15-188 Erklärung zum Thema Flucht und Migration „… auch ihr sollt die Fremden lieben, denn ihr seid Fremde in Ägypten gewesen.“ (Dt 10,19) Die Vorstände der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Hochschulgemeinden (AKH) und der Konferenz für Katholische Hochschulpastoral in Deutschland (KHP) haben auf ihren Sitzungen vom 4. bis 8. September 2015 in Bad Honnef über die Herausforderungen beraten, die sich den Hochschulgemeinden, den katholischen Studierenden und den Hochschulen im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik in Deutschland ergeben. Diese einvernehmlich verabschiedete Erklärung richtet sich an die Hochschulgemeinden ebenso wie an die Öffentlichkeit insbesondere an alle Hochschulangehörigen in Deutschland. 1. Die aktuelle politische und soziale Entwicklung und die gesellschaftliche Debatte zu Flucht und Vertreibung in Deutschland und in Europa löst bei vielen Menschen Unruhe aus. Eine seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht gekannte Zahl von Menschen ist auf der Flucht in und nach Europa und viele suchen Schutz in Deutschland. Egal, aus welchen individuellen Motiven sich jeder und jede Einzelne dazu überwindet, seine Heimat und sein eigenes soziales Umfeld zu verlassen, zunächst haben sie alle das grundgesetzlich verbriefte Recht darauf, hier um Schutz zu bitten. Dabei ist es nicht hinnehmbar, wenn diese Menschen auf irgendeine Weise diffamiert oder diskriminiert werden und wenn sie aufgrund ihrer Religion, Ethnie, Herkunft oder aus weiteren Gründen zurückgesetzt werden. 2. Nach Artikel 16a des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland hat jede und jeder Recht auf Asyl, der politisch verfolgt wird. Dazu gehört nicht nur eine Verfolgung aufgrund politischer Ansichten, sondern beispielsweise auch aufgrund der Religion, der Ethnie, der sexuellen Orientierung. Das Grundgesetz gewährt als eine der wenigen Verfassungen der Erde unter bestimmten Voraussetzungen jeder und jedem politisch Verfolgten einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Asyl. Deutschland bezieht seine Einstellung zu Flüchtlingen also nicht nur aus dem internationalen Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 (der Genfer Flüchtlingskonvention). Unser Land hat das Recht auf Asyl vielmehr als eine grundlegende Norm gesetzt. Das Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) führt dies ausführlich in seinem ersten Paragraphen aus. Eingeschränkt wird dies zunächst nur, wenn die Bewerberin oder der Bewerber ein schwerwiegendes Verbrechen begangen hat. Nach § 30 AsylVfG gibt es allerdings Anträge, die als „offensichtlich unbegründet“ eingestuft werden. Aber auch dann wird jedem einzelnen Flüchtling das Recht eingeräumt, dass sein oder ihr Antrag geprüft wird. Es ist insofern nicht nur ethisch inakzeptabel, sondern auch sachlich falsch, von „Asylmissbrauch“ zu sprechen. 3. Laut dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) sind derzeit weltweit circa 59,5 Mio. Menschen auf der Flucht vor Krieg und Vertreibung, das entspricht nahezu der Einwohnerzahl von ganz Italien. Davon sind 38,2 Mio. Menschen Binnenvertriebene, 19,5 Mio. sind Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. 2014 waren es 42.500 Menschen pro Tag, die ihre Heimat verlassen haben.1 Zwei Drittel aller Menschen auf der Flucht fliehen also möglichst in die Nähe ihrer eigenen Heimat. Problematisch ist dies für eine Reihe von kleinen oder wirtschaftlich nicht sehr starken Ländern, die sehr große Zahlen an Flüchtlingen aufnehmen und versorgen. So beherbergt etwa der 1 Vgl. UNHCR: World at War. UNHCR Global Trends. Forces Displacement in 2014, Genf 2015, S. 2. 2 Libanon mit 23,2 % der Bevölkerungszahl die proportional höchste Zahl an Flüchtlingen2 - im Vergleich: Deutschland erwartet für das gesamte Jahr 2015 eine Zahl, die etwa 1 % der Bevölkerung ausmacht. Angesichts dieser Proportionen von einer nicht mehr bewältigbaren „Flüchtlingswelle“ zu sprechen, ist schlicht eine maßlose Übertreibung. 4. Darüber hinaus flüchtet eine nicht näher genannte Zahl von Menschen aus ihren Heimatländern aufgrund wirtschaftlicher Not und Perspektivlosigkeit. Die Aussicht auf den erhofften Flüchtlingsstatus ist fast durchweg aussichtslos, da diese Menschen nach Meinung der Bundesregierung aus sicheren Herkunftsländern stammen.3 Beim Asylverfahren werden jedoch die individuellen Lebensumstände und ethnischen Hintergründe der Menschen nicht ausreichend bewertet. Doch selbst diese zusätzliche Zahl von Flüchtlingen würde Deutschland nicht in eine soziale oder finanzielle Schieflage bringen. Bei aller Diskussion in der Flüchtlingsdebatte entspricht es aus unserer Sicht nicht dem Grundgesetz, eine Bewertung der unterschiedlichen Gründe der Flucht im Vorfeld vorzunehmen. 5. Eine umfassende Ursachenanalyse für die beunruhigende Zunahme von Flucht und Vertreibung in vielen Regionen der Welt kann an dieser Stelle nicht geschehen. Ein paar offensichtliche Defizite im Kontext der Globalisierungsentwicklung und der internationalen Politik der letzten Jahrzehnte sind aber unübersehbar4: 1) Eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit zwischen Nord und Süd wurde über viele Jahre vernachlässigt. Auch heute wird - gerade in unserem wohlhabenden Land - die Debatte über angemessene internationale Zusammenarbeit, über Chancengleichheit und gerechten Handel (Fair Trade) nicht mit dem erforderlichen Nachdruck geführt. Das gesellschaftliche Bewusstsein für globale Gerechtigkeit ist gering ausgeprägt. 2) Der Handel mit militärischen Gütern, insbesondere mit Handfeuerwaffen, wird nur unzureichend beschränkt. 3) Zu oft setzen die internationale Gemeinschaft oder einzelne Staaten zudem einseitig auf militärische Interventionen als Mittel zur Lösung regionaler Konflikte. Selten wurde dadurch eine langfristige Stabilisierung erreicht. Die verschärfte Gewalt aber treibt immer mehr Menschen in die Flucht. Es wird also deutlich, dass die Flüchtlingsbewegungen zu einem gewissen Teil auch von Deutschland und Europa mitverschuldet sind. Wir können deshalb nicht so tun, als wären wir Unbeteiligte an der bisherigen Entwicklung. 6. Die Flucht nach Europa bzw. Deutschland ist in vielen Fällen traumatisierend und gefährlich. Zum Teil durchqueren diese Menschen die Sahara und das Mittelmeer. Oder sie laufen mehrere tausend Kilometer zu Fuß durch Europa. Wie lebensbedrohlich dieser Weg ist, sehen wir täglich in den Medien. Angesichts der Bereitschaft, diese Strapazen auf sich zu nehmen, ist nicht davon auszugehen, dass irgendwelche Grenzanlagen dauerhaft Menschen von der Flucht abhalten. Warum leistet sich also Europa den Skandal, dass so Viele unterwegs umkommen müssen, und warum leistet Europa nicht mehr direkte Hilfe? Warum werden Kräfte in letztlich sinnlose Grenzbefestigungen investiert, wo doch sichere und verlässliche Korridore und Ursachenbekämpfung in den Krisenregionen gefordert wären? Zumindest in akuten Kriegsregionen wie beispielsweise Syrien, Teilen des Irak, Afghanistan, Somalia oder Eritrea gebietet es die schlichte Menschlichkeit, Leben ohne Wenn und Aber zu retten! 7. Die Flüchtlinge, die in Deutschland sind, erfahren sehr viel Hilfe von vielen Menschen, die sich durch deren Schicksal anrühren lassen. Dennoch wird von manchen Politikern und Politikerinnen, von nationalistisch oder rechtspopulistisch Eingestellten lautstark von „Asylmissbrauch“ und von „Flüchtlingsfluten“ gesprochen. Über die sozialen Medien wird, zum Teil sogar unter dem eigenen Klarnamen, offensichtlich rassistisches Gedankengut gestreut, das unter den Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) fallen könnte.5 Wir wenden uns entschieden gegen jegliche menschenverachtende Äußerungen in der Beschäftigung mit der gegenwärtigen Flüchtlingskrise. 2 Vgl. ebenda, S. 3. Vgl. Bundesministerium des Inneren: Bundesregierung beschließt Gesetzesentwurf zu sicheren Herkunftsstaaten: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2014/04/sichere-herkunftstaaten.html, 06.09.2015. 4 Vgl. die Analyse von Peter Vonnahme, Vorboten einer neuzeitlichen Völkerwanderung: http://www.hintergrund.de/201508223637/feuilleton/zeitfragen1/vorboten-einer-neuzeitlichen-voelkerwanderung.html, 22.08.2015. 5 Dies wäre dann der Fall, wenn Aufrufe zu Gewalt oder sogar staatlicher Gewalt gegen Flüchtlinge als Gruppe als Anstachelung von Menschen zur Störung des „öffentlichen Friedens“ nach § 130,1 StGB gewertet würden. 3 3 Unsere Forderungen Die Katholischen Hochschulgemeinden in Deutschland, vertreten durch die Vorstände der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Hochschulgemeinden (AKH) und der Konferenz für Katholische Hochschulpastoral in Deutschland (KHP), wenden sich in aller Deutlichkeit gegen einzelne Personen und Gruppen in unserem Land, die durch Äußerungen oder Handlungen Menschen diskriminieren, egal aus welchem Grund. Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Komplexität der Flüchtlingsfrage weisen wir jede Vereinfachung und Verunglimpfung zurück. Die Unzufriedenheit, Unsicherheit und Angst vor dem Fremden darf nicht dazu führen, dass wir den ersten Artikel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vergessen: Die Würde eines jeden Menschen ist unantastbar. Wir sehen in den gegenwärtigen Debatten insbesondere auch die Hochschulen als öffentliche Institutionen in der Pflicht, einen Beitrag zu einer breiten Bewusstseinsbildung über die Werte zu leisten, die hier auf dem Spiel stehen, und ein differenziertes Urteilsvermögen zu fördern, wie in dieser Krisensituation zu handeln ist. Selber möchten wir uns als Kirchen an den Hochschulen gemeinsam mit allen Menschen guten Willens in die Pflicht nehmen, diese Bildungsaufgabe nach Kräften zu unterstützen und zu befördern. Als Christinnen und Christen sehen wir es als zutiefst in unserem Glauben wurzelnde Aufgabe an, Menschen, die auf der Flucht sind, in ihrer Not beizustehen – und dies schließt auch ein, für sie öffentlich einzutreten, wenn sie als Mensch in irgendeiner Weise zurückgesetzt werden. Wir freuen uns ausdrücklich über das hohe Engagement und die aufrechten Äußerungen unserer Bischöfe und kirchlicher Stellen zur Flüchtlingshilfe. Als Teil der Kirche fordern wir alle Hochschulgemeinden auf, kreativ, mit Entschlossenheit und langem Atem sich aktiv in die Arbeit für Flüchtlinge und mit Flüchtlingen einzubringen. Als bundesweites Netzwerk stellen wir Ressourcen zur Verfügung, um Erfahrungen auszutauschen, gemeinsam Ideen zu entwickeln und ein langfristiges Engagement in diesem caritativen Feld zu fördern. Dies ist auch eine Frage unserer Glaubwürdigkeit in dieser Gesellschaft. Bad Honnef, 8. September 2015 Kontaktinformationen: Charlotte Dietrich (AKH) Jürgen Hünten (KHP) Dr. Lukas Rölli (Geschäftsführer) (0170) 21 96 153, (0211) 934 92-0, (0163) 339 23 67, [email protected] [email protected] [email protected] Die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Hochschulgemeinden (AKH) und die Konferenz für Katholische Hochschulpastoral in Deutschland (KHP) unterstützen unter dem Dach des Forum Hochschule und Kirche e.V. (FHoK) bundesweit die Präsenz der katholischen Kirche an den Hochschulen. Im FHoK arbeiten weiter der Bundesverband Katholischer Studentenwohnheime, die Arbeitsgemeinschaft Studierende der katholischen Theologie (AGT), die Arbeitsgemeinschaft der katholischen Studentenverbände (AGV), die kirchlichen Studienförderwerke Cusanuswerk, Hildegardis-Verein und Katholischer Akademischer Ausländer-Dienst (KAAD) sowie Organisationen der katholischen Erwachsenenbildung (AKSB und KEB) zusammen. Ansprechpartner: Dr. Lukas Rölli (Geschäftsführer, V.i.S.d.P.) Forum Hochschule und Kirche e.V., Rheinweg 34, 53113 Bonn Tel. (0163) 339 23 67 E-Mail: [email protected] Web: www.fhok.de
© Copyright 2024 ExpyDoc