Buchbesprechung Irgendjemand lacht in mir Sven Ramos-Bulik Aus dem Schizophrenen übersetzt von Susan Schmidt Berlin: Mensch & Buch, 2007; 134 S., ISBN 3-86664–187-7 / 978-3-86664-187-7 Wie nähert man sich einer Schizophrenie? Will ich das? Will ich mir die Innenansicht antun, hinter die Kulissen, die Fassade sehen? Will ich das, was sich so distanziert klinisch hinter dem Etikett „Schizophrenie“ verbirgt, an mich heran kommen lassen? Sven Ramos-Bulik hat sich in Begleitung von Susan Schmidt seiner paranoiden Schizophrenie, seiner, wie er meint, Drogen induzierten Schizophrenie, zu nähern versucht, indem sie beide über viele Monate seine Tagebücher gesichtet, durchforscht haben, um eine Antwort auf die Frage zu finden: Wer ist dieser Sven Ramos-Bulik? Sie werden sich durch Fragmente, „Gedankenschrott“ (S. 29), durch Brauchbares, Unverständliches, Widersprüchliches, Reales, Irreales, Groteskes (S. 53), Logisches und Unlogisches, Träume, Alpträume, Horrorszenarien und Hoffnungen hindurchgearbeitet haben. Was sie daraus destilliert haben, zeigt ein individuelles, höchst persönliches Bild - nach Sven Ramos-Bulik ein „Puzzle“ (S. 45 ff) - einer Krankheit mit ihrem ewigen Auf und Ab. Diese Achterbahn der Gefühle, diese „Autobahn ins Nichts“ (S. 19) hat mich angestrengt, hin- und hergerissen, meine Konzentration mitunter überstrapaziert. Das ist nicht geschrieben wie eine Novelle, so wie wir es gewohnt sind mit rotem Faden, mit durchgehender Handlung, mit Rück- und Vorblenden, die sich zu einem Ganzen fügen. Es ist trotz der Ordnung, trotz der Übersetzung von Susan Schmidt ein Durcheinander, ein Verwirrspiel, und damit ein treues Abbild des Prozesses, der eben nicht geradlinig, logisch, konsequent in Zeit und Raum ist. Jeder und jedem, die oder der sich nicht mit den Diagnoseschlüsseln in F (Dur) begnügen will, sondern das Moll der Nöte und Ängste zumindest von fern kennen lernen möchte, sei dieses Buch empfohlen! Sven Ramos-Bulik, der sich nicht so gern nordisch hell und blond Sven, sondern lieber nach seinem kubanischen Vater Ramos (S. 10) mit der Aura von Fremdheit nennen mag, bedient erst einmal meine Erwartungen. Er ist sichtlich gespalten, er ist Ramos, der Ich-Erzähler, und Margarita. Ihr Name taucht 201mal auf den der Biografie vorbehaltenen 118 der 134 Seiten des Buches auf; mal geballt in Absätzen von drei oder vier Zeilen mehrmals, mal über Seiten gar nicht. Margarita ist seine „innere Stimme“, seine Regisseurin, die Kommentatorin seiner Gedanken und Taten, Margarita ist eine Person in ihm, ist seine „Fee“, seine Beraterin, die es gut mit ihm meint, ist (wie) seine „Mutter“ (S. 70), ist sanft, lieb … ist dominant, ist hochnäsig, die „falsche Sau“ (S. 73). Und dann mag sie auch noch Männer, was Ramos, der Frauen vorzieht, immer mal wieder ins Grübeln bringt, ob er denn nicht vielleicht doch schwul ist. So viel zum klassischen Erscheinungsbild einer Schizophrenie. Ramos ist aber nicht nur Ramos einerseits und Margarita andererseits. Ramos ist Angst, 132mal erwähnt er sie. Ramos ist seine Mutter, ist Licht, ist Gott, ist Christus, ist unsterblich, ist ein Außerirdischer, ist vom Tod, vom Selbstmord bedroht und von Zweifeln gehetzt, ob er verrückt ist. Das alles und viel mehr ist er von Augenblick zu Augenblick, von Absatz zu Absatz immer uneingeschränkt das eine, das andere und nie alles zusammen, nie etwas, das ganz ist. Das Puzzle ist wie ein Hologramm in unzählige Stücke, Splitter, Bruchteile seiner selbst zerfallen, zerschlagen. Jedes Teil, und sei es noch so klein, zeigt Ramos, immer dasselbe Bild mit unterschiedlichen Namen und Metaphern. Erst im 28. Kapitel auf S. 90 tritt Ramos in Gestalt von „Irgendjemand“ auf, der „in ihm lacht“. Ich habe diesen Irgendjemand trotz der Verzweiflung, trotz der Ängste nach vielen Absätzen lachen hören, so als sei dieser lachende Irgendjemand der eigentliche Ramos, der, der trotzdem lacht, auch wenn ihm nicht immer danach ist, wenn ihm öfter das Lachen im Halse stecken bleibt. Er schreibt: „Meine Mutter sagt mir, dass Oma alle Viertelstunde pinkeln muss. Ich weiß warum. Ich muss mir das Lachen verkneifen. Sie sieht einfach keine andere sinnvolle Beschäftigung in ihrem Leben. Damit sie etwas zu tun hat, produziert sie unbewusst Urin, den sie dann natürlich alle Viertelstunde abgeben will. Das Ganze erscheint mir einfach so einleuchtend wie simpel und auch traurig, weil sie es alle, auch meine Mutter, auf das Alter schieben“ (S. 38). Nach dieser brillanten Erklärung hat sicher irgendjemand in ihm gelacht. Wenn Sie das Lachen zwischen den Zeilen, zwischen den Absätzen öfter ahnen oder hören wollen, sollten Sie das Buch von Ramos sorgfältig mit viel Zeit zum Nachdenken lesen – es lohnt sich! H. Hallwachs
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