Festgottesdienst „125 Jahre Rummelsberger Diakonie“ Freitag 26.06.2015, Nürnberg-St. Sebald Predigt von Diakoniepräsident Michael Bammessel über Galater 6, 18 (Schluss): „Brüder. Amen.“ Liebe Schwestern und Brüder, das Jahr 1889 in Frankreich: Man feiert das 100-jährige Jubiläum der Revolution mit der Einweihung des damals höchsten Gebäudes der Welt: dem Eiffelturm. Stolz zitiert man die Losung „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“ Das Jahr 1889 in Franken: In der kleinen Moritzkapelle, von der heute nur noch der Grundriss nebenan zu sehen ist, beschließt man die Gründung einer Diakonenschaft, deren Mitglieder „Brüder“ genannt werden sollen. Eine große, auch symbolisch alles überragende Idee von der Brüderlichkeit einerseits, eine kleine Brüderschaft von zunächst mal 8 Menschen andererseits, die erst noch ihren Weg suchen muss. In diesem großen Spannbogen zwischen der inspirierenden, weltbewegenden Idee der Brüderlichkeit und den ganz praktischen, konkreten Schritten bewegt sich auch die Geschichte der Rummelsberger Brüderschaft und ihrer Diakonie – und die Rummelsberger waren dabei immer näher an der praktischen, alltäglichen Seite des Themas Brüderlichkeit zu finden. Und die Wurzel für beides liegt in Bibelworten wie dem Evangelium, das wir gerade gehört haben (Matthäus 25), in dem Jesus die Hilfsbedürftigen dieser Welt zu seinen Brüdern macht – und damit auch zu unseren Brüdern. Eine weniger bekannte Bibelstelle zum Thema möchte ich heute in den Mittelpunkt der Predigt stellen. Sie besteht aus nur zwei Wörtern, die Paulus an den Schluss seines Schreibens an die Galater stellt. Man muss dazu wissen: Der Brief an die Galater ist ein hochdramatisches Schreiben. Die Gemeinde droht es gerade zu zerreißen, es gibt dort heftige Auseinandersetzungen und Paulus kämpft mit aller Leidenschaft darum, dass in der Gemeinde alle das volle Recht haben, Christen genannt zu werden. Ans Ende dieses hoch emotionalen und tief reflektierten Briefs setzt Paulus mit eigener Hand zwei Worte: Brüder. Amen. Also übersetzt: Brüder. Ja, so ist es. Oder: Brüder. Dabei bleibt es. In der Lutherbibel lesen wir an dieser Stelle: „liebe Brüder. Amen.“ Aber von „lieb“ steht da im Original nichts. Auf das Liebsein kommt es auch nicht an. Sondern auf die Tatsache, dass wir durch Jesus Christus Brüder sind. Brüder. Ja, so ist es. Punkt. In Klammern gesagt: Natürlich kann man das hier im Urtext stehende griechische Pluralwort adelphói genauso mit „Geschwister“ übersetzen. Das ist sicher auch die zeitgemäßere Übersetzung. Aber weil wir heute den Anfang der Brüderschaft feiern, werden mir die Frauen im Raum hoffentlich verzeihen, wenn ich da und dort doch bei der traditionellen Übersetzung „Brüder“ bleibe. Uns ist da im christlichen Glauben ein ganz großer Schatz gegeben. Menschen, die uns begegnen, sind nicht einfach „Andere“, „Fremde“ oder gar „Feinde“ – es sind durch Christus Brüder und Schwestern, die uns auf geheimnisvolle Weise tief verbunden sind. Im Wissen um die Brüderlichkeit, um die Geschwisterschaft liegt eine unglaublich große Kraft für die Kirche und erst recht für die Diakonie. Brüder. Amen. Wir sind Geschwister. Das hat Gott so bestimmt. Wer wirklich in diesem Wissen lebt, kann keine Kriege gegen andere Völker anzetteln und kann auch keine Armutsflüchtlinge ungerührt im Meer ertrinken lassen und kann auch keinen noch so schwierigen Jugendlichen abschreiben – es sind ja immer unserer Geschwister. Aber einen solchen großen Schatz kann man immer nur in kleinen Münzen heben. Und die kleinste Münze ist eben der Mensch neben mir, mit dem ich meinen Alltag oder meinen Beruf teile. Das ist die Herausforderung, der Sie sich als Rummelsberger Brüder stellen und für die ich Sie bewundere: Die große Idee der Brüderlichkeit ganz reell und praktisch in einer Brüderschaft zu verwirklichen. Das, wozu die ganze Christenheit berufen ist - ja die ganze Menschheit -, im Kleinen vor Ort ehrlich und ungeschminkt zu praktizieren. Die konkrete Brüderschaft, oder Diakoninnengemeinschaft oder auch die eigenen leiblichen Geschwister – die sind der Trainingsplatz für die große Idee der Brüderlichkeit. Beim ersten Treffen einer neuen Konfirmandengruppe habe ich sie einmal gebeten, von sich selbst einen kleinen Steckbrief anzufertigen. Eine Konfirmandin schrieb in die Spalte „Was ich nicht mag“ unter anderem: „Spinnen. Spinat. Meine Schwester.“ Aber in der anderen Spalte „Was ich gern mag“ stand neben Lieblingsspeisen und Hobbys ebenfalls: „Meine Schwester.“ Diese Konfirmandin mit ihren vielleicht 13 Jahren hat eine tiefe Lebenswahrheit getroffen. Genau das sind die beiden Seiten des Lebens mit einem Bruder und mit einer Schwester: Manchmal wunderbar, manchmal aber auch furchtbar anstrengend. Man wird gestärkt und bereichert, man hat jemand an der Seite, mit dem man durch dick und dünn gehen kann – aber es gibt auch die allzu enge Nähe, das was einen nerven kann, wo man sich auch mal nach Distanz sehnt. Das gilt für leibliche Geschwister ebenso wie für die Geschwister im Glauben. Auch die Geschichte der Rummelsberger ist voll von den beiden Seiten des geschwisterlichen Lebens: Von dem großen Schatz - und von der Mühe, beieinander zu bleiben. Das 125 Jahre lang zu schaffen, 125 Jahre Brüderlichkeit zu leben mit all den großen Höhen und all den wirklich tiefen Tiefen – was für eine Leistung! Nein: Was für ein Geschenk! 125 Jahre kann man nicht selber schaffen. Das gelingt nur, weil der Grund und Boden von jemand anderem gelegt ist „Brüder. Ja, so ist es.“ Diese Bodenständigkeit braucht eine Brüderschaft. Denn allzu überschwänglich gefeierte Ideale erleiden allzu leicht Schiffbruch, liebe Gemeinde. Denken wir an die berühmte Ode an die Freude, wo Friedrich Schiller dichtet: Alle Menschen werden Brüder und euphorisch ausruft: Seid umschlungen Millionen! Ludwig van Beethoven hat dem in seiner Symphonie auch noch eine großartige, aber auch ein wenig bombastische musikalische Gestalt gegeben, und heute ist diese Melodie die offizielle Hymne der Europäischen Union. Wenn man sich die triste Lage der Europäische Union in diesen Tagen anschaut, dann hat man den Eindruck, dass statt der Utopie Alle Menschen werden Brüder nur noch ein fiskalisches Missverständnis von Seid umschlungen Millionen übrig geblieben ist. Statt der großen Idee der Brüderlichkeit hat Europa angesichts der Flüchtlingsnot nur noch das SanktFloriansprinzip und bei Griechenland nur noch ein hilfloses Geschachere zu bieten. Die hehren Ideale, die großen Proklamationen bringen es nicht. Das wisst Ihr Rummelsberger schon lange. Statt davon zu träumen, dass alle Menschen Brüder werden, und statt Millionen von Geschwistern umarmen zu wollen, kommt es erst einmal auf die sieben oder acht an, die einem an die Seite gestellt sind. Mit ihnen zusammen täglich zu entdecken, täglich zu leben, täglich auszuhalten, was es heißt, im Namen Jesu Bruder oder Schwester zu sein – das ist wichtig. Am Ende des Tages sagen zu können: Brüder. Amen. Das zählt. Den Bruder zu entdecken auch in dem einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling, der irgendwo an einer bayerischen Autobahn aufgelesen wurde und nun in einer Wohngruppe der Rummelsberger lebt – das ist die kleine Münze der Brüderlichkeit, auf die sich die Rummelsberger verstehen, und wofür ihnen die ganze Diakonie so dankbar ist. Damit solche Brüderlichkeit auch wirklich gelingen kann, sind aber auch die beiden anderen Leitgedanken der Französischen Revolution wichtig. Freiheit und Gleichheit. Beide finden sich bereits in jenem Galaterbrief, in dem Paulus um die Brüderlichkeit, aber eben darum auch um die Freiheit ringt. Er beschwört seine Schwestern und Brüder in Galatien geradezu: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Lasst euch nicht wieder knechten.“ Die Gemeinde der Galater war kurz davor, an Regeln und Gesetzen zu zerbrechen. Wenn ich die Annalen der Rummelsberger lese, dann habe ich den Eindruck: Auch da war am Anfang der Geschichte furchtbar viel von Regeln und Pflichten die Rede – und wenig von Freiheit. Kein Wunder, dass die Brüderschaft anfangs durch viele Austritte nicht recht auf die Beine kam. Fehlende Freiheit war in all den Jahren immer wieder ein Thema – gerade die Brüderfrauen früherer Jahre konnten davon ein Lied singen. Die Rummelsberger haben da meiner Beobachtung nach einen befreienden Lernweg zurückgelegt. Wirkliche Brüderschaft kann auf Dauer nur gelingen, wenn sie bei aller Verbindlichkeit auch die christliche Freiheit hoch hält. Und wie steht es mit der Gleichheit? Im Galaterbrief schreibt Paulus den berühmten Satz, das christliche Manifest der Gleichheit: Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Knecht noch Herr, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. Geschwister seid ihr, so ist es. - Und Geschwister sind gleichgestellt. Gerade diese Frage nach der Gleichheit, nach Begegnung auf Augenhöhe, die Auseinandersetzung mit offenen und versteckten Hierarchien habt Ihr Rummelsberger durch Eure ganze Geschichte hindurch immer wieder durchlebt, durchlitten, durchbuchstabiert – und man kommt damit wahrscheinlich nie ans Ende. Da war z.B. lange Jahrzehnte diese Abhängigkeit vom Landesverein, das was heute das Diakonische Werk Bayern ist, bis dann 1948 die Rummelsberger endlich in die volle Eigenständigkeit entlassen wurden und seitdem ein freies, selbstbewusstes Werk der Diakonie sind. Aber wohl noch stärker bestimmend waren die inneren Hierarchien. Ob sich die Gründerväter der Brüderschaft – Oberkirchenräte, Dekane, Pfarrer – wirklich klar gemacht haben, was für eine Sprengkraft eigentlich in dem Wort „Brüder“ liegt, wenn man es ernst nimmt? „Brüder“ stellt uns alle auf die gleiche Ebene – eben nicht nur die Mitglieder der Brüderschaft. Geprägt aber wurden die Rummelsberger von der Gründung an durch einen eher patriarchalen Führungsstil. Viele dieser Führungspersönlichkeiten aus der Pfarrerschaft haben Großar- tiges für Rummelsberg geleistet. Aber ist es dabei immer gelungen, das Moment der Gleichheit schon so zu leben, wie es zur Brüderlichkeit gehört? Hätte man immer wie bei Paulus alles in zwei Worten zusammenfassen können: Brüder. Amen. Alles gesagt? Ja, ein schwieriger Punkt: Keine Brüderschaft, keine Geschwisterschaft kommt ohne Leitung aus. Aber diese Leitung darf nicht aus dem Geist der Herrschaft gelebt werden, sondern aus dem Geist der Geschwisterlichkeit. Als Bruder zur Leitung bereit sein – und als Leiter ein Bruder bleiben. Das aus dem Geist Jesu heraus glaubwürdig zu leben, ist entscheidend für eine gute Gemeinschaft. Und das gilt nun im Großen gerade auch für das Verhältnis der Landeskirche zu ihren Rummelsbergern. Wenn wir die Schriften, die Grußworte, die Reden der 125 Jahre lesen, dann finden wir tausend Ruhmes- und Dankesworte für Rummelsberg und seine Diakone. Überall wird hervorgehoben, wie wichtig der Dienst der Diakone für die Kirche und für die Diakonie war, ist und bleiben wird. Aber war nicht doch auch immer wieder in allem eine latente Hierarchie zu spüren, wonach die Diakone eben doch mehr auf der dienenden Seite und andere eher auf der bestimmenden Seite anzusiedeln seien? Das trifft ja manchmal sogar die Diakonie insgesamt, wenn z.B. der „Dienst am Wort“ als die oberste Priorität, und der „Dienst der helfenden Liebe“, wie man früher gern sagte, eine Stufe darunter angesiedelt wurde? Dem Geist des Evangeliums entspricht diese Abstufung nicht. Jesus, unser Meister, hat sich selber als „Diakon“ bezeichnet. Die Nächstenliebe ist bei ihm der Gottesliebe ausdrücklich gleichgeordnet. Und das Leitbild von der brüderlicher Gemeinschaft gilt ausnahmslos für uns alle: „Ihr aber seid alle Geschwister“, sagt Jesus ausdrücklich. Da hat unsere Kirche noch einige Hausaufgaben zu machen. So gesehen, liebe Rummelsberger Brüder, seid Ihr die Avantgarde unserer Kirche. Ihr lebt in immer wieder neuen Formen das Leitbild, das für uns alle das Ziel ist. Geschwister. So ist es. Brüder. Amen.
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