Das Gebet der Kinder Gottes: Abba, Vater!

Evang.-methodistische Kirche, Alterszentrum Wesley-Haus, Basel
Predigt von Pfr. Josua Buchmüller am Pfingstsamstag, 23. Mai 2015
Das Gebet der Kinder Gottes: Abba, Vater!
Ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, um wiederum in
Furcht zu leben; nein, ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen, in
dem wir rufen: Abba, Vater! Eben dieser Geist bezeugt unserem Geist,
dass wir Kinder Gottes sind. Sind wir aber Kinder, dann sind wir auch
Erben: Erben Gottes, Miterben Christi, sofern wir mit ihm leiden, um so
auch mit ihm verherrlicht zu werden.
(Römer 8,15-17; Zürcher Bibel)
Das Kindergebet
Als Gast bei Verwandten hat mich vor Jahren
das Tischgebet sehr beeindruckt. Nach dem
Gebet der Eltern betete das noch ganz kleine
Kind: Abba, lieber Vater! Amen. Ich war überrascht: ein Gebet, das nur aus der Anrede an
Gott besteht und dem Amen! Aber es hat mich
überzeugt. Mehr braucht es ja nicht. In dem
Abba, lieber Vater! hat alles Platz und ist alles
gesagt. Mehr können wir Gott eigentlich gar nicht
sagen, als dass er unser lieber Vater ist, dem wir
vertrauen, dem wir alles verdanken und von dem
wir alles Gute erwarten.
So beten kann jedes Kind. Aber nur Kinder
können das. Darum können es manche grossen
Leute nicht, weil sie auch vor Gott gross sein
wollen: wichtig und gescheit, mehr als nur ein
Kind. Der Apostel Paulus weiss, dass wir von uns
aus so kindlich nicht beten können. Wir müssen
dazu angeleitet werden. Das muss uns vorgesprochen werden. Der es uns vorspricht, ist der
Geist Gottes. Im Geist nur können wir rufen
Abba, Vater! Dass Gottes Geist uns dazu verhilft,
das ist die grundlegende Geistesgabe. Paulus
schreibt dann später in seinem Brief auch noch
von einer Vielfalt von Geistesgaben (Römer 12).
Aber auf dieser grundlegenden Geistesgabe basieren sie alle: dass wir dieses Verhältnis zu Gott
als unserem lieben Vater haben dürfen und es
als seine Kinder bejahen und praktizieren. Dann
kommt in der schlichten Art und Weise, wie wir
Gott anreden, unser Gottvertrauen, unsere Glaubensgewissheit und unsere Zukunftshoffnung
zum Ausdruck. So interpretiert Paulus das Gebet
der Kinder Gottes in dem kurzen Abschnitt, in
dessen Zentrum das Abba, Vater! steht.
Das Gottvertrauen
Ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, um wiederum in Furcht zu leben; nein,
ihr habt einen Geist der Kindschaft empfangen,
in dem wir rufen: Abba, Vater!
Das Abba, Vater! gilt nicht einem Gott, vor dem
wir uns fürchten, sondern dem wir vertrauen.
Es ist aber keine kumpelhafte Vertraulichkeit, die
den Respekt vor Gott verloren hat. In der Bibel
ist ja immer wieder im positiven Sinn von der
Gottesfurcht die Rede. Damit ist nicht die Angst
vor Gott gemeint, sondern der hohe Respekt, der
trotz aller Vertraulichkeit bleibt.
Aber fürchten müssen sich Kinder vor einem
guten Vater nicht. Gottes Autorität ist eine wohlwollende, wohltuende, schützende Autorität. Es
ist Verlass auf Gott. Darum kann ich mit allem zu
ihm gehen ohne Angst, darf mit ihm in Kontakt
treten ohne alle Umstände, kann über alles mit
ihm reden ohne Hemmungen. Ich muss nicht
fürchten, mich zu blamieren. Ich darf als der
oder die vor ihn treten, zu dem oder zu der Gott
selber mich macht: als sein Sohn, als seine Tochter, als sein Kind. Und rufen darf ich – rufen wie
es das Evangelium erzählt von den Menschen, die
zu Jesus gerufen haben. Manche haben zu ihm
geschrien, so dass es ihren Mitmenschen lästig
oder peinlich wurde. Jesus ist das Schreien nicht
lästig und peinlich gewesen. Er hat auf die
Hilfeschreie der Blinden, der Lahmen, der Aussätzigen reagiert und ihnen geholfen. Und er hat
sich über das Jubeln der Kinder gefreut.
So ohne falsche Hemmungen, so kindlich
lehrt uns der Geist rufen: Abba, Vater! – das
Kinder-Gebet, in dem sich unser Gottvertrauen
ausspricht.
Die Glaubensgewissheit
Eben dieser Geist bezeugt unserem Geist, dass
wir Kinder Gottes sind.
Die Glaubensgewissheit ist kein Wissen, das wir
uns selber erworben haben, keine Denkleistung
und auch kein unverlierbarer Besitz. Der Geist
sagt es uns und er muss es uns immer wieder
sagen, dass wir Gottes Kinder sind.
Wie geschieht das? Ist damit eine geheimnisvolle innere Stimme gemeint? Sind Erfahrungen
und Gefühle gemeint, auf die sich die Glaubensgewissheit gründen kann? Glaubenserfahrungen
sind etwas Kostbares. Das Gefühl, Gott nahe zu
sein, ist etwas Schönes. Aber dauerhaft und ver-
lässlich gründen kann sich unsere Glaubensgewissheit auf Erfahrungen und Gefühle nicht.
Jesus hat seinen Jüngern vor seinem Abschied
den Geist verheissen und das Wirken des Geistes
so beschrieben: „Der heilige Geist, den der Vater
in meinem Namen senden wird, der wird euch
alles lehren und euch an alles erinnern, was ich
euch gesagt habe“ (Joh 14,26).
Die Worte Jesu also benützt der Geist immer
wieder: das Evangelium, das uns Gott als den
Vater verkündet, der in Jesus Christus das Verlorene sucht und rettet; der alle, die zu ihm umkehren, annimmt wie der Vater im Gleichnis den
verlorenen Sohn wieder aufgenommen hat. In
der Verkündigung der frohen Botschaft bezeugt
der Geist uns, dass wir Kinder dieses Vaters sein
dürfen. Wir haben dieses Zeugnis des Geistes
immer neu nötig. Wir haben das Hören auf das
Evangelium nötig, das uns zuspricht und bestätigt, dass wir Gottes Kinder sind. Und wir haben
auch den Zuspruch voneinander nötig: das persönliche Glaubenszeugnis von Schwestern und
Brüdern. Auch das gemeinsame Gebet im Gottesdienst, das gemeinsame Rufen Abba, Vater!
braucht der Geist dazu, um unsere Glaubensgewissheit zu stärken.
Die Zukunftshoffnung
Sind wir aber Kinder, dann sind wir auch Erben:
Erben Gottes, Miterben Christi, sofern wir mit
ihm leiden, um so auch mit ihm verherrlicht zu
werden.
Unsere Zukunftshoffnung stützt sich nicht auf
Analysen und Programme, wie unsere Welt vielleicht doch noch zu retten wäre. Die Hoffnung
geht uns aber auch nicht durch düstere Weltuntergangs-Prognosen verloren. Der Geist lässt
uns aus der Tatsache, dass wir Gottes Kinder
sind, auf Gottes Plan und Absicht mit uns schliessen. Wenn wir Gottes Kinder sind, dann wird uns
Gott auch zu Erben machen. Das Bild hinkt zwar,
denn der Vorgang des Erbens unter Menschen
setzt ja voraus, dass der Erblasser stirbt. Gott
stirbt nicht. Aber er will uns an seinem Reichtum
Anteil geben; er will uns an seinem unvergänglichen Leben, an seiner Zukunft, an seiner Herrlichkeit beteiligen. Wir sollen alles geschenkt
bekommen, was ihm gehört.
Wir wollen beachten, wie sorgfältig Paulus
hier formuliert: Wenn wir Kinder sind, dann sind
wir auch Erben, nämlich Erben Gottes. Aber wir
sind es nur als Miterben Christi. Dieses „mit“ hat
Paulus ganz stark unterstrichen, nicht nur durch
den Ausdruck Miterben Christi, sondern auch
durch die Worte mit-leiden und mit-verherrlicht
werden. Den Anspruch auf die grosse Zukunftshoffnung als Erben Gottes können wir nicht einfach von uns aus bei Gott geltend machen. Es ist
ein Recht, das Gott uns durch Jesus Christus gewährt. Weil Christus unser Bruder geworden ist,
werden alle, die sich durch den Glauben mit ihm
verbinden lassen, zu Kindern Gottes und damit
auch zu seinen Mit-Erben. Er wird die Herrlichkeit, die ihm als Sohn Gottes zusteht, einst mit
uns teilen.
Christus ist durch die Auferstehung aus dem
Tod und durch seine Himmelfahrt schon in Gottes
Herrlichkeit zurückgekehrt. Wir sind noch nicht
dort. Wir machen in der Zeit, die uns vom MitVerherrlichtwerden noch trennt, manche Erfahrungen, die uns verunsichern. Wir meinen etwa,
es müsste uns als Gottes Kindern doch leichter
gemacht werden im Leben, als wir es erfahren.
In schweren Zeiten fangen wir an zu fragen: Ist
Gott denn nun wirklich mein lieber Vater, wenn
er mir das zumutet? Oder wir meinen, als Miterben Christi müssten wir doch schon in diesem
Leben mehr von seiner Herrlichkeit spüren; es
müsste uns doch das Arm- und Schwachwerden
erspart bleiben – und es bleibt doch vielen unter
uns nicht erspart.
Paulus macht uns darauf aufmerksam, dass
die Erbengemeinschaft mit Christus nicht nur das
künftige Mit-Verherrlichtwerden beinhaltet, sondern dass jetzt noch das Mit-Leiden dazugehört.
Jesus selber hat das Abba, Vater! in der Anfechtung und Versuchung oft neu sprechen lernen
müssen. Auch sein Weg zur Herrlichkeit führte
durch Leiden. Unsere Zukunftshoffnung hängt
nicht daran, dass es uns schon jetzt immer gut
geht. Sie hängt daran, dass wir aufgenommen
sind in die Erbengemeinschaft mit Christus, so
wahr wir zu Gott Abba, Vater! sagen dürfen.
Abba, Vater – das ist das Gebet, das der Geist
Gottes uns vorspricht. Sprich es ihm nach! Nimm
damit das Recht in Anspruch, Sohn oder Tochter
des Vaters im Himmel zu sein, ein Gotteskind,
das zu Gott immer wieder und unter allen Umständen sagen darf: Abba, lieber Vater!
Sag nicht: Das kann ich nicht! bevor du es
probiert hast. Du wirst feststellen, wie das kindliche Gebet alles einschliesst: dein Gottvertrauen,
deine Glaubensgewissheit, deine Zukunftshoffnung. Indem du es einübst, wirst du erfahren,
wie dein Vertrauen, deine Gewissheit und deine
Hoffnung wachsen, wenn du wie ein Kind mit
deinem Vater im Himmel sprichst: Abba, Vater –
mehr habe ich dir nicht zu sagen, mehr brauche
ich nicht zu sagen, Abba, lieber Vater! Amen.