„Ich kenne alle Vögel auf den Bergen“ (Psalm 5O aus Vers 11) – Andacht von Karin Faust So kann Gott von sich selbst sprechen, weil er der Schöpfer ist. Leider kenne i c h nicht alle Vögel auf den Bergen; aber ich liebe sie alle, besonders in einer hellen schwedischen Nacht in der Mittsommerzeit, wo die Luft so voller Gesang ist. Allerdings ist nicht für jeden der Vogelgesang erfreulich. Ich kenne einen Menschen, der im Frühjahr jeden Morgen schlecht gelaunt bei der Arbeit erscheint. Er schimpft auf die für ihn sehr schrecklichen Amseln, die ihm so früh den Schlaf rauben. Am liebsten will er sie alle erwürgen! Während ich mein Fenster in der Frühe ganz besonders weit öffne, steht er schimpfend auf, um sein Fenster zu schließen. So unterschiedliche Reaktionen gibt es auf den gleichen Vogelgesang! Kann man in der Natur, bei Vögeln, unterscheiden zwischen guten Tönen und schlechten Tönen? Der Gesang von Amseln, Nachtigallen, Buchfinken oder Lerchen wird von den meisten Menschen geliebt. Wie aber steht es z. B. mit den Wasservögeln? Der kleine Waldwasserläufer hat auch einen sehr lieblichen Gesang, aber der tiefe, weit tragende Ruf der Rohrdommel tönt wie ein Nebelhorn über das Wasser. Die langgezogenen, klagenden Laute einer Gruppe von Sterntauchern klingen nachts wie der allerschönste Katzenjammer. Kraniche, die als sehr edle Vögel gelten, geben im Flug die charakteristischen tiefen, schnarrenden Töne von sich. Wer diese einmal ganz aus der Nähe hört, will sich am liebsten wegen der Lautstärke die Ohren zuhalten. Ist Vogelgesang einzuteilen in guten Gesang und schlechten Gesang? Welcher Vogel gibt gute Töne von sich, welcher schlechte? Mancher stellt eine ähnliche Frage bei Farben. Gibt es gute Farben und schlechte Farben? Meine ansonsten sehr geschätzte Schwiegermutter war der festen Überzeugung: die Farbe ROT ist vom Teufel. Was nur ein kleines Fleckchen ROT enthielt, hatte bei ihr keine Chance. Was hat sie nur mit den schönen roten Blumen gemacht, mit dem Abendrot und dem Morgenrot am Himmel? EinigeMenschen urteilen bei Musik noch krasser indem sie fragen: Ist diese Musik von oben oder ist diese Musik von unten? Vogelstimmen beurteile ich doch oft sehr situationsbedingt. Wenn im Urlaub früh zwischen drei und vier Uhr sich vor dem Haus eine Elsternversammlung trifft (mit dem entsprechenden lauten Gekecker), dann muss ich immer lächeln. Es hat nämlich einmal jemand gesagt, die Adventgemeinde sei ein Volk von Versammlungen und Konferenzen. Und tatsächlich erinnert eine solche Elsternansammlung an einige unserer Delegiertenkonferenzen! Mit diesem fröhlichen Gedanken kann ich dann gut weiterschlafen. Wenn allerdings meine kleinen Enkel zu Besuch sind, dann springe ich aus dem Bett und verscheuche die ganze laute Gesellschaft. Wenn kleine Kinder schon vor vier Uhr früh fröhlich durch die Gegend laufen, entspricht das nicht so ganz meinen Urlaubsvorstellungen. Machen also Elstern gute oder schlechte Geräusche? Ist das Musik von oben oder von unten? Göttlich oder teuflisch? Auch Musik kann ich doch sehr unterschiedlich beurteilen. Bei den Sitzungen des Verbandsausschusses hat mich oft der wunderbar kräftige Männergesang beeindruckt, obwohl die zwei oder drei Frauenstimmen dabei ganz und gar übertönt wurden. Wenn nun jemand sehr ‚frauenbewegt’ diesen Gesang wahrgenommen hätte, so wäre er vielleicht zu keinem guten Urteil gelangt. („Da hört man so richtig, dass die Adventgemeinde dominiert wird von Männern!). War dieser Gesang also gut oder schlecht? Wenn nun ein Komponist sich Vogelgesang zum Vorbild nimmt, ihn genau studiert und mit Instrumenten nachahmt, wie kann ich das bewerten?
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