Traditionelle Chinesische Medizin bei Psoriasis

HS | 5/2015
MEDIZIN
Traditionelle Chinesische Medizin
bei Psoriasis
SEVERIN BÜHLMANN
Traditionelle Chinesische Medizin (TCM)
ist in allen Bereichen der Medizin tätig
und hat praktisch überall ihre Berechtigung. Wenn auch nicht immer heilend,
so wirkt TCM häufig lindernd und nicht
selten ist sie der westlichen Schulmedizin überlegen. Selbstverständlich sind
der TCM auch Grenzen gesetzt. Die Ansicht, TCM wirke nur langsam und sei
nur bei schulmedizinisch unklaren oder
schlecht definierten Krankheitsbildern
wirksam, ist ebenfalls nicht zutreffend.
TCM zeigt oft überraschend schnelle
und gute Resultate und dabei spielt es
nicht einmal eine grosse Rolle, ob die
Symptome erst seit kurzer Zeit oder bereits seit langem bestehen und ob sie
harmloser oder bedrohlicher Natur sind.
Jede und jeder, der mit TCM arbeitet,
kann über eine Vielzahl von positiven
Verläufen berichten, die sie/er im Laufe
der therapeutischen Tätigkeit erlebt hat.
Leider sind die Erfolge oft nicht systematisch erfasst und publiziert. Dazu fehlen
die Mittel, denn wissenschaftliche Studien, die harte Daten zu liefern vermögen, sind sehr teuer. Immerhin wächst
aber in letzter Zeit die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen, die von guter Qualität sind und eine Beurteilung
durch kritische und neutrale Beobachter
findet häufiger statt. Die Cochrane Col-
Severin Bühlmann
laboration1 bewertet in ihrer Cochrane
Library bereits Hunderte von Studien im
Bereich Complementary Medicine. Die
Qualität der Studien ist nicht besser und
nicht schlechter als diejenige in den
schulmedizinischen Publikationen.
TCM ist eine Medizin, die sich in ihrer
klassischen Form sehr am Individuum
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TCM an die Sache herangeht, kann die
Welt und alles in ihr auf ihre Art genau
so gut erklären wie die modernen Naturwissenschaften.
Bild: Manfred Dubach
mit seiner eigenen Konstitution und einem individuellen Krankheitsverlauf
orientiert. Jeder Mensch (Krankheitswirt) ist anders. Er bringt eigene Voraussetzungen mit, die in ihm eine Krankheit
praktisch einzigartig ablaufen lassen.
In der westlichen Welt sind wir vom cg-s-System geprägt. Wir messen einen
Tumor in der Grösse (c = Centimeter),
wir schauen, wie viel der Blutzucker beträgt (g = Gramm) und wir kontrollieren,
in welcher Zeit (s = Sekunden) der
Schmerz von den Zehen ins Hirn geleitet
wird. Wir haben dieses System so verinnerlicht, dass wir uns kaum vorstellen
können, dass es andere Messsysteme
gibt, wie die Welt auch noch vermessen
werden könnte. Es gibt noch jede Menge
anderer Messsysteme oder Normkonventionen. So benutzten die alten Chinesen nicht den Massstab, die Waage
und die Stoppuhr, um Vorgänge in der
Natur und im Menschen zu beschreiben,
sondern ein System, das uns, die wir ans
c-g-s-System gewöhnt sind, ziemlich
exotisch vorkommt: Yin und Yang zur
Beschreibung von polaren Gegensätzen
in der Natur (und im Menschen) und die
fünf Elemente zur Erklärung von zyklischen Abläufen. Diese Normkonventionen basieren auf einer Erkenntnistheorie, die in sich schlüssig ist, genau so wie
die westlichen Naturwissenschaften es
in gewissen Grenzen auch sind. Wer mit
andern Augen bzw. den Werkzeugen der
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Eines von über 400 verwendeten, natürlichen
Mittel der TCM.
Es kann dann dazu führen, dass man
sagt, jemand hätte zu viel Yang und in
einem Funktionskreis des Körpers zu
viel Feuer. Feuer als Symbol für viele
Zustände im Körper und in gewissen Organen. Und interessanterweise führt diese Aussage dann auch sofort zu einer
therapeutischen Handlungsanweisung:
So muss man dem bei Grippe glühenden
Patienten das Feuer löschen, ihn kühlen
und dem auch bei 40° Frierenden muss
man wärmende Mittel zuführen.
Bei der Befunderhebung stützt sich die
TCM ebenso wie die Schulmedizin auf
die Befragung und sie lässt sich die
Symptome schildern, die ein Patient aufweist. Weitere diagnostische Massnahmen sind die chinesische Puls- und Zungendiagnose. Beispielsweise wird bei
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letzterer auf die Form der Zunge, auf die
Farbe und Struktur und zudem auf den
Zungenbelag geschaut. Ein einzelnes
Symptom kann viele Ursachen haben
und deshalb gilt es, die Befunderhebung
möglichst differenziert zu machen. Wie
in der Schulmedizin gibt es häufige und
seltene Diagnosen. Wie bereits erwähnt,
führt jede Diagnose unmittelbar zu einem therapeutischen Schritt. Ein Symptom ist mit verschiedenen andern Symptomen vergesellschaftet und am Beispiel
einer banalen Grippe können wir sehen,
dass es, wie oben beschrieben, verschiedene Verlaufsformen gibt. In der TCM
zeigt sich die Grippe als eine Familie von
verschiedenen Diagnosen und jede ist
anders zu behandeln. Einmal stehen
Kopfschmerzen im Vordergrund, bei einem andern Patienten Gliederschmerzen, der dritte hat gleichwohl noch ziemlich Appetit, der vierte klagt über
Appetitlosigkeit oder gar Übelkeit, der
fünfte hat Durst und der sechste mag gar
nicht trinken. Jeder Zustand wird anders
behandelt.
Kommen wir nun nach dieser kurzen
Einführung zu der uns interessierenden
Psoriasis.
Hautkrankheiten äussern sich mit verschiedenen Symptomen. Schon nur die
Hauterscheinungen zeigen ganz unterschiedliche Bilder. Allein schon die Lokalisation der Ausschläge kann sehr un-
Bild: Manfred Dubach
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Die TCM-Granulate können auch zu Tabletten gepresst werden.
terschiedlich sein. Ob nur oder fast nur
die Kopfhaut befallen ist, ob der Stamm
oder die Extremitäten Schäden zeigen,
spielt eine Rolle. Ob die Hände an der
Innen- oder Aussenfläche befallen sind,
kann eine Bedeutung haben, ebenso,
wenn der Juckreiz im Vordergrund steht
oder das Schuppen oder gar das Bluten.
Schon vor einigen hundert Jahren wurde
Psoriasis in TCM-Schriften beschrieben
und sie heisst dort in Assoziation zur
Natur Pinien-Rinden-Flechte (Song Pi
Xian) oder Weiss-Flecken-Krankheit
(Bai Bi), wenn das Muster der weiss
schuppenden Ausschläge vorherrscht.
Ich nehme es vorweg: Vitiligo heisst Bai
Bo Feng, Bai bedeutet Weiss, Bo widrig
und Feng Wind, also ein schädlicher
«weisser» Wind, der in den Körper eingedrungen ist. Mehr über Vitiligo vielleicht an anderer Stelle.
Im Wesentlichen dreht sich die Diagnose der Psoriasis in der TCM um folgende
Begriffe:
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Wind und Feuchtigkeit aufgrund eines
Mangels an «Blut», der dem Wind die
Möglichkeit gibt, in den Körper einzudringen.
Das tönt exotisch. In der TCM gibt es
sechs klimatische Faktoren, die die Gesundheit gefährden. Dazu gehören zum
Beispiel Hitze, Kälte, Feuchtigkeit. Daneben nennt die TCM sieben Emotionen, die ebenfalls schädigend wirken
können, Wut, Sorgen, Trauer, Angst etc.
Schliesslich können Diätfehler und andere das Gleichgewicht im Körper stören: zu wenig Schlaf, zu viel (oder zu
wenig) Sex, Unfälle …
Materie ist der Grundstoff des Lebens
und es braucht die Energie, das Qi, diese zu bewegen. Von allem muss die rechte Menge vorhanden sein. Wo die eine
oder andere Komponente angegriffen
oder verbraucht wird, muss entgegengewirkt werden. Mit einfachen Lebensregeln kann schon viel erreicht werden,
mit der geeigneten Ernährung oder allenfalls mit Kräuterrezepturen, mit Akupunktur, mit Entspannungs- und Meditationstechniken wie Tai Ji oder Qi
Gong …
Am Expertenchat vom 17. September
2015 beantwortet Severin Bühlmann online Ihre Fragen zum Thema «Behandlung von Psoriasis aus Sicht der Chinesischen Medizin (TCM)».
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Bei Hautkrankheiten lassen sich krankmachende Einflüsse sehr gut sehen:
Diätfehler lassen eine Akne, eine Neurodermitis oder eine Psoriasis aufblühen.
Auch emotionale Ereignisse können zu
Psoriasis-Schüben führen. Der Hormonstatus kann einen Einfluss haben. Konstitutionelle Faktoren spielen eine grosse
Rolle. Im Zusammenspiel aller Faktoren
kann eine Psoriasis zu individuell unterschiedlichen Erscheinungsformen führen. Dementsprechend differenziert
muss diagnostisch und schliesslich therapeutisch vorgegangen werden.
Ein Mangel an Blut (wobei der chinesische Begriff für Blut viel weiter gefasst
ist als das, was wir schulmedizinisch
unter Blut verstehen) liegt der Psoriasis
häufig zugrunde. Und das wiederum
führt zu Blut-Hitze, in etwa vergleichbar
mit einem Motor, der überhitzt, weil zu
wenig Kühlflüssigkeit vorhanden ist.
Das Blut erreicht dann auch nicht recht
die Körperperipherie, also die Haut,
kann diese deshalb nicht richtig ernähren, kann sie auch nicht gut mit Abwehrstoffen und -energie versorgen, was
es schädigendem Wind einfach macht,
in den Körper einzudringen. Schübe
können als eine Art Windstösse verstanden werden. Diese starken Bilder haben
durchaus praktischen Wert, denn sie
leiten über zur Therapie, die darin besteht, jedem einzelnen Punkt entgegenzutreten.
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Bild: Manfred Dubach
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Proben von pflanzlichen und mineralischen Mitteln.
Die Therapie kann mit allen therapeutischen Verfahren der TCM erfolgen, so
also mit diätetischen Massnahmen, mit
Akupunktur und mit Kräutern. Am aussichtsreichsten ist die Therapie aus einer
Kombination der verschiedenen Verfahren. Kräuter sind dabei ein äusserst nützliches Element. Sie dienen dazu, das Blut
zu mehren, Wind auszutreiben, den
Juckreiz zu stillen, Emotionen zu stabilisieren und letztlich die Haut zu glätten.
Aus schulmedizinischer Sicht geht es darum, die überschiessende Vermehrung
der Keratinozyten zu bremsen und damit einhergehende Entzündungsprozesse zu stoppen, den übermässigen Flüssigkeitsverlust durch die Haut zu
verhindern und die Begleitsymptome
Juckreiz und allenfalls bakterielle Besiedelung zu behandeln.
Die Palette der Diagnosen, die die TCM
bei Psoriasis kennt:
• Ansammlung von Hitze des Blutes
• Blut-Mangel mit trockenem Wind
• Stagnation von Qi und Blut
• Feuchtigkeit und Anhäufung von
Giftstoffen
• Wind-Kälte-Feuchtigkeits-Stau
• Toxin-Feuer
• Leber- und Nieren-Yin-Mangel
Diese Liste zeigt, dass sich die Psoriasis
in der TCM in mehreren, voneinander
deutlich verschiedenen Diagnosen zeigt
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und jede einzelne je eine eigene Therapie
verlangt. Kompliziert kann es werden,
wenn mehrere TCM-Diagnosen parallel
vorhanden sind. So können beispielsweise emotionale Faktoren dazukommen, die klassischerweise in der Sprache
der TCM zu einer Blockade des Leber-Qi
führen (wir kennen im Westen den Ausdruck «es ist ihm etwas über die Leber
gekrochen» oder «ihr ist die Galle hochgekommen»). Dies erfordert dann eine
Anpassung der Therapie. Es gibt Diagnosemuster, die häufiger vorkommen
und solche, die wir seltener antreffen.
Die Therapie mit TCM kann je nach Situation auf ein gerade vorherrschendes
Symptom gerichtet sein, was in gewissen
Fällen genügen kann, oder aber es
braucht einen grösseren Aufwand, der
in der Regel eine längere Behandlung
nach sich zieht, die situationsbedingt
immer wieder angepasst werden muss,
ohne dass man dabei das zugrunde liegende Problem aus den Augen verlieren
darf. Es gibt auch in der Schweiz zunehmend TCM-Spezialisten für gewisse
Krankheiten, so auch solche für Hautkrankheiten und darunter auch Psoriasis. Die Spezialisten machen darauf aufmerksam, dass eine Therapie im
Minimum drei bis vier Monate dauert,
bis ein anhaltender Erfolg sichtbar wird.
Sie betonen gleichzeitig, dass sich aber
der Einsatz lohnt, da damit die Psoriasis
in der Mehrzahl der Fälle kontrollierbar
wird. Von einer definitiven Heilung will
auch hier niemand sprechen. Häufig besuchen Psoriasis-Patienten den TCMTherapeuten im Frühjahr, um dann
nach einer Vorlaufzeit gegen den Sommer eine schönere Haut zu haben, andernfalls sie sich nicht ins Schwimmbad
oder an den Strand wagen. Eine Verbesserung der Symptome um 70 bis 80 Pro-
Von der Haut aus
kann man die Seele plegen.
Carl Ludwig Schleich (1859–1922)
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zent kann in den meisten Fällen durchaus erwartet werden und die Situation
kann auf diesem Niveau über Monate
stabil gehalten werden. Psoriatiker werden vorzugsweise mit chinesischen
Kräutern und eher weniger mit Akupunktur behandelt. Erfahrene TCMTherapeuten betonen, dass die Therapie
am besten funktioniert, wenn getrocknete Kräuter täglich abgekocht und eingenommen werden. Diesem Prozess
wird der Vorzug gegeben gegenüber andern bekannten Formen wie beispielsweise dem Verschreiben von Granulaten
oder Flüssigextrakten. Der Aufwand des
täglichen Abkochens sei nötig, aber lohne sich. Es wird also an den Durchhaltewillen in jeder Beziehung appelliert.
Eine mehrmonatige Behandlung kostet
etwas, aber im Vergleich zu modernen
Biologika macht sie trotzdem nur einen
Bruchteil davon aus. Chinesische Kräuter werden im Rahmen der Zusatzversicherungen von den meisten Kassen bezahlt. Mit TCM arbeitende Ärzte und
Therapeuten sind durchaus daran inter-
Severin Bühlmann studierte an der Universität Zürich Medizin und bildete sich zum
Allgemeinpraktiker aus. Nachdem er während zehn Jahren zuerst eine Landpraxis
mit dem Angebot Schulmedizin und TCM
geführt hatte, verlegte er seine Praxis nach
Aarau. Schon seit seinem Studium war Severin Bühlmann Mitglied einer Studenten-
essiert, vermehrt Feedback aus Kreisen
von Psoriasis-Patienten zu erhalten und
es ist zu hoffen, dass dereinst ein reger
gegenseitiger Erfahrungsaustausch zustande kommt. Es muss nicht zwingend
eine aufwändige Doppelblindstudie gemacht werden, um valable Daten zur
Wirksamkeit dieser Art Therapie zu erhalten. Schon einfache Beobachtungsstudien können Hinweise dafür liefern.
Fussnoten
1 Die Cochrane Collaboration (CC) ist eine
internationale gemeinnützige Organisation
mit dem Ziel, aktuelle medizinische Informationen und Evidenz zu therapeutischen
Fragen allgemein verfügbar zu machen und
damit allen Akteuren im Gesundheitswesen
zu ermöglichen, Entscheidungen zu erleichtern und Patienten aufzuklären und zu beraten. Erreicht wird dies vor allem durch
die Erstellung, Aktualisierung und Verbreitung systematischer Übersichtsarbeiten
(«systematic reviews»). Cochrane Schweiz
hat seinen Sitz am Institut universitaire de
médecine sociale et préventive (IUMSP) in
Lausanne. Das IUMSP ist Teil des Universitätsspitals (CHUV) und der Universität
Lausanne (UNIL). Quelle: http://swiss.
cochrane.org/de/die-cochrane-
gruppe, die sich am Sinologen Prof. Manfred
Porkert orientierte, Mitbegründer von AGTCM und ZG-TCM, daneben absolvierte er
Ausbildungen bei Radha Thambirajah, Van
Nghi, Ramakers und vielen anderen, und er
bildete sich auch mehrfach in China an
TCM-Universitäten weiter (Chengdu, Guangzhou).
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