Soziales Engagement: Schüler packen an

Kostenloses Unterrichtsmaterial für die Sekundarstufe II
www.zeit.de/schulangebote
Diese Arbeitsblätter sind ein kostenloser Service für
die Oberstufe und erscheinen jeden ersten Donnerstag
im Monat. Sie beleuchten ein aktuelles Thema aus der
ZEIT, ergänzt durch passende Arbeitsanregungen zur
praktischen Umsetzung im Unterricht. In dieser Ausgabe präsentieren wir Ihnen ein Sonderarbeitsblatt in
Zusammenarbeit mit der Deutschen Lufthansa AG.
Sondernewsletter im Januar 2016:
Soziales Engagement: Schüler packen an
Eltern und Lehrer beobachten, dass sich immer mehr Schüler rechtspopulistischem oder fundamentalistischem Gedankengut zuwenden. Sie berichten aber auch, wie man sich mit einfachen Mitteln gegen
Ausgrenzung und Ressentiments engagieren kann: Sie setzen auf Zivilcourage, Projekte zur interkulturellen Verständigung oder Netzwerk-Aktionen, um eine Kultur der Toleranz zu stärken. Doch sie fordern
auch strukturelle Reformen: Die Schulen dürften sich nicht länger aus gesellschaftspolitischen Kontroversen heraushalten und müssten mehr Zeit für die Demokratie-Erziehung aufwenden.
In dieser Unterrichtseinheit tauschen sich Ihre Schüler über extremistische Strömungen und Fremdenfeindlichkeit im eigenen Umfeld aus, erörtern die Bedeutung der politischen Bildung als Prävention gegen extremistisches Gedankengut und ergründen selbstreflexiv die eigene Motivation für ehrenamtliche
Tätigkeiten. In Gruppenarbeit entwickeln Ihre Schüler Konzepte für soziales und politisches Engagement,
und tauschen sich über konkrete Umsetzungsmöglichkeiten aus.
Inhalt:
2 Einleitung: Thema und Lernziele
3 Arbeitsblatt: Wer wischt das weg?
10 Internetseiten zum Thema und Informationen
zum bundesweiten Schülerwettbewerb
»Schüler helfen Menschen«
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»ZEIT für die Schule«-Arbeitsblatt | Soziales Engagement: Schüler packen an
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Einleitung: Thema und Lernziele
In einer sächsischen Schule sind zwölf Prozent einer Klasse NPD-Anhänger, einzelne Schüler stehen der
Reichsbürgerbewegung nahe. »Du Jude!« ist ein geläufiges Schimpfwort auf dem Schulhof geworden.
Es gibt Anfeindungen gegen Schüler mit Migrationshintergrund. Und während rassistische und fremdenfeindliche Ressentiments unter den Schülern zunehmen, wird die Politik aus dem Unterricht rausgehalten.
Es ist ein beklemmendes Bild, das manche Eltern, Lehrer und Schüler aus Sachsen über die politische
Atmosphäre an ihren Schulen zeichnen. Zum Glück ist es nicht vollständig, es gibt eine Gegenbewegung.
In ihr engagieren sich Schüler zusammen mit Elternvertretern und Lehrern für eine Kultur der Toleranz
und interkulturellen Verständigung. Sie zeigen Zivilcourage und kämpfen mit zum Teil recht einfachen,
aber effektiven Projekten gegen Ressentiments und Ausgrenzung im schulischen Umfeld. Eine Lehrerin
besuchte mit ihrer Klasse ein Asylbewerberheim, um ihre Schüler mit Menschen und deren Schicksalen
zu konfrontieren, anstatt sie mit Parolen und Vorurteilen alleinzulassen. Schulnetzwerke beteiligen sich
aktiv an Projekten gegen Rassismus. Die Schüler verpflichten sich dabei, bei extremistischen Symbolen
und Hassreden nicht mehr wegzusehen, und suchen das Gespräch mit Betroffenen. Ein Schüler engagiert
sich als Landesschülervertreter auf politischer Ebene, um Demokratie-Erziehung stärker in den Lehrplänen
zu verankern. Sprecherinnen einer Schülergruppe berichten, warum aus eigenem Antrieb trotz massiver
Anfeindungen Netzwerke und Demos gegen Rassismus organisieren.
Es ist nicht zuletzt dieser persönliche Einsatz, der das demokratische Bewusstsein in unserer Gesellschaft
nachhaltig fördert und ein Klima für zivilbürgerliches Engagement und Bürgerverantwortung schafft. Je
früher man diesen gemeinnützigen Einsatz fördert, desto stärker wirkt er sich später auf die bürgerliche
Verantwortung und die politische Haltung der Erwachsenen aus.
Nach einer Langzeitstudie des Lehrstuhls für empirische Bildungsforschung der Universität Würzburg hat
soziales Engagement in der Jugend signifikante Auswirkungen auf die politische Sozialisation. Von dieser
frühen Erfahrung der Selbstwirksamkeit im Ehrenamt ist es der Studie zufolge nur noch ein kleiner Schritt,
sich politisch zu beteiligen. Ehrenamtlich tätige Jugendliche weisen als Volljährige beispielsweise eine
höhere Wahlbeteiligung auf, und sie nehmen häufiger an Unterschriftenaktionen, Demonstrationen oder
anderen Formen der demokratischen Mitwirkung teil. Langfristig beeinflusst soziales Engagement dabei
auch die Wertvorstellungen der Jugendlichen, indem es präventiv gegen menschenfeindliches Gedankengut wirkt.
In unserem Arbeitsblatt setzen sich die Schüler mit den Standpunkten von Lehrern, Eltern und Schülern
auseinander, die sich gegen rassistisches und fremdenfeindliches Gedankengut an ihrer Schule engagieren.
In den Arbeitsaufträgen tragen sie eigene Erfahrungen mit Rassismus und Ausgrenzung im schulischen
Umfeld zusammen, erörtern die Bedeutung der politischen Bildung als Prävention gegen extremistisches
Gedankengut und konzipieren eigene soziale oder politische Projekte gegen Ausgrenzung, Ressentiments
und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.
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Arbeitsblatt
Wer wischt das weg?
Wie es ist, in diesen Wochen in Sachsen zur Schule zu gehen. Wo Orte wie Heidenau für Gewalt
von rechts stehen und Tausende mit Pegida demonstrieren. Schüler, Lehrer und Eltern berichten.
12 Prozent der Schüler stimmten für die NPD
Dagmar Schulz, 53, ist stellvertretende Schulleiterin der Oberschule Kitzscher (bei Leipzig), Lehrerin für
Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde
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Vergangenes Jahr haben wir in einigen Klassen eine Schülerwahl organisiert. Jeder Vierte machte sein
Kreuz bei der CDU, 16 Prozent wählten die SPD. Die NPD landete bei 12 Prozent! Das hat uns wachgerüttelt. Es gab einen Fall, da hat ein Schüler einem anderen »Du Jude« zugerufen. Ich habe ihn sofort in mein
Zimmer bestellt und gefragt, ob er weiß, was er da von sich gibt, und ob er die Exkursion nach Buchenwald
schon wieder vergessen hat.
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Schüler sagen oft, was sie von ihren Eltern am Abendbrottisch hören. Es gibt in dieser Gegend Fremdenfeinde, und deswegen gibt es sie an der Schule auch. Aber wir wollen daran etwas ändern, unsere Schüler
zum Nachdenken zwingen. Als die Debatte über die Flüchtlinge losging, rief ich beim Landratsamt an: Ich
will mit meinen Schülern das Asylbewerberheim besuchen, sagte ich, und ich will alle sehen: die Kriegsflüchtlinge, die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge, alle! Wir trafen Asylsuchende aus dem ehemaligen
Jugoslawien, einen Pakistaner, der in seiner Heimat als Anwalt gearbeitet hatte. Wir trafen einen Mann,
der seine Foltermale zeigte. Da ist es meinen Schülern anders geworden. Vor einigen Wochen waren zwei
Flüchtlinge aus Eritrea bei uns. Sie erzählten, wie sie sich in drei Jahren nach Deutschland durchschlugen.
Unsere Schüler sollten wissen, dass Flüchtlinge nicht mit der »Aida« übers Mittelmeer geschippert kommen.
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Vor der Schülerwahl erhielten die Klassen den Auftrag, die Programme der Parteien zu untersuchen. Eine
Gruppe hatte das der NPD. Darunter war ein Schüler mit niederländischen Wurzeln. Die NPD fordere getrennten Unterricht für Deutsche und Nichtdeutsche, sagte er vor der Klasse. ›Wollt ihr das? Ich müsste
dann die Schule verlassen.‹ Da guckten sie bedröppelt zu Boden.
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Als Elternvertreterin habe ich Angst
Annett Grundmann, 43, ist Vorsitzende des Kreiselternrates Dresden und stellvertretende Vorsitzende des
Landeselternrates Sachsen
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Egal, mit wem und wo in Sachsen ich gerade rede: Irgendwann geht es um Pegida, Flüchtlinge, Ausländerhass. Es heißt dann schnell, das werde jetzt alles unseren deutschen Kindern weggenommen, was den
Flüchtlingen zugutekomme. Als Elternvertreterin gerate ich immer wieder in Situationen, in denen ich mit
offenem rechten Gedankengut in Sitzungen konfrontiert werde. Da erlebe ich Mütter oder Väter, die ganz
klar fremdenfeindlich argumentieren, die gegen unsere Verfassung anreden. Was macht man da? Wenn
ich eine solche Veranstaltung leite, unterbinde ich polemisierende Diskussionen. Aber für Elternvertreter
ist da auch Angst mit im Spiel. Man fragt sich: Wenn ich das jetzt tue, was hat das für Konsequenzen für
meine Kinder?
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Ich wünsche mir mehr Zivilcourage. Wenn jemand merkt, da ist ein Schüler mit fremdenfeindlicher Gesinnung, dann sollte einer, egal, ob Lehrer, Schüler oder Elternteil, zur Polizei gehen und Anzeige erstatten.
Nur auf die Lehrer zu zeigen und zu fragen: Warum tun die so wenig?, das ist zu einfach gedacht. Die
Schulen sind überlastet. Die Lehrer können nicht mehr. Immer werden ihnen noch mehr Aufgaben aufgebürdet. Wenn es um die politische Auseinandersetzung geht, sind Eltern genauso in der Verantwortung.
Die müssen mehr mit ihren Kindern reden. Der Riss geht doch durch die ganze Gesellschaft. Da sieht man
den Handwerksmeister von nebenan jeden Montag zu Pegida laufen. Warum tut er das? Das versuche ich
zum Beispiel mit meinen Kindern zu besprechen. Kinder brauchen Orte, an denen sie ihre Fragen loswerden. Natürlich haben sie das Recht, in ihren Schulen auf Lehrer zu treffen, die sich überparteiisch verhalten
und kein bestimmtes Meinungsbild prägen. Ich hoffe, dass viele sensibilisiert sind und genau hinhören.
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Wir Lehrer müssen wachsamer sein
Simone Oehme, 43, ist Lehrerin für Englisch, Russisch und Ethik an der Freien Mittelschule Weißenberg.
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Natürlich gibt es bei uns Schüler, die gegenüber rechtem Gedankengut offen sind. Sie sind eine kleine
Minderheit, man erkennt sie nicht auf Anhieb. Sie sehen nicht aus, wie Neonazis früher aussahen. In politische Debatten mischen sie sich auch nicht zwangsläufig ein. Sie fallen kaum auf im Schulalltag, deswegen
müssen wir Lehrer umso wachsamer sein.
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Es hat sogar einen »Reichsbürger«* an unserer Schule gegeben. Das habe ich lange nicht bemerkt. Ich
wurde stutzig, als ein Polizist im Unterricht zu Besuch war. Dem stellte dieser Schüler immer wieder provozierende Fragen. Ich stellte ihn zur Rede, er antwortete mir, dass er »Reichsbürger« sei. Diese sogenannten
Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik als Staat nicht an – und so auch keinen deutschen Polizisten.
Sie behaupten, das Deutsche Reich bestehe in den Grenzen von 1937 fort. Ich lud die Eltern des Jungen
zum Gespräch ein. Es stellte sich heraus, dass sie auch »Reichsbürger« sind. Ich habe da keine politische
Debatte begonnen, ich darf mit Eltern über schulische Sachen reden, einmischen darf ich mich in ihre Erziehung nicht.
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Wir Lehrer müssen andere Wege suchen, rechtem Gedankengut beizukommen. Wir haben uns darum
beworben, das Siegel »Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage« tragen zu dürfen. Nach der Zusage
haben wir das Logo auffällig draußen am Schulgebäude angebracht. Irgendwen hat das gestört. Das
Schild wurde gestohlen. Wir haben die Polizei verständigt und eine Vermisstenanzeige in der Zeitung veröffentlicht. Die hatte natürlich auch einen symbolischen Wert: Ihr könnt uns unser Schild klauen, aber wir
bleiben stark in unserer Haltung. Wir haben ein neues Schild bestellt, Spenden gesammelt, es hat 80 Euro
gekostet. Das war es allemal wert.
*Die Reichsbürgerbewegung ist eine rechtsradikale, den Neonazis nahestehende Gruppierung, die davon
ausgeht, dass das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 völkerrechtlich weiterbesteht. Das Grundgesetz und die Bundesrepublik Deutschland betrachtet sie als ein völker- und verfassungsrechtlich illegales
Verwaltungskonstrukt und »Diktat« der alliierten Siegermächte (Anm. der Redaktion).
Siehe auch: Netz gegen Nazis, http://www.netz-gegen-nazis.de/category/lexikon/reichsbuerger
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Was ich sehe, ist eine große Hilflosigkeit
Friedrich Roderfeld, 18, ist stellvertretender Vorsitzender des Landesschülerrates Sachsen
An meiner Schule gehen einige zu Pegida. Seitdem sich die Bewegung radikalisiert, sind es weniger geworden. Schon lange wurde auf unserem Schulhof nicht mehr so politisch diskutiert wie zurzeit. Aber im
Unterricht spielen Pegida und die Flüchtlingskrise keine Rolle mehr. Was ich stattdessen bei unseren Lehrern sehe, ist eine große Hilflosigkeit. Viele wissen nicht, wie sie mit diesen Themen umgehen sollen. Als
die NPD 2004 in den Sächsischen Landtag einzog, war das ein Schock. Damals waren aber viele gewillt,
sich aktiv gegen das rechte Gedankengut zu stellen. Angesichts der Pegida-Aufmärsche denke ich: Ein
Großteil der Gesellschaft sieht inzwischen einfach weg.
Die Devise in Sachsen war immer, die Politik aus dem Unterricht rauszuhalten. Darum sollten sich die Eltern
kümmern. Sieht man sich die Wahlbeteiligung der letzten Landtagswahl an, kann man davon ausgehen,
dass sich ein Großteil der Eltern nicht darum kümmert. Wie auch, wenn sie offensichtlich selbst das Interesse an Politik verloren haben? Als Schülervertreter bekomme ich das auch zu spüren: Vielen Mitschülern ist es egal, wer sie vertritt. Die Schule hat versagt, gerade weil sie das Feld der politischen Bildung
nahezu vollkommen an die Eltern abgegeben hat.
Wenn man sich anschaut, wer vor den Flüchtlingsheimen protestierte und Flüchtlinge angegriffen hat –
dann waren da viele Mitläufer dabei, viele, die zuvor noch nicht radikalisiert waren. Nach den Ereignissen
in Heidenau oder Freital hätte ich mir von Lehrern gewünscht, dass sie sich klar distanzieren. Aber das passiert nicht, nicht einmal im Politikunterricht. Aktuelle Themen werden nicht diskutiert. Die ganze Republik
redet über Heidenau, Freital und Pegida, aber an den sächsischen Schulen wird einfach weitergemacht,
als ob nichts passiert wäre.
Wir Schüler wollen nicht mehr wegsehen
Mehmet Celik, 15 Jahre, 8. Klasse der 2. Oberschule Kamenz
Vor einigen Wochen haben wir den Titel »Schule ohne Rassismus« bekommen. Die Kultusministerin war
da, und ich habe als Schüler eine Rede gehalten. Ich habe gesagt, dass es an der Schule nicht mehr toleriert wird, wenn jemand fremdenfeindlich ist oder etwas gegen Flüchtlinge hat. Wir wollen niemanden
ausgrenzen, keinen mobben, nicht mehr wegsehen, wenn es zu Anfeindungen und Rassismus kommt. Wir
haben insgesamt 50 Flüchtlingskinder an der Schule, 25 davon sind schon in die einzelnen Klassen integriert. An unserer Schule hat es noch nie Beleidigungen oder Ausschreitungen gegeben. Wir spielen und
lachen und lernen gemeinsam. Das ist für uns selbstverständlich. Wir machen keine Unterschiede.
Um »Schule ohne Rassismus« zu werden, mussten 70 Prozent aller Schüler und Lehrer unterschreiben und
damit einverstanden sein, dass wir uns um diesen Titel bewerben. Es haben rund 75 Prozent unterschrieben. Die Initiative ging vom Schülerrat aus. Einige Mitschüler waren dagegen, dass noch mehr Flüchtlinge
in die Schule oder nach Kamenz kommen. Die ließen auch nicht mit sich reden. In unserer Schulordnung
gibt es einen Vermerk, dass jegliche fremdenfeindlichen, gewaltverherrlichenden und verfassungsfeindlichen Symbole untersagt sind. Das Tragen von Springerstiefeln ist nicht erlaubt.
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Ich selbst habe einen türkischen Vater; wegen meines fremdländischen Aussehens bin ich in Kamenz aber
noch nie angegriffen worden. Als mein Vater nach Deutschland kam, war er 21. Er hat mir erzählt, wie
schwer es für ihn war, hier anzukommen und kein Wort zu verstehen. Daran muss ich oft denken, wenn ich
jetzt versuche, mich mit den Flüchtlingen zu verständigen. Oft geht das nur mit Händen und Füßen, aber
das ist egal. Und beim Fußball spielt es sowieso keine Rolle, welche Sprache man spricht.
Sie beschimpften uns als Bastarde
Zwei Schülerinnen der Gruppe »Bildung statt Rassismus« aus Dresden
Wir bleiben lieber anonym, dachten wir am Anfang. Wir geben unserer Gruppe einen Namen. Unsere eigenen verraten wir nicht. Es war das richtige Gefühl.
»Bildung statt Rassismus« vereint Schüler von der zehnten bis zur zwölften Klasse an sechs Gymnasien
in Dresden und Umgebung. Wir haben uns zusammengeschlossen, weil wir gemerkt haben, dass viele
Schüler gegen Pegida sind, aber nur wenige dagegen auf die Straße gehen. Wir wollten unsere eigene
Demo organisieren. Kaum hatten wir diese Idee öffentlich gemacht, bekamen wir eklige Nachrichten. Pegidisten beschimpften uns als Bastarde, einige bedrohten uns auch. Sie würden kommen und die Demo
aufmischen, hieß es. »Euch sollte man in die Fresse schlagen«, schrieb einer auf Facebook. Da hatten wir
auf jeden Fall Schiss. Einige in der Gruppe sagten: Wir müssen echt aufpassen, lasst uns die Aktion lieber
runterfahren. Die meisten aber meinten: Wir machen weiter. Zu unserer Demonstration im März kamen
dann 800 Leute.
Inzwischen wollen wir mehr als nur demonstrieren: Wir wollen den Lehrplan verändern. Wenn irgendwas schiefläuft in der Gesellschaft, wird ja gern auf die Schule eingehauen. Die Schulen müssten mehr
Demokratie-Erziehung leisten, heißt es dann. Das stimmt. Hier in Sachsen gibt es das Fach GRW – Gemeinschaftskunde/Rechtserziehung/Wirtschaft. Da sollen wir lernen, wie das politische System funktioniert,
was im Grundgesetz steht und wie das Parteiensystem aufgebaut ist. Aber dieses Fach wird erst von
Klasse neun an gelehrt, zwei Jahre später kann man es wieder abwählen. Wir fordern, dass dieses Fach
von Klasse sieben an unterrichtet wird und Pflicht ist bis zum Abitur. Wir wollen, dass in den Schulen besser darüber aufgeklärt wird, wie sich rassistisches Gedankengut verbreitet. Niemand soll politisch agitiert
werden, aber informiert werden müssen wir alle noch viel besser.
Protokolle: Anne Hähnig und Jeannette Otto, DIE ZEIT Nr. 45/2015, http://www.zeit.de/2015/45/sachsen-rechtsextremismus-schulen-umgang
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Einstieg: Ausgrenzung und Toleranz im eigenen Umfeld
Beantworten Sie den Fragebogen zu Extremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, und
ziehen Sie nach Auswertung der Umfrage ein Fazit zum Klima der Toleranz an Ihrer Schule.
1. Wie oft erleben oder beobachten Sie Fälle von Ausgrenzung und Ressentiments gegen Menschengruppen an Ihrer Schule (z. B. Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Frauenhass, Antisemitismus,
Islamfeindlichkeit, religiöser Fundamentalismus, Flüchtlingshass, Ausgrenzung von Menschen mit
Behinderungen, Rassismus, religiöse Intoleranz, Abwertung von Obdachlosen, Arbeitslosen oder
Sozialhilfe-Empfängern)?
q So gut wie nie q Ein bis zweimal im Monat q Mehrmals wöchentlich q Täglich
Schildern Sie die Vorfälle in Stichpunkten:
2. Kennen Sie Schüler in Ihrem Umfeld, die sich zu einer extremistischen Gruppierung bzw. Weltanschauung bekennen oder ihr nahestehen? q Ja
q Nein
Wenn ja, worum handelt es sich dabei?
Gegen welche Personengruppen richten sich die Ressentiments?
3. Welche Aussagen treffen auf das Klima der Toleranz an Ihrer Schule am ehesten zu?
q Lehrkräfte, Schulleitung und Eltern kümmern sich nicht merklich um Anzeichen von Extremismus an der Schule.
q Es gibt Projekte gegen Ausgrenzung, Ressentiments oder Extremismus und für Toleranz, aber
nur punktuell.
q Politik ist (fast) kein Thema an unserer Schule.
q Beleidigungen und Vorurteile gegen bestimmte Gruppen von Menschen sind bei uns alltäglich.
q Rassistische oder extremistische Vorfälle werden bei uns (weitgehend) totgeschwiegen.
q Die Schule engagiert sich stark für eine Kultur der Toleranz und Verständigung.
4. Gibt es in Ihren Augen Handlungsbedarf an Ihrer Schule, sich stärker für ein Klima der Tolerenz und
interkulturellen Verständigung zu engagieren?
q Auf jeden Fall, hier läuft einiges schief.
q Man könnte sich ruhig noch etwas mehr engagieren.
q Ich finde es okay, wie es gerade ist.
Mein Kommentar hierzu:
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Aufgaben
1. Das Textverständnis klären und die Forderungen der Befragten herausarbeiten
a. Arbeiten Sie in Gruppenarbeit für je einen der Erfahrungsberichte heraus, welche Missstände
beobachtet werden und welche Maßnahmen die Befragten vorschlagen, um dagegen anzugehen. Differenzieren Sie hierbei zwischen politischen bzw. strukturellen Aspekten und solchen
Vorschlägen, die das individuelle Engagement von Personen ansprechen.
b. Tragen Sie anschließend Ihre Arbeitsergebnisse zusammen, und analysieren Sie die Berichte.
Arbeiten Sie Gemeinsamkeiten oder auch Widersprüche in den Aussagen der Lehrer, Eltern und
Schüler heraus.
c. Erörtern Sie, inwiefern die Erfahrungen aus Sachsen auch auf Ihre Schule bzw. Ihr Bundesland
übertragbar sind.
d. Formulieren Sie nach dem Vorbild der vorliegenden Berichte eine eigene Darlegung Ihrer Beobachtungen zu Extremismus, Ausgrenzung oder gruppenspezifischen Ressentiments in Ihrem
Umfeld.
2. Politische Bildung und Demokratie-Erziehung als Prävention gegen Extremismus bewerten
a. Tragen Sie im Plenum Themen aus der Nachrichtenberichterstattung zusammen, die Sie im letzten halben Jahr besonders bewegt oder interessiert haben.
b. Markieren Sie anschließend in der Liste diejenigen Ereignisse oder gesellschaftspolitischen Kontroversen, die im Unterricht besprochen wurden. Diskutieren Sie darüber, ob in Ihren Augen die
Aus-einandersetzung mit politischen Themen an Ihrer Schule ausreichend ist.
c. Schätzen Sie ein, wodurch Ihr politisches Bewusstsein am stärksten geprägt wurde: Elternhaus,
Peergroups, Medien, Schulunterricht oder andere Institutionen wie Kirchen, Gewerkschaften,
Vereine etc. Erörtern Sie die Stärken und Schwächen dieser unterschiedlichen Quellen für die
Vermittlung demokratischer Werte und einer Kultur der Toleranz.
d. Friedrich Roderfeld vom Landesschülerrat Sachsen und die Schülerinnen der Gruppe »Bildung
statt Rassismus« fordern, mehr aktuelle Themen im Politikunterricht zu behandeln (Zeile 100 f.)
und die Demokratie-Erziehung im Lehrplan stärker zu verankern (Zeile 143 ff.). Erläutern Sie, was
sich die Schüler von dieser Maßnahme versprechen, und erörtern Sie Vor- und Nachteile des gegensätzlichen Konzepts, das »die Politik aus dem Unterricht rauszuhalten« versucht (Zeile 90).
3. Beispiele und Einsatzmöglichkeiten für soziales Engagement zusammentragen
a. Sammeln Sie im Plenum Beispiele für freiwilliges Engagement von Mitgliedern aus Ihrer Lerngruppe. Schildern Sie dabei kurz Ihre Projekte und Ihren Einsatz.
b. Entwickeln Sie in Gruppenarbeit weitere Ideen für soziale, interkulturelle oder politische Projekte,
die zum Ziel haben, Menschen zu helfen, eine Kultur der Toleranz zu fördern, sich gegen Ausgrenzung und Ressentiments zu positionieren oder Kulturen miteinander zu verbinden. Achten Sie
bei Ihrer Ideensammlung darauf, dass das Engagement von Schülern umgesetzt werden kann,
also möglichst unbürokratisch und bezahlbar ist und keine hohe Expertenkompetenz benötigt.
Recherchieren Sie gegebenenfalls zur Inspiration im Internet und in sozialen Netzwerken nach
bestehenden Projekten. Tragen Sie Ihre Ideen anschließend im Plenum zusammen.
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4. Selbst tätig werden: Ein Schülerprojekt gegen Extremismus konzipieren
Der Schüler Mehmet Celik beschreibt, wie seine Schule sich dem Ziel verpflichtet hat, Fremdenfeindlichkeit und Hass gegen Flüchtlinge nicht mehr zu tolerieren: »Wir wollen niemanden ausgrenzen, keinen mobben, nicht mehr wegsehen, wenn es zu Anfeindungen und Rassismus kommt.« (Zeile 109 f.)
a. Sammeln Sie in Gruppenarbeit Ideen, wie man dieses Ziel an Ihrer Schule erreichen könnte.
Nutzen Sie hierfür Ihre Arbeitsergebnisse aus Aufgabe 3 und die Auswertung der ausgefüllten
Fragebögen (S. 7).
b. Entwickeln Sie anschließend in Ihrer Gruppe ein eigenes Projekt hierzu, das auf die Gegebenheiten Ihrer Schule zugeschnitten ist und das von Schülern getragen und umgesetzt werden kann.
Stellen Sie Ihr Projekt im Plenum vor, und wählen Sie aus den präsentierten Projekten eines aus,
das sich dafür eignet, tatsächlich an Ihrer Schule realisiert zu werden.
Ihr Projekt können Sie beim Lufthansa-Wettbewerb einreichen.
Weitere Infos: www.zeit.de/lh-wettbewerb
5. Das eigene Potenzial für ehrenamtliche Tätigkeiten erkunden
a. Notieren Sie:
• Situationen, in denen Sie stolz auf sich waren, und Fähigkeiten, die Sie dabei eingesetzt haben:
• Situationen, in denen Sie überdurchschnittlich motiviert waren, und was genau Sie dabei
motiviert hat:
• soziale, gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche oder globale Missstände und Problemlagen, die Sie in besonderem Maße ärgern oder empören:
• Beispiele für soziales Engagement, die Sie in besonderem Maße angesprochen haben:
b. Lesen Sie sich in Gruppen von etwa sechs Personen Ihre Aufzeichnungen gegenseitig vor. Hierbei soll jedes Gruppenmitglied für die anderen Gruppenmitglieder und für sich selbst eine Liste
mit Projektideen zusammenstellen, die zum Persönlichkeitsprofil aus a) passen. Sammeln Sie die
Aktionsideen, die Ihnen die anderen Gruppenmitglieder vorgeschlagen haben, und wählen Sie
drei aus, die Ihnen am ehesten zusagen.
c. Erörtern Sie in Ihrer Gruppe, ob für Sie tatsächlich infrage käme, sich in diesem Bereich zu engagieren. Nennen Sie Gründe, die dafür, und solche, die dagegen sprechen.
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Internetseiten zum Thema:
Soziales Engagement: Schüler packen an
ZEIT ONLINE: Freiwilliges Engagement: Handeln macht glücklich
http://www.zeit.de/gesellschaft/2015-09/freiwilliges-engagement-erhalten-fluechtlinge
ZEIT ONLINE: »Die grinsen uns an«
http://www.zeit.de/2015/45/lehrer-schule-rechtsextremismus-rassismus
ZEIT ONLINE: Vielfalt will gelernt sein
http://www.zeit.de/gesellschaft/schule/2015-03/kinder-migrationshintergrund-bildung-kulturelle-vielfalt
Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage
http://www.schule-ohne-rassismus.org/startseite/
Netz gegen Nazis
http://www.netz-gegen-nazis.de/
freiwilligenarbeit.de
http://www.freiwilligenarbeit.de/
Hinweis für Lehrer:
Bundesweiter Wettbewerb »Schüler helfen Menschen« für die Klassen 5–3
ZEIT für die Schule, Lufthansa und die HelpAlliance rufen zum Wettbewerb »Schüler helfen Menschen«
auf. Entwickeln Sie bis zum 15. Mai 2016 mit Ihren Schülern eine Projekt-Idee aus dem Bereich des
sozialen Engagements. Erstellen Sie diese zum Beispiel in Form eines Videos, einer Foto-Geschichte
oder eines Textes, und laden Sie sie über unsere Website hoch! Es winken attraktive Gewinne für die
Schulklassen. Weitere Informationen und die Upload-Möglichkeit für Ihre Beiträge finden Sie unter
www.zeit.de/lh-wettbewerb
Als Anregung für die Ideenfindung können die Aufgaben des Arbeitsblattes ab Seite 8 dienen.
IMPRESSUM
Projektleitung: Katja Grafmüller, Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG,
Projektassistenz: Alisa Ritter, Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG,
didaktisches Konzept und Arbeitsaufträge: Susanne Patzelt, Wissen beflügelt