ronja von rönne: so ist schreiben

RONJA VON
RÖNNE: SO
IST SCHREIBEN
Schreiben sei eine einsame Tätigkeit, sagen viele. Ich
EIN FEUILLETONIST:
wünschte, es wäre so. Für mich ist Schreiben eher wie
Ich sprech jetzt mal für die gesamte Kulturlandschaft, ist so ein Hobby
eine Party. Eine schlechte Party. Eine Party, an der
von mir: Man erkennt sofort, dass ein Buch nichts wert ist, wenn es
ich nie teilnehmen wollte, mit einer schauerlichen
heiter ist. Wir lachen nicht gern. Wir sind Feuilletonisten. Feuille-
Gästeliste. Spätestens nachdem ich zwei Worte getippt
tonisten, die lachen, nimmt ja kein Mensch ernst. Da können wir ja
habe, klopft der erste Gast an, leise noch und etwas
gleich Dominas für die Vice testen. Überhaupt, wenn es nicht um die
schüchtern, dann wird es voller, und während ich
DDR oder die Nazivergangenheit geht, lesen wir den Mist gar nicht erst.
doch nur arbeiten möchte, rempeln mich alle an, wol-
Stichwort Dringlichkeit. Übrigens, vor kurzem hatten wir einen
len Smalltalk betreiben, schauen mir neugierig über
Kongress und haben beschlossen, was wir auf gar keinen Fall mehr
die Schulter.
wollen: Generationenbücher. Wenn es ein Generationenbuch wird,
vergleichen wir dich mit Christian Kracht, bis du weinst. Wobei, der war
wenigstens nicht heiter. Hey, Ronja! Erinnerst du dich an Klagenfurt?
That was fun, right? Und das war nur der Anfang. Versprochen.
MEINE MUTTER:
Ich hoffe, sie widmet dieses Buch nicht mir. Oh Gott, hoffentlich wid-
DIE DOZENTEN DER SCHREIBSCHULE:
met sie dieses Buch nicht mir. Sie soll es ihrem Vater widmen. Oder
Du brauchst eine eigene Stimme. Stopp, stopp, das ist jetzt zu eigen, das
einem Fremden. Vielleicht einem Flüchtling? Kann ein Flüchtling eine
ist ja völlig unverständlich. Wer soll das denn lesen? Fang noch mal von
Widmung gebrauchen? Kann IRGENDJEMAND dieses Buch gebrau-
vorn an. Mach erst mal weiter.
chen? Ob es wohl Sexszenen gibt? Oh Gott, hoffentlich gibt es keine
Schreib nach Regeln. Brich die Regeln. Oh hey, schau mal, das Buch
Sexszenen. Hoffentlich hat sie keinen Sex. Hat meine Tochter Sex?
deines Kommilitonen geht gerade durch die Decke. Der schreibt ja auch
Gott, ist das ekelhaft alles.
erzählender. Und dringlicher. Und außerdem kam er nicht auf die glorreiche Idee, sich schon vor dem ersten Buch in einen Shitstorm hinein-
MEINE GROSSMUTTER:
zuschreiben. Warte, streich das »glorreiche« in dem Satz da eben. Keine
Ich mag das Buch, aber nur, wenn es heiter ist. Wenn das Buch nicht
Adjektive! Schon gar keine so hässlichen wie »glorreich«. Glorreich,
heiter ist, mag ich es nicht. Ich will ein heiteres Buch. Etwas fürs Herz!
glorreich, glorreich. Bah. Ich kotz im Strahl. Ne, mach ich nicht. Ich bin
Ich bin deine Großmutter. Ich bin alt. Willst du deine alternde
Dozent.
Großmutter unglücklich machen? Ich habe den Krieg nicht für ein
Ich meine, um was geht es dir? Was ist das Problem deiner Protagonistin?
schlechtes Buch meiner Enkelin überlebt. Ich will Heiterkeit!
Psst, nicht sagen, SHOW, DON’T TELL, meine Fresse. Mach’s bloß
>> 02 <<
>> 03 <<
nicht spannend, dann ist es Genre, und Genreautoren laden wir nicht
MARC UWE KLING:
auf unsere Institutspartys ein. Und die sind nicht so schlecht, wie alle
Oder Kängurus!
denken. Die sind glorreich.
STURM-UND-DRANG-GOETHE:
DIE KOMPLEXE:
Du musst dich viel mehr vom Gefühl leiten lassen!
Weißt du, wer mehr wert ist als du? ALLE!
KLASSIK-GOETHE:
DIE LIEBLINGSAUTOREN RÄUSPERN SICH. SIE HÄTTEN DA EINEN
Du darfst dich nicht so sehr vom Gefühl leiten lassen!
SONG EINGEÜBT, DEN WOLLTEN SIE ZUSAMMEN VORSINGEN:
Hey Baby. Das haben wir schon gemacht. Das auch. Das auch, aber
HELENE HEGEMANN:
besser. Und das auch, aber lustiger. Und das auch, aber mitreißender.
Haha, du bist ich in alt.
Und das auch, aber origineller. Und das auch, aber mutiger. Und das
auch, aber ehrlicher. Es wäre ja schmeichelhaft, wenn du klauen wür-
EIN AMAZONKUNDE:
dest, aber du kopierst einfach schlecht. Du bist wie ein Kopierer ohne
Also, mich hat das jetzt nicht umgehauen. War irgendwie öde. Also,
Tinte. Oder Papier. Oder Strom.
zumindest bis Seite drei, weiter habe ich nicht gelesen. War zu langweilig. Oh Gott, war das langweilig. Stattdessen habe ich mein Mathebuch
SHALOM AUSLANDER:
auswendig gelernt. Während der Lektüre von Rönnes Buch habe ich
Oh, Ronja klaut wieder? Gewöhnt euch dran. Die komplette Idee von
zweimal gelacht. Das erste Mal, weil mir beim Lesen der Kakao umge-
diesem Text hier ist von mir. Kann jeder nachlesen auf tabletmag.com.
kippt ist. Ich finde Sachen, die umkippen, lustiger als dieses Buch. Das
zweite Mal war aus Versehen. Ich vergebe einen Stern, weil man nicht
KNAUSGARD:
null vergeben kann. Definitiv KEINE Kaufempfehlung!!!!!!!!!
Schreib einfach über dich.
FLUCHTREFLEX:
KAFKA:
Weißt du, was dir jetzt beim Schreiben helfen würde? Wein! Am besten,
Oder über Käfer. Käfer sind super!
du entspannst dich erstmal. So wie gestern. Und vorgestern. Und vorvorgestern. Oh, schau mal da! Doch, da war gerade was! Geh lieber mal
J.K. ROWLING:
nachgucken. Und auf dem Rückweg kannst du gleich abspülen. Das
Du brauchst mehr Zauberer.
müsstest du ja eh machen, irgendwann. Jetzt rauch erst mal eine. Oder
>> 04 <<
>> 05 <<
lies doch mal etwas. Du musst dich doch informiert halten. Bevor du
MEINE GROSSMUTTER:
mit dem Schreiben beginnst, solltest du unbedingt das Internet durch-
So etwas wie der Hundertjährige, der abgehauen ist, das war eine schö-
lesen. Vielleicht ist ja etwas Spannendes passiert in den letzten einein-
ne Geschichte, schreib doch so etwas, das war so nett.
halb Minuten. Und dann liest du es noch einmal.
DIE VERZWEIFLUNG:
KLASSIK-GOETHE:
Ich hab recht! Ich hab immer recht! ICH BIN DIE GRÖSSTE! MIR
Ich bin irgendwie unentschieden. Mal eine andere Frage: Bist du ein
GEHÖRT DIE WELT! NIEDER MIT DER HOFFNUNG!
Genie? Weil sonst kannst du es eigentlich gleich ganz lassen.
DER MANN, DEN ICH LIEBE UND DER AUCH SCHREIBT,
FLUCHTREFLEX:
NUR BESSER:
Was immer hilft, ist Wikipedia-Lebensläufe von Leuten lesen, die viel
Ich schreibe auch, nur besser. Generell bin ich besser als du. Man könn-
jünger schon viel erfolgreicher waren als du.
te auch sagen: zu gut für dich. Oh, schau, eine fremde Jungautorin. Ich
geh mal hallo sagen. Ich geh mal eine neue Beziehung ein. Tschüss!
MEIN VATER:
Und dafür haben wir ihr drei Studienabbrüche finanziert. Hoffentlich
FLUCHTREFLEX:
bringt ihr Bruder sie irgendwann durch. Oder um.
Ich mach jetzt einen Netflix-Account. Du MUSST ja nicht mitschauen,
ich sag ja nur …
MEIN BRUDER:
Ich habe dich immer schon gehasst.
DIE VERZWEIFLUNG:
Warte, ich google da gerade noch was. Haben wir zufällig einen festen
EIN NÖRGELNDER VICE-REDAKTEUR:
Strick?
Dieses crazy Buch von der crazy Antifeministin ist doch nicht so crazy
wie von diesem Winkels angenommen! Hyperkrass! Lest hier: Zehn
IRGENDWANN REICHT ES DANN, ICH KLAPPE DEN LAPTOP ZU
Gründe, warum Rönnes Buch noch schlechter ist als die Lage in Syrien!
UND SCHMEISSE SIE ALLE RAUS. NUR DIE VERZWEIFLUNG
Yolo!
BLEIBT NOCH EIN BISSCHEN UND KNUTSCHT IN EINER ECKE
MIT DEM FATALISMUS. DABEI STOSSEN SIE NICHTS UM.
JURYMITGLIED EINES BEDEUTENDEN LITERATURPREISES:
Hast du nicht eine Oma, die aus Kasachstan kommt oder so?
>> 06 <<
>> 07 <<
»Endlich eine neue Stimme in der
deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Flüssig, schnoddrig,
unernst, ernst, uneinordbar.«
Joachim Lottmann
Gebunden mit Schutzumschlag
€ [D] 18,95 · € [A] 19,50
ISBN 978-3-351-03632-4
Erscheint am 14. März 2016
www.aufbau-verlag.de
Foto Titel: © Carolin Saage