Wie Kinder annehmen – wie Beschenkte loslassen - Predigt zu Markus 10,13-22 Kennen Sie Tom, den kleinen Räuberjungen, der im Schloss des Königs ein neues Zuhause fand? ‚Nicht wie bei Räubers‘ heisst die Geschichte und es ist eigentlich eine Parabel, die erzählt, was Glaube und Vertrauen bedeuten. Tom erlebte in seinem kleinen Leben viel Schweres. Denn in seiner Familie wurde er geschubst, ausgelacht und sogar eingesperrt. Wie durch ein Wunder wurde Tom befreit und in das Schloss eines besonderen Königs gebracht. Dort lernt Tom ganz neue Seiten kennen. Ganz besonders gefallen dem Räuberjungen die Zeiten, in der er einfach still und geborgen beim König auf dem Schoss sitzen darf. Jemand ist ganz für ihn da und zeigt ihm Liebe, Interesse und Wertschätzung. Tom lernt diesen König und seinen Sohn mit der Zeit besser kennen und lernt mit anderen Kindern zusammen mehr und mehr eine ganz neue Art des Zusammenlebens kennen, als er bisher erlebt hat. Tom beginnt zu vertrauen, dem König und seinem Sohn und seinen neuen Geschwistern. Letzteres fällt ihm sehr schwer, weil er bisher viel Negatives von seiner eigenen Familie erfahren hat. Er macht auch Fehler, fürchterliche Fehler, und darf erleben, dass es Vergebung gibt und Neuanfänge. Zaghaft und mit der Zeit immer mutiger beginnt für Tom eine aufregende neue Zeit. Mehr und mehr begreift er, dass der König keine Lieblingskinder hat und sich danach sehnt, sogar seine Räuberfamilie bei sich aufzunehmen. Das Reich annehmen wie ein Kind Der heutige Predigttext aus Markus 10 hat mich an dieses moderne Gleichnis erinnert. Da sind einerseits die Verse, die wir schon in der Lesung gehört hatten: 13 Und man brachte Kinder zu ihm, damit er sie berühre. Die Jünger aber fuhren sie an.14 Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes.15 Amen, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird nicht hineinkommen.16 Und er schliesst sie in die Arme und legt ihnen die Hände auf und segnet sie. Kinder hatten damals zur Zeit von Jesus keinen besonderen Stellenwert. Sie wuchsen im Raum der Familie auf und nahmen so selbstverständlich an den Feiern und Festen teil. Bis zu ihrer religiösen Mündigkeit wurden sie aber nicht besonders gefördert. Deshalb fanden wohl die Jünger, dass Kinder bei Jesus wenig zu suchen hätten. Sie waren gerade in einer wichtigen Diskussion mit Jesus. Die Frauen mit ihren Kindern waren da eine lästige Störung. Jesus aber sah dies anders. Er wurde unwillig, als er sah, wie die Jünger die Kinder vertreiben wollten. „Was fällt euch ein, sagte er. Lasst die Kinder zu mir kommen. Sie sind wichtig. Von ihnen können wir lernen! Wer nämlich das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, wird nicht hineinkommen.“(15) Dann wendet sich Jesus ganz den Kindern zu. Sie dürfen ganz nah bei ihm sein. Er schliesst sie in seine Arme, legt ihnen die Hände auf und segnet sie. Dieses Gefühl, wichtig, ja willkommen zu sein, machte den grossen Unterschied. Dies erfuhr auch Tom in der Geschichte: Nicht wie bei Räubers. Er erlebte Geborgenheit, wenn er beim König sitzen durfte. Ich bin überzeugt, dass dies auch Jakob erleben darf. Weil Ihr als Eltern und Paten für ihn da seid und ihn liebt. Kinder machen gute Fortschritte in der Entwicklung, wenn sie spüren, dass sie angenommen sind, wie sie sind. Auch uns Erwachsenen tut es gut, zu erfahren, dass uns Menschen so nehmen und wertschätzen, wie wir sind. Auf alle Fälle aber gilt es von Gott her: Seine Liebe gilt uns bedingungslos! Jesus spricht im Abschnitt an, dass Kinder den Erwachsenen etwas voraus haben: Sie können in der Regel kindlich vertrauen und kindlich empfangen. Sie strecken erwartungsvoll die Hände aus, um eine Süssigkeit oder etwas anderes, was sie mögen, zu ergattern. Sie sind unkompliziert und denken nicht dauernd, dass sie etwas dafür leisten müssen. Ausser, ausser wir hätten es ihnen so eingetrichtert: Du bekommst erst, wenn du… Diese pädagogisch fragwürdigen ‚wenn-dann-Regeln‘, in die wir so schnell trampen. Kindlich zu glauben, dies will Jesus uns hier ans Herz legen. Kindlich glauben heisst: vorbehaltlos vertrauen und Ausschau halten nach dem Guten, das Gott uns geben will. Kindlich glauben heisst, die Gnade Gottes anzunehmen, ohne selbst etwas dafür zu leisten. Weil Kinder dieses sich-beschenken-lassen besonders können, darum stellt sie Jesus als besonderes Vorbild hin. Ich wünsche uns, dass wir die geheimen, auch besonders frommen Antreiber in uns immer wieder entlarven. Wir müssen uns die Liebe und Gnade Gottes nicht verdienen, auch nicht mit frommen Werken. Wir sind keine Knechte, sondern Kinder eines sehr grosszügigen Vaters. Ich hoffe, dass wir immer öfter aus dieser Vater-Kind-Beziehung zu Gott leben und uns freuen, dass wir bei Gott angenommen und geliebt sind, so wie wir sind. Nun folgt der zweite Teil des Predigttextes, der den ersten nicht ersetzt, sondern ergänzt. Loslassen, was die Nachfolge hindert 17 Und als er sich auf den Weg machte, kam einer gelaufen und warf sich vor ihm auf die Knie und fragte ihn: Guter Meister, was muss ich tun, um ewiges Leben zu erben? 18 Jesus sagte zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut ausser Gott. 19 Du kennst die Gebote: Du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsches Zeugnis ablegen, du sollst niemanden berauben, ehre deinen Vater und deine Mutter. 20 Er sagte zu ihm: Meister, das alles habe ich befolgt von Jugend an. 21 Jesus blickte ihn an, gewann ihn lieb und sagte zu ihm: Eines fehlt dir. Geh, verkaufe, was du hast, und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir! 22 Der aber war entsetzt über dieses Wort und ging traurig fort; denn er hatte viele Güter. Ich finde es sehr spannend, dass diese Geschichte des reichen jungen Mannes gerade nach der Segnung der Kinder folgt. Ich denke, es gibt einen Zusammenhang, dass diese beiden Szenen in drei Evangelien so zusammengestellt wurden. In der ersten Szene geht es um das Annehmen des Reiches Gottes wie ein Kind. In der nun darauf folgenden um die Ausgangsfrage: „Was muss ich tun, damit ich das ewige Leben bekomme?“ (V.17) Als Leserinnen und Leser merken wir: Da gibt es einen Zusammenhang. Das Himmelreich annehmen und das ewige Leben zu bekommen, haben miteinander zu tun. Spannend ist die Frage des Jünglings: Was muss ich tun? Meint er, er könne das ewige Leben verdienen? Auf den ersten Blick könnte man das folgern. Aber der Jüngling ist sich bewusst: Man kann dieses andere Leben nur ‚erben‘. Das Erbe ist in der Regel ein Geschenk. Bevor Jesus antwortet, weist er den jungen Mann darauf hin, dass nur einer ‚gut‘ sei, nämlich der EINE, Gott. Zuvor hatte der Mann Jesus als guter Lehrer betitelt. Jesus weist dieses Prädikat von sich ab mit dem Hinweis auf den EINEN. Auf Gott, der im jüdischen Glaubensbekenntnis ausdrücklich als der eine Herr und Gott bekannt werden will. Er meint damit, dass vor all unserem Tun und Handeln – und wenn es noch so gut gemeint ist – das eine stehen soll: Die Ausrichtung auf diesen EINEN. Auf Gott. Darauf kommt es Jesus im folgenden auch an. Auch wenn der Jüngling die geforderten Gebote gehalten hat, fehlt ihm eines: Die ganze Hingabe an Gott. Dies zeigt sich darin, dass er nicht bereit ist, seinen Reichtum loszulassen und Jesus nachzufolgen. Die Nachfolge Jesu ist radikal. Sie meint uns ganz. Jesus lädt seine Jüngerinnen und Jünger ein, das, was uns festhält und hindert, loszulassen. Beim reichen Jüngling war es das Geld, sein Besitz, der ihm Sicherheit bot. An anderer Stelle fordert Jesus auf, seine Familie loszulassen oder das, was sonst in unserem Leben Priorität zu haben scheint. (Mt 8, 18-21) Für mich ist diese Geschichte sehr herausfordernd. Sie hat natürlich zu tun mit Geld und Besitz. Und für uns in der Schweiz wird nicht so gern über Geld und Besitz gesprochen. Man hat es oft einfach. Es ist angenehm, es verspricht Sicherheit. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Geld und Geldanlagen aber längst nicht mehr so sicher sind wie auch schon. Und das ist vielleicht aus biblischer Sicht gar nicht so schlecht, weil es uns dazu bringt, zu überlegen, worauf wir vertrauen wollen. Jesus hat nichts gegen Reiche und Leute, die viel besitzen. Aber er weiss um die Gefahren des Reichtums. Dass wir unter seinem Einfluss egoistisch wie der Kornbauer (LK 12,13-21), herzlos wie der Reiche im Gleichnis des armen Lazarus (LK 16,19-31) oder vergessen, dass es darauf ankommt, Schätze im Himmel statt Schätze auf Erden zu sammeln.(Mt 6,19-21) Jesus spricht ziemlich deutlich davon, dass Reiche eine Verantwortung haben, barmherzig und grosszügig sein sollen. Armut und Gottes Einstellung zu Ungerechtigkeit ist übrigens das zweithäufigste Thema im Alten Testament. (Das häufigste im AT ist Götzendienst) Der reiche junge Mann konnte seinen Besitz nicht loslassen. Er war ihm wichtiger als die Tatsache, dass Arme damit hätte geholfen werden können. Wir könnten jetzt unzählige Möglichkeiten aufzählen, wie wir als Reiche verantwortungsvoll mit unserem Geld umgehen können. Ich weise an dieser Stelle lediglich hin auf die Möglichkeiten, die die Stop ArmutKampagne unter dem Titel: ‚Gerechter leben, aber wie?‘ herausgearbeitet hat. www.stoparmut2015.ch Es geht in dieser Geschichte vom reichen Jüngling nicht zentral um Geld und Besitz. Es geht um unsere Beziehung zu Gott und um unsere Bereitschaft zur Nachfolge. Jesus - und dies finde ich sehr tröstlich, sieht und liebt den jungen Mann. Sieht ihn mit seiner Sehnsucht, mit seinen Schwächen. Und er lädt ihn ein, alle Sicherheiten loszulassen. So wie die anderen Jünger fordert Jesus ihn auf, alles zurückzulassen und sich auf einen neuen Weg ein zu lassen. Dies hat auch der frühere Räuberjunge Tom in der Geschichte ‚Nicht wie bei Räubers‘ herausgefordert. Die Geborgenheit auf dem Schoss des Königs war das Eine. Das neue Leben beinhaltete aber auch, Dinge loszulassen: zum Beispiel seinen Hass und Groll gegen seinen Räubervater. Und dies fiel Tom unheimlich schwer. Er fühlte sich im Recht, wenn er hasste, da ihm ja auch sehr viel Schlimmes angetan worden war. Behutsam und langsam, manchmal trotzig und unwillig lernte Tom mehr und mehr den neuen Weg einzuschlagen und am Ende vergibt er seinem Vater all das Unrecht, das ihn verletzt hatte. Tom war wie der reiche Jüngling herausgefordert, loszulassen, was ihn gehindert hatte, als Königskind zu leben. Welche Hindernisse stehen uns im Weg, damit wir frohe und glückliche Kinder Gottes sind? - Das Gefühl: ‚alles im Griff haben zu wollen‘: Es verhindert neue Gedankengänge oder ungewohnte Erfahrungen mit Gott. Wir scheuen manchmal das Risiko, nicht im vornherein zu wissen, wo wir landen werden. Dies ist eine Herausforderung, die wir als Gemeindeleitung und als Einzelne zuweilen haben. Lassen wir zu, dass wir es nicht im Griff haben, dass Gott uns vielleicht neue Wege führen will. Es kostet manchmal den Sprung ins Ungewisse. - die verflixten hohen Erwartungen, die wir selbst und andere an uns haben: Sie verhindern, dass wir auch anders sein und handeln könnten. Legen wir uns und andere nicht zu schnell fest und sagen: Der oder die ist/sind halt so! Die Schweizer, die Araber, die Tischlein-deck-dich-Kunden usw. Helfen wir einander, frei zu werden von Erwartungen und Festlegungen, die einengen und verhindern, uns und andere neu zu sehen. - Groll und Ärger: Wie rasch nisten sich bei uns Groll oder Ärger ein, weil Menschen Dinge anders machen als wir es gerne hätten. Wie schnell haben wir den Eindruck, zu kurz zu kommen oder übergangen zu werden. Auch ich entdecke da und dort dieses Gefühl. Aber Hand aufs Herz: Wer von uns kommt tatsächlich zu kurz: bei Gott, in der Gemeinde, in der Familie oder dem Freundeskreis? Ich entdecke bei mir, dass mein Groll und Ärger meistens „hausgemacht“ ist. Ich reagiere mit innerem Ärger, wenn jemand mehr Lob, Ehre, Aufgaben usw. bekommt als ich. Ich meine, Gott hätte etwas gepfuscht beim Verteilen der Gaben und ärgere mich, weil ich diese oder jene Fähigkeit vermisse. Dies oder auch anderes hindert dich vielleicht, Jesus erwartungsvoll und vertrauend nachzufolgen. Beim reichen Jüngling und bei den Reichen der Welt war es häufig Besitz, Sicherheiten und Geld. Und bei uns? Zusammenfassend: Die Botschaft aus Markus 10,13-22 lädt zu zweierlei ein.. - Wir dürfen uns das Himmelreich, den Schatz im Himmel von Gott schenken lassen. Wir müssen uns keine frommen Werke verdienen und keine Zeugnisse vorweisen, um bei Gott angenommen zu werden. Der Eintrittspreis zu seinem Reich ist bezahlt und beglichen. Die Einladung gilt allen Menschen: Komm und folge mir nach. Ich wünsche uns, dass wir genauso vertrauensvoll -wie Tom beim König oder wie Jakob bei seinen Eltern- leben können und geborgen sind, weil ER unser Vater ist. - Wir sind eingeladen, uns die DNA des Himmelreichs immer mehr zu Eigen zu machen. Zur DNA gehören Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, Liebe und Frieden. Und das Loslassen von dem, was uns auf dem Weg mit Jesus lähmt und hindert. Wer loslässt, wird gewinnen. Wer bei mir bleibt, sagt Christus, wird Frucht tragen.(Joh 15,5) Und: Wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird es retten. (Markus 8,35b ) Amen Pfarrerin Sylvia Minder gehalten am 6. September 2015 in der EMK Aarau Literaturhinweis: Nicht wie bei Räubers; Ursula Marc; Ravensburg 1994
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