Nr. 54 20. November 2015 (Koh) Überraschendes Signal steuert

Nr. 54
20. November 2015 (Koh)
Überraschendes Signal steuert männliche Fruchtbarkeit
Spermienzellen reifen bei ihrer Passage durch den Nebenhoden aus und erlangen erst
dabei die Fähigkeit, Eizellen zu befruchten. Wissenschaftler aus dem Deutschen
Krebsforschungszentrum in Heidelberg und dem Institut für Molekulare Biologie in
Mainz entdeckten nun, dass Signalmoleküle der Wnt-Familie diesen Reifungsprozess
koordinieren. Das überraschende daran: Der für die Embryonalentwicklung und die
Entstehung von Krankheiten extrem bedeutende Wnt-Signalweg wirkt auf die
Spermatozoen anders als bisher bekannt. Die Arbeit ist nun in der Zeitschrift „Cell“
erschienen.
Signalmoleküle der Wnt-Familie sind in der Biologie allgegenwärtig: Vom Nesseltier über
Insekten bis hin zum Menschen formen sie die Grundlagen der Gestalt aller Organismen:
Ohne Wnt hätte unser Körper kein oben und unten, kein vorne und hinten. Wnt steuert
darüber hinaus zahlreiche weitere Entwicklungsprozesse des Körpers. Überaktive WntSignale dagegen fördern die Krebsentstehung.
Wnt bindet an Rezeptoren auf der Zelloberfläche und übt seine „klassischen“ Funktionen
über eine äußerst komplexe Kaskade von Proteinwechselwirkungen im Zellinneren aus. Am
Ende dieses innerzellulären Signalwegs werden im Zellkern bestimmte Gene abgelesen –
das bekannte Wnt-Signal fördert die Transkription.
„Wir haben uns immer gefragt, ob Wnt auch Funktionen im Körper steuern kann, ohne dass
Gene aktiviert und abgelesen werden“, sagt Christof Niehrs, der eine Forschungsabteilung
im Deutschen Krebsforschungszentrum und gleichzeitig das von der Boehringer Ingelheim
Stiftung geförderte Institut für Molekulare Biologie in Mainz leitet.
Niehrs und Mitarbeiter hatten kürzlich erste Hinweise darauf gefunden, dass der WntSignalweg – unabhängig von seinem Einfluss auf die Transkription – Proteine vor dem
Abbau schützt. Dadurch können Zellen an Größe zulegen und sich auf die Zellteilung
vorbereiten. Allerdings; so schränkten die Forscher ein, ist eine Transkriptions-unabhängige
Funktion von Wnt extrem schwierig sicher zu beweisen: Zu stark und vielfältig ist der Einfluss
des Signalmoleküls auf die Genaktivität.
So entdeckten die Wissenschaftler männliche Samenzellen als ideales Studienobjekt für
diese Fragestellung: Spermien fehlen die biologischen Voraussetzungen für die
Transkription, in den Samenzellen werden keinerlei Gene abgelesen. Sollte Wnt tatsächlich
eine Wirkung auf die männlichen Geschlechtszellen haben, so müsste diese auf andere
Weise zustande kommen.
Spermien reifen bei ihrer Passage durch den Nebenhoden – erst dort erlangen sie ihre
Beweglichkeit und werden befruchtungsfähig. Einen der geheimnisvollen Faktoren hinter
diesem Reifungsprozess konnten Stefan Koch und Sergio Acebron aus Niehrs‘ Gruppe nun
an Mäusen identifizieren.
Von Zellen des Nebenhodens abgegebenes Wnt sorgt für die essentielle Beweglichkeit und
für entscheidende Änderungen der Proteineigenschaften in den Samenzellen. Dabei verläuft
das Wnt-Signal im Inneren der Spermien über die üblichen, bekannten „Schaltstationen“ –
beeinflusst am Ende aber andere Zielmoleküle. Männliche Mäuse, denen ein neu entdeckter
wichtiger Aktivator des klassischen Wnt-Signalwegs fehlt, sind steril, ihre Spermien
missgebildet und unbeweglich.
„Mit dem Ergebnissen konnten wir wissenschaftlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen“,
sagt Christof Niehrs. „Erstens haben wir einwandfrei belegt, dass der klassische WntSignalweg Körperfunktionen steuert, ohne dazu die Transkription anzukurbeln. Und wir
kennen nun den entscheidenden Faktor, der das Reifungsprogramm der Spermien
koordiniert.“
Stefan Koch freut sich besonders, dass seine Forschungsergebnisse nun – beinahe
unvermutet – auch medizinisch relevant werden könnten: „Wnt hat offensichtlich einen
erheblichen Einfluss auf die männliche Fruchtbarkeit. Wirkstoffe, die den Wnt-Signalweg
blockieren oder aktivieren, werden teilweise bereits in klinischen Studien für andere
Zulassungen geprüft. Sie könnten möglichweise auch bei Fruchtbarkeitsstörungen oder aber
bei der Verhütung wirksam sein.“
Stefan Koch, Sergio P. Acebron, Jessica Herbst, Gencay Hatiboglu, and Christof Niehrs: Posttranscriptional Wnt signaling governs epididymal sperm maturation.
CELL 2015, DOI: 10.1016/j.cell.2015.10.029
Ein Bild zur Pressemitteilung steht im Internet zur Verfügung unter:
http://www.dkfz.de/de/presse/pressemitteilungen/2015/bilder/hu_Spermium_wnt-Rezeptor.jpg
BU: Eine Spermium des Menschen: Der aktive Wnt-Rezeptor ist grün gefärbt, der Zellkern blau.
Quelle: Stefan Koch, DKFZ
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