2015.05.23_NLZ - Werden Lehrer ungenügend vorbereitet

Luzern
Samstag, 23. Mai 2015 / Nr. 118
Zentralschweiz
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21
BOTE DER URSCHWEIZ
Werden Lehrer ungenügend vorbereitet?
BILDUNG Lehrer stossen oft
an ihre Grenzen, wenn sie ihre
erste Stelle antreten – und
viele steigen wieder aus. Die
Ausbildung sei praxisfern,
sagen junge Lehrer.
YASMIN KUNZ
[email protected]
Immer mehr wollen Lehrer oder Lehrerin werden. Für das kommende Jahr
verzeichnet die Pädagogische Hochschule (PH) Luzern 467 Neuanmeldungen. Insgesamt absolvieren aktuell 1889
Studenten die Lehrerausbildung (Ausgabe vom Montag). Die PH Luzern
boomt, was erstaunt angesichts der Zahlen des Bundesamts für Statistik: Rund
16 Prozent der frisch ausgebildeten Lehrer steigen im ersten Berufsjahr aus. In
den ersten fünf Jahren verlassen landesweit sogar 30 Prozent den Lehrerberuf.
Über 80 Prozent bleiben
Auch die Dienststelle Volksschulbildung des Kantons Luzern hat die sogenannte Verweildauer der Lehrer mit
einer unbefristeten Anstellung im Beruf
erfasst. Im Schuljahr 2013/14 haben im
Kanton Luzern 161 Lehrer gekündigt.
98 davon hatten maximal fünf Jahre als
Lehrer gearbeitet. Und von diesen waren
31 nicht älter als 30 Jahre. Diese Statistik ist allerdings mit Vorsicht zu geniessen. Denn als Austritt werden alle Lehrer erfasst, die gekündigt haben, also
auch jene, die andernorts eine neue
Anstellung als Lehrer antreten. Der
Kanton Luzern zählt rund 5000 Lehrer
auf der Volksschule. Davon haben rund
2700 ein unbefristetes Verhältnis mit
erscheinen. Doch alle geben an, wegen
einem Pensum von über 15 Prozent.
Michael Zutavern, Prorektor der PH schwieriger Elternarbeit, fehlender AufLuzern, bezieht sich bei den Aussteigern stiegsmöglichkeiten und zu grossem
auf die Zahlen der Schweizerischen administrativem Aufwand den Beruf
Koordinationsstelle für Bildungsfor- verlassen zu haben. Auf solche Situaschung (SKBF). Diese zeichnen ein tionen werde man im Studium zu
etwas anderes Bild
wenig vorbereitet,
als jene des Bundes.
sind sich die AusIm SKBF-Bildungssteiger einig.
«Auf die
bericht 2014 heisst
Michael Zutavern
es: «Die Lehrpersoadministrative Arbeit sagt dazu: «Ein Viernenausbildung
tel der Ausbildung
war ich nicht
findet in den Praxiszeichnet sich durch
genügend
schulen statt. Theeine relativ hohe Bevorbereitet.»
rufseintrittsquote
men wie Elternarbeit
aus.» Demnach würund Umgang mit BeTA B E A K Ü F F E R ( 2 9 ) ,
den 80 Prozent der
lastung haben zudem
S E K U N DA R L E H R E R I N
einen hohen StellenPH-Absolventen
wert. In jedem Beruf
auch ihre erste Stelle
im Bildungsbereich antreten. Weiter ist der Einstieg herausfordernd – wir
schreibt die SKBF, dass während der versuchen aber laufend, die aktuellen
ersten fünf Berufsjahre nur eine gerin- Anforderungen an die Junglehrer zu
ge Ausstiegsquote festzustellen sei.
berücksichtigen.» Die PH würde eng mit
den Kantonen und Praxisschulen – also
Berufsausstieg wegen Eltern
Schulen, an denen angehende Lehrer
Präzise Zahlen zu Aussteigern aus Praktika absolvieren – zusammenarbeidem Lehrerberuf sind also nicht erhält- ten, und Dozenten seien während der
lich. Dennoch kann abgeleitet werden, Praktika viel in den Schulen, so der
dass viele Lehrer ihren Beruf nach Prorektor.
wenigen Jahren wieder an den Nagel
hängen. Warum verlassen sie teils kurz Lehrerin: «Ungenügend vorbereitet»
Tabea Küffer (29) arbeitet seit drei
nach dem Studium das Schulzimmer?
Laut dem SKBF-Bericht sind unter Jahren als Sekundarlehrerin an verschieanderem folgende Austrittsgründe fest- denen Schulen im Kanton Luzern. Sie
gehalten: begrenzter Arbeitsvertrag, erklärt, weshalb sie sich für den BerufsWunsch nach einem Berufswechsel, alltag nicht gewappnet fühlte: «Ich wussunbefriedigende Arbeitsbedingungen. te ganz genau, wie ich didaktisch und
Und was sagen Aussteiger selber über inhaltlich Lektionen aufbereiten musste,
ihre Beweggründe? Unsere Zeitung hat doch auf die administrative Arbeit war
mehrere ehemalige Lehrer befragt. Zwar ich nicht genügend vorbereitet.» Die
will niemand mit Namen in der Zeitung 29-Jährige fragt sich, ob die Didaktik in
Armin Weingartner (56), Mentor an der PH Luzern,
bespricht mit einer Studentin deren Praktikum.
Bild Dominik Wunderli
5000
LEHRER
unterrichten an den Luzerner
Volksschulen.
1889
STUDENTEN
lassen sich aktuell an der Pädagogischen Hochschule zum Lehrer
ausbilden.
161
LEHRER
haben im Schuljahr 2013/14 ihre
Stelle gekündigt.
eine offizielle Ansprechperson, ein sogenannter Mentor, hat mir in meinem
ersten Berufsjahr gefehlt.»
Armin Weingartner (56) ist in der Ausbildung an der PH in Luzern als Mentor
sowie als Praxislehrer in Neuenkirch
tätig. Er betreut künftige Lehrer unterschiedlichen Semesters. Er weiss, dass
die Studenten nur am Rande mit dem
administrativen Teil des Lehrerjobs in
Kontakt kommen. «Im siebten Semester
beschäftigen sich die Studierenden mit
der Schule als lernendes System. Dadurch werden sie sensibilisiert auf Prozesse, die in den Schulen neben dem
eigentlichen Unterricht ablaufen – das
genügt auch, finde ich.» Weingartner
findet, dass die PH «enorm viel für zukünftige Lehrpersonen macht». Der Berufspraxis falle ab Studienbeginn ein
hohes Gewicht zu. «Ich bin sicher, dass
die PH für unsere Volksschule mittelfristig eine grosse, vielleicht gar die entscheidende Innovationsquelle darstellt.»
Perfekte Vorbereitung «unmöglich»
der Ausbildung vielleicht nicht einen zu
hohen Stellenwert erhält.
Dem pflichtet auch Livia Sabini (25)
bei, welche die PH vergangenen Januar
abgeschlossen hat: «Ich habe das Gefühl, dass viele Dozenten sich nicht im
Klaren darüber sind, dass die Theorien,
welche sie vermitteln, der Realität oft
nicht standhalten.»
Tabea Küffer schätzte den einwöchigen Vorbereitungskurs für Junglehrer an
der PH. «Der hat mir wirklich geholfen,
im Alltag besser klarzukommen. Denn
Zufrieden mit seiner Ausbildung ist
denn auch Oliver Marty (28), der sein
Seklehrerstudium an der PH Luzern vor
vier Jahren abgeschlossen hat: «Die PH
hat mir wichtige Tipps zum Unterrichten
gegeben.» Dass die PH einen optimal
auf den Unterrichtsalltag vorbereiten
könne, sei unmöglich, sagt Marty, der
in Zug unterrichtet. «Ein Studium von
neun Semestern reicht da schlicht nicht.
Es braucht Praxiserfahrung, um im Beruf zurechtzukommen.» Was ihm den
Arbeitseinstieg erleichtert hat, war sein
Mentor (siehe Box). «Er hat mich sehr
gut in den Arbeitsalltag eingeführt.»
Pfingstmontag
geöffnet
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Gute Erfahrungen
mit Mentoren
BERUFSEINSTIEG kuy. Bei Anstellungen von berufseinsteigenden
oder neu eingestellten Lehrern ist
in der Regel die Schulleitung für die
Arbeitsplatzeinführung zuständig.
An den meisten Schulen überträgt
sie diese Betreuung einem Mentor.
Den Lehrern stehen zudem verschiedene Informations- und Unterstützungsangebote kostenlos zur
Verfügung.
Auch die Schule profitiert
Sehr gute Erfahrung mit Mentoren
hat die kooperative Oberstufe der
Stadtschulen Zug gemacht. Schulleiter Hugo Hayoz sagt: «Vor allem
am Anfang hat man einen Berg von
Arbeit vor sich. Da hilft es, wenn
erfahrene Lehrpersonen den neuen
unter die Arme greifen und sie in
die Schulhauskultur oder auch in
kantonale Reglemente einführen.»
Gegenüber jeder neu angestellten
Lehrperson gehe man eine Verpflichtung ein, so Hayoz. «Indem
wir die Neulinge an unserer Schule
gut betreuen, können wir auch die
meisten behalten. Für die Schule ist
das eine Win-win-Situation.»
Allerdings hat das Mentoren-System auch seinen Preis: Gemäss
Hayoz entschädigt die Zuger Schule ihre Mentoren mit 45 Franken
pro Stunde.