thielemann bronfman - Staatskapelle Dresden

SAISON 2015 2016
13. / 14.9.15
1. SYMPHONIEKONZERT
Christian
THIELEMANN
BRONFMAN
Yefim
IHRE PREMIERE
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PERFEKTEN KOMPOSITION FOLGT: DIE GL ÄSERNE MANUFAKTUR
SAISON 2015 2016
13. / 14.9.15
1. SYMPHONIEKONZERT
VON VOLKSWAGEN IN DRESDEN.
Christian
THIELEMANN
BRONFMAN
Yefim
PA R T N E R D E R
S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N
+ 49 351 420 44 11
W W W.G L A E S E R N E M A N U FA K T U R . D E
1. SYMPHONIEKONZERT
SO N N TAG
13.9.15
20 UHR
M O N TAG
14.9.15
20 UHR
PROGRAMM
SEMPEROPER
DRESDEN
Christian Thielemann
Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Dirigent
Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37
1. Allegro con brio (Kadenz: Ludwig van Beethoven)
2. Largo
3. Rondo. Allegro
Yefim Bronfman
Klavier
PAU S E
Anton Bruckner (1824-1896)
Symphonie Nr. 6 A-Dur
1. Majestoso
2. Adagio. Sehr feierlich
3. Scherzo – Trio. Nicht schnell – Langsam
4. Finale. Bewegt, doch nicht zu schnell
Bronfmans Beethoven
Wie ein roter Faden durchziehen die fünf Beethoven’schen Klavierkonzerte die Dresdner Residenz von Yefim Bronfman: Mit dem dritten
Konzert des Wiener Klassikers stellt sich der Ausnahmepianist als neuer
Capell-Virtuos vor. Eine Werkreihe, die über die Spielzeit hinausgreift, ist
der von Chefdirigent Christian Thielemann dirigierte Bruckner-Zyklus,
den er in dieser Saison mit der »kecken« Sechsten des großen österreichischen Symphonikers fortsetzt.
Kostenlose Konzerteinführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn
im Foyer des 3. Ranges der Semperoper
TV-Aufzeichnung durch UNITEL
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1. SYMPHONIEKONZERT
Christian Thielemann
CHEFDIRIGENT DER
S Ä C H S I S C H E N S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N
D
ie Saison 2015 / 2016 ist Christian Thielemanns vierte Spielzeit
als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle. Über Stationen
an der Deutschen Oper Berlin, Gelsenkirchen, Karlsruhe,
Hannover und Düsseldorf kam er 1988 als Generalmusikdirektor nach Nürnberg. 1997 kehrte der gebürtige Berliner in
seine Heimatstadt als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin
zurück, bevor er das gleiche Amt von 2004-2011 bei den Münchner Philharmonikern innehatte. Neben seiner Dresdner Chefposition ist er seit
2013 Künstlerischer Leiter der Osterfestspiele Salzburg, deren Residenz­
orchester die Staatskapelle ist, und seit Juni 2015 Musikdirektor der
Bayreuther Festspiele. Den Komponistenjubilaren der vergangenen beiden
Jahre, Wagner und Strauss, widmete er sich am Kapell-Pult in Konzert
und Oper. Er leitete Neuproduktionen der »Elektra« in Dresden sowie
»Parsifal« und »Arabella« in Salzburg. Für seine Interpretation der »Frau
ohne Schatten« bei den Salzburger Festspielen 2011 wählte ihn das Fachmagazin Opernwelt zum »Dirigenten des Jahres«.
Eine enge Zusammenarbeit verbindet Christian Thielemann mit
den Berliner und Wiener Philharmonikern sowie mit den Bayreuther Festspielen, die er seit seinem Debüt im Sommer 2000 (»Die Meistersinger von
Nürnberg«) alljährlich durch maßstabsetzende Interpretatio­nen prägt und
deren musikalischer Berater er seit 2010 ist. 2015 fand hier sein Dirigat
von »Tristan und Isolde« große Beachtung. Im Zuge seiner vielfältigen
Konzerttätigkeit folgte er Einladungen u. a. der führenden Orchester in
Amsterdam, London, New York, Chicago und Philadelphia und gastierte
außerdem in Israel, Japan und China.
Christian Thielemanns Diskografie als Exklusivkünstler der
UNITEL ist umfangreich. Im Rahmen seiner zahlreichen Aufnahmen
mit der Staatskapelle erschienen jüngst der gemeinsame Brahms-Zyklus,
Bruckners Symphonie Nr. 5 sowie Strauss’ »Elektra« und »Arabella« auf
CD bzw. DVD. Mit den Wiener Philharmonikern legte er eine Gesamteinspielung der Symphonien Beethovens vor. Er ist Ehrenmitglied der
Royal Academy of Music in London sowie Ehrendoktor der Hochschule
für Musik »Franz Liszt« Weimar und der Katholischen Universität
Leuven (Belgien). Im Mai 2015 wurde ihm der Richard-Wagner-Preis der
Richard-Wagner-Gesellschaft der Stadt Leipzig verliehen.
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1. SYMPHONIEKONZERT
Yefim Bronfman
C A P E L L -V I R T U O S 2 015 | 2 016
D E R S Ä C H S I S C H E N S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N
Y
efim Bronfman gilt als einer der bedeutendsten Klaviervirtuosen der Gegenwart. Seine makellose Technik und hohe
Interpretationskunst werden vom Publikum und von der
Fachwelt gleichermaßen geschätzt. Nach seinem Studium in
Israel und Amerika bei Rudolf Firkušný, Leon Fleisher und
Rudolf Serkin etablierte er sich als Solist auf den führenden Konzertbühnen der Welt. Bereits 1991 erhielt Yefim Bronfman, US-Amerikaner
usbekischer Herkunft, den Avery Fisher Prize, eine der höchsten
Auszeichnungen für amerikanische Musiker. Als Kammermusiker und
musikalischer Partner großer Symphonieorchester ist er gern gesehener
Gast renommierter Festivals, u.a. bei den Salzburger Festspielen, dem
Lucerne Festival und dem Tanglewood Festival. Dabei konzertiert er
mit Solisten wie Yo-Yo Ma, Joshua Bell, Lynn Harrell, Shlomo Mintz,
Anne-Sophie Mutter und Pinchas Zukerman. Auch mit Ensembles wie
dem Emerson-, dem Guarneri- und dem Juilliard Quartett arbeitet Yefim
Bronfman regelmäßig zusammen.
Neben dem klassischen Repertoire gilt seine besondere Aufmerksamkeit dem zeitgenössischen Fach. Yefim Bronfmans umfangreiches
Wirken ist auf zahlreichen CD- und DVD-Produktionen dokumentiert.
Eine Aufnahme der Bartók-Konzerte mit dem Los Angeles Philharmonic unter der Leitung von Esa-Pekka Salonen wurde 1997 mit einem
Grammy ausgezeichnet. Auf DVD ist Beethovens fünftes Klavierkonzert mit dem Concertgebouworkest unter Andris Nelsons erschienen,
aufgenommen im Rahmen des Lucerne Festivals 2011, ebenso wie ein
Konzertmitschnitt von Rachmaninows drittem Klavierkonzert mit den
Berliner Philharmonikern und Simon Rattle sowie eine Einspielung der
Konzerte Beethovens mit dem Tonhalle-Orchester Zürich und David
Zinman. Nach seinem gefeierten Debüt mit der Sächsischen Staatskapelle während der Osterfestspiele 2013 unter der Leitung von Christian
Thielemann wird Yefim Bronfman die Spielzeit 2015 / 16 als CapellVirtuos ganz wesentlich prägen. Neben sämtlichen Klavierkonzerten
von Ludwig van Beethoven – in Dresden wie auch auf Tournee – wird er
am 23. März 2016 in der Semperoper im Rahmen eines Solorezitals mit
Werken von Robert Schumann und Sergej Prokofjew zu hören sein.
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1. SYMPHONIEKONZERT
Ludwig van Beethoven
* (getauft) 17. Dezember 1770 in Bonn
† 26. März 1827 in Wien
SPIELERISCHE ELEGANZ UND
KLAGENDE RHETORIK
Ludwig van Beethovens
Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37
Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll op. 37
1. Allegro con brio (Kadenz: Ludwig van Beethoven)
2. Largo
3. Rondo. Allegro
V
ENTSTEHUNG
BESETZUNG
1796-1803 in Berlin,
Prag und Wien
WIDMUNG
2 Flöten, 2 Oboen,
2 Klarinetten, 2 Fagotte,
2 Hörner, 2 Trompeten,
Pauken, Streicher
Prinz Louis Ferdinand
von Preußen
V E R L AG
U R AU F F Ü H R U N G
Breitkopf & Härtel,
Wiesbaden / Leipzig
5. April 1803 in der Großen
musikalischen Akademie
im Theater an der Wien mit
Beethoven am Klavier
8
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DAU ER
ca. 40 Minuten
on allen fünf Klavierkonzerten Ludwig van Beethovens steht
einzig das dritte in einer Molltonart. Das besagt zunächst
wenig, fällt beim ersten Blick jedoch auf. Ein Einzelgänger
in der Mitte der Werkgruppe, ein Solitär, der die Aufmerksamkeit schnell auf sich lenkt, als den Vergleich zu seinen
Geschwisterwerken aufzunehmen. Das ist im Grunde auch sinnvoll, denn
jedes Opus steht für sich und erhebt einen absoluten Anspruch. Dafür
tritt Beethoven allemal ein, auch wenn seine Wege dahin mehreren
Wandlungen unterliegen. Grob gesprochen fällt die Entstehung des
c-Moll-Konzertes in eine Phase genreübergreifender Neuorientierung
und beschreibt einen Aufbruch, der sich für Experimente und Neuerkundungen offen zeigt. Immerhin, die Entstehung zieht sich mit einigen
Unterbrechungen über mehrere Jahre hin. Mit den kompositorischen
Ausflügen in andere Gattungen, die gerade in diese Zeit fallen, schärft
Beethoven sein kompositorisches Profil und nutzt die Gelegenheit, hier
gewonnene Erfahrungen auf ihm bereits vertrauten Feldern anzuwenden.
Erste Skizzen des Konzerts finden sich im zeitlichen Umfeld
zu seinen Konzertreisen nach Berlin 1796 und Prag 1798. Vermutlich
entsteht der erste thematische Entwurf zum Kopfsatz im Oktober 1798
in temporärer Nähe zu Beethovens Prag-Reise. Weitere Hinweise zur
Arbeit am c-Moll-Konzert im Jahr 1798 sind nicht überliefert. Beethovens
Bruder Kaspar Karl bemerkt noch im März 1802 in einem Brief an
den Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel: »Ferner werden wir in 3 bis
4 Wochen eine grose Simpfonie [gemeint ist die zweite Symphonie in
D-Dur], und ein Konzert für das Klavier haben.« Das ist zu optimistisch
gedacht, wie sich bald herausstellt, und möglicherweise liegt die Motivation darin, den Verleger hinzuhalten. In Leipzig, so wird klar, muss man
sich noch bis zur Fertigstellung gedulden – und nicht nur dort. Dabei gibt
1. SYMPHONIEKONZERT
Ludwig van Beethoven Elfenbeinminiatur von Christian Horneman (1802)
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es gute Gründe anzunehmen, dass der erste Satz weitgehend ausgereift
und der zweite in Auszügen zur ursprünglich geplanten Uraufführung am
2. April 1800 im Hofburgtheater vorliegen, jedoch angesichts der noch
unvollendeten Komposition nicht gespielt werden. Später dann, als sich
die Zeichen 1803 für die Uraufführung zunehmend verdichten, kommt es
zu einer Revision des ersten Satzes, ferner zu einer genaueren Festlegung
des zweiten und zu einer ersten Niederschrift des dritten Satzes, sodass
eine längere Unterbrechung der Komposition nach dem April 1800 wahrscheinlich ist. Doch bedeutet auch diese aufführbare Version von 1803
zunächst nur eine weitere, wenngleich wichtige Station innerhalb der
Entstehung des Werks, da Beethoven den Klavierpart zur Uraufführung
offensichtlich weitgehend improvisiert hat.
Die Premiere des Stücks spielt sich im Rahmen einer groß angelegten musikalischen Akademie im Theater an der Wien am 5. April
1803 ab, in der ausnahmslos Werke von Beethoven zur Aufführung
kommen. Geplant ist ein enorm umfangreiches Programm: die zweite
Symphonie, das c-Moll-Klavierkonzert, die erste Symphonie sowie das
Oratorium »Christus am Ölberge«. Von Beethovens Schüler Ferdinand
Ries ist ein Bericht über die Generalprobe am Vormittag jenes 5. April
überliefert: »Die Probe fing um acht Uhr morgens an … Es war eine
schreckliche Probe und um halb drei Uhr Alles erschöpft und mehr oder
weniger unzufrieden. Fürst Karl Lichnowsky, der von Anfang der Probe
beiwohnte, hatte Butterbrot, kaltes Fleisch und Wein in großen Körben
holen lassen. Freundlich ersuchte er Alle, zuzugreifen, welches nun auch
mit beiden Händen geschah und den Erfolg hatte, dass man wieder guter
Dinge wurde. Nun bat der Fürst, das Oratorium noch einmal durchzuprobieren, damit es Abends recht gut ginge und das erste Werk dieser
Art von Beethoven, seiner würdig, ins Publikum gebracht würde. Die
Probe fing also wieder an. Das Concert begann um sechs Uhr, war aber
so lang, dass ein Paar Stücke nicht gegeben wurden.« Für das c-MollKlavierkonzert bittet Beethoven den Kapellmeister des Theaters Ignaz von
Seyfried zum Umblättern während des Spiels. Noch Jahre später erinnert
sich Seyfried: »Beethoven ergötzte sich an meiner Verwunderung, als
ich in der aufliegenden Stimme trotz der bewaffneten Augen ausser dem
Schlüssel, der Vorzeichnung und verschieden über das Blatt hinlaufenden
Kreuz- und Querstrichen wenig mehr als Nichts zu gewahren im Stande
war. Er hatte sich nämlich, einzig zur Erinnerung, blos die Ritornelle und
die Eintritte der Solos mittelst nur ihm verständlicher Zeichen notirt und
das Niederschreiben für den zukünftigen Druck auf einen gelegeneren,
mehr Musse gewährenden Zeitpunkt prolongiert. Bei solcher Gestalt der
Sachen wurde also zwischen uns der Accord [die Übereinstimmung]
geschlossen, gemäss welchem ich jedes Mal vor Beendigung einer Seite
1. SYMPHONIEKONZERT
Theater an der Wien Jakob Alt (1815)
zum Vertiren [Umwenden] avisirt werden sollte. Während der Production
jedoch konnte der damals noch so lebenslustige, für jeden harmlosen
Scherz und unschuldige Neckerei immerdar gestimmte Meister sich die
Lust nicht versagen, mich recht in die Enge zu treiben und das verabredete Signal so lange als möglich, meistens bis zum letzten Entscheidungsmoment hinauszuschieben.« Liest man die Zeilen, gewinnt man
den Eindruck, dass hier alles andere als reines Improvisationsspiel am
Werk ist. Beethoven scheint vielmehr weite Passagen im Kopf zu haben.
Mit nur sparsam fixierten Zeichen schafft er eine Gedächtnisstütze, die
für Nichteingeweihte mühsam zu entziffern ist. Seyfried spricht von »fast
lauter leeren Blättern«, die er erblickt habe. Wozu aber braucht Beethoven
einen Seitenwender, wenn es nur »leere Blätter« gibt? Offensichtlich
bezieht er seinen Witz aus einem insgeheimen Wissensvorsprung, der
dem Publikum das Gefühl vermittelt, Zeuge unmittelbarer Eingebung
zu sein. Vielleicht aber, so sei mit Vorsicht hinzugefügt, kompensiert
Beethoven damit auch eine Form der Kommunikation, die durch zunehmende Schwerhörigkeit gekennzeichnet ist. Beethoven beobachtet, was
ein anderer Beobachter beobachtet und vertauscht damit die Verknüpfungsprozesse zwischen Bewusstseinssystemen – ein »Spaß«, der bei
den Hörern nicht recht ankommt. Der Rezensent der Uraufführungskritik
schreibt in der Zeitung für die elegante Welt: »Weniger gelungen war das
folgende Konzert aus C moll, das auch Hr. v.B., der sonst als ein vorzüglicher Klavierspieler bekannt ist, nicht zur vollen Zufriedenheit des Publi-
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kums vortrug.« Weitaus besser ergeht es der zweiten Aufführung 1804, in
der Ferdinand Ries dem Werk zum Durchbruch verhilft. Die Allgemeine
Musikalische Zeitung vermerkt: »Dies Konzert gehört ohnstreitig unter
Beethovens schönste Kompositionen. Es wurde meisterhaft ausgeführt.
Hr. Ries, der die Solostimme hatte, ist gegenwärtig Beethovens einziger
Schüler, und sein leidenschaftlicher Verehrer; er hatte das Stück ganz
unter seines Lehrers Leitung geübt, und zeigte einen sehr gebundenen,
ausdrucksvollen Vortrag, so wie ungemeine Fertigkeit und Sicherheit in
leichter Besiegung ausgezeichneter Schwierigkeiten.«
Es mag zutreffen, dass dieses Konzert zum schönsten gehört,
was Beethoven geschrieben hat, neu ist es in der Behandlung durchaus.
Das Werk fällt in eine Phase, in der Beethoven seinen Horizont weitet:
in diesem Zeitraum entsteht das Oratorium »Christus am Ölberge«
und seine Ballettmusik »Die Geschöpfe des Prometheus«. Spürbar will
Beethoven sich von seinen Vorgängern absetzen, vor allem von Joseph
Haydn. Paradoxerweise bedient sich dieser Bruch zahlreicher Entlehnungen und Anklänge an eben jene Wegbereiter, die Beethoven eigentlich zu überwinden sucht. Man merkt, es findet eine Auseinandersetzung
statt – namentlich mit Mozart, dessen c-Moll-Klavierkonzert KV 491
an einigen Stellen in Resonanz zu Beethovens c-Moll-Konzert tritt. Der
Respekt gegenüber dem Salzburger Meister ist trotz aller Emanzipationsbestrebungen nicht zu überhören. Es überrascht daher kaum, dass
Beethoven gerade dieses Werk von Mozart besonders geschätzt haben
soll. Dennoch gibt sich der Kopfsatz alles andere als mozartisch. Das
Orchestertutti am Anfang des Satzes, durch einen vollen Halt und eine
wirkungsvolle Fermate vom Nachfolgenden getrennt, macht einen so
selbständigen Eindruck, als handelte es sich um ein geschlossenes Werk.
Dem Einschnitt folgt eine aufgelockerte Formstruktur, die aus der Soloexposition eine verzierte Fassung des Tutti macht, statt wie bei Mozart zu
einer neuen dramatischen Darstellung des Materials zu kommen.
Das eigentlich Neue ereignet sich im zweiten Satz, in dem nicht
nur die Wahl der Tonart ungewöhnlich ist. Im Largo spürt man den
Atem einer Arie, verwoben in eine Ornamentik ausgeschriebener Verzierungen, sogenannter Fiorituren, die den Hauch eines sich verströmenden
Geistes ahnen lassen. Die Intimität erfordert eine deutliche Reduzierung
der Orchesterbesetzung: Die im Kopfsatz agierenden Oboen, Klarinetten,
Trompeten und Pauken pausieren hier ganz, lediglich die Flöten, Fagotte
und Hörner kommen zum Einsatz, zudem gedämpfte Streicher. Auffallend ist im Mittelteil ein sich entspinnender Dialog zwischen Fagott
und erster Flöte, begleitet von akkordischen Figurationen im Klavier
und Streichern im Pizzicato. Wenn Beethoven in der Kadenz ein sempre
con gran espressione vorschreibt, untermauert er damit die Intention
1. SYMPHONIEKONZERT
des Satzes, alles auf Ausdruck auszurichten, auf Intensivierung eines
Zeitgefühls, das im Klavierpart den Einsatz aller Mittel und damit eine
Auffächerung verschiedener Stimmungen anstrebt. Ein früher Rezensent
spricht denn auch von »einem der ausdrucksvollsten und empfindungsreichsten Instrumentalstücke, die jemals geschrieben worden sind«.
Klassisches Denken, wenn es auch eigene Wege geht, ist jedoch
auf Ausgleich angelegt, auf Kontrastierung. Und so pendelt das Thema
des dritten Satzes zwischen natürlicher und kunstfertiger Anmutung
und verbindet spielerische Leichtigkeit mit seufzender Rhetorik. In
seiner einprägsamen Gestalt etabliert es sich zusehends als Kraftzentrum des Rondos. Das Ganze erinnert an die Empfehlung des Beet­
hovenschülers Carl Czerny, das Thema sei zwar klagend, aber mit naiver
Einfachheit vorzutragen. Doch auch hier wird das Idiomatische stilis­
tisch verändert, wenn es im Mittelteil zu einem die Stimmen verdichtenden Fugato kommt. Einmal mehr zeigt sich Beethoven als Komponist, der die Elastizität des Themas nutzt, um daraus eine Vielfalt abzuleiten, die sich trotz loslösender Tendenzen von führenden Komponisten
seiner Zeit weiterhin dem klassischen Ideal der Einheit in der Mannigfaltigkeit verpflichtet fühlt.
Der Anstoß zum Werk hatte sich während Beethovens Aufenthalt
in Berlin 1796 ergeben, als der Komponist unter anderem die persönliche
Bekanntschaft mit Prinz Louis Ferdinand von Preußen macht, einem
versierten Klavierspieler und nicht unbegabten Tonsetzer. 1804, acht
Jahre später, weilt der Prinz anlässlich der österreichischen Herbstmanöver für kurze Zeit in Wien, wo er im Palais des Fürsten Lobkowitz
Beethovens »Eroica« hört. Hier schließt sich der Bogen: Beethoven
widmet dem Prinzen sein Klavierkonzert, das im Stich fast fertiggestellt
ist, und macht den preußischen Prinzen zum Kronzeugen einer Entwicklung, an deren Anfangs- und Endpunkt er selber stand.
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ANDRÉ PODSCHUN
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1. SYMPHONIEKONZERT
Anton Bruckner
* 4. September 1824 im oberösterreichischen Ansfelden
† 11. Oktober 1896 in Wien
DER UNENDLICHE SCHEIN
DES ENDLICHEN
Anton Bruckners Symphonie Nr. 6 A-Dur
Symphonie Nr. 6 A-Dur
1. Majestoso
2. Adagio. Sehr feierlich
3. Scherzo – Trio. Nicht schnell – Langsam
4. Finale. Bewegt, doch nicht zu schnell
ENTSTEHUNG
1879-1881
WIDMUNG
Dr. Anton von Ölzelt-Newin
und seiner Frau Amy, geb. von
Wieser (Anton von OelzeltNewin ist Bruckners Hausherr
in der Heßgasse 7 in Wien)
U R AU F F Ü H R U N G
Adagio und Scherzo am
11. Februar 1883 im Wiener
Musikverein unter Hofopern­
direktor Wilhelm Jahn in
An­wesenheit des Komponisten;
eine gekürzte Version dirigiert
Gustav Mahler am 26. Februar
1899 im Musikverein Wien;
erste ungekürzte Auffüh-
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rung unter Stuttgarts Hofkapellmeister Karl Pohlig am
14. März 1901 in Stuttgart;
Dresdner Erstaufführung am
14. Januar 1910 unter Ernst von
Schuch in der Semperoper
BESETZUNG
2 Flöten, 2 Oboen,
2 Klarinetten, 2 Fagotte,
4 Hörner, 3 Trompeten,
3 Posaunen, Tuba,
Pauken, Streicher
V E R L AG
Musikwissenschaftlicher
Verlag Wien
DAU ER
ca. 60 Minuten
A
n seiner sechsten Symphonie arbeitet Anton Bruckner
ziemlich genau zwei Jahre, die zu seinen glücklichsten
zählen. Er beginnt mit der Niederschrift im Spätsommer
1879 und schließt sie am 3. September 1881 ab. Dazwischen liegt eine ausgedehnte Reise, die den Komponisten
im August / September 1880 nach Oberammergau mit einem Besuch
des dortigen Passionsspiels, nach München und in die Schweiz führt.
In Zürich, Genf, Bern und Luzern spielt er Orgel, und als er nach Wien
zurückkehrt, liegt die Bestätigung einer festen Besoldung als Lektor an
der Universität auf 800 Gulden vor. Bereits vor Beginn der Komposition
war Bruckner im Februar 1878 zum »wirklichen Mitglied der k.k. Hofkapelle« ernannt worden, womit er dank der damit verbundenen Vergütung die Verpflichtungen des »Vize-Archivars« und Gesangslehrers
der Hofkapell-Knaben abgeben konnte. Auch gesellschaftlich geht es
aufwärts, vor allem außerhalb Wiens. Im August 1876 wohnt Bruckner
der Uraufführung von Richard Wagners »Ring des Nibelungen« bei und
wird zu Empfängen des deutschen Kaisers und des bayerischen Königs
geladen. Die Dinge scheinen zu laufen. So auch im September 1881, als
er die Arbeit an seiner neuen Symphonie im vertrauten oberösterreichischen Stift St. Florian beendet – in jenem welligen Alpenvorland, wo
inmitten von Wiesen und Feldern ein imposantes Barockensemble die
Landschaft prägt.
Nur einen Monat zuvor war ein Blitz am Silvaplanersee im
schweizerischen Engadin eingeschlagen. Am Morgen des 6. August 1881
hatte sich Friedrich Nietzsche für eine dreistündige Wanderung um
den See von Silvaplana entschieden und war nach etwa zwei Stunden
aus dem Wald an das Ufer getreten, wo ein mächtiger Granitblock vom
Wasser umspült wird. An diesem Felsen nun erlebte der Philosoph
1794 Meter über dem Meeresspiegel um die Mittagsstunde eine Offenbarung. Ihm war aufgegangen, dass »alles ewig wiederkehrt«. Was auf
den ersten Blick lapidar sich mitteilt, wird unter unerträglichen Kopf-
1. SYMPHONIEKONZERT
schmerzen und migräneartigen Anfällen geboren. Die »höchste Formel
der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann«, wie es Nietzsche
formuliert, steht fortan in der Welt. »Meine Lehre«, so Nietzsche,
»sagt: so leben, daß du wünschen mußt, wieder zu leben. Nicht nach
fernen unbekannten Seligkeiten und Segnungen und Begnadigungen
ausschauen, sondern so leben, daß wir nochmals leben wollen und in
Ewigkeit so leben wollen.« An anderer Stelle schreibt er: »Wir wollen
ein Kunstwerk immer wieder erleben! So soll man sein Leben gestalten,
daß man vor seinen einzelnen Theilen denselben Wunsch hat! Dies ist
der Hauptgedanke! Erst am Ende wird dann die Lehre von der Wiederholung alles Dagewesenen vorgetragen, nachdem die Tendenz zuerst
eingepflanzt ist, etwas zu schaffen, welches unter dem Sonnenschein
dieser Lehre hundertfach kräftiger gedeihen kann!« Das Notwendige
nicht bloß ertragen, noch weniger verhehlen, sondern es lieben, lautet
Nietzsches Credo, das sich wie die Anleitung zu einer Ästhetik liest, in
der das Prozesshafte zum Gestalthaften wird.
Es mag Zufall sein, dass Nietzsches Wendung von der Wiederkehr
des Gleichen mit Bruckners Abschluss der sechsten Sinfonie zeitlich
zusammenfällt. Zumindest ist es auffällig. Ganz sicher aber erschöpft
sich Nietzsches Schlagwort, bei Bruckner angewendet, nicht nur auf rein
Biografisches, wie den schier unendlichen und dabei glücklosen Heiratsanträgen, die der Komponist überstürzt und fast wahllos an Damen
seiner Umgebung verteilt, oder auf seine akribisch notierte Gebets- und
Exerzitienpraxis, hinter der das repetitive Momentum meditativ hervortritt. Was schwerer wiegt im Hinblick auf sein symphonisches Schaffen,
ist die Annäherung einer Welt des Werdens an die des Seins. Darin zeigt
sich Nietzsches extreme Form der Wiederkehr. In Bruckners Symphonik
könnte man hinter der Annäherung dieser unterschiedlichen Grundströme mutmaßlich ein wesentliches Gestaltungsmerkmal erkennen, das
in seiner Sechsten in besonderer Weise zum Einsatz kommt.
Eingefügt in eine punktiert geschärfte Achtel-Triolen-Ligatur, in
der die Wiederholung zur Regel wird, präsentiert sich das Hauptthema im
ersten Satz geradezu monolithisch und erinnert an einen Felsblock, der
unverrückbar in das Geschehen hineinragt. Keine jenseitige Metaphysik
ist ihm eigen, sondern pure Gestalt, präsentisch und seindurchwirkt –
angekündigt zudem durch einen markanten Auftakt, der verortet, von
welchem Sitz die Wirkung des Hauptthemas ausgeht. Das Widerspiel von
Sein und Werden ist eröffnet, der Anfang gesetzt. Demgegenüber wird
der zweite Themenkomplex durch ein gleichwohl gesanglich gehaltenes
Vorwärtsdrängen auf unterschiedlichen rhythmischen Ebenen getragen.
Auf engstem Raum pulsieren divergierende Zeitarten. Die Folge ist eine
Annäherung ohne Konvergenz. Deutlicher könnte Bruckner den Kontrast
18
19
Anton Bruckner Porträt von Hermann von Kaulbach (1885)
1. SYMPHONIEKONZERT
Beginn des Adagios (2. Satz) aus Bruckners sechster Symphonie, Autograph
zwischen beiden Themengebilden nicht formulieren. Und deutlicher
könnte die Überlagerung beider Prinzipien nicht zum Ausdruck kommen,
wenn in der Durchführung das umgekehrte Hauptthema kombiniert
wird mit einer triolischen Wellenbewegung der Celli und Kontrabässe,
die überdies entnommen ist aus der umspielenden Drehfigur eben jenen
Hauptthemas. Wenn Gustav Mahler bekennt: »Symphonie heißt mir eben:
mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen«, so hat er
von seinem Lehrer Anton Bruckner gelernt. »Eine Welt aufbauen« kann
man indes nur aus Vorhandenem, aus dem sich zahllose Verästelungen
zu einem Gewebe verdichten. So ist der dritte Themenkomplex abgeleitet
aus dem Ostinato des Anfangs. Was Bruckner dort auf einer einzigen
Tonhöhe fordert, wird hier in Tonsprüngen raumgreifender und generiert
immer neuerlich ansetzende Schübe, aus denen Wucherndes hervordringt und sich aller Bereiche bemächtigt. Evolution in Reinform. Doch
geht Entwicklung bisweilen dahin, woher sie ihren Ursprung nahm. Am
Ende triumphiert das Hauptthema und findet im Stofflichen zu majestätischer Überwölbung.
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Was so ist, muss nicht so bleiben. Weitet man den Blick auf die Satzfolge
des Werks, schaut man im zweiten Satz gewissermaßen auf das Herzstück. Bruckner baut hier aus, was ihm im Adagio des Streichquintetts
fulminant gelungen war. Es ist feierliche Musik im weitesten Sinne, die
da im Gestus eines Kondukts ansetzt – eine Art Schreitgesang, der die
Bässe zu Beginn in einer langsam absteigenden Linie tatsächlich Zeit und
Raum durchgleiten lässt, während der Melodiepart in den Violinen »lang
gezogen« sich zu einer Kantilene auswächst. Hinzu kommt ein klagender
Tonfall in expressiven Seufzerbildungen der Oboe. Das dritte Thema
trägt nach einer Passage eines auch tonartlich entrückten Aufschwungs
unverkennbar trauermarschartigen Charakter und fängt die Stimmung
des Anfangs wieder ein. Fast scheint es, als ob das Adagio der Sechsten
an das Adagio des Streichquintetts anschließt. Mit diesen langsamen
Sätzen – das Adagio der Siebten mit einbezogen – hat es denn auch eine
eigene Bewandtnis. Im Juli 1879 vollendet Bruckner das Streichquintett.
Direkt danach beginnt er mit der Arbeit an der sechsten Symphonie, deren
Mittelsätze, das Adagio und das Scherzo, am 11. Februar 1883 im Wiener
Musikverein unter Hofoperndirektor Wilhelm Jahn in Anwesenheit des
Komponisten zum ersten Mal aufgeführt werden, zwei Tage vor Richard
Wagners Tod. »Der Komponist wurde unter stürmischen Akklamationen
unzählige Male gerufen«, schreibt die Neue Freie Presse. Am Tag nach
der Aufführung, nur einen Tag vor Wagners Tod, begrüßt Bruckner seine
Schüler im Konservatorium mit den Worten: »Kinder, gelt, das war gestern
glorios«. In diesen Tagen arbeitet Bruckner bereits am Adagio seiner
siebten Symphonie, als er vom Ableben des bewunderten Bayreuther
Meisters erfährt. In allem wird eine zeitliche Verkettung deutlich, innerhalb derer der Typus des Adagios bei Bruckner eine neue Entwicklung
nimmt. Man könnte den Eindruck gewinnen, als ob der Schock der Nachricht über Wagners Tod im Februar 1883 eine Vorgeschichte hätte, die bis
in das Frühjahr 1879 reicht, als Bruckner mit der Komposition des Streichquintetts beginnt. Aus Cosimas Tagebüchern ist bekannt, dass Wagner
im Frühjahr 1879 den Novalis-Essay von Thomas Carlyle »mit vielem
Vergnügen« gelesen hat. Während seiner Arbeit an »Parsifal« beschäftigt
sich Wagner also unter anderem mit einem der schillerndsten deutschen
Schriftsteller der Frühromantik, den Rüdiger Safranski einen »Klingsohr
im Zaubergarten romantischer Poesie« genannt hat. Getrieben von der
magischen Kraft des Willens tritt Novalis dafür ein, die Welt zu romantisieren: »Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung.« Dem
Endlichen einen unendlichen Schein geben – darum geht es Novalis. In
diesem Punkt folgt ihm Wagner, wenn er wenige Monate vor seinem Tod
in den »Bayreuther Blättern« die Formel von der »Weihe der Weltentrückung« prägt. Was Wagner im Zusammenhang mit »Parsifal« vorschwebt,
1. SYMPHONIEKONZERT
Programmzettel der Dresdner Erstaufführung von Bruckners sechster
Symphonie durch die Hofkapelle am 14. Januar 1910 unter Ernst von Schuch
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könnte indes auch für Bruckners hier in Rede stehende Adagio-Sätze
gelten, in denen es nicht weniger um das Verlangen nach einem gesteigerten und eben darin entgrenzten Leben geht.
In den Sphären der Fantastik nistet mitunter Spukhaftes.
Huschende Schatten wechseln sich im Scherzo ab mit aufwirbelnden
Fortissimo-Stellen. Während Bruckner im Adagio auf Beseelung setzt,
wird er im Scherzo, zugespitzt formuliert, zum Medium eines Geistersehers. Das schließt sich nicht aus, zeigt es doch einen Grad produktiver
Überspannung, den es braucht, wenn man in die Bereiche des Fantastischen vordringen will. Im Scherzo waltet daher eine gewisse Uneigentlichkeit, ein Noch-Nicht und Nicht-Mehr. In diesem Dazwischen wirkt
die Naturanspielung der Hörner im Trio-Teil wie ein fremdes Zitat, das
die Ebenen zwischen Imagination und Wirklichkeit vertauscht. Natur,
sonst meist träumerisch konnotiert, markiert hier den unverstellten
Einbruch des Dinglichen. Der Wahrnehmung ist merklich der Boden
entzogen. Vielleicht trifft Bruckners Bemerkung hier am deutlichsten zu,
die Sechste sei seine »keckste« Symphonie. Das Aufflackern episodischer
Momente baut der Komponist im Finalsatz zu schroffen Kontrasten aus,
die bis in die Gestaltung des ersten Themenkomplexes hineinreichen.
Bruckner schafft damit die Ausgangslage eines Versuchs, die aus den
Fugen geratenen Wahrnehmungsebenen im Laufe des Finales wieder
zusammenzufügen. Wo liegt der Kern, wenn die Zerfaserung der Teile
an die Schichten einer Zwiebel erinnert, die sich abziehen lassen als
gehörten sie nicht zusammen? Nur einige Jahre vor Bruckners Komposition macht Henrik Ibsens Peer Gynt diese Beobachtung. Der Mensch des
industriell erwachenden neunzehnten Jahrhunderts erfährt eine Zerstückelung, die ihn nach Heimkehr, nach Ankunft drängt. Wenn am Schluss
des Finales das Hauptthema des ersten Satzes neuerlich hereinbricht,
endet eine Reise, die innerhalb von Bruckners symphonischem Schaffen
nur das Erreichen einer Etappe darstellt. Denn im Grunde gelangt das
Werk schrittweise in die Welt. Nachdem die Mittelsätze im Februar
1883 aufgeführt worden waren, dirigiert Gustav Mahler die komplette
Symphonie am 26. Februar 1899, ebenfalls in Wien, allerdings mit zahlreichen Kürzungen und instrumentalen Änderungen. Karl Pohlig führt
die Sechste schließlich am 14. März 1901 in Stuttgart zum ersten Mal
ungekürzt auf. Die Dresdner Erstaufführung muss indes noch warten. Sie
findet am 14. Januar 1910 unter Ernst von Schuch in der Semperoper statt
und folgt der Bearbeitung durch Bruckners Schüler Franz Schalk und
Ferdinand Löwe. Glaubt man den Dresdner Nachrichten, so hinterlässt die
Aufführung »nur den einen Wunsch, von Herrn v. Schuch recht, recht bald
wieder eine Bruckner-Symphonie zu hören«.
ANDRÉ PODSCHUN
1. SYMPHONIEKONZERT
1. Symphoniekonzert 2015 | 2016
Orchesterbesetzung
1. Violinen
Matthias Wollong / 1. Konzertmeister
Michael Eckoldt
Jörg Faßmann
Federico Kasik
Michael Frenzel
Christian Uhlig
Volker Dietzsch
Susanne Branny
Martina Groth
Wieland Heinze
Henrik Woll
Anja Krauß
Roland Knauth
Anselm Telle
Franz Schubert
Ga-Young Son
2. Violinen
Reinhard Krauß / Konzertmeister
Annette Thiem
Holger Grohs
Stephan Drechsel
Olaf-Torsten Spies
Alexander Ernst
Mechthild von Ryssel
Elisabeta Schürer
Emanuel Held
Kay Mitzscherling
Martin Fraustadt
Christoph Schreiber
Robert Kusnyer
Yukiko Inose
24
25
Bratschen
Michael Neuhaus / Solo
Andreas Schreiber
Anya Dambeck
Michael Horwath
Uwe Jahn
Ulrich Milatz
Zsuzsanna Schmidt-Antal
Susanne Neuhaus
Juliane Böcking
Elizaveta Zolotova
Veronika Lauer**
Luke Turrell*
Violoncelli
Norbert Anger / Konzertmeister
Friedwart Christian Dittmann / Solo
Tom Höhnerbach
Martin Jungnickel
Uwe Kroggel
Andreas Priebst
Bernward Gruner
Johann-Christoph Schulze
Jörg Hassenrück
Titus Maack
Kontrabässe
Andreas Wylezol / Solo
Martin Knauer
Helmut Branny
Christoph Bechstein
Fred Weiche
Reimond Püschel
Thomas Grosche
Johannes Nalepa
Flöten
Andreas Kißling / Solo
Bernhard Kury
Oboen
Bernd Schober / Solo
Petra Andrejewski*
Klarinetten
Wolfram Große / Solo
Egbert Esterl
Posaunen
Nicolas Naudot / Solo
Guido Ulfig
Lars Zobel
Tuba
Jens-Peter Erbe / Solo
Pauken
Thomas Käppler / Solo
Fagotte
Joachim Hans / Solo
Joachim Huschke
Hörner
Paolo Mendes* / Solo
Andreas Langosch
Harald Heim
Manfred Riedl
Eberhard Kaiser
* als Gast
** als Akademist / in
Trompeten
Tobias Willner / Solo
Wilhelm Fuchs* / Solo
Peter Lohse
Sven Barnkoth
1. SYMPHONIEKONZERT
DIE ALTERNATIVE ZUM
JAHRESRÜCKBLICK:
DIE VIER HÖHEPUNKTE
DES STRAUSS-JAHRES!
Vorschau
1. Aufführungsabend
M I T T WO C H 16 .9.15 2 0 U H R
S E M P ER O P ER D R E S D E N
Kammermusik der Sächsischen Staatskapelle Dresden
Gustavo Gimeno Dirigent
Jochen Ubbelohde Horn
György Kurtág
»Merran’s Dream« für Streichorchester op. 34a Nr. 7
»Brefs messages« für kleines Ensemble op. 47
(Deutsche Erstaufführung)
György Ligeti
»Hamburgisches Konzert« für Horn und Kammerorchester
Joseph Haydn
Symphonie G-Dur Hob. I:94
»Mit dem Paukenschlag«
Sonderkonzert am Gründungstag
der Sächsischen Staatskapelle Dresden
D I E N S TAG 2 2 .9.15 2 0 U H R
S CH LO S S K A P EL L E D E S
D R E S D N ER R E S I D E N Z S C H LO S S E S
Alessandro De Marchi Dirigent
Die gefeierten Strauss-Darbietungen mit Christian Thielemann und der Staatskapelle Dresden:
ELEKTRA (CD), ARABELLA (DVD & BLU-RAY), STRAUSS-GALA (DVD & BLU-RAY
VÖ: Februar 2015) und “LETZTE LIEDER” & EINE ALPENSINFONIE (DVD & BLU-RAY).
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UND IM FERNSEHEN AUF
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Tschechische Republik · Zypern – China · Japan (Classica Japan) · Korea · Malaysia · Mongolei · Philippinen · Südafrika · Taiwan
Johann Adolf Hasse
Ouvertüre zu »Cleofide«
György Kurtág
»… a Százévesnek …« für kleines Streichorchester
(Uraufführung)
»Sinfonia breve per archi« für kleines Streichorchester
(Deutsche Erstaufführung)
Antonio Vivaldi
Concerto g-Moll RV 577 »Per l’Orchestra di Dresda«
Concerto F-Dur RV 568
Adolf Busch
Divertimento für 13 Soloinstrumente op. 30
1. SYMPHONIEKONZERT
IMPRESSUM
Sächsische
Staatskapelle Dresden
Künstlerische Leitung/
Orchesterdirektion
Sächsische Staatskapelle Dresden
Chefdirigent Christian Thielemann
Spielzeit 2015 | 2016
H E R AU S G E B E R
Sächsische Staatstheater –
Semperoper Dresden
© September 2015
R E DA K T I O N
André Podschun
G E S TA LT U N G U N D L AYO U T
schech.net
Strategie. Kommunikation. Design.
DRUCK
Union Druckerei Dresden GmbH
ANZEIGENVERTRIEB
Christian Thielemann
Chefdirigent
Juliane Stansch
Persönliche Referentin
von Christian Thielemann
Jan Nast
Orchesterdirektor
Tobias Niederschlag
Konzertdramaturg,
Künstlerische Planung
André Podschun
Programmheftredaktion,
Konzerteinführungen
Matthias Claudi
PR und Marketing
Agnes Monreal
Assistentin des Orchesterdirektors
EVENT MODULE DRESDEN GmbH
Telefon: 0351 / 25 00 670
e-Mail: [email protected]
www.kulturwerbung-dresden.de
Elisabeth Roeder von Diersburg
Orchesterdisponentin
B I L D N AC H W E I S E
Agnes Thiel
Dieter Rettig
Notenbibliothek
Matthias Creutziger (S. 4); Dario Acosta (S. 7);
Beethovenhaus Bonn, Sammlung Bodmer (S. 10);
Historisches Museum der Stadt Wien (S. 12);
Anton Bruckner Museum Ansfelden (S. 19);
Österreichische Nationalbibliothek Wien, Musiksammlung (S. 20); Historisches Archiv der
Sächsischen Staatstheater (S. 22)
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Matthias Gries
Orchesterinspizient
T E X T N AC H W E I S
Die Einführungstexte von André Podschun sind
Originalbeiträge für dieses Programmheft.
Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht
werden konnten, werden wegen nachträglicher
Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus
urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.
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