Die drei grössten Probleme: Arbeitslosigkeit, Ausländer und

Die drei grössten Probleme:
Arbeitslosigkeit, Ausländer und
Altersvorsorge
Credit Suisse Sorgenbarometer 2015
Schlussbericht
39. Credit Suisse Sorgenbarometer
Im Auftrag des Bulletin der Credit Suisse
September 2015
Projektteam
Claude Longchamp Politikwissenschafter,
Lehrbeauftragter der Universitäten Bern, Zürich und St. Gallen
Lukas Golder Politik- und Medienwissenschafter
Martina Mousson Politikwissenschafterin
Cloé Jans Politikwissenschafterin
Stephan Tschöpe Politikwissenschafter
Johanna Schwab Sekretariat und Administration
Sabrina Schüpbach Sozialwissenschafterin
Inhaltsverzeichnis
1
EINLEITUNG ................................................................................................3
1.1 Fragestellungen ....................................................................................3
1.2 Datenbasis ............................................................................................4
2
BEFUNDE .....................................................................................................6
2.1 Problembewusstsein ............................................................................6
2.1.1
Aktuelles Problembewusstsein ................................................6
2.1.2
Problembewusstsein im Zeitvergleich ...................................11
2.2 Künftige Probleme und politische Ziele ..............................................21
2.3 Wirtschaftliches Umfeld .....................................................................25
2.3.1
Persönliche wirtschaftliche Situation .....................................25
2.3.2
Allgemeine Wirtschaftslage ....................................................29
2.4 Kritik und Vertrauen in Institutionen ...................................................31
2.4.1
Wirtschaftsversagen vs. Politikversagen ................................31
2.4.2
Vertrauen in verschiedene Akteure ........................................35
3
SYNTHESE .................................................................................................40
4
ANHANG ....................................................................................................42
4.1 gfs.bern-Team .....................................................................................42
Bern, der 14. September 2015
Copyright by gfs.bern
Für die Publikation bestimmt
Publikation im Rahmen des Bulletins der Credit Suisse
2
1
Einleitung
1.1
Fragestellungen
Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch ihre Fähigkeit aus, sich selber zu
beobachten. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist hohe Verbreitung und Nutzung von Massenmedien, wie Zeitungen, Fernsehen oder des Internets (sogenannte Mediengesellschaft). Öffentlichkeit entsteht heute weniger durch die
Begegnung auf dem Markt oder die Versammlung von Gesinnungsgenossen
sondern wird massenmedial hergestellt. Die mediale Öffentlichkeit ist dabei
eine konstruierte Öffentlichkeit, deren Entstehung eigenen Gesetzen folgt und
stets nur einen Teil der Realität widerspiegelt. Aus diesem Grund ist es essenziell, diese sogenannte Medienrealität durch andere Formen der Selbstreflexion
zu spiegeln.
Zu den zentralen Möglichkeiten der selbstreflexiven Berichterstattung ausserhalb der Massenmedien zählt im Speziellen die Umfrageforschung. Um es
gleich vorwegzunehmen: Auch die Umfrageforschung ist zu gewissen Teilen
selektiv, die Auswahl erfolgt aber anders: Es wird ein Bild der Befindlichkeit der
Bürgerinnen und Bürger vermittelt, egal ob sich diese in der medialen Realität
ausdrückt oder nicht. So kann erfasst werden, wie sich Menschen verhalten,
was sie denken, wie sie sich informieren und welche Schlüsse sie daraus in
einer konkreten Situation ziehen.
Sowohl die Medienrealität als auch Resultate der Umfrageforschung sind (im
Idealfall kombiniert), nebst der eigenen Erfahrung, die wichtigste Referenz für
die Politik, wenn es darum geht Entscheidungen zu treffen. Politische Akteure
wollen wissen, eine Entscheidung für die Menschen als Bürgerinnen und Bürger oder als Wählende von Belang ist und ob sie diese unterstützen oder ablehnen.
Das Forschungsinstitut gfs.bern geht im Sorgenbarometer genau diesen Fragen nach. Von Interesse ist, welche politischen Fragen und Themenbereiche
den Stimmberechtigten besonders grosse Sorgen bereiten. Weiter wird ermittelt, wo die Bürgerinnen und Bürger Prioritäten setzen, wenn sie Dringliches
von weniger Dringlichem unterscheiden müssten, respektive in welche Hierarchie identifizierte Probleme gebracht werden.
Auf den Punkt gebracht, verfolgt man mit der Studie das Ziel, den politischen
Problemhaushalt der Bürgerinnen und Bürger kennenzulernen.
Das Sorgenbarometer ist ein Monitor der Meinungen der Bürgerinnen und Bürger, also der stimmberechtigten Menschen in der Schweiz. Seine Definition
lautet:
Das Sorgenbarometer ist ein demoskopisches Informationssystem zur Beobachtung der BürgerInnen-Meinungen in der Schweiz über politisch prioritäre
Probleme und ihre Entwicklungen. Die Bürgerschaft wird mit der stimm- und
wahlberechtigten Bürgerschaft gleich gesetzt.
3
Monitoren ist eigen, dass sie auf Zeit angelegt sind. Damit werden nicht nur
momentane Stimmungslagen und Meinungen aufgenommen, sondern auch
längerfristig gültige Trends in Einstellungen und Verhaltensweisen ermittelt.
Dies wird nicht zu allen Themen gemacht, sondern meist zu einer spezifischen
Fragestellung. Beim Sorgenbarometer stehen seit über zehn Jahren drei mehr
oder weniger konstante Fragestellungen im Zentrum. Sie lauten konkret:
Was sind die grössten Sorgen der stimmberechtigten Schweizerinnen und
Schweizer und wo liegt deren Priorität in der Problemwahrnehmung?
Wie nehmen die BürgerInnen das wirtschaftliche Umfeld wahr?
Wie beurteilen sie die gesellschaftlichen und politischen Institutionen?
Diese Fragen bilden auch das Rückgrat der Berichterstattung zum Sorgenbarometer 2015. Da das Sorgenbarometer bereits seit 1995 in der heute gültigen
Form erstellt wird, können systematische Vergleiche über die Zeit gemacht
werden.
Um der aktuellen wirtschaftlichen Situation und dem internationalen Umfeld, in
dem sich die Schweiz befindet, besser Rechnung tragen zu können, wurde der
Fragebogen des Sorgenbarometers ab 2009 leicht angepasst. Diese Anpassungen beziehen sich zum einen auf die möglichen Problemfelder und wahrgenommenen Stärken und Schwächen der Schweiz. Hier wurden neben möglichen aktuellen Problemen (z.B. Benzin-/Erdölpreis, Börsenkrise, Finanz-/
Bankenkrise, religiöser Fundamentalismus, Bankkundengeheimnis und Seuchen) weitere Präzisierungen der bestehenden Probleme vorgenommen (z.B.
Ergänzung der Wirtschaftsentwicklung um die Begriffe Wirtschaftskrise und
Konjunktur). Zum anderen wurden neue Items rund um die Eurokrise in die
Sorgenliste integriert. Im Lichte des rasanten Fortschreitens der Digitalisierung
immer breiterer Lebensbereiche vieler Stimmbürgerinnen und Stimmbürger
schien es angezeigt, dieser Entwicklung ebenfalls Rechnung zu tragen. Der
Fragebogen wurde dieses Jahr entsprechend ergänzt.
Wie oben beschrieben, ist die Sorgenwahrnehmung einer jeden Person stark
durch (externe) Kontextfaktoren geprägt: Weltweite aber auch regionale Geschehnisse und deren Vermittlung durch die Massen- und immer mehr auch
die Sozialen Medien sind dabei entscheidend. Das Jahr 2015 wartet dabei mit
diversen Ereignissen und Entwicklungen auf, die es sich beim Lesen und Interpretieren der vorliegenden Studie stets vor Augen zu halten lohnt: Seit der unvermittelten Aufhebung der Franken-Untergrenze zum Euro im Februar ist die
erstarkte Schweizer Währung ein permanentes Thema, mitunter auch im Hinblick auf die unvorhersehbaren mittel- und langfristigen Folgen für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Die Debatte um die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative stellt die Schweiz aktuell ebenso vor eine Herausforderung
wie auch der Umgang mit den Krisenherden Syrien und Afrika. Nicht zuletzt
schliesslich gilt es zu bedenken, dass es 2015 ein neues nationales Parlament
zu wählen galt und auch der Bundesrat neu bestellt wird. All diese Faktoren
entscheiden nicht alleine über die Problemwahrnehmung in der Bevölkerung,
sie können aber, das hat sich in der Vergangenheit wiederholt gezeigt, als
mächtiger Katalysator dienen.
1.2
Datenbasis
Grundlage des Sorgenbarometers ist eine jährliche Befragung der Stimmberechtigten in der ganzen Schweiz. Die Daten werden mittels persönlicher Interviews (so genannter Face-to-Face-Interviews) erhoben. Die Interviews wurden
zwischen dem 24. Juli und dem 17. August 2015 durchgeführt. Insgesamt
wurden 1'009 repräsentativ ausgewählte Personen befragt.
4
Tabelle 1
Technischer Kurzbericht Sorgenbarometer 2015
Auftraggeber
Credit Suisse
Grundgesamtheit
Stimmberechtigte mit Wohnsitz in der Schweiz
Herkunft der Adressen
Telefonverzeichnis der Swisscom (gepoolt)
Datenerhebung
Face-to-Face
Art der Stichprobenziehung
geschichtet nach
Zufallsauswahl der Orte, Quotenauswahl der Befragten,
Sprachregion
Befragungszeitraum
24.07. – 17.08.2015
Mean Day 05.08.2015
Stichprobengrösse
minimal 1'000, effektiv 1'009
n DCH: 709, n WCH: 250, n ICH: 50
Stichprobenfehler
±3.1 Prozent bei 50/50 und 95-prozentiger
Wahrscheinlichkeit
Quotenmerkmale
Geschlecht/Alter interlocked
Befragungsdauer
Mittel
Standardabweichung
63 Minuten
5.8 Minuten
Publikation
2. Dezember 2015
© gfs.bern, Sorgenbarometer 2015
Angaben aus repräsentativen Stichprobenerhebungen unterliegen einem statistischen Stichprobenfehler. Dieser resultiert daraus, dass man nur einen zufällig
ausgewählten Teil und nicht alle Mitglieder der Grundgesamtheit aller Schweizer Stimmberechtigten befragt hat. Dabei gilt: Je mehr Mitglieder der Grundgesamtheit interviewt werden, desto mehr nähert sich das Befragungsergebnis
dem Resultat in der Bezugsgruppe an. Die Annäherung flacht ab, je mehr Interviews realisiert werden. Aufgrund des abnehmenden Grenznutzens wird die
Entscheidung für die zu realisierende Zahl Interviews anhand der Abwägung
von Aufwand und Ertrag gefällt. Im Falle des Sorgenbarometers wurden 1'009
Personen befragt. Der so verbleibende statistische Stichprobenfehler beträgt
±3.1 Prozentpunkte. Das heisst, dass ein Wert, der mit 50 Prozent angegeben
wird, (mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit) zwischen 46.9 und 53.1 Prozent
liegt. Maximale Abweichungen sind dabei unwahrscheinlich, minimale wahrscheinlicher.
Die Interviews wurden vom gfs-Befragungsdienst realisiert. Zum Einsatz kamen rund 40 instruierte Befragerinnen und Befrager, welche die persönlichen
Interviews vor Ort realisierten. Die Fragebogen beinhaltete sowohl die im vorliegenden Bericht vorgestellten Fragestellungen, als auch jene, welche für den
Spezialteil des Sorgenbarometers zum Bild der Schweiz formuliert wurden.
Beide Teile wurden jeweils im gleichen Interview erfasst. Die Interviews dauerten im Durchschnitt 63 Minuten.
Die Datenanalyse erfolgte nach den üblichen statistischen Grundsätzen. Die
Kommentierung von Abweichungen innerhalb des Stichprobenfehlers ist sehr
zurückhaltend. Damit wird der Möglichkeit falscher Schlussfolgerungen Rechnung getragen. Der Zusammenhang zwischen zwei Variablen wird doppelt bestimmt: Zunächst mit Signifikanztests, dann mittels Korrelationsanalysen. Mit
ersteren sagt man aus, ob von einem Zusammenhang im statistischen Sinne
überhaupt gesprochen werden darf. Mit zweitem hat man eine Masszahl, wie
stark ein existierender Zusammenhang ist. Werden gleichzeitig mehrere Einflussfaktoren getestet, wird die Regressionsanalyse eingesetzt. Diese quantifiziert die Einflüsse der einzelnen Faktoren auf ein Ergebnis.
5
2
Befunde
2.1
Problembewusstsein
In den folgenden Kapiteln wird das Problembewusstsein der Schweizerinnen
und Schweizer aktuell und im Zeitvergleich diskutiert. In einem ersten Schritt
werden die Befunde zur ungestützten Problemwahrnehmung präsentiert. Dabei
handelt es sich um spontane Nennungen, bei welchen die Befragten ganz zu
Beginn der Befragung gebeten werden – ohne Input durch Fragebogen oder
Befragerin - jene fünf Probleme zu nennen, die in ihren Augen in der Schweiz
aktuell am dringlichsten sind. In einem nächsten Schritt wird eine differenziertere, da gestützte, Auseinandersetzung mit verschiedenen möglichen Themenbereichen erfolgen (das eigentliche Sorgenbarometer). Konkret werden den
Befragten Kärtchen mit möglichen Problemen vorgelegt, aus denen diese sodann diejenigen fünf auswählen sollen, welche sie persönlich als die wichtigsten Probleme der Schweiz erachten. Auf dieser Sorgenskala basieren die definitiven Zahlen des Sorgenbarometers, welche wir auch im Trend auswerteten.
Die Befragten werden anschliessend gebeten, von den zuvor bezeichneten fünf
Problemen dasjenige auszuwählen, welches ihrer Meinung nach am dringendsten einer Lösung bedarf. Das Ranking des dringendsten Problems beruht auf
dieser Fragestellung.
2.1.1 Aktuelles Problembewusstsein
Nimmt man die Arbeitslosenquote als Referenz, so kam gerade die Schweiz in
Anbetracht der ökonomischen Turbulenzen der letzten Jahre vergleichsweise
glimpflich davon. Im europäischen, aber auch im breiteren internationalen Vergleich gibt es kaum ein Land, in dem weniger Personen auf Stellensuche sind
als in der Schweiz, und dennoch bleibt die Arbeitslosigkeit auch dieses Jahr das
von den Stimmberechtigten mit Abstand am meisten genannte Problem. In den
unten stehenden Grafiken handelt es sich um das Abbild spontaner Nennungen
in der offenen Frage. Die Arbeitslosigkeit ist dabei das einzige Problem, das von
einer Mehrheit der Befragten spontan zu den fünf wichtigsten gezählt wird. Die
Kategorie der Ausländer- und Flüchtlingsthematik folgt zwar mit relativ grossem
Abstand an zweiter Stelle, ist aber in ihrer Salienz in keiner Weise zu unterschätzen. Zählt man nämlich die verwandte Kategorie der "Einwanderung" zur
Problemwahrnehmung dazu, so sind es immerhin 48 Prozent der SchweizerInnen, die im Zusammenhang mit der Migrationsthematik in einem solchen Bereich ein Problem wahrnehmen. Sorgen bereiten überdies auch der Bereich der
Gesundheit und Gesundheitsversorgung (23%), die Frankenstärke (17%), die
soziale Sicherheit (14%) sowie Europa oder die Wirtschafslage (je 13%).
Neu im Vergleich zum letzten Jahr ist indes insbesondere die sich manifestierende Problemwahrnehmung im Zusammenhang mit dem von diversen Befragten beklagten Desinteresse grosser Teile der Bevölkerung – nicht zuletzt der
jungen Bevölkerung – gegenüber der Entwicklung der Schweiz als Land und
Gesellschaft. Politische Abstinenz, Wertezerfall und eine zunehmende Individualisierung der Gesellschaft wird von 13 Prozent der Befragten spontan als eines
der fünf grössten Probleme der Schweiz genannt.
6
Grafik 1
Die fünf wichtigsten Probleme der Schweiz
"Welches sind heute Ihrer Meinung nach die fünf wichtigsten Probleme der Schweiz?"
in % Stimmberechtigter
Arbeitslosigkeit
51
Ausländer/Flüchtlinge
32
Gesundheit
23
starker Franken
17
Einwanderung
16
AHV/IV
16
Desinteresse
14
Soziale Sicherheit
14
Europa
13
Wirtschaftslage
13
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
Die oben abgebildete Problemwahrnehmung bleibt in den groben Zügen im
Rahmen der mittels Kartensets gestützten Problemhierarchisierung (Sorgenbarometer) bestehen. Hier sind es noch klarer drei grobe Themenkomplexe, welche die Top-Fünf der aktuellen Problemwahrnehmung der Schweizer Stimmbevölkerung bestreiten: Die Sorgen um Migration, die Arbeitslosigkeit und die
Entwicklung respektive Sanierung der Altersvorsorge. Im deutlich grösseren
Ausmass als noch vor einem Jahr bereitet den Schweizerinnen und Schweizern
zudem auch die Beziehung zur Europäischen Union Sorgen. Diese Sorgen sind
dabei sowohl ökonomischer (Euro-Krise/Frankenstärke) als auch rechtlichstruktureller Natur (Europäische Integration, Bilaterale).
Als ungefähr gleich problematisch wie auch im letzten Jahr werden die persönliche Sicherheit (17%), Umweltschutz (15%) und auch die neue Armut (15%)
wahrgenommen. Die anhaltende Datenschutz-Debatte, stets neu aufgedeckte
Überwachungsskandale oder Berichte über Hacker-Attacken dürften schliesslich dazu beitragen, dass die Sicherheit im Internet und Cyber-Spionage neu
deutlich breiter als Problem (14%) wahrgenommen werden als noch letztes
Jahr.
7
Grafik 2
Problembewusstsein 2015 (1)
"Auf diesen Kärtchen sehen Sie einige Themen, über die in der letzten Zeit viel diskutiert und geschrieben
worden ist: Sehen Sie sich bitte alle Kärtchen an, und legen Sie mir dann von allen Kärtchen jene fünf heraus,
die Sie persönlich als die fünf wichtigsten Probleme der Schweiz ansehen."
in % Stimmberechtigter
AusländerInnen
43
Arbeitslosigkeit
41
AHV/Altersvorsorge
38
Flüchtlinge/Asyl
35
Jugendarbeitslosigkeit
26
Euro-Krise/Euro-Kurs
24
EU/Bilaterale/Integration
24
Gesundheit,
Krankenkassen
22
persönliche Sicherheit
17
Umweltschutz
15
neue Armut
15
Sicherheit im
Internet/Cyber-Spionage
14
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
Die Energie-Frage ist aktuell eines der Probleme, das die (politische) Elite stark
beschäftigt: Mehrere Volksinitiativen ("Energie statt Mehrwertsteuer", "Stromeffizienz) setzen sich mit der Thematik auseinander und die Energiestrategie
2050 wird nicht nur im Parlament ausführlich behandelt, sondern veranlasst
aktuell auch diverse Wirtschaftsverbände und Unternehmen zur Lancierung
1
einer Kampagne zu deren Umsetzung. Das Stimmvolk indes zählt die
(Kern)Energie-Frage nicht – und dies insbesondere auch im Vergleich zu 2014 –
zu den wichtigsten Problemen, die es in der Schweiz aktuell zu lösen gilt, sondern räumt ihr allenfalls eine mittlere Dringlichkeit ein.
Die Schlusslichter in der Problemwahrnehmung bilden dieses Jahr erneut die
Themen Gleichstellung, Bildungswesen und Landwirtschaft (je 3%).
Grafik 3
Problembewusstsein 2015 (2)
Problembewusstsein 2015 (3)
"Auf diesen Kärtchen sehen Sie einige Themen, über die in der letzten Zeit viel diskutiert und geschrieben
worden ist: Sehen Sie sich bitte alle Kärtchen an, und legen Sie mir dann von allen Kärtchen jene fünf heraus,
die Sie persönlich als die fünf wichtigsten Probleme der Schweiz ansehen."
in % Stimmberechtigter
"Auf diesen Kärtchen sehen Sie einige Themen, über die in der letzten Zeit viel diskutiert und geschrieben
worden ist: Sehen Sie sich bitte alle Kärtchen an, und legen Sie mir dann von allen Kärtchen jene fünf heraus,
die Sie persönlich als die fünf wichtigsten Probleme der Schweiz ansehen."
in % Stimmberechtigter
Drogen/Alkohol
13
Zusammenleben
7
(Kern)Energie
13
Globalisierung
7
Sozialpartnerschaft
7
soziale Sicherheit
12
Inflation/Teuerung
11
Löhne
10
Terrorismus/ Extremismus
Armeefragen
7
Religiöser
Fundamentalismus
10
6
Benzin-/Erdölpreise
Rassismus/
Fremdenfeindlichkeit
10
Bundesfinanzen
9
Bankkundengeheimnis/
Steuerstreit
9
Bankenkrise
9
Verkehr/Neat
8
5
persönliches Fehlverhalten
von Politikern
5
Reform des Staates
5
Schwächen direkter
Demokratie
Landwirtschaft
3
3
3
Familienpolitik/Kinder
7
Bildungswesen
Wirtschaftskrise/entwicklung/Konjunktur
7
Gleichstellung
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
4
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
1
NZZ vom 28.08.2015: "Verbände ringen um Energie". Online im Internet
[http://www.nzz.ch/schweiz/verbaende-ringen-um-energie-1.18603912]
8
Die immer konservativere Wertelandschaft in der Agglomeration wurde in den
letzten Jahren insbesondere im Lichte gewisser Abstimmungsentscheide
(prominent hier auch das "Ja" zur Masseneinwanderungsinitiative) von Medien
und Experten thematisiert. Sorgen um Migration und Euroskeptizismus sind, so
die Einschätzung, in den Agglomerationen besonders verbreitet. Die vorliegende Untersuchung zeigt nun, dass die Top-Drei der wichtigsten Probleme insgesamt zwar dieselbe bleibt, auch wenn nach Siedlungsraum unterschieden wird.
Aber es bestehen dennoch klare Nuancen in der Problemhierarchisierung, die
durchaus im Einklang mit der oben suggerierten Lesensweise stehen: In den
kleinen und mittleren Agglomerationen bereiten AusländerInnen 10 Prozent
mehr Stimmberechtigten Sorgen als dies bei auf dem Land oder in den grossen
Agglomerationen respektive Städten wohnhaften Schweizerinnen und Schweizern der Fall ist. Ebenfalls mehr Sorgen als anderswo macht man sich in den
kleinen und mittleren Agglomerationen im Zusammenhang mit Flüchtlingen
und Asylsuchenden, der Europäischen Integration oder der Euro-Krise. In den
(häufig) strukturschwachen ländlichen Regionen übertrifft dagegen beispielsweise die Angst vor Arbeitslosigkeit die Sorgen im Zusammenhang mit der
Ausländerfrage. Auch die Frage der Jugendarbeitslosigkeit bereitet primär auf
dem Land und in der Stadt Sorgen (je 30%) während dieses Problem die
Stimmberechtigten in den kleinen und mittleren Agglomerationen deutlich weniger umtreibt (18%).
Grafik 4
Problembewusstsein 2015 nach Siedlungsart
"Auf diesen Kärtchen sehen Sie einige Themen, über die in der letzten Zeit viel diskutiert und geschrieben
worden ist: Sehen Sie sich bitte alle Kärtchen an, und legen Sie mir dann von allen Kärtchen jene fünf heraus,
die Sie persönlich als die fünf wichtigsten Probleme der Schweiz ansehen."
in % Stimmberechtigter
45
39
39
43
39
36
38
36
38
36
30 30
31
27
28
24
25
22
18
20
25
19
21 21 18
15
persönliche Sicherheit
Gesundheit, Krankenkassen
Euro-Krise/Euro-Kurs
EU/Bilaterale/Integration
Jugendarbeitslosigkeit
Flüchtlinge/Asyl
AHV/Altersvorsorge
Arbeitslosigkeit
14
AusländerInnen
ländlich
16
14
Umweltschutz
49
kleine/mittlere
Agglomeration
grosse
Agglomeration
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
Klare Differenzen im Problembewusstsein der Schweizer Stimmbevölkerung
ergeben sich auch je nach Sprachregion. Die vorliegenden Resultate legen dabei zwischen der Romandie und der Deutschschweiz unter anderem eine leicht
unterschiedliche Leseweise der Wahrnehmung der Überfremdungsfrage nahe:
Die Kategorie "AusländerInnen" wird in der Romandie deutlich häufiger genannt
als in der Deutschschweiz während dort dafür umso mehr auf die Flüchtlingsund Asylfrage verwiesen wird. Das Bild des "Fremden" scheint somit im durch
den starken Grenzverkehr mit Frankreich geprägten Westen der Schweiz ein
anderes zu sein, als dies in der Deutschschweiz der Fall ist, wo häufig Auseinandersetzungen um die Unterbringung von und den Umgang mit Asylsuchenden Thema sind.
9
Auffallend sind zudem auch die grossen sprachregionalen Diskrepanzen in der
Problemwahrnehmung bei der Arbeitslosigkeit, der AHV/Altersvorsorge und der
Euro-Krise.
Grafik 5
Problembewusstsein 2015 nach Sprachregion
"Auf diesen Kärtchen sehen Sie einige Themen, über die in der letzten Zeit viel diskutiert und geschrieben
worden ist: Sehen Sie sich bitte alle Kärtchen an, und legen Sie mir dann von allen Kärtchen jene fünf heraus,
die Sie persönlich als die fünf wichtigsten Probleme der Schweiz ansehen."
in % Stimmberechtigter
46
48
49
37
40
38
36
27
34
26
31
23
24
18
20
20
19
16
17
DCH
FCH
Umweltschutz
persönliche Sicherheit
Gesundheit,
Krankenkassen
EU/Bilaterale/Integration
Euro-Krise/Euro-Kurs
Jugendarbeitslosigkeit
Flüchtlinge/Asyl
AHV/Altersvorsorge
Arbeitslosigkeit
AusländerInnen
12
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
Wie auch bereits in der letzten Befragung sind kaum geschlechterspezifische
Unterschiede im Problembewusstsein auszumachen. Einzig in der EU-Frage
äussern sich die Männer stärker besorgt als die Frauen, während sich letztere
dafür stärker um das Gesundheitswesen und den Umweltschutz sorgen.
Grafik 6
Problembewusstsein 2015 nach Geschlecht
"Auf diesen Kärtchen sehen Sie einige Themen, über die in der letzten Zeit viel diskutiert und geschrieben
worden ist: Sehen Sie sich bitte alle Kärtchen an, und legen Sie mir dann von allen Kärtchen jene fünf heraus,
die Sie persönlich als die fünf wichtigsten Probleme der Schweiz ansehen."
in % Stimmberechtigter
43
42
42
38
40
35
38
35
26
28
26
22
23
24
25
17
20
16
17
13
Mann
Umweltschutz
persönliche Sicherheit
Gesundheit,
Krankenkassen
Euro-Krise/Euro-Kurs
EU/Bilaterale/Integration
Jugendarbeitslosigkeit
Flüchtlinge/Asyl
AHV/Altersvorsorge
Arbeitslosigkeit
AusländerInnen
Frau
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
10
Wenn nun aus allen den vorliegenden Problemen eines identifiziert werden
muss, das es als erstes zu lösen gilt, so ändert sich nichts an der Auswahl der
Top-Zehn und nur wenig an den Prioritäten. Die Arbeitslosigkeit schwingt dabei
aber wieder knapp obenaus.
Grafik 7
Dringendstes Problem 2015 (1)
"Und welches dieser fünf wichtigsten Probleme müsste Ihrer Ansicht nach an erster Stelle gelöst werden?"
in % Stimmberechtigter
Arbeitslosigkeit
11
AusländerInnen
10
AHV/Altersvorsorge
10
Flüchtlinge/Asyl
9
Jugendarbeitslosigkeit
6
Gesundheit,
Krankenkassen
5
EU/Bilaterale/Integration
5
Euro-Krise/Euro-Kurs
4
persönliche Sicherheit
4
Umweltschutz
3
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
2.1.2 Problembewusstsein im Zeitvergleich
Im Rahmen dieses Unterkapitels sollen die zeitlichen Entwicklungen einzelner
Probleme beschrieben werden. Zum Anfang wird indes eine Übersicht des
Problembewusstseins im Trend betrachtet. Diese deckt insbesondere zeitliche
Veränderungen der Rangfolge der wichtigsten Probleme auf. Entwicklungen
der wichtigsten Probleme und deren thematischen Verwandten werden in der
Folge ausführlicher beschrieben. Dabei wird insbesondere auf jene Probleme
genauer eingegangen die, wie oben beschrieben, die wichtigsten Entwicklungen dieses Jahr zusammenfassen: Arbeitslosigkeit, die Migrations-Frage und
die Sanierung der Altersvorsorge.
11
Grafik 8
Trend Problembewusstsein 2003 bis 2015 (1)
"Auf diesen Kärtchen sehen Sie einige Themen, über die in der letzten Zeit viel diskutiert und geschrieben worden ist. Sehen
Sie sich bitte alle Kärtchen an, und legen Sie mir dann von allen Kärtchen jene fünf heraus, die Sie persönlich als die fünf
wichtigsten Probleme der Schweiz ansehen."
in % Stimmberechtigter
AusländerInnen
Arbeitslosigkeit*
AHV/Altersvorsorge
Flüchtlinge/Asyl
43
41
Jugendarbeitslosigkeit*
38
35
26
22
17
EU/Europa
24 24
Euro-Krise**
Gesundheit/
Krankenkassen*
Persönliche Sicherheit
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000) *neu ab 2014 getrennt befragt **neu seit 2012
Der Trend des Wachstums der Sorgen im Zusammenhang mit der AusländerInnen-Frage setzt sich seit 2009 langsam aber stetig fort (+3%-punkte im
Vergleich zu 2014). Die Bilder von überfüllten und seeuntauglichen Booten, die
ihren Weg über das Mittelmeer suchen und die nicht abreissende Berichterstattung über Konflikte im nahen und mittleren Osten oder in Afrika dürften
dazu beigetragen haben, dass auch die Flüchtlings- und Asylthematik deutlich
stärker wahrgenommen wird (+9%-punkte) – es handelt sich um den stärksten
Anstieg im direkten Vorjahresvergleich. Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit werden seit 2014 separat abgefragt und darum auch erst seit dann ausgewiesen. Generell ist – und war schon immer – Arbeitslosigkeit aber sicher
eines jener Probleme, das den Schweizerinnen und Schweizern mitunter die
grössten Sorgen bereitet. Dieser Befund ist über die Zeit und unabhängig von
der Wirtschaftslage konstant. Allerdings verstärkt sich die Priorisierung der JobFrage je nach Konjunktur mehr oder weniger. Im Vergleich zum letzten Jahr
sorgen sich die Stimmberechtigten nun stärker – sowohl um das Problem der
Arbeitslosigkeit als auch der Jugendarbeitslosigkeit (je +4%-punkte).
Nach dem "Ja" zur Masseneinwanderungsinitiative wurden gewisse Schwierigkeiten im Umgang mit der EU antizipiert. Diese sind in der Wahrnehmung der
Schweizer Stimmbevölkerung seit dem letzten Jahr eher grösser geworden
(+4%-punkte). Im Zusammenhang mit der EU haben weiter auch die Ereignisse
rund um den gefährdeten Zusammenhalt der Währungsunion und insbesondere der drohende Staatsbankrott Griechenlands ("Grexit") Spuren hinterlassen.
Heute wird die Euro-Krise als deutlich grösseres Problem wahrgenommen als
noch im letzten Jahr (+8%-punkte). Im Vergleich dazu hat sich die Problemwahrnehmung im Zusammenhang mit den stark innenpolitisch ausgerichteten
Themenfeldern AHV/Altersvorsorge und Gesundheitssystem/Krankenkassen
nicht akzentuiert. Es sind nur geringste Veränderungen innerhalb des Stichprobenfehlers deutlich zu beobachten.
Der Fukushima-Effekt ist zwischenzeitlich definitiv abgeklungen und, nebst
dem konstant nur wenig priorisierten Umweltschutz (-1%-punkt), sind auch
Energiefragen (-4%-punkte) zurück an das untere Ende der Problemhierarchie
der Stimmbevölkerung gerutscht. So kontinuierlich wie auch rasant verläuft
ausserdem auch der Abstieg der sozialen Sicherheit vom einstigen Top-Thema
im Jahr 2010 zu einem der aktuell weniger dringenden Problemen (-4%punkten). Konstant wenig priorisiert werden die Themen "neue Armut" (+1%punkt), "Rassismus" (-1%-punkt) und "Löhne" (unverändert).
12
Grafik 9
Trend Problembewusstsein 2003 bis 2015 (2)
"Auf diesen Kärtchen sehen Sie einige Themen, über die in der letzten Zeit viel diskutiert und geschrieben worden ist. Sehen
Sie sich bitte alle Kärtchen an, und legen Sie mir dann von allen Kärtchen jene fünf heraus, die Sie persönlich als die fünf
wichtigsten Probleme der Schweiz ansehen."
in % Stimmberechtigter
Umweltschutz
neue Armut
Energiefragen
soziale Sicherheit*
Inflation / Teuerung*
15 15
13 12
11
Rassismus /
Fremdenfeindlichkeit
Löhne
10 10
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000) *2009 sprachliche Präzisierungen
Die Arbeitslosigkeit prägt die Problemwahrnehmung so konstant und klar wie
nur wenige andere Themenfelder. Dabei zeigt die unten abgebildete Grafik,
dass die Sorgen der Schweizerinnen und Schweizer jeweils gut begründet sind.
Kaum ein Indikator der Problemwahrnehmung korreliert so stark mit einer verwandten realwirtschaftlichen Grösse wie die Sorge um Arbeitslosigkeit mit der
effektiven Arbeitslosenrate. Allenfalls, so kann geltend gemacht werden, reagiert die Bevölkerung in ihrer Problemwahrnehmung mit etwas Verzögerung
auf die Entwicklungen des Arbeitsmarkts – aber insgesamt scheint es fast, als
wüssten die Schweizerinnen und Schweizer sehr genau, wie sich die Arbeitslosenrate entwickelt. Seit 2013 jedoch zeichnet sich nun allerdings ab, dass diese
Korrelation so nicht mehr im gleichen und reinen Ausmass gegeben ist wie
früher: In den letzten Jahren stieg die Sorge um Arbeitslosigkeit (Arbeitslosenrate addiert) in der Bevölkerung kontinuierlich während die effektive Arbeitslosenrate nun das dritte Jahr in Folge ungefähr gleich bleibt.
Grafik 10
Trend: Problembewusstsein 1988 bis 2015
"Arbeitslosigkeit" (bis 2008) / "Arbeitslosigkeit/Jugendarbeitslosigkeit" (ab 2009)
Problembewusstsein Arbeitslosigkeit addiert
in % Stimmberechtigter, bzw. in % Arbeitslosenquote
Problembewusstsein Arbeitslosigkeit
89
Problembewusstsein Jugendarbeitslosigkeit
5.2
83
Arbeitslosenquote in %
4.7
Jugendarbeitslosenquote in %
81
70
74
73
69
67
71
76
66
66
75
4.2
57
3.9
52
3.9
3.7
57
56
53
3.8
45
49
2.7
52
3.7
3.2
49
3.2
3.2
3.5
34
2.6
2.8
2.8
44
2.5
1.7
26
2014
2015**
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
22
1992
1991
21
1990
1989
41
36
1.8
1988
3.1
2.9
34
27
3.4
51
Bemerkung: ab 2014 Arbeitslosigkeit/Jugendarbeitslosigkeit getrennt befragt – ab 2014 wird für diese Darstellung in
"Arbeitslosigkeit addiert" die mathematisch vereinigte Menge ausgewiesen.
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
*Werte Arbeitslosenquote von 1995-2015 (Seco)
** Arbeitslosenquote Juli 2015
13
Nimmt man eine differenziertere Betrachtung der Bevölkerung hinsichtlich der
Ausprägung der Sorge um die Arbeitslosigkeit vor, so ist vor allem Anderen die
politische Entscheidung relevant. Personen, die sich links oder in der Mitte des
politischen Spektrums einordnen, empfinden Arbeitslosigkeit mit 43 Prozent
signifikant stärker als Problem als Personen, die sich eher rechts einordnen
würden (31%). Darüber hinaus jedoch sind es erstaunlicherweise nicht soziodemografische Variablen wie das Einkommen oder auch das Bildungsniveau,
welche die Sorge um das Problem der Arbeitslosigkeit determinieren, sondern
viel eher geografische respektive siedlungsstrukturelle Merkmale: In der Romandie ist die Problemwahrnehmung von Personen mit Parteibindung um 13
Prozent höher als in der Deutschschweiz und im Tessin. In genau diesen beiden Sprachregionen schliesslich ist das Problembewusstsein auf dem Land und
in den kleineren und mittleren Agglomerationen um ganze 28 Prozent höher als
in den Städten.
Grafik 11
Profilbaum Problembewusstsein Arbeitslosigkeit
Profilbaum Problembewusstsein Jugendarbeitslosigkeit
in % Stimmberechtigter
in % Stimmberechtigter
Total (N = 1009)
Ja 26% Nein 74%
Total (N = 1009)
Ja 41% Nein 60%
pol. Einstellung
Links/Mitte (n = 814)
Ja 43% Nein 57%
FCH (n = 192)
Ja 53% Nein 47%
pol. Einstellung
Rechts (n = 195)
Ja 31% Nein 69%
bis 25-jährig (n = 100)
Ja 47% Nein 53%
26 bis 38-jährig (n = 204)
Ja 29% Nein 71%
39-jährig und älter (n = 705)
Ja 22% Nein 78%
DCH/ICH (n = 622)
Ja 40% Nein 60%
Grossstädte/
ländlich (n = 125)
Ja 37% Nein 63%
ländlich; kleine/mittlere
Agglo (n = 114)
Ja 64% Nein 36%
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
kleine/mittlere Agglo
(n = 79)
Ja 18% Nein 82%
Grossstädte/
ländlich (n = 448)
Ja 25% Nein 75%
kleine/mittlere Agglo
(n = 257)
Ja 17% Nein 83%
Grossstädte
(n = 78)
Ja 36% Nein 64%
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
Lesebeispiel: Erklärungsfaktoren, die besser helfen, das Problembewusstsein korrekt vorauszusagen, sind in einer höheren Position aufgeführt
(1. Reihe vs. 2. Reihe). Erklärungsfaktoren, die in der Baumstrukturanalyse keinen signifikanten Eigenwert haben, sind nicht aufgeführt. Erklärungsfaktoren einer vorhandenen untergeordneten Ebene haben jeweils nur auf die einzelne Ausprägung der übergeordneten Ebene selbst einen
signifikanten Einfluss.
Im konkreten Fall der Jugendarbeitslosigkeit entscheidet in naheliegender Weise vor allem anderen das Alter über die Problemwahrnehmung. Direkt betroffene Junge bis 25 Jahre machen sich mit Abstand die grössten Sorgen um
Jugendarbeitslosigkeit (47%). Über das Alter hinaus jedoch ist auch hier der
Wohnort erneut die entscheidende Determinante. Wie bereits in der Grafik
oben dargestellt, machen sich Stimmberechtigte auf dem Land und in grossen
Städten (bei Personen im Alter zwischen 26 und 38 Jahren) deutlich mehr Sorgen um Jugendarbeitslosigkeit als Stimmberechtigte, die in kleinen oder mittleren Agglomerationen leben.
Wie bei der Arbeitslosenrate (wenn auch im weniger grossen Ausmass) verläuft auch die Entwicklung der vom BFS ausgewiesenen Zahl der Einwanderung der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung ähnlich wie die Problemwahrnehmung im Zusammenhang mit den Themen AusländerInnen und Integration. Sie steigt seit 2009 mehr oder minder kontinuierlich an und erreicht
dieses Jahr einen neuen Höchststand. Leider liegen vom Bundesamt für Statistik für die Anzahl gemeldeter Einwanderung nur Zahlen bis ins Jahr 2013 vor.
Es bleibt also noch offen, inwiefern die Korrelation des Problembewusstseins
mit den realen Entwicklungen weiterhin bestehen bleibt.
14
Grafik 12
Trend: Problembewusstsein 1996 bis 2015
"AusländerInnen/Integration" (bis 2008) / "AusländerInnen/Integration/Personenfreizügigkeit" (ab 2009)
167'248
in % Stimmberechtigter, bzw. in Anzahl gemeldeter Personen
161629
151'002
138269
139495
99746
22
22
21
84200
72202
74359
69604
27 107177
24
100834
22
37
30
105014
98812
24
40
37
36
35
143855
43
140'508
31
99091
23
24
22
83677
19
18
Problembewusstsein
AusländerInnen/Integration
Anzahl gemeldeter Einwanderungen
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011**
2012
2013
2014
2015
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
*Werte Einwanderung der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung 1996-2013, in Anzahl gemeldeter Personen (Bundesamt für Statistik)
** Ab 2011 Wechsel des Produktionsverfahrens und neue Definition der ständigen Wohnbevölkerung, die zusätzlich Personen im Asylprozess mit
einer Gesamtaufenthaltsdauer von mindestens 12 Monaten umfasst.
Wie der unten stehende Profilbaum zeigt, ist der Sprachraum – auch hier abgesehen von der politischen Einstellung – die entscheidende Determinante für die
Problemwahrnehmung in Ausländerfragen. Insbesondere in der italienischsprachigen Schweiz ist man über die Ausländerfrage besorgt (66%). In der
Deutschschweiz und in der französischsprachigen Schweiz teilt diese Sorge
dagegen eine prozentuale Minderheit. Interessant ist dabei, dass die AusländerInnen-Frage in der traditionell als offener geltenden (46%) Romandie mehr
Stimmberechtigte beschäftigt, als dies in der Deutschschweiz (40%) der Fall
ist. Allerdings hat sich hier der Unterschied seit 2014 erneut verkleinert.
Grafik 13
Profilbaum Problembewusstsein Ausländerfragen
Trend Problembewusstsein 2008 bis 2015 nach Sprache
AusländerInnen
"Auf diesen Kärtchen sehen Sie einige Themen, über die in der letzten Zeit viel diskutiert und geschrieben worden ist. Sehen
Sie sich bitte alle Kärtchen an, und legen Sie mir dann von allen Kärtchen jene fünf heraus, die Sie persönlich als die fünf
wichtigsten Probleme der Schweiz ansehen."
in % Stimmberechtigter
Total (N = 1009)
Ja 43% Nein 57%
in % Stimmberechtigter
ICH (n = 50)
Ja 66% Nein 34%
DCH/FCH (n = 959)
Ja 42% Nein 58%
DCH: AusländerInnen
pol. Einstellung
Links/Mitte (n = 773)
Ja 39% Nein 61%
pol. Einstellung
Rechts (n = 186)
Ja 51% Nein 49%
62
58
66
46
FCH (n = 192)
Ja 46% Nein 54%
DCH (n = 581)
Ja 37% Nein 63%
36
33
20
33
2008
36
24
8
16
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
50
41
25
24
22
ICH: AusländerInnen
39
39
2009
2010
2011
FCH: AusländerInnen
35
36
2013
2014
46
40
23
2012
2015
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
Während sowohl Ausländerzahlen als auch die Sorge darum Jahr für Jahr steigen, waren die Anzahl eingereichter Asylgesuche und auch die damit einhergehende Problemwahrnehmung über eine Dekade (1999-2009) in der Tendenz
rückläufig. Seit 2009 hingegen ist eine Umkehr dieses Trends zu beobachten.
Nachdem man sich in den letzten zwei Jahren eher wieder etwas weniger Sorgen um Asylsuchende gemacht hat, ist 2015 diesbezüglich wieder ein äusserst
klarer Sprung nach oben ersichtlich. Bilanz über die effektive Anzahl eingereichter Asylgesuche kann erst Ende dieses Jahres gezogen werden. Vergleicht
man jedoch die vom Bundesamt für Statistik ausgewiesene Anzahl Personen
15
im Asylverfahren im August dieses Jahres mit jener im August letzten Jahres,
2
so ist aktuell ein um rund 15 Prozent höherer Stand zu verzeichnen. Die Vermutung liegt somit nahe, dass sich auch dieses Jahr grosse Parallelen zwischen der realen Entwicklung im Asylwesen und dem damit zusammenhängenden Problembewusstsein der Bevölkerung zeigen werden.
Grafik 14
Trend: Problembewusstsein 1995 bis 2015
"Flüchtlinge/Asyl"
Problembewusstsein Asyl
Anzahl Asylgesuche
in % Stimmberechtigter, bzw. in Anzahl Asylgesuche
47513
56
42979
45
47
43
41
39
36
28631
32
31
30
28
25507
25
26987
30
21854
19750
19418
32
16005 19
21759
21465 26
16606
21
17021
15061
17
10795 11173
1995
28 23765 29000
22551
26
35
1997
1999
2001
2003
2005
15567
10844
2007
2009
2011
2013
2015**
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
*Werte der Asylgesuche von 1995-2014, in Anzahl gemeldeter Gesuche (Bundesamt für Statistik, 2014 Bundesamt für Migration), Zahlen für 2015
stellt eine Schätzung des SEM dar. **Projektion gemäss Staatssekretariat für Migration (Stand 20. Juli 2015)
Dagegen scheinen weder Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, noch Sorgen
um das generelle Zusammenleben in der Schweiz etwas zu sein, das die
Stimmberechtigten prioritär als Problem erachten (siehe Trend-Grafik Problembewusstsein oben). Im Vergleich zum letzten Jahr ist in beiden Fällen auf tiefem Niveau kaum eine Veränderung ersichtlich.
Der Zustand der Altersvorsorge dagegen bereitet den Stimmberechtigten
Schweizerinnen und Schweizern seit vielen Jahren Sorgen und gehört mit Ausnahme des Jahres 2011 immer zu den Top 3 der grössten wahrgenommenen
Probleme. Das gilt auch für dieses Jahr. Allerdings hat sich die Problematik im
Vergleich zum letzten Jahr nicht akzentuiert und liegt trotz der grossen Priorität,
die dem umstrittenen Thema eingeräumt wird, deutlich unter dem Niveau der
ersten Hälfte der Nullerjahre. Möglich ist, dass die Diskussionen rund um die
"Altersvorsorge 2020" den Fokus künftig noch stärker auf dieses Thema richten
werden.
2
Bundesamt für Statistik (2015): Bestand im Asylprozess nach Kantonen (Stand: August 2015).
16
Grafik 15
Trend Problembewusstsein 1993 bis 2015
AHV / Altersvorsorge
in % Stimmberechtigter
59
51
45
39
45
2012
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
38
29
27
2002
2001
37
2000
37
36
36
2015
45
2014
49
2013
49
2011
45
1999
39
1998
36
1997
1995
28
1994
1993
33
45
1996
40
49
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
Der unten abgebildete Profilbaum zeigt nun, dass die Angst um die Altersvorsorge nicht etwas ist, das sich durch naheliegende Merkmale wie etwa das
Alter konstituiert (wie es 2014 noch der Fall war), sondern vor allem anderen
durch das Vorhandensein einer klaren Parteibindung. Dies ist ein Hinweis auf
eine zunehmend politisch aufgeladene Wahrnehmung des Problems. Personen
mit Parteibindung wurden in der Regel früh (häufig durch das Elternhaus oder
ein anderes nahes soziales Umfeld) politisch sozialisiert und sind deutlich stärker in den politischen Prozess involviert als Personen ohne Parteibindung. Interessant ist es nun zu sehen, dass es nicht darauf ankommt, welchem politischen Lager sich die Befragten zuordnen. Personen, die sich einer Partei nahe
fühlen, sorgen sich doppelt so stark um die Zukunft der Altersvorsorge wie
Stimmberechtigte mit geringerem Bezug zur politischen Arena.
Allerdings ist auch der Bildungsstand einer Person ein entscheidendes Kriterium zur Wahrnehmung der Entwicklung der AHV. Sowohl bei Personen mit
Parteibindung als auch bei jenen, die sich keiner Partei nahe fühlen, sorgen sich
primär jene Personen um die Zukunft der Altersvorsorge, die über eine niedrige
oder mittlere Bildung verfügen.
17
Grafik 16
Profilbaum Problembewusstsein AHV/Altersversicherung
in % Stimmberechtigter
Total (N = 1009)
Ja 37% Nein 63%
Parteibindung
SP/CVP/FDP.Die Liberalen/SVP
(n = 596)
Ja 44% Nein 56%
FCH (n = 163)
Ja 55% Nein 45%
Parteiungebundene/übrige
(n = 413)
Ja 28% Nein 72%
DCH/ICH (n = 433)
Ja 40% Nein 60%
tiefe/mittlere Bildung (n = 271)
Ja 46% Nein 54%
mittlere/hohe Bildung (n = 348)
Ja 25% Nein 75%
tiefe Bildung (n = 65)
Ja 48% Nein 52%
hohe Bildung (n = 162)
Ja 30% Nein 70%
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
Die Problemwahrnehmung in der Romandie liegt, wie auch im obigen Profilbaum bereits ansatzweise ersichtlich, deutlich über jener in der Deutschschweiz. Dieser Befund ist dabei mit Ausnahme des Jahres 2014 über die Zeit
weitgehend stabil.
Grafik 17
Trend Problembewusstsein 2008 bis 2015 nach Sprache
AHV/Altersvorsorge
"Auf diesen Kärtchen sehen Sie einige Themen, über die in der letzten Zeit viel diskutiert und geschrieben worden ist. Sehen
Sie sich bitte alle Kärtchen an, und legen Sie mir dann von allen Kärtchen jene fünf heraus, die Sie persönlich als die fünf
wichtigsten Probleme der Schweiz ansehen."
in % Stimmberechtigter
DCH: AHV /
Altersvorsorge
48
51
43
44
39
42
33
34
34
2009
34
33
23
2008
49
41
35
2010
2011
FCH: AHV /
Altersvorsorge
24
2012
2013
2014
2015
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
Eine gesunde und funktionierende Altersvorsorge ist ein zentraler, Sicherheit
stiftender Aspekt im Leben einer Person. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist
eine der grundlegendsten anthropologischen Konstanten. Ist die Sicherheit
gefährdet, werden andere Sorgen verdrängt; sie nehmen dann in der Regel
18
einen untergeordneten Platz ein. Dieses Sicherheitsbedürfnis wird in der
Schweiz – vielleicht abgesehen von der Sorge um die AHV – grossmehrheitlich
gestillt, wobei es zwischen persönlicher und sozialer Sicherheit zu unterscheiden gilt. Die Konjunktur des sozialen Sicherheitsgefühls folgt grosso modo dem
wirtschaftlichen Konjunkturverlauf – wenn auch mit einer gewissen zeitlichen
Verzögerung. Seit einem vorläufigen Höhepunkt im Jahr 2010 im unmittelbaren
Nachgang der Finanz- und Bankenkrise rückt diese Frage mehr und mehr aus
dem Fokus der Schweizerinnen und Schweizer. Auch die Sorgen um die persönliche Sicherheit sind seit 2006 klar wieder rückläufig.
In Bezug auf Fragen hinsichtlich der Gesundheit, Krankenkassen und Prämien
nahmen die Sorgen seit Anfang 2000 – in der Tendenz – stetig ab. Eine klare
Weiterführung dieses Trends kann insbesondere im letzten aber auch in diesem Jahr so nicht beobachtet werden. Aktuell sieht es viel eher nach einer
Stagnation der Problemwahrnehmung hinsichtlich der Gesundheits- und Krankenkassenfrage aus. Nichtsdestotrotz – verglichen mit anderen – bleibt die
Gesundheit hoch in der Priorisierung der Stimmberechtigten. Gemessen an der
fortwährend und öffentlich geführten Diskussion rund um Krankenkassenprämien ist es doch interessant zu sehen, dass sich ein Ausschlag im Prämienanstieg wie 2010 nur vergleichsweise schwach auf das Problembewusstsein
auswirkt. Dennoch ist auch zwischen diesen beiden Variablen klar eine Korrelation zu erkennen.
Grafik 18
Trend: Problembewusstsein 1993 bis 2015
Trend Problembewusstsein 1993 bis 2015
"Gesundheit/Krankenkasse" (bis 2008) / "Gesundheit/Krankenkasse/Prämien" (ab 2009)
Gesundheit / Krankenkasse (bis 2008) – Gesundheit / Krankenkasse / Prämien (ab 2009)
in % Stimmberechtigter, bzw. in % Prämienanstieg
in % Stimmberechtigter
Problembewusstsein
Krankenkassenprämie
64
59
63
Anstieg Prämien in %
58
56
52
55
51
48
46
46
38
41
40
36
32
8.1
7.9
30
30
7.0
24
5.2
5.8
19
59 64
46
52
46
48
63
58
23
22
4.6
56
32
19
21
3.7
5.4
24
51
1.4
55
38
40
36
1.9
1.1
41
30
2.0
30
21
23
1.0
22
-0.4
-0.8
1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
*Werte Krankenkassenprämien-Steigung 1996-2014, in Prozent (Bundesamt für Statistik)
Umweltschutz ist und bleibt ein Massenthema der 80er - allenfalls noch frühen
90er-Jahre. Seither ist diese Frage nur noch bei jeder fünften, seit 2011 gar
weniger als jeder sechsten Person, unter den Top 5 der wichtigsten Probleme.
Der sogenannte Fukushima-Effekt, der in der Energiepolitik durchaus zu beobachten war, fand in der Umweltpolitik höchstens im geringen Ausmass statt.
In der Energiepolitik dagegen kann man mit der notwendigen Vorsicht von einem Wendepunkt im Jahr 2013 sprechen. Nahm vorher das Problembewusstsein diesbezüglich langsam aber stetig zu, scheinen sich die Sorgen der
Schweizerinnen und Schweizer seither wieder anderen Themen zugewendet
zu haben.
19
Grafik 19
Trend Problembewusstsein 1988 bis 2015
Trend Problembewusstsein 1996 bis 2015
Umweltschutz (bis 2008) – Umweltschutz / Klimaerwärmung (ab 2009) –
Umweltschutz / Klimaerwärmung / Umweltkatastrophen (ab 2010)
Energiefragen / Kernenergie (bis 2008) – Energiefragen / Kernenergie / Versorgungssicherheit (ab 2009)
in % Stimmberechtigter
in % Stimmberechtigter
74
71 70
61
50
47 47
31
20
19
19
25
18
15
18
25
14 11
9
20 1718 16 18
16
16 15
7
2015
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
1994
1993
1992
1991
1990
1989
1988
4
5
4
7
11
6
6
4
2
5
11
10
15
9
11
15
16
19
17
13
1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
Betrachten wir die Dynamik des Problembewusstseins rund um die neue Armut (Grafik Problembewusstsein im Trend oben), lässt sich erkennen, dass
dieses nach einem Hoch zwischen 2000 und 2008 eher rückläufig ist und sich
auf einem Niveau zwischen 14 und 18 Prozent hält. Der Konjunkturverlauf der
Lohnfrage dagegen weist mehr Schwankungen auf. Diese Schwankungen dürften zu einem erheblichen Teil medial induziert sein. 2013 stieg das Problembewusstsein rund um Lohnfragen beispielsweise markant an – wahrscheinlich
als Folge der Debatte um "Abzockerlöhne". Diese Debatte elektrisierte alle
Wählerschichten, was an dem hohen Ja-Stimmenanteil der Volksinitiative „gegen die Abzockerei“ abzulesen war. Bereits im folgenden Jahr nahm der Problemdruck trotz diverser mit der Lohn- und Einkommensthematik verwandter
Initiativen wie der Mindestlohninitiative von 2014 oder der Initiative „Ja zur
Reform der Erbschaftssteuer“ von 2015 erheblich ab.
Nach dieser vertieften Auseinandersetzung mit Problemen, die eher einen innen- und gesellschaftspolitischen Bezug aufweisen, soll nun zum Schluss noch
der wirtschafts- und aussenpolitischen Sorgenwahrnehmung der Stimmberechtigten Rechnung getragen werden.
Die Sorgen rund um die Beziehung zur EU, die Personenfreizügigkeit oder auch
die Europäische Integration insgesamt haben zwar in keiner Weise annähernd
denselben Stellenwert wie in den 90er-Jahren, wo das "Nein" zum EWR noch
deutlich nachgehallt haben dürfte und den politischen Diskurs wesentlich prägte. Nichtsdestotrotz ist offensichtlich, dass die Beruhigung der Lage, die nach
Etablierung der Bilateralen Verträge in dieser Frage eingekehrt ist so seit einigen Jahren nun nicht mehr gegeben ist. Insbesondere seit Annahme der Masseneinwanderungsinitiative nehmen die Unsicherheit und damit auch die Problemwahrnehmung der Stimmberechtigten in diesem Dossier erneut zu – wenn
auch, wie bereits erwähnt, nach wie vor nicht mit höchster Priorität.
Grafik 20
Trend Problembewusstsein 1995 bis 2015
Trend Problembewusstsein 2003 bis 2015 — EU/Europa/Euro
EU / Bilaterale / Personenfreizügigkeit / Integration (bis 2012) – EU / Bilaterale / Integration (ab 2013)
"Auf diesen Kärtchen sehen Sie einige Themen, über die in der letzten Zeit viel diskutiert und geschrieben worden ist. Sehen
Sie sich bitte alle Kärtchen an, und legen Sie mir dann von allen Kärtchen jene fünf heraus, die Sie persönlich als die fünf
wichtigsten Probleme der Schweiz ansehen."
in % Stimmberechtigter
in % Stimmberechtigter
EU/Europa
48
34
39
24
45
40
43
Euro-Krise**
24
34
21
18
19
15
23
18
20
17
12
14
20
16
20
24
1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
2003
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000) **neu seit 2012
20
Die generelle Wirtschaftsentwicklung ist heute, nachdem der Ausbruch der
Finanzkrise verdaut und in der Schweiz vergleichsweise gut überstanden ist, für
viele Stimmberechtigte bloss noch ein Nebenthema. Das gleiche gilt zudem
auch für die Inflation.
2.2
Künftige Probleme und politische Ziele
Fordert man die Schweizer Stimmberechtigten auf, eine Prognose zu den künftigen Problemen der Schweiz zu wagen, so werden häufig die gegenwärtig
nagenden Sorgen angegeben. Beispielsweise gehen die Stimmberechtigten
davon aus, dass der Problemdruck hinsichtlich der Arbeitslosigkeit nicht ab-,
sondern weiter zunehmen wird und die Migrationsfragen die Schweiz in noch
deutlich grösserem Ausmass beschäftigen werden. Obwohl die Altersvorsorge
auf der Agenda der Stimmberechtigten nach wie vor sehr hoch in der Problempriorisierung liegt, scheint die nun von Bundesrat und Parlament angedachte Reform den angestauten Problemdruck etwas verringert zu haben und 7
Prozent weniger als 2014 sehen hier in Zukunft ein gravierendes Problem.
Grafik 21
Trend Künftig erwartete Probleme (1)
"Sehen Sie sich bitte nochmals alle Kärtchen an und legen Sie mir nun von allen Kärtchen jene fünf heraus, von denen Sie
persönlich glauben, dass Sie in 10 Jahren die wichtigsten Probleme der Schweiz sind. Wenn Sie ein komplett anderes Thema
in 10 Jahren als wichtig erachten, dann sagen Sie das ruhig."
in % Stimmberechtigter
Arbeitslosigkeit*
62
58
55
52
52
55
46
48
44
AusländerInnen*
39
41
38
34
35
31
29
25
32
33
29
27
26
19
36
31
31
27
23
21
47
40
37
35
39
34
AHV/Altersvorsorge
47
21
31
29
39
37
32
28
27
24
25
22
20
32
21
Flüchtlinge
32
25
24
25
23
19
33
33
20
19
18
Neue Armut*
22
19
Gesundheitsfragen/
Krankenkasse*
Sicherung Sozialwerke/
soziale Sicherheit*
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
Bemerkung: Arbeitslosigkeit/Jugendarbeitslosigkeit ab 2014 getrennt befragt, für Trend-Graphik addiert
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000) *2009 sprachliche Präzisierungen
Hingegen scheint sich bei den Stimmberechtigten langsam aber sicher die Erkenntnis breit zu machen, dass der zuweilen öffentlich gepflegte Euroskeptizismus, Ereignisse wie die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative und
das sich in der Folge ergebende Seilziehen um die Weiterführung der bilateralen Verträge die Zusammenarbeit mit der EU inskünftig schwierig gestalten
werden (+4%-punkte). Bei Wirtschaftsfragen, der Energiethematik oder auch
der Entwicklung der Sozialpartnerschaft hingegen sehen die Schweizerinnen
und Schweizer in zehn Jahren weniger Probleme als dies noch vor zwei oder
drei Jahren der Fall war. Schliesslich ist auch die Globalisierung nicht mehr
etwas, das grosse Sorgen bereitet. Wir leben, so eine mögliche Deutungsweise dieses Befundes, bereits heute in einer globalisierten Welt. Spätestens in
zehn Jahren jedoch dürfte dieser Prozess weitgehend abgeschlossen sein und
darum als solcher keine grossen Sorgen mehr bereiten.
21
Grafik 22
Trend Künftig erwartete Probleme (2)
"Sehen Sie sich bitte nochmals alle Kärtchen an und legen Sie mir nun von allen Kärtchen jene fünf heraus, von denen Sie
persönlich glauben, dass Sie in 10 Jahren die wichtigsten Probleme der Schweiz sind. Wenn Sie ein komplett anderes Thema
in 10 Jahren als wichtig erachten, dann sagen Sie das ruhig."
in % Stimmberechtigter
Persönliche Sicherheit*
31
EU / Bilaterale
28
27
27
27
26
Umweltschutz*
22 22
23
20
23
20 20
19
18
18
17
16
17
10
17
17
16
11
10
13 13
13
Energiefragen*
18 18
15
18
14
12
15
10
19
19
20
18
16
15
10
26
23
12
15
5
6
8
16
14
11
11
9
16
14
16
Globalisierung
13
Sozialpartnerschaft
10
7
8
8
7 7
6
5
Finanzmarkt
Wirtschaftsentwicklung / -krise*
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000) *2009 sprachliche Präzisierungen
Betrachten wir die politischen Ziele, welche die Schweizer Stimmberechtigten
anstreben im Zeitvergleich, so ergeben sich seit dem letzten Messzeitpunkt
geringfügige Verschiebungen in der Priorisierung des Elektorates.
Die Bildungsförderung bleibt aber zusammen mit der Sicherung der Altersvorsorge zurzeit das wichtigste Anliegen. Sie wird von 96 Prozent der Befragten
(-2%-punkte) als eher bis sehr wichtig erachtet. Bemerkenswert ist in diesem
Zusammenhang, dass Bildung als Problem kaum genannt wurde. Bildungsförderung als Ziel erhält fast universell Zuspruch, ist in gewisser Hinsicht also eine
Thematik, bei der nicht die Förderung an sich zur Diskussion steht, sondern
vielmehr, wie dieses Ziel konkret erreicht werden soll. Der Anteil derer, welche
der Ansicht sind, der Staat solle sich vermehrt um die AHV kümmern, hat dabei
im genau gleichen Masse abgenommen wie dies bei der Bildungsförderung der
Fall ist (-2%-punkte). Diese Negativentwicklung ist dabei kohärent mit dem
Befund, dass sich die Problemlage bei der Altersvorsorge in den Augen der
Stimmberechtigten bereits heute etwas entspannt hat.
Im Vorfeld der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative, spätestens aber auch im Rahmen der Ecopop-Abstimmung, wurde erstmals seit langem breit über die Notwendigkeit diskutiert, das Paradigma vom bedingungslosen volkswirtschaftlichem Wachstum zu überdenken. Die Stimmen, die kritisierten, Lebensqualität, natürliche Ressourcen und kulturelle Eigenheit würden
dem steten Streben nach Wachstum geopfert, wurden immer lauter. Gut möglich, dass sich eine solche Verschiebung nun auch in den Daten des Sorgenbarometers manifestiert. Immerhin geben weniger Personen als noch im letzten
Jahr an, dass Wirtschaftswachstum ein sehr oder eher wichtiges Ziel ist. Allerdings ist diese Veränderung nach wie vor minim und es bleibt definitiv abzuwarten, ob hier ein längerfristiger Meinungsumschwung stattfindet oder ob es
bei einem Strohfeuer im Zusammenhang mit hitzig geführten politischen Kampagnen bleibt. Indes, passend zu einer möglichen Prioritätenverschiebung weg
von Wirtschaftswachstum wird auch in grösserem Ausmass gewünscht, inskünftig eine Stabilisierung der Treibhausgasemissionen zu erreichen.
Markante Einbussen gibt es zudem in der Wahrnehmung der Wichtigkeit der
Jugendarbeitslosigkeit (-5%-punkte) und dem Wunsch nach Vereinbarkeit von
Familie und Beruf (-4%-punkte) während der Wunsch einer Integration von
Ausländern ungefähr gleich bleibt (-1%-punkt).
22
Grafik 23
Trend Aktuelle politische Ziele in der Schweiz (2004 – 2015)
"Wir haben hier einige aktuelle politische Ziele in der Schweiz ausgewählt. Beurteilen Sie bitte spontan, ob für Sie die
Erreichung dieser Ziele sehr wichtig, eher wichtig, eher unwichtig oder sehr unwichtig ist."
(sehr und eher wichtig)
in % Stimmberechtigter
AHV/IV
96
96
93
90
89
83
80
Bildung fördern
91
81
Wirtschaftliches Wachstum
Jugendarbeitslosigkeit
Treibhausgasemissionen
78
Familie/Beruf
73
Integration
Kontrolle der Zuwanderung mit
Kontingenten**
geregelte bilaterale Beziehungen*
offener Zugang zu ausländischen
Märkten**
Attraktivierung Steuerstandort**
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
*2014 neu befragt, ** 2015 neu befragt
Werden die Befragten angehalten von allen politischen Zielen jenes zu identifizieren, welches das wichtigste ist, so liegt der Problemdruck nach wie vor bei
der Sanierung der Sozialwerke, insbesondere der AHV, vor allem anderen. Jede
fünfte Person möchte hier die höchste Priorität gesetzt haben.
Grafik 24
Höchste Priorität aktuelle politische Ziele
"Von allen diesen Zielen, welches hat für sie die höchste Priorität?"
in % Stimmberechtigter
AHV/IV
19
Jugendarbeitslosigkeit
15
Kontrolle der Zuwanderung mit
Kontingenten
11
Treibhausgasemissionen
10
Bildung fördern
8
Wirtschaftliches Wachstum
8
geregelte Beziehungen mit der EU
8
Attraktivierung Steuerstandort
7
Familie-Beruf
6
Integration
4
offener Zugang zu ausländischen
Märkten
weiss nicht/keine Antwort
3
1
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
Abgefragt wurden dieses und letztes Jahr zudem eine Reihe von neuen politischen Zielen, die eng mit der künftigen Ausrichtung der Beziehungen der
Schweiz zum Ausland – insbesondere der EU – in Verbindung stehen (siehe
Fussnote in der unten stehenden Darstellung).
23
Grafik 25
Aktuelle politische Ziele in der Schweiz
"Wir haben hier einige aktuelle politische Ziele in der Schweiz ausgewählt. Beurteilen Sie bitte spontan, ob für
Sie die Erreichung dieser Ziele sehr wichtig, eher wichtig, eher unwichtig oder sehr unwichtig ist."
in % Stimmberechtigter
AHV/IV
54
Bildung fördern
53
Wirtschaftliches Wachstum
48
Jugendarbeitslosigkeit
47
Treibhausgasemissionen
Integration
35
35
geregelte Beziehungen*
sehr wichtig
eher wichtig
14 2
44
48
43
48
46
33
2
48
25
1
53
25
2
49
weiss nicht/keine Antwort
12 1
45
45
Kontrolle der Zuwanderung
mit Kontingenten**
22
43
42
Familie-Beruf
offener Zugang zu
ausländischen Märkten**
Attraktivierung
Steuerstandort**
42
2
eher unwichtig
3
7
3
1 7
4
12
5
11
6
13
5
14
16
6
6
8
sehr unwichtig
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
*2014 neu befragt, **2015 neu befragt
Bereits in der Prioritätenliste oben zeigt sich, dass Fragen im Zusammenhang
mit den bilateralen Verträgen nicht zuoberst auf der Prioritätenliste der Stimmberechtigten liegen. Andererseits wird ersichtlich, dass die Stossrichtung für
die zukünftigen Verhandlungen mit der EU in der Bevölkerung alles andere als
gefestigt scheint: Zwar empfinden 81 Prozent geregelte Beziehungen mit der
EU als sehr oder eher wichtig. Aber ebenso viele wünschen sich eine Kontrolle
der Zuwanderung mittels Kontingenten (81% sehr/eher wichtig). In der Romandie ist die Unterstützung für die Bilateralen dabei am grössten (86%), gefolgt von der Deutschschweiz (80%), während sie im Tessin bei 56 Prozent
liegt. Allerdings ist die Fallzahl im Tessin mit 50 Befragten äusserst klein, so
dass der Fehlerbereich beträchtlich ist. Signifikant wirkt sich überdies auch die
individuelle wirtschaftliche Lage auf die Unterstützung der bilateralen Verträge
aus: Personen, die ihre eigene aktuelle Wirtschaftslage als schlecht bezeichnen, sind geregelte Beziehungen zur EU deutlich weniger wichtig (13%
sehr/eher unwichtig) als Stimmberechtigten, die sich ökonomisch als gut (19%)
oder mittel (18%) situiert bezeichnen. Möchte man mehr über die Unterstützung von Kontingenten in der Bevölkerung herausfinden, so ergeben sich in
dieser Frage kaum signifikante Unterschiede nach Untergruppen. Der Wunsch
nach Kontingenten scheint somit mehr oder minder zufällig über die gesamte
Gesellschaft verteilt vorhanden. Die Anzahl Personen, die sich einen offenen
Zugang zu ausländischen Märkten wünscht, liegt dagegen mit 78 Prozent unter
diesem Wert. Am wenigsten prioritär, wenn auch nach wie vor mehrheitlich,
wird ein attraktiver Steuerstandort gewünscht.
Wenn man nun die Befragung von einem leicht anderen, direkt auf die EU und
die bilateralen Verträge bezogenen, Blickwinkel fortsetzt, so wird wiederum
ersichtlich, dass diese eben doch eine geschätzte Institution darstellen: Wenn
vor die Wahl gestellt, geben 47 Prozent an, erste Priorität sei die Fortsetzung
der bilateralen Verträge. Weniger als halb so viele Befragte nur wünschen in
erster Linie eine Kündigung dieses Rahmenwerks. Ein EU-Beitritt indes ist kein
Thema, das breit in Erwägung gezogen wird. Nur gerade 8 Prozent der Befragten sehen hier eine Priorität.
24
Grafik 26
Künftiges Verhältnis Schweiz – EU
"Wie soll das zukünftige Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU Ihrer Meinung nach aussehen? Soll sich
die Schweiz die bilateralen Verträge künden, soll sie sie fortsetzen, soll sie dem EWR beitreten oder soll sie
Mitglied der EU werden. Was hat für sie erste Priorität, und was zweite?"
in % Stimmberechtigter
bilaterale Verträge
fortsetzen
47
EWR beitreten
18
bilaterale Verträge
künden
18
13
28
1. Priorität
6
2. Priorität
EU beitreten
weiss nicht/keine Antwort
8
15
9
37
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
Im Vergleich zum Vorjahr haben die bilateralen Verträge etwas weniger Priorität
und der EWR holt wie auf tieferem Niveau der EU-Betritt etwas auf. Noch weniger in Frage als ein EWR-Beitritt kommt eine Kündigung der Bilateralen. Die
Alternativen zu den Bilateralen mit Vertiefungs-Charakter der Beziehungen gewinnen etwas an Sukkurs.
2.3
Wirtschaftliches Umfeld
In den folgenden drei Unterkapiteln werden die Einschätzungen zum wirtschaftlichen Umfeld der Befragten selbst sowie der Allgemeinheit diskutiert.
2.3.1 Persönliche wirtschaftliche Situation
Um zu verstehen, woher die Entkoppelung des traditionell sehr starken Zusammenhangs zwischen der Wahrnehmung von Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenrate rührt, ist die untenstehende Grafik von Interesse: Während die Sorgen
um die Arbeitslosigkeit seit 2013 kontinuierlich anstiegen, schätzt ein sich
ebenfalls stets vergrössernder Anteil der Befragten die eigene wirtschaftliche
Lage optimistisch ein. Tatsächlich haben mit 63 Prozent noch nie so viele Befragte wie dieses Jahr angegeben, dass es ihnen wirtschaftlich im Moment
sehr gut oder gut gehe. Wir sehen hier also ein Beleg für das in den Sozialwissenschaften bekannte Phänomen, dass die Angst vor etwas – hier jetzt der
Verlust der eigenen Arbeitsstelle und damit des einhergehenden ökonomischen
Status – zuweilen mindestens so stark wirkt wie die eigentliche reale Ausgangslage.
25
Grafik 27
Trend Aktuelle individuelle wirtschaftliche Lage
"Was würden Sie sagen, wie es Ihnen wirtschaftlich gesehen im Moment geht? Ist dies …"
in % Stimmberechtigter
1
1 1 1 1 21 4
6
6
4 7
6
33
31
30
36 33
1
1
8
2
7
11 1
6
6
1
7
3
7
1
1
7
1
1
5
11 2
5
7
5
1
1
6
1
1 1
6 5
weiss nicht/keine
Antwort
34
34
33 33
33 34
36 32
34
32 34 39 38
37
31
sehr schlecht
schlecht
51
47
54
47 50
53
44
35
45 49 47
52 49 51 42
51 48 50
44 46
recht
10
August 2014
10
gut
August 2015
8
August 2013
August 2011
August 2010
8
August 2012
19
11 13
August 2009
8
August 2007
September 2003
15 12
9
September 2008
September 2002
14
August 2006
7
September 2005
9
September 2004
8
Oktober 2001
Oktober 1999
Oktober 2000
17
8 11
Oktober 1998
Oktober 1997
Oktober 1995
10 8
sehr gut
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
Die Einschätzung der individuellen wirtschaftlichen Situation korreliert selbstredend mit der Höhe des Haushaltseinkommens. Im Vergleich zum letzten Jahr,
wo einzig die Personen mit den höchsten Einkommen eine (wenn auch schwache) Verschlechterung ihrer Situation bemerkten und alle anderen Einkommensstufen konstante oder verbesserte Situationen rapportierten, präsentiert
sich das Bild dieses Jahr etwas heterogener: Bei den höchsten Einkommen
sind markante wirtschaftliche Verbesserungen zu verzeichnen (+7%-punkte)
genau wie bei den Personen am unteren Ende des Einkommensspektrums
(+11%-punkte). Dazwischen gibt es sowohl starke Zunahmen in den Prozentzahlen, welche angeben, dass es ihnen aktuell gut gehe, wie auch starke Abnahmen. Konstant bleibt einzig die Einkommenskategorie zwischen 7-9'000
CHF/Monat. Zum ersten Mal sind die Personen mit dem geringsten Einkommen nicht mehr automatisch auch jene, die als Gruppe am wenigsten oft der
Ansicht sind, dass es ihnen wirtschaftlich gut geht. Aktuell äussern sich Personen mit einem Einkommen von 3-5'000 CHF/Monat am pessimistischsten.
Grafik 28
Trend Aktuelle individuelle wirtschaftliche Lage 2003 – 2015
nach Haushaltseinkommen
"Was würden Sie sagen, wie es Ihnen wirtschaftlich gesehen im Moment geht?"
in % Stimmberechtigter (sehr gut/gut)
über 9'000
CHF/Monat
78
77
68
67
71
74
71
64
66
66
61
59
56
75
69
45
44
70
69
63
65
62
62
53
7-9'000
CHF/Monat
61
60
58
55
48
69
61
61
61
48
72
67
67
63
53
43
40
73
68
61
63
50
48
73
72
55
46
46
5-7'000
CHF/Monat
43
39
37
36
35
35
36
3-5'000
CHF/Monat
31
27
26
26
22
18
2015
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
bis 3'000
CHF/Monat
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
26
Die individuellen wirtschaftlichen Aussichten in den kommenden zwölf Monaten werden von gut zwei Dritteln aller Stimmberechtigten (72%) als gleichbleibend eingeschätzt. Mit 14 Prozent blicken dieses Jahr klar weniger Personen
(-4%-punkte) optimistisch in die Zukunft als vor einem und insbesondere vor
zwei Jahren. Stattdessen hat sich das Lager der Personen, die erwarten, dass
es Ihnen in einem Jahr schlechter geht, um 6 Prozentpunkte vergrössert und
somit (auf tiefem Niveau) fast verdoppelt.
Grafik 29
Trend Kommende individuelle wirtschaftliche Lage
"Wenn Sie an die nächsten 12 Monate denken, würden Sie dann sagen, dass es Ihnen wirtschaftlich gesehen
besser, gleich oder schlechter als jetzt gehen wird?"
in % Stimmberechtigter
3 2
10 11
5 2
5
6
3
3
4 2
10 13
1
8
4
7
2
6
1
4
2
4
1
8
10
2
5
1
7
3
5
4
6
1
7
1
13
weiss nicht/keine
Antwort
79
75 71 75
77
70 67 77 77 79
78 75
79 81 83 83
74 68 74
72
schlechter
gleich
14
August 2015
August 2014
August 2013
August 2011
August 2012
August 2010
September 2008
August 2007
August 2006
September 2005
September 2004
September 2003
9
September 2002
10
Oktober 2001
9
August 2009
18 22 18
17 16 18 14 13 13 17 19
12
Oktober 2000
Oktober 1999
Oktober 1998
Oktober 1997
Oktober 1995
12 16 14 14
besser
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
Die Einschätzung der aktuellen wirtschaftlichen Lage unterscheidet sich regional. Im Vergleich zum letzten Jahr präsentiert sich die Einschätzung der eigenen Wirtschaftslage weniger polarisiert. Damals wurde die Lage in Grenzkantonen (GR, TI, VS, VD, JU, SH) als deutlich weniger rosig wahrgenommen als in
der Innerschweiz, in Bern und der Nordwestschweiz. Eine solch systematische
Divergenz ist dieses Jahr so nicht mehr zu beobachten. Stimmberechtigte in
Graubünden und dem Tessin schätzen die eigene Lage nach wie vor unterdurchschnittlich gut ein. Dies ist nun aber auch in den Ballungszentren Genf
und Zürich der Fall, wie auch in Schaffhausen. Durchschnittlich gut geht es
dem grossen Rest der Westschweizer (VD, FR, VS) wie auch den Kantonen
Aargau und Schwyz, während das Lager der ausserordentlich zufriedenen Kantone abgesehen vom Neuzugang Neuchâtel im Vergleich zum letzten Jahr
gleich bleibt und sich auf die Innerschweiz (Kantone LU, ZG), die Nordwestschweiz (BS, BL, SO), Bern und die Ostschweiz (SG, TG) konzentriert.
27
Grafik 30
Aktuelle individuelle wirtschaftliche Lage: sehr gut/gut
"Was würden Sie sagen, wie es Ihnen wirtschaftlich gesehen im Moment geht?"
Mittel CH: 59% der Stimmberechtigten
SH
49
BS
63
JU
99
BL
67
SO
69
ZH
52
AG
59
ZG
66
LU
71
NE
65
NW
OW 99
99
BE
67
FR
61
VD
56
TG
69
GE
49
AR
99 AI
99
SG
65
SZ
63
GL
99
UR
99
GR
48
TI
47
VS
55
weniger als 55%
55 bis 63%
mehr als 63%
keine Angabe (N < 50)
Angaben nur bei n ≥ 50
Pool Sorgenbarometer 2010 - 2015
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 6041)
Werden die prospektiven Einschätzungen auf eine Kantonskarte übertragen,
zeigen sich gewisse aufschlussreiche Unterschiede zur vorangegangenen Karte. Einige Regionen (TI, GR), die – was die aktuelle individuelle Wirtschaftssituation anbelangt – im unteren Drittel rangieren, gehören zu den optimistischsten
Kantonen, während andere, wirtschaftlich prosperierende Regionen (ZG, SG,
AI, AR, NE) einen unterdurchschnittlich tiefen Anteil von Stimmberechtigten
aufweisen, die von einer Verbesserung der Wirtschaftslage ausgehen.
Grafik 31
Kommende individuelle wirtschaftliche Lage: besser
"Wenn Sie an die nächsten 12 Monate denken, würden Sie dann sagen, dass es Ihnen wirtschaftlich gesehen besser, gleich
oder schlechter als jetzt gehen wird?"
Mittel CH: 15% der Stimmberechtigten
SH
6
BS
15
JU
99
BL
14
SO
19
GE
16
ZH
13
AG
18
ZG
7
LU
13
NE
10
VD
20
TG
13
FR
19
BE
14
OW
99
NW
99
AR
99 AI
99
SG
11
SZ
16
GL
99
UR
99
GR
19
VS
17
TI
19
weniger als 13%
13 bis 17%
mehr als 17%
keine Angabe (N < 50)
Angaben nur bei n ≥ 50
Pool Sorgenbarometer 2010 - 2015
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 6041)
28
2.3.2 Allgemeine Wirtschaftslage
Seit nunmehr drei Jahren gibt sich ein stabiler Sockel von durchschnittlichen 17
Prozent der Befragten positiv, was die Entwicklung der Wirtschaftslage der
Schweiz über das vergangene Jahr hinweg betrifft. Nach dem spürbaren Effekt
der Finanzkrise im Jahr 2008 und unmittelbar danach war während der folgenden Jahre zunehmender Optimismus zu verzeichnen und die Einschätzung
verlief dahingehend, dass sich die Schweizer Wirtschaft auf dem besten Weg
zur Erholung befindet. Diese Entwicklung setzt sich so nicht mehr fort und der
Anteil derer, die der Ansicht sind, dass sich die Wirtschaftslage in den letzten
zwölf Monaten verschlechtert hat, ist auf einen knappen Drittel der Befragten
angestiegen (+11%-punkte). Die neue und medial breit diskutierte Stärke des
Schweizer Frankens, die insbesondere exportorientierten Schweizer Unternehmen erhebliche Schwierigkeiten bereitet, dürfte hier Spuren hinterlassen
haben. Indes bleibt abzuwarten, inwiefern die wahrgenommene Verschlechterung ein temporäres Phänomen ist (wie etwa im Jahr 2011) oder es sich aber
um eine längerfristige Entwicklung handelt.
Grafik 32
Trend Aktuelle allgemeine wirtschaftliche Lage
"Wie hat sich Ihrer Ansicht nach die allgemeine Wirtschaftslage der Schweiz in den vergangenen 12 Monaten
entwickelt?"
in % Stimmberechtigter
3 5
5
15
15
8
5
3
2
1
4
2
2
8
1
41
29 33
27
1
36
1
3
27 25
2
1
17
28
weiss nicht/keine
Antwort
59
65
53
52
59
58
59
verschlechtert
63
54 56
61
49
58
54
41
41
55
63
56
61
50
34
August 2015
August 2011
18 16 18 16
August 2014
7
August 2013
8
August 2012
5
August 2010
4
September 2008
14
9
August 2007
4
August 2006
5
September 2005
9
September 2004
Oktober 2000
Oktober 1999
Oktober 1998
Oktober 1997
4 4
gleich geblieben
29 32
21
September 2003
16
34
Oktober 2001
30
September 2002
29
Oktober 1996
2
44
47
53
1
24
32
Oktober 1995
3
9
August 2009
2 2
verbessert
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
Vergleicht man die Beurteilung der aktuellen wirtschaftlichen Situation mit der
Einschätzung der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung, entdeckt man eine
auffallende Übereinstimmung der Werte. Das liegt im Wesentlichen daran,
dass diejenigen, welche die gegenwärtige Wirtschaftslage pessimistisch beurteilen, in der Regel auch von einer (weiteren) Verschlechterung ausgehen. Sie
gehen offenbar vom "Matthäus-Prinzip" aus: Wer hat, dem wird noch mehr
gegeben. Wer wenig hat, dem wird selbst das Wenige genommen, was er hat.
Allerdings sei darauf hingewiesen, dass die allgemeine Wirtschaftslage offenbar nicht automatisch auf die persönliche wirtschaftliche Situation übertragen
wird: Der Anteil, der von einer Verschlechterung der generellen wirtschaftlichen
Situation ausgeht, ist deutlich höher als derjenige, der selbiges im Zusammenhang mit seiner eigenen Wirtschaftssituation befürchtet. Man sorgt sich also
primär um die Entwicklung der Schweiz als Ganzes und weniger um die eigenen Aussichten.
29
Grafik 33
Trend Kommende allgemeine wirtschaftliche Lage
"Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die allgemeine Wirtschaftslage der Schweiz in den kommenden 12 Monaten
entwickeln?"
in % Stimmberechtigter
5 6
5 6
19
39
11
7
12 10
13
4
7
22
7
5
7
23
4 3
10 11
6
3
4
25 25
32
7
22
7
15
3
5
15
23
weiss nicht/keine
Antwort
41
37
43
5
12
47
53
48
59
56 59
53
69
58 53
47
59
55
44
50
55
verschlechtern
57 62
52
46
44
38
21 21 20 20
August 2015
August 2014
August 2013
August 2012
9
August 2011
August 2010
16 16
August 2009
September 2008
September 2005
10
August 2007
8
August 2006
17
12 16
September 2004
Oktober 2001
Oktober 2000
Oktober 1999
Oktober 1998
5
Oktober 1997
Oktober 1996
Oktober 1995
9 7
gleich bleiben
30 27
28
September 2003
21
September 2002
28 30
verbessern
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
Wo wird die allgemeine Wirtschaftssituation von den Stimmberechtigten am
düstersten, wo am rosigsten eingeschätzt? Auch hier fällt auf, dass sich die
Landkarte der erwarteten allgemeinen ökonomischen Prosperität – analog zur
individuellen Entwicklung – polarisierter präsentiert als im letzten Jahr. Zu den
bereits im letzten Jahr optimistischen Kantonen Neuchâtel und Wallis gesellen
sich die beiden grossen Kantone Zürich und Bern. Primär vergrössert sich jedoch das Lager der bereits im letzten Jahr überdurchschnittlich "pessimistischen" Kantone (LU, OW, AR, SG) um nicht wenige Neuzugänge (GR, TI, VD,
BL, ZG, SZ, TG, GE).
Grafik 34
Aktuelle allgemeine wirtschaftliche Lage: verschlechtert
"Wie hat sich Ihrer Ansicht nach die allgemeine Wirtschaftslage in den vergangenen 12 Monaten entwickelt?"
Mittel CH: 27% der Stimmberechtigten
SH
25
BS
26
JU
99
BL
21
SO
27
GE
22
ZH
32
AG
28
ZG
20
LU
18
NE
45
VD
23
TG
23
FR
28
BE
31
OW
99
NW
99
AR
99 AI
99
SG
25
SZ
21
GL
99
UR
99
GR
22
VS
35
TI
22
weniger als 24%
24 bis 30%
mehr als 30%
keine Angabe (N < 50)
Angaben nur bei n ≥ 50
Pool Sorgenbarometer 2010 - 2015
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 6041)
30
2.4
Kritik und Vertrauen in Institutionen
2.4.1 Wirtschaftsversagen vs. Politikversagen
Das Jahr 2011 scheint eine vorläufige Zäsur für das Vertrauen darzustellen, das
die Bevölkerung der Wirtschaft entgegenbringt. Nach der spürbaren Verunsicherung durch die Finanzkrise (insbesondere sichtbar im Anstieg Anteil "weiss
nicht/keine Antwort") hat sich die Lage seit 2011 mehr oder minder stabilisiert
und die Stimmberechtigten vertrauen der Wirtschaft erneut im grösseren
Mass: Der Anteil Personen, die der Wirtschaft häufiges Versagen vorwerfen,
bleibt quasi konstant (+1%-punkt) während noch nie so viele wie heute der
Meinung sind, dort nie ein Versagen zu sehen (+6%-punkte).
Grafik 35
Trend Wirtschaftsversagen
"Haben Sie das Gefühl, die Wirtschaft versage in entscheidenden Dingen? Ist dies oft, selten oder nie der Fall?"
(ab 2014)
"Und wie oft haben Sie das Gefühl, die Wirtschaft versage in entscheidenden Dingen. Ist dies oft, selten oder
nie der Fall?" (bis 2013)
in % Stimmberechtigter
5
11
3
8
2
14
16
14
14
17
15
18
2
1
1
4
2
5
2
33
33
37
45
41
46
42
40
September 2008
August 2007
August 2006
September 2005
September 2004
September 2002
5
14
weiss nicht/keine
Antwort
51
nie
3
48
46
41
57
41
34
39
August 2010
47
32
Oktober 2001
Oktober 2000
Oktober 1999
Oktober 1998
Oktober 1997
29
4
8
57
41
33 31
7
5
48
43
50
53
48 45
Oktober 1996
37
61
September 2003
52 54
August 2009
40 45
21
6
2
44
35
selten
40
31
30
August 2015
5
9
August 2014
6
5
5
August 2013
9 10
August 2012
6
4
August 2011
7
5
oft
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
Ähnliches gilt für die Politik: Die Meinung, dass Regierung und Verwaltung in
entscheidenden Dingen oft versagen, wird unverändert nur von einer stets
sinkenden Minderheit (28%) geteilt. Der Anteil Personen, die davon ausgehen,
dass die Politik nie versage ist zwar nach wie vor klein, hat sich aber im Vergleich zum letzten Jahr verdoppelt (von 6 auf 12%). In diesem Sinne haben sich
Vertrauenswerte von Politik und Wirtschaft angeglichen, der einstige Vertrauensvorsprung, den die Politik genoss, ist geschmolzen. Das liegt jedoch, wie
gesagt, nicht daran, dass man staatlichen Institutionen mit mehr Misstrauen
begegnet, sondern daran, dass die Wirtschaft das Vertrauen eines Teils der
Bevölkerung zurückgewinnen konnte.
31
Grafik 36
Trend Politikversagen
"Haben Sie das Gefühl, die Politik von Regierung und Verwaltung versage in entscheidenden Dingen? Ist dies
oft, selten oder nie der Fall?"
in % Stimmberechtigter
7 6
4 5
6 9
4
5
9
4
40 36 40
2
5
10 10
3 4
50
51
48
37
8
1
13 14 13 11 14 13 16
21
1 1 1 3 3 4
3
3
6
5
6
10
4 3
6 12
weiss nicht/keine
Antwort
38
40 37 39
49
54
48 40 45
59
43 38
53
57
nie
selten
28
August 2015
August 2014
August 2013
August 2012
August 2011
August 2010
38 38 38 35
31 31
August 2009
43
September 2008
38
August 2007
August 2006
September 2005
September 2004
September 2003
Oktober 2001
49 53 46 48 47
September 2002
39 43 38
Oktober 2000
Oktober 1998
Oktober 1997
Oktober 1996
Oktober 1995
35
Oktober 1999
49 53 50
oft
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
Schlüsselt man die Ergebnisse zum Wirtschaftsversagen nach Parteibindung
auf, ergeben sich interessante Resultate: War es erstaunlicherweise die Wählerschaft der SP, die der Wirtschaft im letzten Jahr mit 69 Prozent das grösste
Vertrauen entgegenbrachte, ist dieses inzwischen auf 62 Prozent geschmolzen
(selten und nie Versagen kombiniert). Heute bringt die Wählerschaft der CVP
(79%) der Wirtschaft das grösste Vertrauen entgegen, gefolgt von der FDP.Die
Liberalen (72%) und der SVP (72%). Dabei wird insbesondere im Zeitverlauf
ersichtlich, wie unterschiedlich die Dynamik diesbezüglich innerhalb der Gruppe
der SP-SympathisantInnen im Vergleich zu den anderen Parteien ist: Der Anteil
Personen, die der Wirtschaft in den letzten Jahren häufiges Versagen vorwerfen, steigt kontinuierlich an, während er bei der Anhängerschaft der restlichen
Parteien ebenso regelmässig sinkt.
32
Grafik 37
Trend Wirtschaftsversagen nach Parteibindung seit 2011
"Haben Sie das Gefühl, die Wirtschaft versage in entscheidenden Dingen? Ist dies oft, selten oder nie der Fall?"
(ab 2014)
"Und wie oft haben Sie das Gefühl, die Wirtschaft versage in entscheidenden Dingen. Ist dies oft, selten oder
nie der Fall?" (bis 2013)
in % Stimmberechtigter
10
2
7
3
3
6
1
14
2
10
15
4
7
0
6
3
6
2
5
7
8
2
5
3
5
3
3
11
18
21
4
2
1
8
1
10
13
23
11
7
1
16
4
11
11
11
weiss
nicht/keine
Antwort
41
nie
4
3
1
63
55
46
36
50
53
61
47
57
38
36
28
42
44
45
33
42
59
51
51
49
30
57
36
58
61
42
46
41
54
31
40
39
28
44
44
37
32
25
selten
46
39
34
37
keine Partei / 2015
46
52
keine Partei / 2014
46
48
27
keine Partei / 2013
keine Partei / 2012
keine Partei / 2011
SVP / 2015
SVP / 2014
SVP / 2013
SVP / 2012
SVP / 2011
FDP.Die Liberalen /
2011
FDP.Die Liberalen /
2012
FDP.Die Liberalen /
2013
FDP.Die Liberalen /
2014
FDP.Die Liberalen /
2015
CVP / 2015
CVP / 2014
CVP / 2013
CVP / 2012
CVP / 2011
SP / 2015
SP / 2014
SP / 2013
SP / 2012
SP / 2011
18
oft
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
Wird auch das Politikversagen nach Parteiwählerschaften aufgeschlüsselt, so
präsentiert sich zwar ein weniger homogenes Bild – dieses verfügt jedoch
durchaus auch über gewisse Systematik: Die SP – eigentlich das Paradebeispiel
einer staatstragenden Partei – verzeichnet als einzige Partei einen kontinuierlichen Anstieg im Anteil Personen, die der Politik häufiges Versagen vorwerfen.
Dieses Empfinden wird innerhalb der Wählerschaft der SP seit dem letzten
Wahljahr 2011 aktuell zum ersten Mal breiter als bei allen anderen Parteien
geteilt. Bei allen anderen Parteien wie auch bei den Parteiungebundenen hat
das Gefühl, die Politik versage oft, seit dem letzten Jahr (zum Teil) markant
abgenommen.
33
Grafik 38
Trend Politikversagen nach Parteibindung seit 2011
"Haben Sie das Gefühl, die Politik von Regierung und Verwaltung versage in entscheidenden Dingen? Ist dies
oft, selten oder nie der Fall?"
in % Stimmberechtigter
9
10
1
2
4
11
5
12
11
3
3
5
5
5
3
2
5
8
10
1
7
1
11
13
2
7
13
3
8
15
21
14
6
18
4
9
3
4
3
17
8
2
2
10
4
weiss
nicht/keine
Antwort
12
3
55
50
nie
45
54
39
35
selten
38
31
27
keine Partei / 2015
keine Partei / 2014
keine Partei / 2013
keine Partei / 2011
keine Partei / 2012
24
SVP / 2015
SVP / 2013
31
SVP / 2014
39
SVP / 2012
27
FDP.Die Liberalen / 2015
FDP.Die Liberalen / 2012
FDP.Die Liberalen / 2011
24
29
45
46
44
31
26
55
61
64
38
34
CVP / 2015
31
CVP / 2013
SP / 2013
CVP / 2012
SP / 2012
32
CVP / 2011
26
SP / 2015
25
SP / 2014
40
33
56
37
63
58
46
30
40
54
52
66
FDP.Die Liberalen / 2014
57
36
SP / 2011
59
CVP / 2014
56
44
54
FDP.Die Liberalen / 2013
59
SVP / 2011
63
54
oft
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
Vergleicht man Wirtschafts- und Politikversagen direkt, so wird ersichtlich, dass
die Wählerschaft der SP die Leistung der Wirtschaft schon immer stärker bemängelt hat als jene der Politik – was zu einem gewissen Grad auch konsistent
ist mit dem Parteiprogramm der SP. Bei den anderen Parteien gestaltet sich
das Bild weniger einheitlich und nach dem grossen Vertrauensverlust der turbulenten Wirtschaftskrise und der ausufernden Debatten über das Verhalten einzelner Top-Manager (der so genannten Abzocker-Debatte) scheint sich das
Misstrauen inzwischen wieder stärker der Politik zuzuwenden (CVP, FDP.Die
Liberalen). Bei der SVP-Wählerschaft hält sich das Misstrauen gegenüber Politik
und Wirtschaft etwa die Waage.
Grafik 39
Trend Politikversagen / Wirtschaftsversagen nach Parteibindung
"oft" seit 2011
"Haben Sie das Gefühl, die Politik von Regierung und Verwaltung versage in entscheidenden Dingen? Ist dies oft, selten oder
nie der Fall?"
"Und wie oft haben Sie das Gefühl, die Wirtschaft versage in entscheidenden Dingen?" (bis 2013)
"Haben Sie das Gefühl, die Wirtschaft versage in entscheidenden Dingen?" (ab 2014)
in % Stimmberechtigter
Politikversagen
keine Partei / 2015
keine Partei / 2014
keine Partei / 2013
keine Partei / 2012
keine Partei / 2011
SVP / 2015
SVP / 2014
SVP / 2013
SVP / 2012
SVP / 2011
FDP.Die Liberalen / 2015
FDP.Die Liberalen / 2014
FDP.Die Liberalen / 2013
FDP.Die Liberalen / 2012
FDP.Die Liberalen / 2011
CVP / 2014
CVP / 2014
CVP / 2013
CVP / 2012
CVP / 2011
SP / 2014
SP / 2014
SP / 2013
SP / 2012
SP / 2011
Wirtschaftsversagen
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
*2009 Fusion der FDP und der Liberalen zur FDP.Die Liberalen
34
2.4.2 Vertrauen in verschiedene Akteure
2014 wurde im Rahmen des CS-Sorgenbarometers erstmals das Vertrauen in
die Schweizerische Nationalbank abgefragt und prompt belegte die Nationalbank den ersten Platz in der Vertrauensrangliste. Heute haben die Aufhebung
des Euro-Franken-Mindestkurses und die damit verbundenen Schwierigkeiten
für die Schweizer Volkwirtschaft ihre Spuren hinterlassen, und die Nationalbank
belegt – noch nach den kommerziellen Banken – den neunten Rang. Das grösste Vertrauen geniesst aktuell das Bundesgericht (68%), gefolgt vom Bundesrat
(63%). Der Nationalrat, die Polizei und auch die Banken teilen sich mit 57 Prozent den dritten Rang.
Grafik 40
Vertrauen in Akteure 2015 (1)
"In der Schweiz gibt es verschiedene Institutionen, wie z.B. Regierung, Gerichte und Banken. Zu diesen kann
man unterschiedlich starkes Vertrauen haben. Sagen Sie mir bitte anhand dieser Skala, wie gross Ihr
persönliches Vertrauen in jede dieser Institutionen ist, die ich Ihnen jetzt vorlese. '1' bedeutet, dass Sie kein
Vertrauen dazu haben, '7' bedeutet, dass Sie grosses Vertrauen dazu haben. Mit den Werten dazwischen
können Sie Ihre Meinung abstufen."
in % Stimmberechtigter
Bundesgericht
68
Bundesrat
17
63
21
13
2
14
2
Nationalrat
57
24
17
2
Polizei
57
24
17
2
Banken
57
Kirchen
56
Ständerat
55
Radio
52
SNB
52
bezahlte Zeitungen
51
Vertrauen
weder/noch
21
21
19
23
21
16
19
kein Vertrauen
1
24
1
19
3
26
28
28
1
4
2
weiss nicht/keine Antwort
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
Nur Minderheiten sprechen der staatlichen Verwaltung, dem Internet, der Arbeitnehmerschaft, NGOs, politischen Parteien, Gratiszeitungen oder auch der
EU ihr Vertrauen aus. Am wenigsten Vertrauen wird mit 38 Prozent der Arbeitgeberschaft entgegengebracht. Wie auch in der Trend-Darstellung am Schluss
dieses Kapitels ersichtlich wird, war es gerade auch die Arbeitgeberschaft, die
in den letzten zwei Jahren deutliche Vertrauenseinbussen hinnehmen musste.
35
Grafik 41
Vertrauen in Akteure 2015 (2)
"In der Schweiz gibt es verschiedene Institutionen, wie z.B. Regierung, Gerichte und Banken. Zu diesen kann
man unterschiedlich starkes Vertrauen haben. Sagen Sie mir bitte anhand dieser Skala, wie gross Ihr
persönliches Vertrauen in jede dieser Institutionen ist, die ich Ihnen jetzt vorlese. '1' bedeutet, dass Sie kein
Vertrauen dazu haben, '7' bedeutet, dass Sie grosses Vertrauen dazu haben. Mit den Werten dazwischen
können Sie Ihre Meinung abstufen."
in % Stimmberechtigter
Armee
51
Fernsehen
50
staatliche Verwaltung
49
Internet
48
Arbeitnehmer
47
NGO`s
47
politische Parteien
46
Gratiszeitungen
46
EU
Arbeitgeber
Vertrauen
26
19
29
26
16
22
32
17
23
33
26
21
38
32
kein Vertrauen
2
3
3
3
24
22
1
4
27
42
weder/noch
22
31
33
4
1
4
26
4
weiss nicht/keine Antwort
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
Das Internet kommt in der Reihenfolge der vertrauenswürdigsten Akteure im
unteren Mittelfeld auf Rang 14 zu liegen. Wie die unten stehende Grafik ersichtlich macht, wird mit der zunehmenden Digitalisierung immer breiterer Lebensbereiche durchaus auch Handlungsbedarf wahrgenommen, um eine möglichst sichere Nutzung des Internets durch die Bevölkerung zu garantieren.
Dabei ist insbesondere der Schutz von persönlichen Informationen und Daten
ein zentrales Anliegen der Bevölkerung. Passen wünschen sich 77 Prozent eine
strafrechtliche Verfolgung, wenn die eigene digitale Identität angegriffen wird
und 76 Prozent sind der Meinung, das Internet sei ein rechtsfreier Raum, der
zusätzlichen Regeln und Gesetzen bedarf.
36
Grafik 42
Wünsche an Politik im Zusammenhang mit Internet
"Meine persönlichen Daten und Fotos sollen im Internet besser geschützt werden"
besserer Schutz persönl. Daten und Fotos "Meine persönlichen Daten und Fotos sollen im Internet besser geschützt werden"
strafrechtliche Verfolgung bei Angriffen auf digitale Identität "Angriffe auf meine digitale Identität sollen strafrechtlich verfolgt
werden, ähnlich wie wenn man mir meine Identitätskarte stiehlt."
internationale Gesetze zur Nutzung & Überwachung "Das Internet sollte frei von staatlichen Regulierungen sein, ein
rechtsfreier Raum."
Mitentscheidung per Internet "Ich möchte per Internet mitentscheiden dürfen, z.B. bei politischen Entscheidungen an meinem
Wohnort."
Internet = rechtsfreier Raum "Der NSA-Skandal zeigt, dass es internationale Gesetze zur Nutzung und Überwachung des
Internets braucht."
in % Stimmberechtigter
besserer Schutz persönl. Daten
und Fotos
42
38
4
13
3
strafrechtliche Verfolgung bei
Angriffen auf digitale Identität
35
42
6
13
4
internationale Gesetze zur
Nutzung & Überwachung
34
42
6
14
4
Mitentscheidung per Internet
23
Internet = rechtsfreier Raum
22
teile ich sehr
teile ich eher
45
6
40
weiss nicht/keine Antwort
8
teile ich eher nicht
17
9
20
10
teile ich überhaupt nicht
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = 1009)
Sowohl die Romandie als auch die Deutschschweiz wählen das Bundesgericht
als jenen Akteur, dem das grösste Vertrauen ausgesprochen wird. Nach dem
Absturz der SNB ist es doch bemerkenswert, dass mit dem Bundesgericht
prompt der zweite, quasi sakrosankt von der Politik unabhängige und entkoppelte nationale Akteur diesen Top-Platz einnimmt. Auch abgesehen vom Bundesgericht fällt das Urteil in den beiden grossen Sprachräumen der Schweiz
einigermassen ähnlich aus. Die in der Deutschschweiz auf den Rängen eins bis
sieben platzierten Akteure finden sich in der Romandie ebenso – wenn auch
zuweilen in anderer Reihenfolge. Die Unterschiede bei den drei restlichen Akteuren der Top-Zehn sind dennoch bemerkenswert: Während die SNB in der
Deutschschweiz nach wie vor zu den zehn vertrauenswürdigsten Institutionen
gehört, taucht sie in der Romandie erst auf Rang 15 auf. Bezahlten Zeitungen
wird ebenfalls weniger Vertrauen entgegengebracht und die Armee erreicht in
der Romandie gar nur den drittletzten Platz. Dafür geniesst die EU dort sichtbar
mehr Vertrauen, genau wie die Gratiszeitungen und das Radio.
Grafik 43
Vertrauen in Akteure 2015 (1) — DCH
Vertrauen in Akteure 2015 (1) — FCH
"In der Schweiz gibt es verschiedene Institutionen, wie z.B. Regierung, Gerichte und Banken. Zu diesen kann
man unterschiedlich starkes Vertrauen haben. Sagen Sie mir bitte anhand dieser Skala, wie gross Ihr
persönliches Vertrauen in jede dieser Institutionen ist, die ich Ihnen jetzt vorlese. '1' bedeutet, dass Sie kein
Vertrauen dazu haben, '7' bedeutet, dass Sie grosses Vertrauen dazu haben. Mit den Werten dazwischen
können Sie Ihre Meinung abstufen."
in % deutschsprachiger Stimmberechtigter
"In der Schweiz gibt es verschiedene Institutionen, wie z.B. Regierung, Gerichte und Banken. Zu diesen kann
man unterschiedlich starkes Vertrauen haben. Sagen Sie mir bitte anhand dieser Skala, wie gross Ihr
persönliches Vertrauen in jede dieser Institutionen ist, die ich Ihnen jetzt vorlese. '1' bedeutet, dass Sie kein
Vertrauen dazu haben, '7' bedeutet, dass Sie grosses Vertrauen dazu haben. Mit den Werten dazwischen
können Sie Ihre Meinung abstufen."
in % französischsprachiger Stimmberechtigter
Bundesgericht
71
Bundesrat
16
65
Polizei
59
Nationalrat
56
Ständerat
55
Kirchen
55
Banken
55
24
25
20
52
16
18
51
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (n = 709)
19
20
19
51
weder/noch
17
23
SNB
Armee
14
23
bezahlte Zeitungen
Vertrauen
12
20
22
kein Vertrauen
1
Bundesgericht
62
1
Banken
62
1
Nationalrat
61
1
Kirchen
61
2
EU
60
1
Bundesrat
58
Ständerat
58
25
27
5
29
25
weiss nicht/keine Antwort
Gratiszeitungen
56
2
Polizei
56
2
Radio
Vertrauen
22
24
20
21
24
22
26
27
56
weder/noch
15
24
26
kein Vertrauen
13
13
18
16
16
18
1
1
2
1
3
2
2
16
2
15
2
17
1
weiss nicht/keine Antwort
© gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (n = 250)
37
Die Qualität und im weiteren Sinne auch die Verantwortung der Medien beschäftigt die (politische) Elite einerseits, aber auch die Gesellschaft als ganze
immer mehr. Nach dem kategorischen Vertrauensverlust in alle Medien im
letzten Jahr zeigt sich aktuell ein etwas diversifizierteres Bild: Das Vertrauen in
Gratiszeitungen nimmt in der ganzen Schweiz weiter ab (-3%-punkte). Dasselbe gilt für das Fernsehen (-3%-punkte) und das Radio (-2%-punkte). Insbesondere im Hinblick auf letztere muss die Vermutung, dass dieser Vertrauensverlust zumindest teilweise mit der Abstimmung rund um das RTVG-Gesetz zusammenhängt, geäussert werden. Grösseres Vertrauen wird dagegen wieder
dem Internet (+3%-punkte) und bezahlten Zeitungen (+3%-punkte) entgegengebracht.
Grafik 44
Trend Vertrauen in Akteure (Medien)
"Sagen Sie mir bitte anhand dieser Skala, wie gross Ihr persönliches Vertrauen in jede dieser Institutionen ist, die ich Ihnen
jetzt vorlese.'1' bedeutet, dass Sie kein Vertrauen dazu haben, '7' bedeutet, dass Sie grosses Vertrauen dazu haben. Mit den
Werten dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen."
in % Stimmberechtigter (Vertrauen)
Radio
bezahlte Zeitungen
52
51
48
50
Fernsehen
46
Internet
2015
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
Gratiszeitungen
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
Der breite Vertrauensverlust in fast alle politischen Institutionen oder Akteure
aus dem Jahr 2014 (verblüffende Ausnahme war die Europäische Union) setzt
sich dieses Jahr nicht fort. Grösseres Vertrauen verbuchen insbesondere das
Bundesgericht (+6%-punkte), der Bundesrat (+6%-punkte), politische Parteien
(+4%-punkte), die Kirchen (+10%-punkte) und die EU (+5%-punkte).
38
Grafik 45
Trend Vertrauen in Akteure (Politik & Behörden)
"Sagen Sie mir bitte anhand dieser Skala, wie gross Ihr persönliches Vertrauen in jede dieser Institutionen ist, die ich Ihnen
jetzt vorlese.'1' bedeutet, dass Sie kein Vertrauen dazu haben, '7' bedeutet, dass Sie grosses Vertrauen dazu haben. Mit den
Werten dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen."
in % Stimmberechtigter (Vertrauen)
SNB
Bundesgericht
Polizei
68
60
56
49
55
46
50
Bundesrat
63
Nationalrat
57
Ständerat
55
51 52
47
42
Armee
Staatliche Verwaltung
Kirchen
EU
Politische Parteien
2015
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
NGO's
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
Das Vertrauen, welches einzelnen Wirtschaftsakteuren zugesprochen wird, ist
mitunter volatiler Natur. Genossen die Banken im letzten Jahr noch das geringste Vertrauen, so wird ihnen dieses Jahr das vergleichsweise grösste entgegengebracht. Bei den Arbeitnehmern hält dagegen der Vertrauensverlust
kontinuierlich an, während er sich bei den Arbeitgebern gar noch verstärkt hat.
Letzteren wird nun das klar geringste Vertrauen entgegengebracht.
Grafik 46
Trend Vertrauen in Akteure (Wirtschaft)
"Sagen Sie mir bitte anhand dieser Skala, wie gross Ihr persönliches Vertrauen in jede dieser Institutionen ist, die ich Ihnen
jetzt vorlese.'1' bedeutet, dass Sie kein Vertrauen dazu haben, '7' bedeutet, dass Sie grosses Vertrauen dazu haben. Mit den
Werten dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen."
in % Stimmberechtigter (Vertrauen)
Arbeitnehmer
57
47
Arbeitgeber
38
2015
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
2007
2006
2005
2004
2003
2002
2001
2000
1999
1998
1997
1996
1995
Banken
 gfs.bern, Sorgenbarometer, August 2015 (N = jeweils ca. 1'000)
39
3
Synthese
Die Problemwahrnehmung der stimmberechtigten Schweizerinnen und
Schweizer bleibt in ihren groben Zügen über die Jahre hinweg relativ konstant.
Allerdings sind je nach Weltgeschehen, Wirtschaftslage und Medialisierung
bestimmter Vorkommnisse durchaus beträchtliche Unterschiede in der Betonung der wichtigsten Probleme zu beobachten. Die Arbeitslosigkeit und auch
die Jugendarbeitslosigkeit sind Probleme, welche konstant sehr hoch in der
Wahrnehmung der Bevölkerung rangieren. Seit nunmehr einigen Jahren ist
jedoch auch ein verstärkter Problemdruck in der Migrations- und Flüchtlingsfrage zu beobachten. Bei Krieg und Krisen im nahen Osten und in Afrika ist kein
Ende (oder auch nur eine Verbesserung) in Sicht und die Personenfreizügigkeit
ist als Institution auch nicht unumstritten.
Auch die Sicherung der Sozialwerke – insbesondere der AHV – ist ein Dauerbrenner hoch oben auf der Sorgenskala der Bevölkerung. Hier machen sich
jedoch langsam aber sicher die Bemühungen von Bundesrat und Parlament im
Rahmen der Reform "Altersvorsorge 2020" bemerkbar, und trotz kontinuierlich
hohem Problembewusstsein in dieser Frage zählt man die AHV heute klar in
einem geringeren Ausmass als noch im letzten Jahr zu den künftigen Problemen. Es bleibt abzuwarten, inwiefern hier eine nachhaltige Verbesserung erzielt
werden kann.
Dem Schweizer Stimmvolk ist überdies bewusst, dass sich die Beziehungen
zur Europäischen Union in einer schwierigen Phase befinden, und man geht
davon aus, dass diese Differenzen auch in unmittelbarer Zukunft bestehen bleiben. Wie genau der Ansatz der Schweiz im Umgang mit der EU, der europäischen Integration und im engeren Sinne insbesondere auch mit der Personenfreizügigkeit aussehen soll, darüber scheinen sich jedoch auch die Stimmberechtigten noch nicht vollständig im Klaren zu sein.
Trotz anhaltend hoher Sorgen um die Arbeitslosigkeit: Die Stimmberechtigten
schätzen ihre eigene Wirtschaftslage so rosig und gut ein wie schon lange nicht
mehr. Vom Individuum abstrahiert wird die allgemeine Lage dagegen eher
skeptisch betrachtet, wenn auch noch immer mehrheitlich konstant oder positiv. Auch beim Ausblick in die Zukunft herrscht nicht im selben Ausmass Optimismus vor. Dies dürfte nicht zuletzt auch mit den Schwierigkeiten zusammenhängen, die der starke Franken der Schweizer Volkswirtschaft bereitet. Der
"Frankenschock", also die Aufhebung eines Euro-Franken-Mindestkurses durch
die Nationalbank am 15. Januar 2015, macht sich überdies auch im Vertrauen
bemerkbar, das gegenüber einzelnen politischen Institutionen und Akteuren
geäussert wird: Genoss die Nationalbank noch im letzten Jahr unangefochten
das grösste Vertrauen, musste sie ihren Schritt vom Anfang dieses Jahres mit
grossen Vertrauensverlusten bezahlen. Die ehemalige Rolle der SNB als nationales Symbol der Stabilität und des Vertrauens nimmt neu das Bundesgericht
ein. Und: Auch der Bundesrat hat seit dem letzten Jahr wieder deutlich an Vertrauen dazugewonnen und belegt erstmals den zweiten Rang.
Aus den obigen Überlegungen ergeben sich aus unserer Sicht die nachstehenden Befunde und Arbeitsthesen zum Schweizer Sorgenbarometer 2015:
40
Befund 1
Vier übergeordnete Themenkomplexe beschreiben aktuell die Sorgen der
stimmberechtigten Schweizerinnen und Schweizer: Die Migrationsthematik
(AusländerInnen/Flüchtlinge), die wirtschaftliche Entwicklung (Arbeitslosigkeit/Euro-Krise), die Beziehung zu und Entwicklung in Europa (EU/Europa/EuroKrise) und das Bedürfnis nach individueller Sicherheit und Wohlbefinden (Altersvorsorge/persönliche Sicherheit/Gesundheit, Krankenkassen).
Befund 2
Trotz tiefer Arbeitslosenquote und hoher Arbeitsplatzsicherheit sorgen sich die
Stimmberechtigten um die Beschäftigung. Sie trauen der aktuell sich stetig
verbessernden individuellen Wirtschaftslage nicht und sind auch was die allgemeine Lage betrifft skeptisch. Zu tief ist die Verunsicherung nach den Verwerfungen auf den Finanzmärkten, zu ungewiss die Entwicklung der Beziehungen zur Europäischen Union und zu wenig vorhersehbar der Einfluss des starken Frankens auf die Schweizer Volkswirtschaft.
Befund 3
Die Stimmberechtigten sorgen sich nach wie vor um die finanzielle Sicherheit
im Alter. Dies trifft insbesondere für Personen mit hoher politischer Involvierung (Parteigebundene) zu. Die offensichtlichen Bemühungen seitens Bundesrat und Parlament zur Sanierung der AHV werden vermehrt wahrgenommen
und wirken dem gefühlten Problemdruck offensichtlich entgegen.
Arbeitsthese 1
Im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Beziehungen der Schweiz
zur Europäischen Union herrscht grosse Unsicherheit. Nicht nur wird diese
Frage vermehrt als Problem wahrgenommen – den Stimmberechtigten scheint
es selbst an Klarheit über die verschiedenen Optionen und deren Konsequenzen zu mangeln.
Arbeitsthese 2
Die Aufhebung der Frankenuntergrenze gegenüber dem Euro kratzt stark am
Vertrauen der Schweizerischen Nationalbank. Der Umstand, dass sowohl Bundesgericht als auch Bundesrat neu diese Rolle der nationalen Leuchttürme des
Vertrauens einnehmen, ist Hinweis auf ein reaktionsfähiges Schweizer System.
41
4
Anhang
4.1
gfs.bern-Team
CLAUDE LONGCHAMP
Verwaltungsratspräsident und Vorsitzender der Geschäftsleitung gfs.bern, Verwaltungsrat gfs-bd, Politikwissenschafter und Historiker, Lehrbeauftragter der
Universitäten Bern, Zürich und St. Gallen, Dozent an der Zürcher Hochschule
Winterthur, am MAZ Luzern und am VMI der Universität Fribourg und am KPM
der Universität Bern.
Schwerpunkte:
Abstimmungen, Wahlen, Parteien, politische Kultur, politische Kommunikation,
Lobbying, öffentliche Meinung, Rassismus, Gesundheits- und Finanzpolitik
Zahlreiche Publikationen in Buchform, in Sammelbänden, wissenschaftlichen
Zeitschriften
LUKAS GOLDER
Senior Projektleiter, Mitglied der Geschäftsleitung, Politik- und Medienwissenschafter, MAS FH in Communication Management
Schwerpunkte:
Integrierte Kommunikations- und Kampagnenanalysen, Image- und Reputationsanalysen, Medienanalysen/Medienwirkungsanalysen, Jugendforschung und
gesellschaftlicher Wandel, Abstimmungen, Wahlen, Modernisierung des Staates, Gesundheitspolitische Reformen.
Publikationen in Sammelbänden, Fachmagazinen, Tagespresse und auf dem
Internet
MARTINA MOUSSON
Projektleiterin, Politikwissenschafterin
Schwerpunkte:
Analyse politischer Themen und Issues, nationale Abstimmungen und Wahlen
(SRG-Trend, VOX-Analysen, Wahlbarometer), Image- und Reputationsanalysen,
Integrierte Kommunikationsanalysen, Medieninhaltsanalysen, Qualitative Methoden, Gesellschaftsthemen (Jugendforschung, Rassismus, Familien, Mittelschicht)
CLOÉ JANS
Junior Projektleiterin, Politikwissenschafterin
Schwerpunkte:
Abstimmungen und Wahlen, Gesellschaftsforschung, Kampagnen, Analyse
politischer Themen und Issues, Medieninhaltsanalysen, Lehre
42
STEPHAN TSCHÖPE
Leiter Analyse und Dienste, Politikwissenschafter
Schwerpunkte:
Koordination Dienstleistungen, komplexe statistische Datenanalytik, EDV- und
Befragungs-Programmierungen, Hochrechnungen, Parteien- und Strukturanalysen mit Aggregatdaten, Integrierte Kommunikationsanalysen, Visualisierung
JOHANNA LEA SCHWAB
Sekretariat und Administration, Kauffrau EFZ
Schwerpunkte:
Desktop-Publishing, Visualisierungen, Projektadministration, Vortragsadministration
SABRINA SCHÜPBACH
Praktikantin, Sozialwissenschafterin
Schwerpunkte:
Datenanalyse, Programmierungen, Qualitative Methoden, Recherchen, Medienanalysen, Visualisierungen
43
gfs.bern ag
Hirschengraben 5
Postfach
CH – 3001 Bern
Telefon +41 31 311 08 06
Telefax + 41 31 311 08 19
[email protected]
www.gfsbern.ch
Das Forschungsinstitut gfs.bern ist Mitglied des Verbands
Schweizer Markt- und Sozialforschung und garantiert, dass
keine Interviews mit offenen oder verdeckten Werbe-, Verkaufsoder Bestellabsichten durchgeführt werden.
Mehr Infos unter www.schweizermarktforschung.ch