EuGH befasst sich mit Klage gegen TÜV Rheinland

EuGH befasst sich mit Klage gegen TÜV Rheinland | Manuskript
EuGH befasst sich mit Klage gegen TÜV Rheinland
Bericht: Hannah Bieneck und Jens Niehuss
Das ist die Ursache hier- was ich in der Hand habe. Mit dem Wissen, dass hier dieses
Industriesilikon drin ist, das ist muss ich sagen, ein unangenehmes Gefühl für mich. Anfangs
war ja alles ok. Man muss als Patient einfach davon ausgehen, dass, wenn das TÜV geprüft
ist, das auch in Ordnung ist.
Elisabeth Schmitt, 65 Jahre, aus Ludwigshafen hat einen langen Leidensweg hinter sich.
Nachdem Mutter und Schwester bereits an Brustkrebs erkrankt waren, empfahlen ihr die
Ärzte eine OP und Brustimplantate der französischen Firma PIP.
Ja das kam alles erst Monate später, wo ich oft krank war, einfach so, aus heiterem
Himmel.
Elisabeth Schmitt erlebt, was weltweit Hunderttausenden Frauen geschieht: Seit 2001
verwendet die Firma PIP systematisch billiges Industriesilikon. Die Hüllen lassen Silikon durch
oder reißen, das Bausilikon wandert durch den Körper, verstopft Lymphdrüsen. Eine
Krebsgefahr kann nicht ausgeschlossen werden. 2010 fliegt alles auf:
Ich hab dann in meinen Implantatausweis geguckt und bin natürlich sehr erschrocken. Ja
PIP Implantate. Ich war zuallererst mal fassungslos: wen soll ich ansprechen, wo soll ich
hingehen?
Fassungslos ist auch der behandelnde Arzt Dr. Koschnick. Er kennt die hohen
Sicherheitsauflagen zum Schutz der Patienten.
Als Arzt muss man sich auf die Sicherheit von Medizinprodukten verlassen können. Speziell
Implantate sind Medizinprodukte der Klasse III - daran sind sehr hohe Anforderungen
gestellt.
Für die Zertifizierung der PIP Brustimplantate war der TÜV Rheinland verantwortlich. In
Berlin besuchen wir die Fachanwältin für Medizinrecht Ruth Schultze-Zeu, die Elisabeth
Schmitt in ihrem Kampf für Entschädigung vertritt. Sie verweist auf die europäische
Medizinprodukterichtlinie und die dort formulierten Pflichten.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Der Schutzzweck dieser Regel war es, sicherzustellen, dass wirklich keine Gefahren von
diesen Brustimplantaten ausgehen. Keine Gefahren. Und um diesen Zweck zu erreichen,
muss die benannte Stelle auch unangemeldet auf dem Fabrikgelände der Firma PIP
erscheinen und Produktanalysen vornehmen müssen.
Die benannten Stelle, der Prüfer ist der TÜV Rheinland. Interviews mit Verantwortlichen sind
nicht möglich. Nur schriftlich werden unsere Fragen beantwortet.
„Die betrügerischen Handlungen von PIP waren für TÜV Rheinland nicht erkennbar….“
Wirklich nicht erkennbar?
2003 erhält der TÜV Rheinland ein Schreiben der englischen Gesundheitsbehörde. Die
Behörde mahnt darin mangelhafte PIP Implantate an. Der TÜV informiert PIP darüber, macht
aber keine unangemeldeten Kontrollen.
Die Fälle von gerissenen Implantaten häufen sich. 2007 reicht es der englischen
Gesundheitsbehörde und sie stellt Strafantrag gegen PIP. Dennoch klingeln beim TÜV
Rheinland offensichtlich keine Alarmglocken. Man bittet PIP in freundschaftlichem Ton um
Stellungnahme.
Ist der Strafantrag einer Gesundheitsbehörde kein ausreichendes Verdachtsmoment? Für
den TÜV Rheinland offensichtlich nicht. Per Mail teilt er mit: „Anlass für darüber
hinausgehende unangekündigte Besichtigungen hatte TÜV Rheinland zu keinem Zeitpunkt.“
Es gab stattdessen immer nur angemeldete Kontrollen auf dem Firmengelände, dass heute
nur noch Bauruine ist. PIP hat also Zeit sich vorzubereiten und die Spuren des Betrugs zu
verwischen. Bausilikon verschwindet, das teure, aber medizinisch zugelassene Nusil Silikon
wird ausgepackt. Mitarbeiter erinnern sich vor Gericht:
„Wenn der TÜV kam, wurden wir ein paar Tage zuvor benachrichtigt. Ich benachrichtigte
meine Teamleiter. Sie wussten, was zu tun war.[….] Auf allen Ebenen des Unternehmens
verschwand während der Dauer der Kontrolle alles, was nicht Nusil war.“
"Wäre die Buchhaltung überprüft worden, hätte man festgestellt, dass die von Nusil
verrechneten Mengen nicht mit den für die Herstellung erforderlichen Mengen
übereinstimmten"
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Der TÜV Rheinland meldet der britischen Gesundheitsbehörde: Alles in Ordnung. Die
Behörde veröffentlicht auf ihrer Homepage, dass man nun beruhigt wäre, da der Prozess
unter Kontrolle sei. Heute stehen die Betroffenen vor der Frage: Wer kommt für die
Schmerzen und die zusätzlichen Kosten auf? PIP ist längst pleite. TÜV Rheinland sieht sich als
Betrugsopfer. „Nach der gesetzlichen Aufgabenverteilung ist er allein [der Hersteller] für die
Sicherheit und Qualität seiner Produkte verantwortlich.“
Das sieht Frau Schmitt ganz anders und klagt sich in Deutschland durch alle Instanzen. David
gegen Goliath. Doch Landgericht und Oberlandesgericht geben dem TÜV Rheinland Recht.
In Frankreich wird zunächst anders entschieden. 2013 verurteilt das Handelsgericht Toulon
den TÜV Rheinland zu Schadensersatz. Die Entscheidung gilt für mehr als 3000 Frauen.
Vergangene Woche hebt das französische Oberlandesgericht das Urteil wieder auf. Auch in
Frankreich geht es in die nächste und höchste Instanz – zum Court de Cassassion.
Entscheidend ist – jetzt auch in Frankreich – die Klage von Frau Schmitt. Gemeinsam mit
ihrer Anwältin ist sie vor den Bundesgerichtshof gezogen. Der BGH ist davon überzeugt, dass
diese europäische Medizinprodukterichtlinie durch den europäischen Gerichtshof ausgelegt
werden muss. Derzeit bereitet die Fachanwältin ihre Klageschrift an den EuGH vor.
Also ich bin überzeugt, dass der europäische Gerichtshof zu dem Ergebnis kommt, dass der
TÜV Rheinland seine Überwachungspflichten verletzt hat und dieses Ergebnis wird eine
riesengroße Auswirkung weltweit haben, denn dann wird der TÜV Rheinland konfrontiert
werden mit enormen Schadenersatzprozessen.
Forderungen in Milliardenhöhe wären die Folge.
Schadenersatz, Geld für Behandlungen – vor dem Europäischen Gerichtshof geht es
Elisabeth Schmitt aber vor allem um Gerechtigkeit und – um mehr Sicherheit für Patienten
bei Medizinprodukten.
Und ich frag mich wirklich, was der TÜV überhaupt geprüft hat. Und ich mach dem
Vorwürfe und bin auch ganz schön wütend und hab ein großes Misstrauen. Was da in
meinem Körper ist und wie sich das mal äußern wird, ich glaube das kann man gar nicht
nachvollziehen.
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