die bahn : ÜBERBLICK ÜBER EINEN BOOMENDEN SEKTOR AUTOMATISIERTE U-BAHNEN EINE FLEXIBLE UND SICHERE LÖSUNG Public Transport International befragte Ramon Malla, den Leiter der automatisierten Linien bei Transports Metropolitans de Barcelona (TMB), zu seiner Meinung über den vollautomatischen fahrerlosen Zugbetrieb (Unattended Train Operations, UTO) bzw. den vollautomatischen Betrieb. Ramon Malla sieht UTO-Projekte als eine Möglichkeit, das Geschäftsmodell von U-Bahnen neu zu definieren. Wie erklären Sie sich den Erfolg von vollautomatischen fahrerlosen bzw. automatischen U-Bahnen in aller Welt? Die Automatisierung bringt viele Vorteile mit sich: Die Systeme werden von vielen Beschränkungen befreit, und Automatisierung ebnet den Weg für eine neue Art von Service für unsere Fahrgäste. Die positiven Erfahrungen aus dem jahrzehntelangen automatisierten Betrieb verdeutlichen eines der wichtigsten Elemente, das bei dieser Erfolgsgeschichte berücksichtigt werden muss: die Sicherheit. In keiner automatisierten U-Bahnlinie weltweit gab es größere Unfälle, vor allem nicht mit Toten oder Verletzten. Dies ist von unschätzbarem Wert, denn die Sicherheit muss beim U-Bahnbetrieb immer im Mittelpunkt stehen. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die Flexibilität der U-Bahnautomatisierung bei der Entwicklung von Verkehrslösungen, die die unterschiedlichsten Szenarien des Mobilitätsbedarfs und der städtischen Umgebung abdecken. Beweis dafür sind all die vollautomatischen U-Bahnlinien, die weltweit zahlreiche Städte der unterschiedlichsten Größe bedienen. Schließlich muss darauf hingewiesen werden, dass keine der Städte, die sich für eine automatisierte U-Bahn entschieden haben, seitdem eine neue herkömmliche U-Bahnlinie gebaut hat. Die, die sich für die Automatisierung entscheiden, trauern der Vergangenheit also nicht hinterher. Was sind die größten Vorteile des vollautomatischen fahrerlosen Zugbetriebs für die Betreiber? Für Träger, Mitarbeitende und Kunden? Für die Betreiber gibt es vielfältige Vorteile; zwei davon möchte ich ganz besonders hervorheben. Der erste ist die anspruchsvollere und attraktivere Arbeit für die Mitarbeitenden, der zweite ist die Flexibilität. Die Betreiber können ihr Angebot in Echtzeit an die Nachfrage anpassen, und zwar ohne personalbedingte oder technische Einschränkungen. Für die Träger ist Automatisierung eine Investition in eine bewährte Lösung, die auf die Mobilitätsbedürfnisse ihrer Bürger reagiert. Automatisierung bietet eine einzigartige Flexibilität und deckt äußerst kostengünstig die verschiedensten Szenarien für den Betrieb sowohl innerhalb als auch außerhalb der Spitzenstunden ab. Die Sicherheit ist ein unerlässliches und 24 nicht verhandelbares Element des U-Bahnbetriebs, und ihre strikte Handhabung bei der Automatisierung verringert die Risiken – was die Auftraggeber sehr zu schätzen wissen. Die Mitarbeiter können von Routineaufgaben mit geringer Wertschöpfung befreit und stattdessen in anspruchsvolleren Positionen eingesetzt werden. Dies ermöglicht ihnen eine bessere persönliche und berufliche Weiterentwicklung und Zufriedenheit. Den Kunden kommen all diese Vorteile zugute: Von der garantierten erhöhten Sicherheit bis hin zum flexiblen Betrieb, der besser an den Bedarf angepasst werden kann. Zudem profitieren sie vom besseren Kundendienst. Welche Herausforderungen, innovativen Trends und Entwicklungen gibt es im Bereich des vollautomatischen fahrerlosen Zugbetriebs? Noch vor einigen Jahren lag der Schwerpunkt auf der Technologie selbst. Heute ist die Technologiedebatte mehr oder weniger abgeschlossen, insbesondere bei der Zugsteuerung und -sicherung, denn die Entwicklung geht hin zu funkgestützten CBTC-Systemen (Communication-based Train Control). Hier liegt die Herausforderung darin, einen bestimmten Harmonisierungsgrad der bislang proprietären Systeme zu erreichen. Ein stärker auf Modulen aufbauender Ansatz würde eine bessere Austauschbarkeit der Systeme erlauben, was ein Vorteil für Betreiber und Zulieferer wäre. Daher ist nicht mehr die Technologie die größte Herausforderung. Stattdessen müssen wir diese Technologie besser nutzen, um von den Vorteilen hinsichtlich der Betriebsorganisation, der Arbeitsplatzprofile und des Inhalts zu profitieren. Wichtig sind zudem Niveau und Art des Kundendienstes. Aufgrund der technischen Komplexität ist die Umwandlung herkömmlicher Linien eine besondere Herausforderung. Aber auch die Anpassung des Unternehmens von herkömmlichen Linien auf ein Organisationsmodell mit automatisierten Linien bereitet Schwierigkeiten. Zudem ist es sehr wichtig, über die Leistungsfähigkeit und das Potenzial der vollautomatischen fahrerlosen U-Bahn zu informieren. So kann vermieden werden, dass die bisherige Trägheit die Bauweise neuer Linien beeinflusst und damit ihr Potenzial beschränkt. Eine U-Bahninfrastruktur in „herkömmlicher“ Bauweise kann möglicherweise nicht an vollautomatische fahrerlose U-Bahnen angepasst werden, da sie die Flexibilität bei der Bewegung der Züge eventuell nicht unterstützt, die die vollautomatische fahrerlose U-Bahn bietet. UITP - PTI 1/2016 © TMB die bahn : ÜBERBLICK ÜBER EINEN BOOMENDEN SEKTOR “Die sich für die Automatisierung entscheiden, trauern der Vergangenheit also nicht hinterher.”, Ramon Malla. Können Sie uns als Leiter der automatisierten Linien der U-Bahn von Barcelona (TMB) etwas über die Erfahrungen sagen, die man in Barcelona mit der vollautomatischen fahrerlosen U-Bahn gemacht hat? Von welchen wichtigen Erkenntnissen könnten andere Städte profitieren? Barcelona hat eine sechsjährige Erfahrung mit dem Betrieb automatisierter Linien. Unsere Erfahrungen sind rundum positiv – nicht nur mit der Leistung und Zuverlässigkeit der Linie, sondern auch mit der größeren Zufriedenheit von Mitarbeitern und Kunden. Barcelonas UTO-Projekt war (und bleibt) ein bemerkenswertes Beispiel: eine automatisierte Linie, die vom Betreiber eines konsolidierten herkömmlichen U-Bahnnetzes entwickelt wurde. TMB ist noch einer der wenigen Betreiber, die intern beide Betriebsarten vergleichen können. Die Erfahrung, eine herkömmliche U-Bahngesellschaft auf eine vollautomatische fahrerlose Linie vorzubereiten, ist bereichernd und könnte für andere Betreiber sehr hilfreich sein. Zudem haben wir folgende Erkenntnisse gewonnen: • E ine vollautomatische fahrerlose Linie ist für ein Unternehmen ein echter Paradigmenwechsel und ein kultureller Wandel. • W ir haben festgestellt, dass sich die Leistung verglichen mit herkömmlichen Linien auf allen Ebenen verbessert hat: Zuverlässigkeit sowie Zufriedenheit von Kunden und Mitarbeitern. • V ollautomatische fahrerlose Linien erfordern ein spezielles Projektmanagement, das alle Aspekte der Linie abdeckt: Technologie, Infrastruktur, Organisation, Kundenzufriedenheit usw. • V ollautomatische fahrerlose Linien werden zur Referenz und zum Motor für die Weiterentwicklung herkömmlicher Linien. TMB verfügt über ein einzigartiges Organisationsmodell für herkömmliche Linien, bei dem die Mitarbeitenden vielfältige Aufgaben übernehmen müssen, die eher dem Modell für eine automatisierte Linie entsprechen: Die Zugführer erledigen auch Aufgaben an den Stationen und im Kundendienst. • D er menschliche Faktor ist daher für den Erfolg einer automatisierten Linie von größter Bedeutung! Wenn dieser Artikel in den Druck geht, weihen wir 20 km und 15 neue Stationen der automatisierten U-Bahn im südlichen Abschnitt der Linie 9 ein – eine spannende Herausforderung, denn eine so lange Strecke wird nicht oft in einem Stück eröffnet. Wir freuen uns darauf, auf einer der kommenden Veranstaltungen des Observatory of Automated Metros mehr über dieses bahnbrechenden Projekt berichten zu können. Wenn Sie mehr erfahren möchten, besuchen Sie gerne die Webseite: http://metroautomation.org Miryam Hernandez, Manager of the Metro Division, UITP [email protected] • A utomatisierung sollte nicht nur auf das Bewegen von Zügen ohne Fahrer bezogen werden – sondern als integrales Konzept für eine Linie, bei dem selbst die Stationen automatisiert werden. UITP - PTI 1/2016 25
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