Russlands Rüstungsexportpolitik

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Meinung
Samstag, 31. Oktober 2015 · Nr. 85
Moskaus Rüstungsexportpolitik
Der Krieg in Syrien wirft ein Schlaglicht auf russische Rüstungslieferungen. Der zweitgrösste Waffenexporteur
der Welt setzt dieses Instrument auch strategisch ein. MAURO MANTOVANI
D
er globale Rüstungsmarkt brummt. Der amerikanische Informationsdienst IHS schätzt die
2015 abgeschlossenen Rüstungsverträge auf ein
Volumen von rund 70 Mrd. $, was einem Zuwachs von
13,4% entspricht, gemessen am Vorjahr. Als Hauptgründe für diese Entwicklung sieht der IHS die Lage im
Nahen Osten sowie in Ost- und Südostasien. Der grösste
Exporteur sind die USA, gefolgt von Russland.
Der Markt für Rüstungsgüter präsentiert sich also
günstig, für Russland allerdings sind die Bedingungen
schwieriger. Konfrontiert mit den Wirtschaftssanktionen
der USA und der EU erwartet der IHS deshalb nach einem Rekordjahr 2014 einen Rückgang der russischen
Ausfuhren. Diese beliefen sich laut der Rüstungsagentur
Rosoboronexport 2014 auf 13,2 Mrd. $. Ob die Prognose
zutrifft, wird sich zeigen müssen.
Russland konnte in den vergangenen Jahren immer
wieder mit steigenden Rüstungsexporten überraschen.
Noch vor zehn Jahren waren Experten davon ausgegangen, dass der «militärisch-industrielle Komplex» Russlands von seiner Substanz lebe; Innovationskraft wurde
ihm kaum zugetraut. Und tatsächlich belasten ihn bis
heute strukturelle Probleme: Fachkräftemangel, veraltete Produktionsmittel und Korruption. Ferner fand
eine Konversion statt, d. h., viele Rüstungsbetriebe gingen dazu über, auch zivile Güter zu produzieren. Erwartet wurde zudem, dass die Schwellenländer als Kunden
Russlands ausfallen würden, entweder weil sie zunehmend selbst Rüstungsgüter herstellen oder sich die teureren westlichen Konkurrenzprodukte leisten können.
China und Indien als Hauptkunden
Die Prognose traf ein, wenn auch beschränkt. China, bis
ca. 2005 der wichtigste Kunde, verlor in den Folgejahren
an Bedeutung wegen der rasanten Entwicklung seiner
Industrie. Zudem refüsierte Moskau zahlreiche chinesische Kaufgesuche, nachdem das Land mehrfach moderne russische Rüstungsgüter mit Hilfe von Reverse
Engineering kopiert hatte. Indien übernahm die Rolle
als wichtigster Kunde Russlands. Und eine Reihe neuer
Kunden kam hinzu: Länder wie Algerien, Irak, Libyen,
Peru, Uganda, Venezuela oder Vietnam, mit denen Russland die Ausfälle des China-Geschäfts auffangen konnte.
Insgesamt konnte Moskau seine Rüstungsexporte binnen eines Jahrzehnts fast verdreifachen.
Das aktuelle Kundenportfolio präsentiert sich ähnlich. Und es zeigt auch, dass westliche Sanktionen
höchstens indirekt greifen. China hat Indien als grössten
Kunden 2014 abgelöst, mit einem Volumen von 2,3 Mrd.
gegenüber 1,7 Mrd. $. Überhaupt ist Asien für russische
Rüstungsfirmen attraktiv. Angesichts der aggressiven
Nachbarschaftspolitik Chinas im Ost- und Südchinesischen Meer rüsten viele Anrainer auf. Vietnam kaufte
vergangenes Jahr Waffen für 1 Mrd. $ in Russland. Anfang September gab Indonesien bekannt, es werde sech-
zehn Maschinen des russischen Mehrzweck-Kampfflugzeugs Su-35S Flanker K beschaffen. Der Vertrag dürfte
sich gemäss Schätzungen von Experten ebenfalls auf
rund 1 Mrd. $ belaufen.
Der Rüstungsexport wird von politischen und wirtschaftlichen Überlegungen bestimmt. Auch deshalb beschwor Präsident Putin China als strategischen Partner.
Dennoch liefert Moskau Waffen an fast alle Nachbarn,
mit denen China in Konflikten steht. Hier überwiegen für
«Russland knüpft
Rüstungsgeschäfte
kaum je an politische
Bedingungen.»
Russland die wirtschaftlichen Überlegungen gegenüber
der Rücksichtnahme auf chinesische Empfindlichkeiten.
Allerdings mit Grenzen: Russland würde kaum Waffen an
Taiwan liefern, oder an Pakistan – zu gross ist die politische Rücksicht auf die Grosskunden China und Indien.
Interessant ist auch das Beispiel Armeniens und
Aserbaidschans, die sich um die Region Bergkarabach
streiten. Hier unterstützt Russland beide Seiten: seinen
Verbündeten Armenien mit Gerät, Garantien sowie Militärpräsenz und Aserbaidschan mit Panzern und bodengestützten Luftabwehrsystemen. Erstere sind aber
im gebirgigen Gebiet von geringem Wert, ebenso wenig
ist eine Luftabwehr nützlich gegen einen Gegner wie Armenien, der keine ernstzunehmende Luftwaffe besitzt.
Das heisst, Russland macht dank gewiefter Politik mit
beiden Seiten Geschäfte, ohne das militärische Gleichgewicht in der Region wesentlich zu verändern.
Auch im Nahen Osten verdient Russland mit Rüstungsgütern viel Geld. Mit dem Irak konnte Russland
2012 einen Vertrag über 4,2 Mrd. $ abschliessen, mit
Ägypten 2014 einen in der Höhe von angeblich 3,5
Mrd. $. Algerien, ebenfalls ein guter Kunde, gab vor wenigen Wochen bekannt, es werde weitere russische
Kampfflugzeuge beschaffen; es geht dort um eine dritte
Tranche von vierzehn Maschinen des Typs Su-30MKA
Flanker im Wert von rund 1 Mrd. $.
Der Iran hätte schon 2009 das bodengestützte Luftabwehrsystem S-300 bekommen sollen. Der Deal wurde
jedoch aus politischen Gründen gestoppt: Die Russen
wollten damit die USA dazu bewegen, die Abwehr von
ballistischen Lenkwaffen in den neuen Start-Vertrag aufzunehmen. Nach der Einigung zwischen den USA und
dem Iran in diesem Frühjahr hat Russland dem Iran
dann erneut die Lieferung dieser Systeme versprochen.
An Syrien liefert Russland seit Jahren Waffen über seinen Marinestützpunkt Tartus (die einzige russische Basis am Mittelmeer). Seit dem westlichen Embargo gegen
Damaskus hat die russische Kriegsmarine den Transport
übernommen. Die Lieferungen an Syrien gründen primär auf geopolitischen Überlegungen. Die grossen
Mengen an unterdessen gelieferten Waffen und Munition waren wohl entscheidend dafür, dass der syrische
Präsident heute noch an der Macht ist.
Das Regime Assad ist für Moskau von mehrfacher Bedeutung. Syrien ist Russlands letzter enger politischer
Verbündeter im Nahen Osten, mit dessen Unterstützung
Moskau auch in Bagdad und Teheran punkten kann –
freilich um den Preis, damit die finanzstarken Golfstaaten zu vergraulen. Mit seinem militärischen Eingreifen in
Syrien versucht Russland ferner als Ordnungsmacht aufzutreten, quasi auf Augenhöhe mit den USA. Aber es geht
natürlich auch darum, auf dem globalen Rüstungsmarkt
den Kampfwert russischer Waffen zu demonstrieren.
Und schliesslich verlöre Russland ungern einen potenten Rüstungskunden, auch wenn Assad vorläufig natürlich nicht zahlungsfähig ist. Die Erinnerung an den Sturz
Gaddhafis vor vier Jahren ist noch sehr präsent: eine in
jeder Hinsicht frustrierende Erfahrung für Moskau.
Auch in Lateinamerika geht es um Geopolitik: Mit Venezuela oder Nicaragua etwa besteht eine militärische
Zusammenarbeit, um gegenüber den USA den Anspruch als globale Grossmacht aufrechtzuerhalten.
Öl und Gas ungleich gewichtiger
So ist es Russland immer wieder gelungen, neue Märkte
zu erschliessen und verlorene Grosskunden, wie etwa
Libyen oder viele Staaten Osteuropas, zu ersetzen. Die
Produkte Russlands bleiben für zahlreiche Länder attraktiv. Sie sind günstiger als westliche Konkurrenzangebote und in einigen Bereichen von vergleichbarer Leistungsfähigkeit, so etwa bei Kampfflugzeugen, Helikoptern oder Systemen der bodengestützten Luftverteidigung. Darüber hinaus ist Russland aus Sicht vieler Staaten ein attraktiver Lieferant, weil es Rüstungsgeschäfte
kaum je an politische Bedingungen knüpft. Politik
macht der Kreml mit diesen Geschäften dennoch.
Allerdings: Die Bedeutung der Rüstung im Aussenhandel bleibt weit hinter derjenigen von Erdöl und Erdgas zurück. So führte Russland 2014 Waren im Wert von
507 Mrd. $ aus, das heisst, die Rüstungsexporte entsprechen einem Anteil von nur knapp 3%, während die Ölund Gasexporte fast 65% der Ausfuhren ausmachen.
Schmerzen würde Russland ein Rückgang seiner
Waffenexporte nicht nur finanziell. Dass Russland seine
Marktstellung im globalen Rüstungsgeschäft auf Dauer
einbüssen könnte, ist jedoch nicht abzusehen.
Mauro Mantovani ist Dozent für strategische Studien an
der Militärakademie der ETH Zürich.
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PHILIPPE BÉGUELIN
Ressortleiter
zum Thema
Nationalbank
Die SNB muss sich
befreien
Die Nationalbank könnte ein ausreichendes Jahresergebnis erzielen für
eine Ausschüttung an die Kantone. Sie
wies im dritten Quartal einen Gewinn
von 16 Mrd. Fr. aus, was nach dem rekordhohen Verlust im ersten Semester
von 50 Mrd. Fr. besonders erfreulich
ist. Ursache für die unsteten Ergebnisse sind die riesigen Fremdwährungsanlagen von 530 Mrd. Fr. in der
Bilanz der SNB. Ihr Wert verliert oder
gewinnt mit der Auf- und der Abwertung des Frankens gegenüber Euro,
Dollar, Yen und Pfund.
Resultiert im vierten Quartal ein
Gewinn von gegen 10 Mrd. Fr., wäre
der Weg frei für die gewohnte Zahlung
an Kantone und Bund. Ihnen liefert
die SNB gemäss der Gewinnausschüttungsvereinbarung für die Geschäftsjahre 2011 bis 2015 insgesamt mindestens 1 Mrd. Fr. ab. Voraussetzung
dafür ist nicht etwa ein Jahresgewinn,
sondern bloss eine genügend dotierte
Ausschüttungsreserve in der Bilanz.
Neun Kantone sowie der Bund rechnen
für dieses Jahr mit einer Ausschüttung.
Sie geben sich unbeeindruckt von Finanzkrise, UBS-Rettung, Mindestkurs, Frankenstärke und Rekordverlust im vergangenen Semester.
Die Gewinnvereinbarung wird
nächstes Jahr neu verhandelt. Sie gehört abgeschafft. Zwar ist die Ausschüttung klein im Vergleich zu den
grossen Gewinnen und Verlusten.
Doch die Erwartungshaltung der
Politik steht im Widerspruch zur Unabhängigkeit der SNB. Diese liess sich
gar zu einem buchhalterischen Kniff
verleiten, um trotz Rekordverlust 2010
eine Ausschüttung zu leisten.
Die SNB ist keine gewinnorientierte Geschäftsbank, Erfolgsrechnung und Bilanz sind das Resultat ihrer Geldpolitik. Diese muss uneingeschränkte Priorität haben, ohne Rücksichtnahme auf Bund und Kantone.
Die Verstrickung ist zu kappen.
Ist Schwaller der richtige Pöstler?
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Privatisierung rückt weit in die Ferne. Peter Morf
Die Zeit, in der attraktive Posten in Aufsichtsorganen oder bundesnahen Betrieben an verdiente Politiker verteilt wurden, schien vorbei. Nun hat der Bundesrat den Gegenbeweis angetreten: Der im
kommenden Jahr in Pension gehende
Verwaltungsratrpräsident der Post, Peter
Hasler, soll durch Urs Schwaller ersetzt
werden. Er war bis zu den eidgenössischen Wahlen CVP-Ständerat des Kantons Freiburg. Hasler, früherer Direktor
des Arbeitgeberverbands, hatte es verstanden, die Post nach turbulenten Zeiten wieder zu beruhigen und sie in die
Moderne zu führen, sprich als spezialgesetzliche Aktiengesellschaft aufzustellen.
Schwaller war stets ein seriöser, sachlicher Politiker, loyal und ohne ideologische Scheuklappen. Er absolvierte eine
lange politische Karriere auf kantonaler
und auf eidgenössischer Ebene. Schwaller war auch als Bundesrat im Gespräch,
schaffte den Sprung in die Landesregierung jedoch nicht. Gegen ihn als Person
ist nichts einzuwenden.
Dennoch sei die Frage erlaubt: Ist er
der richtige Mann für das Amt des VRPräsidenten der Post? Zunächst prädestiniert ihn aus seiner politischen und beruflichen Karriere nichts für diese Aufgabe – abgesehen vielleicht von seiner
Parteizugehörigkeit, die sich mit derjenigen der zuständigen Departementsvorsteherin Doris Leuthard deckt. Die
jüngste Vergangenheit der Post zeigt die
Entwicklung klar auf: Sie führt noch näher zum Markt. Die Post erarbeitet nur
noch 14% des Umsatzes im geschützten
Monopolbereich der Briefe bis 50
Gramm. Die logische Konsequenz dieser
Entwicklung ist die Privatisierung der
Post. Es gibt schon heute keinen Grund
mehr, sie in Staatsbesitz zu belassen.
Die EU ist gegenüber der Schweiz im
Vorsprung. Die Postmärkte sind liberalisiert und etliche Länder haben die Post
privatisiert und an die Börse gebracht.
Jüngstes Beispiel ist Italien – nicht gerade
ein Vorreiter des Liberalismus. Portugal,
vor einigen Jahren auch Deutschland,
und andere haben diesen Schritt vollzogen. Das gilt auch für Japan; die Post
wurde dieser Tage an die Börse gebracht.
Der Bundesrat scheut sich davor. Er
hat erst jüngst bekräftigt, vorerst nicht
am Briefmonopol bis 50 Gramm zu rütteln. Auch Schwallers Nominierung (er
muss pro forma von der GV der Post mit
dem Alleinaktionär Eidgenossenschaft
gewählt werden) bestätigt diese Haltung.
Er ist kaum der Mann, der die Post (die ja
auch Alleinaktionärin der Postfinance
ist) in die Privatisierung führt, dafür
braucht es eine versierte, unternehmerische Persönlichkeit aus der Privatwirtschaft. Der Bundesrat verhält sich defensiv, diese Strategie ist mutlos.
Schwallers Wahl kann zudem als Konzession an die Politiker verstanden werden. Mit ihm tritt einer der ihren an die
Spitze der Post. Er wird stets ein offenes
Gehör haben für Anliegen der Politiker,
die sich selten an betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten und Notwendigkeiten, sondern an ihrer Klientel und am
nächsten Wahltermin orientieren. Einem
effizienten Erbringen der Postdienstleistungen ist das nicht zuträglich.
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