„In unserer Epoche des großen Kampfes um die neue Kunst streiten wir als ›Wilde‹, nicht Organisierte gegen eine alte, organisierte Macht. Der Kampf scheint ungleich; aber in geistigen Dingen siegt nie die Zahl, sondern die Stärke der Ideen. Die gefürchteten Waffen der ›Wilden‹ sind ihre neuen Gedanken; sie töten besser als Stahl und brechen, was für unzerbrechlich galt.“ (Franz Marc) 1 Max Ackermann (Berlin 1887 - 1975 Unterlengenhard) Hymne. Pastell auf Velin, unten links mit Bleistift signiert und datiert, 1956. 35 : 25 cm. Von schöner Erhaltung. Provenienz: Nachlass Max Ackermann; Galerie Döbele, Stuttgart; Galerie Baukunst, Köln; Privatsammlung Westfalen. Das Pastell ist im Max-AckermannArchiv unter der Nummer ACK 3324 registriert. „Die Entwicklung abstrakter Malerei in Deutschland ist dominiert durch zwei ganz unterschiedliche Schulen, die viele andere Innovationen bündelte: das Bauhaus in Dessau/Weimar und die Hölzel-Klasse an der Stuttgarter Akademie. Mehr oder weniger sind alle formalen und strukturellen Überlegungen, die abstrakten Arbeiten der Zeit zugrunde liegen, von diesen Lehren geprägt. Waren es im Bauhaus vor allem Ideen, die den Kunstbegriff erweiterten, Gebrauchskunst und Architektur mit der ‚hohen Kunst‘ versöhnten, deren kunsttheoretisch formale und ästhetische Problemlösungen den intellektuellen Künstler forderten, war im Gegensatz hierzu die Schule Adolf Hölzels auf dem ‚Erlebnis Kunst‘ aufgebaut. Vielleicht ist dieser mehr emotionale Ansatz auch der Grund für die verzögerte Rezeption der Hölzel-Lehre. Während das Bauhaus, seine Lehrer und Schüler heute international durchgesetzt und respektiert sind, ist der Kreis um Hölzel bisher - zu Unrecht - noch eine nationale Diskussion. Auch die Wirkung Max Ackermanns hängt wesentlich mit diesem Phänomen zusammen.“1 1 Bayer, Rudolf, Max Ackermann 18871975. Bilder aus siebzig Jahren. Retrospektive zum 20. Todestag. Bietigheim-Bissingen 1995. S. 9 2 „. . . ich erkannte, daß der Gegenstand ein Hemmnis für freie Gestaltung wurde. Ich hob die Musik heraus, lauschte auf musikalische Gesetze, bis ich endlich eine Verwandtschaft von Malerei und Musik feststellte. „ (Max Ackermann) 3 Max Beckmann (Leipzig 1884 - 1950 New York) Die Seiltänzer. Kaltnadelradierung auf Japan, mit Bleistift signiert, 1921. 25,8 : 25,7 cm auf 54,2 : 38,4 cm. Werkverzeichnis: Hofmaier 198 II B b. Eins von 75 Exemplaren auf Japan, dazu 125 auf Bütten. Blatt 8 der Mappe „Der Jahrmarkt“. Herausgegeben vom Verlag der Marées Gesellschaft München (mit deren Trockenstempel). Ganz ausgezeichneter, herrlich kräftiger und gratiger, in den Schwärzen sehr schön samtiger Druck mit dem vollen Rand und nur unmerklichen Altersspuren. Provenienz: Sammlung Samuel Montealegre (Maler und Kunstkritiker), Rom; Galleria Giulia; Rom; Privatsammlung Rom. 4 „Die Sympathie für das fahrende Volk scheint Beckmann von seinem Vater geerbt zu haben. In einem Brief an seinen Verleger Reinhard Piper, den Auftraggeber der Graphikfolge >Jahrmarkt<, erzählt er am 1. Juni 1921, sein Vater habe einmal den leider nicht realisierten Plan gehabt, sich einen Wohnwagen (>so wie ihn die kleinen Artisten haben<) zu kaufen und mit ihm von Stadt zu Stadt zu ziehen. Er selbst, so fährt Beckmann fort, freue sich >nun darauf von einer Kupferplatte zur anderen zu reisen<. Die Stationen dieser Reise waren die (zunächst) neun Platten, die der Künstler bereits im Mai in verschiedenen Größen bestellt hatte, >da immer ein und dasselbe Format für den Beschauer wie für den Produzenten etwas langweilig ist.< Im Juli nahm Beckmann die noch unbearbeiteten Platten nach Graz mit, wo er seine Frau Minna, die seit 1918 Sängerin am Grazer Opernhaus war, besuchte. Von hier aus ist Beckmann - vermutlich mit Minna - nach Wien gereist und hat dabei wohl auch sein Vorhaben wahrgemacht, den Prater zu besuchen. In Graz radierte Beckmann während des Sommers die neun mitgebrachten Platten, wobei sich sein Aufenthalt bis Oktober verlängerte, da Minna schwer erkrankte. Nach Frankfurt zurückgekehrt, kam er Pipers Wunsch nach, noch zwei weitere Jahrmarktszenen zu schaffen. Davon sollte eine die etwas aus dem Rahmen fallende Darstellung >Ringkämpfer< ersetzen, die andere die Folge auf zehn Blätter erweitern. [...] Die ungeklärte Beziehung zu Minna, von der Beckmann seit 1915 weitgehend getrennt lebte, die er aber nach wie vor verehrte, ja liebte, ist auch für das Blatt >Seiltänzer< von Bedeutung. Das Exemplar für Minna versah Beckmann mit der Bemerkung, dies sei ihrer beider Bildnis. Mann und Frau vollführen einen gefährlichen Balanceakt mit ungewissen Ausgang. Die Artistin übt ihre Kunst mit großer Sicherheit aus. Ihr Unterleib fällt optisch mit der Achse des Riesenrades zusammen, das für das Auf und Ab des Lebens steht. Die Schößchen des Rockes wirken wie Speichen des Rades und auch der Sonnenschirm, der doch dem Gleichgewicht dienen soll, scheint zu rotieren. Der Mann - blind durch ein übergehängtes Tuch - läuft von rechts auf die Frau zu und ist ihr bereits bedenklich nahe. Die Mondsichel in seinem Rücken bringt das Traumwandlerische dieses Schauspiels zum Ausdruck. [...] Beckmanns >Jahrmarkt< ist ein graphisches Meisterwerk. Diese Folge ist gelöster, heiterer als die >Hölle< oder die >Stadtnacht<. Und dennoch ist sie von tiefem Ernst erfüllt. Sensibel rückt Beckmann Aspekte der menschlichen Existenz, des Künstlerdaseins und insbesondere auch seiner ganz persönlichen Situation ins Blickfeld.“1 1 Max Beckmann. Druckgraphik 19141924. Katalog der Ausstellung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe 2005. S. 112 ff 5 Charlotte Berend-Corinth (Berlin 1880 - 1967 New York) Ohne Titel (Liegender weiblicher Akt). Tuschpinselzeichnung auf Velin, mit Bleistift signiert, ohne Jahr (19081914?). Ca. 32 : 27,8 cm (Papierformat; etwas unregelmäßig beschnitten). Verso Montierungsspuren, sonst sehr schön erhalten. Provenienz: Unbekannte Privatsammlung: verso Sammlungsstempel R CF über Krone (nicht bei Lugt); Privatsammlung Westfalen. Die Zeichnung könnte in Zusammenhang mit dem Gemälde „Die schwere Stunde“ aus dem Jahr 1908 stehen, zu dem auch eine Ölstudie existiert. „Charlotte Berend-Corinth stellte seit 1906 regelmäßig in den Ausstellungen der Berliner Secession aus und wurde 1911 als Mitglied aufgenommen, seit 1915 arbeitete sie in der Jury und in den zwanziger Jahren im Vorstand der Berliner Secession mit. 1908 erregte sie mit dem großformatigen Gemälde >Schwere Stunde<, der Darstellung einer Geburtsszene, großes Aufsehen und löste [...] heftige Reaktionen aus, die von Else Laske-Schülers begeisterter Besprechung bis zu scharfen Ablehnungen durch konservative Kritiker reichten.“ 1 Ebenso könnte die Künstlerin durch ihren Mann inspiriert worden sein, das sich Corinth ab 1914 mehrfach mit dem Thema Joseph und Potiphars Weib auseinandersetzte. Charlotte Berend-Corinth, Die schwere Stunde. Öl auf Leinwand 1907/1908. Verschollen Charlotte Berend-Cornith, Die schwere Stunde. Öl auf Pappe 1908. Lentos Kunstmuseum Linz Lovis Corinth, Potiphars Weib. Aquarell und Tusche 1914. Kunsthalle Mannheim 1 Hofmann, Karl-Ludwig, Charlotte Berend-Corinth - Lovis Corinth. Ein Künstlerpaar im Berlin der Klassischen Moderne. Katalog der Ausstellung im Reuchlinhaus Pforzheim 2005. S. 6 f. 6 7 Émile Bernard (Lille 1868 - 1941 Paris) Ohne Titel (Liegender weiblicher Akt) Kohle und Pastellkreidezeichnung auf bräunlichem Papier, mit Kohle monogrammiert, um 1886/89. 15 : 44 cm auf 31 : 48,4 cm. Verso mit einer angefangenen Bleistiftstudie sowie dem roten Stempel der Sammlung Jung. Verso Montierungsreste, sonst nur geringfügige Altersspuren Provenienz: Sammlung Richard Jung, Freiburg. Jung (1911 - 1986) war ein bedeutender Neurologe und auch Zeichnungssammler. Die Staatsgalerie Stuttgart besitzt einen Teil seines Vermächtnisses an Zeichnungen des 16. bis 18. Jahrhunderts; Privatsammlung Westfalen Vorliegende Zeichnung wird im Kontext mit einem ursprünglich dreiteiligen Fries für das Gartenatelier Bernards entstanden sein. Die Bilder wurden vor 1901 einzeln an Ambroise Vollard verkauft und gelangten in verschiedenen Besitz. Auf dem im Pariser Musée d‘Orsay befindlichen linken Teil befindet sich ungefähr in der Bildmitte ein liegender Akt, der in sehr ähnlicher Haltung (mit angewinkeltem Bein, ein Arm vor dem Gesicht), nur spiegelbildlich zu unserem dargestellt ist. Der Katalog der Bremer BernardAusstellung1 zeigt ein großes Studienblatt mit Akten, das der Künstler während seiner Studienzeit bei Cormon in Kreide und Tusche geschaffen hat. Es bildet wohl den Auftakt zu einer Serie großformatiger Akte, die, angeregt durch Tizian und Michelangelo, in dem Bild „Nach dem Bad“ von 1908 seine Fortsetzung findet. Auch hier zeigt der mittlere Akt eine ähnliche Haltung wie auf unserer Zeichnung. 1 Hansen, Dorothee, Hrsg., Emile Bernard. Am Puls der Moderne. Katalog der Kunsthalle Bremen 2015. S. 138 8 Biographie 1868 geboren am 28. April in Lille 1878 die Familie zieht nach Paris 1884 Bernard wird in das Atelier des Malers Fernand Corman aufgenommen; dort trifft er u. a. auf ToulouseLautrec 1886 wird aus dem Atelier Cormon verwiesen; sechsmonatige Fußwanderung durch die Bretagne; lernt in Pont-Aven Paul Gauguin kennen; lernt Van Gogh kennen 1887 besucht Signac in dessen Atelier; Zusammenarbeit mit Van Gogh 1888 Beginn des intensiven Briefwechsel mit Van Gogh; Aufenthalt in Pont-Aven; enge Zusammenarbeit mit Gauguin 1890 ist bei Van Goghs Beerdigung anwesend, wo er Andries Bonger, den Schwager Theo van Goghs kennenlernt, der sein Mäzen wird 1891 Bruch zwischen Bernard und Gauguin 1892 Besuch von Renoir in PontAven 1893 fährt nach Italien, um die alten Meister zu studieren; von dort weiter nach Konstantinopel; Reise nach Jerusalem und in das Nildelta 1894 heiratet die 15-Jährige Hanenah aus Kairo 1896 Reise nach Andalusien; die Familie ist nahezu mittellos 1897 Rückkehr nach Ägypten; Ausstellung bei Vollard in Paris 1898 verkauft aus finanzieller Not Werke von van Gogh und Gauguin 1901 Ausstellung bei Vollard 1904 Rückkehr nach Frankreich; besucht Cézanne in Aix-en-Provence Ausstellung in der Galerie BernheimJeune 1905 zweiter Besuch bei Cézanne 1911 erbt das Vermögen des Vaters 1922-1926 Aufenthalt in Venedig 1940 Aufnahme in die Académie des Beaux-Arts 1941 stirbt am 16. April; auf der Beerdigung in Saint-Louis-en-l‘Isle hält Maurice Denis die Trauerrede „Ich träumte davon, einen hieratischen Stil zu schaffen, der über den Modernismus und die Realität des Alltags hinaus geht. Die Vorgehensweise und die Inspiration muß man bei den Primitiven suchen; technisch muß man mit knappen Mitteln vorgehen; die Linie sollte nur dazu dienen, die Form zu definieren, während die Farbe Seinszustände wiedergibt. Mit einem Wort, es galt, einen Stil zu schaffen, der wirklich zu unserem Zeitalter gehörte.“ (Émile Bernard 1891) Émile Bernard, Badende mit roter Kuh. Öl auf Leinwand 1889. Musée d‘Orsay, Paris Émile Bernard, Nach dem Bad (Die Nymphen). Öl auf Leinwand 1908. Musée d‘Orsay, Paris 9 Émile Bernard (Lille 1868 - 1941 Paris) Genua Lavierte Tuschpinselzeichnung in braun auf festem bräunlichen Papier, mit Pinsel signiert und betitelt, 1893. 34,8 : 25 cm. Bis auf leichte Randmängel sehr gut erhalten. Verso mit Marginalien und einem Pariser Zollstempel. Provenienz: sammlung Westfälische Privat- Graf Antoine de La Rochefoucauld, Mäzen Bernards, ermöglichte es dem Künstler, 1893 nach Italien zu reisen, um die alten Meister kennenzulernen. Ende März besucht er die Sixtinische Kapelle, anschließend reist er für einen Monat nach Florenz. Im Mai fährt Bernard nach Genua, von dort geht es nach Konstantinopel. „Seine Reise nach Italien im Frühjahr 1893 öffnete Emile Bernard die Augen noch weiter für die >Primitiven<. In Rom enttäuschte ihn Michelangelo, der >kein Mystiker ist so wie ich es verstehe<. Seine Leidenschaft galt Giotto, Taddeo Gaddi, Lippo Memmi, Orcagna und vor allem Fra Angelico in Florenz, eine Vorliebe, zu der die Anwesenheit von Paul Sérusier und Jan Verkade in Florenz beigetragen haben dürfte. In begeisterten Briefen versuchte er, das Missverständnis auszuräumen, dass die >Primitiven< ignorant seien. Was diese Künstler geleistet hätten, sei das Weiterreichen der >synthetischen Bildformeln einer ganzen Zivilisation<, die ihrerseits wiederum die Errungenschaften älterer Zivilisationen einbegriffen hätten. Das führe dazu, dass >in diesen alten Genies das Sublime vollständiger enthalten ist und uns mehr beeindruckt.<“1 1 Hansen, Dorothee, Hrsg., Emile Bernard. Am Puls der Moderne. Katalog der Kunsthalle Bremen 2015. S. 55 10 11 Pierre Bonnard (Fontenay-aux-Roses 1867 - 1947 Le Cannet/Cannes) Blick auf Köln vom Mülheimer Rheinufer aus Recto: Ohne Titel (Vue de Cologne depuis la rive droite du rhin/Blick auf Köln vom Mülheimer Rheinufer aus) Verso: Ohne Titel (Alfred Charles Edwards am Bug seines Schiffes) Bleistiftzeichnung auf Papier, mit dem roten Monogramm-Stempel (Lugt 3887), 1905/1906. 9,3 : 12 cm Schwach randgebräunt, einige wenige Braunfleckchen, verso kleine Montierungsspuren. Provenienz: Nachlass Pierre Bonnard; Sammlung Charles Terrasse; Sammlung Antoine Terrasse, Paris Ausstellungen: • Pierre Bonnard. Palazzo Reale. Mailand 1988/1989 • Pierre Bonnard. Magier der Farbe. Von der Heydt-Museum Wuppertal 2010 Literatur: • Terrasse, Antoine, Bonnard. Paris 1988. Abbildung auf Seite 255 (hier noch betitelt: „Amsterdam“ ou „L’Église“ und datiert 1905) • Terrasse, Antoine, Bonnard. Köln 1989. Abbildung auf Seite 255 (hier noch betitelt: „Amsterdam“ oder „Die Kirche“ und datiert 1905) • Pierre Bonnard. Katalog der Ausstellung im Palazzo Reale. Mailand 1988/1989. Abbildung auf Seite 127 (hier datiert auf Juli/August 1906) • Pierre Bonnard. Katalog der Ausstellung im von der Heydt-Museum Wuppertal 2010. Mit Abbildungen auf Seite 90 und 221 Weiterführende Literatur: • Terrasse, Antoine, Bonnard Illustrateur. Catalogue raisonné. Paris 1988 • Bernier, Georges, La Revue blanche. Paris 1991. • „Misia. Reine de Paris.“ Katalog 12 der Ausstellung im Musée d’Orsay, Paris 2012 und im Musée Bonnard, Le Cannes 2012/13. • Pierre Bonnard. Peindre l’Arcadie. Katalog der Ausstellung im Musée d’Orsay 2015 Zur Provenienz: Antoine Terrasse (1928-2013) war der Grossneffe des Künstlers und ausgewiesener Bonnard-Experte. Als solcher veröffentlichte er 1964 seine erste Monographie über ihn, kuratierte die Bonnard-Retrospektiven in der Orangerie des Tuileries 1967, ebenso die in Tokyo 1968, in New York 1969, im Centre Pompidou 1984 sowie im Musée d‘ Art Moderne de la Ville de Paris 2006. Die große Bonnard-Retrospektive 2015 im Musée d‘Orsay (die anschliessend in Madrid und 2016 San Francisco gezeigt wird), ist Antoine Terrasse gewidmet. Die meisten Arbeiten Bonnards hatte Antoine von seinem Vater Charles Terrasse geerbt, der sie wiederum aus dem Nachlass Bonnards erhalten hatte. Teile seiner grossen Sammlung, wie die Fotoplatten Bonnards, vermachte Antoine zu Lebzeiten dem Musée d‘ Orsay, von anderen Werken - so auch unserer Zeichnung - trennte er sich nie. recto 13 Pierre Bonnard (Fontenay-aux-Roses 1867 - 1947 Le Cannet/Cannes) Blick auf Köln vom Mülheimer Rheinufer aus Zur Entstehungsgeschichte: Pierre Bonnard schuf 1894 ein Plakat für die „Revue Blanche“, einer bedeutenden künstlerisch-literatischen Zeitschrift. Deren Direktor Thadée Natanson hatte 1893 Misia Godebska geheiratet. Misia gilt als DIE Muse der „Nabis“, sie heiratete 1905 den Milliardär Alfred Charles Edwards. Im Sommer des folgenden Jahres lud das Ehepaar u. a. Bonnard und Maurice Ravel auf ihre Yacht “L’Aimée“ ein, um über Kanäle und Flüsse durch Belgien, Holland und Deutschland zu reisen. Bei dieser Gelegenheit zeichnete Bonnard das Kölner Panorama vom Mülheimer Ufer aus. „In den Jahren 1905 und 1906 folgen Reisen nach Belgien und Holland, an Bord der Yacht Missas, die inzwischen Alfred Edwards geheiratet hatte, den Eigentümer von Le Matin, der einflussreichen Zeitung der Jahre. Einige kleine Bilder rufen diese Reise auf der Yacht Aimée (M für Misia, E für Edwards) wieder in Erinnerung. Außerdem existieren zwei Notizbücher mit Skizzen, in denen hier und da die Namen der angelaufenen Städte angegeben sind: Givet, Lüttich, Dordrecht. Das war im Juni 1905 und in Begleitung von Pierre Lapidare und Maurice Ravel; und noch einmal im Juli-August 1906. Das weiße Boot bewegte sich ruhig auf der Maas voran. Bonnard betrachtete die Landschaft entlang der Ufer, die Städte in der Ferne. Schließlich der große Hafen: Amsterdam. Entsprechend häufen sich die Notizen und bald Erinnerungen, die ihm zwei Jahre später erlauben sollen, den Bericht des Freundes Oktave Mirabeau über seine Reise nach Belgien und Holland zu illustrieren.“ 1 1 Terrasse, Antoine, Pierre Bonnard. Leben und Werk. Köln 1989. S. 88 f 14 Misia und Alfred Charles Edwards an Deck ihrer Yacht 1906 Foto: Pierre Bonnard Musée d’Orsay Paris, Schenkung Antoine Terrasse 1992 Der berühmte französische Schriftsteller Oktave Moreau bat Bonnard 1907, seinen Roman „La 628-E8“ zu illustrieren. Der Erzähler fährt in dem Buch in seinem Auto, einem Charon mit dem Kennzeichen 628-E8, durch Belgien, Holland und Deutschland, wobei das Auto die Hauptperson der Handlung ist. In dem Kapitel „Bords du Rhin“ (Rheinufer) gelangen die Protagonisten auch nach Köln, wozu Bonnard eine ebenfalls den Dom zeigende Illustration schuf. verso 15 Georges Braque (Argenteuil-sur-Seine 1882 - 1963 Paris) Tête en profil et l’étoile. Farbaquatintaradierung auf festem Vélin, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1960. 29,5 : 24,5 cm auf 38 : 28,5 cm. Eins von 50 Exemplaren. Werkverzeichnis: Vallier 152. Für die Vorzugsausgabe von: Christian Zervos, Georges Braque, Nouvelles Sculptures et Plaques gravées. Paris, Albert Morancé, 1960. Mit dem Trockenstempel „Libreria Prandi Reggio E.“ Links und rechts am äußersten Rand kleine Spuren alter Rahmung, verso Montierungsreste, insgesamt aber schön erhalten. Provenienz: Privatsammlung München. „Man sollte einmal die Spätwerke der großen Meister zusammenstellen - ich denke an Matisse und Léger, Picasso und Braque, Klee und Kandinsky und nach ihrer inneren Übereinstimmung befragen. Man würde lapidare Antworten erhalten. Das Nebensächliche ist weggefallen, der Kontur gestrafft und doch geschmeidig, die Fläche zum vollen Klang ausgereift. Ich denke an die Velasquez-Huldigungen von Picasso, an die Bauleute und Akrobaten von Léger, an die sinnenfrohen ‚papiers découpés‘ von Matisse, an Klees letztes Bild, das Stilleben mit dem Engel, an die Pariser Bilder Kandinskys (in denen eine heitere, koboldhafte Gegenständlichkeit rumort), und ich denke an die magistralen Bildpoesien des späten Braque. Was ich als Gemeinsames empfinde, das die Verschiedenheit der Herkunft und die Gegensätze des Wollens überbrückt, ist dieses: ein eigentümliches Geborgensein in der Form, ein bündiges, sinnenhaftes Ergreifen der Wirklichkeit; die Abwandlung einiger weniger Leitmotive; Sparsamkeit, die den direktesten Weg einschlägt; eine immer größere Bestimmtheit der Syntax, die ohne Umschweife verfährt. Keine Launen mehr, ein Sich-Runden, eine souveräne, dichte Zusammenfügung. Form als Fügung - im zweifachen Wortverstand. Und die Würde der Abgeschiedenheit, die aus der Lauterkeit der Mittel kommt und in die Bereiche des Monumentalen wächst. Der stille Atem des Absichtslosen und der Selbstverständlichkeit scheint durch diese Kunst zu gehen, und erst die nachträgliche Überlegung kommt dem Anteil des Könnens auf die Spur“1 1 Hofmann, Werner, Einleitung, Georges Braque. Das graphische Werk. Stuttgart 1961. S. XXIII 16 17 Marc Chagall (Witebsk 1887 - 1985 St. Paul de Vence) Paysage, 2e état (Landschaft, 2. Zustand). Kreidelithographie von der Zinkplatte auf Arches-Bütten (mit Wasserzeichen), mit Bleistift signiert und nummeriert, 1956. 59 : 47 cm auf 65 : 50,2 cm. Werkverzeichnis: Sorlier/Mourlot 154. Einer von 20 Abzügen für den Künstler (dazu einige wenige Probeabzüge, keine Auflage, die Platte wurde unbrauchbar gemacht). Vorzüglich erhalten. Provenienz: Privatsammlung Westfalen. „Sehr bald merkt man, daß zweierlei graphische Möglichkeiten ihn locken: die mehr >malerische< und die rein >zeichnerische< Graphik. Die erste richtet sich mehr auf die Nuancen und bringt durch Abstufung der Schwarztöne Licht- und sogar Farbvorstellungen zur Geltung; die zweite berücksichtigt mehr die Eleganz, Geschmeidigkeit und Treffsicherheit des Strichs sowie die Bemühung, das Weiß lebendig zu lassen. Diese beiden graphischen Methoden widersprechen einander keineswegs, vielmehr ergänzen sie sich reizvoll, sei es, indem sie sich kontrastierend voneinander abheben, sei es, indem sie sich miteinander verkoppeln [...]. >Es hätte mir sicherlich<, so erklärt Chagall, >etwas gefehlt, wenn ich nicht irgendwann in meinem Leben mich neben der Malerei auch mit Radierungen und Lithographien beschäftigt hätte. Von frühester Jugend an, sobald ich anfing, einen Bleistift zu handhaben, suchte ich nach diesem Etwas, das sich ergießen konnte wie ein großer Strom zu fernen, lockenden Ufern. Wenn ich einen Stein zum Lithographieren oder eine Kupferplatte in die Hand nahm, meinte ich einen Talisman zu berüh18 ren. Mir schien, ich könne alle meine Trübsale, alle meine Freuden in sie einlassen ... All das, was im Laufe der Jahre mein Leben berührte: Geburt und Tod, Hochzeiten, Blumen, Tiere, Vögel, geplagte Arbeiter, die Eltern, Liebende in der Nacht, die Propheten der Bibel, auf der Straße, im Haus, im Tempel und im Himmel; und mit den Jahren, die Tragödie des Lebens in uns und um uns. Wenn ich all diese Werkzeuge in die Hand nehme, fühle ich den Unterschied zwischen Lithographie, Zeichnung und Radierung. Zeichnen können, ist nicht dasselbe, wie in den Fingern diesen Nerv für die Lithographie spüren: es ist eine Sache des Gefühls. So muß auch von jedem einzelnen Strich dieses besondere Gespür ausgehen, das nichts mehr zu tun hat mit dem Können oder dem Handgriff.“ 1 1 Maretau, Robert, Chagall als Graphiker. In: Hommage à Chagall. Paris 1969. S. 100 ff 19 Lovis Corinth (Tapiau 1858 - 1925 Zandvoort) Katze auf Baumstrunk. Kaltnadelradierung auf Japan, mit Bleistift signiert und als „Probedruck“ bezeichnet, 1920. 24,5 : 19,5 cm auf 36,2 : 28,2 cm. Werkverzeichnis: Schwarz 432 VIII. Einer von wenigen Probedrucken vor der Auflage von 25 Exemplaren auf Japan und 50 Exemplaren auf Bütten als Blatt 8 der Mappe „Am Walchensee“, erschienen als 30. Werk der Gurlitt-Presse im Verlag Fritz Gurlitt, Berlin, 1920. Provenienz: Privatsammlung München „In der heißen Sonne schnurrt vor dem Häuschen unser Kater, ein Kätzchen, das wir jung aufgezogen, und das nun zweijährig ist. Ein herrliches Tier, behütet und gepflegt vom ganzen Hause, was es uns tausendfach vergilt. Lief es doch wie ein Hündchen hinter meiner Frau einher. Versteckte sich auf Bäumen; scherzte und spielte mit dem Saume ihres Kleides.“ (Lovis Corinth). Charlotte in Urfeld beim Füttern der Katze „Strick“ mit der Milchflasche, daneben die Katze „Strolch“ (Aufnahme: Lovis Corinth) Bis auf kleinere Läsuren in den Ecken prachtvoller, tief eingepreßter Druck mit leichtem Plattenton. Lovis Corinth (Tapiau 1858 - 1925 Zandvoort) Am Walchensee. Kaltnadelradierung mit Aquatinta auf Japanbütten, mit Bleistift signiert, 1923. 17,8 : 24,2 cm auf 22 : 29 cm. Werkverzeichnis: Müller 674. Gratiger Druck mit leichtem Plattenton, bis auf wenige Altersspuren schön Erhaltung. Provenienz: Rheinischer Privatbesitz 20 Einer von wahrscheinlich sehr wenigen Zustandsdrucken. Auch die Blätter der Auflage sind selten, da laut Müller diese durch einen Brand fast vollständig vernichtet wurden. Eindrucksvolle, expressive Arbeit, die sich vielleicht am stärksten aller Walchensee-Graphiken vom dem „Gegenstand“ der Landschaft löst und diese im gestischen Duktus nur noch andeutet. 21 Lovis Corinth (Tapiau 1858 - 1925 Zandvoort) Winter am Walchensee (Hotel Fischer am See). Kaltnadelradierung auf Bütten, mit Bleistift signiert, 1924. 15 : 19,7 cm auf 20,5 : 26,7 cm. Werkverzeichnis: Müller 858. Eins von 200 Exemplaren der Vorzugsausgabe von: Biermann, Georg, Der Zeichner Lovis Corinth. Dresden, Verlag Ernst Arnold, 1924. Herrlich kräftiger und gratiger, in den Schwärzen sehr schön samtiger Druck. Provenienz: Privatbesitz Hamburg. 22 „Die Kunststraße vom Kochel- zum Walchensee windet sich am Kesselberg empor, bis wir endlich auf dem höchsten Punkt angekommen sind. Hier zeigt sich auch zum erstenmal der See. Von dieser Höhe geht es jäh herunter. Das Gefährt schlängelt sich, mit Vorsicht gestoppt, eine schön gepflegte Straße in zahlreichen Windungen herab, bis hart zum Ufer des Walchensees. wo auch das Dörfchen Urfeld beginnt. Dieses Urfeld ist ein ganz winziger Ort, es gibt dort eine Post, zwei Gasthäuser, aber weder Schuster noch Schneider. Einige Vil- len, ebenfalls Liliputanerstil, leuchten unter schwarzen Tannen hervor“ (Lovis Corinth: Am Walchensee. 1921). Winter 1924/1925 Familie Corinth vor dem Haus in Urfeld (rechts eine Freundin) Lovis Corinth (Tapiau 1858 - 1925 Zandvoort) Schweizer Landschaften. Mappe mit fünf Kreidelithographie auf „Der Schweizer Maler Cuno Amiet, Bütten, mit Bleistift signiert, 1923. wohnhaft in Oschwand bei Rietweol, 38,8 : 29,4 cm (Blattformat). Kanton Bern, erinnerte sich später an eine gemeinsame Fahrt durch die Werkverzeichnis: Müller 792-796, Schweizer Landschaft: >... Sehr oft Ausgabe C. denke ich an jenen Tag zurück, als Frau Aus der Auflage von 100 Exemplaren Corinth ihren Mann zu mir brachte, im (dazu 25 farbig gedruckt auf Japan und Jahr 1923 (1924?). Ich holte die bei100 farbig gedruckt auf Bütten). den in Olten ab und fuhr sie im Auto Erschienen im Verlag der Münster- auf die Oschwand; durch die schöne, Presse Horgen-Zürich/Leipzig und Ver- sonnige Landschaft gemütlich fahrend, lag Dr. Karl Hoenn. plaudernd und spaßend ... Wir fuhren im offenen Wagen und meine verehrProvenienz: Privatsammlung Westfa- ten Gäste hatten rechte Freude an der len. schweizer Landschaft.< Corinth hatte sich auch Bücher über Enthält die Blätter Bergsee (17,5 : 18 landschaftliche Darstellungen der cm), Burg am See (13 : 18 cm); Alp- Schweiz und Kupferstiche kommen hütte (15,5 : 18 cm); Wildbach (15,5 : lassen. 1924 fand eine Ausstellung Co18 cm) und Bergsee (16,5 : 17,5 cm). rinths im Kunsthaus Zürich statt. Im selben Jahr schuf er zwei Gemälde mit Motiven vom Luzerner See (Berend-Corinth 950 und 951, Hamburger Kunsthalle, Hamburg) und radierte eine Ansicht von Zürich (Müller 861). Die >Schweizer Landschaften< sollten ursprünglich als Vignetten zur Tell-Folge erscheinen, wurden dann aber in einer separaten Mappe vereinigt. Die Bewunderung der Schweizer Landschaft ist vorgeprägt durch die Tradition der Romantik seit Ende des 18. Jahrhunderts. Aus der romantischen Natursehnsucht in Verbindung mit der Schweizer Alpenlandschaft. Wie die Künstler früherer Zeit ist Corinth berührt von dem Erlebnis der erhabenen Natur.“ 1 1 Fehlemann, Sabine, Hrsg. und Birthälmer, Antje, Bearb., Lovis Corinth. Aus der Graphischen Sammlung des Von der Heydt-Museums. Wuppertal 2004. S. 379. 23 Eugen Croissant (Landau/Pfalz 1898 - 1976 Urfahrn/Chiemsee) Ohne Titel (Blick über das winterliche Murnauer Moos in Richtung Zugspitzmassiv). Aquarell auf Karton, mit Tinte signiert, um 1930. 35,5 : 49 cm. Auf dickeren Karton kaschiert, an den Rändern minimal lichtrandig, wohl leicht beschnitten. Provenienz: Privatsammlung Süddeutschland. „Croissant war fast ausschließlich ein Landschaftsmaler, der den Chiemsee und das Berchtesgadener Land in das Zentrum seiner Bildwelt stellte. Wie im 19. Jahrhundert Joseph Wopfner, umkreiste er thematisch immer wieder dieses Gebiet und das Voralpenland, allerdings verzichtete er ganz auf Staffagefiguren und damit auf eine pointierte Zuspitzung im Szenischen. Obschon seine Bildform am Natureindruck orientiert ist, bevorzugte er eine Farbigkeit, die durch den Expressionismus und seine Strömungen geprägt wurde. Bekannt wurde er vor allem durch seine großformatigen Aquarelle.“1 1 Ludwig, Horst, Bearb., Münchner Maler im 19./20. Jahrhundert. Band V. München 1993. S. 161 24 1918-1920 Architekturstudium an der Technischen Hochschule in München 1920-1922 durch Unterstützung von Max Slevogt erlaubt der Vater den Wechsel zur Kunstgewerbeschule in München, wo Croissant bei Julius Diez und Willi Geiger studiert 1923-1924 Fortsetzung des Studiums an der Akademie für Bildende Künste in der Malklasse von Karl Caspar seit 1924 freischaffender Künstler 1925 Ausstellung in Landau 1926 Ausstellung in Kaiserslautern und Neustadt 1927 Ausstellung in Speyer, Kassel und Hamburg 1928 Ausstellung in Ludwigshafen, München, Nürnberg und Kaiserslautern 1931 Ausstellung in Pirmasens 1932 Ausstellung in Landau 1933 Ausstellung in Mannheim und Düsseldorf mit Hilfe von Stipendien zahlreiche Reisen durch Europa und den Orient 1931 am 6. Juni werden beim Brand des Münchner Glaspalastes 12 Aquarelle seiner Orientreise vernichtet bis 1939 zeichnet für diverse Zeitschriften (Fliegende Blätter, Meggendorfer Blätter, Simplicissimus“ u. a.) Karikaturen wird Mitglied des „Deutschen Künstlerbundes“, dem Max Liebermann vorsteht 1930-1944 durch Unterstützung von Richard Seewald wird Croissant Mitglied der „Münchener Neuen Sezession“ 1941 Tod des Vaters in Landau 1943 Zerstörung seines Münchner Ateliers durch Luftangriffe; zieht an den Chiemsee 1945 kurz vor Kriegsende Einberufung nach 1945 der Chiemsee und seine Umgebung werden zu seinen bevorzugten Motiven wird Mitbegründer der „Neuen Gruppe“, die jährliche Ausstellungen im „Haus der Kunst“ in München ver- anstalten 1967 Tod der Mutter in Landau 1975 Preis für Malerei von der Bayerischen Akademie für Schöne Künste 1976 stirbt in Urfahrn und wird auf dem Friedhof von Frauenchiemsee beigesetzt, in einem Ehrengrab, das die Gemeinde Breitbrunn für die besten Künstler ihrer Gemarkung eingerichtet hat. 25 Ferdinand Carl Cürten (Düsseldorf 1892 - 1945 Beverungen) Ohne Titel (Artist vor dem Zirkus/Selbstbildnis?) Kreidelithographie auf Maschinenbütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, ohne Jahre (um 1920?). Ca. 37 : 25 cm (Stein unregelmäßig) auf 56,2 : 41 cm. 7. von 30 Exemplaren. Der breite Rand mit leichten Läsuren, insgesamt aber sehr schöner Abzug. Provenienz: Privatsammlung Westfalen. WIR KÖNNEN AUSSER DIESEM BLATT KEINE WEITERE GRAPHIK AUS DER HAND DES KÜNSTLERS NACHWEISEN. Cürten studierte zunächst an der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule und im Anschluß an der dortigen Kunstakademie. Sein Frühwerk stand noch unter dem Einfluß des rheinischen Impressionismus. Studienreisen durch Europa und Nordafrika bereicherten seine Palette um leuchtende Farben. 1919 trat Cürten der Künstlervereinigung „Das Junge Rheinland“ bei, das in der Galerie von Johanna (Mutter) Ey gegründet worden war. 1923 verließ er die Gruppe und wurde Mitglied in der gerade gegründeten „Rheingruppe“, aus der sich 1928 die „Rheinische Sezession“ bildete. So nahm Cürten zwischen 1919 und 1933 an allen wichtigen Ausstellungen der rheinischen Avantgarde teil. 1926 erhielt er den Auftrag, im Zuge der „Großen Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen (GeSoLei) ein Gemälde für den Rundbau des Planetariums zu schaffen. Die GeSoLei war die größte Messe der Weimarer Republik! 1928 folgte ein Auftrag zur Ausgestaltung einer Ausstellung des „Völkerbundes“ in Genf. Anfang der Dreißiger Jahre wandte sich Cürten mehr und mehr dem Aquarell zu. Zwei seiner Bilder wurden von den Nationalsozialisten im Rahmen der „Entarteten Kunst“-Aktion aus den Kunstsamm26 lungen der Stadt Düsseldorf entfernt und zerstört. Cürten wurde als Leutnant nach Nordafrika abkommandiert und starb am 30. Mai 1945 im Lazarett auf Schloss Amelunxen in Beverungen / Kreis Höxter. Bei dem dargestellten Artisten könnte es sich um ein Selbstporträt handeln, denn es zeigt starke Ähnlichkeit mit einem Gemälde des Künstlers, das 1921 im „Jungen Rheinland“ ausgestellt war (leider nur als Abbildung bekannt). Ferdinand Carl Cürten, Bildnis, Öl auf Leinwand (?), ausgestellt 1921 im „Jungen Rheinland“ 27 Henri Gaston Darien (eigtl. Adrien) (1864 - Paris - 1926) Ohne Titel (Tempel in Agrigent auf Sizilien) Öl auf Pappe, mit Pinsel signiert, ohne Jahr (um 1910?). 22 : 14 cm. Provenienz: Privatsammlung Paris Darien (eigentlich Adrien) war ein sehr erfolgreicher Genremaler, dessen Werke noch heute zahlreich reproduziert werden. Er „pflegt einen gemäßigten Impressionismus und wird als Kolorist berühmt“ (Thieme-Becker). Darien wurde am 8. Januar 1864 in Paris geboren, wo er am 7. Januar 1926 starb. Seine Mutter Françoise-Sidonie Adrien starb, als er fünf Jahre alt war, woraufhin sein Vater Honoré-Charles-Émilien Adrien Élise-Antoinette Schlumberger (*1839) aus dem Elsass heiratete, die eine ausgesprochen gläubige Protestantin war. Darien hatte einen Bruder, den Schriftsteller Georges Darien (6.4.1862-19.8.1921). Er studierte an der École des Beaux-Arts bei Jules-Joseph Lefebvre (1834-1911) und bei dem impressionistischen Maler Antoine Guillemet (1843-1918). Lange Zeit wohnte er am Pariser Boulevard St. Michel, von wo aus er Szenen des Pariser Lebens malte, die ihn sehr berühmt machten. Daneben besaß er ein Landhaus in der Normandie, wo er unter dem Einfluß Guillemets die Landschaft „en plein air“ malte. Ab 1886 war er Mitglied der Société des Artistes français. Darien erhielt zahlreiche Auszeichnungen, so eine „mention honorable“ 1889, eine „médaille de troisième classe“ 1897, den „prix de Raigecourt-Goyon“ 1897, die „médaille deuxième classe“ 1899. 1904 gewann der Künstler eine Ausschreibung für Wandmalereien für den Festsaal des 1898 errichteten Rathauses in Vanves (nahe Paris), die seit 2001 unter Denkmalschutz stehen. Seit 2002 heißt der Saal „Salle Henry Darien“. 1900 nahm er an der Weltausstellung 28 teil, wo er eine Bronzemedaille bekam. Er wurde 1910 Ritter der Ehrenlegion. Unsere Ölstudie stammt wohl von einer möglicherweise gemeinsam mit dem Bruder unternommenen Reise, die den Künstler nach Tunesien führte und während der er seine Eindrücke auf Pappen dieses (offensichtlich vorgeschnittenen) Formates malte. Anders als seine akademisch wirkenden Genrebilder zeigt sich hier ein meisterhafter Umgang mit locker und spontan gesetzten Pinselstrichen sowie eine virtuose impressionistische Farbgebung. Henri-Gaston Darien, Wasserträger in der Wüste. Öl auf Pappe 14 : 22 cm; Privatbesitz Frankreich Henri-Gaston Darien, Reges Leben am Kai. Öl auf Pappe 14 : 22 cm; Privatbesitz Frankreich 29 Eugène Delacroix (Charenton-Saint-Maurice 1798 - 1863 Paris) Députés. Vorbereitende Entwurfszeichnung für die Wandmalereien in der Bibliothèque de la chambre des députés (Assemblée nationale im Palais Bourbon, Paris). Bleistift auf Bütten, mit Bleistift bezeichnet „Députés“ sowie dem roten Nachlaß-Stempel (Lugt 838), um 1838. 19,5 : 27,6 cm. Verso umlaufend auf Büttenkarton montiert, in der Darstellung ein kleiner Fleck, verso Marginalien von alter Hand bezüglich einer Rahmung. den Salon du Roi im Palais Bourbon auszumalen. übertrugen und 15 der Zwickel so weit ausmalten, daß er nur noch geringfügige Korrekturen anzubringen hatte. Die Halbkuppeln und die übrigen Zwickel malte er selbst.“1 Provenienz: Privatsammlung New York. Literatur: Johnson, Lee, The Paintings of Eugène Delacroix. A critical Catalogue (The Public Decorations and their Sketches) Volume V. Text. Oxford 1989. S. 33 ff Das Palais Bourbon wurde von 1722 bis 1728 von Lorenzo Giardini und Jules Hardouin- Mansart für Louise Françoise de Bourbon, die Tochter Ludwig XIV, erbaut. Während der Revolution wurde das Gebäude verstaatlicht. Ab 1798 diente es als Tagungsort des Rates der Fünfhundert. Unter Napoleon wurde ein klassizistischer Portikus vorgesetzt. Nach 1815 wurde das Palais an die Abgeordnetenkammer vermietet und 1827 an diese verkauft. Es folgten umfangreiche Baumaßnahmen. Seit 1848 ist das Palais Bourbon Sitz der Nationalversammlung. 1833 erhielt Delacroix den Auftrag 30 Die Bibliothek „Als er 1838 - kurz nachdem die Wandbilder im Salon du Roi enthüllt worden waren - in Valmont zu Besuch war, las er zufällig in einer Pariser Zeitung, daß er eine weitere Reihe von Deckenbildern, ebenfalls im Palais Bourbon, für die Bibliothek der Deputiertenkammer, schaffen sollte. Dieser Auftrag hing seit einem Jahr in der Luft, und Delacroix hatte alle Hoffnungen aufgegeben, ihn zu erhalten. Er war außer sich vor Freude: der Raum stellte noch größere Anforderungen an seine Erfindungskraft als der Salon du Roi. Er war nicht so breit, aber über dreimal so lang - rund 42 m insgesamt. Hinzu kam, daß die Decke, die er nun zu bewältigen hatte, nicht eine Kuppel wie im Salon du Roi, sondern deren fünf mit je vier Zwickeln mußten erfindungsreich und mannigfaltig ausgemalt werden. Alles in allem war es eine gewaltige Aufgabe, der er allein nicht leisten konnte. Delaroix stellte etwa 30 Gehilfen ein und richtete ein Atelier ein, wo er sie bei vorbereitenden Arbeiten anleitete. Bei der Ausführung verließ er sich auf drei der Begabteren unter ihnen, die seine Vorzeichnungen auf die Leinwand verso Die Wandmalereien befassen sich mit Krieg und Frieden, mit Poesie, Religion, Gesetzgebung, Philosophie und Naturwissenschaften, gespeist aus Vorlagen aus der Bibel und der griechischen bzw. römischen Mythologie. 1 Prideaux, Tom, Delacroix und seine Zeit. 1798-1863. O. O. 1975. S. 143 recto 31 Eugène Delacroix (Charenton-Saint-Maurice 1798 - 1863 Paris) Députés. Bei den Darstellungen in der oberen Hälfte des Blattes handelt es sich um mythologische Motive, die das Meer betreffen. Ganz rechts (1) kann es sich um Poseidon, dem Gott des Meeres, handeln, der oft mit Dreizack in einem Streitwagen dargestellt wird. Die mittlere Szene (2) könnte Amphitrite, die Beherrscherin der Meere zeigen. Poseidon schickte ihr einen Delphin als Brautwerber, der ihr Herz erweichte.  Der Delphin ist aber auch gleichzeitig ein Attribut der Aphrodite, der Göttin der Liebe. Die „Meerschaumgeborene“ wurde nach griechischer Mythologie aus einer Muschel geboren, die spätestens in Botticellis „Geburt der Venus“ aus dem Jahr 1486 eine Jakobsmuschel zeigt (3). Sandro Botticelli, Die Geburt der Venus ca. 1485/86 Uffizien, Florenz Die weibliche Kriegerin unten links (4) erinnert unweigerlich an das 1830 entstandene Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ von Delacroix. Sicher wird er sich bei der Planung der Wandgestaltung der Julirevolution von 1830 erinnert haben, die just an diesem Ort ihren Anfang nahm, da der reaktionäre König Charles X. die Abgeordnetenkammer auflöste und Wahl- und Pressefreiheit stark einschränkte. Das führte zu einem dreitägigen blutigen Aufstand, der mit 32 dem Sturz des Königs endete. In dem Bild trägt die Anführerin der Aufständigen (die spätere Figur der Marianne) die Freiheitsmütze der Jakobiner, ebenso auf der Zeichnung, hier allerdings nicht mit Tricolore, sondern mit einer Art Hellebarde und einem Schild. Eugène Delacroix, La Liberté guidant le peuble 1830 Louvre, Paris Bei der männlichen Figur rechts (5) könnte es sich schließlich um den Kriegsgott Ares bzw. Mars handeln, dessen Attribute u. a. die Lanze und der Helm sind. Der griechische Gott Ares steht für Blutbad und Massaker. „Mit seinen Wandbildern krönte Delacroix seine Bemühungen als Maler; er bewies seine Fähigkeit, einer sterbenden Kunstform neues Leben einzuhauchen. Zu seiner Zeit hatte die Wandmalerei sich selbst überlebt, sie existierte nur noch als formelhaft erstarrte, verblühte Dekoration, die dem offiziellen Geschmack entsprach. Doch Delacroix‘ Wandbilder sind, obwohl Schwierigkeiten, wie ungünstige Flächenaufteilung und störender Lichteinfall, zu überwinden waren, herrliche Meisterwerke. Sie zählen zu den Prunkstücken französischer Kunst. Delacroix ließ an diesen Werken erkennen, daß er in allen Epochen der Menschheitsgeschichte bewandert war. Obwohl er einige der klassizistischen Versuche, sich in den Geist der Antike zu versetzen, ablehnte, empfand er seit langem eine Wesensverwandtschaft mit jener Welt; jetzt, da die antiken und biblischen Allegorien des Salon du Roi und weitere Vorhaben zu verwirklichen waren, ähnelte seine Beschäftigung mit der Vergangenheit nicht einer Durchreise, sondern einer geistigen Heimkehr. Zugleich blieb er der Gegenwart verhaftet und war offen und aufgeschlossen gegenüber den romantischen Ideen seines Zeitalters. Darüber hinaus drang er in die Zukunft vor, nicht nur, was seine Technik und Farbgebung betrifft, sondern durch seinen nachdrücklichen Hinweis auf die Bedeutung der eigenen Schaukraft eines Künstlers. Indem er dafür plädierte, daß die Kunst nicht lediglich darstelle, sondern deutliches Sehen mit unerklärlichem Fühlen vereine, daß sie mehr einem Liebesbrief als einer detaillierten Rechnung gleiche, bereite er den Boden vor für die moderne Kunst und half ein Klima schaffen, das ihrem Heranwachsen gedeihlich sein sollte.“2 2 Prideaux, Tom, Delacroix und seine Zeit. 1798-1863. O. O. 1975. S. 141 1 3 2 4 5 33 Sonia Delaunay-Terk (Gradiszk/Ukraine 1885 - 1976 Paris) Rythme. Farblithographie auf Velin d‘Arches, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1964. 40 : 37,7 cm auf 65 : 50 cm. Eins von 75 Exemplaren. Von bestechender Erhaltung. Provenienz: Privatsammlung München „In den späten 1930er Jahren findet Sonia Delaunay zu einem Formenkanon, der sich in ihrem Spätwerk weiter entfaltet. Mit den ersten Gouachen der >Rhythmes colorés<, >Farbige Rhythmen<, kleine, skizzenhafte Kompositionen abstrakter farbiger Formationen aus der zweiten Hälfte der 1930er Jahre, ist auch der Titel präsent, den eine große Anzahl von Bildern ihres Spätwerkes tragen wird, und der schließlich von den >Rhythmes couleurs<, >Farbrhythmen< genannten Bildern ergänzt wird, ohne dass sich zwischen beiden Werkgruppen eine inhaltliche oder formale Grenzlinie ziehen ließe. In ihrem Spätwerk etwa ab Mitte der 1950er Jahre erfüllt sie mit der auch im Alter wiedergewonnenen, nahezu unermüdlichen Schaffenskraft ihr künstlerisches Glaubensbekenntnis, dass sie 1949 in ihrem Tagebuch notiert hatte, und das für sie selbst zum Ansporn für die weitere Arbeit wird, während es zugleich auch ein künstlerisches Vermächtnis Roberts ist: >Bis in die Gegenwart ist die Malerei nichts als farbige Fotografie gewesen, und die Farbe ist immer nur dazu verwendet worden, etwas zu beschreiben. Abstrakte Malerei wird erst dann beginnen, wenn die Menschen verstehen, dass Farbe ein unabhängiges Leben für sich hat, dass unendliche Farbkombinationen eine viel ausdrucksstärkere Poesie und Sprache haben als die althergebrachten Methoden. Es ist eine geheimnisvolle Sprache, in Harmonie mit den Schwingungen, ja dem Leben der Farbe. Auf diesem 34 Gebiet liegen neue und unendliche Möglichkeiten. Wenn man dies verstanden haben wird, wird man unsere Bedeutung, meine und Roberts, für die Malerei verstehen, und man wird zu verstehen versuchen, was wir gemacht haben. [Tagebucheintrag vom 22. August 1949]“ 1 1 Hülsewig-Johnen, Jutta, Hrsg., Sonia Delaunays Welt der Kunst. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Bielefeld 2008-2009. S. 44 35 Andre Derain (Chatou 1880 - 1954 Garches) Bildnis Raymonde Knaublich. Bleistiftzeichnung auf Maschinenbütten, unten rechts mit dem AtelierStempel (Lugt 668 a), verso mit dem „André Derain/Knaublich“-Stempel und der Nr. 513, 1930er Jahre. 22 : 16 cm auf 32,2 : 24 cm. Der Rand etwas unregelmäßig und leicht gebräunt, oben links ein kleiner hinterlegter Einriss. Provenienz: Nachlass des Künstlers; Collection André Charlemagne Derain, Frankreich; Collection Raymonde Knaublich, Frankreich; Succession de Madame R. Knaublich (Nachlaß-Versteigerung bei Loiseau et Schmitz, St.-Germain-en-Laye, Frankreich; Privatsammlung London. Von 1935 bis zu seinem Tod lebte André Derain mit seiner Ehefrau Alice in Chambourcy bei Paris. Sie hatten 1926 nach fast zwanzigjährigem Zusammenlebens geheiratet. Die Ehe blieb kinderlos, doch hatte er einen Sohn von seinem Modell und seiner Geliebten, Raymonde Knaublich: André Charlemagne Derain, genannt Boby (*30.6.1939). Dieser starb 1992 und hinterließ 3/4 des Atelierbestandes seines Vaters, den nun Raymonde erbte. Nach deren Tod 2001 wurde der Nachlaß (4200 Arbeiten auf Papier, 49 Terrakotten und 52 Bronzen) im Auktionshaus von Jean Loiseau und Alain Schmitz verkauft. 36 37 Otto Dix (Untermhaus/Gera 1891 - 1969 Singen) Frau Otto Mueller. Kreidelithographie auf ZandersBütten, mit Bleistift signiert, datiert, nummeriert und als „Vorzugsdruck“ bezeichnet, 1923. 48,5 : 38 cm auf ca. 58 : 39 cm. Werkverzeichnis: Karsch 57 a (von c). Eins von 15 Exemplaren, die als „Vorzugsdruck“ bezeichnet sind, dazu weitere 15 auf Maschinenbütten und ca. 20 auf weißem Werkdruckpapier. Der Rand etwas unregelmäßig, oben rechts mit kleinem Ausriss, verso Montierungsstreifen und Marginalien in Bleistift, insgesamt aber von sehr schöner Erhaltung. Provenienz: Galerie Nierendorf, Berlin; Privatsammlung SchleswigHolstein. Bei der Dargestellten handelt es sich um Muellers zweite Ehefrau Elsbeth Lübke. „Infolge seiner übersteigert krampfhaften Suche nach Liebe, Geborgenheit und v. a. nach Familie (mit eigenem Kind), stürzt sich Otto Mueller (fast kopflos, weil als Single hilflos) in sein zweites Breslauer >Liebesabenteuer< (diesmal mit standesamtlichen Folgen) - zur schnellen Kompensation seiner zwei, erst vor einem halben Jahr total gescheiterten Beziehungen, gewiß auch aus Torschußpanik, v. a. aber dem Naturgesetz >Stirb und werde< getreu folgend und es (leider blind) befolgend: >Durch die Familie Rodenwald lernte er seine zweite Frau, Elisabeth Lübke (1902-1977) kennen und lieben. Da sie aus einem gut bürgerlichen Haus entstammte, glaubte er, in ihr die rechte Lebensgefährtin gefunden zu haben. Als er mir ihre Photographie zeigte, schwärmte er von ihrer Jugend und Schönheit, und mit welcher Liebe sie an ihm hinge. Sie sei froh aus der engen Bürgerlichkeit herauszukommen. Ihr zuliebe ließ er sich 1922 zum zweiten [recte: ersten] Mal kirchlich 38 trauen< (Emmy Mueller, Erinnerungen. S. 27) Obwohl Elsbeth Mueller zunächst versucht, sich Otto Muellers ‚Frauen-Idealbild‘ (und Vorbild) Maschka Mueller anzupassen - >sie trug die dunkelblonden Haare à la Maschka geschnitten (Marg Moll: Otto Mueller 1956. Typoskript im Archiv der Otto Mueller-Gesellschaft. S. 7), aber schon 1923 pechrabenschwarz gefärbt - und angeblich >an ihm hängt<, ist aufgrund des enormen Altersunterschiedes von 27/28 Jahren, aber auch wegen der Unvereinbarkeit der künstlerischen Bohème Otto Muellers, seiner ‚unheilbaren Unbürgerlichkeit‘ (Emmy Mueller), mit ihrer genuinen ‚Gutbürgerlichkeit‘, bereits bei der Eheschließung (1922) das ‚Verfallsdatum‘ dieser Mesalliance-Ehe vorprogrammiert. Trotz der Geburt des gemeinsamen Sohnes Josef (1925-1992) im Jahre 1925, wird Otto Muellers zweite Ehe bereits nach fünf Jahren im Oktober 1927 wieder geschieden.“ 1 „Nach dem Ersten Weltkrieg konzentrierte sich Dix zunehmend auf wichtige Personen des Kunst- und Kulturlebens. Seitdem er Nierendorf kannte, entstanden vor allem lithographierte Portraits bekannter Persönlichkeiten, die Dix selbst nur flüchtig gekannt haben kann; Nierendorf war der Verleger dieser Einzelblätter. [...] Weitere Arbeiten, die Personen aus dem Freundeskreis um Nierendorf zeigen, entstanden 1923 als großformatige Lithographien. Der Galerist konnte so die Protagonisten und die Freunde seiner Galerie in Form von Kunst anbieten: das Portrait des Malers und Bildhauers Otto Freundlich (Karsch 53), das der Frau des Malers Otto Müller [sic] (Karsch 57), des Komponisten und Chefdirigenten der Kölner 1 Mück, Hans-Dieter, Otto Mueller. Band II des Kataloges zur Ausstellung in den Kunstsammlungen Zwickau, den Städtischen Museen Heilbronn und im Lehmbruck Museum Duisburg 2012/13. S. 115 f Oper Otto Klemperer (Karsch 67) und des Kölner Kunstkritikers Alfred Salmony (Karsch 56) und den Schriftsteller Angermayer (Karsch 60).“ 2„Bei der Dargestellten handelt es sich um Müllers [sic] zweite Frau Elisabeth Lüdke, die er 1922 heiratete. Müller hielt sich seit der Trennung von seiner ersten Frau 1921 in Köln auf und könnte so näheren Kontakt zu Nierendorf gehabt haben, der erst 1927 nachweislich Arbeiten in seiner Galerie ausstellte. [...] Der Kontakt zum älteren und bereits etablierten Müller war nie eng. [...] In einem undatierten Brief aus den zwanziger Jahren an seine erste Frau bemüht er sich im Kontakt zu Dix, den er gerne als Lehrer in Breslau gesehen hätte.“ 3 Elsbeth Mueller, geb. Lüdke 2 Stroble, Andreas. Otto Dix. Eine Malerkarriere der zwanziger Jahre. Berlin 1996. S. 114 3 siehe Anm.2, S. 114; Fußnote 331. 39 Conrad Felixmüller (Dresden 1897 - 1977 Berlin) Frau am Morgen (Hemd anziehend). Radierung mit Aquatinta auf festem Bütten, mit Bleistift signiert, datiert (nachträglich ? 1922) und unter der Darstellung bezeichnet: 2/3. II. Zustand, Aquatinta“ sowie am unteren Rand betitelt „Frau am Morgen Hemd anziehen“, dazu Marginalien von fremder Hand, in der Platte monogrammiert, 1920. 29,7: 19,4 cm auf 49,9 : 35 cm. Werkverzeichnis: Söhn 238 a (von b). Zweiter von 3 Probedrucken des zweiten Zustandes mit Aquatinta, vor der Auflage von 50, effektiv 12 Exemplaren. Mit kleinen Farbsprengseln und leichtem Lichtrand durch ein ehemaliges Passepartout, verso Montierungssreste und Atelierspuren (Fingerabdrücke). Provenienz: Privatsammlung Pfalz Im Jahre 1925 stellte Conrad Felixmüller eine Mappe zusammen, die unter dem Titel >Frau< [...] angeboten wurde und 21 Radierungen aus den Jahren 1921 - 1922 zum Thema Frau enthielt.“ (Söhn 335 M). Daher ergibt sich eventuell die unterschiedliche Datierung. „So wie mit den ersten Augenblicken meiner Bewußtwerdung alles Sein mit aller Not und Sorge durch mich floß, wie aus Arbeit und Enttäuschung, Schönheit und Konzentration, Widerspruch und Zerwürfnis, berauschende Liebe, unendliche Ruhe wurde, freudige Zuversicht, heiteres Wissen - so auch aus Kunst des Könnens eine Kunst des Willens: im Bewußtsein ihrer Einordnung in das Leben der menschlichen Gesellschaft. So wird aus dem immer höher steigenden Chaos unserer Zeit vielleicht als Sinn für die Kunst hervorgehen die Notwendigkeit des Aufgebens ästhetischer Ansschauungen und Eigenschaften. Die Kunst würde gerade wegen ihres heutigen rationellen Charakters die höchste Zusammenfassung unseres mit höchsten Spannungen angefüllten, von kühnsten Hoffnungen getragenen Daseins im XX. Jahrhundert sein. Wie eine Hand umfaßt unser wissendes Hirn unsern Erdball; geschäfteabschließend, elendgehetzt, brotsorgend, opferungsfähig, - überall dieselbe Menschheit: sich liebend zugleich hassend, den gleichen Kampf kämpfend; diesselbe Not - denselben Luxus - der gleiche Kummer, - dasselbe zu sein, zu wissen, zu wollen: der einzelne der Masse doch einsam mit seinem unendlich zart-sehnsuchtsvollen Herzen: Der Mensch. Die Kunst sollte es aussprechen. Darum mühe ich mich. -“1 1 Conrad Felixmüller 1920. Zitiert nach: Gleisberg, Dieter, Felixmüller. Leben und Werk. Dresden 1982. S. 254 40 41 Conrad Felixmüller (Dresden 1897 - 1977 Berlin) Federlithographien aus der Folge „Malerleben“ 1. Ermutigung des Jünglings. Federlithographie auf starkem, imitierten Japan, mit Bleistift signiert und datiert, im Stein monogrammiert, 1927. 26,2 : 19,6 cm auf 34 : 23,9 cm. Werkverzeichnis: Söhn 373. 2. Bedrücktsein im Atelier. Federlithographie auf starkem, imitierten Japan, mit Bleistift signiert und datiert, im Stein monogrammiert, 1927. 26,3 : 20,2 cm auf 34 : 23,9 cm. Werkverzeichnis: Söhn 381. Am linken Rand Farbspuren. 3. Plein air. Federlithographie auf starkem, imitierten Japan, mit Bleistift signiert und datiert, im Stein monogrammiert, 1927. 26,3 : 20,2 cm auf 34 : 23,9 cm. Werkverzeichnis: Söhn 383. 4. Junge Eltern. Federlithographie auf starkem, imitierten Japan, mit Bleistift signiert und datiert, 1927. 26,5 : 20,2 cm auf 34,7 : 23,8 cm. Werkverzeichnis: Söhn 384. 42 Jeweils wohl vor der Auflage von 130 Exemplaren auf diesem Papier (dazu 30 auf Bütten) für die Folge „Malerleben“, 1927 in Dresden im Selbstverlag erschienen. Provenienz: Privatsammlung Rheinland 1 2 3 4 43 Hugo von Habermann (Landshut 1899 - 1981Murnau) Ohne Titel (Sitzende Frau am Tisch mit Obstschale). Öl auf Leinwand, rückseitig mit Nachlaß-Stempel, um 1930-35. 58,5 : 50,5 cm. Provenienz: Privatbesitz Süddeutschland „Während des Krieges setzte sich von Habermann in Paris mit dem Kubismus auseinander. Seine Stilleben aus den vierziger und fünfziger Jahren zeigen dessen flächige Aufteilung. Auch die Begegnung mit dem ‚kubistischen Picasso‘ wird in seinen Figurendarstellungen deutlich. Seine Arbeiten aus diesen Jahren zeichnen sich durch helle, klare und schön gegeneinander Farbflächen aus. [...] Auffallend ist, daß von Habermann seine Bilder zunächst kaum signierte und fast nie datierte.“1 Biographie seit 1922 Studium an der Münchner Akademie der Bildenden Künste bei seinem Onkel sowie Prof. Hermann Groeber Mitglied der Münchner Sezession 1925 Ausstellung im Münchner Glaspalast 1930 als freischaffender Künstler in Berlin zahlreiche Reisen nach Italien und vor allem nach Paris 1935 Ausstellungsverbot 1940 Einbeziehung als Soldat 1946 wohnt in Rieden am Staffelsee, gleichzeitig Atelier in München 1949 Vorstandsmitglied der Neuen Gruppe, München ab 1950 Ausstellungsbeteiligung in der Großen Kunstausstellung im Haus der Kunst 1960 Mitglied des Deutschen Künstlerbundes 1965 Förderpreis der Stadt München 1968 Ehrenpreis der Villa Massimo Werke von Habermann finden sich u. 1 Ludwig, Horst, Bearb., Münchner Maler im 19./20. Jahrhundert. Band V. München 1993. S. 331. 44 a. in der Pinakothek der Moderne und im Lenbachhaus München. 45 Karl Hahn (Burkersdorf/Erzgebirge 1892 - 1980 Dresden) Ohne Titel (Sitzende Frau im Unterrock und Strümpfen). Bleistiftzeichnung auf gelblichem velin, mit Bleistift signiert und datiert, 1927. 37 : 24 cm auf 41,8 : 29 cm. Verso mit dem Nachlaßsstempel. Verso am oberen Rand Montierungsrest, leichte Altersspuren. Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein. Hahn studierte von 1910 bis 1914 an der Dresdner Kunstakademie bei Richard Müller, Osmar Schindler, Carl Banzer und Hermann Prell. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, den er als Soldat erleben mußte, beendete er 1919 sein Studium bei Ludwig von Hofmann. In den Zwanziger Jahren nahm er an zahlreichen Ausstellungen in der „Dresdner Kunstgenossenschaft, 1926 an der Internationalen Kunstausstellung in Dresden teil. Erneut mußte er von 1939 bis 1945 als Soldat dienen und war danach wieder freischaffender Künstler. 1953 schloß man ihn aus dem Verband bildender Künstler aus. 46 47 Erich Heckel (Döbeln 1883 - 1970 Radolfzell) Ohne Titel (Akrobat) Ölkreide und Aquarell über Bleistift auf Vélin, rückseitig mit Bleistift signiert, um 1910. 15,7 : 10 cm. Bis auf rückseitige Montierungsreste vorzüglich erhaltene ausdrucksstarke Studie in gekonntem, schnellem Strich. Von beeindruckender Farbfrische. Die Authentizität des Blattes wurde von Hans Geissler (Erich-HeckelStiftung) bestätigt. Provenienz: Privatsammlung Hessen. „Der Auftritt des ‚Millmann-Trios‘ im Dresdner Varieté ‚Salon Victoria‘ im November 1909 faszinierte Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner gleichermaßen und sie beschäftigten sich mit den Darbietungen der Drahtseilartisten in Zeichnungen, Druckgraphiken und Gemälden. [...] Artistische Darbietungen in Circus und Varieté begeisterten Erich Heckel von der Jugend bis ins hohe Alter. Hans Hess, der Sohn des Sammlers Alfred Hess, erinnert sich an die Zeit, als Heckel - er war damals mit den Wandmalereien im Erfurter Museum beschäftigt - im elterlichen Hause wohnte: ‚Kam aber ein Zirkus in die Stadt, dann ging er (Heckel) in den Zirkus. Er freundete sich mit dem dummen August den Clowns und Akrobaten an, setzte sich auf eine Tonne und zeichnete. Ich glaube, er hätte selbst ein Clown werden können.“ 1 „Heckels Arbeiten auf Papier, seine Zeichnungen und Aquarelle sowie sein druckgraphisches Schaffen, bilden einen Höhepunkt nicht nur im Œuvre des Künstlers, sondern nehmen im gesamten Phänomen Expressionismus eine herausragende Stellung ein. [...] vor allem in der Zeichnung wird die Spontaneität des optischen 1 Faszination Zirkus. Katalog des Museums Buchheim. Feldafing 2010. Nicht paginiert 48 Erlebnisses umgesetzt, die präzise schwungvolle Linie markiert die auf das Wesentlichste reduzierte Form. [...] Dieser Drang zur Flächigkeit und das Agieren mit betonten Konturen ist auch für sein malerisches Werk charakteristisch. Ab 1910 kommt zu dieser betonten Flächigkeit eine Tendenz zur härteren, kantigeren Form hinzu, die teilweise bis zur Deformierung reicht. Die Auseinandersetzung mit außereuropäischer Stammeskunst hat zur Ausprägung dieses so genannten ‚reifen Brücke-Stils‘ entscheidend beigetragen. Auch Heckels zeichnerisches Schaffen weist nun Elemente einer zunehmend strengeren Gestaltung auf. Reduzierte Linienführung führt einerseits zu harter, winkliger Ausformung der Konturen, welche nun die Darstellungen bestimmen, andererseits übernehmen offene Konturen und leere Bildteile eine aktive Rolle in der Komposition.“2 recto 2 Moeller, Magdalena M., >unmittelbar und unverfälscht<. Aquarelle, Zeichnungen und Druckgraphik der >Brücke< aus dem Brücke-Museum Berlin 2003. S. 110 49 Erich Heckel (Döbeln 1883 - 1970 Radolfzell) Frau mit Halstuch. Kreidelithographie auf bräunlichem Japan, mit Bleistift signiert und datiert, unten links betitelt, 1907. 32,8 : 27,5 cm auf 39,3 : 31,3cm. Werkverzeichnis: Vor Dube L 8 I. Wir kennen nur ein weiteres Exemplar in einem späteren Zustand im BrückeMuseum, Berlin. Ohne das Monogramm und die Jahreszahl im Stein, vor der Verstärkung der Linien des Hintergrundes und der Verdichtung der Zeichnung auf dem Körper zu einer schwarzen Fläche. „Als kostbaren Besitz hatte er sich einen Stein zugelegt und erzählte, wie er wohl nachts, von den Eingebungen seiner Phantasie angetrieben, aufspringe, um die Visionen seines inneren Auges auf den Stein zu bringen, diese ätzte, einige Abzüge mache und ihn wieder abschleife, damit er wieder Neues aufnehmen könne.“ 2 Provenienz: Sammlung Walter Kern, Davos (recto und verso mit Sammlungsstempel); Galerie Vömel, Düsseldorf Walter Kern (Küsnacht 1898 - 1966 Uttwil) war schweizer Maler, Kunstkritiker und Schriftsteller. „Mit Kreide und Pinsel zeichnete Heckel seine Erlebnisse auf den Stein und gewann mit seiner Freude am Handwerklichen gerade in dieser Technik die verschiedensten Verfahren ab. Entweder beließ er dem Strich seine zeichnerische Härte, oder er verdünnte die Druckeschwärze mit Terpentin und erzielte dadurch durchsichtig graue Töne. Da der Druckvorgang in den eigenen Händen lag, entdeckten die Freunde immer neue Manipulationen. [...] Wenn man bedenkt, daß 135 Lithographien in den Jahren 1907 bis 1909 geschaffen wurden [...] so wird die Bedeutung der Steinzeichnung gerade in jenen Jahren offenbar. Hier vollzog sich scheinbar mühelos die Verschmelzung von Zeichnung und graphischer Technik. Der Stil ist zu Beginn weich fließend, strebt dann aber einem flächigeren, klaren Aufbau zu.“ 1 1 Erich Heckel 1883-1970. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Graphik. Hrsg. von Zdenek Felix. Katalog der Ausstellung im Folkwang Museum Essen und im Haus der Kunst München 1983/84. S. 58 50 2 Schiefler, Gustav, Meine Graphiksammlung. Hamburg 1974. S. 56. 51 Karl Hofer (Karlsruhe 1878 - 1955 Berlin) Halbakt im Stuhl. Unsere Graphik dürfte im Zusammenhang mit Hofers Bildern von den Tiller Girls stehen. Radierung auf Bütten, mit Bleistift signiert, um 1924. 20,6 : 17 cm. Zustandsdruck! Kleiner hinterlegter Einriss am rechten Rand, im ehemaligen Passepartoutausschnitt etwas gebräunt, insgesamt aber prachtvoller Druck mit tiefem, samtigen Grat, feinem körnigen Plattenton und von besonderem Reichtum der Kontraste. Werkverzeichnis: Rathenau 43. Provenienz: Rheinischer Privatbesitz. Eine der anmutigsten graphischen Schöpfungen Hofers. Von großer Seltenheit! Karl Hofer Tiller Girls. Öl auf Leinwand um 1923. 110,1 : 88,6 cm. Kunsthalle Emden „In den 20er Jahren wird die Hauptstadt und Kulturmetropole Berlin vom Tanzfieber erfasst. Der schwarze Dixieland Jazz und der Charleston lösen eine Welle der Begeisterung aus, von der sich auch Karl Hofer mitreißen läßt. >Als ich Karl Hofer 1926 kennenlernte<, berichtet Irene Meyer-Hanno, >nahm er gerade Tanzstunden, man tanzte Charleston, er nahm viele Stunden bei einer guten Lehrerin. Dann konnte er hingegeben eine Nacht durchtanzen, immer aufpassend, ja keinen Fehler zu begehen.< Großer Popularität erfreuten sich auch die sogenannten >Girltruppen< der Berliner Nachtkabaretts. Im Revuetheater von Hermann Haller im Admiralspalast an der Weidendammer Brücke treten die Tiller-Girls auf. [...] Karl Hofer setzt sich Anfang der 20er Jahre intensiv mit dem Tanz auseinander. 1923 schafft er neben den >Tiller Girls< eine lithographische Serie zum Thema.“ 1 Wohl späterer Zustand 1 Sommer, Achim, Hrsg., Sammlung Henri Nannen. Emden 2000. S. 156 52 53 Georg Kolbe (Waldheim/Sachsen 1877 - 1947 Berlin) Ohne Titel (Mann und Frau miteinander ringend). Bronze 1913. Auf der Plinthe monogrammiert und mit dem Gießerstempel „H. Noack Berlin“. 35,4 : 30 : 16 cm. Einer von zwei bisher ausgeführten Güssen (Auflage: 4 Exemplare). Werkverzeichnis: Nicht bei Berger. Posthumer Guss aus dem Jahr 2010/11 (ein Lebzeitguss ist nicht bekannt), durch Noack vom OriginalGipsmodell (Kolbe-Museum, Berlin) abgenommen. Provenienz: Privatsammlung Pfalz. Mit Gutachten von Dr. Ursel Berger, Georg-Kolbe-Museum Berlin zu dem Gipsmodell und zur Bronze. „Die Komposition war im KolbeNachlass unbekannt. Als 37 cm hohes Gipsmodell wurde sie im Nachlass von Kolbes bevorzugtem Steinmetzen, Alfred Dietrich, überliefert. Vermutlich ist die Gipsgruppe ein Entwurf für einen Brunnen, der für die Kölner Werkbundausstellung von 1914 geplant war. Anfangs sah Kolbe dafür ‚eine etwas überlebensgrosse Gruppe, Mann und Weib‘ vor. ‚Für die Gruppe selbst schwebt mir eine in die Fläche gedrängte Composition mit weit ausholenden Gesten vor. Das Motiv des Ringens giebt mir dazu reichlich Gelegenheit.‘ (Brief Kolbe an Karl Ernst Osthaus vom 9.10.1913, KarlErnst-Osthaus-Archiv, Hagen DWK 108/1). Dass es bei einem solchen Thema Einwände geben könnte, sah Kolbe voraus. Er betonte deshalb: ‚Ich möchte diese Composition rücksichtslos frei gestalten, ohne selbstredend gegen die Bedingungen, die eine Öffentlichkeit fordert, zu verstossen.‘ Die mächtige Drapierung um die Hüften der Frau ist wohl aus diesem Grund angefügt worden. Die flächige Komposition war auf den Platz an einer Landungsbrücke für Rheinfähren an der Ecke einer geplanten Architek54 tur von Walter Gropius abgestimmt. Es kam allerdings zu einer Planänderung sowohl in der Architektur wie auch bei der Plastik. Schließlich realisierte Kolbe eine rundplastische Freifigur in einem großen Brunnenbecken vor dem Fabrikgebäude von Walter Gropius (die Bronze befindet sich heute im Gruga-Park in Essen). Die Frauenfigur der Gruppe erinnert an Kolbes ab 1912 in mehreren Versionen geschaffene ‚Amazone‘, ebenfalls eine kämpferisch bewegte Frauengestalt. Diese kann man als eine ‚Schwester‘ von Kolbes berühmtester Plastik, der ‚Tänzerin‘ von 1911/12 ansehen (Nationalgalerie Berlin). Möglicherweise stand in all diesen Fällen Charlotte Pechstein, geb. Kaprolath, die Frau des Malers Max Pechstein, Modell. Das Gipsmodell weist eine Schellackierung auf, somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zumindest einen historischen Bronzeguss gab, wovon jedoch keine Spur nachzuweisen ist. Von dem Modell, das in das Eigentum des Georg-Kolbe-Museums übergegangen ist, wurden 2010/11 zwei Bronzegüsse hergestellt. Die Auflage ist auf vier Güsse beschränkt.“1 „Vor dem ersten Weltkrieg waren Aktfiguren in der Öffentlichkeit noch hart umkämpft. Bei den einschlägigen >Skandalen< spielten auch Plastiken von Kolbe eine Rolle [...] Die dritte Freiplastik, die der Bildhauer in der Öffentlichkeit aufstellen konnte, war die >Große Badende< auf der Werkbundausstellung in Köln. Beim >Nudistenstreit< anläßlich dieser Ausstellung wurde auch das >dicke Fräulein vor dem Theater< kritisiert. Die kleinere Fassung der >Badenden<, die 1914 in der Freien Secession ausgestellt war, wurde in der Presse kommentiert: >... im all1 Aus dem Gutachten von Dr. Ursel Berger vom September 2011 gemeinen ist die Haltung für eine im Freien aufzustellende Plastik wohl etwas zu ‚lose‘, wie häufig bei Kolbe.< Mehr Aufregung hätte es sicherlich gegeben, wenn Kolbe für die Werkbundausstellung seinen ursprünglichen Plan ausgeführt hätte: eine überlebensgroße Gruppe von >Mann und Weib<, die miteinander ‚ringen‘ (Kolbe an Osthaus,9.10.1913, KarlErnst-Osthaus-Archiv im Karl-ErnstOsthaus-Museum, Hagen). [...] Die Werkbundausstellung fand durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein vorzeitiges Ende. Auch in Kolbes Entwicklung markierte sich ein Einschnitt; nur ein paar Jahre dauerte jene glücklichste Phase in seinem Werk. Zu der heiter-lyrischen Harmonie der Vorkriegsarbeiten sollte er nie wieder zurückfinden.“ 2 2 Berger, Ursel, Georg Kolbe - Leben und Werk. 2. A. Berlin 1994. S. 50ff 55 Käthe Kollwitz (1867 Königsberg - Moritzburg 1945) Turm der Mütter. Bronze mit brauner Patina, seitlich signiert und mit dem Gießerstempel „H. Noack Berlin“ versehen, 1937-38. Höhe ca. 28 cm, Breite ca. 26,5 cm. Mit schöner, prägnanter Reliefwirkung. Werkverzeichnis: Timm 55. Provenienz: Privatsammlung Nordrhein-Westfalen. Literatur (Auswahl): Barron, Stephanie, Hrsg., Skulptur des Expressionismus. München 1984. Guratzsch, Herwig, Hrsg., Käthe Kollwitz. Druckgraphik, Handzeichnungen, Plastik. Stuttgart 1990. Seeler, Annette, Bearb., Käthe Kollwitz. Zeichnung, Grafik, Plastik. Bestandskatalog des Käthe-KollwitzMuseums Berlin. Leipzig 1999. Auflage: Käthe Kollwitz schuf 15 erhaltene plastische Werke, deren Gipsmodelle die Berliner Kunstakademie besitzt. Der größte Teil dieser Arbeiten entstand während der NS-Zeit und konnte daher kaum oder gar nicht in Bronze gegossen werden. Nur drei Bronzen wurden nachweislich zu Lebzeiten der Künstlerin gegossen, das „Grabrelief“, „Turm der Mutter“ und „Abschied“. Da die Künstlerin mit der Veröffentlichung ihrer plastischen Werke sehr zurückhaltend war und diese auch von den Nazis diffamiert wurden, können nur sehr wenige Güsse entstanden sein. Hinzu kommt, das Käthe Kollwitz gegen Kriegsende versuchte, ihre Werke an verschiedensten Orten in Sicherheit zu bringen, wobei sie sich bald selbst nicht mehr erinnerte, was wohin gekommen war. Was schließlich durch Bomben und Kriegswirren verloren ging, läßt sich nicht mehr rekonstruieren. Uns ist als Lebzeitguss nur ein Exemplar mit dem Giesserstempel „Noack-Friedenau“ 56 bekannt, der 1940 bei der Künstlerin erworben wurde. Nach dem Tod der Künstlerin kümmerte sich ihr Sohn Hans Kollwitz (1892-1971) um den Nachlass und liess je nach Bestellung von jedem Gips zwischen 10 und 20 Güsse (mit Ausnahme der „Klage“, hier ist von mindestens 50 die Rede) bei Noack herstellen. Vorliegende Bronze wurde nach Aussage von Heinrich Noack Sen. in den 1950er Jahren gegossen. Trotz einer anzunehmenden Anzahl von 20 Güssen ist diese bedeutende Arbeit relativ selten im Kunsthandel zu finden. Entstehungsgeschichte: Käthe Kollwitz schuf 1922/23 einen Holzschnitt „Die Mütter“ für die Folge „Krieg“, in dem sie erstmals das Thema der die Kinder schützenden Mütter darstellt. In diesem Zusammenhang schreibt sie am 30. April 1922 in ihr Tagebuch: „Je mehr man arbeitet, desto mehr taucht in einem auf, was noch zu arbeiten ist, so wie auf einer Platte, die im Entwicklungswasser liegt, allmählich das Bild kenntlich wird und immer mehr aus dem Nebel herauskommt. So hab ich jetzt nicht mehr die Auffassung, daß ich bald zur Plastik zurückgehn könnte. Seitdem ich Holz schneide lockt da vieles. Vor allem aber habe ich Angst vor der Plastik. Sie ist wohl nicht eroberbar für mich, ich bin zu alt dazu um sie wirklich noch zu bewältigen. Nicht ganz unmöglich, daß ich von der Holzschnitt-Technik allmählich zum Holzschneiden kommen könnte. Doch ist das noch ganz nebelhaft. Die im Kreis stehenden Mütter, die ihre Kinder verteidigen, als Rundplastik!“ Im darauf folgenden Jahr formuliert sie die Idee für eine weitere Graphik als „in einen schwarzen Klumpen zusammengedrängt, wie Tiere, die ihre Brut verteidigen, Frauen die ihre Kinder schützen. Als Text sollte darunter stehen: Wir haben unsere Kinder nicht zum Kriege geboren.“ Käthe Kollwitz war eine erfolgreiche Graphikerin, ihr plastisches Werk wurde zu ihren Lebzeiten kaum rezipiert, da sie sich damit auch sehr zurück hielt. Erst 1931 bekam sie große Anerkennung für die Gipsfassung des „Trauernden Elternpaares“ und so schuf sie schließlich in Vorahnung des Krieges das Motiv der Mütter in einer Rundplastik, die sie im Oktober 1938 bei Noack giessen ließ. Nun hat sie jedoch die Aussage gegenüber der Graphik noch einmal drastisch gesteigert, indem die Frauen ihre Kinder noch vehementer zu schützen suchen. Die Künstlerin schildert in ihrem Tagebuch die Beerdigung Barlachs am 27. Oktober 1938 und schreibt dann: „Am Tag drauf war ich wieder in meinem Atelier. Ich hatte die kleine Gruppe der zusammengedrängten Frauen, die ihre Kinder schützen, vom Giesser zurückbekommen. Zum ersten Mal mit einem Bronzeguss ganz zufrieden.“ An ihre Freundin Beate Bonus-Jeep schrieb sie: „Die kleine Gruppe, die Frauen, die ihre Kinder schützen, hab ich jetzt in Bronze giessen lassen, da es auch Leuten mit Ansprüchen gefällt, bin ich zufrieden.“ Während einer Ausstellung von „Turm der Mütter“ im Atelierhaus in der Berliner Klosterstraße entfernten die Nationalsozialisten die Bronze mit der Begründung: „daß im Dritten Reich die Mütter kein Bedürfnis hätten, ihre Kinder zu beschützen. Der Staat würde dies für sie erledigen“... 57 Käthe Kollwitz (1867 Königsberg - Moritzburg 1945) Mütter. Kreidelithographie auf Zanders-Bütten (mit Wasserzeichen), mit Bleistift signiert, 1919. 44,5 : 58,5 cm auf 51 : 68,5 cm. Knesebeck 140 I c (von II). Eins von 275 Exemplaren auf diesem Papier (dazu 6 auf dickem Velin sowie 25 auf Japanbütten; vor den Exemplaren mit lithographierter Signatur nach 1931; Stein zerstört). Bis auf geringfügige Randmängel sehr schön erhalten. Verworfene zweite Fassung des Blattes der Folge ‚Krieg‘. Provenienz: Privatsammlung Pfalz. Die Entstehungsgeschichte dieses bedeutenden und imposanten Blattes ist den Tagebüchern der Künstlerin zu entnehmen: 21. März 1918: „Die B. Z. bringt die Nachricht, daß man mit Geschützen, die 120 km weit tragen, Paris beschieße. [...] Ich habe die Platte vorgenommen, oder die Zeichnungen dazu, wo die Mütter mit ihren Kindern stehen. ‚Das die Lieblinge unserer Wiegen Sollen als stinkendes Aas auf den Feldern liegen...‘ Aus der ‚Seeschlacht‘: ‚Vaterland, Vaterland, o lieb Vaterland. Wir sind Schweine Die auf den Metzger warten. Wir sind Kälber, die abgestochen werden. Unser Blut färbt die Fische! Vaterland, sieh, sieh, sieh! Schweine, die gemetzt werden, Kälber, die abgestochen werden! Herde, die der Blitz zerschmeißt. Der Schlag, der Schlag, wann kommt er uns? Vaterland Vaterland! Was hast Du noch mit uns vor?‘ 26. März 1918: Man beschießt Paris 58 auf 120 km Entfernung. Von Hans immer noch nichts. 29. März 1918: Karfreitag Im Westen die große Offensive. Vom Hans wissen wir nichts, wissen nicht wo er ist und ob er gesund ist. Der Karfreitag war Peters Feiertag. Da ging er für sich und feierte seine Frühlingsfeier. [...] 30. März 1918: Am Sonnabend 30. März von Hans Nachricht! 4 Briefe. Es ist Sperre gewesen. [...] 6. Juni 1918: [...] Mein Arbeiten in diesen Wochen ja Monaten ist ganz schlecht und ungenügend. Ich fühl mich sehr ohne Kraft und glaube nicht mehr an mein Arbeiten. Bin oft furchtbar traurig. Und hab ein Körpergefühl, als bin ich schon fast am Ende. Einmal in diesen Nächten träumte ich von Hans. Ich weiß nicht mehr genau was. Ich weiß nur, daß ich ihn umschlang und sehr weinte, daß er aber glücklich war und irgendwie von Befreiung sprach. 1. Juli 1918: [...] Wie war mein Leben stark in Leidenschaft, in Schmerz und Freude. Damals kämpfte ich in der Sonne ‚ein Sohn der Erde‘. Dann kam das allmähliche Altern. Dann kam der Krieg. Das in die Höhegerissenwerden durch die Jungen. Das Opfer Peters. Mein Opfer Peters. Sein Opfertod. Und dann fiel ich auch. Fortgerissen noch durch ihn in Entwicklungen des Schmerzens und der Liebe, sank ich allmählich in dies Leben zurück. Es blieb Schmerz um ihn. [...] Der Schmerz hat Müdigkeit zurückgelassen, Es ist ja nicht allein der Peter. Er ist der Krieg, der einen bis auf den Boden drückt. Juli 1918: [...] Heut als ich Annie Karbe vom Stettiner Bahnhof abholte stand auf dem Perron ein Junge, der angekommen war. Ich sah gerade, wie die Eltern auf ihn zuliefen. Die Mutter voran. Umarmte und küßte ihn und dann der Vater. Alle waren umschlungen. Es ging mir durch und durch wie die Mutter ihn umschlang und küßte. [...] 20. November 1918: Am Mittwoch, dem 20. November 1918 - am Bußtag - kommt abends unser Hans zurück. [...] So ist er da. Wird das Schicksal ihn uns lassen? Ich denke ja. Er ist da und wir haben das gute ruhige befriedigte Gefühl, daß der Krieg aus ist für uns. Seltsam, wie das Denken an Peter so wenig schmerzlich ist jetzt. [...] 6. Februar 1919: Lieber Peter, Dein Geburstag. Dreiundzwanzig Jahre. Es ist ein schöner Tag. Nach langer Zeit zum ersten Mal wieder fühl ich, daß ich viel kann. Ich arbeite die ‚Mütter‘. In den vorigen Tagen rührte es sich in mir. Gestern den Versuch beschlossen, die Kriegsblätter in Steindruck umzuarbeiten. Und heut an Peters Geburtstag kann ich es. Ich habe die Mutter gezeichnet, die ihre beiden Kinder umschließt, ich bin es mit meinen eigenen leibgeborenen Kindern, meinem Hans und meinem Peterchen. Und ich hab es gut machen können. Danke! [...] 1 1 Käthe Kollwitz, Die Tagebücher 19081943. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Jutta Bohnke-Kollwitz. München 2012 59 Paul Kuhfuss (1883 - Berlin - 1960) Marktszene (Wochenmarkt in Pankow). Holzschnitt auf festem Bütten, mit Tinte signiert und bezeichnet: „Orig. Holzschnitt“, 1910. 21,8 : 27,4 auf 43,8 : 57,2 cm. Werkverzeichnis: Hellwich-Röske 10/17 (außer dem hier abgebildeten und unserem kennen wir kein weiteres Exemplar). suchte er, das ein oder andere Motiv großstädtischer Vergnügungen in dieses widerspenstige Medium zu übertragen. Nicht ohne Erfolg, wie auch noch Beispiele aus den frühen zwanziger Jahren beweisen. Aber die harte Kontrapunktik von Schwarz und Weiß entsprach nicht seiner Meinung, die Beschäftigung mit dem Holzschnitt blieb eine Episode.“2 Ausgesprochen breitrandiges Exemplar, bis auf leicht Bräunung und wenige Fleckchen sehr gut erhalten. Provenienz: Privatsammlung Westfalen. Die Graphik steht in engem Zusammenhang mit dem Gemälde „Wochenmarkt in Pankow“ (Hellwich-Röske 10/1) aus dem selben Jahr. „Im Jahre 1910 entdeckt Paul Kuhfuss die druckgraphischen Techniken. Bis 1915 entstehen rund 60 Blätter Holzschnitte, Lithographien und Radierungen. 1923 greift Kuhfuss noch einmal die Technik des Holzschnittes auf, mit vier expressiven Blättern [...] ist das druckgraphische Werk abgeschlossen, es bleibt Episode. Das Jahr 1910 bringt entscheidende Ereignisse im Leben des jungen Künstlers, er beginnt als Kunstpädagoge zu arbeiten. Fast 40 Jahre währt diese Tätigkeit, die ihm die materielle Lebensgrundlage und damit den Freiraum für die künstlerische Arbeit schafft. Im gleichen Jahr bezieht Paul Kuhfuss in Berlin Pankow eine geräumige Atelierwohnung, die für ihn lebenslang zu einem Refugium wird und die bis in die neunziger Jahre das Kuhfuss-Archiv beherbergt.“ 1 „Wohl unter dem Eindruck der Holzschnitte der Brücke-Künstler ver1 Hellwich, Ekkehard und Dr. Peter Röske, Hrsg., Werkverzeichnis Paul Kuhfuss. Berlin 2000. S. 13 60 2 März, Roland, Paul Kuhfuss und der Berliner Seccessions-Expressionismus der frühen zwanziger Jahre. In: Paul Kuhfuss. 1893-1960. Malerei und Graphik. Katalog der Ausstellung der Staatlichen Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett und Sammlung der Zeichnungen, Nationalgalerie. Berlin 1983. S. 35 61 Alcide Le Beau (Lorient/Bretagne 1873 - 1943 Sanary/Var) Ohne Titel (Bretonische Landschaft). Öl auf Leinwand, unten links signiert, um 1905/10. 31 : 38 cm. Bis auf kleines Craquelée sehr schön erhalten. Provenienz: Privatsammlung Südfrankreich Biographie: 1886 Ausstellungsbeteiligung in der Galerie Le Barc de Boutteville, Paris 1903 Ausstellungsdebut im Salon des Indépendants 1902-1905 Teilnahme an den Gruppenausstellungen mit Picasso, Matisse, Marquet, Dufy, Derain in der Galerie Berthe Weill in Paris 1904 Ausstellung in der Galerie Durand-Ruel 1905 Beteiligung am Herbstsalon, wo er neben Matisse, Marquet, Vlaminck, Derain und van Dongen zum „cage aux fauves“ (Dem Käfig der Wilden) gezählt wurde 1906 Ambroise Vollard vertritt Le Beaus Werke1 1907 Einzelausstellung in der Galerie Druet, Paris 1908 Ausstellungsbeteiligung in der Galerie Blot 1909 Ausstellung im Salon de la Libre Esthétique in Brüssel 1911 Ausstellung in der Galerie La Boetie und bei Durand-Ruel 1914-18 verbringt den Ersten Weltkrieg in der Schweiz, um nicht wieder an die Front zu müssen, wo er eine Verletzung erlitten hat; verliert innerhalb kurzer Zeit Frau und Tochter 1918 Beteiligung an der großen Ausstellung für französische Kunst in der Galerie Moss, Genf 1920er Jahre zieht sich nach Südfrankreich zurück 1939 Ausstellung mit André Lhote 1 Vollard veranstaltete vom 15. bis 29. März 1906 eine erste Einzelausstellung Le Beaus, der eine Cézanne-Ausstellung zuvorging und eine mit Werken Bonnards folgte. Siehe: Cézanne to Picasso. Ambroise Vollard, Patron of the Avant-Garde. Katalog der Ausstellung im Metropolitan Museum of Art, New York, im Art Institute of Chicago und im Musée d‘Orsay Paris 2006-2007. S. 281 62 und Maria Blanchard in der Kunsthalle Bern 1946 Retrospektive auf dem Salon d‘Automne 1973 Ausstellung der Barbizon Gallery, Paris 1992 Ausstellung in Pontoise im Camille-Pissarro-Museum und im Museum von Pont-Aven (mit Katalog) Museen: Cannes, Musée des Beaux Arts Paris, Musée des Arts modernes Rom, Vatikanische Museen Auch in der Sammlung von August von der Heydt war Le Beau mit einem Bild vertreten2 „In seiner Jugend schwimmt er auf der impressionistischen Welle mit, und als Bretone ist er besonders empfänglich für die Interpretation, welche die Meister von Pont-Aven, seiner Heimat geben. [...] Die tausend Facetten seines Talents - die subtile Sichtweise des Atmosphärischen, die Einfachheit des Bildaufbaus, die Ausgeglichenheit der Pinselführung, die gespannte Harmonie der Oberfläche, der lyrische Schwung, sein angeborener Sinn für das Rhythmische und Körperhafte, Erstaunen vor den riesigen farbigen Ebenen, natürliches Interesse für die großen inspirierenden Gedanken dies alles zeigt sich bis zum Anfang des Jahrhunderts in impressionistischem Gewand. Einige Jahre später wird die Palette reicher: Die Originalität von Inspiration und Ausdruck führt ihn manchmal in die Nähe von Gauguin, von Vuillard und van Gogh. [...] Seit 1896 stellt Le beau bei LeBarc de Boutteville aus, einige Jahre später bei Berthe Weill, die sein Werk so sehr lobte - in ihrem Buch >Pan im Auge< -, mit dem Erfolg, daß sie seine Arbeiten besser verkaufte als die 2 Meyer, Andrea, Ein Sammler ‚Französischer Expressionisten‘ August von der Heydt. In: Pophanken, Andrea und Felix Billeter, Hrsg., Die Moderne und Ihre Sammler. Französische Kunst in deutschem Privatbesitz vom Kaiserreich zur Weimarer Republik. Berlin 2001. S. 240 von Picasso. Le Beaus wachsende Berühmtheit läßt sich an den zahlreichen Ausstellungen ablesen, an denen er in der Folgezeit teilnahm, in Frankreich und in den benachbarten Ländern, bis nach St. Petersburg. Der Kunsthistoriker Louis Vauxcelles stellte Le Beau in seiner berühmten Salonbesprechung von 1905 in eine Reihe mit den Größten und erwähnte besonders seine Einsendung >La Promenade au Bois de Boulogne< als eines der Hauptwerke dieses Salons der >Wilden<, der von ihm als >Fauves< bezeichneten Künstler, darunter Derain, Cézanne, Marquet, Matisse, Rouault, der >Zöllner< Rousseau, Valtat, Vuillard etc. Die Kritik war besonders zu dieser Zeit voller Lob für Le Beau. Gustave Geoffroy zögerte nicht, ihn mit van Gogh zu vergleichen. Dieser Vergleich war nicht unpassend zu einer Zeit, da ein bedeutender Sammler der heutigen Stiftung Pommern in Kiel gleichzeitig ein Bild von Le Beau und ein Werk von van Gogh zum Geschenk machte. Eine Ausstellung bei Vollard 1906 bedeutete den Durchbruch und bestätigte die Erwartungen des Salons von 1905. Seit dieser Zeit benützte Le Beau eine Skala von kühnen, heftigen und kontrastierenden Tönen, von eigenmächtigen Farbakkorden ungewohnter Kraft, die ihn unter die Schöpfer des Fauvismus einordnet. [...] Die neue Inspiration revolutionierte vollständig seine Farbskala. Die ungewöhnlichsten Farbwerte wurden miteinander konfrontiert ohne Veränderung der Komposition. Bislang kaum bekannte Feinheiten gehen in großen Zusammenhängen auf, woraus eine selten erreichte Macht des Ausdrucks entsteht. Diese Periode war die konzentrierteste und meisterlichste seines Werkes. Von September 1906 bis Januar 1907 nahm Le Beau mit einer Gruppe von Malern, darunter Luce, Manguin, Matisse, Marquet, van Rysselberghe und Seurat, an einer Serie von Ausstellungen französischer Malerei teil, die in den Museen von Dresden, Frankfurt, Karlsruhe, München und Stuttgart stattfanden. Zahlreiche weitere Ausstellungen folgten bis 1914, und in diesem Jahr insbesondere die Ausstellung in der Galerie Louis Le Grand [...]. 1907 stellte er ca. 30 Bilder in der Galerie Druet aus und verkaufte diesem Kunsthändler seinen >Christus inmitte der Diebe<, ein Bild, in dem sich unter einem dekorativem Aspekt ein bewegter Expressionismus verbirgt - Vorspiel einer großen malerischen Bewegung, die die Geschichte der modernen Malerei genauso prägte wie der Fauvismus und der Kubismus. Die Malerei Alcide Le Beaus spiegelt in ihrer Qualität den Reichtum des beginnenden 20. Jahrhunderts. In dieser Hinsicht hat er zweifellos seinen Platz in der Geschichte, aber höher anzusetzen ist der Reichtum seines lyrischen Empfindens, Reinkarnation einer Romantik, die auf dem Weg malerischer Revolutionen untergegangen war. Seine Bilder sollten wiederentdeckt werden - in ihrer Reinheit und echten Menschlichkeit verführerische und hinreißende Noten im schillernden Konzert der Malerei“ 3 3 Robert Hellebranth, Ein vergessener Fauve: Alcide Le Beau. In: Weltkunst, Heft 2, 15. Januar 1988. S. 107 63 Melchior Lechter (Münster 1865 - 1937 Raron, Kanton Wallis/Schweiz) und Stefan George (Büdesheim bei Bingen am Rhein 1868 - 1933 Minusio bei Locarno/Schweiz) Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod mit einem Vorspiel. (Berlin), Blätter für die Kunst, 18991900. 38 : 36,5 cm. 26 nicht nummerierte Blatt. Titelblatt in rot und schwarz gedruckt (Lechter-Schrift). Text gedruckt in der Cicero Römischen Antiqua auf schwerem grauen Bütten mit 4 Zwischentiteln, Initialen und Bordüren nach Entwürfen von Melchior Lechter. Grüner OriginalLeinwandband auf Holzdeckeln mit blaugeprägter Deckelzeichnung, dazu ein Pergamentumschlag (dieser stärker bebräunt und leicht brüchig). 6. von 300 Exemplaren. Von Lechter und George eigenhändig signiert. Auf dem vorderen fliegenden Vorsatz mit Bleistift in Sütterlin bezeichnet „Geschenk Stefan Georges an Ernst Glöckner +“ (von Ernst Bertram). Pergamentumschlag, sowie vorderer und hinterer Vorsatz mit dem Stempel „Nachlaß Ernst Glöckner, Weilburg“. Seltene Erstausgabe. Werkverzeichnis: Raub A 30. Rücken und Kanten sehr leicht verblichen bzw. bestossen. Provenienz: Sammlung Ernst Glöckner, Weilburg; Privatsammlung Westfalen. Über das Buch: „Die Drucklegung war für den 1. August des Jahres 1899 vorgesehen. Zwischen Ende Juni und Mitte August 1899 überließ Stefan George jedoch Melchior Lechter ein Manuskript, bei dem es sich wohl um die einzige lückenlose Handschrift aller 72 Gedichte handelte. Der Erstdruck wurde auf den 1. September verschoben; tatsächlich begann die Drucklegung nicht vor dem 30.10.1899. Die prachtvolle Erstausgabe des Bandes, 64 von Melchior Lechter künstlerisch ausgestaltet, wurde schließlich am 30.11.1899 veröffentlicht und war vorausdatiert auf das Jahr 1900. Es handelte sich um eine kleine Auflage von 300 Exemplaren, die der Berliner Drucker Otto von Holten betreute. Die einzelnen Bände dieser Erstauflage wurden nummeriert, die verwendeten Druckplatten anschließend zerstört. Dieser Entscheidung, gleichsam eine Emphase der technischen Nichtreproduzierbarkeit, entsprach die Gewähltheit des Äußeren. Auf grauem Büttenpapier im Großquart-Format (etwa 35 mal 38 cm) befanden sich jeweils zwei Gedichte auf einer Seite. Die drei Zyklen des Bandes waren von Melchior Lechter ornamental eingerahmt worden. Nach dem >Jahr der Seele< stellt der >Teppich des Lebens< einen weiteren Höhepunkt in der Zusammenarbeit Stefan Georges mit Lechter dar, die mit dem >Siebenten Ring< dann ihren Abschluss finden sollte. Der größte Teil der ersten Auflage wurde an Freunde und Bekannte im Umkreis der >Blätter für die Kunst< abgegeben. In den freien Verkauf gelangten nur wenige Exemplare über ausgewählte Buchhandlungen, die zudem einen höheren Preis verlangten als die Subskription von 25 Mark.“ 1 „In zahlreichen Frontispizen und Vignetten versucht Lechter, den Inhalt eines Textes in einem Bild zusammenzufassen. Auf dem Titelblatt des >Teppich des Lebens< ruft er mit einigen wenigen Elementen die Atmosphäre des Buches auf. Zwei hohe Leuchter mit je sieben brennenden Kerzen flankieren links und rechts den Titel, und eine schmale horizontale Leiste 1 Aurnhammer, Achim u. a. Hrsg., Stefan George und sein Kreis. Ein Handbuch. Band 1. Tübingen 2012. S. 157. rahmt das Mittelfeld unten wie mit einer Schwelle. In dem sakralen Raum, der auf diese Weise suggeriert wird, erscheint oberhalb des Titels das Symbol des Heiligen Geistes, die sich herabsenkende Taube. In dem Tondo, das die Taube umgibt, erkennt man Wolken, Himmel und Sterne. Offenbar steht die Dichtung dieses Bandes im Zeichen der göttlichen Gnade. Aus dieser Überzeugung wächst Lechters Bildsprache, von hieraus legitimiert sie sich.“ (Treffers, Bert, Melchior Lechters Buchkunst. In: Melchior Lechter, der Meister des Buches 18651937. Amsterdam 1987. S. 13) Zur Provenienz: Dem Buch liegt folgende handschriftliche Notiz bei: „Nr. 2b der Briefe von George (teilsweise von Gundolf geschrieben) an Ernst Glöckner. Original im Besitz des George-Archivs von Dr. Boehringer. >Anbei im Auftrag des Meisters 1 ‚Teppich des Lebens‘ (Erstausgabe mit Melchior Lechter) Herzlichst Ihr Gundolf<. Angekommen in Weilburg am 15.1.1918“ Ernst Glöckner (1885 - Weilburg - 1934) studierte in Bonn Kunstgeschichte und Germanistik und wurde 1909 promoviert. Sein Lebensgefährte war der Geisteswissenschaftler Ernst Bertram (1884-1957), der ebenso wie Glöckner zum George-Kreis zählte. Bertram kümmerte sich um den Nachlass des Freundes. Die württembergische Landesbibliothek Stuttgart besitzt einen Teil des Glöckner-Nachlasses. 65 Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935) Holländische Viehweide. Schwarze Kreide auf festem Papier, mit Kreide signiert, um 1900. 10,6 : 18,2 cm. Verso mit dem Sammlungsstempel von Siegbert M. Marzynski, später Marcy (nicht bei Lugt). Das Blatt ist im Liebermann-Archiv Berlin registriert. Provenienz: Sammlung Siegbert H. Marzynski (später Marcy), BerlinBeverly Hills; Galerie Rosenbach; seit Anfang der 1970er Jahre Privatsammlung Hamburg. Siegbert Marzynski (Berlin 1892 1969 Beverly Hills), hatte bei Heinrich Wölfflin in Berlin Kunstgeschichte studiert, wo der berühmte Gelehrte 1901 bis 1912 unterrichtete. Er trat dann aber in das Exportgeschäft seines Vaters ein. Das Unternehmen, das Stoffe für Herrenbekleidung exportierte, hatte eine Filiale in Paris, wo sich Marzynski regelmäßig aufhielt. Er lernte viele zeitgenössische französische Künstler kennen und erwarb Arbeiten von ihnen. Er war u. a. mit Corinth, Max Liebermann, Paul Signac, Maurice de Vlaminck und Maurice Utrillo befreundet. 1934 schenkte Liebermann Marzynski und dessen Frau zu ihrer Hochzeit einen kleinen ,Wannseegarten‘. Marzynski emigrierte 1941 mit seiner Frau nach Kalifornien, wo er seinen Nachnamen in Marcy änderte. Eine Auswahl seiner großen Sammlung von Arbeiten Corinths schenkte er der National Gallery in Washington. Liebermann porträtierte ihn in Öl und auch in einer Radierung. "Max Liebermann liebte Holland. Doch damit war er nicht der einzige deutsche Künstler. Die Liebe der Schriftsteller und Maler zur holländischen Landschaft war geprägt von der Begeisterung für die Meister der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts. [...] Als Liebermann 1871 anschließend an seine Ausbildung in Weimar nach Düsseldorf kam, war Holland noch immer das große Thema. Dort lernte er das Fischergenre und den Realismus kennen. [...] Durch die Auseinandersetzung mit Munkácsy, Rembrandt und Frans Hals kam Max Liebermann zu der Devise: Wiedergabe der Wirklichkeit, unverfälscht und überzeugend. Damit gehörte er innerhalb wie außerhalb Deutschlands zum Kreis der progressiven Künstler. Diese lehnten sich gegen die Vorherrschaft der Historienmalerei auf, wie man sie am Hofe des deutschen Kaisers und an der konservativen Kunstakademie in Berlin kultivierte. Auch in Frankreich geriet das Urteil der konservativen Jurymitglieder des jährlichen Salon de Paris immer heftiger in die Kritik. Die Künstler, die wir jetzt als Impressionisten kennen, wollten die Ablehnung ihrer Werke nicht länger hinnehmen und organisierten von 1874 an ihre eigenen Ausstellungen im Atelier des Fotografen Nadar. Sogar in den Niederlanden wehte jetzt ein neuer Wind. Die romantischen Winterlandschaften, die nach stickiger Atelierluft rochen, mussten den Werken junger Landschaftsmaler weichen, die, genau wie die Maler der Schule von Barbizon, beschlossen hatten, im Freien zu arbeiten. Die unmittelbare Wiedergabe der Natur, darum ging es jetzt." 1 1 Sillevis, John, Max Liebermann, Die Haager Schule und Vincent van Gogh. In: Martin Faass, Hrsg., Liebermann und Van Gogh. Katalog der Ausstellung der Liebermann-Villa am Wannsee, Berlin 2015. S. 105 f. 66 67 Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935) Gartenterrasse in Nikolskoe. Bleistiftzeichnung auf Skizzenbuchpapier, mit Bleistift signiert, um 1918. 13 : 20,6 cm. Verso mit dem Sammlungsstempel von Siegbert M. Marzynski, später Marcy (nicht bei Lugt). Das Blatt ist im Liebermann-Archiv Berlin registriert. Provenienz: Sammlung Siegbert H. Marzynski (später Marcy), BerlinBeverly Hills; Galerie Rosenbach; seit Anfang der 1970er Jahre Privatsammlung Hamburg. Literatur: Julius Elias, Die Handzeichnungen Max Liebermanns. Berlin, Paul Cassirer, 1922. Tafel 92. „Nach dem Kriegsausbruch im August 1914 wollte Liebermann nicht mehr in die Niederlande fahren. So begann er sich in seiner nächsten Umgebung nach Motiven umzusehen. Er fand sie überreichlich in seinem Garten und in der Umgebung seines Landhauses in Wannsee. Auch das vorliegende Bild zeigt sehr wahrscheinlich ein Lokal an der Havel, vermutlich Nikolskoe am Ostufer des Flusses, von dem sich ein weiter Blick nach Westen öffnet. [...] Menschen unterschiedlichen Alters versammeln sich in Ruhe und Muße unter Bäumen am Wasser. [...] Es entsteht ein Bild des Friedens mitten im Krieg, ein Augenblick sozialer Harmonie.“1 Seit Kriegsausbruch malte Max Liebermann mehrere Versionen des Berliner Gartenlokals, so daß in Berlin befindliche „Gartenlokal an der Havel, Nikolskoe“ von 1915. Max Liebermann, Gartenlokal an der Havel, Nikolskoe. Öl auf Leinwand 1915 (Eberle 1915/14) 1 Eberle, Matthias, Max Liebermann. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II. 1900-1935. München 1996. S. 904 68 69 Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935) Pferderennen. Kreidelithographie auf Vélin, mit Bleistift signiert, 1909. 22,5 : 34,5 cm auf 40,8 : 53 cm. Werkverzeichnis: Schiefler 87. Schön erhalten. Provenienz: Privatsammlung München. Vorliegendes Blatt stellt eine graphische Variante zu dem in mehreren Fassungen (Eberle 1909/3-5) gemalten Ölbild „Pferderennen in den Cascinen“ dar. „Im Frühling des Jahres sondern nur noch drei Pferde am Beschauer vorbeifliegen. Die Bewegungen dieser drei Tiere werden dort noch stärker aufeinander und den Sprung über die Hürde bezogen: Das erste Pferd setzt mit den Vorderbeinen schon wieder auf, das zweite schwebt in der Luft, das dritte setzt gerade erst zum Sprung an. Diese Komposition scheint den Künstler am meisten be70 1908 hatte sich Liebermann mit seiner Familie zwei Wochen in Florenz aufgehalten. In diese Zeit fällt der Eindruck, den er in dem Bild ‚Pferderennen in den Cascinen‘ gestaltete. Liebermanns Aufmerksamkeit gegenüber dem Motiv war vielleicht durch Alfred Lichtwark angeregt worden, der von Liebermann ein Pferderennen für die Hamburger Kunsthalle haben wollte [...] Dargestellt ist ein Hindernisrennen. Im Vordergrund verläuft parallel zur Bildebene die Rennbahn, auf der [...] drei Pferde über das Hindernis setzen [...]. Die beiden Pferde im Vordergrund bilden in ihrer Bewegung einen geschlossenen Bogen, der sich über die Hecke wölbt. Pferde und Reiter sind scharf gezeichnet, der Hintergrund dagegen, wo sich Zuschauer an der Barriere drängen, verschwimmt. [...] Das Motive des Jockeys, der mit der rechten Hand die Gerte schwingt, um sein Tier anzutreiben, nimmt der Maler in der zweiten großen Fassung (1909/5) wieder zurück, in der nicht mehr vier, friedigt zu haben, er hat sie im selben Jahr auch lithographiert (Schiefler Nr. 87).“ 1 Max Liebermann, Pferderennen in den Cascinen - 2. Fassung (Eberle 1909/5) Öl auf Holz. Kunstmuseum Winterthur 1 Eberle, Matthias, Max Liebermann. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II. 1900-1935. München 1996. S. 758 Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935) Kind mit Wärterin. Kaltnadelradierung auf Bütten, mit Bleistift signiert, am unteren Rand in Bleistift bezeichnet „vor der Auflage (Probedruck)“, 1919. 25,1 : 18,9 cm auf 36,8 : 27,8 cm. Werkverzeichnis: Schiefler 315, wohl II oder III (von IV). Zustandsdruck vor den Überarbeitungen an der Kleidung der Dargestellten und der Auflage von 50 Exemplaren. Ausgesprochen selten! bermanns Biograph beschrieb das Bild mit den Worten: >Ein kleines Bild, das [...] 1920 in der Sezession ausgestellt war, zeigt die Kleine, wie sie auf dem Schoß der Wärterin sitzend mit ihrem Händchen auf dem Bilderbuch herumtappt, das vor ihr auf dem Tische liegt. Diese Bilder kann man unbedenklich den wundervollen intimen Porträts an die Seite stellen, die Liebermann vor Jahren von seiner kleinen Tochter gemalt hat.< (Kunst und Künstler, Jg. XX, 1922, Heft 10, S. 346).“1 Provenienz: Privatsammlung Berlin Auch hier handelt es sich um die graphische Variante zu einem Gemälde (Eberle 1919/25), dessen Standort allerdings unbekannt ist. „Maria Riezler (Berlin 27.3.1917 - 14.1.1995 New York), die Enkelin des Künstlers, sitzt auf dem Schoße ihrer Kinderfrau Ida Schönherr an einem Tisch und betrachtet unter deren Anleitung ein aufgeschlagenes Bilderbuch. [...] Lie- 1 Eberle, Matthias, Max Liebermann. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II. 1900-1935. München 1996. S. 758 71 Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935) Das Konzert. Kaltnadelradierung auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1922. 23,3 : 31 cm auf 29 : 39 cm. Werkverzeichnis: Schiefler 344 IIId. Eins von 100 Exemplaren, erschienen bei Paul Cassirer. Am rechten Rand restaurierter Einriss (außerhalb der Darstellung), sonst sehr gut erhalten. Provenienz: Rheinischer Privatbesitz. 72 Zu dieser Graphik sind vier Versionen in Öl bei Eberle (1922/1-4) aufgeführt, deren Standorte unbekannt sind. Sie zeigt den Blick aus einer Loge auf die Bühne der Staatsoper Unter den Linden auf die Bühne, wo der Dirigent mit erhobenen Armen das Orchester leitet. Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935) Haus am Wannsee. Kaltnadelradierung auf festem Velin, mit Bleistift signiert, 1926. 14,5 : 19,8 cm auf 29,8 : 38,2 cm. Werkverzeichnis: Achenbach 106. Einer von wohl wenigen Abzügen vor der Verstählung der Platte. Absolut vorzüglich erhalten, breitrandig und nuanciert. Am unteren Rand Bleistiftmarginalien. Graphische Variante zu dem Gemälde "Die Birkenallee im Wannseegarten nach Westen" (Eberle 1926/25). Provenienz: Rheinischer Privatbesitz "Das Grundstück am Wannsee, das Liebermann 1909 erwarb, war an der Südseite von einem Birkenwäldchen bestanden, das sich zum See hinunter zieht. Die Birken, die Verlauf des neu angelegten Weges standen, wurden nicht gerodet und überspielten daher den schnurgerade ausgerichteten Weg. So vermitteln die weißen Baumstämme, der lockere Wuchs und die feinblättrige Belaubung zusammen mit dem hellen Kiesbelag des Pfades ein sehr lichtes Bild."1 1 Eberle, Matthias, Max Liebermann. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II. München 1996. S. 963.; siehe auch: Faass, Martin, Hrsg., Max Liebermann. Der Birkenweg. Ein Motiv zwischen Impressionismus und Jugendstil. Katalog der Ausstellung in der Liebermann-Villa am Wannsee, Berlin 2008 73 Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935) Gartenszene (Wärterin, Kind und Hund). Kaltnadelradierung auf Zanders-Bütten, mit Bleistift signiert, 1921. 11 : 17,5 cm auf 41,8 : 33,2 cm. Werkverzeichnis: Schiefler 331 II d. Eins von 430 Exemplaren auf Bütten für das Werk „Max Liebermanns Handzeichnungen“, herausgegeben von Paul Cassirer. Trotz der Auflage nicht häufig. zeigt, wiederholen sich fortwährend die Worte: ‚Mein Enkel - meine Tochter - meine Frau - mein Enkel!‘ Was um ihn herum lebt, sieht er am häufigsten und es lockt ihn auch bald eine Haltung, eine Linie zum Festhalten mit dem Stift. Bei den Unterschriften will er aber nicht betont sehen, daß es seine Verwandten sind. ‚Meine Frau und meine Tochter die wollen nicht immer74 Breitrandiges, makellos erhaltenes Exemplar dieses gesuchten Blattes. Provenienz: Norddeutsche Privatsammlung Dargestellt ist die Enkelin Liebermanns mit dem Kindermädchen und dem Dackel Nicki. zu genannt sein. Das ist doch ‚ne Frau oder ‚n Mädchen, die ich jemalt habe. Sagen Se man ‚Lesendes Mädchen‘!‘ Aber beim Kramen nennt er die Blätter doch wieder: ‚Mein Enkel - meine Frau - meine Tochter - mein Enkel!‘ Am liebevollsten spricht er aus: ‚Mein Enkel!‘“ 1 1 Ostwald, Hans, Das Liebermann-Buch. Berlin 1930. S. 366. „Und selbst als im Enkelkind das Modell für die Kinderzeichnungen in der Familie sich wiederholte, war Liebermann wohl der angeregte und aufmerksame Großvater - aber nicht der verliebte, großväterliche Künstler. Seine Zeichnungen blieben frei von hübschmachender, fälschender Zuneigung. Trotzdem sonst zu berichten ist: Wenn Liebermann Zeichnungen und Skizzen Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935) Badende. Kreidelithographie auf China-Bütten, mit Bleistift signiert, 1926. 24,4 : 20 cm auf 31,5 : 42,3 cm. Werkverzeichnis. Achenbach 116. Blatt 9 aus der Mappe „Max Liebermann - 9 Steinzeichnungen“, erschie- nen bei Bruno Cassirer in Berlin in 60 Exemplaren. Im ehemaligen Passepartout-Auschnitt kaum merklich gebräunt, sonst sehr schöner Abzug dieses anmutigen Blattes. Provenienz: Westfälische Privatsammlung rung und Zeichenroutine geboren. [...] Auch lithographierend variiert Liebermann wieder seine alten Motive. Vor allem Strandszenen, Reiter am Meer und weite Landschaften, Pleinairmotive, die sich mittels der weichen lithographischen Kreide gut darstellen lassen, und denen das luftige Atmo- sphärische wichtig ist. Der Skizzencharakter herrscht unverkennbar.“ 1 „Auch sie [die Lithographien] weisen die Tugenden der Zeichnungen auf; aber noch mehr sind sie aus der Erfah- 1 Scheffler, Karl, Max Liebermann. München 1922. S. 198 75 Peter Ludwigs (Aachen 1888 - 1943 Düsseldorf) Ohne Titel (Fischer). Aquarell und Feder auf Bütten, mit Feder signiert, datiert und mit der Ortsbezeichnung „Cassis“, 1929. 49,7 : 35 cm. Stellenweise braunfleckig, ein hinterlegter Einriss, verso Montierungsreste, insgesamt aber von schöner Gesamterhaltung und beeindruckender Leuchtkraft. Provenienz: Privatsammlung Westfalen. Literatur: „Peter Ludwigs. Malerei, Grafik, Dokumente“. Katalog der Ausstellung im Stadtmuseum Düsseldorf 1982/83. Peter Ludwigs entstammte einer wohlhabenden Aachener Fabrikantenfamilie. Er studierte Bildhauerei an den Akademien in Aachen, Lüttich und Brüssel. 1911 zog er nach Düsseldorf. 1915 bis 1918 nahm er als Freiwilliger am Krieg teil. 1918 wurde er neben Otto Pankok, Gert Wollheim u. a. Mitglied des „Aktivistenbundes“, ebenso gehörte er 1919 zu den Mitbegründern des „Jungen Rheinlands“, das sich bei Johanna „Mutter“ Ey traf. 1924 beteiligte er sich an der „Ersten Allgemeinen Kunstausstellung“ in Moskau gemeinsam mit Dix, Baluschek, Zille und Kollwitz. In dieser Zeit wandte er sich verstärkt der Malerei zu. 1926 lernte er die oldenburgerische Künstlerin Lucie Uptmoor kennen, die er ab 1927 in Düsseldorf unterrichtete und mit der er sich ein Atelier teilte. Nach Zerfall des „Jungen Rheinlands“ wurde Ludwigs Vorstandsmitglied der „Rheinischen Sezession“. Im Sommer 1929 reiste er gemeinsam mit Lucie Uptmoor und Heinz Tappeser für drei Monate nach Marseille, Arles und Cassis, wo auch unser Bild entstand. Nach der Machtergreifung Hitlers fand Ludwigs keine Ausstellungsmöglichkeiten mehr, er mußte sich immer mehr zurückziehen. Ludwigs war seit 1922 KPD-Mitglied 76 und arbeitete ab 1942 verstärkt im Widerstand. Am 5. Februar 1943 wurde Ludwigs verhaftet, seine schwere Zuckererkrankung wurde nicht behandelt, auch bekam er kein entsprechendes Essen. Dennoch zwang man ihn zu schweren Strassenräumarbeiten, wodurch der völlig ausgemergelte Künstler am 2. Juli 1943 im Gefängnis „Ulmer Höhe“ starb. Zuvor hatte man seiner Frau die Besuchserlaubnis entzogen, damit sie sehen konnte, in welchen Zustand man ihn gebracht hatte. Johanna Ey, Peter Ludwigs, Robert Pudlich, Luzie Uptmoor (von links nach rechts) vor dem Eingang der Galerie Ey 77 Franz Marc (München 1880 - Braquis bei Verdun 1916) Bretonische Bettler. Kreidelithographie auf Velin, mit Bleistift signiert, im Stein monogrammiert, 1907. 25 : 29,5 cm. Im ehemaligen Passepartout-Ausschnitt gebräunt. Werkverzeichnis: Hoberg/Jansen 6. Provenienz: Sammlung Max Dietzel, München (mit dessen handschriftlichen Notizen von 1913 auf dem Passepartout); Sammlung Heinrich Stinnes, Köln (mit dessen Sammlungsstempel und handschriftlichen Beschriftungen); Sammlung Helmut Goedeckemeyer, Frankfurt (mit dessen Sammlungsstempel verso); Privatsammlung Pfalz. Max Dietzel (1883 - 1916) führte zusammen mit seinem Freund Paul Ferdinand Schmidt 1912/13 in der Münchner Königinstraße den „Neuen Kunstsalon“, wo u. a. Künstler des „Blauen Reiter“ und der „Brücke“ ausgestellt waren. Außerdem kooperierte die Galerie mit dem Folkwang Museum in Hagen. Er schrieb auf das Passepartout in Tinte: „N.K.-S. [Neuer Kunst-Salon] Max Dietzel. VIII/1913. Franz Marc 1880-1916: Holz- (Lumpen?)sammler. Lithographie mit der Feder auf Stein; handschr. bez. Druck auf Bütten 25,-“ Heinrich Stinnes (Mülheim an der Ruhr 1867 - 1932 Köln) trug von 1910 bis 1932 eine der bedeutensten Graphiksammlungen Europas zusammen (ca. 200000 Blätter !), die nach seinem Tod auf mehreren Auktionen versteigert und damit zerrissen wurde. Stinnes erwarb nur frühe und beste Abzüge, die er recto mit seinem Stempel versah. Seine Bleistiftnotation lautet: „Franz Marc - Holz-/Lumpen ?/Sammler. Lithographie 25,-“ was darauf schließen läßt, das Stinnes das Blatt bei Dietzel erworben hat. Helmut Goedeckemeyer (1898-1983) besaß eine druckgraphische Sammlung 78 der deutschen und französischen klassischen Moderne von ca. 5000 Werken. Seine Kollwitz-Sammlung ging an das Städelsche Kunstinstitut in Frankfurt. „Trotz der überschaubaren Anzahl von 14 größeren Lithographien und 22 Holzschnitten erweist sich das druckgraphische Werk von Franz Marc als recht komplex. Dies betrifft weniger das frühe lithographische Werk, dessen Blätter äußerst rar und zum Teil sogar nur in Unikaten erhalten sind, sondern die Variationsbreite der SchwarzWeiß- und Farbholzschnitte, die ab 1911/12 entstanden sind und verschiedene Auflagen erfahren haben. [...] Marc begann sein druckgraphisches Werk ab dem Winter 1907 mit der Herstellung von Lithographien, die er offenbar zu Verkaufszwecken anfertigte, um seine in diesen Jahren stets angespannte finanzielle Situation zu verbessern, die sich erst ab 1910 durch seine Begegnung mit dem Mäzen Bernhard Koehler ändern sollte. [...] Doch die Anzahl der erhaltenen Abzüge seiner Lithographien, die häufig noch delikat und unterschiedlich eingefärbt waren, ist außerordentlich gering, meist geht sie nicht über zwei bis zehn Exemplare hinaus.“1 Franz Marc reiste im Mai 1903 auf Einladung seines wohlhabenden Kommilitonen Friedrich Lauer für vier Monate nach Frankreich, wo er Werken von Manet, Courbet und Delacroix begegnete und den Endschluß faßte, die Akademie zu verlassen um sich autodidaktisch weiter zu bilden. Auf einer zweiten Reise nach Paris im Frühjahr 1907 begegnete Marc schließlich Werken Van Goghs, dem seine große Bewunderung galt. Am 13.4.1907 schreibt er an Maria Franck: „Ich war selten so sehr mit mir einig als Künstler wie diesmal in Paris. Diese 8 Tage gehören 1 Hoberg, Annegret und Isabelle Jansen, Franz Marc. Werkverzeichnis Band III. Skizzenbücher und Druckgraphik. München 2011. S. 310 zu den traumhaftesten Tagen meines Lebens, – und voll Gewinn. Ich sah mir nur wenig anderes an als die beiden großen neuen Meister van Gogh und Gauguin und daneben ägyptische und mittelalterliche Plastik und Rodin. Am meisten aber ›la belle Seine ...‹ zu allen Tagesstunden und Nachtstunden. Ich war unsagbar glücklich, allein sein zu dürfen, und was man dazu dachte, kümmerte mich nicht.“ Am 24.7.1907 schreibt er erneut an Maria: „Van Gogh ist für mich die teuerste, größte, rührendste Malergestalt, die ich kenne. Ein Stück einfachster Natur zu malen und dahinein allen Glauben und alle Sehnsucht hineinzumalen, das ist doch das Würdigste; ich ziehe ihn heut dem viel berechnenderen Gauguin in jeder Beziehung vor.“ Vorliegende Lithographie läßt den Einfluss Van Goghs spüren, den Marc eingehend in Paris studiert hatte.2 Vincent van Gogh, Alter Schiffer mit Südwester. Schwarze Kreide 1883. Rijksmuseum Kröller-Müller, Otterlo 2 Roßbeck, Brigitte, Franz Marc. Die Träume und das Leben. München 2015. S. 93 79 Franz Marc (München 1880 - Braquis bei Verdun 1916) Springende Pferdchen. Holzschnitt auf gelblichem Maschinenbütten, im Stock monogrammiert, 1912. 13,5 : 9 cm auf 23,9 : 16,7 cm. Werkverzeichnis: Hoberg/Jansen 31. Mit Atelierspuren, in der rechten oberen Ecke kleiner Wasserrand. Möglicherweise Probedruck vor der ersten Auflage von Handdrucken und der zweiten Auflage für „Der Sturm. Wochenschrift für Kultur und die Künste“, hrsg. von Herwald Walden, N° 129, S. 163 von Oktober 1912. Teils sehr pastoser Farbauftrag, verso durchschlagend. Provenienz: Privatbesitz Berlin. „Gegenüber dem schon mengenmäßig imponierenden Holzschnittwerk der Künstler aus dem ‚Brücke‘-Kreis - fast 1000 verschiedene Blätter von Kirchner, jeweils an die 450 von Schmidt-Rottluff und Heckel oder 200 von Nolde - , aber auch im Vergleich zu Kandinskys rund 150 Nummern nehmen sich die kaum über zwanzig zählenden Holzschnitte Franz Marcs mehr als bescheiden aus; daher rührt freilich ebenso die Seltenheit her, Drucke von seiner Hand auf dem Kunstmarkt zu finden. Die Beschäftigung mit dem Holzschnitt umfaßt bei Marc nur zweieinhalb Jahre: von der Wende 1911/12 bis zur Mitte 1914, als der Sechsunddreißigjährige in den Krieg zog, aus dem er nicht mehr zurückkehren sollte. [...] So zwangsläufig, im Rückblick auf das Lebenswerk gesehen, der Schritt von der Lithographie zum Holzschnitt gewesen ist, es mußten doch verschiedene Anregungen zusammenkommen, damit Marc sich diesem graphischen Verfahren öffnete. [...] den letzten Anstoß scheint nach dem Bericht seiner Frau Maria Marc doch Kandinksy gegeben zu haben, der den Freund im Zusammenhang mit den Plänen zur Bebilderung des Almanachs Der Blaue Reiter ermunterte, sich in dieser Technik zu versuchen. [...] Den entscheidenden Eindruck von den vielfältigen künstlerischen Möglichkeiten des Holzschneidens gewann Marc jedoch im Januar 1912, als er während eines Berliner Aufenthaltes die Maler der Brücke und der Neuen Secession in ihren Ateliers aufsuchte: Heckel, Kirchner, Nolde und Pechstein. Er war überwältigt von dem ‚Riesenma80 terial‘ und packte sofort einen großen Stoß davon zusammen, um ihn nach München zur geplanten SchwarzWeiss-Ausstellung des Blauen Reiters zu schicken, die Mitte Februar eröffnet wurde. [...] So sehr Marc von der Kunst der Brücke angetan war, seine eigenen Blätter verleugnen nie das andersartige Formgefühl und das abweichende Ziel. Gegenüber der kantigen, zuweilen brutal vereinfachenden Sprache der Dresdner und Berliner Gruppe werden sie von schwingenden Rhythmen beherrscht; kunstvoll geflochtene Liniengewebe betonen das Weiche mehr als das Harte, das Gerundete mehr als das Eckige, das Verbindende mehr als das Trennende. Akt, Tier und Pflanze sind organisch einer übergreifenden Ganzheit eingebunden, jenem ‚Unteilbaren Sein‘, das darzustellen Marc sich sehnte. [...] Nach Marcs Worten sollten die überzähligen Drucke als ‚Versuchsdrucke‘ bezeichnet werden - ein Begriff, der noch mehr als der gebräuchlichere ‚Probedrucke‘ das Stadium des Experimentes umschreibt und den Maria Marc vielleicht eben deswegen nicht benutzt hat. Die Ankündigung, solche Drucke - ‚soweit sie fertig sind‘ - später nachzusignieren, hat der Künstler indessen nicht wahrmachen können [...].1 „Die Springenden Pferdchen verdienen ihre Bezeichnung eigentlich nicht ganz; denn allenfalls das unterste zeigt eine solche Bewegung. Es scheint eher emporzusteigen, seine Aufwärtsrichtung wird von den drei Tieren darüber so aufgenommen, dass ein Zickzackrhythmus mit manchen Diagonalimpulsen entsteht - eine kleine Vorahnung des Turms der blauen Pferde.“ 2 recto Der Turm der blauen Pferde Öl auf Leinwand 1913 200 : 130 cm seit 1945 verschollen 1 Lankheit, Klaus, Die Holzschnitte Franz Marcs. In: Hoberg, Annegret und Isabelle Jansen, Franz Marc. Werkverzeichnis Band III. Skizzenbücher und Druckgraphik. München 2011. S. 319 ff. 2 Holst, Christian von, Franz Marc. Pferde. Katalog der Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart 2000. S. 102 ff. 81 Frans Masereel (Blankenberghe 1889 - 1972 Avignon) Femme à la cigarette. Öl auf Leinwand, unten links monogrammiert und datiert, 1923. 43,3 : 34,3 cm. Bis auf leichtes Craquelé schön erhalten. Provenienz: Rheinische Privatsammlung. Dargestellt ist die dreiundzwanzigjährige Paule Thomas, die Tochter von Masereels Frau Pauline, die er am 23. Februar 1921 in Genf geheiratet hatte. Masereel hatte Pauline Imhoff, Tochter eines Fabrikdirektors wohl 1909 in Paris kennengelernt. „Pauline war beinahe elf Jahre älter als Frans. Sie ist 1878 in Randonnai im normandischen Departement Orne geboren, in der Bretagne aufgewachsen und hat 1899 in Gent Adolphe Auguste Thomas geheiratet. Die Ehe war übrigens von kurzer Dauer, denn Thomas ist 1908 nach Brüssel umgesiedelt und hat Pauline mit ihrem achtjährigen Töchterchen Paule in Gent zurückgelassen.“1 1923 malt Masereel mehrere Porträts von Mutter und Tochter. Paule Thomas hatte im Juni 1922 den Bankangestellten Georges Kustner geheiratet und sich in Genf niedergelassen. Das Bild steht am Beginn von Masereels internationalem Erfolg als Maler. Durch die Galerie Billiet in Paris werden seine Werke lanciert: „Die sechs Masereel-Ausstellungen, die Billiet zwischen 1922 und 1928 veranstaltet, sorgen dafür, dass Museumsdirektoren und Kunsthändler sowohl den Maler als auch den Grafiker Masereel kennenlernen, und natürlich profitiert auch die Galerie von seinem Erfolg. Ausser seiner Zusammenarbeit mit Billiet hat Masereel seine zunehmende Bekanntheit vor allem Stefan Zweig und Carl und Thea Sternheim zu danken, die es als eine 1 Parys, Joris van, Masereel. Eine Biographie. Zürich 1999. S 40 82 Ehrensache betrachten, dem Werk ihres flämischen Freundes internationale Anerkennung zu verschaffen. >Ich sagte schon Billiet, dass ich es an der Zeit hielte, eine gesamte Ausstellung deiner Werke in Deutschland oder Böhmen zu machen.<, schreibt Zweig im Juli 1923. >Mein Freund Cumill Hoffmann kann das in Prag leicht durchsetzen, und wir würden dann die Ausstellung gleich nach Wien weiterschicken, vielleicht sogar nach Budapest.<“2 „War nachmittags in der Galerie Billiet, die neuen Masereel Bilder zu sehen. Du kannst Dir nicht denken, wie herrlich seine letzten Porträts sind man soll die Reproduktionen verbrennen, so leblos und farbtot wirken sie. Ich bin grenzenlos begeistert, und ein grosses Bild hätte ich leidenschaftlich gern gekauft, aber lieber lass ich mich doch von M. portraitieren.“3 „An seinem 35. Geburtstag, am 30. Juli 1924, schreibt er [Masereel] Georg Rheinhart, dass er als Maler die gleiche Intensität und Expressivität erreichen wolle wie in seinen Holzschnitten. Von seinen ersten Pariser Bildern sagt er, dass die Farben >sehr streng und schlicht sind und ziemlich spanisch anmuten.< Dies gilt besonders für das erste gemalte Selbstporträt, in dem Ocker- und Grautöne vorherrschen, und für ein Dutzend anderer Porträts, mit denen er 1923 anfängt, sich als Maler selbst zu entdecken - es handelt sich um Pauline, Paule, Le Fauconnier, Léon Werth und Georg Reinhart, der im November zum Posieren nach Paris kommt. [...] Ein gutes Porträt, findet Masereel selbst, ist ein Porträt, das dem Publikum beim ersten Blick einen richtigen Eindruck gibt, sowohl von der Persönlichkeit als auch von dem gesellschaftlichen Hintergrund des Porträtierten. Daher ist das Por2 siehe Anm. 1 S. 182 3 Stefan Zweig an Friderike Zweig im Januar 1924 trät Paulines aus dem Jahr 1923 ein elegantes Werk im Sinne der Ecole de Paris [...] Die Porträts sind die ersten Bilder, mit denen Masereel sich als Maler vom direkten Einfluss seiner Grafik befreit, aber das heisst nicht, dass eine solide Zeichnung als Basisstruktur seiner Bilder nicht weniger wichtig würde.“4 4 siehe Anm. 1 S. 189 83 Maguy Monier (eigtl. Marguerite Monier, geb. Poirion) (Malabry 1887 - 1965 Châtenay) Ohne Titel (Ansicht eines bretonischen Dorfes im Sommer). Öl auf Leinwand, unten rechts signiert, um 1910. 57,5 : 76,5 cm. Bis auf leichtes Craquelé sehr schön erhalten. Provenienz: Privatbesitz Bretagne. Die Künstlerin lebte mit ihrem Mann, dem Bildhauer Émile Monier (18831970), in ihrem Elternhaus „Le Bocage“ in Châtenay-Malabry in der Region Île de France. Als Graphikerin schuf sie berühmte Modedarstellungen, die auch in Form von Postkarten publiziert wurden, und Buchillustrationen für den Nilsson-Verlag, im Stil des Art Déco. 1925 stellte sie in der Galerie G.-L. Manuel frères in Paris Gemälde aus. Dazu schrieb der Schriftsteller Gustave Kahn im „Mercure de France“: „Mme Maggy [sic] Monier hat uns um die 40 kleine Bilder gezeigt - Provence, Bretagne, Blumen, in flinker Art gemalt. Sie sich nach Vereinfachung im Farbton. Es gibt einen intimen Wert in der Darstellung der alten bretonischen Spinnerinnen, die in den dunklen Türöffnungen sitzen. Ihre Blumen sind ganz klar gemalt und befinden sich immer in einer schlichten weißen Vase“. Émile Monier war einer der bedeutendsten Medaillisten des Art Déco. 1906 wurde die Tochter Madeleine Monier geboren. 1927 beteiligte sich Maguy am Salon des Indépendants. Wo Maguy ihre Ausbildung erhielt, können wir nicht ermitteln. Leider ist die Erkenntnislage über die in Paris studierenden Künstlerinnen noch sehr desolat.1 Möglicherweise besuchte sie eine der zahlreichen privaten Malschulen wie die Académie Julian in Paris, denn die hervorragende Qualität der Komposition, des spätimpresi1 siehe hierzu: „Paris bezauberte mich. Käthe Kollwitz und die französische Moderne“. Hrsg. von Hannelore Fischer und Alexandra von dem Knesebeck. Katalog der Ausstellung im Kollwitz-Museum Köln, 2010/11. S. 19 84 onistischen Pinselstrichs und der stimmungsvollen Wiedergabe der still vor sich hin arbeitenden Bäuerin an einem sonnigen Tag im Sommer, sprechen für eine gute Ausbildung und natürlich auch für ein großes Talent. 85 Friedrich Wilhelm Mook (1888 - Frankfurt - 1944) Ohne Titel (Sommerliches Gartenbeet in Gomaringen/Tübingen). Öl auf Leinwand, recto unten rechts mit geritzter Signatur und Datierung, verso auf dem Keilrahmen signiert und datiert, 1940. 72,5 : 54,5 cm. Ausgesprochen farbintensives, sehr pastos gemaltes Gartenstück. Provenienz: Privatsammlung Rheinland. Literatur: Valdivieso-Schröpfer, Edith, Friedrich Wilhelm Mook (1899 - 1944). Ein Frankfurter Maler. Frankfurt 2008 (Inauguraldissertation). Bei einem Bombenangriff im März 1944, wenige Wochen nach Mooks Tod, wurden seine Wohnung und Atelier fast vollständig zerstört, ausgelagerte Werke gingen ebenfalls in den Kriegswirren verloren. Das erklärt, warum der das Oeuvre des Malers heute weitgehend unbekannt ist. Friedrich Wilhelm Mook wurde am 14. März 1888 in Frankfurt am Main geboren. Schon als Jugendlicher besuchte er Wilhelm Trübner in dessen Atelier, was nicht ohne Einfluß auf seine künstlerische Entwicklung blieb. Zwar absolvierte er eine kaufmännische Ausbildung, begann aber schließend mit 19 Jahren 1907 mit dem Kunststudium bei Johann Heinrich Limpert an der Städelschule in Frankfurt. Im November 1908 wechselte Mook für fünf Monate an die Akademie in Karlsruhe. Nach Frankfurt zurückgekehrt wandte er sich dem akademischen Ausbildungsbetrieb ab und bildete sich autodidaktisch weiter. Schon in dieser Zeit entsteht die Ausprägung auf die Wiedergabe malerischer Werte wie Licht und Farbe bei einfachstem Bildgegenstand. Hier stand besonders das Werk Trübners Pate, der sich in Farben und Bildgestaltungen so radikal von der alten Schule abgewandt hatte. Seit 1910 beteiligte sich Mook an öffentlichen Ausstellungen in Frankfurt. Erneut 86 wird er durch den Besuch einer Trübner-Ausstellung im Frankfurter Kunstverein 1916 von dessen ausdrucksstarker Farbgebung beeinflußt. Und im selben Jahr findet eine Ausstellung mit seinen Arbeiten gemeinsam mit Werken Trübners, Steinhausens, Thomas, Slevogts und Corinths im Frankfurter Kunstsalon Schneider statt, die für Mook ein großer Erfolg wird und seine Etablierung im Frankfurter Kunsthandel bedeutet. In den Zwanziger Jahren erlebt Mooks künstlerische Laufbahn einen ersten Höhepunkt. Ausstellungen und positive Kritiken folgen nahtlos aneinander. Das setzt sich auch zu Beginn der Dreissiger Jahre fort. Politisch eher uninteressiert nimmt er von 1936 bis 1943 an den jährlichen Ausstellungen der Reichskulturkammer teil. In dieser Zeit unternimmt er häufiger Fahrten in die Natur als Ausstellungen zu besuchen. Aus Anlaß seines 50. Geburtstages wurde 1938 eine große Ausstellung im Frankfurter Kunstverein ausgerichtet. Obwohl gesundheitlich angegriffen, unternahm er noch einige weitere Reisen, so im Sommer ins Schwäbische. Etwa drei Wochen vor seinem Tod wurde der erst 56jährige wegen Herzproblemen in das Bürgerhospital nach Frankfurt eingeliefert, wo er am 28. Januar 1944 verstarb. Mook in Gomaringen 1940 87 Emil Nolde ( Nolde/Nordschleswig 1867 - 1956 Seebüll) Junge Mutter. Holzschnitt auf Kupferdruckkarton, mit Bleistift signiert und wohl von Ada Nolde betitelt und bezeichnet „Ex. III. 10“, 1917. 21,2 : 15,2 cm auf 33,5 : 27 cm. Werkverzeichnis: Schiefler/Mosel 137 (nennen eine Auflage von ca. 12 Exemplaren). Im Bereich der nichtdruckenden Fläche links neben der Hand der Mutter leichte (druckbedingte?) Vertiefungen im Papier, sonst prachtvoller Handdruck in tiefem, sattem Schwarz. Provenienz: Privatsammlung Süddeutschland „Der Holzschnitt zeigt eine junge Frau im Profil, die ihr Neugeborenes im Arm hält. Mit einem unnatürlich gebogenen Hals [...] betont Nolde das liebevolle Herabneigen der Mutter zu ihrem Kind. Durch die vom schwarzen Hintergrund abgesetzte Aussparung sticht die Figuren gruppe wie von einem grellen Licht angeleuchtet aus dem Dunkel hervor. Das Motiv beschäftigte Nolde kurze Zeit später ein zweites Mal: In einem kompositorisch fast identischen Druck verzichtet er auf modellierende Binnenformen und schneidet die Figuren in breiten Konturen aus dem Holz heraus. Während er für diese erste Druckgrafik den alternativen Titel ‚Junge Mutter (ländlich)‘ (Schiefler 137) notiert, versieht er die stärker abstrahierte spätere Version mit dem beschreibenden Zusatz ‚städtisch‘ (Schiefler 142).“ 1 1 Emil Nolde. Retrospektive. Katalog der Ausstellung im Städel Museum Frankfurt 2014. S. 265 88 89 Emil Orlik (Prag 1870 - 1932 Berlin) Porträt Bella Chagall. Pastell auf Malkarton, mit Kreide signiert, um 1923. 69 : 49 cm. An den Kanten und an der rechten oberen Ecke leichte Altersspuren. Verso mit Farbproben in Pastellkreide sowie dem Adress-Stempel von Leopold Hess Kunstmaterialien“, Genthiner Str. 29, Berlin (bei dem auch Slevogt kaufte). Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein Orlik porträtierte Marc Chagall 1923 in Berlin (veröffentlicht in „Emil Orlik. Neue fünfundneunzig Köpfe“, Berlin 1926), in diesem Kontext wird auch unser Bild entstanden sein. „Wenig bekannt ist, daß der später weltberühmte Maler [Marc Chagall] seine erste große Ausstellung in Berlin hatte, bei Herwarth Walden in dessen Galerie ‚Der Sturm‘. Bald danach reiste er in seine Heimat zurück, wo er von Weltkrieg und Oktoberrevolution überrascht wurde und auf Vermittlung A. Lunatscharskys für einige Jahre als sowjetischer Kunstkommissar tätig war, obwohl er, wie er einmal sagte, anfangs von Karl Marx nur wußte, daß er Jude war und einen großen weißen Bart trug. Als die Dinge immer unerquicklicher wurden, reiste er, wiederum durch Lunatscharschkys Hilfe, 1922 nach Berlin zurück. Chagall bemühte sich vergeblich, die über 100 Bilder, die Walden in seiner Galerie lagerte, zurückzubekommen. Chagall ging wieder nach Paris, wo er schon 1910 gelebt hatte. Gerhard Ulrich notierte: >Ein Blick auf dieses noch immer knabenhelle Gesicht genügt, um die Unvereinbarkeit seiner Welt mit jener anderen (kommunistischen) zu begreifen.<“1 Bella Rosenfeld (Witebsk 1895 - 1944 New York) war die Tochter eines wohlhabenden jüdischen Juweliers. Nach dem Abitur studierte sie an der Moskauer Universität. 1915 heiratete sie Chagall, 1916 wurde die Tochter Ida geboren. Nach einem kurzen Aufenthalt in Deutschland zog die Familie 1923 nach Paris. 1941 wanderten sie in die USA aus, wo Bella drei Jahre später an einem viralem Infekt starb. „Im Sommer [1922] Ankunft in Berlin mit all seinen Bildern. Seine Frau Bella, die wegen eines gebrochenen Arms zunächst in Moskau bleiben mußte, und seine Tochter Ida treffen ebenfalls in Berlin ein. Sie bleiben ein Jahr lang und wohnen an vier verschiedenen Adressen. Mit Ausnahme der letzten liegen alle Wohnungen zentral, in der Umgebung des Prager Platzes, wo viele Russen wohnen. [...] Chagall ist in Berlin kein Unbekannter, weil er 1914 in der Galerie ‚Der Sturm‘ 40 Gemälde und mehr als 100 Gouachen zurückgelassen hat, die Herwarth Walden auch später noch dort zeigte; 1918 widmete er Chagall das ‚Sturm-Bilderbuch‘ Nr. 1. [...] Zu seinen Freunden gehören der Schriftsteller und Zionist Chaim Bialik, die Maler George Grosz (den er in Paris kennengelernt hat), Karl Hofer und Jankel Adler, David Schterenberg und seine Frau Nedeshda (eine Freundin Bellas) und Alexander Archipenko.“2 1 Friese, Eberhard, Buch der Freundschaft und Spiegel der Zeit: Orliks Köpfesammlung. In: Setsuko Kuwabara, Emil Orlik, ein Porträtist des geistigen Berlin. Berlin 1998. S. 34. 2 Compton, Susan. Marc Chagall. Mein Leben - Mein Traum. Berlin und Paris 1922-1940. Katalog der Ausstellung im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen 1990. S. 261 90 Chagall mit Bella und Ida in Berlin 1923 Marc malt Bella Chagall, Paris 1934. 91 Emil Orlik (Prag 1870 - 1932 Berlin) Radierungen aus der Mappe „Orlik. Die Reise nach Japan“, erschienen in 100 Exemplaren im Verlag F. Bruckmann, München 1921. 1. Aus Port-Said. Radierung und Aquatinta auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1921. 17,6 : 12,6 cm auf 27,3 : 21,3 cm. Blatt 3 der Mappe. 2. Arabisches Cafe. Radierung und Aquatinta auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1921. 11 : 11 cm auf 27,3 : 21,3 cm. Blatt 4 der Mappe. 3. Erinnerung an Singapore. Radierung und Aquatinta auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1921. 16,7 : 14 cm auf 27,3 : 21,3 cm. Blatt 6 der Mappe. 4. Bei Hong-Kong. Radierung und Vernis mou mit Roulette auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1921. 11 : 12 cm auf 21,3 : 27,3 cm. Blatt 7 der Mappe. 5. Shanghai-Mädchen. Radierung und Aquatinta auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, a. 17,2 : 10,7 cm auf 27,3 : 21,3 cm. Blatt 8 der Mappe. 6. Japanische Bauern. Radierung und Aquatinta auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1921. 17,7 : 12,7 cm auf 27,3 : 21,3 cm. Blatt 9 der Mappe. 7. Im Winterkleid. Radierung und Vernis mou mit Roulette auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1921. 9 : 7 cm auf 27,3 : 21,3cm. Blatt 10 der Mappe. Provenienz: Privatsammlung München 92 Orlik trat Ende 1911 zum zweimal eine Ostasien-Reise an. „Ende des Jahres 1911 reiste Orlik von Genua mit dem Schiff ab, zunächst nach Ägypten. Der dortige Aufenthalt, der eigentlich nur eine Zwischenstation sein sollte, brachte den höchsten künstlerischen Ertrag dieser Fahrt. Ägypten zog Orlik sofort in seinen Bann. [...] Ende März 1912 verließ Orlik Ägypten mit dem Schiff gen Ceylon und reiste über Singapur nach China. [...] Über Korea, mit einem Halt in Seoul Ende Juni 1912, fuhr Orlik weiter nach Tokio, seinem eigentlichen Ziel, wo er diesmal jedoch nicht lang blieb. [...] Mit der Transibirischen Eisenbahn kehrte er über Russland zurück. [...]Wie es Orliks übliche Praxis war, lagen den Radierungen der Mappe vor Ort angefertigte Zeichnungen zugrunde, so zum Beispiel beim Motiv ‚Shanghai-Mädchen‘, das zwei junge Chinesinnen in einem Hauseingang zeigt. Die schwarze Kreidezeichnung ist materialbedingt in der Faktur gröber, mit der feinen Radiernadel hat Orlik die Gesichtszüge differenzierter ausarbeiten können.“ 1 „Jene Faszination, die Orlik als jungen Mann dazu bewegt hatte, Japan zu bereisen, blieb freilich ein Leben lang wach und prägte seine Gedankwelt. So schrieb er noch 1926 im Vorwort eines von ihm herausgegebenen Portraitbuches: >Wenn ich so alt werden sollte wie weiland Hokusai, so möchte ich mich so nennen wie er: GWAKYO ROJIN, der in das Zeichnen vernarrte Greis<.“2 1 Matthias, Agnes, Emil Orlik - Zwischen Japan und Amerika. Katalog der Ausstellung im Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg 2012/2013. S. 24 ff 2 Otto, Eugen, Hrsg., Emil Orlik. Leben und Werk. Wien 1997. S. 32 2 1 4 3 5 6 7 93 Paul Paeschke (1875 - Berlin - 1943) Ohne Titel (Blick vom Potsdamer Platz in die Leipziger Straße) Kaltnadelradierung mit Roulette und Vernis mou auf Velin, mit Bleistift signiert, 1918. 26,5 : 34,5 cm auf 40 : 52 cm. „Paul Paeschke ist gebürtiger Berliner. Er gehört, wie das für einen 1875 geborenen kaum zu vermeiden war, zu den Impressionisten, und einem Berliner Impressionisten kam es am allerwenigsten in den Sinn, mit ‚Gemüt‘ zu schaffen. Aber ohne daß er ein Wort darüber verliert oder es in seinen Schöpfungen unterstreicht, spüren wir: er liebt sein Volk, aus dem er hervorgegangen ist. [...] Paeschke hat auf der Kunstschule in Berlin studiert und das Zeichenlehrerexamen bestanden. Dann ist er noch sechs Jahre lang auf die Akademie gegangen und hat den Lehrplan mit fast pedantischer Gründlichkeit durchgemacht. Er gehört nicht zu denen, die auf ihre Lehrer und auf ihre Lehrzeit schelten. Er neigte, auch hierin ein richtiger Berliner, nicht dazu, vor den Geheimnissen des Schaffens Schauer der Ehrfurcht zu empfinden. Ihm schien viel oder beinahe alles durch Fleiß und Aufmerksamkeit erreichbar, und es spricht für die ursprüngliche Echtheit seiner Künstlerschaft, daß er von ihr am allerwenigsten redet.[...] Er legte das Hauptgewicht seiner Arbeit auf die Graphik und versuchte, mit dem sparsamen und in seiner Hand so unendlich ausdrucksvollen Mitteln von Schwarz und Weiß das Großstadtleben zu schildern. [...] Und dann: der Potsdamer Platz! Er hat ihn mehrfach gezeichnet und radiert, immer von oben gesehen, vom Balkon des Café Josty mit dem Blick über den Leipziger Platz in die Leipziger Straße. Mit unwiderstehlicher Gewalt werden wir in das Hasten und Jagen hineingezogen, und wundervoll hat Paeschke den Rhythmus der Ordnung empfunden, der in dem scheinbar regellosen Durcheinander auch damals pulsierte, als es noch 94 keinen Verkehrsturm gab. Mit solchen graphischen Arbeiten [...] ist Paeschke berühmt geworden. In Berlin hatte der Künstler sich selbst gefunden. In Berlin hatte er die ersten Erfolge erzielt.“ 1 Die Konditorei „Café Josty“ hatte seit 1880 eine Filiale am Potsdamer Platz, das sogenannte „Künstlercafé“, denn hier trafen sich Heinriche Heine, Eichendorff, Fontane, Menzel u.v.m. Erich Kästner schrieb hier seinen Roman „Emil und die Detektive“, der auch z. T. hier spielt. Das Café zog 1930 in die Friedrich-Ebert-Straße um. 1912 veröffentlichte Paul Boldt das Sonett „Auf der Terrasse des Café Josty: Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll Vergletschert alle hallenden Lawinen Der Straßentrakte: Trams auf Eisenschienen, Automobile und den Menschenmüll. Die Menschen rinnen über den Asphalt, Ameisenemsig, wie Eidechsen flink. Stirne und Hände, von Gedanken blink, Schwimmen wie Sonnenlicht durch dunklen Wald. Nachtregen hüllt den Platz in eine Höhle, Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln schlagen Und lila Quallen liegen – bunte Öle; Die mehren sich, zerschnitten von den Wagen. – Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest, Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer Pest. 1 Weiglin, Paul, Paul Paeschke. In: Velhagen & Klasings Monatshefte. 42. Jahrgang, 3. Heft. Berlin, November 1927. S. 257 ff 95 Paul Paeschke (1875 - Berlin - 1943) Ohne Titel (An der Promenade des Tegeler Sees in Berlin). Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf festem Bütten, mit Bleistift signiert, um 1925. 17,6 : 23,3 auf 34,4: 47 cm. Bis auf zwei winzige Fleckchen prachtvoller und breitrandiger Abzug. „Immerhin verdanken wir Landschaftsmalern wie dem Berliner Paul Paeschke unendlich viel Anschauliches und Hübsches von Gegenden um Berlin, in denen meist nur als kleine bunte, in Scharen auftretende Staffagefiguren, eine Rolle spielten. Die sportliche Betätigung der Jugend hatte nach dem Ersten Weltkrieg zugenommen, die Verkehrsmittel der Weltstadt erlaubten billigere und weitere Ausflüge in die Umgebung der Stadt. [...] Eine besondere Begabung hatte Paeschke für die Radierkunst, die er ebenso meisterlich ausübte wie die Größten seiner Zeit seit Liebermann. [...] Überall ist in seinen spontan wirkenden, doch kompositionell durchdachten graphischen Blättern das Licht gegenwärtig.“ 1 1 96 Wirth, Irmgard, Berlin und die Mark Brandenburg. Landschaften. Gemälde und Graphiken aus drei Jahrhunderten. Hamburg 1982. S. 200f. Paul Paeschke (1875 - Berlin - 1943) Ohne Titel (Berlin - Blick von der Burgstraße auf Schloß und Dom ). Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf festem Bütten, mit Bleistift signiert, und bezeichnet: „Letzter Zustand II. Druck Probedruck“ sowie „Probedruck Pae“, um 1925. 22,2 : 24 auf 33,4 : 35,2 cm. Mit leichten Atelierspuren. Durch die graphische Umsetzung ist die Darstellung seitenverkehrt wiedergegeben. horizontal gespiegelt 97 Paul Paeschke (1875 - Berlin - 1943) Ohne Titel (Ruder- und Segelboote auf der Alster in Hamburg). Kaltnadelradierung mit Aquatinta auf festem Bütten, mit Bleistift signiert, um 1925. 20,8 : 26,3 auf 31,2: 41,8 cm. Bis auf leichte Alterspuren sehr gut erhalten. Paeschke wird das sportliche Treiben auf dem Wasser vom Uhlenhorster Fährhaus aus beobachtet haben, das schon Max Liebermann zu einigen Bildfindungen verhalf. „Das Uhlenhorster Fährhaus war ein beliebtes Hamburger Lokal, das im Nordosten der großen Außenalster lag. [...] Das Restaurant wurde am 6.10.1900 eröffnet. Es war ein gastronomischer Palast, der nachts im Licht von 2000 Glühbirnen erstrahlte. Der Pachtvertrag [...] endete 1933, im Zweiten Weltkrieg wurde das Lokal durch Bomben zerstört.“1 Max Liebermann Abend am Uhlenhorster Fährhaus - Sommerabend an der Alster. Öl auf Leinwand 1910. Kunsthalle Hamburg 1 98 Eberle, Matthias, Max Liebermann. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II. München 1996. S. 795 Paul Paeschke (1875 - Berlin - 1943) Ohne Titel (Elbtunnel in Hamburg). Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf festem Bütten, mit Bleistift signiert und als „letzter Zustand Probedruck“ bezeichnet, um 1925. 20,2 : 26, 7 auf 36,8: 45 cm. Prachtvoller, breitrandiger Abzug, vorzüglich erhalten. „Vom stilistischen Standpunkt genommen ist Paeschke ein intensiver Graphiker, der sich damit befaßt, subtile atmosphärische Wirkungen in seinen Straßenbildern auszuarbeiten. Es gelingt ihm überraschend gut, die Tonwirkung gegen die Linienwirkung abzuwägen und seine Freiheit trotz der Delikatesse des Vortrags zu wahren. Die Farbigkeit seiner Kaltnadelbehandlung ist vorzüglich, und er gehört zu jenen Künstlern, die ein besonderes Geschick in der Behandlung von Menschenmassen entfalten.“ 1 1 Singer, Hans W., Die moderne Graphik. Leipzig 1914. S. 137 99 Paul Paeschke (1875 - Berlin - 1943) Ohne Titel (Schlossplatz in Dresden bei Regen). Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf festem Bütten, mit Bleistift signiert und als „letzter Zustand“ bezeichnet, um 1925. 17,2 : 23, 7 auf 31,7 : 33,8 cm. Prachtvoller, breitrandiger Abzug, bis auf einen leichten Knick in der rechten oberen Ecke und einer kleinen Ergänzung in der linken oberen Ecke vorzüglich erhalten. 100 Paul Paeschke (1875 - Berlin - 1943) Ohne Titel (Im Sand spielende Kinder). Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf gelblichem Bütten, mit Bleistift signiert und als „letzter Zustand“ bezeichnet, um 1925. 14 : 16,4 cm auf 22,5 : 24 cm. Sehr schön erhalten. 101 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn) Ohne Titel (Frau am Bach mit herbstlichen Bäumen). Öl auf Leinwand , unten links signiert, 1894. 43 : 36 cm. Im Originalrahmen nach Entwurf des Künstlers (64,8 : 57 cm). Verso auf dem Keilrahmen in rot mit Pinsel „20“ und in schwarzer Farbe mit Pinsel „Pankok 4“. Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen. Pankok hielt sich von August bis Dezember 1894 zu Studienzwecken im niederrheinischen Dingden bei der befreundeten Familie Hülsmann auf, die ihn finanziell unterstützte. Es war seit seinem Weggang aus Münster der erste westfälische Malaufenthalt. Unser Bild könnte den Mumbecker Bach zeigen, der die Mühle von Kloster Marienvrede nährte, die man im Hintergrund erahnt. Die mit einer Schürze bekleidete Frau steht am Bachrand unter frühherbstlich verfärbten Laubbäumen, offensichtlich die zwei Enten oder Gänse im Wasser beobachtend. Typisch für Pankoks frühe Bilder sind diese mit wenigen Pinselstrichen gemalten Staffagefiguren. Zum Rahmen: Pankok strebte „eine Umrahmung an, die in Farbe und Form zum Bild paßte. Sie sollte die Malerei möglichst gut zur Geltung bringen und die Verbindung zur Wand herstellen. Julius Baum schrieb, Pankok sei über Rahmen - da er keine passenden für seine Bilder gefunden habe - zum Kunsthandwerk gekommen (Die Stuttgarter Kunst der Gegenwart, 1913, S. 168). Auch wenn es in dieser Form eine Anekdote ist, zeigt sie das Wesentliche: daß es dem Künstler um den einheitlichen Gesamteindruck ging. Ein historisierender Rahmen konnte zu seinen Bildern nicht passen. Dazu kam bei Pankok eine persönliche Vorliebe, etwas einzufassen, abzugrenzen gegen außen. [...] Die frühen Rahmen Pankoks waren wie seine Möbel oft aus Wassereiche oder Mahagoni. Nach 1900 traten auch vergoldete Rahmen auf, entweder im ganzen geschnitzt in amorphen Formen [...] oder mit kleinen, gefrästen Einbuchtungen.“2 Pankok nahm „eine Einladung der Lehrerfamilie Hülsmann in Dingden bei Bocholt an, die ihm im Herbst gastliche Aufnahme gewährte. Die heimatliche Landschaft und der menschliche Kontakt ließen noch einmal in diesem Jahr eine Fülle von Arbeiten entstehen, darunter acht Landschaften mit Staffagefiguren“ 1 1 Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart 1973. S. 254 102 2 siehe Anm. 1., S. 132 103 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn) Ohne Titel (Westfälische Landschaft). Bleistift auf Bütten, mit Bleistift signiert und datiert, 19.10.1893. 32 : 16 cm. Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen. Während des 1892 begonnenen Studiums in München hielt sich Pankok in den Sommermonaten in Münster auf und zeichnete vor der Natur. „Die Bleistiftzeichnungen aus den Jahren 1892/93 besitzen besonderen Wert. Sie sind lebhaft und frisch, in stetem Wechsel von Hell und Dunkel, und zeigen die Lebendigkeit, mit welcher der Zeichner die Welt um sich beobachtete. Verglichen mit Pankoks früheren Werken und der Malerei anderer deutscher Künstler jener Zeit, haben diese Zeichnungen als eine der ersten Leistungen des deutschen Impressionismus zu gelten. Pankok schuf sie nahezu unbeeinflußt und selbständig. In diesen Zeichnungen, welche in seinem Lebenswerk seltsam isoliert dastehen, lebt zugleich ein Gefühl für knappe Form und Vereinfachung, das sich im allgemeinen erst kurz vor Kriegsausbruch in der deutschen Kunst durchzusetzen begann.“ 1 „Fast alle Zeichnungen Pankoks stammen aus dem Jahrzehnt zwischen 1890 und 1900. In dieser Zeit, besonders im Jahr 1893, hielt er mit dem Bleistift Eindrücke seiner Umgebung in kleinen impressionistischen Szenen fest.[...] Landschaften zeichnete er in Westfalen und auf seinen Italienreisen, zum Teil als Skizzen, zum Teil aus Vorlagen für Druckgraphik. [...] Die Zeichnungen leben von ihrer tonigen malerischen Qualität. Es ist viel Atmosphäre und Tiefe in ihnen, beides Eigenschaften, die den Stilmerkmalen 1 Büddemann, Werner, Bernard Pankok. In: Das schöne Münster. 4. Jahrgang. 15. Mai 1932. Heft 10, S. 138 f. 104 des Jugendstil an sich entgegengesetzt sind.“ 2 „Pankok verbrachte im Frühjahr und Sommer 1893 ungewöhnlich viel Zeit zeichnend und malend im Freien. Damals entstanden seine schönsten Bleistiftmalereien, die sich vor allem in einem kleinen Skizzenbuch erhalten haben. Ungemein malerische, geradezu ‚farbige‘ Blätter [...] halten [...] landschaftliche Motive aus der Umgebung fest.“3 2 Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart 1973. S. 184 3 siehe Anm. 2, S. 253 105 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn) Ohne Titel (Eiche bei Haus Langen). Bleistift auf Bütten, mit Bleistift signiert und datiert, 24.9.1895. 33,6 : 25,2 cm (Blattformat). Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen. Während des 1892 begonnenen Studiums in München hielt sich Pankok in den Sommermonaten in Münster auf und zeichnete vor der Natur. Er zeichnet vornehmlich in der Gegend um Haus Langen und Westbevern. Vorliegende Zeichnung könnte im Kontext mit der 1904 entstandenen Radierung „Die große Eiche mit Kuherde“ stehen, zu der er schon am 24.8.1895 eine Zeichnung schuf (Staatliche Graphische Sammlung München). Pankok zeigt hier „eine Vorliebe für schlichte Naturausschnitte, wobei er gern einzelne kräftige Bäume abbildet, von den aufgrund ihrer eigentümlichen Licht- und Schattengebung eine dekorative Wirkung ausgeht. Es sind Bäume von üppiger und wegen ihres Freistandes weit am Stamm herunterreichender Belaubung.“1 Kompositionell ist auch in unserer Zeichnung bereits die vom oberen Bildrand abgeschnittene Baumkrone vorhanden, ebenso der den Hintergrund bildende Waldrand. „Bäume scheinen allgemein ein bevorzugtes Motiv in seiner Landschaftskunst zu sein, denn in der Malerei wie auch in der Graphik werden sie häufig als einzelne, bildbestimmende Erscheinungen dargestellt oder als Gruppe im Hintergrund in seine Kompositionen einbezogen. [...] In der Strichführung und Strichbreite zeigt Pankok sich im Gegensatz zur kontrastbetonten Tönung sehr variantenreich. Der Spielraum reicht von 1 Denhardt, Annette, Die Landschaft als Thema im Werk Pankoks. In: Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. S. 159 106 einem feinen, hartem Auftrag bis zu einem weichen, malerischen Duktus, der die Papierstruktur deutlich zum Vorschein bringt. In sich ist die Schraffur geprägt durch Kombinationen von horizontalen, schrägen und vertikalen Strichlagen, die zum Beispiel den dunklen Flächen des Baumlaubwerks eine lebhafte Binnenstruktur mit plastischer Wirkung verleihen. So kommt Pankok durch die verschiedenartige Handhabung des Bleistifts auch in seinen Zeichnungen der malerischen Ausdruckskraft seiner Ölbilder nahe und setzt sich in der Verwendung von Raumtiefe und Atmosphäre von den damals in der Graphik vorherrschenden Charakteristika ab.“2 Das Landesmuseum in Münster besitzt eine am selben Tag entstandene Zeichnung „Holzbrücke im Wiesental“ (Inv.Nr. K 22-36 KdZ 45). Zu sehen ist ein krumm gewachsener Baum hinter einer Holzbrücke: „Das Motiv findet sich in Pankoks Graphik wie Gemälden. Der hohe graphische Reiz dieses Blattes beruht in der nur sparsam angedeuteten Landschaft, in die in bizarren Gekräusel ein großer Baum gesetzt ist, der friesartig von den kugeligen Bäumen am Horizont gerahmt ist.“ 3 2 Denhardt, Annette, Die Landschaft als Thema im Werk Pankoks. In: Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. S. 153 f. 3 Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. S. 317 107 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn) Ohne Titel (Beverlandschaft mit Kühen). Bleistift auf Bütten, mit Bleistift signiert und datiert, 10.9.1895. 30,3 : 24,7 cm (Blattformat). Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen. der Hitze barg, im Bilde festzuhalten, oder auch einen kleinen Fluß zu skizzieren, der fast im Lauf der Jahrhunderte ein tiefes Bett mit breiten gebüschbestandenen Böschungen in ihnen gegraben hatte.“ 1 Ausstellungen: Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. Katalog-Nummer 141 (mit Abbildung): „In lockerem freien Duktus zeigt das bemerkenswerte Blatt Pankoks Vorliebe für die Auflösung der Landschaft in ‚Bildmuster‘. Hier ist der kugelig-krause große Baum effektvoll neben die glatten, schrägen Strichlagen des Bodens gesetzt.“ Mit gezeichneter Remarque eines kleinen Hundes. „Nimmt man dazu als Wahrzeichen des Landes die üppigen, scheinbar dem eigenen Wildwuchs überlassenen Wallhecken, die die sorgsam bebauten Äcker voneinander trennen wie die Sonn- und Feiertage die Arbeitswochen, und achtet schließlich noch auf die schilfigen ‚Kolke‘ an den Wassermühlen, auf deren tiefem Grund der Kinderschreck der ‚Bömann‘ lauert, so hat man einige der Eindrücke beisammen, die die unverwechselbare Eigenheit dieses Landstrichs ausmachen. Hierhin zog es den Maler, wenn der Sommer kam, solange er noch ledig und damit besonders beweglich war, immer wieder mit Gewalt. Er lebte dann wohl in ‚Haus Langen‘, nicht weit von Westbevern, wo er die typisch westfälische Landschaft genoß und mit seinem Freunde Coppenrath den ganzen Tag, ein frugales Mahl in der Tasche, mit Leinwand, Pinsel und Farben herumstreifte, um die mit schweren Ästen über die Weiden wuchtenden Eichen, in deren fast schwarzem Schatten sich das Vieh vor 108 1 Schücking, Levin Ludwig, Erinnerungen an Bernhard Pankok. In: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde. 52. Band, Heft 1-4. Münster 1974. S. 105 109 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn) Ohne Titel (Westfälische Landschaft mit Bauernhöfen). Kohlezeichnung auf Bütten, mit Kohle monogrammiert und datiert, 1898. 32,5 : 36,5 cm (Blattformat). Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen. „Die Mehrzahl von Pankoks Zeichnungen entstand während seiner Studien Anfang der 90er Jahre und seiner Jugendstilzeit. Besonderes künstlerisches Gewicht besitzt die kleine Gruppe impressionistischer Skizzenbücher und die Reihe schöner westfälischer Landschaftszeichnungen dekorativen Charakters. Aus der Zeit um und nach 1900 haben sich nur wenige Blätter erhalten, Pankok zeichnet seltener, will man die spätimpressionistischen, Slevogt ähnelnden, spritzigen Federlithos der 20er und 30er Jahre nicht dazurechnen.“ 1 Nach Pankoks Übersiedlung nach Stuttgart 1902 kam er nur noch selten ins Münsterland und fand wohl auch keine Zeit mehr zu zeichnen. 1 Thamer, Jutta, Natur und Phantasie. Das graphische Werk Bernhard Pankoks. In: Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. S. 178 110 111 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn) Ohne Titel (Italienische Landschaft). Bleistift auf Bütten, mit Bleistift signiert, wohl April 1900. 28,8 : 39,8 cm. Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen. Mittig ehemals gefalzt. Ausstellungen: Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. Katalognummer 147 (mit Abbildung): „Das Blatt zeigt eine Landschaft am Gardasee und entstand während Pankoks Reise nach Italien 1900. Es ist die Vorzeichnung für die Landschaft in der Radierung ‚Vagabunden‘.“ 112 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn) Ohne Titel (Landschaft am Gardasee). Bleistift auf Bütten, mit Bleistift signiert und datiert, April 1900. 19 : 27,5 cm. Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen. Ab 1898 zeichnete Pankok fast ausschließlich während seiner Italienreisen. 113 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn) Haus Langen, Mühle. Aquatintaradierung mit vernis mou auf Bütten, mit Bleistift signiert und als „2. Zustand“ bezeichnet, ebenfalls vom Drucker Wetteroth, München signiert, in der Platte signiert und datiert, 1902. 20,6 : 14 cm. Im orginal Nussbaum-Rahmen des Künstlers (bis auf eine kleine Beschädigung perfekt erhalten). Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen. „Die Wassermühle, die von dem Volumen des Baumes überlagert wird, ist [...] in eine stimmungsvolle Landschaftsdarstellung eingebunden. Die [...] dämmerige Stimmung wird zum einen durch denbeigen Plattenton erreicht, zum anderen durch die Flächenkontraste zwischen den dunkleren Bäumen, dem düsteren Himmel und den wie ein heller Fleck hervortretenden Gebäuden. Durch das abwechslungsreiche, rhythmische Lichtspiel wird zugleich die Tiefenräumlichkeit betont. Dem dunklen Baum und der grauen Wiese folgen die hellen Gebäude, hinterfangen wiederum von dunklen Baumwipfeln, aus denen deutlich das hellere Dach des Hauses Langen hervorragt. Von der Technik her zeigt Pankok in diesem Blatt sehr deutlich sein Interesse an der Verschmelzung verschiedener graphischer Verfahren. Die Wiesen und das in ähnlicher Tonigkeit erscheinende Dach des Hauses Langen sind in Weichgrundätzung ausgeführt, wobei die graue Untergrundfläche ihre Belebung durch die schwärzlichen Punkte und Liniengebilde erhält. Der dunkle Baum am rechten Bildrand und die Hintergrundbäume hingegen wurden in Aquatintamanier geätzt, unter zusätzlicher Verwendung von Schabeisen und Roulette. Die hellen Mühlengebäude sind in normaler Radiertechnik angelegt.“ 1 1 114 Bernhard Pankok - Münster und das Münsterland. Katalog der Ausstellung im Stadtmuseum Münster 1987. S. 70 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn) Weide (Kühe) am Wasser. Kaltnadelradierung mit Roulette auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, in der Platte signiert, um 1920. 13,8 : 20,6 cm. 3. von 100 Exemplaren. Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen. Das Landesmuseum Münster besitzt einen Zustandsdruck des Blattes (Inv.-Nr. K 16-14): „Eines der späteren Blätter der westfälischen Landschaft in freierem Duktus.“ (Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. S. 333) 115 Max Pechstein (Zwickau 1881 - 1955 Berlin) Der Tanz (Tanzende und Badende am Waldsee) (recto) - Mutter mit Kind (verso) Recto: Handaquarellierte Lithographie (kein Schablonenkolorit) auf festem Papier, mit Bleistift signiert, datiert und bezeichnet „54“, 1912. 54 : 40 cm (Blattgröße). Werkverzeichnis: Krüger L 149. Eines von ca. 100 nummerierten Exemplaren für die VII. Jahresmappe der Brücke, 1912. Bis auf kleinere Altersspuren sehr schön und farbfrisch erhalten. Im Gegensatz zu anderen uns bekannten Exemplaren sehr fein ausgeführtes Aquarell. Die graphischen Beiträge für die Jahresmappen der Brücke gelten als Höhepunkte der deutschen Druckgraphik des Expressionismus! Verso: Tuschfeder- und pinselzeichnung, mit Bleistift monogrammiert und datiert, 1919. Bei einigen Exemplaren der Graphik hat Pechstein später auf der Rückseite gezeichnet. Provenienz: Privatsammlung Pfalz Zur Lithographie: „Seit 1906 verteilte die >Brücke< jährlich eine Mappe mit Originalgraphiken an ihre passiven Mitglieder. Die Jahresmappe 1912, deren Umschlag von Otto Mueller gestaltet wurde, enthielt einen Holzschnitt ‚Fischerkop‘, eine Radierung ‚Russisches Ballett‘ und die vorliegende handkolorierte Lithographie. Da jedoch Pechstein wegen interner Differenzen 1912 aus der ‚Brücke‘ ausschied, kam die Mappe nicht mehr zur Verteilung. In der vorliegenden Darstellung kommt Pechsteins dekoratives Talent zum Ausdruck. [...] Die Komposition ist ganz in der Fläche angelegt, das 116 heißt Vorder- und Hintergrund werden übereinander gestaffelt. Rhythmus und Bewegung dominieren in der Darstellung. Ihren besonderen Reiz erhält die Lithographie durch die von Hand aufgetragene Farbigkeit: ein kräftiges Grün und ein zartes Blau. Das Blatt ist neben der Anspielung auf Pechsteins Phase französischen Einflusses auch eine Reminiszenz an die gemeinsamen Sommeraufenthalte mit Kirchner und Heckel an den Moritzburger Teichen.“ 1 Zur Zeichnung: „Der Mensch in der Natur ist auch das Thema der Lithographie >Tanzende um den Waldteich<. Mit expressiver Gestik umrunden die Tanzenden dynamisch den Teich. Im Zentrum stehen dabei ihre Energie und Bewegung. Die Darstellung wirkt dekorativer und spielerischer als der von monumentaler Schwere geprägte Holzschnitt >Kähne< aus dem gleichen Jahr. Die flächige Komposition und die Ornamentik der tanzenden Körper scheinen darüber hinaus an die Malerei von Henri Matisse anzuknüpfen, dessen Arbeiten 1908 im Kunstsalon der Fauvisten in Dresden und im Jahr darauf in Berlin ausgestellt worden waren. 1909 malte Matisse sein berühmtes Gemälde ‚Der Tanz‘ (Museum of Modern Art, New York), dessen Komposition mit kreisförmig Tanzenden Pechstein als Vorbild diente.“ 2 „Es gelang ihm, den besonderen Charakter einer Landschaft zu inszenieren, ihre Vegetation und Licht und Dunkel in eine eigene Dynamik zu versetzen. Aus fahrig angelegten Linien entstehen Räume und Landschaften, Figuren. Betonte Details lassen ein räumliches Umfeld ahnen: glatte, großzügig gezogene Liniensysteme mindern die Kargheit, ja Härte anderer Zeichen und Kürzel. Gerade in der Zeichnung und Druckgraphik findet er wiederum adäquate Medien. Ob es der kantig-kraftvolle Rohrfederstrich oder die flüchtig-heftige Geste des Tuschpinsels ist - Zagen und Zögern erlauben beide Techniken, die er souverän beherrschte, nicht. [...] Diese mit einem spröden Pinsel die wesentlichen Konturen lapidar umreißenden und sicher lavierten Blätter bilden einen Gipfelpunkt des zeichnerischen Werkes. Das Gegenständliche ist gleichsam in den Urformen erfaßt und die Bewegungen und Gebärden der Dargestellten sind so untrüglich bestimmt, daß die Frage nach stilistischen Merkmalen gar nicht auftaucht. Hier ist die stärkste Aussage mit den geringsten Mitteln erzielt und die erstrebte Identität von Kunst und Leben tatsächlich erreicht worden.“ 3 1 Moeller, Magdalena M., Brücke-Museum Berlin. Die Sammlung. München 2010. Nr. 249 2 Hans, Henrike, Fremde Schönheit. August Macke und die Künstler der Brücke auf Reisen. Kunsthalle Bremen - Der Kunstverein in Bremen. Kataloge des Kupferstichkabinetts 4. Bremen 2014. S. 40 Das Mutter-Kind-Motiv bei Pechstein nimmt häufig seine Frau Lotte und den 1913 geborenen Sohn Frank als Vorbild. Für die Südseereise 1914 hatte man eine zweijährige Trennung vom Sohn in Kauf genommen. Die nach der Südseereise entstandenen Zeichnungen gelten als ein weiterer Höhepunkt in Pechsteins Schaffen. 3 1989. S. 22 Schilling, Jürgen, Max Pechstein. Bönen 117 Max Pechstein (Zwickau1881 - 1955 Berlin) Am Ufer. Kaltnadelradierung mit Riffelfeile und Pinselätzung auf , mit Bleistift signiert, 1920. 20,5 : 26,5 cm auf 31 : 41 cm. Werkverzeichnis: Krüger R 116. Aus der Auflage von insgesamt 125 Exemplaren für die Mappe „Die Schaffenden“, 3. Jahrgang, 1. Mappe. Provenienz: Privatsammlung Pfalz „Wie an Pechsteins Aktdarstellungen der Jahre 1906 bis 1920 ersichtlich wird, suchte er die unmittelbare Erfassung des Aktes und die ästhetische Bildreflexion mit einer umfassenden Befragung der Bildtradition zu vereinbaren. Über das Zeichnen des ruhenden sowie des bewegten Aktes gelangte er schließlich zur Darstellung der Badenden im Freien. Aus der Erfassung der Akte sprach stets sein persönliches Empfindungserlebnis. Die Formwerdung des inneren Erleb- nisses war verbunden mit der Suche nach einer neuen Ästhetik.“ 1 1 Buschhoff-Leineweber, Studien zum graphischen Werk von Max Pechstein (1905-1921). Bremen 2004. S. 90 Max Pechstein (Zwickau1881 - 1955 Berlin) Nach dem Bad. Kaltnadelradierung auf Bütten, mit Bleistift signiert, 1920. 26,5 : 21,8 cm auf 42 : 31 cm. Aus der 1. Mappe des IV. Jahrgangs der „Schaffenden“ 1922/23, mit dem Blindstempel der „Schaffenden“. Eins von 100 Exemplaren (Gesamtauflage 125). Werkverzeichnis: Krüger R 118. Söhn HDO 72709-8. In der rechten unteren Ecke sehr leicht knittrig. Provenienz: Privatsammlung Pfalz „Gustave Courbet griff auf die Natürlichkeit des weiblichen Körpers zurück und stellte eine korpulente Nackte in den Wald, Edgar Degas befreite sich ebenfalls von Mythologie und Akademielehre und machte das Studium des unbekleideten Körpers im Interieur zum Dauerthema, Paul Cézanne stellte unzählige Akte in die freie Natur - um sich mit einer künstlerischen Fantasie neue malerischformale Wege zu ebnen. Die ‚Brücke‘Maler setzten solche künstlerischen Errungenschaften nach der Jahrhundertwende fort, indem sie in die Natur gingen, um während des Badevorgangs eigene Modelle zu erleben und Körper in ungezwungener Bewegung zu studieren. Während Badende in der traditionellen Malerei häufig erotische Arrangements zu krönen hatten, dienten sie bei den Expressionisten [...] primär einer Umsetzung erotisch vitaler Energien. Bei den ‚Brücke‘Künstlern diente das Bildmotiv nicht mehr als Vorwand, sondern als Ausdruck eines Lebensgefühls, als bewusstes Ergebnis direkten künstlerischen Vorgehens in der Natur. Die mythologische Schaumgeburt der Venus scheint sich bei ihnen erstmals an geographisch lokalisierbaren Stränden zu bewahrheiten.“1 1 Peterlein, Nicole, Ursprünge und Traditionen des Badenden-Sujets. In: Die Badenden. Mensch und Natur im Expressionismus. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Bielefeld 2000. S. 89 118 119 Max Pechstein (Zwickau1881 - 1955 Berlin) Ein Friese. Kaltnadelradierung auf Bütten, mit Bleistift signiert und datiert, 1923. 24,5 : 17,8 cm auf 33,4 : 24,7 cm. Werkverzeichnis: Krüger R 133 (1922). Eins von 100 Exemplaren auf Bütten (dazu 10 auf Japan) für die Mappe „Acht Original-Radierungen“, erschienen 1923 im Propyläen-Verlag, Berlin. Bis auf sehr leichten Lichtrand durch das ehemalige Passepartout hervorragend erhaltener, differenzierter Abzug mit sehr samtigem Grat. mit seinem seltsam leeren, nach innen gerichteten Blick fesselt und verstört. El Greco reagierte mit dieser Art der Darstellung sensibel auf die Taubheit seines Freundes. Junge Expressionisten aber entdeckten in diesen Qualitäten ein ‚Seelenbildnis‘ [...]. Mit der Vernachlässigung von Äußerlichkeiten zugunsten der Konzentration auf das verborgene Wesen des Menschen öffnete sich hier im Blick der beginnenden Moderne das Porträt als Visualisierung psychologischer Befindlichkeiten [...].“1 Trotz der Auflagenhöhe nicht häufig! Provenienz: Privatsammlung Süddeutschland Ein betagtes Gesicht vor einem irrealen Hintergrund und ein melancholischer Blick erinnern an Bilder El Grecos, wie das Bildnis des Antonio de Covarrubias, das Pechstein bei seiner Parisreise 1907/08 im Louvre gesehen haben könnte, einem Zeitpunkt, in dem die deutsche Kunstgeschichte Cézanne als den unmittelbaren Nachfolger El Grecos entdeckt. „Das Brustbild des Covarrubias erscheint vor leerem, rötlich-braunem Grund. Der Körper ist stilisiert zu einer sockelartigen Hülse, aus der der helle Kopf herauswächst, eingebettet in den weiß leuchtenden Kragen. Stärker noch als die verhärtende Entkörperlichung befremdet das schmale Gesicht mit seinen Asymmetrien. Der Mund ist leicht aus der Mitte verschoben, ein Auge geöffnet, das andere verschwindet hinter dem hängenden Lid. Markante Nase und alterschmale Lippen unter einem fein gestutzten Bart vervollständigen das hagere Gesicht des alten Herren, der 120 1 Schroeder, Veronika, El Greco im Blick junger Expressionisten. In: Wismer, Beat und Michael Scholz-Hänsel, Hrsg., El Greco und die Moderne. Katalog der Ausstellung im Museum Kunstpalast Düsseldorf 2012. S. 238 f. El Greco Bildnis des Antonio de Covarrubias Öl auf Leinwand um 1600 Musée du Louvre, Paris 121 Georg Karl Pfahler (1926 - Emetzheim, heute Weißenburg/Bayern - 2002) Ohne Titel (Blau-Rot-Komposition; Farbform). Gouache auf Papier, signiert und datiert, 1962. 51 : 64,5 cm. Provenienz: Privatsammlung Westfalen „Die Kunst Georg Karl Pfahlers vergegenwärtig elementare Eigenschaften unserer Wahrnehmung und ist ohne jede figürliche Abbildung der Realität ganz nahe: Es geht um die Räumlichkeit der Farbe. Um 1960 entwickelte sich Pfahler weg vom Informel und fand über seine >formativen< Bilder, die mit ihren schweren, sich ausbreitenden Schwarzformen auf den Einfluss Willi Baumeisters und seiner Montaru-Serie zurückgehen, zur Hardedge, einer Farbfeldmalerei von klar umrissenen Formflächen. Den Strukturen Baumeister gegenüber wirken die Farbformen Pfahlers jedoch von vornherein räumlicher: Seriell - auch hier war Baumeister durchaus vorbildhaft - und in für die deutsche Nachkriegsmalerei ungewöhnlich großen Formaten erforschte Pfahler die plastische Kraft der Farbe, die der Form immer übergeordnet bleibt..“1 1 Land auf, Land ab. Karlsruhe und Stuttgart im Kaleidoskop der Sammlung Würth. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall 2004. S. 172 122 123 Pablo Picasso (Málaga 1881 - 1973 Mougins) Trois nus debout, avec esquisses de visages (Drei stehende Akte, mit Kopfstudien). Kaltnadelradierung auf Japanpapier, mit rotem Buntstift signiert, 1927. 19,5 : 28 cm auf 25 : 33 cm. Werkverzeichisse: Baer 131 c. Bloch 90. genes Licht und imitiert es nicht< (Picasso im Gespräch mit Daniel Henry Kahnweiler am 2.10.1933).“1 Eins von 65 Exemplaren auf diesem Papier, von denen etwa 12 zu einem späteren Zeitpunkt signiert wurden, da sie für eine Suite auf Japanpapier vorgesehen waren, die jedoch nicht realisiert wurde. Abzug von der verstählten und facettierten Platte neben der 1931 erschienenen Sonderedition von 13 Blättern aus „Le chef-d‘oeuvre inconnu“ von Balzac (Blatt IX), die in 99 + 8 Exemplaren gedruckt wurde (dazu noch 6 Probeabzüge). Das eigentliche Buch wurde in 340 Exemplaren auf unterschiedlichen Papieren gedruckt. Provenienz: Privatsammlung Rheinland. „Bei der Stilisierung des (weiblichen) Körpers zur Schönheit einer Figur folgte Picasso insbesondere dem Beispiel von Jean-Auguste-Dominique Ingres und seinem ‚Türkischen Bad‘, einem Bild, das Schönheit bereits im Plural, in der Vielfalt ihrer möglichen Erscheinungsformen präsentiert. [...] Picasso näherte sich einer Tradition [...] nur versuchsweise an, ohne sich von ihr vereinnahmen lassen zu wollen. Er betonte die Virtuosität seiner zeichnenden Hand, die im kontrollierten Duktus eine Autonomie der Linie erlangt. Den klassizistischen Umrißzeichnungen John Flaxmans ähnlich, beansprucht auch Picassos Linienführung einen künstlerischen Eigenwert: >Nur die Linienzeichnung vermeidet es, imitativ zu sein [...] sie hat ihr ei- 124 Jean-Auguste-Dominique Ingres, Das türkische Bad. Öl auf Leinwand 1863. Musée du Louvre, Paris 1 Dickel, Hans, Pablo Picassos >Suite Vollard< und die Kunst des Klassizismus. In: Mildenberg, Hermann, Hans Dickel und Uwe Fleckner, Arkadische Welten. Pablo Picasso und die Kunst des Klassizismus. Katalog der Ausstellung im Schloßmuseum Weimar 2003. S. 20 f. 125 Pablo Picasso (Málaga 1880 - 1973 Mougins) Paris 14. juillet 1942 (L‘homme au mouton) / Paris 14. Juli 1942 (Mann mit dem Schaf). Lithographie von der Zinkplatte, Umdruck einer Radierung auf Zink, gedruckt auf Vélin d‘arches (mit Wasserzeichen), in der Platte betitelt „Paris 14 juillet 42“ um 1945. 45 : 64 cm auf 50,5 : 66 cm. Auflage: Von der Radierung gibt es fünf Zustände, von der Lithographie diesen Einen. Keine Auflage, kein signiertes Exemplar; Die Radierungen wie die Lithographie in sehr kleiner Zahl gedruckt. Werkverzeichnisse: Nicht bei Bloch, nicht bei Mourlot; Baer 682 V + Note (kennt 2, vermutet 3 Abzüge), Rau 30 A; Reusse 33. Von prächtiger Erhaltung! Provenienz: Privatsammlung Westfalen Diese bedeutende und technisch anspruchsvolle Graphik ist gleichsam ein politisches Programmbild. Am französischen Nationalfeiertag, der 1942 nicht gefeiert werden durfte, entstanden, stehen die Dargestellten für den Frieden und die Freiheit. Hierbei ließ sich Picasso von Reliefs der „Ara Pacis Augustae“ - eines Tempels zu Ehren der durch Augustus gesicherten Friedenszeit zwischen 13 und 9 v. Chr. in Rom inspirieren. 1 Picasso schuf diese Graphik, während er unter Ausstellungsverbot stand, Widerstandskämpfern der Résistance half, Repressalien durch die Gestapo fürchten mußte und von Frankreich aus die Deportationen nach Auschwitz begannen. „>Was, wenn sie mein Atelier in Brand stecken?<, fragte Picasso in großer Sorge angesichts derartiger 1 Eine ausführliche Interpretation stammt von Bühler, Andreas, Picassos Lithographie Paris 14. Juli 1942 und die Ara pacis Augustae. In: Hachmeister, Heiner, Hrsg., Pablo Picasso, Paraphrasen und Variationen. Seltene Graphik. Münster 2004. 126 Geschehnisse, den mit ihm befreundeten Photographen Brassai. Die Angriffe, denen sich Picasso schon vor dem Krieg ausgesetzt sah, steigerten sich in den Kriegsjahren immer mehr. Im Zuge dessen wurde sein künstlerisches Werk immer häufiger in eine direkte Verbindung zum Judentum gerückt. Noch bis in die letzten Tage der deutschen Besatzung hieß es:>Picasso, das ist der jüdische Wahnsinn.< [...] Die bestehende Gefahr, ins Räderwerk der anlaufenden >Endlösung der Judenfrage< zu geraten, steigerte sich für Picasso noch zusätzlich, als es der Besatzungsmacht nicht länger verborgen blieb, dass er enge Verbindungen zur Résistance unterhielt und dabei selbst den Widerstand aktiv unterstützte. Aufgrund derartiger Umstände geschah es, dass Picasso intensiv von der Besatzungsmacht überwacht wurde: In regelmäßigen Abständen wurden seine Wohnung und sein Atelier durchsucht. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse gingen in die von der Gestapo fortgeführte Akte über Picasso ein. Außerdem wurden Spitzel auf ihn und seine Umgebung angesetzt, wobei Picasso konkret fürchtete, dass man ihm belastende Dokumente unterschieben könnte, welche die Gestapo bei ihrer nächsten Durchsuchung als Beweismaterial verwenden könnte.“2 Zur Entstehungsgeschichte schreibt Bühler: „Sie basiert auf einem PositivAbzug der gleichnamigen Radierung, von der auch nur einige Probeabzüge existieren. Picasso hatte seinen Lithographen Fernand Mourlot (in dessen Werkstatt er einen eigenen Arbeitsraum hatte) beauftragt, einen Umdruck auf lithographischen Zink zu machen, weil er an dem Sujet als Lithographie weiterarbeiten wollte und die Radierplatte selbst sich nicht mehr zur Weiterarbeit eignete. Er verfolgte jedoch das Pro2 Klepsch, Michael Carlo, Picasso und der Nationalsozialismus. Düsseldorf 2007. S. 175 f. jekt nicht weiter, nachdem etwa drei bis fünf Abzüge der Lithographie gemacht wurden.“3 Das Blatt besticht durch seine klaren Linien und dem gekonnten Einsatz derselben, um Kontraste zu schaffen. Vergleicht man die unterschiedlichen Zustände so gewinnt die reine Zeichnung immer mehr an Bedeutung und alle ablenkenden Faktoren werden eliminiert, so dass das vorliegende Blatt zu den beeindruckendsten dieser Folge gehört. Françoise Gilot schrieb 1964 über dieses Blatt: „Ich sah den >Mann mit dem Schaf< erstmals als Gipsabguß der ursprünglichen Tonfigur. Bei einem meiner ersten Besuche in der Rue des Grands-Augustins hatte Pablo mir erzählt, daß die Idee dazu schon seit langem in ihm gearbeitet habe. Er zeigte mir Skizzen und auch die Radierung eines Frieses, einer Familie, die sich um den Mann, der ein Schaf trug, gruppierte. >Wenn ich eine solche Folge von Zeichnungen mache<, erklärte Pablo, >weiß ich nicht, ob es nur bei den Zeichnungen bleibt oder ob eine Radierung oder Lithographie daraus entsteht oder sogar eine Skulptur. Aber als ich schließlich diese Figur des Mannes mit dem Schaf in der Mitte des Frieses isoliert hatte, sah ich ihn im Relief und dann im Raum, als Skulptur.<“4 Die Bronze „Mann mit Schaf“ wurde 1950 auf dem Marktplatz von Vallauris aufgestellt. 3 Bühler, Andreas, Picassos Lithographie Paris 14. Juli 1942 und die Ara pacis Augustae. In: Hachmeister, Heiner, Hrsg., Pablo Picasso, Paraphrasen und Variationen. Seltene Graphik. Münster 2004. S. 11 4 Gilot, Françoise, Carlton Lake, Leben mit Picasso. Zürich, Diogenes, 1980. S. 262. 127 Pablo Picasso (Málaga 1880 - 1973 Mougins) Le départ / Der Aufbruch. Folge von 6 Zustandsdrucken. Zustand I: Lavierte Pinsellithographie mit Feder und Schaber in SCHWARZ von der Zinkplatte auf Vélin d‘arches (mit Wasserzeichen), in der Platte seitenverkehrt datiert, 12.3.1951. 34,7 : 43,8 cm auf 38 : 56,5 cm. Auflage: 5 Abzüge in ROT für den Künstler (bisher ist nur 1 Abzug in Schwarz bekannt gewesen: Reuße 566) Zustand III: Lavierte Feder- und Pinsellithographie von der Zinkplatte auf BFKRives-Vélin, in der Platte seitenverkehrt datiert, 25.4.1951. 35,5 : 43,5 cm auf 45,2 : 56 cm. Mit Bleistift vers beschriftet: „2e état“ „page 54“, recto: „G même réduction que F. Les épreuves sont en répérage“. Nicht bei Bloch; Mourlot 201 (mit falschem Datum); Rau 526; Reuße 571 (hier als 6. Zustand). Diese Fassung entstand auf einer neuen Zinkplatte, auf die ein Abzug von der am 12. März angefertigten Platte übertragen wurde. Abzug außerhalb der Auflage von 5 Künstlerexemplaren. Zustand V: 2 Farben: Schwarz und Ocker: Schaber und Sandpapier auf eingeschwärztem Stein mit Tonplatte auf BFK-RivesVélin (mit Wasserzeichen), außerhalb (?) des Steins seitenverkehrt datiert, 1. Mai 1951. 35,2 : 44,3 cm auf45 : 55,7 cm. Abzug außerhalb der Auflage von 5 Künstlerexemplaren. Vgl. Bloch 686; vgl. Mourlot 201; vgl. Rau 530 : „Ein Negativ-Abzug (Umkehrung von Schwarz und Weiß) oder ein Abzug in weiß wurde von der Zinkplatte der Fassung [Zustand 1] vorgenommen und auf einen mit Tusche bedeckten neuen Stein abgeklatscht. Die aus dem schwarzen Grund herausgeschabte Zeichnung erscheint im Druck weiß“; Reuße 578 [hier 13. Zustand]: „einziger bislang bekannter Druck in dieser Farbigkeit“. Zustand VII: 3 Farben: Schwarz, Ocker, Gelb: Schaber, Sandpapier mit eingescwärztem Stein auf sehr weißem BFK-Rives-Vélin, außerhalb (?) des Steins seitenverkehrt datiert, 1. Mai 1951. 35,2 : 44,2 cm auf 44,8 : 55,7 cm. Abzug außerhalb der Auflage von 5 Künstlerexemplaren. Vgl. Bloch 686 (datiert 1-29. Mai 1951; gedruckt in ocker und schwarz); Vgl. Mourlot 201 („Abgezogen durch Druck 128 der Zinkplatte vom 12. März in dunklem Ocker und des Steins vom 21. Mai in schwarz auf ockerfarbenem Grund“); vgl. Rau 532 (datiert auf 21.5.1951. „Schwarz: unveränderte Platte von 531; Braun: unveränderte Platte von 524; Ocker. Tonplatte (Stein)“; vgl. Reuße 581 [hier: 16. Zustand] (datiert in der Darstellung unten links: 27.5.1951). Abzug außerhalb der Auflage von 5 Künstleremxemplaren. Zustand IX: lavierte Feder- und Pinsellithographie von der Zinkplatte auf Vélin d‘Arches (mit Wasserzeichen), in der Platte seitenverkehrt datiert, 20. 5. 1951. 45,4 : 55,8 cm auf 50 : 65,2 cm. Bloch 686; Mourlot 201; Rau 533 („Wie Picasso auf eine neue Platte zeichnete, so erweiterte er das Motiv um Gestalten am linken und rechten Rand der Komposition“; Reuße 582 [hier 17. Zustand]. Zustand X (endgültiger Zustand): Abzug in vier Farben von 4 Platten auf ockerfarbenem Vélin d‘Arches (mit Wasserzeichen). 45 : 55,8 cm auf 54 : 64,8 cm. Am oberen Rand kleiner Wasserrand, etwas gebräunt. die Hände nach ihm aus. Links und rechts sind drei Figuren angebracht: eine Frau, vermutlich eine Gesellschafterin, mit offenem Buch; ein tonsurierter Mönch und ein sitzender Junge. Am 20. Mai 1951 hatte Picasso die Platte für das Schwarz zum zweitenmal völlig neu gezeichnet, diesmal auf größerem Format, so daß die drei erwähnten Randfiguren noch untergebracht werden konnten, außerhalb des Drucks von der Platte mit dem Rot. Picassos Darstellungen von Rittern und Pagen können mit entsprechenden Holzschnitten von Lukas Cranach d. Ä. in Verbindung gebracht werden, auf denen Turniere zu sehen sind. Picasso muß diese Blätter aufgrund seiner intensiven Auseinandersetzung mit dem Werk Cranachs gekannt haben. Vergleichbar ist die Wiedergabe von Ritter, Pferd und Pagen, hier wie dort findet sich die gleiche ornamentale, kostbare Gestaltung von Rüstung und Waffen. Abgesehen von den formalen Anlehnungen hat Picasso auch etwas von der Stimmung der Bilder Cranachs in seine Darstellungen übertragen“ 1 Provenienz: Collection Mourlot (sämtlich recto mit dem Sammlungsstempel) (bis auf X); Privatsammlung Westfalen. „1950/51 erschien in einer Pariser Tageszeitung ein Comicstrip, in dessen Mittelpunkt Ivanhoe stand, die Figur aus Walter Scotts gleichnamigen, 1819 geschriebenen Roman. Hierdurch inspiriert schuf Picasso zahlreiche Zeichnungen von Rittern und Pagen. Im Januar und Februar 1951 entstanden drei Lithographien ,Der kleine Ritter‘ (M 198) und ,Der Ritter und der Page‘ (M 200) sowie auch ein Gemälde mit dem Titel ,Pagenspiele‘. In Anlehnung an das Gemälde begann Picasso am 12. März 1951 mit der Lithographie ,Der Aufbruch‘, die er in zehn Zuständen verschiedener Farbe variieren sollte. Die Arbeit erfolgte mit Pinsel, Feder und Schaber auf Zinkplatten und auf Stein. Dargestellt ist wohl der Moment, in dem Ivanhoe zum Kreuzzug aufbricht. Der Ritter trägt eine kostbare, ornamentale Rüstung, in der Hand hat er das Schild: sein Pferd ist reich gepanzert; hinter ihm sein Knappe mit der Lanze. Rowena, die Ivanhoe liebt, läßt ihn nur ungern ziehen; vergebens streckt sie 1 Moeller, Madgalena M., Picasso. Druckgraphik, illustrierte Bücher, Zeichnungen, Collagen und Gemälde aus dem Sprengel Museum Hannover. 1986. S. 218 129 Picasso, Pablo (Málaga 1881 - 1973 Mougins) La répétition / Die Probe. Kreidelithographie mit Frottage und Pinsel auf Vélin d‘Arches (mit Wasserzeichen), per Umdruckpapier umgedruckt auf Stein, im Stein datiert, 21.2-26.2.54, 1954. 50,3 : 65,5 cm. Werkverzeichnisse: Bloch 756; Mourlot 252: „Eine bemerkenswerte Komposition, die den Künstler lange beschäftigte. Die Übertragung gelang einwandfrei. Eine schlechte Übertragung hätte mir kein Lob eingetragen“; Rau 592 :„Im Zentrum dieser Lithographien [zum Thema Maler und Modell] steht jedoch zweifellos Die Probe (Rau 592), ein Blatt, in dem die Alte, das Kind und drei Mädchen, der schon bekannte Personenkreis, einem tanzenden Paar zusehen und das über die Umrißzeichnung hinaus ein differenziertes Hell-Dunkel in die Darstellung einbezieht. Die Tanzende in der Mitte des Blattes hält eine Maske vor ihr Gesicht. Auch hier dürfte sich der Schlüssel zum Verständnis dieser Lithographie in der zerbrochenen Gemeinschaft mit Françoise Gilot finden lassen. Im Tanz stellt sich die Schwierigkeit einer tatsächlichen Begegnung der Geschlechter dar. Die Zuschauenden - das Kind, die Alte, die drei Mädchen - sind von der sich ihnen in diesem Tanz darstellenden Problematik noch nicht oder nicht mehr betroffen“.; Reuße 644. Auflage: Einer von 5 Künstlerabzüge vor der Auflage von 50 signierten und nummerierten Exemplaren; Platte abgeschliffen. An den Rändern minimal gebräunt. Provenienz: Privatsammlung Westfalen 130 131 Pablo Picasso (Málaga 1880 - 1973 Mougins) La pose habilée / Das bekleidete Modell. Lavierte Pinsellithographie mit Feder auf Vélin d‘Arches (mit Wasserzeichen) von der Zinkplatte, in der Platte seitenverkehrt datiert, 19. und 26.3.54, 1954. 55,5 : 38,5 cm auf 65,5 : 49,7 cm. Werkverzeichnisse: Bloch 764; Mourlot 257; Rau 600; Reuße 651. Der biographische Bezug - die Trennung von Françoise Gilot und der dadurch ausgelöste Gedanke an das Alter - liegt auf der Hand. Im Februar und März 1954 setzt Picasso die Maler- und Modell-Thematik in einer Reihe von Lithographien fort.“ 2 1 Auflage: Einer von 5 Künstlerabzüge vor der Auflage von 50 signierten und nummerierten Exemplaren; Platte abgeschliffen. Provenienz: Privatsammlung Westfalen „Im September 1953 verläßt Françoise Gilot Picasso und kehrt nach Paris zurück. In der Zeit vom 27. November 1953 bis zum 3. Februar 1954 zeichnet Picasso 180 Blätter, die zu einem wesentlichen Teil als Thema Maler und Modell variieren, das Picasso lange zuvor schon in den Illustrationen zu Balzacs Chef d‘oeuvre inconnu und in der Suite Vollard berührt hatte. In den schließlich in der Zeitschrift Verve publizierten Zeichnungen ist es vor allem die Gegenüberstellung eines alten Malers und eines jungen Mädchens, die Picasso beschäftigt. Gemeinsam ist diesen Blättern, daß sie den Maler stets im Augenblick der intensiven Anspannung zeigen, das Bild des Modells auf die Leinwand zu bringen. Staffelei und Leinwand trennen die auch durch die Kunst nichtmehr überbrückbaren Welten: Hier das strahlend schöne Modell, dort der kurzsichtige, emsige, vielfach eitle und akademische Gnom von Künstler, dessen Platz mitunter ein auf dem Hocker kauernder Affe einnimmt, der sich auch sonst in die Szene mischt‘ 132 1 Gallwitz, Klaus, Picasso Laureatus. Sein malerisches Werk seit 1945. Luzern und Frankfurt 1971, S. 162 2 Rau, Bernd, Pablo Picasso, Die Lithographien. Stuttgart 1988, S. 28 133 Camille Pissarro (Charlotte-Amalie, Saint Thomas, Kleine Antillen 1830 - 1903 Paris) Ohne Titel (Landschaft mit Pferdefuhrwerk in der Nähe von Pontoise, im Hintergrund die Oise; recto: Liebespaar unter Bäumen, dazu eine weitere Studie des Paares). Kreidezeichnung, meist gewischt, mit Kreide signiert, um 1872/75. 22 : 29,5 cm. nach dem Tod Pissarros, erschien, stellte sich Cézanne als >Schüler von Pissarro< vor.“ 1 Provenienz: Privatsammlung Rheinland, Galerie Beck & Eggeling, Düsseldorf; Privatsammlung Norddeutschland. „Die späteren Zeichnungen wirken häufig wie Abbreviaturen, wie flüchtig notierte Skizzen, spontane Vergegenwärtigungen von Situationen [...]. Sie zeugen von einer Sicherheit des Strichs, von einer Präzision der Erfassung von Personen, Bewegungen Der Rand etwas unregelmäßig; stellenweise leichte Braunfleckchen. 1 Finckh, Gerhard, Hrsg., Camille Pissarro, der Vater des Impressionismus. Katalog der Ausstellung im Von der Heydt-Museum Wuppertal 2014/2015. S. 239 2 Camille Pissarro, Die verschneite Straße von Gisors nach Pontoise. Öl auf Leinwand 1872. Privatsammlung Bei Ausbruch des französisch-preußischen Krieges 1870 floh Pissarro mit seiner Familie von Louveciennes nach London. Hier studierte er die Werke von Turner und Constable, was seine eigene Kunst maßgeblich beeinflußte. „1872 zog Pissarro aber wieder nach Pontoise, wo er sich bereits 1866 niedergelassen hatte. 1873 mietete Paul Cézanne im benachbarten Auvers-sur-Oise ein Haus, und von da an waren die beiden Freunde, die sich 1861 an der Académie Suisse kennengelernt hatten, nahezu unzertrennlich. Seite an Seite malten sie die Landschaft des Oise-Tals rund um Pontoise und beeinflussten sich dabei gegenseitig maßgeblich. [...] Cézanne erklärte später: >Bis zu meinem 40. Lebensjahr habe ich mein Leben vergeudet. Erst als ich Pissarro kennenlernte, der so unermüdlich war, bin ich auf den Geschmack des Arbeitens gekommen<, und noch in einem Ausstellungskatalog, der 1906, drei Jahre 134 und Räumen, die schlicht als meisterhaft zu nennen ist.“ 2 verso siehe Anm. 1, S. 201 135 Rudolf Riester (Waldkirch i. Br. 1904 - 1999 Freiburg i. Br.) Arles. Pastell auf Velin, signiert und datiert, 1929. 49 : 64 cm. Provenienz: Nachlaß des Künstlers 1920 nach dem „Einjährigen“ kaufmännische Ausbildung 1921 Übersiedlung nach Freiburg im Breisgau Aktzeichnen an der Universität 1924 Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München (bei Karl Caspar) 1925 Studium an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst Berlin (bei Erich Wolfsfeld) 1928 Meisteratelier bei Hans Meid Beteiligung an Paul Westheims Berli136 ner Ausstellung „Junge Künstler“ 1929 Reise nach Paris und Südfrankreich 1930 erste Einzelausstellung in der Galerie Weber, Berlin 1932 Sommer in Graubünden/Schweiz Beteiligung an der Winter-Ausstellung der Berliner Sezession 1934 Ausstellung in der Galerie Gurlitt, Berlin 1935 Freundschaft mit Ludwig Roselius, Bremen 1936 Dürer-Preis der Stadt Nürnberg Stipendium der Villa Massimo, Rom Begegnung mit Werner Gilles Ausstellung in der Böttcherstraße Bremen 1937 von Rom aus Reise nach Griechenland Beschlagnahme eines Bildes durch die Reichskunstkammer im Freiburger Augustinermuseum 1939 Bezug eines privaten Ateliers in Berlin 1940 Ausstellungsbeteiligung in der Galerie von der Heyde, Berlin Rudolf Riester (Waldkirch i. Br. 1904 - 1999 Freiburg i. Br.) Schwarzwaldtal II. Aquarell auf schwerem Velin, mit Bleistift signiert und datiert, 1984. 40/40,8 : 58/59,1 cm. Werknummer 1402 (im Manuskript einer unvollständigen Weiterführung des Katalogs der Aquarelle von 1979). Rückseitig vom Künstler betitelt und datiert. Provenienz: Nachlaß des Künstlers Schließung und Beschlagnahme von Bildern Stipendiat der Villa Romana, Florenz Ausstellung in der Galleria di Roma, Rom 1943 Rückkehr nach Freiburg Einberufung Ausbombung des Berliner Ateliers, Verlust großer Teile des Werkes 1945 französische Kriegsgefangenschaft 1946 nach schwerer Erkrankung Entlassung in die Schweiz Aufenthalt in Zürich Beteiligung an der Ausstellung „Kunst in Deutschland 1930-1949“ im Kunsthaus Zürich 1952 Übersiedlung nach Freiburg im Breisgau Freundschaft mit Reinhold Schneider 1953 erste Einzelausstellung nach dem Krieg in Freiburg 1957 Hans-Thoma-Preis des Landes Baden-Württemberg 1959 Gründung des Freundeskreises bildender Künstler „Palette“ zahlreiche Aufsätze und Rundfunkvorträge 1969-1978 zahlreiche Reisen nach Frankreich 1974 Ausstellung in der städtischen Galerie „Schwarzes Kloster“, Freiburg 1976 Ausstellung bei der Hans ThomaGesellschaft im Spendhaus Reutlingen 1980 Verleihung des Professorentitels, Ernennung zum Mitglied des Künstlerbundes Baden-Württemberg Ausstellung: Städtische Wessenberg Galerie Konstanz: Rudolf Riester 1904-1999. 11. September 2015 bis 31. Januar 2016 137 Christian Schad (Miesbach 1894 - 1982 Stuttgart) Selbstbildnis 1927. Siebdruck nach dem Gemälde auf Velin, mit Bleistift signiert und als „ea“ bezeichnet, 1982. 66 : 54,5 cm auf 87 : 70 cm. Werkverzeichnis: Richter 37. Einer von wenigen Probeabzügen vor der Auflage von 450 Exemplaren. Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein. „Zu den bekanntesten Bildern Christian Schads und der zwanziger Jahre in Deutschland gehört sicherlich dies ‚Selbstbildnis‘, in dem der Maler mit sich selbst schärfer ins Gericht geht, als mit vielen seiner Modelle. [...] Der Maler sitzt am Rande eines zerwühlten Lagers und blickt scharf, beinahe bitter aus dem Bild heraus. Die unterschiedlichen Richtungen von Blickund Gesichtsachse lassen vermuten, er habe sich selbst im Spiegel überrascht und sehe sich nun gezwungen, sich mit diesem Spiegelbild, also mit sich selbst, auseinanderzusetzen. Er überrascht sich in einer Situation, die man gemeinhin zu verbergen bemüht ist, einer Situation, die gerade ihrer Intimität wegen mehr vom Menschen enthüllt als bloße Haut. [...] Hier gibt es keine Vorfreude mehr, die Begegnung ist bereits vorüber, selbst die Möglichkeit zur Illusion ist verspielt. Die Partnerin des Mannes, eine ihrer körperlichen Attraktivität sehr wohl bewußte Frau, wirkt bewußt ausgezogen, nicht nackt. Ein schwarzes Schleifchen am linken Handgelenk, das der Maler an einem Mädchen im Wiener Prater beobachtet hatte, sowie der Saum eines roten Strumpfes am rechten Oberschenkel unterstreichen das ‚deshabillé‘. Es war wohl keine Hingabe, eher ein flüchtiges Treffen, von dem nicht zu sagen ist, wer hier wen mehr als Objekt benutzt hat. Sie, durch die Narbe auf ihrer linken Wan138 ge zum Objekt gestempelt, nicht unbedingt zu seinem, doch zum Objekt in einer bestimmten, südländischen, auf den Besitz des anderen angelegten Tradition, ist aus der Begegnung ebenso ungerührt hervorgegangen wie er. Für beide war der Versuch, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken, dem Gefängnis des eigenen Ich zu entgehen, vergeblich. Deutlicher noch als die Frau bleibt der Mann in sich gefangen. Sein grünes, durchsichtiges Hemd, das ihn selbst in diesem Augenblick noch einhüllt, auf das er selbst in dieser Situation nicht verzichten mochte, hält ihn gefangen. So ist er gezwungen, sich ins Gesicht zu sehen und mit seinem Narzißmus auseinanderzusetzen, auf den die Narzisse verweist, die hinter der Frau hervorwächst. Die beängstigende Mischung von Attraktivität und Häßlichkeit, die die Frau verkörpert, deutet wohl darauf hin, daß der Mann gerade wegen seines Narzißmus kaum in der Lage ist, ein weibliches Gegenüber als vollkommen und ihm angemessen zu akzeptieren. Ob die Silhouette der Dächer von Paris, dem Sehnsuchtsort aller Bohemiens, eine Fluchtmöglichkeit anzeigt, ist ungewiß. Mehr als Sehnsucht nach dem ungebundenen Leben der Pariser Bohème kann dem Maler nicht bleiben, der seine Ehe mit der sehr traditionell empfindenden Italienerin Marcella in diesem Jahr als endgültig gescheitert ansehen mußte.“ 1 1 Christian Schad. Katalog der Staatlichen Kunsthalle Berlin 1980. S. 119 f. 139 Egon Schiele (Tulln 1890 - 1918 Wien) Selbstbildnis. Bronze nach der Terrakotta-Skulptur von 1917, im Guss gestempelt, nummeriert und datiert, 1980. 28,5 : 17 : 23 cm. Werkverzeichnis: Kallir 4 f Eins von 300 Exemplaren (dazu XXX h.c.) Provenienz: Privatsammlung Rheinland Ausstellungen: Klimt, Schiele, Kokoschka - Die Verführung der Linie. Kunstmuseum Pablo Picasso, Münster 26.10.2014 - 18.1.2015 Editionsgeschichte: Der Verbleib der ursprünglichen Terrakotta-Skulptur von ca. 1917 ist unbekannt, wahrscheinlich wurde Sie während des Gießvorgangs zerstört. Zwischen 1918 und 1925, möglicherweise aber auch noch aus Schieles Hand entstand ein Gipsabguss, der dunkel gefaßt wurde (Historisches Museum der Stadt Wien). Einen zweiten Gipsabguss (Stanford University Art Gallery and Museum, Stanford) stellte die Bronzefabrik Karl Frank zwischen 1925 und 1928 entweder von der Terrakotta-Büste oder von dem ersten Gipsabguss her, die davon wiederum einen Bronzeguss in einer Auflage von 2 oder 3 Exemplaren machte. 1956 stellte die Giesserei Schmäke in Düsseldorf von dem zweiten Gipsmodell eine Bronze in circa 6 Exemplaren her. Vier Jahre später entstand nach dem ersten Gipsmodell ein Bronzeguss in 2 oder 3 Exemplaren. 1965 wurde der Bildhauer Fritz Wotruba beauftragt, eine Bronzeedition mit 7 nummerierten und 2 oder 3 unnummierten Exemplaren zu erstellen. 1980 editierte Venturi Arte in Bologne eine dunkel patinierte Auflage von 140 330 Bronzen, aus der unser Exemplar stammt. 1987 schließlich entstand eine grünlich patinierte Auflage von 10 Bronzen. Exemplare aus unserer Auflage befindet sich u. a. in der Österreichischen Galerie Belvedere und im LeopoldMuseum in Wien. Geradezu manisch inspiziert Schiele immer wieder sein Gesicht im Spiegel und bahnt sich über 100 mal selbst auf die Leinwand. 141 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München) Ekstase (auch Liebesszene; Illustration zu ‚Tausendundeine Nacht‘). Vernis-mou mit Tonplatte in braun auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1913. 18,6 : 24 cm auf 29,8 : 34,8 cm. Eins von 20 Exemplaren. Geringfügig fleckig, verso mit Montierungsresten. Verso mit der Bleistiftnotation von alter Hand: R. Schlichter ‚Ekstase‘ hochapartes Blatt; 18 [sic] Drucke, vergriffen, Platte zerstört“. Dazu ein Sammlungsstempel in blau : MQ (ligiert), nicht bei Lugt. Sehr selten! Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein. Entstanden während seines Studiums an der Kunstakademie in Karlsruhe, wo er mit dem Verkauf pornographischer Graphik seinen Lebensunterhalt bestreitet. In dieser Zeit lebt er mit der Prostituierten Fanny zusammen. „Ich kultivierte eine Religion des Bösen, trieb einen Kult des Lasters und konnte doch die warnende Stimme des Gewissens nie ganz betäuben.“ (Rudolf Schlichter) „Bereits in der Karlsruher Akademiezeit hatte Schlichter Kontakt zur ‚Unterwelt‘ und war der ‚Religion des Bösen‘ verfallen. Schlichters Freundin ‚Fanny Hablützel‘ bestritt den gemeinsamen Unterhalt durch Prostitution. Um Fanny zu unterstützen, zeichnete Schlichter explizit pornographische Darstellungen. Diese Arbeiten ‚legitimierte‘ Schlichter nachträglich auf ungewöhnliche Weise. Über seinen Nebenbuhler bei Fanny, den ‚Einjährigen‘ Ernst Martin, lernte Schlichter in Karlsruhe den Antropologen Rudolf Martin (18641925) kennen. ‚Professor L.‘, so die Verschlüsselung in ‚Tönerne Füße‘, ‚huldigte‘ als ‚>engster Freund des Schweizer Psychiaters und Sozial142 hygienikers Forel [...] dem Glauben an eine vernünftige Regelung des Geschlechtsverkehrs, den er ebenso vorurteilslos und sachlich behandelt wissen wollte wie die Funktionen des Stuhlgangs oder des Urinablassens.< Schon Martins Frau Elise, die mit ihren beiden Söhnen Ernst und Kurt von ihrem Mann getrennt in Karlsruhe lebte, betrachtete eine ‚Mappe Radierungen und Zeichnungen‘ Schlichters mit ‚großem Interesse‘. Möglicherweise zeigte Schlichter ihr seine ersten Platten mit erotischen Szenen aus ‚Tausendundeine Nacht‘ wie den ‚Haremswächter‘ oder die ‚Liebesszene‘ (um 1913). Ihm fiel jedenfalls >die Vorurteilslosigkeit, mit der sie die gewagten Szenen meiner Darstellungen hinnahm, angenehm auf. Nicht weniger freute mich das seltene Verständnis für die graphische Subtilität einzelner Blätter.< Auch Professor Martin sah diese Blätter bei einem seiner Besuche in Karlsruhe, kritisierte zwar anfangs >die Unausgeglichenheit und mangelnde Kultur des Strichs<, kaufte aber dennoch vor einer Reise Schlichters nach Paris ‚drei Originale‘.“ 1 1 Heißerer, Dirk, Eros und Gewalt. Schlichters ‚Liebesvariation‘. In: Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997/1998. S. 29 143 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München) Unterhaltung. Bleistiftzeichnung auf festem Bütten, mit Bleistift signiert und betitelt, um 1920. 50 : 63 cm. Papierbedingt leicht wellig, sonst sehr schön erhalten. Provenienz: Kunsthandel Fischer, Berlin; Privatsammlung SchleswigHolstein. „Berlin: Keine andere deutsche Stadt nach dem Ersten Weltkrieg ist mit dem Mythos des Verruchten und der Zwielichtigkeit, mit der Bezeichnung ‚Sündenbabel‘ so eng verbunden wie die Hauptstadt der Weimarer Republik. Das Korsett der Kaiserzeit war gesprengt, der Kriegswahn, wenn auch nicht dessen verheerende Folgen, überstanden. [...] Eine ekstatische Genusssucht erfasste die Gesellschaft inmitten politischer Machtkämpfe, zwischen wirtschaftlichem Aufschwung und Niedergang. Alles schien möglich, alles schien erlaubt. Und das, was nicht erlaubt war, fand im Halbdunklen oder Dunklen statt. Die sexuelle Lust und die sexuellen Laster wurden freizügig wie nie, auch außerhalb der Ekel und in gleichgeschlechtlichen Verbindungen, gelebt. Einher ging diese Entwicklung mit sich bedrohlich ausbreitenden Geschlechtskrankheiten, der Syphilis, des Trippers und des Schankers. [...] Die Unterhaltung von Bordellen oder bordellartiger Betriebe wurde verboten, dafür die Beschränkung auf bestimmte Straßen oder Häuserblocks zur Ausübung der ‚gewerbsmäßigen Unzucht‘ aufgehoben. [...] Berlin wusste sich in den Zwanziger Jahren im Geschäft der Erotik und käuflichen Liebe hervorragend zu vermarkten. Zwar galt weiterhin Paris als die Stadt der Liebe, aber Berlin wartete mit Lastern auf, die in Paris und London nicht geboten wurden. Der Laufsteg ihrer erogenen Zonen, auf dem Frauen wie Männer ihre Körper dar144 boten, verlief von Nord über Ost nach West, von der Elendsprostitution zur Edelprostitution. Das Liebesgeschäft war angesichts weit verbreiteter Arbeitslosigkeit für viele Mädchen und Frauen von existenzieller Bedeutung. [...] Zahllose in der Stadt und an der Peripherie existierende oder sich neu ansiedelnde Lokalitäten, die wie die Spielcasinos regelrecht aus dem Boden sprossen, profitierten hiervon. [...] Sie [die Prostituierten] tranken, rauchten, konsumierten Rauschgift und trugen alles oder nichts im Vergleich zur eigentlichen ‚Dame‘, die wußte, wieviel Rouge sie auflegen oder wie viel Haut sie bei welcher Gelegenheit zeigen konnte. [...] Die einfache Hure trug eher Pumps mit hohem Schaft, Knöpf- und Schnürstiefel in knalligen Farben. [...] Blieben Künstler wie Hans Baluschek ihrer Sichtweise auf das Thema in den Zwanziger Jahren treu, interpretierten andere, so Michel Fingesten, George Grosz, Christian Schad und Rudolf Schlichter, das erotische Berlin ebenso freizügig wie die Stadt sich selbst freizügig zeigte. Es gibt wohl keine sexuelle Pose, egal ob nackt oder frivol bekleidet, ob kopulierend oder masturbierend, ob in der Gruppe oder allein, sadistisch oder masochistisch, die nicht künstlerisch umgesetzt wurde. Es zeigt sich geradezu eine Lust am Grausigen. Künstler hatten weder Scheu vor der Darstellung des kriegsversehrten Freiers noch vor Dirnenmordleichen oder Lustmörderphantasien.“ 1 1 Ebert, Marlies, Die Nacht ist nicht allein zum schlafen da. In: Mothes, Christian und Dominik Bartmann, Tanz auf dem Vulkan. Das Berlin der Zwanziger Jahre im Spiegel der Künste. Katalog der Ausstellung im Ephraim-Palais/Stadtmuseum Berlin 2015/2016. S. 152 ff 145 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München) Spaziergänger. Federlithographie auf festem Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1920. 21 : 28 cm auf 40,7 : 30,7cm. Blatt 10 der 4. Mappe des II. Jahrgangs der „Schaffenden“, mit dem Trockenstempel des Euphorionverlages. Eins von 25 römisch nummerierten Exemplaren (Gesamtauflage 125). Söhn HDO 72708-10. Im ehemaligen Passepartout-Ausschnitt etwas lichtrandig. Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein. 146 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München) Der Bräutigam Kreidelithographie auf Bütten, mit Bleistift signiert, 1922. 34,3 : 24,8 cm auf 41 : 31 cm. Blatt 9 der 3. Mappe des III. Jahrgangs der „Schaffenden“, mit dem Trockenstempel des Euphorionverlages. Eins von 100 Exemplaren (Gesamtauflage 125). Söhn HDO 72711-9.Verso Montierungsreste. Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein. „Schlichter blieb Gefangener einer Obsession, die nur in der Kombination von Knöpfstiefelfetischismus und Strangulation zur Triebbefriedigung gelangte. Ein bislang unbekannter, schonungsloser Befund aus dem ‚Geheimen Tagebuch‘ 1942 dokumentiert Schlichters Not: >Warum werde ich diese Besessenheit nicht los? Wenn ich meine Knöpfstiefel anziehe, spüre ich schon den Trieb zur Entladung rumo- ren. Eine Viertelstunde später hänge ich bereits mit zuckenden Füßen. Was ist dies alles, welches Geheimnis liegt hier zu Grunde? Ein Gegenstand aus Leder mit Knöpfen u. Knopflöchern, den ich über meine Füße ziehe [,] ist im Stande, alle Dämonen der Wollust zu entfesseln. Ist es ein Symbol, ist es ein Gleichnis, ist es eine böse zauberische Verwandlung? <“1 1 Adriani, Götz, Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 32 147 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München) Raufende Frauen (auch: Liebende). Kreidelithographie auf Bütten, mit Bleistift signiert, 1922. 21 : 32 cm auf 30,5 : 41 cm. Blatt 10 der 3. Mappe des III. Jahrgangs der „Schaffenden“, mit dem Trockenstempel des Euphorionverlages. Eins von 100 Exemplaren (Gesamtauflage 125). Söhn HDO 72711-10. Verso Montierungssreste; im ehemaligen Passepartout-Ausschnitt leicht gebräunt. Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein. Im Katalog der Schlichter-Ausstellung in Tübingen 1997 ist eine Skizze und eine Abbildung des um 1928 entstandenen Gemäldes „Balgende Frauen“ zu finden. „Zwei Frauen in Unterröcken, Stöckelschuhen und Seidenstrümpfen, vielleicht Prostituierte, balgen sich dort im Streit auf dem Boden. Die Unterlegene wird von der über ihr Knieenden gewürgt. Der Dominierenden ist der Unterrock über das Gesäß gerutscht, und ihre Schulter ist frei. Auf der Skizze [die der Graphik noch näher kommt] bildet dagegen noch das blanke Gefäß der Würgenden den optischen Mittelpunkt. [...] Die Szene wirkt als eigenartige Mischung aus Kampf und Vergewaltigung“ 1 1 Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 32. Im Katalog der Pforzheimer Ausstellung wird das Blatt als „Liebende, um 1928“ beschrieben und die Szene ganz anders interpretiert: „Zu seinen Vorlieben gehörten auch Strangulationen und das Motiv des Erdrosselns wie auf dem Blatt ‚Liebende‘ - einem anscheinend erotischen Gerangel zwischen zwei Frauen.“ Greschat, Isabel, Hrsg., Rudolf Schlichter. Großstadt - Porträt - Obsession. Katalog der Ausstellung der Pforzheim Galerie 2008/2009. Nr. 26 148 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München) Liebesunterhaltung (auch: Der Verführer). Tuschpinsellithographie auf Bütten, mit Bleistift signiert, 1923. 34 : 26 cm auf 40,5 : 30,7 cm. Blatt 8 der 4. Mappe des IV. Jahrgangs der „Schaffenden“, mit dem Trockenstempel des Euphorionverlages. Eins von 100 Exemplaren (Gesamtauflage 125). Söhn HDO 72716-8. An den Rändern etwas knittrig, ein kleiner Einriss, verso Montierungssreste. Provenienz: Privatsammlung Schles- sind bei Schlichter oft Persiflagen, in wig-Holstein. denen das Mysterium des bürgerlichen Nachtlebens eine lächerliche Note er„Schon in seiner Studienzeit in Karlsru- fährt wie beispielsweise in dem Blatt he produzierte Schlichter erotisch-por- ‚Der Verführer‘. Männer sind in diesen nografische Grafik, die sich gut verkau- Zeichnungen oft nur Staffage. Nicht selfen ließ. Diese frühen Arbeiten signierte ten wirken sie dümmlich. Die Damen er mit dem Pseudonym ‚Udor Réthyl‘. der Halbwelt erscheinen abweisend, Für die interessierte Kundschaft ent- manchmal sogar völlig teilnahmslos standen noch Mitte der 1920er Jahre und puppenhaft.“1 die ‚Liebesvariationen‘. Bordellszenen 1 Greschat, Isabel, Hrsg., Rudolf Schlichter. Großstadt - Porträt - Obsession. Katalog der Ausstellung der Pforzheim Galerie 2008/2009. Nr. 27 149 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München) Geparden. Tuschfederzeichnung auf festerem Papier, mit Bleistift signiert, datiert und betitelt, 1933. 46,3 : 63 cm. Am unteren Rand hinterlegter Einriss, die Ränder insgesamt etwas knittrig und fleckig. Verso Montagespuren. Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein. „Schlichter hat in seinen verschiedenen Werkphasen im erwieder versucht, seine emotionale und intellektuelle Situation mit Hilfe von Tierzeichnungen und -bildern zu formulieren. In der Mitte der zwanziger Jahre wurde der ‚Leopard‘ von einem sich auf dem Rücken wälzenden Panther abgelöst. Daneben zeichnete er Schakale in verschiedenen charakteristischen Körperhaltungen.“ 1 1 Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 75 150 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München) Kleitho und Poseidon (Zu Platons Atlantis). Federzeichnung auf Bütten, mit Bleistift signiert und betitelt, um 1934. 40 : 61 cm auf 50 : 68 cm. Om oberen Rand leichte Altersspuren, in der linken oberen Ecke die Darstellung leicht berieben. Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein. Ein „Vergleich mit der Quelle aller Atlantis-Erzählungen, den platonischen Dialogen ‚Timaios‘ und ‚Kritias‘, zeigt, daß sich Schlichter ziemlich genau an die dortigen Vorgaben gehalten hat.“ 1 „Wie schon im Obigen erzählt wurde, daß die Götter die ganze Erde unter sich teils in größere, teils in kleinere Teile verteilt und sich selber ihre Heiligtümer und Opferstätten gegründet hätten, so fiel auch dem Poseidon die Insel Atlantis zu, und er verpflanzte seine Sprößlinge, die er mit einem sterbli- Männern, namens Euenor, zusamt seiner Gattin Leukippe, und sie hatten eine einzige Tochter, Kleito, erzeugt. Als nun dies Mädchen in das Alter der Mannbarkeit gekommen war, starben ihr Mutter und Vater; Poseidon aber ward von Liebe zu ihr ergriffen und verband sich mit ihr. Er trennte deshalb auch den Hügel, auf welchem sie wohnte, rings herum durch eine starke Umhegung ab, indem er mehrere kleinere und größere Ringe abwechselnd von Wasser und von Erde um einander fügte, und zwar ihrer zwei von Erde und drei von Wasser, und mitten aus der Insel gleichsam herauszirkelte, so daß ein jeder in allen seinen Teilen gleichmäßig von den anderen entfernt war; wodurch denn der Hügel für Menschen unzugänglich ward, denn Schiffe und Schiffahrt gab es damals noch nicht. Für seine Zwecke aber stattete er die in der Mitte liegende Insel, wie es ihm als einem Gotte nicht schwer ward, mit allem Nötigen aus, indem er 1 Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 252 chen Weib erzeugt hatte, auf einen Ort der Insel von ungefähr folgender Beschaffenheit: Ziemlich in der Mitte der ganzen Insel, jedoch so, daß sie an das Meer stieß, lag eine Ebene, welche von allen Ebenen die schönste und von ganz vorzüglicher Güte des Bodens gewesen sein soll. Am Rande dieser Ebene aber lag wiederum, und zwar etwa sechzig Stadien vom Meere entfernt, ein nach allen Seiten niedriger Berg. Auf diesem nun wohnte einer von den daselbst im Anfange aus der Erde entsprossenen zwei Wassersprudel, den einen warm und den andern kalt, dergestalt, daß sie aus einer gemeinsamen Quelle flossen, aus der Erde emporsteigen und mannigfache und reichliche Frucht aus ihr hervorgehen ließ.“ 2 2 203 f. Platon, Sämtliche Werke. Berlin 1940. S. 151 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München) An der Waldgrenze. Aquarell auf Bütten, mit Bleistift signiert, rückseitig betitelt, um 1937. 61,5 : 49 cm. Von farbfrischer Erhaltung. Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein. „Wie sehr Schlichter das Thema ‚Landschaft‘ während der Niederschrift beschäftigte, zeigen beide Bände der Autobiographie. Neben den Schilderungen skurriler schwäbischer Charaktere, seiner abstrusen familiären Situation und der Karlsruher Vorkriegsbohème nehmen die Wanderungen durch die Wälder, Dörfer und Städte seiner Heimat einen breiten Raum ein. Unter dem Eindruck der sich überstürzenden politischen Ereignisse und der immer schwieriger werdenden Lebenssituation in Berlin fand Schlichter Kraft und Rückhalt im Karst des Schwäbischen Jura. Er entdeckte die Landschaft seiner Jugend neu als ein Symbol der Geborgenheit und Stabilität, das die politischen Verirrungen überdauern würde. Schon während der Studienzeit in Karlsruhe wurde ein Stipendium zum Anlaß, die >Ferien nach langer Abwesenheit wieder am Rand der Schwäbischen Alb in der Nähe der Heimat meines Vaters zu verbringen. Es war nicht nur die alte, nie verlöschende Sehnsucht, die mich dorthin trieb, sondern vor allem künstlerische Gründe hatten den Entschluß in mir reifen lassen, mehr als es bisher geschehen war, die Landschaft in mein Schaffen einzubeziehen.< In der Erinnerung an einen Ausflug nach Straßburg artikulierte sich die Heimatliebe in einer für Schlichter ungewöhnlich pathetischen Form: >Oft verachtet und in törichter Scham verschwiegen, mit Gewalt aus meinem Denken und Gefühlsleben in die tieferen Schächte des Unbewußten verdrängt, brach doch immer wieder in Augenblicken sehnsuchtsvoller Verlas152 senheit die heiße Liebe zu den düsterheimlichen Hängen des Schwarzwaldes hervor, deren wundersame Formen mir in früher Kindheit das Bild der Welt ins empfängliche Herz geprägt hatten.<“ 1 1 Adriani, Götz, Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 51 153 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München) Die Messingstadt. (1001 Nacht), Emir Musa. Federzeichnung auf Bütten, mit Bleistift signiert, datiert und betitelt, 1941. 43,5 : 60 cm auf 52,5 : 71,2 cm. Stellenweise kleine Montierungsfleckchen, sonst gut erhalten. Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein. Ausstellungen: Rudolf Schlichter. Austellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. Katalognr. 166, S. 283 mit Abbildung Literatur: Schlichter, Rudolf, Tausendundeine Nacht. Federzeichnungen aus den Jahren 1940-1945. Berlin 1993. S. 105 und 110 mit Abbildung. „Am 23.11.1949 schrieb [Ernst] Jünger an Schlichter: >Ich ziehe diejenigen ihrer Schöpfungen vor, die man wie Ihre Gebirgstäler oder wie ‚Atlantis vor dem Untergange‘ immer um sich haben kann. Immer hatte ich gehofft, als Pendant zu dieser Zeichnung [...] auch einmal in gleicher Größe einen ‚Emir Musa in der Messingstadt‘ zu besitzen, denn dieser Musa ist neben Peri Banu eine der Gestalten aus Tausendundeine Nacht, von denen ich schon früh und mit besonderer Gewalt berührt wurde.< Nachdem Schlichter am 26.5.1950 Jünger zu verstehen gegeben hatte, daß er sich von den Blättern zu ‚Tausendundeine Nacht‘ noch nicht trennen wolle, da er >noch mit der Möglichkeit einer Veröffentlichung als Buch oder in Mappenform rechne<, verlieh Jünger seinem Wunsch am 11.6.1950 noch einmal Nachdruck: >Von dem Blatt über meinen Liebling Emir Musa wollen sie sich also vorläufig noch nicht trennen. [...] Im Falle einer Veräußerung denken Sie bitte zu- 154 nächst an mich. [...]< 1 „>Sie müßten 1001 Nacht überhaupt durchgehend illustrieren. Sie würden das besser machen als selbst Doré<, schreibt Ernst Jünger am 29. Dezember 1942 an Rudolf Schlichter, nachdem er dessen Zeichnungen - es sind ihrer fünfzig zu sechs ausgewählten Episoden - kennengelernt hatte. Und fährt fort: >Besonders packte mich das Bild der Messingstadt. Dieses Märchen hat selbst innerhalb des bedeutenden Rahmens seine besondere Tiefe, seinen Rang. Schon als Kind hörte ich meinem Vater oft von der Messingstadt und dem hohen Emir Musa sprechen; ich glaube aber, daß ich erst bei den letzten Lektüren wirklich zum Kern des Märchens vorgedrungen bin. Ich finde darin eine Grundfigur, die auch uns Abendländer in Bann hält: die Konfrontierung von Lebenspracht und Tod, die uns zugleich mit Schmerz und Lust erfüllt. In diesem Genusse liegt auch eines der Elemente unserer Wissenschaft, insbesondere der Archäologie, aber Musa genießt ihn reiner, kontemplativ.< [...] Schlichter erlebt die Schlußphase des Tausendjährigen Reichs als beschleunigte Endzeit. Die Erzählungen aus 1001 Nacht sind ihm Spiegel dieser politischen Auflösung. Im orientalischen Despotismus enthüllt sich ihm die Hypris der aktuellen Machthaber. Vor allem die Geschichte von der Messingstadt symbolisiert für Schlichter den Untergang des Abendlandes als Erstarrung seiner Kultur. Sie beschäftigt ihn 1941/42 in München, wie etwa gleichzeitig auch Ernst Jünger und Max Beckmann, und löst nicht weniger als fünfzehn Zeichnungen aus. Die Kämpfe und Wüsteneien, die Zwingburgen, verödeten Städte, die mumifizierten Toten - all das kann auf dem Hintergrund zeitgenössischer Luftangriffe und Kesselschlachten 1 Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S.250 auch als Memento mori oder Epitaph auf eine Zivilisation gelesen werden. >Dieses geheimnisvolle Märchen handelt von der Vergänglichkeit aller Macht, von der Hinfälligkeit menschlicher Größe, von der Eitelkeit menschlichen Strebens und von der furchtbaren Majestät des Todes<, hatte Rudolf Schlichter die Erzählung charakterisiert. Darin erfährt Emir Musa von einem wilden schwarzen Volk, das im Besitz seltsamer Flaschen sein soll, in welchen rebellische Geister eingesperrt sind. Man bricht mit einer Karawane auf und erreicht nach langer Irrfahrt und Begegnungen unheimlicher Art einen Hügel. >Und als sie dann dort oben standen, erblickten sie eine Stadt, so groß und herrlich, wie sie noch nie ein Auge gesehen hatte: hohe Paläste winkten, und glänzende Kuppeln blinkten; die Häuser dort hätte man voller Menschen gedacht, und die Gärten standen in voller Pracht; die Bächlein sprangen, und die Bäume waren mit Früchten behangen. Sie war eine Stadt mit festen Toren, aber sie lag öde und verlassen da; kein Laut erscholl in ihr, kein menschliches Wesen gab es dort.< Es gelingt, durch magische Koranformeln die Stadttore zu öffnen. Überall finden die Reisenden Reichtum und unerhörte Pracht, doch kein Leben. Alle Einwohner sind tot. Als eingetrocknete Mumien sitzen sie auf der Straße, in Basaren und Moscheen, wie sie vom Tod überrascht wurden. >Sie waren eine Warnung für die, so sich warnen lassen< heißt es im Text, dem Schlichter eng gefolgt ist.“2 2 Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 283 155 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München) Meine Mutter. Bleistiftzeichnung auf gelblichen Papier, mit Bleistift signiert, datiert und betitelt, 2.3.1942. 14,5 : 21 cm. Auf Karton montiert. Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein. „Rudolf Schlichters Mutter war die Frau eines Lohngärtners. Früh verwitwet, brachte sie sich und die ihrigen als Näherin durch. Sie ist unterschwellig die Hauptfigur in Schlichters zweibändigen Erinnerungen, die zunächst 156 in und um Calw an der Nagold, dann in der badischen Residenz Karlsruhe spielen, wohin die Familie umzog und wo Rudolf, nach einem Zwischenspiel in Stuttgart, die Kunstakademie bezog. Trotz aller Unterschiede - nüchterner Wirklichkeitssinn auf seiten der Mutter, durch maßlose Lektüren genährte Realitätsflucht, Phantasieausschweifung und Exzentrik beim Sohn - riß das Band zwischen beiden nie ab. Schlichter zeichnete die Mutter auch auf dem Totenbett.“1 1 Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 183 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München) Bildnis Franz Ehrenwirth. Bleistiftzeichnung auf festem Papier, mit Bleistift signiert und datiert, 12.2.1948. 41 : 31,5 cm. stellenweise leicht fleckig. Provenienz: Privatsammlung Schleswig-Holstein. Ehrenwirth (1904-1993) war Verleger in München. „Doch stetig und unangefochten, seit den Berliner, ja Karlsruher Jahren bis in die Münchner Nachkriegszeit, entwarf Schlichter Porträts von Weggefährten und ihm wichtigen Begegnungen [...]. Sie sind der rote Faden im changierenden Werk, Selbstvergewisserung in chaotischer Zeit. Zu Recht erkannte jener Kritiker, >daß ihm alles zum Bildnis wird<.“ 1 1 Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellungin der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 32 157 Rudolf Schmidt-Dethloff (Rostock 1900 - 1971 Lindau) Hafen von Ribnitz/Nordvorpommern. Aquarell auf Bütten, 1948. 30 : 37 cm. -Verso mit Nachlaß-Stempel. Werknummer 480. Provenienz: Nachlaß des Künstlers 1900 Geboren am 28. September in Rostock 1907-1915 Realgymnasium in Rostock 1915-1918 Kriegshilfsdienst 1918-1920 kaufmännische Lehre in Rostock 1920-1925 Studium der Malerei: in Hamburg bei Professor Thedy in Weimar bei Professor Bunke in Dresden bei Professor Richter und Oskar Kokoschka 1925-1929 Studienreisen nach München, an den Bodensee, nach Wien und 158 Italien 1929-1936 Vorsitzender der Rostocker Künstlervereinigung. Ausstellungen in Rostock, Schwerin, Hamburg, Lübeck und Bremen 1937-1938 Wohnsitz in Berlin 1939-1945 Wehrmacht 1945 Gefangenschaft in Auschwitz 1946-1952 Atelier in der Künstlerkolonie Ahrenshoop Ausstellungen in der Galerie Lowinsky, Berlin, in den Galerien Himmer und Ferdinand West in Rostock und in der Galerie Levy in Hamburg Wandmalereien in der Königsjägerkaserne Stettin Zerstörung aller Gemälde in seinem Rostocker Atelier durch Volkspolizisten 1953-1955 Wohnsitz in West-Berlin 1955-1958 Wohnsitze in Bregenz, Cuxhaven, Heidelberg und Freiburg ab 1958 Wohnsitz in Lindau am Bodensee Mitglied der Künstlergilde Esslingen 1971 Gestorben am 12. Juni in Lindau Rudolf Schmidt-Dethloff (Rostock 1900 - 1971 Lindau) Ahrenshoop - Kühe am Bodden. Aquarell auf Bütten 1949. 36,7 : 51,2 cm. Verso mit Nachlaß-Stempel. Werknummer 598. Provenienz: Nachlaß des Künstlers 159 Rudolf Schmidt-Dethloff (Rostock 1900 - 1971 Lindau) Havellandschaft. Aquarell auf Bütten, 1954. 36,6 : 48 cm. Mit Nachlaß-Stempel auf der Rückseite. Werknummer 688. Provenienz: Nachlaß des Künstlers 160 Rudolf Schmidt-Dethloff (Rostock 1900 - 1971 Lindau) Schwarzwald 2. Aquarell auf Bütten, verso mit Nachlaß-Stempel, 1957. 36,7 : 51 cm. Werknummer 443. Am unteren Rand 2 kleine Einrisse. Provenienz: Nachlaß des Künstlers 161 Rudolf Schmidt-Dethloff (Rostock 1900 - 1971 Lindau) Markgräfler Land 3. Aquarell auf Bütten, 1958. 26 : 35,6 cm. Mit Nachlaß-Stempel auf der Rückseite. Werknummer 378 Provenienz: Nachlaß des Künstlers 162 Rudolf Schmidt-Dethloff (Rostock 1900 - 1971 Lindau) Wasserburg am Bodensee 16. Aquarell auf Bütten, 1960/65. 35,8 : 47,8 cm. Mit Nachlaß-Stempel auf der Rückseite. Werknummer 193 Provenienz: Nachlaß des Künstlers 163 Karl Schmidt-Rottluff (Rottluff bei Chemnitz 1884 - 1976 Berlin) Nächtliche Straße (Gartenstraße in Rottluff bei Chemnitz). Kreidelithographie auf festem Bütten, mit Bleistift signiert und datiert, am unteren Rand betitelt, 1906. 25 : 31,5 cm. Werkverzeichnis: Schapire L 4. Eine Auflage ist nicht bekannt, der Stein wurde abgeschliffen. Vorzüglich erhalten. Provenienz: Privatsammlung Süddeutschland „1906 entstanden Schmidt-Rottluffs erste Lithographien. Die Technik hatte ihm der mit ihm gut bekannte Robert Sterl vermittelt. Wie in den frühen Aquarellen entsteht ein unruhiger, flakkernder Eindruck. [...] Die Gegenständlichkeit ist nur schwer zu erkennen. Interesse an flimmerndem Licht als letztes Erbe des Impressionismus verbindet sich mit einem expressiven Interesse an Ausdruckssteigerung.“1 „Daß der Steindruck mehr als dekorative Gebrauchskunst sein und dem Ausdruck so noch nie gesehener Bekenntnisse und Bedrängnisse dienen könnte, erkannten die jungen Deutschen und erkannte auch SchmidtRottluff erst vor den erregenden Blättern Edvard Munchs. Wie wenig gerade er jedoch in die Gefahr einer Abhängigkeit von dem als Vorbild bewunderten großen Norweger geriet, bewies Munchs Verhalten in dem Augenblick, da er bei Gustav Schiefler die ersten Lithographien von SchmidtRottluff sah und erkennen mußte, daß ein von ihm am Ende geglaubter Weg von einem Jüngeren doch noch weitergeführt werden konnte. Die Bedeutung, die dieser Reaktion Munchs auf Arbeiten Schmidt-Rottluffs zukommt, mag die auszugsweise Veröffentlichung des ersten Berichtes darü1 Moeller, Magdalena M., Die Brücke. Zeichnungen, Aquarelle, Druckgraphik. Katalog der Ausstellung im Brücke-Museum Berlin 1992. S. 424f. 164 ber rechtfertigen, der in einem Brief Schieflers vom 4.5.1907 enthalten ist: ‚Ich habe die Blätter einer ganzen Reihe von Bekannten gezeigt, von denen sich natürlich ein Teil ablehnend verhält. Aber mehr als das, was ich von meinem Eindruck sagen kann, wird Sie interessieren, wie Munch und Richard Dehmel sich zu den Sachen stellten. Munch war zuerst, ich möchte fast sagen, erschrocken. Folgenden Tages sagte er, er hätte immer an die Lithographien denken müssen; da steckte etwas sehr Merkwürdiges darin, und er wäre sehr gespannt, weitere von ihnen zu sehen.‘ In seiner Antwort bestätigt Schmidt-Rottluff seine Wertschätzung Munchs, geht aber insbesondere auf eine bestimmte Charakterisierung seiner Arbeiten durch Schiefler ein: ‚Rhythmisierung - für das Wort bin ich Ihnen besonders dankbar. Der Rhythmus, das Rauschen der Farben, das ist das, was mich immer bannt und beschäftigt. Wenn Ihnen bei einigen Blättern das Gegenständliche noch nicht ganz zur Vorstellung gekommen ist, so ist es freilich schwer, darüber etwas zu sagen, wo mit einer Bewegung der Hand alles gesagt ist. Aber vielleicht sind Ihnen auch diese Blätter inzwischen zugänglicher geworden...‘ Die ungeheuer starke Rhythmisierung, die Ausgewogenheit und Wohlklang durch kaum noch erträglich scheinende Spannungen ersetzt, ist in der Tat ein wesentliches und die Entwicklung voranreißendes Kriterium in diesen frühen Lithographien SchmidtRottluffs, die natürlich gleichzeitig auch als Dokumente der Sturm- und Drangperiode dieses Künstlers gelten können. Hier gibt es keinen verklärenden Abstand und keine objektivierende Auseinandersetzung mit der Natur, nur eine Identifizierung mit ihr, ein förmliches Hineinwühlen in sie, um so ihre innerste Wesenhaftigkeit herauszuholen und zur eigenen ma- chen zu können. Bäume und Häuser werden mit ungezügeltem Zugriff angegangen, das Meer heran- und der Himmel heruntergeholt, weil hinter ihnen das Eigentliche gefunden werden soll - selbst erteilte Antwort auf die drängende Frage nach der absoluten Ursprünglichkeit. Dem mitreißenden Pathos und dem gärenden, brodelnden, lodernden Ungestüm dieser Blätter, deren äußere Maße allesamt bescheiden sind, ist damals kaum Gleichwertiges an die Seite zu setzen.“ 2 „So kam es, daß mir Schmidt-Rottluff eine Anzahl seiner frühen Steindrucke zur Ansicht schickte. Munch war gerade bei uns, als ich sie auspackte. Er schüttelte den Kopf und sagte: ‚Gott soll uns schützen, wir gehen schweren Zeiten entgegen‘. Am folgenden Morgen beichtete er, er schäme sich; er habe die ganze Nacht an die Sachen gedacht, es müsse doch wohl etwas daran sein. Ich hatte gleichfalls die Empfindung, daß in diesen, beim ersten Anblick als Gekritzel und Gewisch erscheinenden Blättern eine verhaltene Kraft steckte.“3 Die Kunstsammlungen in Chemnitz besitzen zwei Fassungen in Öl mit diesem Motiv aus dem Jahr 1906 „Gartenstrasse“ (Inv.-Nr. L 113)4 und „Gartenstraße frühmorgens“ (Inv.Nr. L 108)5. 2 Wietek, Gerhard, Schmidt-Rottluff Graphik. München 1971. S. 28 . 3 Schiefler, Gustav, Meine Graphiksammlung. Hamburg 1974. S. 53 4 abgebildet in: Doschka, Roland, Hrsg., Karl Schmidt-Rottluff. Meisterwerke aus den Kunstsammlungen Chemnitz. Katalog der Ausstellung in der Stadthalle Ballingen. München 2005. Kat.-Nr. 7 5 abgebildet in: Expressionismus in Deutschland und Frankreich. Von Matisse zum Blauen Reiter. Katalog der Ausstellung im Kunsthaus Zürich 2014. Kat.-Nr. 93 165 Karl Schmidt-Rottluff (Rottluff bei Chemnitz 1884 - 1976 Berlin) Münzgasse (in Dresden). Kreidelithographie, mit Bleistift signiert, 1906. 35 : 19 cm. Werkverzeichnis: Schapire L 7. Eine Auflage ist nicht bekannt, der Stein wurde abgeschliffen. Von feinster Erhaltung. Provenienz: Privatsammlung Süddeutschland. „Die Motive vieler graphischer Blätter aus der Dresdner Zeit hängen mit der Lage des Ateliers der ‚Brücke‘-Künstler in der Berliner Straße zusammen. Dort hatten sie einen ehemaligen Laden als Atelier eingerichtet und unternahmen von da aus ihre Streifzüge in die unmittelbare Umgebung. Was zu Fuß in etwa einer halben Stunde zu erreichen war, wurde in Skizzen festgehalten und im Atelier in Radierungen, Holzschnitte und Lithographien umgesetzt oder zu Aquarellen ergänzt.“ 1 „Auf den ersten Lithographien Schmidt-Rottluffs vollzog sich der Aufbau der Form aus der Zusammenfügung scheinbar wirr gekritzelter Kreidestriche. Zu ihnen gesellten sich alsbald merkwürdig eckig gruppierte Tonflächen, die mit dem Wischer erzielt waren, und eine energische Handhabung des Schabers.“2 1 Die Künstlergruppe „Brücke“. Aquarelle, Zeichnungen und Druckgraphik aus dem Kunstmuseum Hannover mit Sammlung Sprengel. Katalog der Ausstellungen in der Städtischen Galerie Albstadt u. a. 1983. S. 19 2 Schiefler, Gustav, Meine Graphiksammlung. Hamburg 1974. S. 55 166 167 Karl Schmidt-Rottluff (Rottluff bei Chemnitz 1884 - 1976 Berlin) Ostseeküste. Kaltnadelradierung auf Bütten, mit Bleistift signiert, auch vom Drucker Vogt signiert, 1920. 24 : 29,45 cm. und mit der denkbar knappsten Umschreibung der Form ausgekommen wird.“ 1 Werkverzeichnisse: Schapire R 38. Söhn HDO 52002-1. Eins von 110 signierten Exemplaren der Auflage für den „Kreis graphischer Künstler und Sammler in Leipzig“. Die Platte wurde zerstört. Kleine druckbedingte Quetschfalte, sonst sehr schöner Abzug. Provenienz: Privatsammlung Pfalz. „Die Stiche mit Motiven aus Schlawe - der dem Sommeraufenthalt Jershöft zunächst gelegenen pommerschen Kleinstadt - sind nicht nur wegen ihres äußeren Formates große Blätter. In der Monumentalität der Wirkung und Größe der Auffassung stehen sie den holzgeschnittenen Stadtbildern von Soest in nichts nach. Überhaupt stellt die Entwicklung der Kaltnadelarbeiten und Stiche zu adäquaten, den Holzschnitten und Lithographien völlig gleichberechtigten graphischen Ausdrucksmitteln die Sonderleistung jener Jahre dar, in denen erst- und letztmalig auch der Umfang der Metalldrucke denjenigen der übrigen Techniken übertrifft. Für die ersten Blätter des Jahres 1920, in denen vereinzelt noch Eindrücke aus Rußland, vor allem aber Motive des vorjährigen Sommers in Hohwacht verarbeitet werden, wird wieder die 1915 zum letztenmal benutzte Kaltnadel verwendet, die 1921 nur noch für ein Motiv aus Rowe - wo sich zeitweilig auch Pechstein aufhielt - herangezogen wird. Es gibt die Eigentümlichkeiten dieser Gruppe besonders prägnant wieder, in der ohne Zwischentöne allein mit der Entschiedenheit kräftiger oder dünner Linien gearbeitet wird 168 1 Wietek, Gerhard, Schmidt-Rottluff Graphik. München 1971. S. 181 f. 169 Georg Schrimpf (München 1889 - 1938 Berlin) Moorlandschaft (Blick von den Osterseen über das Kocheler Moos). Aquarell auf Vélin, mit Pinsel signiert und datiert, rückseitig mit Bleistift betitelt, 1929. 23 : 39,6 cm auf 25,5 : 42 cm. Darstellung vom Künstler mit Bleistift umrandet. Das stimmungsvolle neusachliche Aquarell in absolut farbfrischer Erhaltung. Provenienz: Privatsammlung München. „Bemerkung des Künstlers. Anläßlich der Einzelausstellung im Graphischen Kabinett Günther Franke, München 1932. Auf die Frage nach meiner besonderen Verbundenheit mit München und Süddeutschland kann ich so antworten: ich fühle mich hier in einem naturbetonten Sinn, im Sinn der Landschaft und des Lebens verbunden. Deshalb lebe ich hier. Was Art und Wesen meiner Malerei angeht, so kann ich hierzu nur eines sagen: meine Darstellung hat mit programmatischer Malerei, sei es in diesem, sei es in jenem Sinne, nichts zu tun. Was ich mit meinen Bildern will, gilt dem Leben schlechthin; so wie es trotz aller zufälligen Wirkungen und Erscheinungen abläuft. So bemühe ich mich um Klarheit und Einfachheit als den mir wesentlichen Grundzügen, in dem Glauben, eben dadurch auch dem inneren Wert der Dinge nahe zu kommen.“1 1 Zitiert nach: Storch, Wolfgang, Georg Schrimpf und Maria Uhden. Leben und Werk. Berlin 1985. S. 162 170 171 Fritz Stuckenberg (München 1881 - 1944 Horn bei Füssen) Ohne Titel (Borkum) Aquarell auf Bütten, mit Bleistift monogrammiert und datiert, 1927. 24,5 : 34,3 cm. Ganz leicht beschnitten, verso Montierungsspuren, sonst sehr schön und farbfrisch erhalten. Provenienz: Privatbesitz Süddeutschland „Die ersten Landschaftsaquarelle malte Stuckenberg 1924 auf Ischia. Sehr schnell entwickelte er in diesem Genre einen entschieden eigenen Stil. Die große Suggestionskraft, die von diesen Landschaften ausgeht, verdankt sich vorrangig einer konsequenten, oft bis zur Abstraktion führenden Formstilisierung, so daß die Landschaft >imaginiert< werden muß.“ 1 1 Wandschneider, Andrea, Stuckenbergs gegenständliches Spätwerk - Eine Annäherung. In: Fritz Stuckenberg 1881-1944. Eine Retrospektive. Städtische Galerie Delmenhorst 1993. S. 95 172 Biographie 1881 in München geboren 1893 Umzug der Familie nach Delmenhorst im Oldenburger Land 1902 Lehre bei einem Theatermaler in Leipzig; anschließend Studium in Weimar und München 1907 bezieht ein Atelier in Paris, wo er Wilhelm Uhde kennenlernt 1908 Reise nach Pont-Aven in die Bretagne 1909 stellt im „Salon d‘Automne“ aus und wird Mitglied der „Société de Peinture Moderne“ 1910 Ausstellungsbeteiligung im „Salon de l‘Union Internationale des Beaux-Arts et des Lettres“; Reise nach Marseille, Cassis und Martigues 1912 Übersiedlung nach Berlin 1916 wird Soldat, jedoch ohne Fronteinsätze; lernt Herwarth Walden kennen; erste von einem Dutzend Beteiligungen an den „Sturm-Ausstellungen“ 1919 Mitglied im „Arbeitsrat für Kunst“ und in der „Novembergruppe“; Übersiedlung nach Seeshaupt am Starnberger See 1920 Walter Dexel zeigt im Jenaer Kunstverein Bilder von Stuckenberg, zusammen mit Arbeiten von Klee (den Stuckenberg in München besucht) und Molzahn; Ausstellung bei Flechtheim in Düsseldorf 1921 Umzug nach Delmenhorst; schwere Nervenerkrankung 1923 erste Einzelausstellung 1924 lebt ein halbes Jahr auf Ischia 1928 Teilnahme an der Großen Berliner Kunstausstelllung, ebenso 1930; Ausbruch einer Lungenkrankheit; Sanatorium in Arosa 1929 Parisaufenthalt 1935-36 Aufenthalt in München 1941 Umzug ins Allgäu 1944 in Horn bei Füssen gestorben 173 Paul Signac (1863 - Paris - 1935) Lézardrieux. Schwarze Tusche mit Rohrfeder über Bleistift, braun aquarelliert auf Vélin, dieses auf Büttenkarton kaschiert, mit Bleistift signiert, betitelt und datiert, 1925. 30 : 43,7 cm. Provenienz: Privatsammlung Westfalen. Mit Expertise von Marina Ferretti, Archives Signac Paris und Direktorin des Musée des Impressionismes Giverny , vom 28. März 2012. sionistische Freilichtmalerei nicht in der Natur entstanden sind. Zwischen 1925 und 1932 mietete Signac für mehrere Monate ein Haus in Lézardrieux, das sich in der NordBretagne am Ufer des Flusses Trieux befindet. Hier war er besonders von der Landschaft zu beiden Seiten des Flusses angetan. Im Unterschied zu Georges Seurat, der der Darstellung des Menschen den Vorzug gab, widmete sich Signac fast ausschliesslich der Landschaft. Die französische Küste wurde sein bevorzugtes Bildmotiv. Jeden Sommer verliess er die Hauptstadt für einen längeren Aufenthalt in Südfrankreich in Collioure oder St. Tropez, wo er 1892 ein Haus gekauft hatte, das ihm bis zu seinem Umzug nach Antibes, 1913, auch als Atelier diente. Paul Signac hatte eine besondere Vorliebe für Segelboote und den Segelsport. Er besass ein kleines Schiff, mit dem er fast alle Häfen Frankreichs anlief und sogar bis nach Holland oder Konstantinopel fuhr. Auf diesen Reisen schuf er auf Anraten von Camille Pissarro zahlreiche Aquarelle und Zeichnungen, die allesamt vor dem Motiv in der Natur entstanden sind und deshalb einen ausgeprägt spontanen und skizzenhaften Charakter aufweisen. Unsere Zeichnung ist von besonderer Klarheit und Sicherheit in der Ausführung gekennzeichnet, was durch die Tonigkeit der Farbe noch unterstrichen wird. Diese teils farbigen Impressionen dienten ihm als Ausgangsmaterial für grossformatige, im Atelier geschaffene Ölbilder, die anders als die impres174 Signac in seinem Segelboot „Olympia“ (als hommage an das berühmte Gemälde von Manet) 175 Max Slevogt (Landshut 1868 - 1932 Neukastel) Achill und die Gefangenen. Öl auf Holz, rechts unten mit geritztem Monogramm und Datierung, 1907.23,2 : 30,5 cm. Schwache Craqueléebildung, Platte etwas gewölbt. Verso von fremder Hand bezeichnet. Provenienz: Privatsammlung Norddeutschland. „Nachdem Slevogt sich seit 1905 mit der Figur des Achill aus Homers ‚Ilias‘ und deren Gestaltung auseinander gesetzt hatte, erschienen 1907 im Münchner Verlag Albert Langen 15 Kreidelithographien zum Buch ‚Achill‘. [...] Der Stoff war für Slevogt reizvoll, da ihm das spannungs- und temporeiche Geschehen die Möglichkeit gab, den bewegten Menschen in dramatischen Situationen darzustellen; das große klassische Werk lieferte in letzter Konsequenz hierzu nur den Vorwand.“1„Die von Winckelmann für die griechische Klassik proklamierte ‚edle Einfalt und stille Größe‘ sucht man in Slevogts Achill vergebens. Gewiss kannte der Künstler die traditionelle Ikonographie [...]. Doch ließ Slevogt all dies hinter sich und griff in genauer Kenntnis des Homerischen Epos nur den Kern der Erzählung heraus, der einzig den >Groll des Achill< und dessen verheerende Auswirkungen zum Inhalt hat. [...] Auf ergreifende Weise stellt Slevogt die blinde Raserei des von Rache getriebenen Achill dar. Kein stilisierter Held steht vor uns, sondern ein brutaler, schonungsloser, in seinem Blutrausch geradezu barbarisch wirkender Krieger. Die Götterwelt ist für Slevogt belanglos, für ihn zählt nur der innere und äußere Kampf des Menschen, der sich in drastische Bewegtheit umset1 Geil, Bernhard, Die Lithographien für den ‚Achill‘ und die Entwicklung einer neuen Form der Illustration. In: Max Slevogt. Die Berliner Jahre. Hrsg. von Sabine Fehlemann. Katalog der Ausstellung im Von der Heydt-Museum Wuppertal 2005. S. 172 f. 176 zen läßt. Beim Anblick des körperlich übermächtigen Achill, der die geradezu kindlich hilflos wirkenden Gegner aus dem Wasser schleift, den Dolch zwischen den Zähnen, die Augen im Wahn starr und vergrößert auf den Betrachter gerichtet, erschaudert man vor der Darstellungskraft des Künstlers. Auf schmückendes Beiwerk wie Landschaftsillustration und - mit Ausnahme von Brustpanzer, Beinschienen und Helm - selbst Kleidung wird verzichtet, alles ist auf das Wesentliche reduziert: die körperliche Aktivität und Blicke des Handelnden.“2 2 Niehoff, Franz, Hrsg., Mit Phantasie und Schöpferlaune. Max Slevogt als Graphiker und Illustrator. Schriften aus den Museen der Stadt Landshut 27. Landshut 2009. S. 71 177 Max Slevogt (Landshut 1868 - 1932 Neukastel) Seelenmesse der Georgiritter. 2 Kaltnadelradierungen mit Aquatinta auf Japan bzw. Bütten, mit Bleistift signiert, 1911. Blatt I: 23,8 : 18 cm auf 46,4 : 32 cm. Am unteren Rand nummeriert und bezeichnet: „Gottesdienst der Georgiritter“. Werkverzeichnis: Sievers/Waldmann 425-3. Eins von 50 Exemplaren auf Japan im Verlag von Paul Cassirer, Berlin 1912, unter den „Vierzehn Radierungen von Max Slevogt“ als Nr. 4 erschienen. Mit dem Kopf des Künstlers im Fenster links vom Altar, nebst Hand und Skizzenbuch sowie weiteren Überarbeitungen. Blatt II: 23,6 : 18,1 cm auf 36,6 : 27,6 cm. Mit dem Trockenstempel der Neukasteler Presse und der handschriftlichen Widmung „Für H. Kohl Max Slevogt i. Dez. 22“. Werkverzeichnis: Sievers-Waldmann 425-5. Die Platte nun tief nachgeätzt, das Profil des am Altar knieenden Prinzregenten hell herauspoliert, die Platte mit der kalten Nadel übergangen. Vermutlich Probeabzug vor der Auflage von 100 signierten und nummerierten Exemplaren, erschienen 1923 im Verlag Bruno Cassirer, mit dem Blindstempel des Verlages und der Neukasteler Presse. Sehr schön erhalten. Provenienz: Sammlung Kohl-Weigand, St. Ingbert; Privatsammlung Saarland. Seit 1908 hatte sich Slevogt mit diesem Thema auseinandergesetzt (die sogenannten „Prinzregentenbilder“), als er erstmals der jährlichen Zusammenkunft der Georgiritter beiwohnte. „Großmeister dieses Ordens ist der Prinzregent selbst. König Ludwig II. hatte aus seiner Zuneigung zu phan178 tastischer Lebensform und prächtigem Zeremoniell die Kongregation eingerichtet. Alljährlich versammeln sich die Angehörigen der exklusiven Gemeinschaft am Hof zu München. Slevogt wird vom Prinzregenten 1908 zu Gast geladen. [...] Er wird Zeuge aller Hauptereignisse der Festfolge, die er mit seinen Bildern dokumentarisch belegt. Schauplatz ist meistens die Hofkapelle. Hier findet der Gedächtnisgottesdienst für König Ludwig II. statt, wird die Seelenmesse für die verstorbenen Angehörigen gelesen oder ein neues Mitglied zum Ritter geschlagen.“ 1 Franz Josef Kohl-Weigand (Ludwigshafen 1900 - 1972 St. Ingbert/Saar) wuchs als Sohn des Bankdirektors und Heimatforschers Heinrich Kohl in der Pfalz auf. 1930 heiratete er die Unternehmerstochter Auguste Weigand und übersiedelte an die Saar. Nach dem Zweiten Weltkrieg machte er die Firma „Otto Weigand & Sohn“ zu einem sehr erfolgreichen Unternehmen. Schon der Vater war ein großer Kunstkenner und u. a. mit Max Slevogt befreundet. Kohl-Weigand baute eine eigene Sammlung mit Künstlern aus der Pfalz (u. a. Slevogt, Purrmann) und St. Ingbert (u. a. Albert Weisgerber) auf. Sie wurde als die „größte Sammlung deutscher Impressionisten im südwestdeutschen Raum“ (Saarbrücker Zeitung) bezeichnet. Durch Steuerschulden der Firma übereignete Kohl-Weigand den größten Teil seiner Gemälde-Sammlung der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz. Das Unternehmen „Otto Weigand & Sohn“ wurde 1994 aufgelöst. Franz Josef Kohl-Weigand besaß die umfangreichste Sammlung von Druckgraphik Max Slevogts in Privatbesitz. „Die Begegnung mit einem der Künst1 Imiela, Hans-Jürgen, Max Slevogt. Karlsruhe 1968. S. 138 ler, die im elterlichen Hause ein- und ausgingen, wurde für Franz Josef Kohl-Weigand schicksalshaft. Mit 14 Jahren lernte er Max Slevogt kennen, und zwar im November 1914. Slevogt war zu Beginn des Weltkrieges endgültig ins benachbarte Neukastel im pfälzischen Wasgau übersiedelt, nachdem er schon 1909 in Godramstein Wohnung bezogen hatte. Heinrich Kohl hatte den Maler, der 1898 Nini Finkler, die Tochter der Besitzerfamilie in Neukastel, geheiratet hatte, schon früh kennengelernt. [...] Dem jungen Franz Josef wurde erlaubt, den Vater beim Besuch in Neukastel zu begleiten. In seinen ‚Erinnerungen an Neukastel‘ schrieb Franz Josef KohlWeigand, wie dem ersten Besuch weitere Gaststunden in Neukastel folgten. Schließlich durfte er, wie zur Familie des Malers gehörend, im Atelier sein, während Slevogt arbeitete. [...] >Auch Niederschriften und Druck vieler graphischer Blätter vollzogen sich unter meinen Augen. Bei der Arbeit an Slevogts eigener Druckpresse mußten die ganze Familie und alle Anwesenden Hand anlegen. Slevogt ritzte aufmerksam die Zeichnung auf eine Platte. Dr. Finkler und mein Vater hatten fachgerecht und mit aller Vorsicht das für den Abdruck vorgesehene Papier leicht anzufeuchten. Ich selbst bediente die Druckpresse und war gehalten, bemüht zu sein, mit besonderer Fertigkeit eine ganz bestimmte Kraft auf die Presse zu übertragen, damit es keinen Fehldruck gebe. Das war jedesmal ein aufregender Moment, wenn das Blatt zum Vorschein kam. Je nachdem, wie der Druck ausgefallen war, gab es Lob oder Tadel.< [...] Die beginnende Sammlerleidenschaft, die genährt wurde durch Überlassen mancher Slevogt-Drucke (als Dank für die Mitarbeit), gewinnt dadurch von vornherein Legitimität.“2 2 Imiela, Hans-Jürgen und Wilhelm Weber, Die Sammlung Kohl-Weigand. Heidelberg 1961. S. 13 f. 179 Max Slevogt (Landshut 1868 - 1932 Neukastel) Löwenjagd. Kreidelithographie von der Zinkplatte auf festem Bütten, mit Bleistift signiert, nach 1914. 23 : 28 cm auf 30 : 39,6 cm. Mit den Trockenstempel der Neukasteler Presse und von Bruno Cassirer. In keinem Werkverzeichnis. Provenienz: Sammlung Kohl-Weigand, St. Ingbert; Privatsammlung Saarland. Das Motiv taucht spätestens 1907, nämlich in dem Gemälde „Löwenüberfall“ auf und wurde wie häufig vom Künstler in verschiedenen Techniken variiert, so in dem Aquarell „Löwenjagd“. Angeregt wurde er sicherlich durch entsprechende Bilder Eugène Delacroix‘, dessen großer Bewunderer er war. „Im Märchen und durch den Zauber sind die Grenzen des Faßbaren zum Ausgeliefertsein verschlissen. Innerhalb dieses Übergangsbereichs liegt für Slevogt auch die Zone der Todessituation. Die Wiederaufnahme des SardanapalThemas wird so zu begründen sein, und der ‚Löwenüberfall‘, 1921, darf so verstanden werden. Slevogt hat jetzt, beim Forschen in den Randbezirken menschlicher Existenz, die in ihrer erschütternden Bedeutung immer mehr sein aufmerksames Fragenmüssen beschäftigen, auch ein inneres Verhältnis zur Mythologie gewonnen. [...] Der verlorene Krieg, die Isolierung in der Pfalz, die politische Umwälzung in Deutschland und die Depressionen über die Ohnmacht des Reiches sind der düstere Hintergrund der zu der Komposition ‚Die gefesselte Germania‘, die 1922 gemalt ist und später in den Besitz von Slevogts Vaterstadt Landshut gelangt. Über die Einstellung Slevogts zum fortschreitenden Kriegsgeschehen haben die Lithographien der ‚Gesichte‘ Auskunft gegeben. Ein zweiter Zyklus mit dem gleichen Titel entsteht 1918 bis 1922, wird aber nie veröffentlicht. 180 Das Diktat der Siegermächte und die innere Auflösung Deutschlands sind die Voraussetzungen.“ „Gesichte II, Folge von 8 Lithographien, entstanden 1918-1920, unveröffentlicht: 1. Niederbruch I; 2. Niederbruch II; 3. Deutschland am Scheidewege, zwischen den Gestalten von Vergangenheit und Zukunft; 4. Verkehrte Welt; 5. Klassenkampf; 6. Das Gespenst I; 7. Das Gespenst II; 8. Der Bourgeois (nur dieses letzte Blatt ist 1921 in der von der ‚Freien Sezession‘ herausgegebenen Mappe mit Originalgraphik erschienen).“ 1 In diesem Kontext ist unsere Graphik zu sehen. Eugène Delacroix, Löwenjagd 1858. Öl auf Leinwand, Museum of fine Arts, Boston 1 Imiela, Hans-Jürgen, Max Slevogt. Karlsruhe 1968. S. 220 und Anm. 8 Max Slevogt (Landshut 1868 - 1932 Neukastel) Sturm. Hier könnte Slevogt durch Shakespeares „Sturm“ inspiriert worden sein: „Den Einbruch überwirklicher Macht hat auch die zweite große Komposition Slevogts nach einem Shakespearschen Thema zum Inhalt: ‚Der Sturm‘. Ariel lenkt die Winde so, daß das Schiff des Provenienz: Sammlung Kohl-Weigand, Königs am Ufer strandet. Der weise St. Ingbert; Privatsammlung Saarland. Zauberer Prospero hat den schuldigen Bruder in seine Macht befohlen, damit Kreidelithographie von der Zinkplatte auf festem Bütten, mit Bleistift signiert, nach 1914. 21 : 27 cm auf 30 : 39,6 cm. Mit den Trockenstempel der Neukasteler Presse und von Bruno Cassirer. In keinem Werkverzeichnis. er, sein Vergehen bekennend, verzeihen kann und als Zeichen seiner Zuneigung das Symbol der Herrschaft über die außermenschlichen Kräfte, den Zauberstab, zerbrechen.“ 1Auch diesmal könnte Delacroix zur Komposition angeregt haben. Dieses Blatt steht ebenfalls im Kontext der „Gesichte.“ 1 Imiela, Hans-Jürgen, Max Slevogt. Karlsruhe 1968. S. 219 181 Max Slevogt (Landshut 1868 - 1932 Neukastel) Allegorie auf den Rhein. Kreidelithographie auf Bütten, mit Bleistift signiert, 1922. 23,6 : 18,2 cm auf 42 : 31,4 cm. Mit dem Blindstempel Bruno Cassirers. 182 In keinem Werkverzeichnis. Mit minimalen Altersspuren. Provenienz: Sammlung Kohl-Weigand, St. Ingbert; Privatsammlung Saarland. Max Slevogt (Landshut 1868 - 1932 Neukastel) Der Tod auf dem Sarg. Kreidelithographie auf Bütten, mit Bleistift signiert und bezeichnet: „Probedruck Juli 1929“. 32 : 23 cm auf 47 : 33,3 cm. Provenienz: Sammlung Kohl-Weigand, St. Ingbert; Privatsammlung Saarland. Vorliegende Lithographie wird eher entstanden sein, als das Datum annehmen läßt. Das Motiv steht in engem Zusammenhang mit den Beiträgen für den „Bildermann“ und der Mappe „Gesichte“, also während des Ersten Weltkrieges entstandener Arbeiten. In einem Katalog (Nr. 189) des Berliner Auktionshauses Max Perl von 1935, in dem ausnehmend zahlreiche graphische Blätter Slevogts angeboten wurden, findet sich unter Los-Nummer 1934: „Tod auf einem Sarg (Unverwendetes Blatt zu den Gesichten). Litho auf Kupferdruck. Quer-Kl.-Folio. Signiert und datiert: Landau 18. Probedruck“. Dieses läßt weitere andersformatige Graphiken in diesem Kontext vermuten, die letztlich nicht publiziert wurden. Auf Anfrage 2013 bezüglich einiger noch nicht identifizierter Graphiken aus der Sammlung Kohl-Weigand, antwortete uns Dr. Sigrun Paas, langjährige Leiterin der Slevogt-Galerie in Edenkoben: „die 3 Blätter kenne ich alle, sie befinden sich auch im Nachlass, den Rheinland-Pfalz gerade im Ankauf verhandelt.. Sie gehören zu Einzelblättern, zu denen es noch kein Werkverzeichnis gibt u. wovon ich hoffe, daß entweder mein Kollege oder ich in den nächsten Jahren eines erstellen können. Vom Kettenschwinger ohne Kopf gibt es noch eine Version, wo der Kopf noch auf dem Rumpf ist das war für den Bildermann gemacht, der in den Kriegsjahren bei Paul Cassirer rauskam, aber Ihr Blatt ist, wenn ich richtig lese, von Slevogt mit „Probedruck Juli 29“ bezeichnet und es hat ganz eindeutig einen politischen Bezug, den man noch erforschen muß.“ 183 Hans Thoma (Bernau 1839 - 1924 Karlsruhe) Heiliger Christophorus. Ockerfarbener Fayencescherben, glasiert; auf ockerfarbener Engobe Glasurmalerei in Blau, Gelb, Grün, im Bildfeld unten rechts monogrammiert und datiert (geritzt), 1903. Bildfeld mit gekehlter Rahmung und Hohlkehlenbordüre. Verso mit Manufakturzeichen (aufgemalt). 44 : 32 cm. phorusplatte das glühende Blaugrün mit dem leuchtenden Gelb einen feierlichen Farbenklang bildet.“ 1 Thoma entwarf mindestens drei Versionen dieses Themas für die Majolika, jede ein Unikat! Provenienz: Privatsammlung Südwestdeutschland. „Von überragender Bedeutung war die künstlerische Mitwirkung Hans Thomas, der als Maler den ersten Zeitabschnitt der Karlsruher Manufaktur richtungsgebend beeinflußt hat. [...] Zahlreiche der keramischen Pläne, die er zum Teil persönlich auf die Tonplatte malte, während er andere seiner Entwürfe auch durch Süs oder den in der Anstalt tätigen Maler August Gebhard ausführen ließ. Auf einem dieser Majolikabilder ist Sankt Christophorus dargestellt als Mann von starkem Körperbau und ausdrucksvollen milden Zügen, der auf der Schulter das Christuskind über den hochgehenden Fluß trägt. Mühsam gebraucht er mit der Rechten einen jungen Baumstamm als Stütze, während er den linken Arm in die Hüfte stemmt, denn - o Wunder - so klein das Kind auch ist, immer gewaltiger drückt ihn die Last darnieder. Da erkennt er, es ist der Heiland mit der Weltenkugel, den ertragen darf, und auf einmal ist er vom dem Glanze übergosssen, der von dem Kinde ausstrahlt. Diesen Augenblick hat der Künstler festgehalten. Besonders auffallend ist die Art, wie Thoma das von dem Kind ausstrahlende Licht dem Beschauer entgegenfallen läßt, wundervoll, wie auch auf der Christo184 Majolikamarke 1 Moufang, Nicola, Die grossherzogliche Majolika Manufaktur in Karlsruhe. Heidelberg 1920. S. 33 f. 185 Hans Thoma (Bernau 1839 - 1924 Karlsruhe) 1. Sägemühle (Falkau). Radierung auf Bütten, in der Platte monogrammiert, datiert, beziffert (XII), betitelt und erneut datiert (2.8.62), 1898. 17,3 : 22,3 cm auf 29,4 : 35,5 cm. Werkverzeichnis: Beringer 26-2. Bis auf geringe Altersspuren schön erhaltener, differenzierter Abzug. 2. Schwarzwaldhof (Vordach). Radierung auf Büttenpapier, in der Platte monogrammiert und datiert, mit Bleistift signiert, 1901. 30 :24,5 cm auf 50,2 : 39,7 cm. Werkverzeichnis: Beringer 41-3. Breitrandiger, schöner Abzug. Mit kleinen Altersspuren. 6. Radierung auf Bütten, in der Platte monogrammiert, und datiert, mit Bleistift signiert, 1917. 24,4 : 19,8 cm. Werkverzeichnis: Beringer 215-5. Schönes, breitrandiges Exemplar. 7. Radierung auf Büttenpapier, in der Platte monogrammiert und datiert, mit Bleistift signiert, 1914. 16,1 : 24,8 cm. Werkverzeichnis: Beringer 114-2. Mit kleinen Altersspuren. Mondaufgang. Radierung auf Büttenpapier, in der Platte monogrammiert, bezeichnet „Bernau 1859 und datiert, mit Bleistift signiert, 1915. 14,8 : 14 cm. Wortverzeichnis: Beringer 179-2. 5. Winter. Radierung auf Büttenpapier, in der Platte monogrammiert und datiert, mit Bleistift signiert, 1915. 14,9 : 13,8 cm auf 24,4 : 22 cm. Werkverzeichnis: Beringer 180. 186 Alte Katze. Radierung auf Büttenpapier, in der Platte monogrammiert, mit Bleistift signiert, 1917. 9,3 : 13,6 cm. Werkverzeichnis: Beringer 231-3. Etwas gebräunt. 3. Schwarzwaldhöhe (Tal bei St. Blasien) 4. Mutterglück. 2 1 3 5 4 7 6 187 Hann Trier (Kaiserswerth 1915 - 1999 Castiglione della Pescaia) Ohne Titel. Aquarell auf Bütten, mit Pinsel signiert und datiert, 1966. 78 : 57,9 cm. Provenienz: Galerie Schlichtenmaier, Grafenau; Privatsammlung Westfalen Trier war ursprünglich Linkshänder, wurde aber zum Rechtshänder „umerzogen“. Das brachte ihn dazu, mit beiden Händen gleichzeitig zu malen, indem er von einer Mittelachse ausgehend symmetrische Gesten, die an Tanz erinnern, auf Papier oder Leinwand bringt. Ausstellungshinweis: Hann Trier – Ich tanze mit den Pinseln. Aquarelle und Zeichnungen der 50er + 60er Jahre, Käthe Kollwitz Museum Köln, 18. September bis 29. November 2015. 188 189 Wilhelm Trübner (Heidelberg 1851 - 1917 Karlsruhe) Aussicht auf dem Plättig im Schwarzwald. Öl auf Leinwand, unten links signiert „W. Trübner“, 1895. 62 : 76 cm. Werkverzeichnis: Rohrandt G 621. Literatur: Beringer, Josef August, Trübner. Des Meisters Gemälde. Stuttgart und Berlin 1917. S. 202 (mit Abbildung). Provenienz: Privatbesitz Ruhrgebiet. „In einem Akt der Selbstfindung und Selbstformung vor und an der Landschaft kulminiert Trübners künstlerischer Werdegang in den 90er Jahren zu einem imponierenden ästhetischen Ereignis. Die Landschaft wird zu Trübners Lebensgrund, wenn er in Laubmassen eingebettete Dörfer oder einzelne Gebäude wiedergibt. Die Verbindung von räumlich-flächenhaften Darstellungsformen, die rhythmisch belebt sind, können jetzt als das Kernproblem im künstlerischen Schaffen Wilhelm Trübners bezeichnet werden. Immer wieder kreisen seine Bemühungen daraum, tiefenräumliche Aspekte mit Mitteln der zweidimensionalen Darstellung anschaulich zu werden.“ 1 „In der Landschaft führt die großartige Luft- und Raumdarstellung zur größten Vereinfachung und Helligkeit“ (Wilhelm Trübner 1911). 1 Rohradt, Klaus, Wilhelm Trübner und die künstlerische Avantgarde seiner Zeit. In: Wilhelm Trübner. Katalog der Ausstellung im Kurpfälzischen Museum der Stadt Heidelberg und der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München 1994/1995. S. 45 190 191 Lesser Ury (Birnbaum/Posen 1861 - 1931 Berlin) Beim Kornpuppenbinden. Kaltnadelradierung auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1923. 20,8 : 15 cm auf 34 : 25 cm. Werkverzeichnis: Rosenbach 17. Eins von 100 arabisch nummerierten Exemplaren (dazu 25 römisch) aus der Mappe „Holländische Motive. 7 Radierungen von Lesser Ury“, erschienen 1923 im Euphorion Verlag Berlin. Provenienz: sammlung Westfälische Privat- Gemessen an der Auflagenhöhe sind die Graphiken Lesser Urys Raritäten, da viele ihrer Besitzer wie Ury Juden waren und sie und ihr Besitz durch die Nationalsozialisten vernichtet wurde. Daneben gelangten etliche Arbeiten durch Emigration der Besitzer nach USA und Israel. Zudem sorgte Ury selbst für eine Dezimierung seiner Graphiken, wie Max Osborn berichtet: „Die furchtbarste Szene aber spielte sich ab, als einmal ein Sammler erschien, der Proben von Urys gesamter Graphik erwer- ben wollte. Es war im Winter, nun stand auch ein grosser eisener Ofen im Atelier. Dieser Besucher war weniger gutwillig und begann zu handeln, als der Künstler einen Stoss gehäufter Radierungen, Lithographien und Handzeichnungen anschleppte. Nie werde ich den Augenblick vergessen, wie Ury vor Wut puterrot wurde und mit Zähneknirschen (aber richtigem, hörbarem) die Worte zischte: >Ehe ich den Packen für einen solchen Schandpreis verkaufe, stecke ich die ganze Geschichte in den Ofen.< Der Eisenturm glühte. Der Sammler, wohl ein halber Händler, blieb steifnackig und dachte: Kennen wir; verrückter Kerl; werden wir schon machen. Und wiederholte sein freilich beschämend niedriges Angebot. Da geschieht etwas Unglaubliches. Ury reisst den breiten runden Ofendeckel ab und stopft wirklich und wahrhaftig die Blätter in das gierig auflodernde Feuer. Wir stürzen herbei, aber es ist zu spät. Hochauf züngeln die Flammen. Nichts wurde gerettet.“1 1 Osborn, Max, Der bunte Spiegel. Erinnerungen aus dem Kunst-, Kultur- und Geistesleben der Jahre 1890 bis 1933. Hrsg. von Thomas B. Schumann. Hürth 2013. S. 73 f. 192 Lesser Ury (Birnbaum/Posen 1861 - 1931 Berlin) Schlachtensee I. „Auch Ury ist unter die Graphiker gegangen, und seine Lithographien und Radierungen beweisen, daß die Musik seiner Farben getragen ist von einem sicheren Gerüst empfindungsvoller Zeichnung. Diese Blätter behandeln seine Lieblingsthemen, die stille Landschaft am See, die regenfeuchte Straße, über die elegante Damen trippeln, und die verschiedenartigen Szenen im weltProvenienz: Privatbesitz Süddeutsch- städtischen Café. [...] Sie rufen in ihrer Einfachheit den Eindruck mühelosen land Kaltnadelradierung mit Aquatinta auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1924. 17,8 : 13 cm auf 22,5 : 21 cm. Werkverzeichnis: Rosenbach 27. Eins von 100 nummerierten Exemplaren. Aus der Mappe „Berliner Impressionen“, erschienen im Euphorion-Verlag. Sehr schöner, vollrandiger Abzug. Entstehens hervor, so daß man begreift, daß der alte Menzel, der immer zu gewissenhaft sauberer, peinlicher Durchführung mahnte, ihm einmal sagte: >Bei Ihnen ist ja alles nur Zufall!< Ein gesegneter Zufall, der so köstliche Blätter schafft.“1 1 Struck, Hermann, Die Kunst des Radierens. 4. A. Berlin 1920. S. 255f. 193 Lesser Ury (Birnbaum/Posen 1861 - 1931 Berlin) Nächtliche Impression (mit Droschke vor Lokomotivendampf). Radierung auf Bütten, mit Bleistift signiert, 1924. 17,8 : 12,7 cm. Werkverzeichnis: Rosenbach 23. Eins von 100 arabisch nummerierten Exemplaren. Entstanden für die Mappe „Lesser Ury, Berliner Impressionen. Sieben Radierungen. Berlin im Jahre 1924“, erschienen im Euphorion-Verlag. Graphische Variante zu dem Gemälde „Nachtimpression (Stadtbahn)“ von 1918. Provenienz: Privatsammlung Süddeutschland. „Als im Jahre 1986 in München im Haus der Kunst die Ausstellung >Das Automobil in der Kunst< gezeigt wurde, stellte man auch ein Straßenbild Lesser Urys aus, das eine Autokolonne auf der Champs-Elysées zeigt, gemalt 1928. Dabei hatte der Künstler >für technische Dinge wie Eisenbahn, Auto, Elektrizität in jeder Form nicht das geringste Gefühl oder irgendwelche Kenntnisse<, schreibt Carl Schapira. >Sein Auge nahm Dinge auf, wie sie sich seinem Blick, aber nicht seinem Verständnis darboten, und er gab sie aus der Erinnerung wieder. War die Erinnerung gut, so entstand ein Bilde, gegen das vom Standpunkt der Technik nichts einzuwenden war. War das Gedächtnis schlecht, zum Beispiel, wenn andere gleichzeitige Eindrücke überwogen, so entstand ein Bild, das vom Standpunkt der Technik lächerlich und verzerrt war.> Als Exempel dafür nennt Schapira das damals in seinem Besitz befindliche Gemälde >Nachtimpression< aus dem Jahr 1918. Es zeigt eine nächtliche Straße, die von einer Eisenbahnbrücke überquert wird; gerade durchfährt eine Pferdedroschke die Unterführung, während ein Eisenbahnzug über die Brücke rollt. Vom Zug sieht man die Lokomotive und einen Teil des ersten Wagens mit erleuchteten Fenstern. Aus dem hohen Schornstein der Zugmaschine quillt Dampf und verhüllt einen großen Teil der Szene. >Die Lokomotive ist vollkommen verzerrt<, schreibt Carl Schapira weiter, >und weniger als halb so lang als sie in Wirklichkeit ist, auch wenn es eine kleine Stadtbahnlokomotive sein soll. Diese Fremdheit der Technik gegenüber verhinderte Lesser Ury jahrelang Automobile zu malen. Zu einer Zeit, d. h. um 1920, als es schon viele Autos gab, waren es immer Pferdedroschken, die seine Berliner-Straßen-Bilder belebten. Ich sprach mit ihm darüber und er sagte mir, daß die Berliner Autos sich seinem Gehirn und Auge noch nicht eingeprägen. Es wären vor allem zu wenige. Ich hatte ihm 1921 eine Ansichtskarte von Paris geschickt, wo die Autos in Linien die Champs-Elysées hinunterfuhren und er bat mich ihm von meiner nächsten Reise im gleichen Jahr, so viele Ansichtskarten, schwarz-weiße und farbige, wie nur möglich mitzubringen. Das tat ich natürlich und indem er diese Postkarten studierte, überwand er die Scheu und das Automobil war als Malobjekt geboren. Nun hatte er keine Schwierigkeiten mehr, es wiederzugeben. Es ist eine merkwürdige Gehirntätigkeit, die sich auf das zu malende Objekt vom reinen Standpunkt des Auges, d. h. des Gefühls, nicht aber des Verstandes konzentriert.<„ 1 Lesser Urys vielleicht beeindruckendste Graphik mit ungewöhnlich hohem Abstraktionsgrad bei dichtester atmosphärischer Darstellung im besten „turnerschen“ Sinne. William Turner, Rain, Steam and Speed – The Great Western Railway Öl auf Leinwand 1844; National Gallery, London 1 Schlögl, Hermann A. und Karl Schwarz, Lesser Ury. Zauber des Lichts. Katalog der Ausstellung im Käthe-Kollwitz-Museum Berlin 1995. S. 51 194 195 Maurice de Vlaminck (Paris 1876 - 1958 Reuil-la-Gadelière) Us, La Place. Tuschpinsellithographie auf Chine volant, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1924. 22,9 : 29 cm auf 32,2 : 49,2 cm. Werkverzeichnis: Walterskirchen 173 II e (von f). Eins von 100 Exemplaren des zweiten Zustandes mit dem Trockenstempel des Verlages „Galerie des peintres-graveurs Paris“. Im ehemaligen Passepartout-Ausschnitt leicht gebräunt; am oberen Rand Montierungsspuren. Provenienz: Privatsammlung Westfalen. „Zum erstenmal versucht sich Vlaminck 1921 mit dem Steindruck. [...] Die persönliche Auffassung bei der Wahl des darzustellenden Naturausschnitts, die Art, wie die Motive arrangiert und zu bestimmten Wirkungen zusammengefaßt werden, wurde von Vlaminck je nach der zu erzielenden Wirkung verschieden gehandhabt. Daher gelingt es uns, [...] drei sich chronologisch folgende ‚Stile‘ zu unterscheiden: Der erste [1921-1926] ist durch seine Transparenz und sein dekoratives Moment gekennzeichnet. Der zweite [1926-1930] zeichnet sich durch die Auswahl kleiner, wie durch enge Fenster gesehener und sehr kontrastreich ausgeführter Ausschnitte aus der Landschaft aus.“1 1 Walterskirchen, Katalin von, Maurice de Vlaminck. Verzeichnis des graphischen Werkes. Bern 1974. S. 13 196 Maurice de Vlaminck (Paris 1876 - 1958 Reuil-la-Gadelière) Le Bengali I. Tuschpinsellithographie auf Vélin filigrané des Papeteries d‘Arches MS, mit Bleistift signiert, 1927. 10,3 : 16 cm auf 20 : 24 cm. Werkverzeichnis: Walterskirchen 214 b (von b). Eins von 300 Exemplaren auf diesem Papier. Erschienen als Blatt 15 des Buches „Les hommes abandonnés“ von Georges Duhamel, erschienen bei den Éditions Marcel Seheur in Paris. Provenienz: Privatsammlung Westfalen. 197 Heinrich Vogeler (Bremen 1872 - 1942 Kornejewka/Kasachstan) Frühlingsmärchen. Radierung und Aquatinta in braun auf Bütten, in der Platte monogrammiert, mit Bleistift signiert, 1912. 33,7 : 23,5 cm auf 42 : 30,3 cm. Werkverzeichnis: Rief 47 II. d (von e). Eins von 100 Exemplaren, teils auch in grün gedruckt von Otto Felsing. Schöner, nuancierter Abzug, im ehemaligen Passepartoutausschnitt etwas gebräunt. Minimale Altersspuren. Provenienz: Privatsammlung München. „Mehr noch als die Malerei erregten zu Beginn der künstlerischen Tätigkeit Vogelers dessen Radierungen Aufmerksamkeit. [...] bis heute gelten die subtil gezeichneten, stets etwas märchenhaft-verträumt wirkenden Kompositionen [...] als Höhepunkt im Werk Vogelers, spiegelt sich in ihnen doch das feinnervige Wesen des Künstlers am deutlichsten wider. [...] Die meisten Szenen versetzte Vogeler in die reale Umgebung der Worpsweder Landschaft mit ihren Birken und reetgedeckten Häusern. Diese Naturverbundenheit zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk. Insbesondere in seinen Radierungen rückt Vogeler die Suche nach einer Verbindung zwischen Mensch und Landschaft, gipfelnd in der Vorstellung eines irdischen Paradieses, in den Vordergrund. Der ‚Frühling‘, eines der Leitmotive des Jugendstils schlechthin, avanciert dabei zum Gegenstand zahlreicher Darstellungen von der szenischen Komposition bis hin zur ausschnitthaften Wiedergabe knospender Bäume und Blumen. Häufig faßt Vogeler die Darstellung in eine mehr oder weniger breite Rahmung, in die erzählerische, symbolische oder rein dekorative Elemente der Binnenkomposition noch einmal aufgenommen werden.“ 1 1 Ulmer, Renate, Das druckgraphische Werk. In: Heinrich Vogeler und der Jugendstil. Katalog der Ausstellung im Barkenhoff/Haus im Schluh, Worpswede, Museum Künstlerkolonie Darmstadt und GustavLübcke-Museum, Hamm 1997-1999. S. 100 198 199 Fritz Wimmer (Rochlitz/Sachsen 1879 - 1960 Neuburg am Inn) Mädchenstudie. Kohlezeichnung auf Maschinenbütten, rückseitig signiert, bezeichnet „Stuttgart Ateliergebäude Untere Anlagen“ und betitelt, dazu der Nachlaßstempel, ohne Jahr (um 1908). 55,4 : 42,5 cm. Einheitlich, aber nicht störend, gebräunt, am oberen Rand hinterlegter Einriss, verso Montierungsreste. Provenienz: Privatsammlung Westfalen. Literatur: Fritz Wimmer. Oeuvreverzeichnis des Nachlasses. Galerie von Abercron München 1991. Nr. K-0801 (Mädchen mit Schürze auf Stuhl). Mit ganzseitiger Abbildung. „Fritz Wimmer war ‚Schwabinger‘ in ‚der großen Schwabinger Zeit‘, aber sein Blickwinkel war nicht der des auf den Wellen der Zeit emporgetragenen Künstlers, sondern der des Chronisten, der nüchtern beobachtet. Spricht man bei der Gruppe ‚Neu-Dachau‘ von einem stilistischen Spätimpressioniusmus, so ist diese Stilbezeichnung im weitesten Sinn wohl auch für Fritz Wimmer zutreffend, wenn auch der Einfluß verschiedene expressive Richtungen auf den Künstler ganz offensichtlich ist. [...] Angesichts von Werken wie [...] der Kohlezeichnung ‚Mädchen mit Schürze auf Stuhl‘, kann ich mir vorstellen, daß es sich lohnen würde, das Werk Fritz Wimmers der Vergessenheit zu entreißen, wofür hier der erste wichtige Schritt getan wurde.“1 Wimmer studierte in München zunächst an der privaten Kunstschule von Ludwig Schmid-Reutte, ab 1887 an der Akademie bei Karl Raupp. Von 1898 bis 1904 war er Schüler von Paul Hoecker, Ludwig von Herterich und Franz von Stuck. Bei einem Sommeraufenthalt in Dachau lernte er Ludwig Dill 1 Gärtner, Ulrike, Einführung. Fritz Wimmer. Œuvreverzeichnis des Nachlasses. Galerie von Abercron München 1991. S. 4 200 und Adolf Hölzel kennen, dem er 1906 an die Stuttgarter Kunstakademie folgte. Hier studierte er bis 1910 in Hölzels Komponierklasse. Im Anschluß ließ er sich als freier Künstler in Schwabing nieder. 1944 wurde sein Atelier durch Bombenangriffe zerstört, woraufhin Wimmer nach Neuburg übersiedelte 201 Marius Woulfart (Paris 1905 - 1991 Grasse ?) Ohne Titel (Auf der Terrasse in Südfrankreich) Öl auf Holz, mit Pinsel signiert, um 1930. 33 : 40,8 cm. Provenienz: Privatbesitz Südfrankreich. Der Künstler war der Sohn des lettisch-französischen Malers Max Wulfart (Frauenburg 1876 - Paris 1955), von dem er auch ausgebildet wurde. Max Wulfart hatte in Paris bei Fernand Cormon und Jean-Paul Laurens studiert. Werke seines Sohnes befinden sich außer in Pariser Museen u. a. im Musée de Montréal/Kanada, Musée de Palm Beach/Florida sowie in zahlreichen internationalen Privatsammlungen. Auszeichnungen: - 1970 : Premier prix et médaille d‘or XIe salon Grasse. - 1971 : Premier prix dessin salon Grasse. - 1972 : Premier prix salon International. - 1973 : Médaille de la ville de Mantes-La-Joie. - 1978 : Médaille d‘or de la ville de Grandville. - Chevalier des Arts et Lettres. - Chevalier des Arts Sciences et Lettres. Ausstellungen: - Salon d‘automne de Paris. - Biennale de Menton. - Galerie Wellington, Montréal (Kanada). - Galerie Juarez, Palm Beach (Florida). - Galerie du Vieux Colombier (Paris). - Galerie Georges V (Paris). - Galerie des Champs Elysées (Paris). - Galerie Gréco (Bordeaux). - Galerie Page (Bayonne). - Galerie Oeillet (Toulouse). - Galerie Négresco (Nizza). 202 - Palais de la Méditerranée (Nizza). - Galerie Bonnefon (Perpignan). - Musée d‘Auch (Gers). - Musée du chateau de Nérac. - Musée du Bastion St-André (Antibes). - Zahlreiche Galerien in Cannes. - Centre International de Grasse. Literatur: „Destins brisés. Peintres de l‘École de Paris“ Katalog der Ausstellung im Musée départemental de la Résistance et de la Déportation Toulouse 25.10.2010-14.1.2011. 203 Heinrich Zille (Radeburg 1858 - 1929 Berlin) Zwei Welten. Zwei Bleistiftzeichnungen auf Velin, ohne Jahr. 12,3 : 5,5 cm auf 13 : 7,5 cm und 11 : 5,5 cm auf 12,6 : 11 cm (diese betitelt und signiert). Im ehemaligen Passepartoutausschnitt gebräunt. Verso Montierungsreste. Die Ränder mit Altersspuren. Provenienz: Privatsammlung Westfalen Von der Not getrieben und in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft kam die verschuldete Familie Zille mit Tochter Fanny und dem neunjährigen Sohn Heinrich im November 1867 nach Berlin. Von einigen wenigen Reisen abgesehen, verbrachte Heinrich Zille das folgende halbe Jahrhundert in dieser Stadt und wurde ihr originellster Chronist. Als er 1929 starb, folgten 2000 Menschen dem Sarg: Künstler, Politiker und Repräsentanten der Stadt erwiesen ihm die letzte Ehre, das einfache Volk beweinte seinen geliebten ‚Raffael der Hinterhöfe‘. Zille hinterließ ein Werk, das in seiner Art in Deutschland einzigartig Am Alexanderplatz. Schwarze und farbige Kreiden, 43,5 : 32,5 cm Stadtmuseum Berlin ist. Es portraitiert und feiert die Stadt und ihre Menschen in vielen Facetten, prangert aber zugleich die sozialen Verhältnisse an. Dabei schwelgen die einzelnen Arbeiten in scharf beobachteten Details und Anekdoten, die in der Gesamtschau eine beredte Quelle zur Kulturgeschichte der Reichshauptstadt und der Wilhelminischen Zeit liefern.“1 Foto von Heinrich Zille, Ecke Friedrichstrasse/Mittelstraße um 1901/1902 1 Fischer, Rolf, Heinrich Zilles Berlin. Sein Milljöh in Zeichnungen und zeitgenössischen Fotografien. Köln o. J. S. 7 204 205 Heinrich Zille (Radeburg 1858 - 1929 Berlin) Ohne Titel (Mutter mit Kind). Kohlezeichnung auf Velin (rückseitig fragmentarische Studie eines weiblichen Oberkörpers), ohne Jahr. 8,5 : 7,5 cm auf 12 : 8,7 cm. Verso Montierungsreste. Provenienz: Privatsammlung Westfalen (1972 in der Galerie Rosenbach, Hannover erworben). „Immer aber lockte ihn das Thema >Mutter und Kind<. Er wußte warum, was das Kind für die Mutter bedeutet: Schmerz und Sorge - und Glück zugleich. Und selbst da, wo er die Mutter zeigt, wie sie ihrem Kind die Läuse absucht, weiß er durch seine künstlerische Vermittlung noch ein verstehendes Lächeln zu erwecken. Für seine Mutter hatte er die höchste Verehrung - nicht minder für die Mutter seiner Kinder. >Ne Mutter ist immer was Heiliges!< sagte er oft.“1 recto verso 1 Ostwald, Hans, Zille‘s Vermächtnis. 26.50 Tsd. Berlin 1930. S. 21 f. 206 Heinrich Zille (Radeburg 1858 - 1929 Berlin) Ohne Titel (Dienstmann). Kohle- und Farbkreidezeichnung auf Teil eines Briefumschlages, ohne Jahr. 13 : 5 cm auf 14,5 : 9,2 cm. Im ehemaligen Passepartout-Ausschnitt gebräunt. Verso mit der Beschriftung in Tinte „Herrn! H. Zille“ sowie dem roten Nachlaßstempel (Lugt 2676 b) Provenienz: Privatsammlung Westfalen (1972 in der Galerie Rosenbach, Hannover erworben). „Für einen wohlhabenden Berliner hat er recht bescheiden gewohnt. Ja, der >Anwalt der Armen< hatte es verstanden, mit seinen Pfunden zu wu- chern, und er wußte wohl den Wert des Geldes zu schätzen, das ihm im Alter, im Gegensatz zu seinen Äußerungen, die auch so von seinen Biographen übernommen wurden, reichlich zugeflossen war und nach seinem Tode ein stattliches Erbe ausmachte. Trotzdem war er stets sparsam bis zum Exzeß. Er rechnete seiner Frau die Pfennige vor, zeichnete im schlechtgeheizten Atelier mit Handschuhen, die nach Art des flotten Autofahrers an den Fingerkuppen abgeschnitten waren, um die klammen Finger beweglich zu halten. Er verstand es, überall und immer zu sparen: Heinrich >fingerte<, wie er das Zeichnen nannte, auf jedem Papierfetzen, der ihm noch geeignet dazu erschien, und so finden wir heute die schönsten Studien auf Rückseiten von sorgfältig auseinandergenommenen Briefumschlägen, zerschnittenen technischen Zeichnungen, ungedruckten Rückseiten von Rechnung und Prospekten. Zeichenpapier war ihm zu teuer, und als ihm Freunde zum Geburtstag ein in Leder gebundenes Skizzenbuch mit Büttenpapier schenkten, trug er es in die Vitrine wie ein kostbares Ausstellungsobjekt. nach seinem Tode lag es immer noch da: unberührt.“ 1 verso recto Heinrich Zille Dienstmann um 1910 Farbige Kreide 19 : 13,3 cm Stadtmuseum Berlin 1 Rosenbach, Detlef, Zwischen Tradition und Moderne. Katalog 28. Hannover 1985. S. 74 207 Heinrich Zille (Radeburg 1858 - 1929 Berlin) Ohne Titel (Frau mit Dutt). Kohlezeichnung auf Velin, ohne Jahr. 11,2 : 7,5 cm auf 13,5 : 10,5 cm. Im ehemaligen Passepartoutausschnitt leicht gebräunt. Verso Montierungsreste. Auf Papier montiert, hier verso der rote Nachlaßstempel „Nachlaß Prof. Heinrich Zille“ sowie die handschriftliche Notiz „S. Z“ Provenienz: Privatsammlung Westfalen (1972 in der Galerie Rosenbach, Hannover erworben). Zum Stempel: Dieser rote Nachlaßstempel wurde von Zilles Sohn Walter zur Kennzeichnung der in seinem Besitz befindlichen Originale benutzt. Er ist auf unsignierten Studien und Skizzen anzutreffen 1 „Äußerst vielfältig ist der Duktus der Studien und Skizzen des kaum überschaubaren Nachlasses; die meisten von ihnen dürften in den zehn Jahren nach der Jahrhundertwende entstanden sein. Hier zeigt sich am ehesten die Virtuosität des Künstlers, die Eigenart einer Bewegung, eines Vorganges oder gar eines Charakters festzuhalten. Mit der zu Studienzwecken am häufigsten benutzten Kreide erreicht er jene rundlichen Formen, die die meisten der kleinformatigen Blätter auszeichnen und deren Ausdruckskraft im Geranke der Linien liegt: eine Art zu gestalten, die er bis in das letzte Lebensjahrzehnt beibehalten hat. Die auf den unterschiedlichsten Papieren ausgeführten Skizzen haben oft nur die Größe eines Briefumschlages und waren als Vorlagen für größere Kompositionen gedacht. Vereinzelt finden wir diese kleinen Blätter auch mit Kohle skizziert, während er die Feder in dieser Zeit kaum benutzt.“ 2 Paula mit die Krampfaderbeene „Früher war ick de Venus von‘s Imperial. Nu bin ick de Paula mit die Krampfaderbeene. Kreideskizze nach der Natur (Ostwald, Hans, Zille‘s Vermächtnis. 26.-50 Tsd. Berlin 1930. Abb. 171) 1 Siehe hierzu: Rosenbach, Detlev, Hrsg., Heinrich Zille. Das graphische Werk. Hannover 1984. S. 32 208 2 Altner, Renate, Der Einfluß der Berliner Sezession auf die Ausprägung des grafischen Stiles von Heinrich Zille. In: Heinrich Zille 1858-1929. Katalog der Ausstellung im Märkischen Museum Berlin o. J. S. 119 Heinrich Zille (Radeburg 1858 - 1929 Berlin) Ohne Titel (Frau mit Hut). als die Bildhaft ausgearbeiteten Zeichnungen lassen die Skizzen und Studien Phasen einer künstlerischen Entwicklung erkennen. Mit spielender Leichtigkeit umreißt der Stift die Gestalt, verrät die Feinheiten der Physiognomie. Hin und wieder arbeitet er ganz im Sinne des Impressionismus. Mit der Auflösung der Linie um dem pointierten Einsatz der farbigen Kreiden erreicht er jenen „Allmählich handhabt er die Kreide im- atmosphärischen Reiz, der die Bildwermer freier und dynamischer. Mehr noch ke des Impressionismus auszeichnet. Kohle- und Farbkreidezeichnung auf Velin, ohne Jahr. 9,5 : 7,5 cm auf 12,3 : 9,7 cm. Im ehemaligen PassepartoutAusschnitt gebräunt, am oberen Rand kleiner Einriss, verso Montierungsreste. Provenienz: Privatsammlung Westfalen (1972 in der Galerie Rosenbach, Hannover erworben). Doch meist hielt Zille am Umriß fest, und mehr oder weniger sind die Details markiert, die Schatten angedeutet. In der bildhaft ausgearbeiteten Zeichnung verdichtet sich de Form, wird körperhaft und bezieht die Umgebung in die meist mit schwungvollen Linien gestalteten Figuren ein. Sicherheit des Strichs paart sich mit einer erstaunlichen Fähigkeit, Bewegung zu erfassen.“1 1 Altner, Renate, Der Einfluß der Berliner Sezession auf die Ausprägung des grafischen Stiles von Heinrich Zille. In: Heinrich Zille 1858-1929. Katalog der Ausstellung im Märkischen Museum Berlin o. J. S. 112 links: „Frau H..., Plättanstaltbesitzerin“. Kohlestudie (Ostwald, Hans, Zille‘s Vermächtnis. 26.50 Tsd. Berlin 1930. Abb. 194) rechts: Frau mit Pleureuse. Radierung 1908. Rosenbach 32. Abgebildet in: Zille, Kinder, S. 56: „Trübe Aussicht. >Unter Polizeiuffsicht und unmoderne Kluft, da kann man keene besseren Bekanntschaften machen< 209 Heinrich Zille (Radeburg 1858 - 1929 Berlin) Ohne Titel (In der Laubenkolonie) Zwei Bleistiftzeichnungen recto und verso auf Velin, ohne Jahr. 31,6 : 15,8 cm (Blattformat). Verso mit dem roten Nachlaßstempel (Lugt 22676 b) sowie dem Sammlungstempel „Zille Sammlung Auzinger“ und der handschriftlichen Bezifferung „23“ sowie „2702“. Recto in der Mitte kleine Läsur, verso Montierungsreste. Die Ränder mit Altersspuren. Provenienz: Sammlung Auzinger/ Kempten; Galerie Rosenbach, Hannover; Privatsammlung Westfalen (1972 bei Rosenbach erworben). „In einer Skizze von einem Ehepaar, das seine Gartenerde umgräbt, hat Heinrich Zille eine monumentale Verherrlichung dieser Ur-Arbeit geschaffen. Selten ist wohl mit so wenig Strichen ein so monumentaler Eindruck von der Arbeit an dem Boden erreicht worden, wie ihn hier Heinrich Zille schuf.“1 „Laß man, Olle, wir haben‘t bald jeschafft!“ Kohleskizze aus einer Laubenkolonie (Ostwald, Hans, Zille‘s Vermächtnis. 26.50 Tsd. Berlin 1930. Abb. 15) 1 Ostwald, Hans, Zille‘s Vermächtnis. 26.-50 Tsd. Berlin 1930. S. 22 210 recto verso 211 art Karlsruhe unsere Messebeteiligungen Cologne Fine Art 212
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