Neue Freunde finden - bridges – Musik verbindet

DOWNTOWN
Die „Bridges“-Initiatorinnen und Klarinettistinnen Isabella Kohls und Julia Huk zwischen Darbukka, Rahmentrommel und Rabab, darunter Walid
Khatba, Semere Debas Gerzigher (mit Basecap) und Maria Kaplan
Neue Freunde finden
Irgendwann saßen Julia Huk und
Isabella Kohls in der Unibibliothek,
sollten eigentlich fürs Examen lernen. Nur waren sie angesichts der
Nachrichtenlage so aufgewühlt, dass
sie begannen, darüber nachzudenken, was sie persönlich und ganz
konkret für Flüchtlinge tun könnten.
Nach zweistündigen Brainstorming
stand für die beiden 26-Jährigen
fest: ein Konzert sollte es sein. „Aber
nicht nur für Flüchtlinge, sondern
auch mit Flüchtlingen“, beschlossen
Huk und Kohls. Dafür galt es nicht
nur potentielle Mitwirkende, sondern auch Verbündete zu finden.
Musik als universelle
Sprache. Ein Gemeinplatz.
Beim Flüchtlingsprojekt
„Bridges – Musik
verbindet“ wird er auf
faszinierende Weise mit
Leben erfüllt.
Tex t und Fotos: Detlef Kinsler
„Als wir im September mit der Arbeit angefingen, stießen wir überraschend überall auf offene Ohren“,
erinnert sich Huk. An der HfMDK,
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beim Hessischen Rundfunk (der
den Sendesaal, Technik und Personal fürs Konzert am 19. April bereitstellt) und an der Schillerschule,
die Kooperationspartner beim Konzert ist und in deren Räumlichkeiten die Proben stattfinden können
– alle waren bereit, die Vision der
beiden engagierten Studentinnen
Wirklichkeit werden zu lassen.
Ihr Networking mit eigener Website, Flyern und Mailaussendungen
trug schnell Früchte. Bald standen
73 Namen auf der Liste. Musiker
aus Syrien, dem Iran, Afghanistan
und Eritrea. Dazu deutsche Kollegen
aus Klassik, Jazz und Pop, die nicht
nur mitspielen, sondern auch in
Arrangement-Fragen behilflich sind,
darunter Filmkomponist Rainer
Michel, der eine eigens für „Bridges“
geschriebenen Kompositionen beiträgt, die alle zusammen aufführen
werden. Schon bei den ersten Probeterminen fanden sich kleine, spannend durchmischte Ensembles. Da
machte sich eine kammermusikalisch
geschulte Flötistin in kürzester Zeit
auf die Reise von Eritrea nach Afghanistan (hier nur ein Klassenraum
voneinander entfernt), um in beiden
Fällen auf die für sie ungewohnte
Tonalität und Metrik spontan und
intuitiv zu reagieren - in einem kulturübergreifenden Call & Response.
Der Blues als unbewusstes Bindeglied. „Wir wollten die Musik nicht
vorgeben, etwa Beethovens Neunte
umarrangieren, stattdessen bewusst
nutzen, was die Leute an Musik mitbringen“, erläutert Huk. „Wir woll-
ten so den Flüchtlingen ein Gesicht
und eine Stimme geben“, ergänzt
Kohls.
Wie zum Beispiel Semere Debas Gerzigher. Er kam vor über einem Jahr
aus Teseney, einer kleinen Stadt nahe
der sudanesischen Grenze in Eritrea.
Selbstbewusst sagt er: „Wir können
Deutsch reden.“ Dass das Gespräch
recht holprig verläuft, schadet nichts.
Die wichtigen Dinge erfährt man
doch. Gerzigher ist 18, kam allein
nach Deutschland, zuerst nach Frankfurt, bekam dann einen Platz in Bad
Soden-Salmünster zugewiesen. „Ich
spiele auch ein bisschen Klavier und
ein bisschen Schlagzeug“, erklärt er.
Aber sein Haupt-Instrument ist die
Krar, das man nur im nordöstlichen
Afrika findet. Ein sehr archaisch wir-
kendes, Leier-ähnliches Zupfinstrument mit fünf Saiten, hier in Kastenform mit Holzrahmen. Keine Schönheit wie die arabische Laute Oud mit
ihrem birnenförmigen Korpus und
den fein geschnitzten Rosetten an den
Schallöchern. Oder das afghanische
Lauteninstrument Rabab mit Elfenbeineinlagen oder Perlmutt-Intarsien
verziert. Alle haben ihren ganz spezifischen Klang, eine eigene Spielweise. Gerzigher hat Spaß am Zusammenspiel. „Das funktioniert, auch
mit den Gitarren“, weiß er jetzt. Das
Orchester bedeutet für ihn andere
Menschen und deren Kulturen kennenzulernen. „Ich habe jetzt viele
Freunde. Vorher hatte ich keine. Darüber bin ich glücklich.“ Und er meint
damit nicht nur seine Landsleute, die
er hier traf und mit denen er eine
kleine Krar-Gang gründete. Einer hat
eine E-Krar mit Tonabnehmer. So viel
zum Thema urtümliches Instrument.
„WIR WOLLEN DEN
FLÜCHTLINGEN
EIN GESICHT UND EINE
STIMME GEBEN,
UM DER GESELLSCHAFT
ZU ZEIGEN,
DAS SIND TOLLE
NETTE LEUTE.“
Isabella Kohls
Walid Khatba ist, anders als der
junge Eritreer, Profimusiker. Der
35-Jährige schloss 2008 sein Studium am Higher Institute of Music in
Damaskus ab, war bis 2014 die erste Geige im National Syrian Symphony Orchestra, machte aber auch
schon Pop-Erfahrungen mit den
von Blur-Musiker Damon Albarn
ins Leben gerufenen Gorillaz. „Ich
kam vor einem Jahr mit meiner Frau
Sawsan Eskander und meinen dreieinhalb Jahre alten Zwillingen Yara
und Khaled nach Deutschland.
Meine Frau ist Medizinerin“, erzählt
Khatba. „Wir kamen in einem größeren Schiff von der Türkei aus nach
DOWNTOWN
Gruppenbild mit Damen: Die Initiatorinnen Julia Huk und Isabella Kohls (vorne mit den Klarinetten) in ihrem musikalischen Mikrokosmos
Italien. Das hat eine Woche gedauert.“ Zunächst zogen die Vier weiter
nach Holland. Dort traf er den Dokumentarfilmer Sander Francken.
„Der war sehr an mir und meiner
Musik interessiert, aber die Situation vor Ort war nicht gut für uns“,
erkannte Khatba. Über Francken
kam der Kontakt zu Rainer Michel
und somit zu Frankfurt zustande.
„Rainer gab mir alle erdenkliche
Unterstützung. Das war wundervoll.
Durch ihn lernte ich andere Musiker
kennen, den phantastischen Ali Neander und seine Frau Sabine Fischmann.“ Mit ihnen konnte er auftreten. „Wir leben jetzt in dem hübschen
Ort Kirchheimbolanden, machen
unsere Deutschkurse und die Kids
sind im Kindergarten“, beschreibt
er seinen aktuellen Status und schiebt
ein deutsches „Alles klar!“ hinterher.
Seine Zukunft wünscht er sich so.
Er möchte als Musiker, seine Frau
als Doktorin Geld verdienen. „Das
Bridges Projekt liebe ich. Weil hier
Flüchtlingen geholfen wird indem
sie an schöner Musik nicht, nur mit
Betroffenen aus anderen Ländern
arbeiten können.“
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„ES IST SO
WUNDERVOLL, DIESE
MENSCHEN SPIELEN
UND SINGEN
ZU SEHEN UND WIE
SIE UNS IHRE
MUSIK SCHENKEN.“
Maria Kaplan
Maria Kaplan ist schon mit drei
Jahren nach Deutschland gekommen. Ihre Eltern mussten aus dem
Südosten der Türkei nahe der syrischen Grenze fliehen. Als aramäische Christen sahen sie ihr Leben
bedroht. Die heute 38-Jährige hatte
schon lange Zeit sich einzuleben.
„Seit circa 30 Jahren habe ich den
deutschen Pass und nur den“, betont
sie. „Aber ich merke immer noch,
dass es in mir zwei Welten gibt und
dennoch haben sie irgendwann zueinander gefunden.“ Die Sängerin
bietet Kurse an: Gesangsmeditation,
Kindermeditation, Yoga & Aramäische Gesänge, Mantren singen. Da
ist sie ihrer Kultur sehr nahe und
kann sie mit anderen teilen, die davon profitieren sollen.
Körperlich wie seelisch. Durch eine
befreundete Sängerin ist sie zu Bridges
gekommen. „Ohne Erwartungshaltungen“, wie sie versichert. „Ich dachte ich schau mir das einfach an, ob
es mich anspricht und ob ich dafür
Feuer fangen kann.“ Und das tat sie,
als sie all diese unterschiedlichsten
Menschen gesehen hat, alle mit einem
anderen kulturellen Hintergrund und
doch mit einem gemeinsamen Gedanken: Musik zu machen. Das hat
sie fasziniert. „ Es ist so wundervoll,
diese Menschen spielen und singen
zu sehen. Weil sie im Defizit hierher
kommen, denken sie können uns
nichts geben. Sie sind im Moment
Empfangende, aber wenn ich sie hier
sehe, wie sie anfangen, sich einzubringen, uns ihre Musik schenken,
dann ist das so wunderschön und
wir zeigen ihnen dafür unsere Anerkennung. Sie blühen richtig auf.“
Sich integrieren, dabei die eigene
Identität nicht verleugnen und den
Deutschen die fremde Kultur als
Geschenk anbieten, das kann Kaplan als Rôle Model gerade den Jungen vermitteln. Ein Anfang. Immerhin. Nur Beethovens Botschaft „Alle
Menschen werden Brüder“ auf dem
grellbunten Pop Art-Poster im Abgang von der Aula in der Schillerschule wird wohl bei aller Euphorie
rund um das „Bridges“-Projekt nur
eine schöne Illusion bleiben.
>> www.bridges-musikverbindet.de