Das Warten auf die Verkaufserlaubnis

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Hintergrund
MONTAG, 13. JULI 2015
Die Umsätze im schweizerischen Markt für elektronische Zigaretten sind bescheiden. Und sie werden es wohl
auch bleiben. Denn solange das Verbot für den Verkauf von nikotinhaltigen Nachfüllflüssigkeiten Bestand hat, rollt
der Rubel in E-Zigaretten-Shops im nahen Ausland.
Rund 30 000 Schweizerinnen und Schweizer sollen sich eine elektronische Zigarette zugelegt haben. Würde das Verkaufsverbot für nikotinhaltige Liquids fallen, wäre das Marktpotenzial riesig.
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Das Warten auf die Verkaufserlaubnis
VON ZOLTAN TAMASSY
B
ei Tabakzigaretten werden
Stoffe verbrannt, bei elektronischen Zigaretten dagegen
verdampft. Wer E-Zigaretten
konsumiert, bezeichnet sich daher
nicht als Raucher, sondern als Dampfer. Viele von ihnen schwören auf das
neuartige Produkt. Dampfen sei viel
gesünder als Rauchen, und nikotinhaltige Liquids würden den Umstieg bedeutend erleichtern.
Erst wenige Dampfer in der Schweiz
Auf Schweizer Strassen sind indessen erst wenige Dampfer anzutreffen.
Stefan Meile, Präsident der Swiss Vape
Trade Association, des Verbands für
Schweizer Händler und Hersteller von
E-Zigaretten (SVTA), schätzt, dass es
rund 30 000 sind – das entspricht knapp
1,5 Prozent der Raucher. Dampfer seien
vornehmlich zwischen 30 und 60 Jahre
alt, in urbanen Regionen anzutreffen
und ehemalige Tabakzigarettenraucher.
Laut Meile wog der Schweizer E-Zigaretten-Markt im vergangenen Jahr
rund 14 Millionen Franken. Diesen Kuchen würden sich rund 30 Shops untereinander aufteilen, wobei die 2011 gegründete, im thurgauischen Aadorf
ansässige InSmoke, deren Geschäftsführer Meile gleichzeitig ist, etwa ein
Drittel des Deutschschweizer Umsatzes vereinnahme.
Der Hauptteil der landesweiten
Verkäufe entfalle laut Meile auf Geräte
und Ersatzteile. Nachfüllflüssigkeiten
würden vor allem im Ausland gekauft.
Das hat seinen Grund: Der Verkauf von
nikotinhaltigen Liquids ist in der
Schweiz nicht erlaubt.
Im nahen Ausland rollt der Rubel
Und so stagniert das Geschäft in
der Schweiz – Meile befürchtet für die
hiesige Branche für 2015 gar einen Umsatzrückgang. Gleichzeitig rollt der Rubel in E-Zigaretten-Shops im nahen
Ausland. Denn weder Deutschland
noch Österreich, Frankreich oder Italien kennen ein entsprechendes Verbot. Und pro Person können bis zu 150
Milliliter nikotinhaltiger Liquids zum
Eigengebrauch in die Schweiz eingeführt werden.
Zum Beispiel bei Doktor Dampf im
badischen Gailingen – direkt an der
Schweizer Grenze gelegen – stammten
laut Verkaufsleiter Jürgen Gabele drei
Viertel der Kundschaft aus der Schweiz.
«Tendenz steigend», sagt Gabele. Dasselbe Bild in Lörrach bei Basel: Der
Wein- und Getränkefachhändler Weinspeck führt in seinem Sortiment auch
E-Zigaretten samt Zubehör, also auch
nikotinhaltige Liquids. Gemäss Inhaber Thomas Wagner komme der überwiegende Teil, rund 60 Prozent, seiner
dampfenden Kundschaft aus der
Schweiz. Das Geschäft mit E-Zigaretten und Liquids habe sich, auch dank
den Schweizern, in den letzten Jahren
verdoppelt.
Dampfer hierzulande können ihre
nikotinhaltigen Liquids aber auch über
ausländische Onlineportale beziehen.
Genaue Zahlen dazu sind nicht bekannt, aus dem Datenmaterial der Eidgenössischen Zollverwaltung sind sie
nicht herauszuschälen. Unter dem
Strich schätzt Stefan Meile von der
SVTA aber, dass Schweizer im vergangenen Jahr über beide Verkaufskanäle
insgesamt für rund zehn Millionen
Franken im Ausland eingekauft haben.
Allerdings sieht auch Jürgen Gabele von Doktor Dampf mögliche Probleme auf das E-Zigaretten-Geschäft
zukommen: Im kommenden Jahr werde
in Deutschland eine neue Tabakverordnung erlassen. Er befürchtet Einschränkungen, etwa dass Liquidfläschchen über 10 Milliliter – das handelsübliche Mass – nicht mehr verkauft werden dürfen. Einschränkungen auch in
Österreich. Dort dürfen laut einer Novelle des Tabakmonopolgesetzes
Liquids für E-Zigaretten ab Oktober
nur noch in Trafiken verkauft werden.
WHO gemeinsam mit Tabakmultis
Um das Für und Wider von E-Zigaretten schlagen in der politischen Diskussion nicht nur in Europa, sondern
weltweit die Wogen hoch. Die Kritiker
möchten regulieren, einschränken, ver-
bieten. Zu ihnen gehört die Gesundheitslobby, beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Aber
auch die in den letzten Jahren unter
Druck geratene Tabakindustrie hat
sich als hartnäckiger Gegner der noch
jungen E-Zigaretten-Branche erwiesen. Im Forderungskatalog der Tabakmultis steht unter anderem das Verbot
von modularen und wiederbefüllbaren
E-Zigaretten oder auch, dass auf die
Liquidpackungen Warnhinweise aufgedruckt werden müssen.
Gleichzeitig versucht die Tabakindustrie, ihrerseits in das Geschäft mit
E-Zigaretten einzusteigen. Philip Morris International zum Beispiel vermarktet laut Julian Pidoux, Pressesprecher
von Philip Morris Schweiz, seit März in
Spanien die elektronische Zigarette
Solaris. Der Tabakkonzern habe zudem
2014 Nicocigs Limited erworben – das
Unternehmen sei in England mit einem
Marktanteil von 27 Prozent Marktführer im E-Zigaretten-Markt.
E-Zigaretten holen auf
Kein Wunder, ist die Tabakindustrie auf das Geschäft mit E-Zigaretten
aufmerksam geworden. Denn es nimmt
sich weltweit zwar noch bescheiden
aus – einem Artikel der Nachrichtenagentur Reuters zufolge beträgt der
globale Umsatz gegenwärtig rund sieben Milliarden Dollar, während mit Tabakwaren pro Jahr mehrere Hundert
Milliarden Dollar umgesetzt werden.
Aber der Markt für E-Zigaretten holt
auf. In den USA dampfen gemäss einer
Umfrage von Reuters/Ipsos aktuell
rund zehn Prozent der Erwachsenen –
vor drei Jahren waren es noch 2,6 Prozent. Und in unserem nördlichen Nachbarland soll sich der Umsatz gemäss
dem deutschen Verband des E-Zigaretten-Handels (VdeH) von 2013 auf 2014
auf über 200 Millionen Euro verdoppelt
haben.
«Vorsichtig optimistisch»
Auch in der Schweiz ist die politische Diskussion um die E-Zigarette
längst nicht abgeschlossen. Gegenwärtig werden sie im Lebensmittelgesetz
behandelt, laut Stefan Meile von der
SVTA würden E-Zigaretten voraussichtlich 2018 unter das Tabakproduktegesetz fallen. Ob dann der Verkauf
von nikotinhaltigen Liquids erlaubt
sein werde, wisse er nicht, Meile gibt
sich aber «vorsichtig optimistisch».
«Geben die Behörden grünes Licht,
wäre das Wachstumspotenzial in der
Schweiz gigantisch», sagt er.
So lange will Meile aber nicht warten. Seine Firma InSmoke hat daher
Anfang Juni über ihren Onlinekanal
den Verkauf von nikotinhaltigem
Liquids gestartet. Er wolle mit dieser
Aktion provozieren, sich aber auch
dafür einsetzen, dass Schweizer Kunden einfacher an nikotinhaltige Liquids gelangen, sagt Meile. Die rechtliche Absicherung dieses Schrittes
bilde das Gutachten eines dampfenden Anwalts, der gleichzeitig ein Mitglied von Helvetic Vape, dem Verband
der Schweizer Dampfer, ist: Der Jurist
wolle herausgefunden haben, dass das
Verbot keine rechtliche Grundlage
habe. «Bis jetzt haben sich die Thurgauer Behörden nicht gemeldet», sagt
Meile und zieht genüsslich an seiner
E-Zigarette.
Die Produktelandschaft bei E-Zigaretten ist sehr unübersichtlich. Hinzu kommt eine
grosse Vielfalt an Liquidaromen.
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E-Zigaretten Grosse Vielfalt an Produkten
Gesundheit Wirkung nicht ausreichend erforscht
E
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lektronische Zigaretten bestehen aus einem Akkumulator,
einem Verdampfer, einem Tank
und einem Mundstück. Der vom Akkumulator angetriebene Verdampfer erhitzt die im Tank befindliche Flüssigkeit (Liquid), der dadurch entstehende
Dampf wird vom Konsumenten inhaliert. Die Liquids können in der Regel
nachgefüllt werden, sie können Nikotin enthalten oder auch nicht.
Die Produktelandschaft bei E-Zigaretten ist sehr unübersichtlich. Es gibt
Geräte in allen erdenklichen Farben,
und auch die Formen- und die Funktionsvielfalt sind sehr gross. Die Gerätepalette reicht vom einfachen, günsti-
gen Einweggerät bis hin zum edleren
Modell, das zum Beispiel über einen
Regler verfügt, mittels dessen die Verdampftemperatur verändert werden
kann. Hinzu kommt eine grosse Vielfalt an Liquidaromen.
Die in der Schweiz verkauften Geräte stammen laut Stefan Meile, Präsident der Swiss Vape Trade Association
(SVTA) und Geschäftsführer der
Aadorfer E-Zigaretten-Firma InSmoke,
zu 99 Prozent aus China.
Liquids, die in der Schweiz oder
auch im nahen Ausland zum Verkauf
gelangen, werden dagegen in grossem Umfang auch in Europa hergestellt. (taz)
m Gegensatz zur herkömmlichen Zigarette wird bei der elektronischen
Zigarette kein Tabak verbrannt. Das
sei einer der Hauptvorteile des Dampfens, sagt die Branche. Denn für die
Schädigungen, die bisher dem Nikotin
zugeschrieben worden seien, werde
nach langjähriger Forschung der Tabakrauch mit seiner Vielzahl von Zusatzstoffen verantwortlich gemacht.
Die Gegner der E-Zigarette führen
ins Feld, dass auch beim Dampfen ein
Gemisch aus Chemikalien (unter anderem Propylenglycol) dorthin gelange,
wo eigentlich nur Sauerstoff rein
sollte: in die Lungen. Zudem handle es
sich bei Nikotin um ein Nervengift.
Meinungen, welche die Unbedenklichkeit oder die Gefährlichkeit von
E-Zigaretten bewiesen haben wollen,
schiessen insbesondere in einschlägigen Onlineforen ins Kraut. Allerdings
gibt es derzeit keine langfristigen Studien zu den Auswirkungen des Konsums von E-Zigaretten. Zum Beispiel
schreibt die Schweizer Lungenliga auf
ihrer Homepage daher sicherheitshalber: «Die Lungenliga setzt sich für die
Gesundheit von Lunge und Atemwegen ein. Da die gesundheitlichen Auswirkungen der E-Zigarette bisher
nicht ausreichend wissenschaftlich erforscht sind, rät die Lungenliga vom
Konsum von E-Zigaretten ab.» (taz)