiersammlung betroffen. Die eigentlich reißfesten Häute werden durch die Säuren im Laufe der Zeit brüchig und
zerreißen leicht wie Papier. Etwa 80 Prozent der Felle, also etwa 24.000 Sammlungsobjekte, sind vom Zerfall betroffen. Um eine weitere säurebedingte Zerstörung zu
verhindern, forschen Wissenschaftler und Sammlungsmitarbeiter des Museums an
den genauen Zerfallsprozessen. Die ersten Schritte sind vor allem die Bestandsaufnahme und die Zustandsüberprüfung der Felle. Zusätzlich findet ein Wissensaustausch zwischen Sammlungen anderer naturhistorischer Museen, Präparatoren,
Gerbereien oder dem Zentrum für Bucherhaltung in Leipzig statt. Neben modernen
Entsäuerungsverfahren forscht das Museum auch an verbesserten Lagerungsbedingungen in den Sammlungen. Die Zerfallsproblematik ist nicht nur in Deutschland,
sondern auch in Frankreich, England oder der Schweiz ein Forschungsthema, das
aber bisher noch in den Kinderschuhen steckt.
20 4/2015
Foto: Hwa Ja Goetz/MfN
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
4/2015 21
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Erhellendes im Dunkeln
... fördern Forscher am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg mit der UVFluoreszenzanalyse zu Tage. Mit ihrer Hilfe werden unterschiedliche Materialien auf
der Malschicht und den Überzügen von Gemälden sichtbar und entlarven Retuschen
und nachträgliche Übermalungen. In einem Forschungsprojekt zur Tafelmalerei,
das über den Leibniz-Wettbewerb gefördert wird, untersuchen Kunsthistoriker und
Kunsttechnologen die bedeutende Sammlung des Leibniz-Forschungsmuseums deutscher Tafelmalerei des 13. bis 15. Jahrhunderts. Dabei handelt es sich überwiegend
um Gemälde auf Holz, die in religiösem Kontext entstanden sind, wie etwa Altartafeln. Neben der UV-Fluoreszenzanalyse nutzen die Forscher weitere Methoden zur
Materialanalyse. Die Dendrochronologie gibt Aufschluss über Holzarten und -alter
der Tafeln und erleichtert so die Datierung und Zuschreibung der Kunstwerke. Mit
der digitalen Infrarotreflektografie lassen sich Vor- und Unterzeichnungen sichtbar
machen. So erkennen die Wissenschaftler, ob ein Künstler lange an einem Entwurf
feilte, oder ob alles schnell und aus einem Guss entstand. Dieses Verfahren ist auch
bei der Identifizierung potenzieller Fälschungen wichtig. Denn wenn jemand ein
bereits existierendes Motiv kopiert, braucht er nicht an einem Entwurf zu feilen.
22 4/2015
Foto: GNM
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Experimentierfeld
Gesundheit
Materialforschung spielt auch in der ­Medizin eine wichtige Rolle.
Dabei geht es nicht nur darum, neue Werkstoffe für medizinische
Anwendungen zu entwickeln, wie etwa chirur­gisches Nahtmaterial, das sich nach einer Weile von selbst im Körper auflöst; oder
Minisen­soren, die Erkrankungen im Gehirn schonender, genauer
und günstiger diagnostizieren. Gesundheitsbezogene Material­
forschung hilft auch, negative Einflüsse aufzuspüren und abzubauen, die etwa durch Ausdünstungen von Baumaterialien oder durch
­Medikamentenrückstände im Wasser ent­stehen. Vier B
­ eispiele aus
vier Leibniz-Instituten.
Ingenieur
Klaus-Dieter Menzel
begutachtet eine
Probe der
Bakterienkultur, die
Biokunststoff
bildet.
Der selbstzerstörerische Faden
24 Die Magenoperation hat Stunden gedauert, am Ende musste
der Chirurg die Wunde nähen.
Die Heilung wird sich noch über
Wochen hinziehen, doch über
das Ziehen der Fäden muss sich
der Patient keine Sorgen ma-
chen: Sie werden sich nach und
nach vollständig auflösen. „Die
Bruchstücke, die beim Abbau unseres chirurgischen Nahtmaterials entstehen, kommen auch im
menschlichen Körper vor, so dass
Abwehrreaktionen oder Entzün-
dungen im Bereich der Wundheilung ausbleiben“, erklärt Martin
Roth vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans Knöll-Institut
(HKI) in Jena. In Kooperation mit
einem US-amerikanischen Unter-
4/2015
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
nehmen hat Roths Team ein biotechnologisches Verfahren entwickelt, mit dem der Biokunststoff
Polyhydroxybutyrat gewonnen
wird. Dafür haben die Forscher
das Darmbakterium Escherichia
coli so umprogrammiert, dass es
die Substanz synthetisiert und in
den Zellen speichert. Die Wissenschaftler zapfen diesen Speicher
gewissermaßen an und stellen
anschließend aus dem Rohstoff
über viele verschiedene Schritte
den Biokunststoff her.
Neben dem vollständigen
Abbau sind es vor allem die hervorragenden physikalischen Eigenschaften des Biopolymers,
die immer mehr Chirurgen überzeugen: Es ist reißfest, lässt sich
gut verarbeiten und ist dabei
elastisch. „Wenn beispielsweise
ein Patient, der am Bauch ope-
riert worden ist, hustet, besteht
bei einem weniger elastischen
Nahtmaterial die Gefahr, dass die
Wundränder einreißen und Komplikationen auftreten“, erläutert
Martin Roth.
Längst wird der Biokunststoff
auch für andere medizinische
Zwecke eingesetzt. So lassen
sich einzelne Fäden in unterschiedlicher Stärke oder ganze
chirurgische Netze für Bruchoperationen herstellen. Auch Folien
für Wundab­deckungen oder die
plastische Chirurgie sind inzwischen im Einsatz. Für jede neue
Anwendung ist das Know-how
der HKI-Wissenschaftler gefragt,
denn sie müssen das Bioverfahren mit den Darmbakterien jeweils anpassen: „Mal muss das
Molekulargewicht des Rohstoffes
niedriger ausfallen, mal höher“,
erklärt Roth. Auch die Ausbeute
wird weiter optimiert. Künftig
wollen der amerikanische Kooperationspartner und Roths
Team den Fokus auf andere
Polyhydroxyalkanoate ausweiten: „Es ist eine große Familie
interessanter Biopolymere mit
unterschiedlichen Eigenschaften, die vielfältige Anwendungen ermöglichen. Denkbar sind
resorbierbare Stents oder implantierbare Freisetzungssysteme von Arzneistoffen“, sagt
Roth. Das Verfahren der Jenaer
Forscher spiegelt eindrucksvoll die oberste Maxime der
Leibniz-Gemeinschaft wider:
„Theoria cum praxi“ – Wissenschaft zum Wohl und Nutzen
des Menschen.
K AT J A L Ü E R S
Der besondere Dreh
Fotos: HKI/Kasper; IFW Dresden
Auch als
Wundverband
für Nervenfasern
lassen sich die
Mikroröhrchen aus
Dresden einsetzen.
4/2015 Hirnströme zu messen und
grafisch aufzuzeichnen, ist notwendig, um neurologische Erkrankungen wie Epilepsie zu
diagnostizieren. Hierfür werden
heute zum Beispiel Magnetoenzephalographie (MEG) oder
Elektroenzephalografie (EEG)
genutzt. Der Nachteil dieser Verfahren: Sie sind entweder teuer,
aufwändig oder nicht besonders
genau. Eine Entwicklung von
Forschern des Leibniz-Instituts
für Festkörper- und Werkstoff-
forschung (IFW) könnte die
Hirnstrommessung nun revolutionieren: ultradünne, biegsame Schichten, die sich selbst zu
Röhrchen aufrollen.
„Wir beschäftigen uns schon
lange mit diesen neuartigen
▶
25
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
Röhrchen“, sagt Oliver G.
Schmidt, Direktor des Instituts
für Integrative Nanowissenschaften am IFW Dresden. „Als
wir merkten, dass sich mit ihnen kleine Magnetfelder messen lassen, lag eine mögliche
Anwendung in der neurologischen Diagnose nahe.“
Für die neuartigen MiniMagnetsensoren werden flexible Polymer- mit verschiedenen
metallischen beziehungsweise
magnetischen Dünnschichten
intelligent miteinander verbunden. Es entstehen Röhrchen von
etwa einem Millimeter Länge
entstehen. In ihnen bildet sich
eine radiale Magnetisierung
aus, die eine besondere Eigenschaft aufweist, den so genannten GMI-Effekt („Giant Magneto
Impedance“). Er bewirkt, dass
sich der Wechselstromwiderstand eines ferromagnetischen
Leiters oder Schichtsystems wie
dem Sensor unter dem Einfluss
eines externen Magnetfelds
vergleichsweise stark ändert.
Gehirnströme erzeugen winzige Magnetfeldänderungen, die
mithilfe dieses Effekts gemessen werden können.
„Unsere Entwicklung hat
­gegenüber heutigen Messmethoden mehrere Vorteile: Aus
den Mini-Röhren lassen sich
kostengünstigere Messgeräte
entwickeln, denn sie müssen
nicht mit Helium gekühlt werden, wie herkömmliche MEGGeräte, und sie sind voll integrierbar: Alle Röhrchen sind
fertige Sensoren, die parallel
und in hoher Stückzahl in neuartige Messgeräte eingebaut
werden können, zum Beispiel
in ein mobil einsetzbares Gerät
oder in einen Großflächensensor, der über den gesamten Kopf
gestülpt werden kann“, sagt
­Oliver G. Schmidt.
Der größte Vorteil der neuen Sensoren liege jedoch darin,
dass sie die Möglichkeit einer
deutlich verbesserten Diagnose bieten, indem sie Ergebnisse
mit besonders hoher Ortsauflösung liefern: Sie sind klein,
lassen sich viel näher am Kopf
platzieren und empfangen deswegen deutlich stärkere und genauer zu lokalisierende Signale.
Und die am IFW entwickelten flexiblen Mikroröhren können noch mehr, wie zwei weitere aktuelle Arbeiten Schmidts
und seines Teams zeigen. Als
Wundverbände
unterstützen
die Röhrchen den Heilungsprozess defekter Nervenzellen, als
Mini-Antennen geben sie Auskunft über den Fortschritt der
Wundheilung, zum Beispiel in
einem Zahn. W I E B K E P E T E R S
Ausdünstungen
vieler Materialien
sind potentiell
gesundheitsschädlich.
26 Einladend sieht das PassivHolzhaus aus: In allen Räumen
liegt Holzfußboden, urige Balken sorgen für rustikale Gemütlichkeit, und auch die Inneneinrichtung ist aus Massivholz.
Was nach gesundem Wohnen
klingt, nehmen Dortmunder
Wissenschaftler vom LeibnizInstitut für Arbeitsforschung
nun in einem Verbundprojekt
genauer unter die Lupe, oder
besser gesagt: unter die Nase.
Denn energetisch optimierte
Gebäude können Probleme verursachen, die bislang noch nicht
wissenschaftlich berücksichtigt
wurden. Holz, so beliebt es auch
als nachwachsender Roh- und
Baustoff ist, dünstet über einen
langen Zeitraum Terpene und
Aldehyde aus. „Das sind flüchtige Chemikalien, die toxische
Effekte auslösen können, zum
Fotos: Fotolia/Piotr Marcinski; Fotolia/arsdigital
Der latente Gestank
4/2015
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
Natur mit Nebenwirkungen. Auch Holz kann gesundheitsschädliche
Ausdünstungen abgeben.
Beispiel häufiges Niesen oder
Augenjucken“, erklärt Christoph
van Thriel, der die Forschungsgruppe „Neurotoxikologie und
Chemosensorik“ leitet. Wer
regelmäßig lüftet, muss sich
kaum Sorgen machen, denn die
flüchtigen Substanzen dünsten
sofort aus. Doch in Niedrigener-
gie-Holzhäusern mit geringer
Lüftung kann es zu einer Anhäufung von Emissionen kommen. „In unserem Projekt, das
voraussichtlich 2016 startet, interessieren uns vor allem diese
erhöhten Holzemissionen“, so
van Thriel. Schließlich verbringen die Bewohner viel Zeit in
den Räumen, kochen, essen und
schlafen dort. Studien zu einer
Gesamtbelastung existieren aktuell noch nicht.
Anders sieht es bei ­Gerüchen
am Arbeitsplatz aus. Sie sind
Gegenstand vieler Studien, an
denen auch van Thriels Forschungsgruppe beteiligt ist.
Gerüche werden von flüchtigen
Chemikalien verursacht, die
wir mit der Luft einatmen. Ammoniak in der Landwirtschaft
kann reizend wirken, oder Lösungsmittel wie Ethylacetat,
das sehr häufig in Klebstoffen
enthalten ist. Der Gesetzgeber
bemüht sich daher, Grenzwerte
für chemische Arbeitsstoffe zu
finden, die Belästigungen durch
intensive oder ekelerregende
Gerüche berücksichtigen. Doch
wo genau lässt sich die Grenze
ziehen? In den Riechkammern
des Instituts wird die sensorische und toxische Wirkung
von Arbeitsstoffen realitätsnah
an Versuchspersonen getestet.
Gruppenleiter Christoph van
Thriel: „Unsere Studien dokumentieren, dass bei bestimmten
festgelegten Konzentrationen,
die wir im Labor experimentell
erzeugen, solche Effekte nicht
auftreten. Dass die Menschen
den Stoff zwar riechen, aber sich
nicht unangemessen belästigt
fühlen.“
K AT J A L Ü E R S
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Literatur einfach finden?
4/2015 27
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
Die tägliche Dosis
28 Am Neujahrsmorgen nehmen
wir ein Mittel gegen den Silvester-Kopfschmerz, der Hausarzt
verschreibt auf Verdacht ein
Antibiotikum, die abgelaufenen
Tabletten aus der Hausapotheke
landen in der Toilettenschüssel,
und um die Familienplanung zu
kontrollieren, schlucken Frauen
Hormone. Jedes Jahr werden in
Deutschland etwa 8.100 Tonnen
Arzneimittel verwendet, die potenzielle Auswirkungen auf die
Umwelt haben. Dabei handelt es
sich um circa 1.500 unterschiedliche Wirkstoffe. Hinzu kommen
Präparate, die in der Tierhaltung eingesetzt werden. Allein
an antibiotischen Wirkstoffen
sind das pro Jahr mehr als 1.700
Tonnen.
Medikamente helfen uns gegen Krankheiten, aber sie werden zunehmend selbst zum Problem, weil sie unkontrolliert in
die Umwelt gelangen. So finden
Wissenschaftler eine wachsende Menge von Arzneimittelrück-
ständen in unserem Wasser.
Alles, was wir Menschen zu uns
nehmen und Tieren verabreichen, wandert durch den Körper, landet früher oder später im
Urin und damit im Wasserkreislauf. Denn der Körper kann viele
Medikamente nicht vollständig
verwerten. Bei Antibiotika werden 70 Prozent der Wirkstoffe
wieder ausgeschieden.
Die Pille wirkt — leider
auch bei Fröschen
Bei einigen Medikamenten sind
es sogar noch mehr und das aus
einem sehr plausiblen Grund:
„Tabletten müssen auf der Reise
durch den Magen-Darm-Trakt
Säure und Enzyme überstehen,
bis sie an dem Ort ankommen,
an dem sie ihre Wirkung entfalten können“, erklärt Agnes
Schulze vom Leibniz-Institut für
Oberflächenmodifizierung
in
Leipzig (IOM). „Darum werden
sie so stabil hergestellt, dass
sie leider auch nahezu unverändert wieder ausgeschieden und
durch übliche Abbaumechanismen in Kläranlagen nicht zerstört werden.“
Die gängigen Kläranlagen
sind bei diesen Spurenstoffen
machtlos. Diese sind zu robust
und zu klein. Wissenschaftliche Belege für dieses Problem
gibt es bereits zahlreich. Frauke
Hoffmann vom Leibniz-Institut
für Gewässerökologie und Binnenfischerei hat zum Beispiel
zeigen können, dass der Hauptwirkstoff der Anti-Babypille das
Sexualverhalten von Fröschen
beeinflusst. Die Männchen verändern ihre Balzlaute so stark,
dass die Weibchen die Paarung
verweigern. Das liefert eine
Erklärung für das weltweite
Schrumpfen von Amphibienpopulationen.
Und beim Menschen? Das
weiß keiner so genau. Bisher
geht die Forschung davon aus,
Fotos: Fotolia/Heiko Küverling und Fotolia/Andrzej Tokarski, M: Unicom; Wikimedia Commons/Ben Rschr (CC BY-SA 3.0)
Unsichtbarer Medikamenten-Cocktail: Ausgeschiedene Wirkstoffe landen zunehmend in der Natur,
da Kläranlagen sie bislang kaum aus dem Abwasser filtern können.
bub
4/2015
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
dass die Konzentration an Wirkstoffen im Wasser zu gering ist.
Um unserem Körper zu schaden, müssten wir in kurzer Zeit
mehrere Tausend Liter Wasser
trinken. Dennoch kann niemand
vorhersagen, welche Wechselwirkungen einzelner Stoffe im
Wasser entstehen können oder
was die Langzeitwirkung der
Belastung ist.
Es gibt Ansätze, das Problem
von unterschiedlichen Seiten
zu bekämpfen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft will verhindern, dass
unnötig viele Arzneimittel über
das Abwassersystem in den
Wasserkreislauf gelangen. Mit
dem Motto „No Klo“ machen sie
darauf aufmerksam, dass Medikamente auf keinen Fall in der
Toilette oder dem Ausguss entsorgt werden sollen. Sie gehören
in den Restmüll, in die Schadstoffsammelstelle oder zurück in die Apotheke. Der Bundesverband setzt sich daher
für die Wiedereinführung eines verpflichtenden Rücknahmesystems in Apotheken ein
– wie es bis 2009 in Deutschland
existiert hat.
Doch die meisten Spurenstoffe im Wasser haben den Weg
durch den Körper genommen.
Was passiert also, wenn die Arzneistoffe erst im Abwasser sind?
Die Arbeitsgruppe um Agnes
Schulze hat zwei Materialien
kombiniert, um das Problem in
den Kläranlagen zu lösen: nanostrukturiertes
Titandioxid
(TiO2) auf einer Membran. Während das Wasser durch die
Membran fließt, filtern deren
feine Poren Verschmutzungen,
aber auch Viren und Bakterien
heraus. Das eigentliche Problem
sind die Spurenelemente der
Arzneimittel, weil sie zu klein
sind, um physikalisch mit Mikro- oder Ultrafiltrationsmembranen gefiltert zu werden.
Hier kommt das Titandioxid
ins Spiel. Bestrahlt man kristallines Titandioxid mit UV-Licht,
wird es photokatalytisch aktiv.
Das heißt, es bildet Radikale und
baut alles ab, was organisch ist.
„Das bedeutet auch, man muss
gar nicht wissen, welche Stoffe
das Wasser belasten“, erklärt
Schulze. So werden sowohl Hormonpräparate als auch Krebsmedikamente oder Schmerzmittel zersetzt, ohne dass man
zunächst analysieren müsste,
mit welchen Stoffen oder mit
welchen Konzentrationen man
es zu tun hat.“ Und das ohne
weiteres Gift: TiO2-Nanopartikel
sollten zwar nicht einfach in die
Umwelt gelangen, da sie dort
negative Effekte haben können.
Aber das am IOM hergestellte
System ist so konzipiert, dass
die Nanostrukturen fest an der
Membran gebunden sind und
somit ihrerseits in die Umwelt
freigesetzt werden. Als Weißpigment wird Titandioxid auch
in Kosmetika wie Sonnenmilch
oder in Kaugummi eingesetzt.
Die Leipziger Wissenschaftler arbeiten bereits mit Unternehmen zusammen, die Interesse an der Technologie haben.
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29
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
Sparsamer speichern
Maschinen sollen künftig miteinander kommunizieren und
­
­Daten aus der Umwelt erfassen. Dazu wird kleine und vor allem
­energiesparende Mikroelektronik benötigt. Solche Komponenten
entwickeln ­
­
Forscher am Leibniz-Institut für innovative Mikro­
elektronik in Frankfurt (Oder).
30 4/2015
LEIBNIZ | ERNÄHRUNG
Foto: IHP
Mit einer Molekularstrahl-EpitaxieAnlage dampft Gang Niu Werkstoffe
sehr präzise in feinen Schichten auf
eine Oberfläche auf.
4/2015 Unsere Welt vernetzt sich immer mehr. Unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ sollen Maschinen schon in naher Zukunft
miteinander, mit dem Internet
oder mit einer Leitzentrale aktuelle Produktionsdaten austauschen. Wälder können dann
selbstständig einen Notruf aussenden, sobald ein Waldbrand
ausbricht. Und Ackerböden
würden dem Landwirt über
Funk mitteilen, wenn es an Dünger oder Wasser mangelt.
Voraussetzung für eine solche umfassende Vernetzung
sind kleine autonom arbeitende
Sensoren, sogenannte drahtlose
Sensorknoten, die ihre Umwelt
vermessen und Daten über eine
Funkverbindung an eine Zentra­
le schicken. Viele Einsatzgebiete sind denkbar, doch wird diese
Zukunftsvision erst dann Realität, wenn es gelingt, die heutigen Sensorknoten kleiner und
vor allem energiesparender
zu betreiben. Wissenschaftler
vom IHP – Leibniz-Institut für
innovative Mikroelektronik in
Frankfurt (Oder) entwickeln zu
diesem Zweck besonders effiziente mikro- und nanoelektronische Bauteile. „Nur auf Basis
solcher Technologien können
wir künftig ausreichend effiziente Sensorknoten herstellen“,
sagt Thomas Schröder, Leiter
der Abteilung Materialforschung. „Welcher Landwirt hätte schon die Zeit, bei Dutzenden
von Sensoren, die im Acker ver-
streut sind, die Batterien auszuwechseln.“
Stromfresser
Datenspeicherung
Zum hohen Energieverbrauch
mikroelektronischer Komponenten trägt vor allem die Datenspeicherung bei. So wird relativ
viel Strom benötigt, um Informationen in das Speichermedium zu schreiben, abzurufen
oder wieder zu löschen. Jeder,
der heute eine Digitalkamera
benutzt, kennt solche Speicher;
SD-Karten etwa, in denen ein
sogenannter Flash-Speicher zum
Einsatz kommt. Darauf lassen
sich nahezu unbegrenzt große
31
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
Mindesthaltbarkeit
zehn Jahre
Forscher im
Reinraum des IHP.
32 „Wie gut ein solcher RRAM arbeitet, hängt ganz besonders von den
chemischen und physikalischen
Eigenschaften des Speichermaterials ab“, sagt der IHP-Material-
wissenschaftler Gang Niu. Wie
viele andere Forscher weltweit
setzt er seit fünf Jahren als RRAMSpeichermaterial vor allem Hafniumoxid ein, eine Verbindung
aus dem Metall Hafnium und
Sauerstoff. Diese ändert leicht
ihren elektrischen Widerstand.
„Doch hängt es sehr von der Zusammensetzung des Materials
ab, wie gut der Speicher funktioniert.“
Niu verfolgt zusammen mit
seinen Kollegen mehrere Ziele.
Erstens soll der Speicher energiesparend arbeiten. Zweitens soll
das Material viele Schaltzyklen
ertragen können, also möglichst
oft zwischen leitend und nichtleitend wechseln können, ohne
dass das Hafniumoxid ermüdet
und der Speicher versagt. „Zehn
Jahre muss ein solcher Speicher
mindestens halten“, sagt Niu.
Und drittens soll die Information
in dem nur wenige Mikrometer
kleinen Bauteil sehr dicht gespeichert werden können, damit darauf viele Daten Platz finden.
Niu greift bei seiner Forschung auf imposante Technik
zurück. Um etwa die optimale
Hafniumoxid-Mischung zu finden, hat er in Kooperation mit
Forschern der Technischen Universität Darmstadt eine sogenannte Molekularstrahl-Epitaxie-Anlage (kurz MBE-Anlage)
genutzt. Ein Werkstoff wird in
einer Vakuumkammer der MBEAnlage sehr präzise in feinen
Schichten auf eine Oberfläche
aufgedampft. „Für gewöhnlich
dampft man gleich ganze Hafniumoxid-Moleküle auf“, sagt
Niu. „Wir hingegen haben Hafnium und Sauerstoff separat
in die Kammer gegeben. Damit
konnten wir das Wachstum der
Hafniumoxid-Schicht sehr viel
besser steuern.“ So weiß Gang
Niu, dass Hafniumoxid-Schichten
dann besonders leistungsfähig
sind, wenn in ihnen ein gewisser Mangel an Sauerstoffatomen
herrscht. Mit der Darmstädter
Anlage ließen sich die Hafniumund Sauerstoffatome entsprechend dosieren.
Atomgenau
durchleuchtet
Lange hatten Wissenschaftler die
chemisch-physikalischen
Vorgänge in Hafniumoxid-Schichten
nicht wirklich verstanden. „Uns
war klar, dass wir nur dann
eine perfekte Schicht erschaffen
können, wenn wir ins Material
hineinschauen“, sagt Niu. „Wir
wollten herausfinden, wie die
Struktur aussieht, wenn das Material leitet und wenn es nicht
leitet.“
Um das Rätsel zu lösen, hat
Gang Niu seine Materialproben
in den modernsten Synchrotronstrahlungsanlagen Europas, bei
PETRA III am Deutschen Elektronen Synchrotron (DESY) in
Hamburg sowie in der European
Synchrotron Radiation Facility
(ESRF) in Grenoble untersucht.
In Synchrotronanlagen werden
Teilchen so stark beschleunigt,
dass sie stark fokussierte Röntgenstrahlung, die Synchrotronstrahlung, abgeben. Diese eignet
sich, um Materialien atomgenau
zu durchleuchten – zum Beispiel
Hafniumoxid. Die Informationen,
die Niu in der ESRF gewinnen
konnte, waren Gold wert: „Denn
erst dadurch konnten wir den Zustand der Hafniumatome genau
untersuchen und die Produktion
der Schichten anpassen.“
Damit in der RRAM-Speicherschicht nebeneinander viele
Einsen und Nullen gespeichert
Fotos: IHP (3)
Mengen von Bild- oder Tondateien aufbewahren. Für Smartphones oder Digitalkameras, die
man regelmäßig aufladen kann,
sind sie ideal. Doch für die künftigen autonomen Mikrosensoren
wäre der Energieverbrauch der
Flash-Speicher zu hoch. Am IHP
wird eine neue Technologie entwickelt, die seit etwa fünf Jahren
weltweit als vielversprechende
Speicheralternative
diskutiert
wird – die RRAM-Technologie
(Resistive Random Access Memory), an der heute auch viele
Elektronikkonzerne arbeiten.
Der Begriff RAM ist bereits
seit vielen Jahren aus der Computersprache bekannt. So wird
der Speicher eines PCs als RAM
bezeichnet, in dem Informationen in Form von Nullen und Einsen gespeichert sind. Die RRAMTechnologie speichert die Nullen
und Einsen jedoch auf eine besondere Weise: Durch einen kurzen elektrischen Spannungspuls
wird das Speichermaterial auf
kleinem Raum so verändert, dass
sich an dieser Stelle der elektrische Widerstand des Materials
verändert. Eine Eins liegt vor,
wenn das Material an diesem
Punkt nicht mehr leitet, eine Null,
wenn das Material leitet.
4/2015
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
werden können, dürfen die benachbarten leitenden und nicht
leitenden Bereiche nur wenige
Nanometer (Milliardstel Meter) groß sein. Das Material
muss entsprechend präzise mit
Spannungspulsen versorgt werden, damit sich der Widerstand
punktgenau ändert. Auch das ist
Gang Niu und seinen Kollegen
gelungen. So haben die Forscher
eine nur drei Nanometer breite
Siliziumspitze mit Metallkappe
gefertigt, die die Spannungspulse
exakt aufträgt.
Alles unter
einem Dach
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Die Materialwissenschaftler um
Thomas Schröder und Gang
Niu arbeiten im IHP Tür an Tür
mit den Kollegen der Abteilung „Technologie“. „Uns steht
ein 1.000 Quadratmeter großer
Reinraum zur Verfügung, in dem
wir die neu entwickelten Materialien unter professionellen Reinraumbedingungen testen und
validieren können“, sagt Thomas
Schröder. „Damit haben wir ganz
andere Möglichkeiten einer statistischen Bewertung von Speichermodulen als zum Beispiel
viele Materialwissenschaftler an
den Universitäten.“ Schließlich
entwickeln die Kollegen in der
Abteilung „Technologie“ neben
der Fertigung im Reinraum auch
die Module, und die Abteilung
„System Design“ arbeitet an spezifischen Fehleralgorithmen, um
RRAM-Speichermodule resistent
gegen Fehler in der Hardware
beziehungsweise gegen externe
Störung zu machen. Schröder:
„Damit vereinen wir unter einem
Dach die ganze Innovationskette
von der grundlegenden Materialwissenschaft über Technologie und Schaltkreise bis hin zu
Modulen, um das Gesamtsystem
besser zu verstehen und den Bau
von Prototypen zu ermöglichen.“
Inwieweit die RRAM-Technologie den Flash-Speicher ablösen
wird, kann derzeit niemand sagen. „Wo immer aber langlebige
und sparsame Mikrospeicher
gefragt sind, könnten sich RRAMs
künftig als Alternative durchsetzen“, sagt Schröder. „Ich könnte
mir vorstellen, dass sie sogar als
robuster Speicher für Weltraum­
anwendungen in Frage kommen.“
TransmissionsElektronenAufnahme einer
RRAM-Speicherzelle.
TIM SCHRÖDER
RePEc-Score 498.
läuft.
Forschung. Einfach. Teilen. ZBW
4/2015 Ökonomen, die ihre Forschungsergebnisse teilen, werden mehrheitlich
häufiger zitiert. Die ZBW bietet alle Services rund um das Publizieren
im Open Access sowie beim Forschungsdatenmanagement in den Wirtschaftswissenschaften. www.forschung-einfach-teilen-zbw.eu
33
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
Selbstheilung
auf der Felge
Dresdner Forscher haben einen besonderen Gummi entwickelt. In
einigen Jahren könnten sich Autoreifen damit selbst reparieren.
Der Anblick ist faszinierend:
Amit Das schnappt sich eine
Schere und schneidet – schnippschnapp – einen Gummistreifen
durch. Wie ein Zauberer auf
der Bühne zeigt der aus Indien
stammende Chemiker in seinem
34 Labor demonstrativ die zerteilten Enden und legt sie dann
wieder zueinander. Wie Magie
wirkt dann auch sein zweites
Experiment Stunden später: Der
Streifen ist wieder zusammengewachsen, ohne Leim oder an-
dere Hilfsmittel, ganz von selbst.
Und so sehr er auch die Schraubstöcke von beiden Seiten ziehen
lässt: Das verheilte Stückchen
Gummi dehnt und dehnt sich –
als ob es niemals zerschnitten
worden sei.
4/2015
L E I B N I Z | M AT E R I A L F O R S C H U N G
Diese Selbstheilungseffekte hat
der 44-jährige Forscher zusammen mit Chemikern aus dem
Institut für Makromolekulare Chemie am Leibniz-Institut
für Polymerforschung Dresden
(IPF) ausgetüftelt und dem
Gummi durch besondere Zusätze eingeimpft. Sie bilden an
den Polymerketten im Gummi
besondere Vernetzungsstellen,
die man sich wie Minikugeln
vorstellen kann.
Amit Das und sein Chef, Gert
Heinrich, Leiter des Instituts für
Polymerwerkstoffe am IPF, nennen diese Verbindungsstellen
„Ionische Assoziate“. Ihre Bindungskraft beruht auf elektromagnetischer Wechselwirkung,
also auf physikalischen und nicht
auf klassischen chemischen Bindungen. Wird der Gummi an
irgendeiner Stelle beschädigt,
zum Beispiel durch einen Nagel
oder durch eine Klinge, sorgt die
natürliche Eigenbewegung der
losen Molekülenden dafür, dass
sie zueinander finden und sich
erneut durch solche „ionischen
Assoziate“ verknüpfen. Je wärmer es dabei ist, umso schneller
funktioniert die Selbstheilung.
Und das Beste daran: „Wir haben das mit industrienahem
Equipment ausprobiert, und
wir denken, dass die Methode
auf eine industrielle Massenproduktion übertragbar sein wird“,
sagt Gert Heinrich.
Fotos: Fotolia/toa555; Heiko Weckbrodt
Nach 24 Stunden
so gut wie neu
4/2015
Auch die Laborerprobungen
stimmen die Dresdner Wissenschaftler zuversichtlich: „In
unseren Tests haben wir nachweisen können, dass die beschädigten Stellen nach 24 Stunden
wieder verheilt sind und das
Material wieder so stabil wie
vorher ist“, berichtet Gert Heinrich, der an der Technischen
Universität Dresden eine Professur für Polymerwerkstoffe
und Elastomertechnik inne hat.
Zwar gebe es bereits heute Polymerwerkstoffe, die sich selbst
heilen, räumt er ein. Doch die
basieren meistens auf nichtautonomen Heilmethoden. Die
Forschen, damit es
rund läuft: Amit
Das (li.) und Gert
Heinrich.
Hersteller mischen beispielsweise kleine Kanülen oder Kügelchen aus klebendem Harz
bei, die sich bei einem Schaden
öffnen und den Werkstoff kitten.
Das Dresdner Verfahren dagegen ist autonom, was heißt: Das
Material selbst repariert sich
automatisch.
Überzeugungsarbeit
bei der Industrie
Getestet haben die Forscher
ihren Selbstheileffekt zwar
vorerst nur für die speziellen
Gummisorten, aus denen die
sogenannte „Innenseele“ eines Fahrzeugsreifens besteht.
Diese innere Schicht sorgt in
der Praxis dafür, dass aus den
schlauchlosen Reifen keine Luft
entweichen kann. Amit Das und
Gert Heinrich sind aber zuversichtlich, dass die autonome
Reparatur auch an den anderen
Reifenschichten funktionieren
wird – diesem Ansatz werden
sich ihre nächsten Experimente
widmen. Und: „Wir werden jetzt
natürlich auch die Industrie von
unserem Verfahren überzeugen
müssen“, sagt Heinrich. Bereits
jetzt habe einer der international führenden Reifenhersteller
Interesse an der Selbstheilmethode aus Sachsen signalisiert.
Fände sich rasch ein potenter Industriepartner, könnte man in fünf bis zehn Jahren
mit den ersten selbstheilenden
Reifen aus einer Serienproduktion rechnen, schätzen Das und
Heinrich. Vor allem in der LkwSparte erwarten sie sich große
Resonanz. Denn Spediteure und
andere Transport-Unternehmer
rechnen mit spitzer Feder, erwarten von jedem Reifen, den
sie auf einen ihrer Laster aufziehen lassen, dass er möglichst
auf eine Million Kilometer Laufleistung kommt. Wenn sich solche Reifen von den vielen Mikrorissen des Alltagsbetriebes
automatisch über Nacht selbst
heilen können und nicht mehr
so oft runderneuert werden
müssen, dann amortisiert sich
für den Spediteur der Aufpreis
eines Selbstheil-Reifens recht
rasch.
Weniger
Altreifen-Halden
„Das alles hat auch eine ökologische Dimension“, betont Gert
Heinrich. „Wenn ein Reifen länger hält und fährt, dann wachsen auch die Altreifenhalden
nicht mehr so schnell.“ Auch an
ganz andere Einsatzfelder neben der Reifenindustrie denken
die Dresdner Polymerforscher
bereits: An selbstheilende Förderbänder in Industrie und
Tagebau zum Beispiel, an Gummidichtungen, die sich über
Jahrzehnte hinweg immer wieder selbstständig reparieren
– bis hin zum Erdbebenschutz
auf Gummi gelagerter Wolkenkratzer in Asien. Das einzige,
was den Wissenschaftler bei all
diesen sprühenden Ideen fehlt,
ist noch mehr Platz, um sie auszuprobieren: „Mit unseren Projekten ist hier schon fast jeder
Quadratmeter ausgelastet“, sinniert Professor Heinrich. „Wir
brauchen definitiv mehr Technikumsflächen.“
HEIKO WECKBRODT
35
LEIBNIZ | SPEKTRUM
Braune Demokraten?
Historiker erforschen die NS-Vergangenheit der Mitarbeiter in
den Innenministerien in Ost und West nach dem Krieg — und die
Folgen für die Politik.
Sachbearbeiter­
zimmer im
­Ministerium des
­Innern der DDR
(1950).
36 Im Oktober 2010 entfachte die
Studie „Das Amt“ hitzige Debatten. Das Buch einer unabhängigen Historikerkommission über
die Geschichte des Auswärtigen
Amtes in der NS-Zeit und der
Bundesrepublik wurde kontrovers diskutiert hinsichtlich der
Qualität der Forschung und ihrer
Deutung. Manche sahen es nun
als erwiesen an, dass das Außenministerium seine selbstgestrickte Legende vom Hort des Widerstands aufgeben müsse. Kritiker
sprachen von einem skandalösen
und tendenziösen Buch, das das
Ministerium pauschal diffamiere. Trotz oder vielleicht gerade
wegen dieser Kontroverse ließen
nun auch andere Bundesminis-
terien und -behörden ihre Geschichte vor und nach 1945 untersuchen – und öffneten dafür
auch bislang nicht zugängliche
Archivquellen. Die beiden zeitgeschichtlichen Leibniz-Institute,
das Zentrum für Zeithistorische
Forschung (ZZF) in Potsdam und
das Institut für Zeitgeschichte
(IfZ) München-Berlin, widmeten
sich dabei dem besonders wichtigen Innenministerium.
Historisches
Neuland
Mit dem Projekt betraten die
Forscher Neuland. Denn zum
ersten Mal betrachteten sie um-
fassend die doppelte deutsche
Nachkriegsgeschichte,
indem
sie nicht nur die Kontinuitäten
im Bonner Bundesinnenministerium (BMI), sondern auch im
Ministerium des Inneren der
DDR (MdI) untersuchten. Zudem
möchten die Historiker mehr als
nur die Zahl der Ministeriumsmitarbeiter ermitteln, die Mitglieder von NS-Organisationen
waren. „Viel interessanter und
letztlich zentral ist die Frage
danach, welche Konsequenzen
solche formalen NS-Belastungen
auf die Sachpolitik der Ministerien hatten“, erläutert ZZF-Direktor Frank Bösch, neben Andreas
Wirsching vom IfZ einer der beiden Projektleiter.
4/2015
LEIBNIZ | SPEKTRUM
Da sich solche weitergehenden
Fragestellungen nicht ohne harte
Fakten beantworten lassen, starteten ZZF und IfZ ihre Untersuchung mit einer entsprechenden
Analyse. Dazu schauten sie sich
die Biografien von mehr als 1.100
leitenden Mitarbeitern der beiden Innenministerien vom Referatsleiter aufwärts an. Hierbei
zeigte sich, dass der Anteil der
ehemaligen NSDAP-Mitglieder
erstaunlich hoch war: 1950 lag
er im Bundesinnenministerium
bei 50 Prozent, stieg dann sogar
Ende der 1950er, Anfang der
1960er Jahre auf 66 Prozent an,
bevor er bis 1970 wieder auf das
Ausgangsniveau sank. Auch bei
den ehemaligen SA-Mitgliedern
zeigt sich ein ähnliches Bild: 17
Prozent im Jahr 1950, dann 45
Prozent 1961 und immer noch
25 Prozent im Jahr 1970. Das
BMI nimmt damit einen Spitzenplatz unter den bisher untersuchten Bundesministerien ein. Aber
auch im Ost-Berliner Innenministerium waren die personellen
Kontinuitäten größer als bisher
vermutet: 14 Prozent der leitenden MdI-Mitarbeiter hatten eine
NSDAP-Vergangenheit. „Dennoch
war der Bruch mit der NS-Vergangenheit in Ost-Berlin deutlich
größer als im BMI“, resümiert die
Projektmitarbeiterin Franziska
Kuschel. „Das MdI rekrutierte
zwar Mitläufer und Belastete, in
der Regel jedoch nicht aus der
Elite des ,Dritten Reiches‘, sondern aus der Arbeiter- und unteren Mittelschicht oder jüngere
Menschen. Eine Sachkontinuität
von Staatsapparat zu Staatsapparat konnte es deshalb kaum
geben.“
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-S95772
Viele NS-Mitglieder in
Ost und West
4/2015 Neben dieser statistischen Auswertung untersucht das Projekt
vertieft ausgewählte Lebensläufe. Sie zeigen mitunter ein
frühes Engagement für den Nationalsozialismus. So trat Erwin
Gehrhardt bereits 1924 im Alter von 16 Jahren in die NSDAP
und die SA ein. Er gründete die
NSDAP-Ortsgruppe Münden mit
und brachte es in ihrer paramilitärischen Kampforganisation bis
zum Scharführer (Unteroffizier).
Sein Engagement im Bund Nati-
onalsozialistischer Deutscher Juristen, die Mitarbeit beim Göttinger „Kampfblatt“ der NSDAP und
Auftritte als Redner bei Parteiveranstaltungen, lassen auf einen
überzeugten Nationalsozialisten
schließen. 1955 trat dieser Erwin
Gerhardt in das Bundesinnenministerium ein, wo er 1959 zum
Leiter der Pressestelle befördert
wurde und damit das Ministerium repräsentierte, das für die
innere Sicherheit der Bundesrepublik zuständig war.
Bruch oder
Kontinuität?
Ob es aber Kontinuitäten auf der
Ebene der Mentalität bis hin zur
Verwaltungspraxis im weiteren
Sinne gab, ist eine der Fragen,
die das Projekt jetzt nach dem
Abschluss der Vorstudie in der
Hauptuntersuchung ergründen
will. Es scheint tatsächlich langfristige Denktraditionen gegeben
zu haben, die sogar den Nationalsozialsozialismus gewissermaßen überbrückten und teilweise
bis ins Deutsche Kaiserreich zurückreichten. „Erste Ergebnisse
legen dies nahe, aber aufgrund
der Fokussierung auf den Nationalsozialismus sind solche Kontinuitäten bislang kaum in den
Blick geraten“, sagt Frank Bösch.
So deutet sich etwa an, dass viele
Beamte des BMI ein in der Kaiserzeit wurzelndes traditionelles
Selbstverständnis des unpolitischen und obrigkeitsstaatlich
orientierten Verwaltungsexperten tradierten. Dieses Selbstverständnis führte aber Bösch
zufolge schon in der Weimarer
Republik zu einer zunehmenden
Distanz zur parlamentarischen
Demokratie und in der Folge zu
einer Affinität vieler Beamter
zum NS-Regime.
Warum aber, fragt man sich,
konnte sich die Bundesrepublik
trotz der hohen personellen Kontinuität zu einer stabilen Demokratie entwickeln? Auch hierauf
erhoffen sich die Historiker eine
Antwort. Frank Bösch vermutet,
dass sich viele der ursprünglich
NS-treuen Beamten mit der Zeit
mit der freiheitlichen Verfassungsordnung arrangierten, weil
der Wirtschaftsaufschwung die
Akzeptanz förderte und sich die
neue Ordnung unter der Aufsicht
der Westmächte rasch als stabil
erwies.
Die ehemaligen NS-Beamten
akzeptieren wohl aber auch deshalb Demokratie und Rechtsstaat, weil sie die Republik in der
Ministerialbürokratie in ihrem
Sinne mitgestalten konnten –
und ihr dabei einen konservativen Anstrich gaben. Oder anders
ausgedrückt: Die Demokratie
wurde stabil, weil diese Beamten integriert wurden. Aber die
Stabilität, die dadurch gewährleistet wurde, basierte zunächst
auf einer Grundhaltung, die in
der Demokratie nur eine formale
Staatsform und nicht eine „Lebensform“ sah.
Bock zum Gärtner
gemacht
Die vergleichsweise hohe Zahl
von ehemaligen NS-Beamten in
beiden Innenministerien ist vor
allem deshalb bemerkenswert,
da es die Ministerien waren, die
den Staatsaufbau organisieren,
ihn gegen innere Feinde schützen und nach außen vertreten
sollten. Besonders im Fall der
Bundesrepublik, wo noch heikle
Fragen wie die der Wiedergutmachung oder des Umgangs mit
Migranten hinzukamen, wirkt es
bisweilen schon so, als sei hier
der Bock zum Gärtner gemacht
worden, räumt Frank Bösch ein.
Einzelne besonders sensible Referate wurden daher gezielt mit
verfolgten Beamten besetzt.
Die Auswirkungen der personellen NS-Kontinuitäten auf die
Sachpolitik werden die Historiker
aus München, Berlin und Potsdam in den nächsten zweieinhalb
Jahren untersuchen. „Eine einfache Frage, die methodisch alles
andere als leicht zu beantworten
ist“, sagt Frank Bösch nicht ohne
Vorfreunde. Denn in einigen
hundert Metern an Sachakten
von BMI und MdI steckt sicher
noch so manche Überraschung.
Und auch dann gibt es noch Forschungsbedarf: „Selbst, wenn es
nicht unbedingt darum geht, alle
Behörden für sich einzeln aufzuarbeiten, sind doch wichtige Einrichtungen noch nicht untersucht
worden: der Bundesgerichtshof,
der Bundestag oder das Bundeskanzleramt.“
CHRISTOPH HERBORT-VON LOEPER
37
LEIBNIZ | SPEKTRUM
Museum
neu denken
Warum Ausstellungen Orte des Experimentes sind und ­Exponate
Besucher emotional berühren sollten. Ein Interview mit
Johannes Vogel, dem Generaldirektor des Berliner Museums für
sitätsforschung.
38 Fotos: Carola Radke/MfN (2)
Naturkunde, dem Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiver­
4/2015
LEIBNIZ | SPEKTRUM
Leibniz: Wann waren Sie zum
ersten Mal in Ihrem Leben in
einem Forschungsmuseum?
Johannes Vogel: Mit zwölf Jahren.
Das war im Naturwissenschaftlichen Ver­ein Bielefeld.
Mir ging es von Beginn an darum,
dass sie das, was sie bisher getan
haben, auch mal anders denken.
Oder wie Gershwin sagt: „It ain‘t
necessarily so“. Veränderung
ist die Norm und nicht die Ausnahme. Man darf nicht zu große
Herausforderungen setzen, aber
man darf auch nicht nachlassen,
Herausforderungen zu setzen.
Darauf müssen sich gerade Forschungsmuseen einstellen. Das
ist schwierig, da der Begriff Museum vom Gegenteil ausgeht.
Museen gelten als Häuser der
Vergangenheit, für mich sind sie
jedoch Häuser der Zukunft.
Was hat Sie fasziniert?
Die Menschen, die dort gearbeitet haben. Ich habe mich gefragt,
was treibt die an? Warum beschäftigen die sich mit all diesen
komischen Dingen, also getrockneten Pflanzen und toten Tieren.
Ich bin aus dem Staunen gar
nicht mehr herausgekommen.
Welche Museen besuchen Sie
heute noch regelmäßig?
Hauptsächlich Naturkundemuseen, wobei die mit Abstand
allerbesten Ausstellungen in
Berlin stehen. Das liegt an Uwe
Moldrzyk, unserem Ausstellungsmacher. Ich halte ihn für
ein Genie. Mir gefallen auch
richtig klassische Ausstellungen
wie in Wien oder sehr moderne
Entwicklungen wie etwa in San
Francisco. Dort wurde das Gebäude abgerissen und wieder
neu errichtet. Dabei hat man
sich genau überlegt: Wie baue
ich so, dass ich nicht mit jeder
neuen Ausstellung das Gebäude komplett umstrukturieren
muss. Ausstellungen muss man
vom Kopf her denken können.
Deshalb brauchen wir Räume, in
denen wir jederzeit Inhalte verändern können.
Die Leibniz-Gemeinschaft zählt
acht Forschungsmuseen. Überall finden zurzeit Umbauten
statt. Auch bei Ihnen.
Ja, wir haben ganz großes Glück,
dass die Stadt Berlin wie auch
der Bund und die EU bereits 80
Millionen Euro in die Sanierung
investiert haben. Damit sind 25
Prozent der Gesamtkosten gedeckt.
4/2015 Wann sollen die Umbauten
abgeschlossen sein?
Zunächst wird bis 2018 gebaut;
bis dahin haben wir Planungssicherheit. Als international
sichtbare und global bedeutende
kulturelle und wissenschaftliche
Einrichtung sind wir hoffentlich
2025-2030 fertig – 40 Jahre nach
Transparentes Archiv
des Lebens:
die Fischsammlung
im Museum für
Naturkunde.
der deutschen Wiedervereinigung wären dann die Kriegsschäden beseitigt.
An allen acht Forschungsmuseen geht es nicht nur um räumliche Umbauten. Die Frage ist,
wie plane ich Ausstellungen so,
dass sie für Besucher attraktiv
bleiben? Wo vollziehen sich
hier die Veränderungen?
In den Köpfen! Vielleicht sollte ich
vorausschicken, dass es bei den
Baumaßnahmen nicht nur um
den Ausstellungsbereich geht.
Die Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft sind ja Zwitter:
Ausstellungshäuser, aber vor allem national und international
bedeutende Forschungs- und
Sammlungseinrichtungen. Was
mich nach Berlin zog, war ganz
klar das unheimliche Potential
der Mitarbeiter für Veränderung.
Sind Museen als Orte der
­Vergangenheit nicht erfolgreich?
Wir haben steigende Besucherzahlen, im Jahr 2015 waren es
ganze zehn Prozent, weil wir
ein Haus der Zukunft sind; also
genau gesagt, seitdem die Ausstellungen von Uwe Moldrzyk,
seinem Team und unseren Wissenschaftlern gebaut werden.
Die Ausstellungen basieren auf
unserer exzellenten Forschung
und fordern die Besucher heraus, miteinander ins Gespräch zu
kommen.
Was war bisher üblich?
In Naturkundemuseen der alten
Prägung wurden Ausstellungen
gemacht, die vor allem wissenschaftlich wertvoll sein sollten,
gleichgültig wie viele Besucher
kamen. Ich denke, beides ist
wichtig. In unserem Haus beflügeln wir die Wissenschaft,
gleichzeitig kommunizieren wir
die Ideen so, dass sie für die Besucher interessant sind.
Lässt sich das Museum
der Zukunft in drei Sätzen
­zusammenfassen?
Es ist das integrierte Forschungsmuseum; also der Ort, an dem
Forschung, Sammlung und Kommunikation untrennbar verwoben sind. Die Forschung ist
sammlungsbasiert, die Sammlungsentwicklung wissenschaftsgestützt und die Kommunikation
wissenschaftsbasiert. Das ist in
wenigen Sätzen leicht gesagt,
in der Umsetzung aber schwer.
Denn dazu muss man sich an
39
LEIBNIZ | SPEKTRUM
Gehen Menschen im Zeitalter
der Digitalisierung überhaupt
noch ins Museum?
Auf jeden Fall, die digitalen Angebote bringen sogar mehr Museumsbesucher. Ich kann Ihnen
jetzt schon versprechen, dass die
Leute nicht nach Berlin kommen
werden, um auf einem Bildschirm
ein 3D-Modell von T. rex zu sehen.
Die wollen die echte Killermaschine sehen und anfassen. Das
erste ist erwünscht, das zweite
leider nicht erlaubt (lacht).
Pfründe wagen und Schubladendenken aufgeben. Das tun wir
hier.
Kommen auch junge Menschen
in Ihr Haus?
Ja, sehr viele. Gestern habe ich
zufällig beim Durchqueren unserer Ausstellungen eine Gruppe
von 25-jährigen jungen Männern
gesehen, die gekommen war,
um sich unsere Dinosaurier anzusehen. Mindestens 50 davon
im Sauriersaal. Das ist typisch.
Sie kommen, weil wir sie nicht
bevormunden, sondern ihnen
die Möglichkeit geben, ihr eigenes Urteil zu bilden. Aktuelle
Umfragen hierzu zeigen: Zwei
Drittel der Bevölkerung wissen
nicht genug über das Thema
Natur, aber genauso viele sagen
auch: Wir möchten gerne mehr
wissen. Nur, wo können wir uns
bilden? Die Rolle von Museen für
das lebenslange Lernen ist sehr
wichtig; und ich glaube, dass
hier bisher das Potential noch
nicht ausreichend genutzt wird.
40 Wie kann ein Forschungsmuseum für Besucher attraktiv
sein?
Alles eine Frage der Wissenschaftskommunikation: weniger
Objekte, ikonische Objekte, the-
atralisch inszeniert mit relativ
wenig Beschriftung. Die Beschriftung tritt in den Hintergrund, wodurch der Blick unmittelbar auf
das Objekt fällt. Und, ganz wichtig, hier wird nicht aus zweiter
Hand berichtet, sondern sind die
Ausstellungen unmittelbar mit
der eigenen Forschung verbunden; authentischer geht es nicht
– eben FORSCHUNGSmuseum.
Mit welchen Objekten locken
Sie in Ihre Ausstellungen?
(lacht) Naja, seit Weihnachten
2015 mit einem Riesendinosaurier, einem Tyrannosaurus
rex, der Zähne lang wie ein Unterarm hat. Die Aufgabe von
Wissenschaftskommunikation
ist, für Wissenschaft zu begeistern. Und das geht nur über
die emotionale Ebene. Dazu
müssen Museen Orte des Experiments werden. Keiner weiß
doch gegenwärtig ganz genau,
was der richtige Weg für einen
wissenschaftsgeleiteten Dialog
mit der Öffentlichkeit ist. Das
ist die Herausforderung, gerade
für die Leibniz-Gemeinschaft
mit ihren acht Forschungsmuseen, die den Auftrag haben, hier
Konzepte zu entwickeln und zu
erproben – als Vorreiter für den
ganzen Bereich.
Welches Citizen Science Projekt
würden Sie gerne in Berlin
realisieren?
Wir machen gerade mehr zum
Thema Stadt-Natur mit Hilfe des
Bundesumweltministeriums. Wir
haben in Berlin 360.000 Schulkinder. Zurzeit erreichen wir mit
dem Thema 60.000; das sind
die, die zu uns ins Museum kommen. Es sollten noch mehr sein,
die wissen, dass Natur auch in
den Städten vorkommt und was
sie für uns alle bedeutet. Gerade
auch die neu nach Deutschland
Zugewanderten sollten ein Verständnis dafür bekommen. Vielleicht gelingt auch so Integration.
Wo sind die Grenzen der Bürgerbeteiligung?
Dort, wo die Freiheit der Forschung anfängt. Sie ist ein hohes
Gut. Forschung darf nicht ver-
Fotos: MfN; NABU/Frank Hecker; Carola Radke/MfN
Vielfalt inszeniert:
Die Biodiversi­
tätswand im Museum
für Naturkunde.
Auf unmittelbare Erfahrung
mit der Forschung zielt auch
der Kommunikationsansatz
„Citizen Science“. Ist das die
Zukunft?
Die Citizen-Science-Norm in
Deutschland heißt, Bürger in wissenschaftliche Projekte einbinden, die die Forscher vorgeben.
Letztlich aber geht es um mehr,
nämlich wie man mit der Bevölkerung auf deren Interessen
stärker eingehen und Projekte
gemeinsam entwickeln kann.
Was hier gut läuft, ist zum Beispiel das Messen von Luftqualität
in Städten über Smartphones. Ein
anderes Citizen-Science-Projekt,
das bislang nur in Großbritannien oder den USA verwirklicht
wird, sind internetbasierte StadtNaturführer. Welche Arten gibt
es? Wo stehen sie?
4/2015
LEIBNIZ | SPEKTRUM
boten werden – wird sie aber in
Deutschland schon. Denken wir
nur an die Debatten über Tierversuche oder Gentechnologie.
Dass man Angst vor derlei Entwicklungen haben kann, verstehe
ich. Trotzdem darf Wissenschaft
nicht verboten werden. Andererseits: Die KommunikationsBringschuld für Ideen und Entwicklungen – schon am Anfang,
upstream public engagement als
Schlagwort – liegt bei der Wissenschaft!
Neu ist die Idee auch, Forschungsmuseum stärker für
andere Partner zu öffnen. So
schwebt Ihnen in Berlin eine
Natur- und Gesellschaftsmeile
vor. Was verstehen Sie darunter?
In Deutschland gibt es meiner
Meinung nach eine gute Kooperation zwischen Wissenschaft und
Politik. Ähnlich gute Beziehungen
könnten aber auch zur Gesellschaft aufgebaut werden. Letztlich stehen doch alle Bildungsund
Forschungseinrichtungen
vor ähnlichen Herausforderungen in der Kommunikation, ob
das nun das Uni-Klinikum Charité
oder die Humboldt-Universität
ist. Immer sind es dieselben Fragen: Warum brauchen wir Wissenschaft? Warum Technologie?
Auch teilen wir Leibniz-Themen
wie Mobilität, Altern, Natur, Digital, Kunst, Physik, Lebenswissenschaften, Biologie mit zahlreichen
Partnern hier entlang der Invalidenstraße als zukünftiger Wissenschaftsmeile. Ganz zu schweigen von der Internationalität, die
auf dieser Wissenschaftsmeile
möglich wird, wenn wir die Bundesministerien an oder nahe der
Invalidenstraße als Partner einschließen würden.
Wie wollen Sie solche Partnerschaften realisieren?
Der erste Schritt ist ein Konzept.
Das entwerfen wir soeben mit
Partnern.
Sie wollen auch Kunstschaffende mit einbinden.
Wissenschaft braucht andere Perspektiven. Gerade die Kunst greift
viel früher als andere Bereiche
neue gesellschaftliche Strömungen auf. Sie macht oftmals in einer
sehr klugen Art Interventionen
und hilft uns auf die Sprünge.
Einerseits fordern Sie das
projektbezogene, inter- und
transdisziplinäre Arbeiten über
das Museum hinaus, auf der
anderen Seite gibt es die traditionelle Rolle des Kurators, der
die Objekte pflegt. Wie passt
das zusammen?
Das geht über die Sammlung
zusammen, die unsere wissenschaftliche Infrastruktur ist. Wir
Museumsleute sollten nicht die
Einzigen sein, die das Privileg
haben, an dieser globalen unheimlich spannenden Sammlung
arbeiten zu dürfen. Es muss eine
Öffnung geben für Künstler, Natur-, Kultur- und Geschichtswissenschaftler, Designer, Ingenieure, Bürgerwissenschaftler. Wer
weiß, welche technischen Innovationen man auf diese Weise
noch aus unseren Sammlungen
herausholen kann?
Welche Rolle spielt das Forschungsmuseum in Zukunft,
gerade auch in Abgrenzung zu
anderen Museen?
Es muss grundsätzlich wieder
mehr von der Forschung, der Objektforschung her gedacht werden. Wenn wir Veränderungen
möglich machen wollen, wenn
wir einen Raum schaffen können,
in dem wissenschaftliche und
gesellschaftliche Lösungen für
die großen globalen Herausforderungen gemeinsam entwickelt
werden können, bleiben wir relevant. Dieses gemeinsame Potential der Forschungsmuseen zu
heben, muss Aufgabe der LeibnizGemeinschaft sein. Vogelbeobachtung
ist ein klassisches
Einsatzgebiet für
Bürgerwissen­
schaftler.
DAS INTERVIEW FÜHRTEN
CHRISTINE BURTSCHEIDT
UND LENA LEISTEN.
Johannes Vogel
ist seit 2012 Generaldirektor des Museums für Naturkunde ­Berlin
und Professor für Biodiversität und Wissenschaftsdialog an der
Humboldt-Universität zu Berlin. Nach dem Studium in Bielefeld
und Cambridge promovierte er in Genetik und arbeitete ab 1995
am Natural History Museum in London. Dort war er als ­Spezialist
für Moose, Pilze und Farne zuletzt Chefkurator der bota­nischen
Abteilung.
4/2015 41
LEIBNIZ | AUSSTELLUNGEN
Aktuelle Ausstellungen
der Leibniz-Gemeinschaft
Ans Tageslicht geholt
42 Die farblose Seegurke im Glas
stammt nicht aus dem Spreewald, sondern aus dem Meer und
ist eine Verwandte des Seeigels.
In Alkohol eingelegt, überdauert
das Tier die Zeit. Vor mehr als
einhundert Jahren formte sie die
weltberühmte Glasbläserfamilie
Blaschka in höchster Kunstfertigkeit lebensecht nach. Präparat
und Kunstobjekt sind für Besucher selten zu erleben. Ebenso
wie verschiedene Hundeschädel
aus Frankfurt, die die Domestikation des Wolfes veranschaulichen.
Kurios dabei: Der Hundezüchter
Karl Hopf entpuppte sich als Serienmörder. Schädel und Seegurke
sind einige von „Senckenbergs
verborgenen Schätzen“, die aus
den verschiedenen Forschungseinrichtungen der Senckenberg
Gesellschaft für die gleichnamige
Ausstellung aus den Magazinen
ins Licht gerückt und zum Teil
erstmalig öffentlich ausgestellt
werden.
Alle Objekte erzählen eine eigene kleine Geschichte. So auch
das Haselhuhn, das früher in
den Mittelgebirgen in der Nähe
des sächsischen Görlitz vorkam.
Dieser im Jahr 1899 präparierte
Vogel war einer der letzten seiner Art in der Region. Mittlerweile sind die Bestände in Sachsen
wohl gänzlich erloschen. Noch
dramatischer ist das Schicksal
des bunten Papageis ein paar Vitrinen weiter: Der Dreifarben-Ara,
Licht
ist mehr
In Mode. Kleider & Bilder aus
Renaissance und Frühbarock
Trügerische Idylle. Pullach
und der Obersalzberg
seit 28.7.2015
Deutsches Museum,
München
Ein Leuchtmittel stellt alle anderen in den Schatten: Leuchtdioden, kurz LEDs, sparen ebenso
viel Energie wie eine Energiesparlampe, kommen dabei aber
mit viel weniger Platz aus, produzieren kaum Wärme und können in jeder Farbe erstrahlen. In
Zusammenarbeit mit dem Lichthersteller OSRAM widmet das
Deutsche Museum dem Multitalent nun eine eigene Ausstellung.
Hier können sich die Besucher
nicht nur über LEDs informieren, sondern auch erleben, wie
sich mit 16 Millionen Farben eine
Wohnung beleuchten lässt, wie
sich Licht auf den Biorhythmus
auswirkt, oder wie ein Beamer
im Hosentaschenformat aussieht.
bis 06.03.2016
Germanisches National­
museum, Nürnberg
An die prächtige und kostbare
Kleidung der Renaissance und
des Frühbarocks wurden hohe
Ansprüche gestellt: In Gemälden
diente sie oftmals zur Inszenierung von Status und Persönlichkeit der Auftraggeber, in illustrierten Flugblättern wurde sie
zur Verbreitung modekritischer
Inhalte genutzt, und in Trachtenbüchern vermittelte sie neue
Weltsichten und beschwor soziale Hierarchien. Das Germanische
Nationalmuseum macht diese
Ansprüche für die heutigen Betrachter wieder lesbar. In einer
Sonderausstellung zeigt das kulturgeschichtliche Museum rund
50 Originalkostüme aus der Zeit
von 1560 bis 1650.
bis 3.4.2016
Dokumentation
Obersalzberg, Berchtesgaden
Pullach und Obersalzberg –
zwei historische Orte in Oberbayern, die vor allem ihre
Geschichte während der Zeit
des Nationalsozialismus miteinander verbindet. Auf dem
Berg das Führersperrgebiet,
in Pullach die Wohnanlage für
den Stab von Rudolf Heß. ­Hinter
der behaglichen Architektur
der Nationalsozialisten wurden
Verbrechen vorbereitet und
entschieden. Die Winteraus­
stellung der Dokumentation
Obersalzberg ­
visualisiert die
Spuren dieser Zeit an beiden
Orten, die sich nach dem Krieg
ganz unterschiedlich entwickelten – zum Touristenziel und zur
Geheimdienstzentrale.
4/2015
LEIBNIZ | AUSSTELLUNGEN
einst auf der Insel Kuba häufig gesehen, ist seit 1885 ausgestorben.
Das Präparat ist eines von neunzehn Exemplaren, die weltweit
noch existieren.
Anhand solcher Beispiele verdeutlicht die Ausstellung Aspekte
des Sammelns in Museen, deren
Forscher durch Neugierde getrieben, ein Abbild der Natur für die
Nachwelt bewahren. Wurde zu
Beginn der Sammelleidenschaft
vor allem nach Seltenem, Schönem und Kuriosem Ausschau gehalten, wandten sich die Sammler
im 19. Jahrhundert verstärkt wissenschaftlichen Fragestellungen
zu und begannen - regional oder
taxonomisch - systematische Kollektionen von Pflanzen, Tieren,
Fossilien oder Gesteinen anzulegen. Diese Sammlungen stellen
das unverzichtbare Handwerkszeug der Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler Senckenbergs dar. Mithilfe der Objekte gehen die Biologen, Paläontologen
und Geologen ihren Fragestellungen nach und dokumentieren,
Volker Iserhardt/RGZM; Flickr.com/Michel Osmont (CC-BY-NC-ND 2.0)
Fotos: Senckenberg; Köpcke Weinhold, Berlin; DM; GNM; privat; Carola Radke/MfN;
Tristan.
Berlin zeigt Zähne
4/2015 seit 17.12.2015
Museum für Naturkunde,
Berlin
Kennen Sie Tristan Otto? So heißt
eines der besten noch erhaltenen
Exemplare des ­Tyrannosaurus
Rex, der seit Neuestem im Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und
Biodiversitätsforschung wohnt.
Besucher können Tristan hier
in seiner natürlichen Größe von
zwölf Metern im Original bewundern, Skelett und Schädel sind
nahezu vollständig. Die Ausstellung zeigt darüber hinaus noch
weitere Originalobjekte, Medieninstallationen und Geschichten,
die auch einen Einblick in die Forschung rund um Tristan geben.
Tristan ist das einzige originale
T.Rex-Skelett, das in einem europäischen Museum ausgestellt ist.
wie die Welt einmal ausgesehen
hat und wie sie sich verändert besonders wichtig in Zeiten eines
rasanten Wandels unserer Umwelt.
Senckenberg kann nur einen
Bruchteil der rund 39 Millionen
Objekte aus den Sammlungen in
seinen Museen in Frankfurt, Görlitz und Dresden präsentieren.
Weitere Senckenberg-Sammlungen bestehen in Weimar, Müncheberg und Wilhelmshaven. Für
die Schau haben die Kuratoren
aus allen sechs Standorten Objekte ausgewählt, die sonst nicht
zu sehen sind und über die es Ei-
Codes der Macht.
Mit 16 auf den Thron
seit 06.11.2015
Römisch-Germanisches
Zentralmuseum, Mainz
Unzählige Informationen in
Form von Texten, Bildern und
Zeichen erreichen uns täglich.
Dabei verfolgen ihre Absender
oft gezielte Interessen – ­In­halte
werden inszeniert, um unser
Handeln zu beeinflussen. Das
Römisch-Germanische Zentralmuseum – Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie in
Mainz zeigt in seiner aktuellen Sonderausstellung, dass
dieses Prinzip eine lange
Tradition hat: Bereits im
Jahr 482 wusste der 16-jährige Sohn des König Childerich die Begräbnisfeierlichkeiten des Va­ters für die Sicherung ­seiner Nachfolge auf den
Thron zu inszenieren.
gentümliches zu berichten gibt.
Ihren besonderen Reiz erhalten
„Senckenbergs verborgene Schätze“ durch die großformatigen Arbeiten von Sebastian Köpcke und
Volker Weinhold, die mit Fotografen- und Künstlerblick in den
Magazinen unterwegs waren und
Sammlungsstücke miteinander
arrangierten und in humorvolle,
kuriose und nachdenklich stimmende Beziehungen zueinander
setzten. Der aufmerksame Besucher wird einige der „Fotomodelle“ im Original in der Ausstellung
wiederentdecken und manche
Anekdote zum Schmunzeln erfahren.
SGN
Senckenbergs verborgene
Schätze
23. Januar bis 15. Mai 2016
Senckenberg Museum für
Naturkunde Görlitz
Am Museum 1, 02826 Görlitz
Öffnungszeiten: Di bis Fr 10 – 17
Uhr, Sa/So 10 – 18 Uhr
senckenbergsverborgeneschaetze.com/
Tibet.100 Jahre Naturforschung auf dem Dach der Welt
bis 28.03.2016
Senckenberg Naturhistorische
Sammlungen, Dresden
Die Gebirgswälder des Himalayas, die Tierwelt des Tibetischen
Hochlandes. Wie sieht Naturforschung in einer weit entfernten,
fremden Kultur aus? Der Völkerkundler Walther Stötzner legte
mit seiner Tibet-Expedition von
1913 bis 1915 den Grundstein
für hundert Jahre Biodiver­
sitätsforschung der Senckenberg
Naturhistorischen Sammlungen
Dresden in Asien. Die Jubiläumsschau legt einen Schwerpunkt
auf die Artenvielfalt der Vögel
im Himalaya und auf dem tibetischen Hochplateau. Kostbarkeiten tibetischer Kulturgegenstände steuert das ­Museum für
Völkerkunde ­Dresden zur Ausstellung bei.
Wir verlosen fünf
Familienkarten
(2 Erwachsene und bis
zu fünf Kinder) für das
Senckenberg Museum
für Naturkunde in
­Görlitz. (siehe S. 48).
Das Buch zur
Ausstellung
Sabine Mahr, Thorolf
Müller, Birgit Walker
(Hrsg.): Senckenbergs
verborgene Schätze –
Über das Sammeln und
Forschen; 136 Seiten,
Schweizerbart,
Stuttgart 2015;
14,90 Euro. ISBN 9783-510-61405-9
Mehr Sonderausstellungen unserer
Forschungsmuseen
finden Sie online:
www.leibnizgemeinschaft.de/
institute-museen/
forschungsmuseen/
leibniz-museenaktuell/
43
L E I B N I Z | SI M
PP
EK
RT
E SR SUUMM
Im Zeichen des „Wir“
In Leibniz-Blau erstrahlte das Museum für Kommunikation
anlässlich der Festveranstaltung der Jahrestagung.
21. Jahrestagung der Leibniz-Gemeinschaft in Berlin
44 Von alten Papyri bis zu neuen
Papieren spannte sich der ­
in­
halt­liche Bogen der 21. LeibnizJahrestagung Ende November
in Berlin. Kurz vor dem Jubiläumsjahr 2016 mit dem 370. Geburtstag und dem 300. Todestag
ihres lange Jahre in Hannover
wirkenden Namenspatrons war
es folgerichtig, dass die LeibnizGemeinschaft ihre Jahrestagung
in der Landesvertretung Niedersachsen eröffnete.
Insgesamt trafen sich die
Vertreter der 89 Leibniz-Einrichtungen und ihrer Gremien neben
einer großen Festveranstaltung
und der Mitgliederversammlung
zu mehr als 30 Sitzungen. Die Gemeinschaft zeichnete dabei unter
anderem ihre besten Doktoranden und Auszubildenden aus
(▶ S. 52), verabschiedete eine
neue Satzung und Leitlinien zur
guten wissenschaftlichen Praxis
(▶ S. 46) und brachte im LeibnizWettbewerb 26 neue Projekte auf
den Weg (▶ S. 48). In der Festveranstaltung erhielten die Zuhörer
spannende Einblicke in Forschungsarbeiten aus den eigenen
Reihen und von außerhalb in den
Beiträgen aus dem Leibniz-Institut für umweltmedizinische For-
schung sowie dem Ägyptischen
Museum und Papyrussammlung
der Staatlichen Museen zu Berlin.
Leibniz-Präsident Matthias
Kleiner stellte seine Rede an die
Festversammlung angesichts der
noch frischen Eindrücken der
Pariser Terroranschläge unter
­
HVL
das Motto des „Wir“. Der vollständige Text der Rede
von Leibniz-Präsident Matthias
Kleiner:
www.leibniz-gemeinschaft.de/
ueber-uns/organisation/praesident/
matthias-kleiner/reden-undbeitraege/beitraege
4/2015
L E I B N I ZL E|I BSNPIEZK T
| RLUI M
FE
Fotos: Oliver Lang
HIN und WEG von Beethoven: Im Museum für
Kommunikation umrahmte das STEGREIF.chamber
die Festversammlung.
4/2015 Rundgang mit Ministerpräsident: Mitarbeiter der Technischen Informa­
tionsbibliothek – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwis­
senschaften in Hannover erläuterten Stefan Weil (re.) und Leibniz-Präsi­
dent Matthias Kleiner (2. v.re.) ihre Online-Angebote.
In ihrem „Geistesblitz“ berichtete Jojo Haendeler vom
­Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung in
­Düsseldorf über umweltbedingte Alterungsprozesse.
Voll des Lobes für Leibniz: Cornelia Quennet-Thielen, Staatssekretärin
im Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Neue Erkenntnisse zu alten Schriften präsentierte Verena
Lepper vom Ägyptischen Museum und Papyrussammlung
der Staatlichen Museen zu Berlin in ihrer Festrede.
Unterstrich die Bedeutung der Leibniz-Institute für Forschung und
­Forschungspolitik in den Ländern: Brandenburgs Wissenschafts­
ministerin Sabine Kunst.
Aufmerksames Auditorium mit Leibniz Vizepräs­
identin Hildegard Westpahl, Staatsministerin Maria
­Böhmer, ­Leopoldina-Präsident Jörg Hacker und Leibniz-­
Generalsekretärin Christiane Neumann (v. links).
45
LEIBNIZ | LIFE
Wissenschaftsinitiative
Integration
Die „Wissenschaftsinitiative Integration“ ist eine gemeinsame
Aktion der Fraunhofer-Gesellschaft, der Leibniz-Gemeinschaft
und der Max-Planck-Gesellschaft. Ziel ist es, geflüchteten
Menschen durch Beschäftigung
und Qualifizierung eine Perspektive in Deutschland zu geben. Konkret unterstützen die
drei Forschungsorganisationen
anerkannte Flüchtlinge und
asylberechtigte Menschen mit
Angeboten an ihren Einrichtungen, um die Integration in den
Arbeitsmarkt zu erleichtern.
Denn die Teilhabe an der Arbeitswelt ist ein wichtiger Baustein, um in einer neuen Heimat
dauerhaft Fuß fassen zu können.
Dazu haben die drei Organisationen seit diesem September
in enger Kooperation Konzepte
entwickelt; insbesondere geht es
darum, Praktikumsplätze für die
Orientierung und den Einstieg in
unterschiedlichen Stadien der
Ausbildung, des Studiums und
des Berufs bereitzustellen.
46 Die erarbeiteten Maßnahmen
sollen vom Frühjahr 2016 an gemeinsam mit den Ländern umgesetzt werden. Dabei werden die
Forschungsorganisationen
und
ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom gegenseitigen Erfahrungsaustausch profitieren – zum
Beispiel als Paten oder mit einem
Leitfaden zur Beschäftigung, wenn
es um administrative Fragen geht.
Ein weiteres Augenmerk gilt der
wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Themen Flucht,
Migration und Integration, um
Politik und Gesellschaft mit kundigem Rat zur Seite zu stehen. Hierzu hat die Leibniz-Gemeinschaft
bereits im Herbst einen Expertenservice eingerichtet (www.leibniz-­
gemeinschaft.de/medien/­p resse/
leibniz-expertenservice).
Die „Wissenschaftsinitiative
Integration“ macht in einem Mosaik vielfältigen zivilgesellschaftlichen Engagements die Verantwortung von Wissenschaft und
Forschung für ein weltoffenes
Klima in Deutschland deutlich.
Schließlich sind Forschungseinrichtungen ­
genuin Orte der
Internationalität und kulturellen
Vielfalt. Die vier außeruniversitären Forschungseinrichtungen werden künftig auch mit
der Bundesagentur für Arbeit
zusammenarbeiten, die in einer
gemeinsamen Informationsveranstaltung im Haus der LeibnizGemeinschaft über Maßnahmen
und Programme informieren
CAL
wird. Kontakt:
Caroline A. Lodemann,
Leiterin des Präsidialstabs der
Leibniz-Gemeinschaft
E-Mail:
[email protected]
Vier Einrichtungen
der Leibniz-Gemeinschaft sollen weiterhin gefördert werden.
Das hat der Senat
der Leibniz-Gemeinschaft im November
nach Abschluss
der regelmäßigen
wissenschaftlichen
Evaluierung Bund und
Ländern empfohlen:
Die Akademie für
Raumforschung und
Landesplanung –
Leibniz-Forum für
Raumwissenschaften
in Hannover, das
Leibniz-Institut für
Astrophysik Potsdam
und das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig
sollen wie üblich nach
sieben Jahren erneut
evaluiert werden.
Beim Leibniz-Institut
für Nutztierbiologie
in Dummerstorf ist
vorgesehen, die Leistungen bereits nach
vier Jahren erneut zu
überprüfen.
www.leibniz-gemeinschaft.de/ueber-uns/
evaluierung/
Gute wissenschaftliche Praxis
Eine Leitlinie zur
guten wissenschaftlichen Praxis hat die
Mitgliederversammlung der LeibnizGemeinschaft Ende
November 2015
beschlossen. Sie
ersetzt die Regeln
aus den Jahren 1998
und 1999. In der
neuen verbindlichen
Leitlinie werden vor
allem die Rolle und
Befugnisse der zentralen Ombudsperson
der Gemeinschaft
sowie die Verfahrensregeln und Sanktionsmöglichkeiten für
das zentrale Prüfverfahren festgelegt. Den
Entwurf hierfür hatte
eine Arbeitsgruppe
unter Federführung
des Ombudsmanns
der Leibniz-Gemeinschaft, Hans-Georg
Joost, vorgelegt. Das
Verfahren soll subsidiär in gravierenden
oder auf andere Weise
nicht zu lösenden
Fällen die dezentralen
Verfahren der Institute ergänzen. Generell
sind die Leibniz-Einrichtungen weiterhin
aufgefordert, eigene
Leitlinien zu erstellen, die ihre eigenen
dezentralen Verfahren
regeln. JB
www.leibniz-gemeinschaft.de/forschung/
gute-wissenschaftlichepraxis
Informationsbibliothek wird
Stiftung
Die Technische Informationsbibliothek
Hannover (TIB) ist ab
dem 1. Januar 2016
Stiftung des öffentlichen Rechts des
Landes Niedersachsen,
in der die Technische
Informationsbibliothek (TIB) und die
Universitätsbibliothek
(UB) der Leibniz Universität zusammengeführt werden. Sie trägt
die Zusatzbezeichnung
„Leibniz-Informationszentrum Technik und
Naturwissenschaften
und Universitätsbibliothek“. Die Forderung
nach einer selbstständigen Stiftung mit
Autonomie und Gestaltungsfreiheit gab es
für die TIB bereits seit
2011 als Ergebnis der
Evaluierung durch die
Leibniz-Gemeinschaft.
Mit der Berufung von
Prof. Dr. Ralph Ewerth
hat die TIB zudem
die erste Professur
im Bereich Forschung
und Entwicklung
besetzt. Als Leiter der
Forschungsgruppe
„Visual Analytics“
wird er zu Multimedia
Retrieval und Usability
forschen.
4/2015
Foto: Picture Alliance
Gütesiegel für
vier Institute
LEIBNIZ | LIFE
Wo sind sie geblieben?
Mathematiker-Geburtstag mit Ministerin: ­Johanna
Wanka (2.v.re) gratulierte Karl Weierstraß
Karl Weierstraß und die
­Goldene Zeit der Mathematik
Ein Studienabbrecher, der es doch
zu einem der ganz Großen in der
Mathematik gebracht hat, war Karl
Weierstraß. I­ n der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts prägte nicht zuletzt
er die Goldene Zeit der Mathematik
in Berlin. Am 31. Okto­ber feierte
das nach ihm benannte WeierstraßInstitut für Angewandte Analysis und
Stochastik den 200. Geburtstag des
berühmten Mathematikers mit einer
Festveranstaltung in der BerlinBrandenburgischen Akademie der
Wissenschaften. Zu Gast war auch
die Mathematikerin und Bundesforschungsministerin Johanna Wanka.
2013
Kristina Tschulik ging nach ihrer Promotion am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden als Post-Doc an die Universität
Oxford. Seit September 2015 ist sie Juniorprofessorin für Mikro-/
Nanoelektro­chemie an der Ruhr-Universität Bochum.
2012
Anja Hanisch erforschte am Institut für Zeitgeschichte
München-Berlin das Spannungs- und Wechselverhältnis zwischen
der DDR-Innen- und Außenpolitik im Zusammenhang mit dem KSZEProzess in den 1970er und 1980er Jahren. Zurzeit ist sie für die KfW
Entwicklungsbank in Afghanistan/Kabul tätig.
2011
Martin Binder erhielt den Preis für seine Arbeit zur Selektivität humanitärer Interventionen nach dem Ende des Kalten
Krieges am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Seit Oktober 2015 ist er Associate Professor an der “School
of Politics, Economics & International Relations” der Universität Reading (Großbritannien).
2011
Henriette Kirchner untersuchte in ihrer Doktorarbeit am
Deutschen Institut für Ernährungsforschung in PotsdamRehbrücke die Rolle des Hormons Ghrelin bei der Entstehung
krankhaften Übergewichts. Ende 2015 erhielt sie an der
Universität zu Lübeck den Zuschlag für eine Emmy-NoetherNachwuchsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft
(DFG) für ihre Forschung zur Entstehung von Adipositas und
Diabetes.
Fotos: Understanding Animal Research; Kay Herschelmann; privat; David Ausserhofer; Damaris Opitz; privat (3); TUM
www.wias-berlin.de/workshops/weierstrass200
4/2015 Liste
Seit 1997 zeichnet die Leibniz-­
Gemeinschaft ihre besten
Dokto­randen mit dem LeibnizNachwuchs­preis aus. Und was wird
„man“ mit so einem Preis?
Häufig Professorin oder Professor,
wie unsere Beispiele einiger
bisheriger Preisträger zeigen.
2008
Christian Merkl analysierte in seiner prämierten Doktorarbeit
am Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) Lösungsansätze zum
Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. Heute ist er Professor für
Makroökonomik an der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg und dem IfW wissenschaftlich weiter eng verbunden.
Über Tierversuche
sprechen
Transparent und umfassend über
Tierversuche zu informieren, ist
das Anliegen eines neuen Internetportals der Leibniz-Gemeinschaft.
Mehrere Leibniz-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben
dazu ihre Labore geöffnet und vor
der Kamera darüber gesprochen,
warum sie für ihre Forschung auf
Tierversuche angewiesen sind und
wie sie mit der Verantwortung für
das Wohlergehen der ihnen anvertrauten Tiere umgehen.
www.leibniz-gemeinschaft.de/
tierversuche
2007
Markus Huff erhielt die Auszeichnung für seine Dissertation zu
Verbalisierungsprozessen bei dynamischen Szenen am LeibnizInstitut für Wissensmedien in Tübingen. Seit 2010 lehrt er als
Junior-Professor für Allgemeine Psychologie am Psychologischen
Institut der Universität Tübingen, wo er 2014 im Fach Psychologie
habilitierte.
2000
Holger Boche wurde für seine Dissertation „Untersuchungen zur
Approximation im Komplexen“ am damaligen Heinrich-Hertz-Institut
für Nachrichtentechnik in Berlin (heute: Fraunhofer Heinrich-HertzInstitut) ausgezeichnet. 2008 erhielt er den Gottfried-WilhelmLeibniz-Preis der DFG. Seit 2010 ist Boche Professor für Theoretische
Informationstechnik an der TU München
www.leibniz-gemeinschaft.de/ueber-uns/auszeichnungen/nachwuchspreis
47
LEIBNIZ | LIFE
Anzeige
Beim „Leibniz-Wettbewerb“ haben 26 neue
Forschungsvorhaben
den Zuschlag erhalten.
Der Senat der LeibnizGemeinschaft bewilligte auf seiner Herbstsitzung Projekte in Höhe
von 23,2 Millionen
Euro. Die Themen der
erfolgreichen Projekte
reichen von der „Abiturprüfungspraxis
1882 bis 1972“, dem
digitalen Wörterbuch
„Lexik des gesprochenen Deutsch“ über den
Einfluss des Klimawandels auf das ökonomische Wachstum
bis zu neuen Verfahren
zur Gewinnung von
Silizium. Sie decken
damit die disziplinäre
Vielfalt der Leibniz-Gemeinschaft ab. Ebenso
werden Antworten auf
strukturelle Herausforderungen des
Wissenschaftssystems
gegeben, etwa mit
der Etablierung eines
neuen Tenure TrackVerfahrens: „Berlin
Economics Research
Associates“. Die Vorhaben haben in der Regel
eine Laufzeit von drei
Jahren und finden häufig unter Beteiligung
in- wie ausländischer
Partnereinrichtungen
statt. Beim diesjäh-
rigen Wettbewerbsverfahren hatten sich
82 von insgesamt 89
Leibniz-Einrichtungen
mit einem Gesamtantragsvolumen von
84 Millionen Euro
beworben.
www.leibniz-gemeinschaft.de/ueber-uns/
leibniz-wettbewerb/
Verlosung
Wir verlosen:
Drei Exemplare des Buches „Ausgelacht
– DDR-Witze aus den Geheimakten des
BND“ von Hans-Hermann Hertle. (3 Buchvorstellung auf S. 50).
Fünf Familienkarten (gilt für 2 Erwachsene und fünf Kinder) für das
Senckenberg Museum für Naturkunde
in Görlitz. (3 Ausstellungsbericht auf
S. 42/43).
Vizes
wiedergewählt
Prof. Dr. Hildegard
Westphal, Direktorin
des Leibniz-Zentrums
für Marine Tropenökologie, und Heinrich
Baßler, Administrativer Geschäftsführer
des Wissenschaftszentrums Berlin für
Sozialforschung, sind
von der Mitgliederversammlung der
Leibniz-Gemeinschaft
erneut für zwei Jahre
zu Vizepräsidenten
der Wissenschaftsorganisation gewählt
worden. Die Amtszeit
der beiden anderen
Vizepräsidenten läuft
noch ein weiteres Jahr.
Teilnahme unter Nennung von Stichwort, Name und Postanschrift per E-Mail an:
[email protected]
Einsendeschluss:. 13. März 2016
Die Gewinner erklären sich im Falle des Gewinns mit der
Nennung ihres Namens und Herkunftsortes im nächsten
Leibniz-Journal einverstanden.
Die Gewinner der Verlosungen aus dem Heft 3/2015:
Jeweils ein Exemplar des Buches „Franz Josef Strauß:
Herrscher und Rebell“ von Horst Möller geht an:
Elisabeth Holand aus Neu-Ulm, Maria Petschelt aus Berlin
und Hansjoerg Ebert aus Berlin.
Ein Exemplar des Buches „Die Herrscher der Welt: Wie
Mikroben unser Leben bestimmen“ von Bernhard Kegel
erhalten:
Dr. Sabine Glienke aus Worms, Kai Althoetmar aus Bad
Münstereifel und Werner Götz aus Bonn.
Fotos: Tristan Vankann/ZMT; David Ausserhofer/WZB; C.H. Links-Verlag; Senckenberg
Leibniz-­
Wettbewerb:
Grünes Licht für
26 Projekte
Arbeiten bei Leibniz
88 Institute der Leibniz-Gemeinschaft beschäftigen
Die 89
18.100 Mitarbeiter, darunter 3.000 Doktorandinnen und
Doktoranden und zahlreiche Auszubildende.
Suchen Sie Ihre Zukunft unter
www.leibniz-gemeinschaft.de/stellenportal
48 4/2015
LEIBNIZ | 2016
Mit zahlreichen Veranstaltungen, einer neuen Internetseite und dem
neuen Magazin „leibniz“ begeht die Leibniz-Gemeinschaft das LeibnizJahr 2016
„die beste der möglichen Welten“
Leibniz-Jahr 2016
Vor 370 Jahren kam der Universalgelehrte Gottfried
­Wilhelm Leibniz in Leipzig zur Welt, vor 300 Jahren
starb er in Hannover. Die Leibniz-Gemeinschaft nimmt
das zum Anlass für ein großes Themenjahr. Unter dem
Titel „die beste der möglichen Welten“ – einem LeibnizZitat – rückt sie die Vielfalt und die Aktualität der Themen in den Blick, denen sich die Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler der bundesweit 88 Leibniz-Einrichtungen widmen. Und stellt die Menschen hinter der
Forschung vor. Was treibt sie bei ihrer Suche nach neuer
Erkenntnis an? Und welchen Beitrag leisten sie zur Lösung gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch drängender Fragen?
Gottfried Wilhelm Leibniz
Ende des 17. Jahrhunderts vertieft sich der Philosoph,
Mathematiker, Jurist, Diplomat, Historiker und Politikberater Leibniz in elementare Fragen des Lebens. Er entwickelt ein binäres Zahlensystem, das später die Grundlage
der Computersprache bilden wird und tüftelt über Jahrzehnte an einer neuartigen Rechenmaschine. Er studiert
Sprachen, baut eine Bibliothek auf und wird auch in der
Windkraft zum Pionier — auch wenn seine Versuche mit
Windrädern scheitern. Zugleich zählt Leibniz zu den großen Philosophen der Aufklärung. Er macht sich Gedanken
über Religion und prägt den viel diskutierten Satz von
»der besten der möglichen Welten«.
4/2015 Unsere Wirklichkeit stellt sich nach Leibniz in ihrer Gesamtheit als „die beste der möglichen Welten“ dar. Das ist
– wie aktuelle, auch dramatische Ereignisse zeigen – keine
perfekte Welt, sondern eine in der Fortschritte wie Rückschläge möglich sind. Die Menschen besitzen die Freiheit,
die Welt zu beobachten, zu verstehen – und Verbesserungen anzustoßen. Diese Freiheit ist auch Bedingung von
Wissenschaft.
Das Projekt
Wie Leibniz-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
diese Freiheit 300 Jahre nach dem Tod des Universalgelehrten nutzen, möchten wir Ihnen auf ganz verschiedene
Weise zeigen:
• In einem umfangreiche Veranstaltungsprogramm mit
der neuen Gesprächsreihe „Leibniz debattiert“, einem
großen Berliner Salon und einer gemeinsamen Ausstellung der acht Leibniz-Forschungsmuseen.
• Auf der neuen Internetseite www.bestewelten.de,
die das ganze Jahr über Artikel aus Gesellschaft und
Wissenschaft präsentiert. Außerdem gibt es hier alle
Termine auf einen Blick.
• Das Leibniz-Journal wird 2016 in einem neuen Gewand erscheinen. Unter dem Namen „leibniz“ liefert es
weiterhin vier Mal im Jahr spannende Geschichten aus
Wissenschaft und Gesellschaft – und über die Menschen hinter der Leibniz-Forschung.
49
LEIBNIZ | LEKTÜRE
Anita Hermannstädter,
Ina Heumann & Kerstin
Pannhorst (Hg.):
Wissensdinge – Geschichten
aus dem Naturkundemuseum;
288 Seiten, Nicolai Verlag,
Berlin 2015; 24,90 Euro
ISBN 978-3-89479-950-2
Hans-Hermann Hertle
& Hans-Wilhelm Saure:
Ausgelacht- DDR-Witze aus
den Geheimakten des BND;
144 Seiten, Ch. Links Verlag,
Berlin 2015; 10,00 Euro.
ISBN: 978-3-86153-844-8
50 Ein Wissensding? Das ist das, was in einem Museum aus den Sammlungsobjekten
wird. Durch das Präparieren, Ausstellen,
Interpretieren, Erforschen und durch die
Geschichten, die sich mit den Objekten verbinden. Wissensdinge stehen so zwischen
natürlichen und künstlichen Dingen. So
wie der Großaugenbarsch auf dem Buchumschlag von „Wissensdinge – Geschichten
aus dem Naturkundemuseum“.
Ein deutsch-russischer Naturforscher
sammelte ihn 1805 in Japan, als Typus-Exemplar begründete er wissenschaftlich eine
eigene Fischart, zwischendurch musste er
seinen Namen und seine Gattung wechseln.
Nun erlangt er nach fast 200 Jahren im Museum, aber vermutlich ohne je in der Aus-
stellung gezeigt worden zu sein, eine prominente Stellung. Das Buch zeigt aus den
mehr als 30 Millionen Sammlungsobjekten
des Museums 94 Beispiele ganz unterschiedlicher Wissensdinge vom MeteoritenBruchstück über das längst ausgestorbene
Quagga bis hin zu gefälschten BernsteinFossilien. Ausgewählt und ganz persönlich
beschrieben haben die Wissensdinge 94
Menschen – Grundschüler, Studenten und
Wissenschaftler, aber auch eine ehemalige
Bundesministerin. Damit machen sie sie
noch ein bisschen mehr zu ganz besonderen
Dingen, zu Wissensdingen.
Geheimdienste und Witze als gemeinsamer
Gegenstand wissenschaftlich fundierter
Literatur – in einem Buch wohlgemerkt –
liegen nicht unbedingt auf der Hand. Aber
wie so oft schreibt die Realität die besten
Geschichten, denn der Bundesnachrichtendienst (BND) sammelte tatsächlich politische Witze in der DDR. Zuletzt zwei Mal
jährlich legte er sie zum Rosenmontag und
zum 11.11. als Stimmungsbarometer aus
dem Osten dem Bundeskanzleramt vor.
Nach Freigabe der Akten haben der
Histo­riker Hans-Hermann Hertle vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und der Bild-Journalist Hans-Wilhelm
Saure die Witze aus dem Geheimdienstunterlagen des BND zusammengetragen
und in ihrem Buch „Ausgelacht“ auf knapp
100 Seiten veröffentlicht. Vorangestellt haben sie einen 30-seitigen Essay über den
zeitgeschichtlich bislang weitgehend unerforschten politischen Witz in der DDR
und die Sammelaktion des BND. An dieser
Stelle ist aber vorübergehend Schluss mit
lustig: Denn die Autoren berichten auch
über aktenkundige Fälle aus der Frühphase
der DDR, in denen das Erzählen eines politischen Witzes als „staatsfeindliche Hetze“
mit Zuchthaus bestraft wurde. Trotzdem
können die Leser anschließend wieder ohne
schlechtes Gewissen über die thematisch
sortierten Witze lachen. Denn die waren ein
kleiner, humoriger Akt der Distanzierung
und Rebellion gegen das totalitäre System.
www.mfn-wissensdinge.de
c h r i stoph h er bort - v on l oeper
Wir verlosen drei
Exemplare
von „Ausgelacht –
DDR-Witze
aus den
Geheimakten des
BND“
3 S. 48
c h r i stoph h er bort - v on l oeper
4/2015
LEIBNIZ | LEKTÜRE
Frank Bösch (Hg.):
Geteilte Geschichte
Ost- und Westdeutschland
1970-2000; 491 Seiten,
Vandenhoeck & Ruprecht,
Göttingen 2015; 34,99 Euro;
ISBN 978-3-525-30083-1
Hans-Werner Sinn:
Der Euro — Von der Friedensidee zum Zankapfel;
560 Seiten, Hanser Verlag,
München 2015; 24,90 Euro.
ISBN 978-3-446-44468-3
Abb: Carola Radke/MfN; V&R; C. Bertelsmann; Ch. Links Verlag; Nicolai Verlag; Hanser Verlag; rororo
Ingeborg Seltmann:
4/2015 Horst allein zu Haus; 384
Seiten, rororo, Reinbek
2015; 9,99 Euro
ISBN: 978-3-499-26953-0
Hans Joachim Schellnhuber:
Selbstverbrennung;
784 Seiten, C. Bertelsmann
Verlag, München 2015;
29,99 Euro
ISBN: 978-3-570-10262-6
Die geteilte Geschichte Deutschlands erschließt sich erst im Spannungsfeld von Abgrenzung und Verflechtung der beiden deutschen Staaten vollständig. Damit eröffnet
Frank Bösch den Band „Geteilte Geschichte.
Ost- und Westdeutschland 1970-2000“. Unter
dieser Prämisse reflektieren zwölf Aufsätze
historische Knotenpunkte beider deutscher
Staaten, die auch für die Entwicklung der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft zentrale
Herausforderungen und Themen darstellen.
Die Beiträge spannen den Bogen vom politischen und ökonomischen Wandel über Umwelt- und Bildungspolitik bis zur kulturellen
Bedeutung von Digitalisierung, Sport und
Massenmedien. Sowohl die transnationale
als auch zeitliche Perspektive, die das „Umbruchsjahr“ 1990 in das Narrativ integriert
und damit Kontinuitäten und Brüche stärker
in den Fokus bringt, eröffnen neue Einblicke
in die historische Entwicklung beider Staaten
und nicht zuletzt auf deutsche Befindlichkeiten nach der Wiedervereinigung. Damit gelingt dem Herausgeber und Autor Frank Bösch
vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in
Potsdam, eine komplexe Darstellung der Geschichte des geteilten Deutschlands für Zeithistoriker und für alle interessierten Leserinnen und Leser.
sabi n e m ü l l er
Von der Friedensidee zum Zankapfel – so beschreibt Hans-Werner Sinn die Geschichte des
Euros. Er spricht grundlegende Konstruktionsfehler des Euro-Systems an, dessen Spannungen sich vor allem in der jüngsten Krise in
Griechenland entladen. Zu groß sei das Gefälle
zwischen wirtschaftsschwachem Süden und
den reicheren Ländern im Norden, die die
Lasten des Südens mitverantworten müssen,
so der Präsident des ifo-Instituts – LeibnizInstitut für Wirtschaftsforschung. Bereits im
19. Jahrhundert sei in den USA erkennbar geworden, dass eine Vergemeinschaftung von
Schulden nicht funktioniere: Ausführlich be-
schreibt Sinn die damaligen Schuldenexzesse
und Pleiten einzelner Mitgliedsstaaten. Heute
könnte die Verschuldung Griechenlands ein
ähnliches Finanzchaos wie damals erzeugen.
Der Ökonom kritisiert aber nicht nur, er präsentiert auch Lösungsvorschläge: Er fordert
einen Schuldenschnitt für Griechenland und
verlangt nach dem Vorbild der heutigen USA
ein striktes Verbot der Haftung des Bundes
und der Notenbank für verschuldete Gliedstaaten. In einer „atmenden Eurozone“ könnten schwächelnde Mitgliedsstaaten zeitweilig austreten, ohne dass eine anschließende
Rückkehr ausgeschlossen sei. l en a l ei sten
Dass Ingeborg Seltmann nicht nur als Museumspädagogin abwechslungsreich durch das
Germanische Nationalmuseum in Nürnberg
führen kann, sondern auch unterhaltsame Romane schreibt, beweist sie mit ihrem neuen
Buch „Horst allein zu Haus“. Die Protagonistin
Gabi ist gerade erst 60 geworden und fühlt
sich noch zu jung, um in Rente zu gehen. Sie
liebt ihren Job in der Buchhandlung, doch das
Problem ist ihr Mann Horst. Seit kurzem in
Rente, möchte der mehr Zeit mit Gabi verbringen, endlich leben, am besten auf einer langen Kreuzfahrt. Nun ja, für den Anfang muss
erst einmal ein Tangokurs reichen. Die älteste
Tochter hingegen benötigt dringend Unter-
stützung mit dem ersten Kind. Da Horst an der
Volkshochschule über „etruskischen Bergbau“
referiert, bricht Gabi allein zur Tochter nach
Berlin auf. Nur um von dort dann direkt zur
Frankfurter Buchmesse zu reisen. Und in der
ganzen Zeit ist Horst allein zu Haus…
Ingeborg Seltmann schreibt mit Humor
und Augenzwickern über die alltäglichen Herausforderungen einer Frau, die sich noch lange nicht alt genug fühlt, um mit Senioren über
den Atlantik zu schippern. In kurzen Kapiteln
begleitet der Leser Gabi durch ihren turbulenten Alltag, der dieses Buch dank des ganz
alltäglichen Wahnsinns zu einer kurzweiligen
Lektüre macht.
an n a r äm i sc h
Das Jahr 2015 war das vorerst wärmste seit
Beginn der Wetteraufzeichnung. Damit hatte
wohl der Klimawandel selbst ein Möglichkeitsfenster geöffnet, um im Dezember in Paris zu einem neuen Weltklimavertrag zu kommen, der die klimapolitische Zielmarke von
zwei Grad maximaler Erderwärmung deutlich unterbietet. Pünktlich vor Beginn dieser
21. UN-Klimakonferenz hat der Direktor des
Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung,
Hans Joachim Schellnhuber, sein eigenes „Vermächtnis“ vorgelegt. Auf rund 700 Seiten ist
das unmissverständlich mit „Selbstverbrennung“ betitelte Buch ein Plädoyer für den
Schutz des Klimas. Schellnhuber vermittelt
dabei für Laien verständliche wissenschaftliche Grundlagen der Klimaforschung und
zeichnet die Entstehungsgeschichte seiner
eigenen Fachdisziplin nach. Zugleich ist es
die Autobiographie einer beeindruckenden
Forscher- und Beraterpersönlichkeit, die auch
eindrucksvolle und mitunter erschreckende
Innenansichten der internationaler Klimadiplomatie erlaubt. Denn Schellnhuber war lange
der klimapolitische Chefberater der Bundesregierung und in dieser Funktion auch an etlichen internationalen Klimaverhandlungen
indirekt beteiligt. c h r i sti an kobsd a
51
N
L EA ICBHNRI Z
I C |H TLEENU T E
Die besten Absolventen unter
den Doktoranden und Auszubildenden hat die LeibnizGemeinschaft während ihrer
Jahrestagung Ende November in
Berlin ausgezeichnet. Für ihre
herausragenden Dissertationen
erhielten Dr. Tobias Stöhr vom
Institut für Weltwirtschaft in Kiel
und Dr. Judith Mylius vom Leibniz-Institut für Neurobiologie in
Magdeburg den Nachwuchspreis
der Leibniz-Gemeinschaft. Als
beste Auszubildende wurde die
Biologielaborantin Lisa-Marie
Johannssen vom Forschungszentrum Borstel – Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften geehrt.
52 Tobias Stöhr analysierte in seiner Dissertation verschiedene
soziale und ökonomische Effekte
internationaler Arbeitsmigration
aus Sicht von Migranten und ihrer Familien. Dabei zeigte er, dass
es unter Geschwistern häufig
einen starken Spezialisierungseffekt gibt; wenn ein Geschwisterteil ins Ausland geht, kompensieren die zurückbleibenden
Familienmitglieder deren Ausfall
bei der Pflege der Eltern. Tobias
Stöhr fand auch heraus, dass ein
Weggang von Familienmitgliedern nicht wie oft befürchtet
negative Konsequenzen haben
muss. Ein erhöhtes Einkommen
durch Geldüberweisungen der
im Ausland arbeitenden Kinder
kann das Leben der Eltern im
Herkunftsland verbessern. Weniger Aufwand für die Selbstversorgungslandwirtschaft verschafft ihnen außerdem mehr
Zeit für Erholung und soziale
Kontakte.
Judith Mylius hat in ihrer
Doktorarbeit den Zusammenhang verschiedener kognitiver
Prozesse wie Hörverständnis,
Motivation und Aufmerksamkeit im Gehirn untersucht.
Durch
Verhaltensexperimente mit Langschwanz-Makaken
zeigte sie, dass der Botenstoff
Dopamin das Hörzentrum in
der Großhirnrinde beeinflusst
und ein motiviertes Individuum
besser hört, da die Nervenzellen durch das Dopamin Signale
besser verarbeiten können. Mit
der Beantwortung dieser alten
neurobiologischen Frage eröffnen sich neue Behandlungswege
für Menschen mit Lernstörungen
aufgrund einer Degeneration
des Dopamin-Systems mit Tiefer Hirnstimulation. Durch die
Verwendung nicht-menschlicher
Primaten statt Nagern als Tiermodell ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, dass Mylius‘
Erkenntnisse besser und schneller auf den Menschen übertragen
werden können.
Für ihre sehr guten Leistungen in
der Berufsschule und ihre Arbeit
an den Instituten, ihr Engagement bei der Unterstützung von
Mitschülern und ihren Einsatz
in der Berufsinformation von
potenziellen
Auszubildenden
wurde Lisa-Marie Johannssen
mit dem Leibniz-Auszubildendenpreis prämiert. Der zweite
Preis ging an Carolin Stolpe, die
eine Ausbildung zur Fachangestellten für Markt- und Sozialforschung am Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung in der forschungsbasierten Infrastruktureinrichtung Sozio-ökonomisches
Panel (SOEP) absolvierte. Sie
überzeugte unter anderem durch
die weitgehend selbstständige
Umsetzung der jährlichen Nutzerbefragung 2014 des SOEP bei
rund 2000 Forscherinnen und
Forschern. Platz drei belegte der
Physiklaborant Marc Möbis vom
Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie in Berlin. Er war nicht nur
Jugendauszubildenden-Vertreter
im Betriebsrat, sondern hielt
bereits während der Ausbildung
Fachvorträge für Technikerschulungen des MBI und war in der
Außendarstellung des Instituts
engagiert.
www.leibniz-gemeinschaft.de/
ueber-uns/auszeichnungen/
Fotos: Peter Himsel; Phatcharin Tha-in; Manuela Köhler; MWFK Brandenburg; IPK
Ausgezeichnet
4/2015
LEIBNIZ | LEUTE
Dr. Andreas Walther vom DWI
– Leibniz-Institut für Interaktive
Materialien in Aachen erhält einen „Starting Grant“ des Europäischen Forschungsrats (ERC). Der
Chemiker forscht an intelligenten Nanostrukturen. In seinem
ERC-Projekt will er die zeitliche
Kontrolle über Materialstrukturen betrachten und künstliche
Materialien entwickeln. Bei diesen sollen nach dem Vorbild des
menschlichen Körpers einzelne
Komponenten im Laufe der Zeit
neu entstehen, sich verändern
oder auflösen. Derartige Materialien könnten vielseitigen Einsatz
finden – zum Beispiel als temporäre Datenspeicher, als Trägermaterialien für medizinische
Wirkstoffe oder Biosensoren.
Nach seiner Promotion an der
Universität Bayreuth und Postdoc-Stationen in Finnland leitet
Andreas Walther seit 2011 eine
Nachwuchsgruppe am DWI.
4/2015 Seit dem 1. November 2015 ist
Prof. Dr. Stefan Eisebitt Direktor
am Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) in Berlin. Der Physiker ist seit 2008 Inhaber einer
Strukturprofessur an der Technischen Universität Berlin für das
Fachgebiet
„Nanometer-Optik
und Röntgenstreuung“. Besonders bekannt ist Stefan Eisebitt
für seine Entwicklungen zur resonanten Röntgenholografie, die
zum Beispiel zeitaufgelöste Aufnahmen ultraschneller Magnetisierungsvorgänge ermöglicht.
Neben seiner fortdauernden Tätigkeit an der TU Berlin vertritt
er am MBI das Fachgebiet „Experimentelle Physik mit Schwerpunkt Laserphysik“.
Mit dem Postdoc-Preis des Landes Brandenburg in der Kategorie Sozial- und Geisteswissenschaften ist Dr. Franziska
Rehlinghaus vom Zentrum für
Zeithistorische Forschung in
Potsdam ausgezeichnet worden. In ihrer prämierten Arbeit
beschäftigt sich die Historikerin
mit der Frage, wie es den protestantischen Kirchen gelingen
konnte, im Deutschland des 19.
Jahrhunderts die Deutungshoheit über Bestattung und Tod
wiederzuerlangen und ihre rituelle Gestaltung weitestgehend
konkurrenzlos an sich zu ziehen.
Der Brandenburger PostdocPreis wird jährlich in zwei Kategorien verliehen, die mit jeweils
20.000 Euro Preisgeld dotiert
sind.
Einen „Consolidator Grant“ hat erforschte Prozess soll neue
der Europäische Forschungs- Ansätze zur Ertragssteigerung
rats (ERC) PD Dr. Thorsten eröffnen. Ährchen bezeichnen
Schnurbusch vom Leibniz-­den Blütenstand entlang einer
Institut für Pflanzengenetik Getreideähre, in denen sich
und Kulturpflanzenforschung später die einzelnen Körner
(IPK) in Gatersleben zugespro- entwickeln. Bekannt ist, dass
chen. Mit seinem Forschungs- dieser Wachstumsprozess der
projekt möchte der Leiter der Pflanze und damit die Anzahl
Arbeitsgruppe Pflanzliche Bau- der späteren Körner genetisch
pläne am IPK die Entwicklung begrenzt wird. Unklar ist jevon Getreideährchen bei G
­ erste doch, wie genau diese Prozesse
auf molekularer Ebene unter- auf mole­kularer Ebene gesteusuchen. Dieser bisher kaum ert werden.
53
LEIBNIZ | LEUTE
Der langjährige Direktor des Max-Born-Instituts für Nichtlineare
Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) in Berlin, Prof. Dr. Wolfgang Sandner, ist am 5. Dezember völlig unerwartet im Alter
von 66 Jahren gestorben. Der Laserphysiker war von 1993 bis
2013 MBI-Direktor. Anschließend engagierte er sich als Generaldirektor beim Aufbau der Extreme Light Infrastructure (ELI),
einer gemeinsamen europäischen Anstrengung, in der die weltweit intensivsten Laser eingesetzt werden sollen. Noch im November konnte er die Einweihung der Gebäude des Forschungszentrum ELI-Beamlines in Dolní Břežany (Tschechien) feiern.
Von 2003 bis 2013 war Sandner Koordinator des Netzwerks
„Laserlab Europe“ der 30 größten Laserforschungseinrichtungen Europas, von 2010 bis 2012 fungierte er als Präsident der
Deutschen Physikalischen Gesellschaft.
54 Prof. Dr.-Ing.
­Matthias Wessling
hat die Position des
stellvertretenden
wissenschaftlichen
Direktors am DWI –
Leibniz-Institut für
Interaktive Materialien in Aachen
übernommen. Seit
2010 forscht er als
Alexander-vonHumboldt-Professor
in Aachen, wo er den
Lehrstuhl für Chemische Verfahrenstechnik an der RWTH
inne hat.
Dr. Kristin
­Mühlen­bruch ist für
ihre Dissertation am
Deutschen Institut
für Ernährungsforschung PotsdamRehbrücke (DIfE)
mit dem Nachwuchswissenschaftlerinnen-Preis des
Forschungsverbunds
Berlin ausgezeichnet worden. Ihre
Arbeit hat wesentlich
dazu beigetragen,
den von DIfEWissenschaftlern
erstellten Risiko-Test
für Typ-2-Diabetes
weiterzuentwickeln.
Dieser leistet einen
wichtigen Beitrag zur
Diabetesprävention.
Am 1. Oktober 2015
hat Prof. Dr. Markus
Meier die Leitung
der Sektion Physikalische Ozeanographie
und Messtechnik
des Leibniz-Instituts
für Ostseeforschung
Warnemünde (IOW)
übernommen. Zuvor
arbeitete der Experte
für theoretische
Ozeanographie und
Klimamodellierung
am Schwedischen
Meteorologischen
und Hydrologischen
Institut. Mit dem
Wechsel ans IOW
übernimmt Meier
auch eine Professur
für Ozeanographie
an der Universität
Rostock.
Prof. Dr. med.
­Mircea Ariel
Schoenfeld von der
Universitätsklinik für
Neurologie Magdeburg und stellvertretender Direktor
der Abteilung für
Verhaltensneurologie
am Leibniz-Institut
für Neurobiologie hat
für seine wissenschaftlichen Arbeiten
zur bislang unheilbaren degenerativen
Nervenerkrankung
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) den
„Christa Lorenz-ALSForschungspreis
2015“ erhalten. Der
mit 15.000 Euro
dotierte Forschungspreis wird von der
Stiftung für medizinische Wissenschaft
vergeben.
4/2015
Fotos: Buck Institute for Research on Aging; privat; Ralf Günther; DWI; PRO MAGDEBURG; Ralf Günther; IOW
Der Stammzellforscher Prof. Dr.
Heinrich Jasper vom Buck Institute for Research on Aging (USA)
erhält eine Alexander von Humboldt-Professur, für die ihn das
Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut
und die Friedrich-Schiller-Universität Jena vorgeschlagen haben.
Jasper gilt als einer der führenden
Experten in der Stammzell- und
Alternsforschung. Seine Kenntnisse über die Signalwege, die
im Alter und bei Entzündungen
zur Hemmung der Stammzellfunktion und des Organerhalts
führen, sollen den Hauptschwerpunkt der Alternsforschung
in Jena stärken. Die Alexander
von Humboldt-Professur ist der
höchstdotierte Forschungspreis
Deutschlands und soll internationale Spitzenforscher an deutsche
Universitäten holen.
Dr. Tine Hanrieder, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Global Governance am
Wissenschaftszentrum Berlin für
Sozialforschung (WZB), hat den
mit 10.000 Euro dotierten Berliner Nachwuchspreis erhalten. Die
Politikwissenschaftlerin wird für
ihre Arbeiten zu globaler Gesundheitspolitik ausgezeichnet, in
denen sie unter anderem die Geschichte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nachzeichnet
und Gründe für das Scheitern von
Reformen aufzeigt. Der Berliner
Nachwuchspreis wird zusammen
mit dem Berliner Wissenschaftspreis des Regierenden Bürgermeisters vergeben und zeichnet
innovative Forschungsansätze in
einem Zukunftsfeld mit besonderem Nutzen für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort
Berlin aus.
Ausstellung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt
Eine Expedition
durch die Biodiversität
19. Februar bis 26. Juni 2016
NaturMuseuM
FraNkFurt aM MaiN
seNckeNbergaNlage 25
60325 FraNkFurt aM MaiN
4/2015 www.vielfalt-zaehlt.de
55
Aus dem Hause
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