Innovativ Simplified Underwriting Ein stark reduziertes Basisfragenset könnte die Risikoprüfung bei gleichbleibend hoher Risikoqualität deutlich beschleunigen. Schnelligkeit ist ein Vorteil – wenn die Qualität der Leistung stimmt. Dies gilt auch im Markt für Invaliditätsprodukte. Schnelle Vertragsabschlüsse scheitern hier jedoch oft an der Risikoprüfung. Simplified Underwriting ist daher gefragt, darf aber nicht als bloße Verkürzung der Antragsfragen verstanden werden. Dies würde zulasten der Risiko prüfungsqualität gehen und die Profitabilität und Leistungsfähigkeit des Neugeschäfts gefährden. Munich Re geht deshalb neue Wege der Vereinfachung. Einfacher, nicht einfach kürzer! Die Absicherung der Arbeitskraft ist der Wachstumsmotor biometrischer Risiken für die deutsche Lebens versicherung. Der Markt ist hart umkämpft, was den Druck auf die Anbieter insbesondere vonseiten des Vertriebs steigen lässt. Vermittler fordern praxistaugliche Produkt alternativen zur BU – vor allem aber wollen sie schneller und deutlich effi zienter als bisher zum Abschluss kommen. Verhindert wird dies durch eine aus Sicht des Vertriebs viel zu aufwendige Risikoprüfung. Der Ruf nach „Simplified Underwriting“ wird lauter und den Anbietern immer öfter in Imperativform entgegengehalten. Das Ziel Höhere Prozesseffizienz bei unvermindert hoher Risikoqualität Munich Re Daktylos 2016 Innovativ Im BU-Einzelgeschäft ist mit vers.diagnose am Point of Sale sowie kundenindividuellen Backoffice- und Tele-Underwriting-Lösungen (vgl. Seite 50, Automatisiertes Under writing) schon heute eine schnelle, fallabschließende Risikoprüfung möglich – ohne Qualitätsverluste dank einer neuartigen, technisch unterstützten Fragensystematik inklusive gezielter Reflexivfragen. Anders sieht es im Firmeneinzel geschäft, bei Bestandsaktionen und bei alternativen Grundfähigkeitsoder Multi-Risk-Produkten aus. „Hier sind verkürzte und damit aus Perspektive des Risikomanagements unzureichende Fragenkataloge sowie Abfragezeiträume von zum Teil nur drei Jahren bereits Markt standard“, berichtet Susanne Ewald, Consultant Underwriting Life bei Munich Re. „Speziell bei Bestands aktionen beobachten wir häufig eine dramatisch verkürzte Risiko prüfung. Sie ist dem steigenden Vertriebsdruck geschuldet, gefähr det durch Antiselektion aber lang fristig die Stabilität der Invaliditäts versicherung.“ Innovativ Simplified Underwriting Die Lösung Ein stark reduziertes, flexibel erweiterbares Basisfragenset Simplified Underwriting muss deshalb weiterentwickelt und auch ohne tech nische Unterstützung durch Automa tisierungslösungen in der Fläche nutz bar gemacht werden – und zwar so, dass die Risikoprüfung dabei nicht auf der Strecke bleibt. „Einfacher, nicht einfach kürzer!“ lautet das Motto von Munich Re. 10 % Nur zehn Prozent der Antragsteller antworten auf die Frage nach Erkrankungen in der Organgruppe „Wirbelsäule, Rücken, Nacken“ mit Ja. Munich Re Daktylos 2016 Unter diesem Motto hat ein interdiszi plinäres Munich Re Expertenteam die Fragenstandards im medizinischen Underwriting komplett auf den Prüf stand gestellt. Die wichtigste Erkennt nis: „Unsere Analysen zeigen, dass es mithilfe einer neuen Fragemethodik möglich ist, die Anzahl der Fragen deutlich zu reduzieren, ohne die Quali tät der Risikoprüfung zu verändern“, sagt Christine Stäblein, Senior Con sultant Underwriting Life. Auf diese Weise könnten der Aufwand in der Risikoprüfung stark verkürzt und die Übersichtlichkeit verbessert werden. Mit genau diesem Ziel hat das Exper tenteam inzwischen ein neues, sehr übersichtliches und laienverständ liches medizinisches Basisfragenset entwickelt. Es besteht nur noch aus je einer Frage zu: Funktionsbeeinträchtigungen, Krankenhausaufenthalten, ambulanten Behandlungen und Medikamenteneinnahme. Hinzu kommen wenige nicht-medizi nische Standardfragen – etwa zu Vor versicherungen, für die finanzielle Risikoprüfung, zu Sonderrisiken und zum BMI. Diese konsequente Reduktion minimiert den Abfrage aufwand erheblich, birgt aber das Risiko relevanter Informationsdefizite. „Wir haben deshalb einen metho dischen Qualitätssicherungsprozess entwickelt, mit dem wir Lücken oder Anfälligkeiten, die zu Antiselektion führen könnten, zielsicher erkennen und nach einer Kosten-Nutzen-Analyse systematisch eliminieren können“, sagt Stäblein. Der Schlüssel dazu sind individuell definierte Vorselektions kriterien und Ergänzungsfragen, die spezifisch je nach Produkt und Tarif, Vertriebsweg, Zielgruppe und Risiko appetit entwickelt werden. Damit wird das Basisfragenset risiko- und bedarfsgerecht erweitert, ohne es zu überfrachten. Das Ergebnis ist ein völlig neuer Simplified-Ansatz, den Munich Re mit Pilotpartnern aus der Erstversicherung nun sukzessive umsetzen wird. Munich Re Analysen legen einen völlig neuen Simplified-Ansatz nahe Grundlage für das neu entwickelte Basisfragenset sind umfassende Ana lysen. „Wir haben uns zum Beispiel rund 100 ärztliche Zeugnisse aus dem BU-Neugeschäft im Geschäftsjahr 2014 angesehen und überprüft, in wie vielen Fällen die Fragen nach einzel nen Organgruppen mit einem Ja beantwortet wurden und ob dies mit den Antworten auf die Auffangfragen etwa nach diagnostischen Unter suchungen, bestimmten Behand lungen, Operationen und dem Medika mentenkonsum korreliert“, berichtet Susanne Ewald. Ausgewertet wurden dabei sowohl die Quantität als auch die Qualität der Antworten sowie ihre Relevanz für die Risikoprüfung – etwa mit Blick auf die Abfragezeiträume. Die Ergebnisse geben wertvolle Hin weise. Beispiel Psyche: Bei der Abfrage nach Organgruppen fanden sich nur in fünf Prozent der Fälle positive Anga ben. Auffangfragen nach psycholo gischen oder psychotherapeutischen Behandlungen lieferten in 40 Prozent der Fälle zusätzlich positive Ergeb nisse! Ähnlich sah es bei der Organ gruppe „Wirbelsäule, Rücken, Nacken“ aus. Hier gab es nur in zehn Prozent der Fälle direkt positive Angaben, aber zusätzlich mit Ja beantwortete Auf fangfragen nach diagnostischen Unter suchungen wie Röntgen, CT oder MRT in 70 Prozent der Fälle. „Diese Auffälligkeiten sind keine Aus reißer, sondern bestätigen sich für alle 16 Organgruppen“, erklärt Ewald. „Wir sind deshalb überzeugt, dass die dezidierten Fragen zu den heute stan dardmäßig 16 Organgruppen nahezu komplett entfallen und ohne großen Informationsverlust durch nur drei Auffangfragen nach Operationen, diagnostischen Untersuchungen und Medikamentenkonsum ersetzt werden können.“ 70 % Aber 70 Prozent der Antragsteller beantworten die Auffangfrage nach diagnostischen Untersuchungen wie Röntgen, CT oder MRT positiv! Auch hinsichtlich der Abfragezeit räume brachten die Analysen wert volle Erkenntnisse. So werden länger zurückliegende Erkrankungen oft nicht erfasst, weil sie schon vor Beginn des Abfragezeitraums medi zinisch als austherapiert galten. Insbesondere in risikoprüfungs relevanten Fällen bestehen zum Zeit punkt der Antragstellung noch Fol gebeschwerden oder Funktionseinschränkungen. Bisher werden diese durch die Fragen nicht hinreichend erfasst. Gezielte Fragen nach aktuellen Beschwerden bzw. Funktionseinschränkungen, so die Hypothese von Munich Re, könnten Informationsdefizite bei länger zurückliegenden Erkrankungen aus gleichen. Im neuen Basisfragenset werden Funktionsbeeinträchti gungen deshalb generell abgefragt. Perspektivwechsel! Perspektivwechsel auf die Schadenseite Unterwegs in Richtung Predictive Underwriting und Lebensphasenmodelle Die Erkenntnisse aus der Schadenanalyse fließen aktuell vor allem in die Definition unternehmensindi vidueller Vorselektionskriterien und Ergänzungsfragen ein. Wertvolle Informationen können beispielsweise gezielte Fragen zur beruflichen Situ ation liefern. „Dabei wird es jedoch nicht bleiben“, kündigt Stäblein an, „wir arbeiten bereits intensiv daran, weitere Predictive-Indikatoren ein zubinden.“ Möglich wäre etwa eine evidenzbasierte Vorselektion nach Postleitzahl aufgrund der geografisch unterschiedlichen Schadenerfah rungen. Eine zentrale Rolle könnten künftig auch Daten von Fitness- und Gesundheits-Apps spielen. Mit ihnen wäre ein kontinuierliches Under writing über laufend aktualisierte Echtzeitdaten denkbar. In eine ähn liche Richtung gehen auch Munich Re Überlegungen zur Entwicklung von Lebensphasenmodellen mit vereinfachter Risikoprüfung. Die Beispiele zeigen: Es bleibt spannend, denn in puncto Simplified Underwriting ist vieles in Bewegung. Munich Re Daktylos 2016 Innovativ „Nach Analyse der Risikoabfrage aus Antragssicht haben wir für das untersuchte BU-Portfolio zusätzlich die Frühschäden innerhalb der ersten drei Versicherungsjahre ausgewertet“, berichtet Christine Stäblein, Senior Consultant Underwriting. „Sie bela sten die BU-Versicherer in beson derem Maße, da sie oft mit langen Leistungsdauern einhergehen.“ Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Frühschadenanalyse sind im Rück blick auf die Situation bei Antragstel lung: Im Antrag sind Angaben zum Beruf in der Regel unauffällig. Aller dings finden sich bei den Frühschä den sehr oft negative berufliche Veränderungen in den vergangenen Monaten vor Antragstellung oder Falschangeben zum Arbeitseinkom men. Letztere führen häufig zu Über versicherung, was den Leistungs anreiz deutlich erhöht. Relevante Risikoumstände für den Leistungs fall, die als Prädikatoren herange zogen werden könnten – etwa län gere Phasen der Arbeitslosigkeit vor Antragstellung, häufig wechselnde oder unsichere Arbeitsverhältnisse, Umstände am Arbeitsplatz, zum Bei spiel Mobbing, neuer Chef, Arbeits zeitveränderung –, werden bislang nicht abgefragt. Als weiteres Ergeb nis der Frühschadenanalyse zeigt sich, dass bei allen Frühschäden mit Leistungsauslöser „Psyche“ eine positive, aber heute in der Regel nicht abgefragte Familienanamnese zu verzeichnen ist.
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