Spezial Freitag, 24. April 2015 der Standard 27 INTERNATIONALE SOMMERAKADEMIE SALZBURG MOTTO 2015: „BEDEUTUNG HERSTELLEN“ „Comics sind kein beruflicher Selbstmord mehr“ US-Comiczeichner Ben Katchor übt mit skurrilen Alltagsgeschichten aus den Straßen und Hinterhöfen New Yorks subtile Gesellschaftskritik. Bei der Sommerakademie widmet er sich der Verbindung von Comic und Theater. Räume, die man sich zu betreten versagt: Ausschnitt aus „Forbidden Room“ (2015) von Ben Katchor. In seiner Klasse „Comics und Performance“ bei der Salzburger Sommerakademie wird es um verschiedene vorfilmische Formen des Geschichtenerzählens gehen. erstmals publizierte, und Chris gewöhnlich – mit dem Konsum von Ware (Jimmy Corrigan) zählt Kat- Superheldenheften – begann, ein chor zu den stilbildenden Cartoo- einziges Bild nicht genug. „Wenn nisten der USA. Seine Bildge- man will, dass der Leser die Freischichten sind als Verrücktheiten heit hat, seine eigenen Geschichgetarnte, subtile gesellten zu erfinden, sollte schaftskritische Komman ihn sich selbst übermentare. Acht Bilder lassen. Ich will aber das (manchmal auch 20) reiGegenteil anbieten: eine chen ihm dafür. voll durchgestaltete Text„Ich ziehe kurze ArbeiBild-Welt, die in Zeit und ten vor, weil ich nicht Raum existiert. Ich habe will, dass die Leser sich mich von der Arbeit am in eine fiktionale Welt Einzelbild entfernt, weil flüchten“ und sich dort Lebt und arbei- ich mich ganz den theatwomöglich zu gemütlich tet in New York: ralen Traditionen des Ereinrichten, so Katchor im Comiczeichner zählens widmen wollte.“ Die sind nun auch TheBen Katchor. STANDARD-Gespräch. „Sie ma seiner Klasse „Comics Foto: Katchor sollen lieber mit einem und Performance“. Der erneuerten Gefühl für kreative Möglichkeiten in ihr Le- Gedanke, eine Geschichte mithilben zurückkehren.“ Beim Lesen fe von Sprache und Bild darzustelseiner komplexen Diskurse stelle len, komme vom Theater. Die einmal angeschnittenen sich ein Vergnügen ein, dass „inspirieren soll, die eigene Welt in Themen der Deutung durch andere überlassen? Sicher nicht. Eine neuem Licht zu sehen.“ Genau deswegen war für Kat- Haltung, die ihn für das 2015erchor, der ursprünglich Malerei Motto der Sommerakademie – und Zeichnung studiert hat und „Bedeutung herstellen“ – prädesdessen Comic-Genese auch ganz tiniert: Sinnhaftigkeit als alterna- tive Bewertungsdimension neben dem ökonomischen Erfolg. „Die sozialen und wirtschaftlichen Einschränkungen eines Cartoonisten sind wahrscheinlich weniger schwerwiegend als in anderen Kunstformen, da die Arbeiten billig herstellbar sind. Unglücklicherweise sind aber die Comics mit der geringsten Bedeutung oft die erfolgreichsten.“ Inzwischen kann aber auch Katchor, der u. a. im New Yorker und im Metropolis Magazine veröffentlicht und an der Parsons New School for Design unterrichtet, vom Zeichnen leben. Wie er sich den Erfolg des Genres Graphic Novel erklärt? Der jungen Generation sei es klar, dass Kommunikation mit dem ganzen Spektrum – Text, Bild, Klang – arbeiten muss. „Überdies sind Comics mittlerweile eine anerkannte Kunstform, die an Universitäten unterrichtet und in Literaturzeitschriften besprochen wird. Deshalb haben junge Leute nicht mehr das Gefühl, es wäre beruflicher Selbstmord in diesem Feld zu arbeiten.“ Antworten auf das nicht abreißende Geflimmer Vier Zugänge zur Malerei: Bernhard Martin, Tomasz Kowalski, Varda Caivano und Irina Nakhova Salzburg – Senfspritzschlachten und in Schüsseln wie in Dekolletés versenkte Köpfe: Die Party hat den Moment erreicht, an dem man besser schon gegangen wäre. Vernebelt und durchsichtig erscheinen die auch an Fantasy erinnernden Gestalten in Bernhard Martins surreal-bizarren Tableaus. Spiele mit Stilen, Schimmereffekten und anderen Geschmacklosigkeiten. Wenn die Bilder der Welt im nicht abreißenden Geflimmer allmählich belanglos und flach werden, wenn sie ihre Kraft zur Mitteilung verlieren: Wie reagiert der Maler / die Malerin darauf? Der in Berlin lebende Martin (geb. 1966), einer der Lehrenden in den vier Malereiklassen der Sommerakademie, entschloss sich dazu, nicht auch noch eigene Kosmen hinzuzufügen, sondern vielmehr aus dem bereits existenten Fundus zu schöpfen, das Vorhandene – nicht ohne ironische Shifts – zu collagieren. Den Fragen Was ist ein Bild? und „Ist Malen noch zeitgemäß?“ müssen sich Teilnehmer seines Kurses (ab 20. 7.) stellen. Das Absurde und Fratzenhafte taucht auch im Werk von Tomasz Kowalski (geb. 1984) auf. Kowalski entführt in irreale und unkontrollierte Welten, ins Unbewusste; seine Motive des Unheimlichen, des Traums und der Maske schulte er an Hieronymus Bosch oder James Ensor. Sein Motto (ab 17. 8.): Relativity Express: Malerei als Bühne für das innere Selbst. Auf Varda Caivanos (geb. 1971) Leinwänden schäkern vage Erinnerungen an das Gegenständliche mit der Abstraktion. Ihre Bilder vergleicht die in London arbeitende Künstlerin mit Gedanken, von denen sie viele gleichzeitig hat. Das passt zum Titel ihrer Klasse (ab 20. 7.): Malereilabor – Malereiforschung. Irina Nakhova (geb. 1955), die heuer den russischen Pavillon der Biennale Venedig bespielen wird, zählt zu den Pionierinnen der „totalen Installation“ in der sowjetischen Untergrundkunst. Malerei spielt in ihrem Werk aber eine besondere Rolle. In Salzburg lenkt sie den Fokus auf den Akt (ab 27. 7.), etwa um den Körper als Ursprung künstlerischen Ausdrucks und nicht bloß als Repräsentationsobjekt anzusehen. (kafe) Das Thema Ökonomie spielt auch in Katchors bekanntester Graphic Novel, Der Jude von New York, dem bisher einzigen auf Deutsch übersetzten Werk, eine große Rolle. „Die amerikanische Marktwirtschaft entstand in den 1830er-Jahren in New York City. Ich verbrachte den größten Teil meines Lebens in diesem Wirtschaftssystem und wollte seinen Ursprung erforschen.“ Generell neige er dazu, „eher Geschichten über die Mechanismen und Effekte des Kapitalismus zu machen als Utopien über andere Systeme. Einige meiner Geschichten verweisen auf Konzepte sozialer Verantwortung oder die Auswirkungen davon, wenn man sich dieser Verantwortung entzieht.“ Prägend war auch Katchors Vater, ein „utopischer Sozialist, der sich für die Möglichkeiten gemeinschaftlicher Organisation interessierte“. Dessen Einfluss habe Katchor sensibilisiert für die „Vergänglichkeit der Geschäftswelt“ und die Überzeugung, „dass eine andere Ordnung möglich ist“. INFO Die Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg, 1953 von Oskar Kokoschka gegründet, ist die älteste ihrer Art in Europa. Von 20. Juli bis 29. August 2015 finden 21 mehrwöchige Kurse in allen Disziplinen der bildenden Kunst statt (u. a. Malerei, Druckgrafik, Fotografie, Film), aber auch zur kuratorischen und schreiberischen Praxis. Lehrende: Jennifer Allen, Doug Ashford, Varda Caivano, Bernhard Cella, cinéma copains – Arne Hector / Minze Tummescheit, Adriana Czernin, feld72, Ben Katchor, Tomasz Kowalski, Maha Maamoun, Raimundas Malašauskas, Bernhard Martin, Marc Monzó, Irina Nakhova, Peter Niedertscheider, Jayce Salloum, Elisabeth Schmirl, Nora Schultz, Joanna Warsza, Nicolas Wild, Tobias Zielony. p Anmeldeschluss 15. Mai, je nach Kapazität auch länger: www.summeracademy.at Die Malerei wurde schon oft totgesagt, aber sie erfindet sich immer wieder neu. Von links: Details aus Gemälden von Bernhard Martin („Das Innenleben neu möblieren“, 2015), Tomasz Kowalski (Untitled, 2014), Varda Caivano (Untitled, 2012), Irina Nakhova („Color exercise #3“, 2008). Spezial Sommerakademie ist eine entgeltliche Einschaltung in Form einer Kooperation mit der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg. Die redaktionelle Verantwortung liegt beim Standard. Fotos: VG Bild Kunst / Bonn, T. Kowalski, V. Caivano und Victoria Miro Gallery, I. Nakhova Salzburg – Die Enttäuschung, darüber sind sich die zwei Männer im amerikanischen Diner einig, kann niederschmetternd sein, und zwar dann, wenn die parfumgeschwängerten Romanzen auf dem Trottoir des banalen Alltagsodeurs aufschlagen. Statt Blumen- oder Moschusdüften dann doch lieber die ehrlichen Noten „Waschsalon 2 Uhr früh“ oder „Kino-Lobby (Popcorn, Teppichboden)“. Die beiden schnuppern an den Flakons mit ehrlichen Essenzen: „Telefonzelle, 1961. Mag ich“. Es sind solch skurrile Szenarios, die der US-Comiczeichner Ben Katchor, der heuer an der Sommerakademie Salzburg unterrichtet, in seinen Strips entwirft. Seine zwei Julius Knipl-Bände etwa, die einzigen, die tatsächlich in New York, der Heimat des 1951 in Brooklyn Geborenen spielen, sind bevölkert von schrägen Vögeln und zwänglerischen Zeitgenossen wie dem Präsidenten der Leitungswasser-laufen-Lasser-Gesellschaft, Freaks wie aus einem Woody-Allen-Film. Womöglich sind auch die gelangweilten Middle-Ager, die Hotels auf der ganzen Welt bereisen, die sie einzig nach dem Klang ihrer Namen ausgewählt haben, aus Manhattan. Es sind Helden aus Katchors Serie Hotel & Farm, die jede Woche wechselnd Absurditäten aus Touristik und moderner Landwirtschaft imaginiert – beispielsweise den Anbau kompletter Convenience-Menüs. Neben Art Spiegelman, dem Gründer des Avantgarde-Comicmagazins RAW, wo Katchor 1988 Foto: Ben Katchor Anne Katrin Feßler
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