23. Sonntag im Jahreskreis

Abseits: „Ein Spieler befindet sich in einer Abseitsstellung, wenn er der gegnerischen
Torlinie näher ist als der Ball und der vorletzte Spieler.“ (Fußballregeln des DFB)
„Abseits“: Da ist einer allein losgerannt, hat seine Mannschaft gerade nicht im Blick, will sein
eigenes Ding machen, beteiligt sich nicht am Spielaufbau… - und plötzlich steht er abseits,
das Spiel wird unterbrochen, Freistoß für die Gegner…
Im Evangelium geht es um eine Abseitsstellung im Alltag - und um den neuen Spielaufbau.
„Wenn dein Bruder sündigt“, sagt Jesus, „dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen
zurecht.“ Es geht ihm hier um die Einladung: „Bruder/Schwester, komm zurück ins Spiel!
Wirf dich rein! Mach dein Spiel - mit Gott und mit deiner Mannschaft! Komm ins Team!“
„Abseits“ übersetzt ganz gut das alte Wort „Sünde“. „Sünde“ bedeutet Absonderung,
Trennung. Man ist einander und sich selbst fremd geworden, findet nicht mehr zusammen.
Dann tut es gut, wenn jemand den ersten Schritt macht: „Komm zurück! Komm ins Team!“
Es gibt die sog. „Abseitsfalle“: Da gerät einer ins Abseits, weil die gegnerische Mannschaft
auf ein Stichwort ins Feld rennt und den Angreifer so im Abseits stehen lässt. Kennen wir das
nicht auch, die Abseitsfalle? – In der Schule gibt es meistens einen „Klassenclown“ oder den
„Depp vom Dienst“ – Rollen, in die Menschen eingesperrt werden, und die sie spielen
müssen, weil die Gruppe sie da nicht mehr raus lässt. – Kennen Sie „Abseitsfallen“ im Alltag?
Jesus hat Menschen frei gemacht durch Gemeinschaft und bedingungslose Liebe; er hat sie
aus dem Abseits geholt. Jesus ist Gottes ausgestreckte Hand. „Wenn dein Bruder sündigt,
dann geh zu ihm…“ Das bedeutet: Den Mitmenschen ernst nehmen; ihn oder sie
konfrontieren mit ihrem Fehlverhalten; ehrlich sein, gerade, wenn Unangenehmes zu sagen
ist; sich nicht rausreden mit: „Das muss doch jeder selbst wissen…“
„Einer für alle, alle für einen…“, so heißt es im Fußball. – Das gleiche fordert Jesus auch von
der Gemeinde, dass da nicht einer langsam abgleitet. Alle wissen Bescheid, aber keiner schaut
hin oder sagt etwas (Alkoholismus, häusliche Gewalt, Verwahrlosung, Altersstarrsinn…)
Und wenn alles Reden nicht hilft, sagt Jesus, dann bleibt immer noch das Gebet füreinander:
„Was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen
Vater erhalten…“ Wenn wir am Ende unserer Möglichkeiten sind, ist Gott es noch lange
nicht. Wenn Menschen uns enttäuschen, hilft Beten gegen die Bitterkeit. Wer betet, rechnet
mit Gott.
Die Psychologie sagt: „Das Wort, das dir hilft, kannst du dir nicht selbst sagen.“ – Das Wort:
„Ich liebe dich!“ oder das Wort: „Wie gut, dass es dich gibt!“ oder auch das Wort: „Dir ist
verziehen!“ – Wie schwer tun Menschen sich manchmal, diese einfachen und notwendigen
Worte zu sagen! Wie nötig wäre oft ein klares, ehrliches und darin wertschätzendes Wort!
Meine Erfahrung ist: Was ich Menschen zutraue, das können sie in der Regel auch. Was ich
ihnen zuspreche, das sind sie. Gott legt „Binden“ und „Lösen“ in meine und in deine Hände,
nicht erst in der Beichte! Wir können „Türöffner“ sein für solche, die „draußen“ stehen. Wir
sollen den Himmel offen halten, gerade über denen, die sich abseits gestellt haben oder in der
Abseitsfalle stecken. Unsere Botschaft für sie muss sein: „Komm zurück ins Spiel! Wirf dich
rein! Mach dein Spiel - mit Gott und mit deiner Mannschaft! Komm zu uns ins Team!“
Als Kaplan in Nordwalde war ich verantwortlich für die Jugendarbeit und damit auch für die
Fahrten nach Taizé. Gar nicht mehr so unerfahren in diesen Dingen, vertraute ich die Leitung
eine dieser Fahrten Benedikt an, einem jungen Erwachsenen, der auch Messdienerleiter war.
Die Gruppe war noch nicht wieder zu Hause, da sickerte in Nordwalde die Nachricht durch:
Einige von unseren Jugendlichen sind in Taizé beim Kiffen gepackt worden, einer von ihnen
ist Benedikt. Da war natürlich `was los! Es wurde diskutiert und spekuliert. Ein Teil der
Gemeinde sah das christliche Abendland untergehen. Ich bestellte die jungen Leute zur
„Privataudienz“, und als sie reumütig und schuldbewusst gingen, blieb Benedikt zurück:
„Was bedeutet das jetzt für meine Messdiener-Arbeit?“, fragte er mich. „Ich habe dir immer
vertraut und ich vertraue dir auch jetzt“, habe ich ihm gesagt…
Später erfuhr ich, dass an diesem Tag ein Ruck durch die Messdienerleiterrunde ging…
Die Umkehr eines Menschen geschieht in besonderer Weise durch Zutrauen und durch die
Liebe, nach der sich jeder Mensch sehnt. Gottes Liebe ist nicht an Bedingungen geknüpft.
Gottes Liebe ist bedingungslos, auch dann, wenn ich mich nicht verändere, sogar, wenn ich
diese Liebe zurückweise. Gott liebt dich und mich mit der unendlichen Geduld einer Mutter
oder eines Vaters. Manchmal können wir uns erst dann wirklich verändern, wenn wir das
verstanden haben. So, wie der unbekannte Autor der folgenden Zeilen. Er schreibt:
Jahrelang war ich neurotisch.
Ich war ängstlich und depressiv und selbstsüchtig.
Und jeder sagte mir immer wieder, ich sollte mich ändern.
Und jeder sagte mir immer wieder, wie neurotisch ich sei.
Und sie waren mir zuwider, und ich pflichtete ihnen doch bei,
und ich wollte mich ändern, aber ich brachte es nicht fertig, so sehr ich mich auch bemühte.
Was mich am meisten schmerzte, war, das mein bester Freund mir auch immer wieder sagte,
wie neurotisch ich sei.
Auch er wiederholte immer wieder, ich sollte mich ändern.
Und auch ihm pflichtete ich bei, aber zuwider wurde er mir nicht, das brachte ich nicht fertig.
Ich fühlte mich so machtlos und gefangen.
Dann sagte er mir eines Tages:
„Ändere dich nicht. Bleib, wie du bist.
Es ist wirklich nicht wichtig, ob du dich änderst oder nicht.
Ich liebe dich so, wie du bist. So ist es nun einmal.“
Diese Worte klangen wie Musik in meinen Ohren:
Ändere dich nicht, ändere dich nicht… ich liebe dich.
Und ich entspannte mich, und ich wurde lebendig,
und Wunder über Wunder, ich änderte mich!
Jetzt weiß ich, dass ich mich nicht wirklich ändern konnte,
bis ich jemanden fand, der mich liebte,
ob ich mich nun änderte oder nicht.
Liebst du mich auf diese Weise, Gott?
„…da bin ich mitten unter ihnen…“, sagt Jesus. In seiner Gegenwart können Menschen neu
anfangen. Seine Gegenwart ist der Anfang und das Ziel der Kirche! Gott bei den Menschen –
so ist es immer angefangen… Als Gemeinde können wir der Raum sein, in dem Menschen
diese Erfahrung machen. Sie kommen raus aus dem Abseits und werden reingeholt in die
Gegenwart Gottes, in sein Team. Hier können sie, hier können wir aufatmen und neu
durchstarten.