Seite 4 Donnerstag, 31. Mai 2007 WIRTSCHAFT IN NÜRNBERG Streikparolen statt Oratorien Telekom-Ausstand im Gotteshaus — Pfarrer Schlee: Kirche muss Partei ergreifen VON ILONA HÖRATH den Worten des „Arbeitskampfleiters“ und Betriebsgruppenvorsitzenden der Technikniederlassung in Nürnberg, Willi Graf. Viele der Callcenter-Mitarbeiter, Fernmeldemonteure und Mitarbeiter des Technischen Kundendienstes sitzen stumm gebeugt über Spezi oder Apfelsaft, einige haben es sich auf der ehemaligen dritten Empore mit Blick auf den mächtigen Kirchenraum gegenüber bequem gemacht. In aller Schon von weitem leuchtet ein Stän- Herrgottsfrüh’ haben manche von der mit der Aufschrift „Streiklokal“ ihnen an den Bahnhöfen in Nürnberg, vor dem monumentalen Backsteinbau Fürth, Erlangen und Ansbach eine der Gustav-Adolf-Gedächtniskirche Sonderausgabe der Mitgliederzeitung an der verkehrumtosten Allersberger an die werktätigen Massen verteilt. Straße. Im blendenden Sonnenlicht Auf einem Tisch im Nebenraum lagert stehen nur wenige Telekom-Mitarbei- ein Bündel rotweißer ver.di-Fahnen, ter in kleinen Grüppchen, die meisten in der Ecke lehnt ein Demo-Plakat lauschen drinnen, im Gemeindesaal, „30 Jahr’ dabei – einerlei“. Mehr arbeiten und dafür weniger verdienen? — Auch gestern rief die Gewerkschaft ver.di wieder zum Streik gegen die Umbaupläne der Telekom auf. Mit dabei: Telekom-Beschäftigte in Nürnberg, die sich als Streiklokal einen ganz besonderen Ort gewählt haben: den Gemeindesaal der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Nürnberg-Lichtenhof — Streikparolen statt Oratorien. Ein Streiklokal in der Kirche? Für Dieter Schlee absolut kein Widerspruch: „Die Weicheierei der Kirche ist vorbei. Die Kirche muss Partei ergreifen“, sagt der 60-Jährige gebürtige Nürnberger. Seit 1991 ist er Pfarrer in der nach dem Schwedenkönig benannten Pfeilerkirche, die sich mitten in der Südstadt befindet — dort, wo einst Nürnbergs industrielles Herz schlug. Nach Rücksprache mit der Vertrauensfrau im Kirchenvorstand zögerte Schlee nicht lange und rief den Gemeindesaal auf Bitte von ver.di zum Streiklokal aus. „Es ist sicher das erste Mal, dass es ein Streiklokal in einer Kirche gibt.“ Ein Großteil der Streikenden findet das gut. Auch wenn es bei vielen mit dem sonntäglichen Kirchgang hapert. Durchschnittlich 300 Gewerkschafter kommen täglich zum Streiklokal und bleiben den Vormittag über. „80 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder sind da“, sagt Willi Graf. Sieben seiner Leute wurden sogar in der 1930 erbauten und nach dem Krieg wieder aufgebauten Kirche konfirmiert. Arbeitskampf in der Stille Essen fassen an der Gulaschkanone: In ungewöhnlicher Umgebung erleben die Telekom-Beschäftigten den Streikalltag. Fotos: Ilona Hörath Dieses Gotteshaus sei „ein zentraler Ort, der Bezug zur Telekom hat“, so Graf. Als die Telekom nämlich noch Post hieß, residierten die „Telefonierer“ nur 200 Meter weiter, im ehemaligen Fernmeldeamt 2. Auch ganz praktische Gründe sprachen für die Wahl, schließlich könne man sich hier ganz ohne „Nebengeräusche“, wie in den früheren Streiklokalen Ledererbräu und DGB-Haus, auf das Wesentliche konzentrieren: den Arbeitskampf. Etwa 50000 Jobs sollen in eigenständige Service-Gesellschaften ausgelagert werden, damit die Telekom Kosten sparen kann. Für die Beschäftigten bedeutet dies: vier Stunden länger arbeiten bei neun Prozent weniger Geld – für die Gewerkschaft ver.di ist dies nicht akzeptabel. Viele der Telekom-Mitarbeiter erwarten, dass sie früher oder später „verkauft“ werden, gehe die Gewerkschaft nicht auf die Bedingungen der Telekom ein. Das sei „so sicher wie das Amen in der Kirche“, meint Manfred Fischer. Der 52-Jährige ist Servicetechniker im Außendienst und bringt es auf knapp 35 Jahre bei der Streikposten vor dem monumentalen Backsteinbau der Gustav-Adolf-Gedächtniskirche in Nürnberg. Telekom. „Man fühlt sich einfach verarscht.“ Den Gemeindesaal empfinden einige als „Ort zur Besinnung auf die wirkliche Welt“. Die Menschen mit ihren Problemen nicht alleine lassen zu wollen, bekräftigt auch Pfarrer Dietrich Schlee: „Die Kirche darf nicht den Blick für die kleinen Leute verlieren.“ Dass der Pfarrer eine gewerkschaftliche Vergangenheit hat, verschweigt er nicht. Als Verkaufsleiter bei FaberCastell war er bis 1974 Zweiter Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats. „Nun kommt mir meine industrielle Vergangenheit zugute“, sagt er. Und dass die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer „nicht beständig denen des Kapitals nachgeordnet“ werden dürften. Dies fällt auf fruchtbaren Boden, wie ver.di-Mitglied Wolfgang Friedel, seit 40 Jahren im Betrieb, sagt: „Man erwartet, dass sich Kirche unparteiisch für das Wohl der Menschen einsetzt.“ Massiver weltlicher Beistand hingegen kommt von Frank Bsirske. Der ver.di-Chef droht mit einer Ausweitung des Arbeitskampfes. Man wolle so lange weiterstreiken, „bis ein vernünftiges Angebot auf dem Tisch liegt“. Gefragt, wie lange man im Nürnberger Gemeindehaus bleiben wolle, sagt auch Willi Graf: „Auf Dauer. Der Saal ist geeignet für länger.“ Nürnberger Optiker bietet Branchen-Goliath die Stirn Nürnberg wird zum Mekka der Gründer Mittelständler Frank Schlemmer bekam vorerst vor Gericht Recht: Werbespruch des Marktführers ist falsch Start-Messe öffnet Anfang Juli VON KLAUS WONNEBERGER Die Werbung in Deutschland wird zunehmend aggressiv. Ob sich Baumärkte bekriegen, Unterhaltungselektronik-Märkte regelrechte Rabattschlachten liefern oder Optiker-Ketten gegenseitig anfeinden — der Ton wird immer rauer. Einer, der sich das nicht gefallen lässt, ist der Nürnberger Optiker Frank Schlemmer. Er scheut nicht davor zurück, selbst Optiker-Giganten wie Fielmann in ihre Schranken zu weisen — und bekam gestern Recht vom Nürnberger Landgericht. Denn auch die Kammer sieht in dem Werbespot eine pauschale Herabwürdigung der Mitbewerber. Ein durchschnittlich informierter Zuhörer müsse den Spot so verstehen, dass es in der Augenoptikerbranche gängige Praxis sei, unseriöse Preispolitik in Form von Rabatten und ähnlichen Preisnachlässen zu betreiben, der Verbraucher also Gefahr läuft, beim Brillenkauf einem „Trick“ bei der Preiskalkulation zum Opfer zu fallen — es sei denn, er kauft bei Fielmann. Genau diese Werbeaussage führt aber nach Überzeugung des Landgerichts den Verbraucher in die Irre. Und auch die Werbeaussage, „immer den günstigsten Preis“ zu haben, sei unzulässig, zumal der Nürnberger Optiker glaubhaft machen konnte, dass er einzelne Produkte billiger verkauft als der Branchenriese Fielmann. Der schlaue Optiker aus Nürnberg schickte nämlich zwei Testkäufer los, um dem Gericht zu beweisen, dass Fielmann keinesfalls der günstigste Die Werbeaussagen des Branchenführers in dem Radiospot ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: All die Rabatte, Sonderangebote, Aktionspreise und Gutscheine, die Optik-Geschäfte auf und für ihre Brillen bieten, sind „alles bloß Tricks“, also nichts als Augenwischerei. Denn man wisse ja, dass die ganzen Preisreduzierungen vorher klammheimlich auf die Preise „draufgehauen“ werden. Wie ein Fels in der Brandung stehe (nur) Fielmann da, schließlich hat „der immer den günstigsten Preis“, so die Werbe-Botschaft. „Schlichtweg gelogen“ Der Nürnberger Optiker Frank Schlemmer traute seinen Ohren nicht, als er den Werbespot im Radio zum ersten Mal hörte. Alle Optiker außer Fielmann sollten also Trickser sein und nur Fielmann weit und breit der günstigste Anbieter? „Mich hat das sehr geärgert. Wir bemühen uns seit Jahren, ehrlich zu unserer Kundschaft zu sein, und dann behauptet einer im Radio, dass in der Branche nur mit unsauberen Tricks gearbeitet wird — das ist schlichtweg gelogen.“ Und weil Schlemmer selbst große Namen nicht fürchtet, zog der Branchen-David aus Nürnberg gegen den Optiker-Goliath aus Hamburg mit einer einstweiligen Verfügung juristisch zu Felde. Das Nürnberger Landgericht gab der einstweiligen Verfügung dann auch prompt statt, was sich allerdings Fielmann nicht gefallen lassen wollte. Der Brillen-Filialist klagte gegen diese einstweilige Verfügung — und unterlag. (Aktenzei- Lässt sich von der Größe des Branchenführers Fielmann nicht abschrecken und chen: 3 O 1190/07) pocht auf sein Recht: Der Nürnberger Optiker Frank Schlemmer. Foto: Hippel Anbieter sei. „Ein direkter Preisvergleich hat ergeben, dass Schnäppchenjäger bei uns durchaus wesentlich billiger wegkommen als bei dem Großkonzern. Teilweise waren unsere Angebote mehr als doppelt so billig wie die Offerte des Mitbewerbers“, schildert Schlemmer das Ergebnis dieser Testkäufe, die schließlich auch das Gericht überzeugten. Das Hamburger Unternehmen kündigte gestern an, gegen das Urteil Berufung einzulegen. Zusätzlich will Fielmann „gegen die wahrheitswidrigen“ Erklärungen Schlemmers rechtliche Schritte einleiten." Symptomatisch Der Fall ist offenbar symptomatisch für den harten Wettbewerb dieser Branche. „Seit der Gesundheitsreform hat sich alles verschärft, ist preisaggressiver geworden“, erläutert Schlemmer. In der Tat hat sich die Situation in der Branche seit 2004 dramatisch verändert. Zahlten die Krankenkassen im letzten Jahr vor der Reform noch mehr als 870 Mio. • für Brillen und Kontaktlinsen, so waren es danach nur noch zweistellige Millionenbeträge — das Buhlen um die Kunden begann erst so richtig. Unbestritten die Nummer eins beim Umsatz ist dabei Fielmann. Jede zweite Brille stammt mittlerweile aus Filialen des Hamburger Unternehmens, das mit Slogans wie „Brille zum Nulltarif“ die Branche aufmischt. Dicht hinter Fielmann folgt allerdings schon die in Schwabach ansässige Kette Apollo-Optik, die mit Fielmann in den letzten Jahren zumindest bei der Zahl der Filialen gleichgezogen hat. 40 Mitarbeiter Optik Schlemmer ist dagegen ein mittelständisches Augenoptikunternehmen mit neun Geschäften und zusammen 40 Mitarbeitern im Großraum Nürnberg. Im vergangenen Jahr verkaufte Schlemmer 16 000 Brillen und erzielte einen Umsatz von 3,2 Mio. •. Zum Vergleich: Branchenführer Fielmann gab im vergangenen Jahr 5,8 Millionen Brillen ab und setzte damit rund 913,4 Mio. • um. Anfang Juli wird Nürnberg zum Zentrum der Gründer- und Jungunternehmerszene in Süddeutschland. Am 6. und 7. Juli findet hier erneut die Start-Messe statt. Auf der zweitägigen Veranstaltung in Halle 10 der NürnbergMesse stellen Institutionen, Berater und Netzwerke sowie Verbände, Dienstleistungsunternehmen, Banken, Versicherungen und eine Vielzahl von Franchise-Systemen ihre Angebote zum Thema berufliche Selbstständigkeit vor. Aus der Praxis für die Praxis — das steht bei der Start in Nürnberg im Mittelpunkt. Neben den Ausstellern bieten die Vorträge von Experten und erfolgreichen Existenzgründern eine Vielzahl von Anregungen. Sie zeigen, worauf man bei einer erfolgreichen Gründung achten muss, welche Stolperfallen vermieden werden können, welche Fördermöglichkeiten zur Verfügung stehen und vieles mehr. Zu den Themen der Start gehören: Finanzierung und Fördermittel, innovative Ideen und technologieorientierte Gründungen, neue Geschäfte auf Basis von Franchise-Systemen und Informationen zum großen Thema Unternehmensnachfolge, Daneben gibt es Fallbeispiele für Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit heraus sowie Informationen zu den Bereichen Businessplan und Rating, Marketing und Vertrieb, Recht und Steuern und vieles mehr. Durch das breite Informationsangebot finden Besucher neben der reinen Geschäftsidee auch alle weiteren Bausteine für die berufliche Selbstständigkeit wie Finanzierung, Förderung und Beratung unter einem Dach. Potenzielle Gründer können sich in direkten Gesprächen umfassend informieren. Und wer im Vorfeld Termine mit Ausstellern vereinbaren möchte, kann dies im Internet tun. Viele Firmen bieten hier im Besucherbereich die Möglichkeit einer direkten Kontaktaufnahme. Auch die Online-Anmeldung für ermäßigten Eintritt ist im Internet möglich. nn @ www.start-messe.de Redaktion: Klaus Wonneberger Telefon: (09 11) 2 16 27 10 Wolfgang Heilig–Achneck Telefon: (09 11) 2 16 24 15
© Copyright 2024 ExpyDoc