Betriebliche Suchtprävention Autorin Foto: Musalek Foto: Beiglböck Foto: Feselmayer gesundheitsmanagement Senta Feselmayer Wolfgang Beiglböck Autor Autor Leitung Bereich Psychologie, Forschungskoordinatorin, Anton Proksch Institut Wien [email protected] Klinische Psychologie/Suchtforschung, Anton-Proksch-Institut Wien Institutsvorstand, Anton-Proksch-Institut Wien [email protected] [email protected] Michael Musalek Alkohol am Arbeitsplatz: Maßnahmen zur betrieblichen Suchtprävention Fünf bis zehn Prozent der Mitarbeiter österreichischer Unternehmen sind alkoholkrank beziehungsweise konsumieren Alkohol in einem Ausmaß, das ihre Gesundheit gefährdet. Die Alkoholproblematik kostet ein Unternehmen zwischen 1,25 und 2,5 Prozent der Lohn- und Gehaltskosten. Allein an Fehlzeitkosten entstehen pro betroffenem Mitarbeiter und Jahr Kosten von bis zu 6.000 Euro. In diesem Beitrag stellen die Autoren konkrete Maßnahmen zur betrieblichen Suchtprävention von der Konzeption bis zur Implementierung und Evaluierung vor. Eine 39-jährige Sekretärin mit zwei minderjährigen Kindern stirbt an einer alkoholbedingten Leberzirrhose. Sämtliche Mitarbeiterbeurteilungen waren unauffällig, in den Mitarbeiterorientierungsgesprächen war das Thema Alkohol nie präsent. Anlässlich der Verabschiedung und den nachfolgenden Gesprächen stellt sich heraus, dass sowohl Mitarbeiter als auch Führungskraft schon seit langem davon gewusst haben. Die Betroffenheit ist groß … Ein 50-jähriger Mitarbeiter stürzt bei Ausbesserungsarbeiten an einem Vordach ab und erleidet schwere Verletzungen. Bei der Aufnahme im Unfallkrankenhaus stellt sich heraus, dass er mit über zwei Promille alkoholisiert war … 24 Das sind typische Anlassfälle, die bei einem Unternehmen zum Entschluss führen, sich über ein betriebsinternes Alkoholpräventionsprogramm zu informieren. Dass dies in den geschilderten Beispielen offensichtlich viel zu spät war, liegt auf der Hand. Leider ist Alkoholmissbrauch in Österreich noch immer ein Tabuthema. Diese Beispiele zeigen auch, dass in vielen Unternehmen jahrelanges Zusehen und Ignorieren den einzigen Umgang mit Suchtproblemen darstellen. Wenn man gar nicht mehr wegschauen kann, werden betroffene Mitarbeiter entweder in sogenannte „Sozialabteilungen“ abgeschoben oder sang- und klanglos gekündigt. Das Präventionsprogramm des Anton-Proksch-Institutes, das alle Bereiche personal manager 1/2012 der Prävention bis hin zur Behandlung bereits erkrankter Mitarbeiter eines Unternehmens abdeckt, zeigt andere, professionelle Umgangsmöglichkeiten der Prävention auf. Dieses auf österreichische Unternehmen abgestimmte Konzept stellt eine Besonderheit dar, da nicht nur Mitarbeiter des Institutes als externe Berater das Unternehmen bei der Implementierung entsprechender Präventionsprogramme begleiten, sondern auch im Bedarfsfall niederschwellig eine qualifizierte, multiprofessionelle stationäre und/oder ambulante Behandlung anbieten können. Warum sich in einer Zeit wie dieser auch noch mit dem Thema Suchtprävention beschäftigen? Ein wichtiges Thema ist das Thema Unfallprävention: Bereits ab 0,3 Promille erhöht sich die Unfallwahrscheinlichkeit. Dieser Wert kann je nach Blutvolumen und Körpergewicht bereits mit ein bis zwei Flaschen Bier in der Mittagspause erreicht werden. Ab circa 0,4 bis 0,5 Promille kommt es zu einer Verminderung der Geistesgegenwart und der Funktionstüchtigkeit der Sinne und der Motorik, das heißt, die Reaktionszeit nimmt geringfügig ab und es kommt so zum sogenannten Tunnelblick mit einer Einschränkung Betriebliche Suchtprävention des Gesichtsfeldes. Das Gesichtsfeld ist also „wie in einem Tunnel“ eingeschränkt. Bewegte Objekte, wie etwa Fahrzeuge oder auch Menschen, oder die Bedienungselemente von Maschinen werden dadurch erst verspätet wahrgenommen. Gleichzeitig steigt die Risikobereitschaft geringfügig an. Während man also ein klein wenig langsamer ist und etwas schlechter sieht, ist man aber gleichzeitig viel lockerer und risikobereiter. Durch diese Fehleinschätzung ist im Bereich von 0,4 bis 0,5 Promille die Unfallgefahr doppelt so hoch. Den Bereich von 0,3 bis 0,5 Promille kann ein mittelschwerer Mann bereits mit einem halben Liter Bier erreichen. Da man in einer Stunde zwischen 0,085 und 0,12 Promille abbaut, muss man also davon ausgehen, dass man circa eine Stunde nach der Mittagspause, so man in der Mittagspause eben einen halben Liter Bier oder circa einen Viertelliter Wein getrunken hat, eine doppelt so hohe Unfallwahrscheinlichkeit hat. Man sieht also, dass es unter Umständen bereits bei geringem Alkoholkonsum in der Mittagspause zu einer erhöhten Unfallwahrscheinlichkeit kommen kann. In einer österreichischen Untersuchung wurde versucht, die Anzahl der Alkohol missbrauchenden Arbeitnehmer in österreichischen Unternehmen zu erheben. 8 Prozent der Männer und 1,7 Prozent der Frauen in den untersuchten Unternehmen konsumieren mehr als 60 Gramm reinen Alkohol pro Tag. Insgesamt gehen die Autoren davon aus, dass diese Angaben, da mit einem hohen Prozentsatz erwünschter Antworten zu rechnen sei, den internationalen Schätzungen von 5 bis 10 Prozent der Mitarbeiter entsprechen. Aber was heißt eigentlich kritischer Gebrauch? Kritisch wird Alkoholkonsum dann, wenn XX Alkohol bei Mittag- oder Abendessen einfach nicht mehr wegzudenken ist. XX zum Ausgehen Alkohol einfach dazu gehört. XX man sich nicht mehr vorstellen kann, einige Zeit abstinent zu leben. XX bei psychischen oder sozialen Spannungen getrunken wird. XX man glaubt, in belastenden Lebenssituationen nicht mehr ohne Alkohol auskommen zu können. XX Alkohol als Medikament eingesetzt wird. Auch wenn man sich erst nach einem Gläschen Alkohol erst richtig ausgeglichen und wohl fühlt, sollte man sein Trinken überdenken. Die von der WHO empfohlene Grenzmenge liegt für Frauen bei 16 Gramm und für Männer bei 24 Gramm Reinalkohol an maximal 5 Tagen pro Woche (wobei 20 Gramm circa einem halben Liter Bier oder einem Viertelliter Wein entsprechen). Betrachtet man den Alkoholkonsum nach Branchen, zeigt sich, dass in Österreich der höchste Konsum bei Arbeitnehmern in der Bauwirtschaft mit knapp über 60 Gramm pro Tag zu finden ist, gefolgt von Sicherheitsdiensten und Beschäftigten in der Gastronomie. Dies lässt jedoch keine Rückschlüsse auf den Konsum direkt am Arbeitsplatz zu, und auch die Schlussfolgerung, dass in diesen Branchen die meisten Alkoholkranken zu finden sind, ist nicht erlaubt. Die Patienten, die sich im Anton-Proksch-Institut in Wien zu einem stationären Alkoholentzug befinden, unterscheiden sich hinsichtlich Beruf und Schichtzugehörigkeit nur sehr wenig vom österreichischen Durchschnitt. Nach einer schon etwas länger zurückliegenden Untersuchung (neuere Daten liegen leider nicht vor) beträgt der sich aus diesen Zahlen ergebende jährliche Verlust eines Unternehmens pro 1.000 Mitarbeiter etwa 218.000 Euro. Pro Arbeitstag entsteht österreichischen Unternehmen ein alkoholbedingter Schaden von rund 2,9 Millionen Euro. Bezogen auf die gesamte Volkswirtschaft in Österreich sind dies circa 73 Millionen Euro pro Jahr, wobei diese Beträge noch zu valorisieren wären. Nach internationalen Schätzungen ist Alkohol an der Entstehung von einem knappen Drittel aller Arbeitsunfälle zumindest mitbeteiligt. Die Betriebsausfallskosten, die durch alkoholgefährdete Mitarbeiter österreichischen Unternehmen entstehen, wurden im Rahmen mehrerer Fallstudien mit 12 Prozent bis 25 Prozent im Jahr vor einer Entwöhnungsbehandlung berechnet. Dies ergibt bei 5 bis 10 Prozent betroffenen Mitarbeitern einen Ausfall von 1,25 bis 2,5 Prozent der Lohn- und Gehaltssumme per anno. Dazu ist auch noch zu bedenken, dass zumeist Arbeitnehmer betroffen sind, die bereits seit vielen Jahren im Unternehmen beschäftigt sind, in die viel an Ausbildung investiert wurde und mit denen im Falle einer Kündigung auch viel Erfahrung das Unternehmen verlässt. personal manager 1/2012 gesundheitsmanagement Grundzüge des Modells Das innerbetriebliche Präventionsprogramm richtet sich deshalb nicht nur an alkoholkranke oder bereits alkoholgefährdete Mitarbeiter, sondern auch an sogenannte Genusstrinker, die noch kein auffälliges Trinkverhalten zeigen. Nach einer Präsentation prinzipieller Präventionsmöglichkeiten für alle wesentlichen Entscheidungsträger im Unternehmen sollte eine Projektgruppe die folgenden Aufgaben übernehmen: XX Erhebung, wie Alkohol in die Unternehmenskultur eingebettet ist (Gibt es Alkohol in der Kantine, obwohl ein Alkoholverbot besteht? Gibt es das Gläschen Sekt zum Geburtstag schon am Vormittag?) XX Identifikation von Risikofaktoren (Überlastung; Burnout; Wo sind die „nassen Zellen“?) XX Erstellung von Richtlinien für die Akutsituation (Was geschieht mit alkoholisierten Mitarbeitern im Dienst? Wer kann vom Arbeitsplatz verweisen? XX Erstellung von Hilfsmaßnahmen für bereits erkrankte Mitarbeiter, im Regelfall mithilfe eines sogenannten „Stufenplanes“: Gemeint ist damit, den konsequenten Umgang mit gefährdeten Mitarbeitern mit Hilfsangeboten zu koppeln. Das bedeutet, dass vier bis sechs Gespräche mit einer zunehmenden Öffentlichkeit und einem zunehmendem Ausmaß an Konsequenzen und Hilfestellungen für die Betroffenen geführt werden. XX Entwicklung geeigneter Schulungsmaßnahmen für alle Mitarbeiter mit Führungsfunktion beziehungsweise für bestimmte Zielgruppen XX Evaluation der getroffenen Präventionsmaßnahmen XX Es hat sich bewährt, dass der Projektmentor aus der obersten Führungsebene (zum Beispiel aus dem Vorstand) kommt. Die Projektgruppe sollte zumindest aus Vertretern des Betriebsärztlichen/-psychologischen Dienstes, der Personalabteilung und der Personalvertretung bestehen. Externe Betreuer unterstützen und beraten das Unternehmen bei Problemanalyse und Umsetzung der Maßnahmen. Die Schulungen der Führungskräfte (aber auch die Information der Mitarbeiter) stellen 25 gesundheitsmanagement Betriebliche Suchtprävention einen wesentlichen Teil des Programms dar. Neben der Sensibilisierung der Führungskräfte für diese Problematik (Gibt es einen „gesunden“ Umgang mit Alkohol? Ab wann wird es gefährlich? Wie kann ich beginnende Probleme bei meinen Mitarbeitern erkennen?) und einer theoretischen Einführung in diesen Themenbereich zum Thema Früherkennung, Verlauf, Auswirkungen und so weiter stellt vor allem die Gesprächsführung einen wesentlichen Bestandteil dieser Schulungen dar. Die Gesprächsführung mit Gefährdeten und Abhängigen gehört für Vorgesetzte mit Führungsverantwortung zu den besonders schwierigen Aufgaben. Erfahrungsgemäß ist das erste problemzentrierte Gespräch, vorerst im Sinne eines „Fürsorgegespräches“, wo besondere Schwellenängste überwunden werden müssen, eher schwierig. Wesentliche Punkte der diesbezüglichen Schulung sind Fragen wie: XX Wann sind solche Gespräche zu führen? XX Wer soll daran teilnehmen? XX Wie werden solche Gespräche geführt? Welche Punkte sollen zuerst angesprochen werden und welche erst später? XX Wann müssen die Gespräche wiederholt werden? XX Wie begegnet man Abwehrstrategien der Betroffenen? XX Welche Konsequenzen sind sinnvoll? Der richtige Umgang mit Alkoholkranken ist auch deswegen besonders schwierig, da seitens der Betroffenen die Krankheit nach außen hin meist verleugnet wird und Kollegen andererseits ein Verhaltensmuster entwickeln, das als „ko-abhängig“ bezeichnet wird. Letztendlich wird jeder als Ko-Alkoholiker bezeichnet, der mit Alkoholabhängigen lebt oder arbeitet, das Problem als solches erkannt hat, aber aus welchen Gründen auch immer eine Konfrontation damit vermeidet. Ko-Abhängig sein heißt: Das Suchtverhalten zu unterstützen – in bestem Glauben, das einzig Richtige zu tun. Als Ko-Alkoholiker wird der bezeichnet, der es einem Alkoholiker in bester Absicht mangels Abgrenzung ermöglicht, dass dieser sein Trinkverhalten nicht ändern muss. Das heißt, meist tut einem der betreffende Kollege leid und man übernimmt an kritischen Tagen Arbeit für ihn, wenn er wieder einmal zu spät kommt oder nicht in der Lage ist, seine Arbeit zu 26 erledigen, damit es die Vorgesetzten nicht merken. Diese Nachsicht, kombiniert mit einem verständnisvoll gemeinten höflichen Ignorieren, macht einem eben selbst zum „Ko-Abhängigen“, denn leider wird dem Alkoholkranken dadurch nicht geholfen. Es gibt nur noch eine Person mehr in seinem Umfeld, die verhindert, dass er sich mit seinem Trinken oder den Konsequenzen aus seinem Trinkverhalten auseinandersetzen muss. Daher muss er auch sein Trinkverhalten nicht verändern, da ja – auch privat – genug Menschen um ihn herum sind, die verhindern, dass durch seinen Alkoholkonsum Probleme entstehen könnten. Dieses Verhalten zu vermeiden, stellt einen wesentlichen Bestandteil des innerbetrieblichen Suchtpräventionsprogrammes dar. Wenn derartige Projekte nicht nur kosmetischen Charakter haben sollen, müssen sie auf einen langen Zeitraum angelegt sein und dürfen sich nicht nur in einmaligen Blitzaktionen erschöpfen. Außerdem müssen diese Maßnahmen auch für alle Mitarbeiter transparent sein. Dann erreicht ein Unternehmen nicht nur zufriedenere Mitarbeiter und somit ein besseres Betriebsklima, sondern reduziert unter anderem auch Fehlleistungen und Unfallzahlen und kann beträchtliche Summen einsparen (Krankenstandskosten, keine Kündigungen langjähriger qualifizierter Mitarbeiter ...) Nicht umsonst zählen in vielen multinationalen Unternehmen derartige Präventionsprojekte zu den qualitätsverbessernden Maßnahmen und spielen bei entsprechenden Auditings eine große Rolle. Literaturtipps Drogen und Alkohol am Arbeitsplatz. Von Gert-Peter Reissner (Hrsg.). Verlag Österreich 2008. Addiction at Work. Von Hamid A. Ghodse (Hrsg.). Gower Publishing 2005. Alkohol im Unternehmen. Von Martina Rummel, Ludwig Rainer und Reinhard Fuchs. Hogrefe 2004. Handbuch Alkohol – Österreich, Zahlen, Fakten, Trends. Von Alfred Uhl, Nikolaus Kopf, Alfred Springer, Wolfgang Beiglböck und anderen. Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales 2009. personal manager 1/2012 Tipps für Führungskräfte Was können Führungskräfte tun: XX Schaffung eines Betriebsklimas, das einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol fördert XX Identifikation von Risikofaktoren (Stress, Schichtarbeit, psychische Belastungen …) und – soweit nicht behebbar – Reduktion von Folgeerkrankungen XX Früherkennung von gefährdeten Mitarbeitern XX Betriebliche Aufklärung/Fortbildung XX Einbettung der Maßnahmen in die Führungsrichtlinien des Unternehmens XX Zusammenarbeit mit außerbetrieblichen Suchthilfeeinrichtungen Sollte es bereits zu ersten Auffälligkeiten bei einem Mitarbeiter gekommen sein, ist der erste Schritt ein – vertrauliches – Fürsorgegespräch mit ihm. Man sollte dabei nicht warten, bis der Mitarbeiter das erste Mal betrunken am Arbeitsplatz erscheint, sondern schon bei ersten Verdachtsmomenten reagieren. Der Betroffene sollte mit den Wahrnehmungen der Führungskraft konfrontiert werden, wobei aber – da Alkoholabhängigkeit sehr schambesetzt ist – nicht mit einem sofortigen „Geständnis" zu rechnen ist. Es sollten langwierige Diskussionen vermieden werden und lediglich der Zusammenhang mit dem vermuteten Alkoholkonsum und den verminderten Arbeitsleistungen aufgezeigt beziehungsweise eine Verbesserung der Leistung eingefordert werden. In weiteren Gesprächen werden dann im Rahmen eines für das jeweilige Unternehmen zu entwickelnden Stufenplans durchaus auch Konsequenzen gesetzt. Diese müssen jedoch immer mit Hilfestellungen gekoppelt werden, da der Betroffene in der Regel ohne Behandlung nicht in der Lage ist, seine Arbeitsleistung zu verbessern. Diese Maßnahmen sollten allen Mitarbeitern bekannt sein, wie überhaupt sämtliche innerbetriebliche Präventions- und Hilfsmaßnahmen möglichst transparent gehandhabt werden sollten.
© Copyright 2024 ExpyDoc