Juristische Fakultät Universität Basel DIE REGELUNG DES WEITEREN AUFENTHALTS NACH GESCHEITERTER EHE IM AUSLÄNDERRECHT, INSBESONDERE DER SOGENANNTE NACHEHELICHE HÄRTEFALL Grosse Masterarbeit von Cécile Schmidlin Kirchweg 39 5420 Ehrendingen 079 / 772 17 08 [email protected] 11. Semester Beginn der Arbeit: 1.10.2014 Abgabedatum: 9.3.2015 Verfasst und präsentiert im Rahmen des Seminars „Migrationsrecht“ von Prof. Dr. Stephan Breitenmoser und Prof. Dr. Peter Uebersax im Herbstsemester 2014 II Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis .................................................................................................................................... II Literaturverzeichnis ................................................................................................................................. V Materialienverzeichnis ....................................................................................................................... XVI Rechtsquellenverzeichnis .................................................................................................................. XXII Judikaturverzeichnis .........................................................................................................................XXIV Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................................. XXVIII A. EINLEITUNG ................................................................................................................................1 B. ÜBERBLICK FAMILIENNACHZUG ........................................................................................3 I. Einführung ...................................................................................................................................3 II. Völker- und verfassungsrechtliche Garantien ........................................................................4 1. Völkerrechtliche Garantien ..................................................................................................4 a. Art. 8 EMRK ....................................................................................................................4 i. Anwendungsbereich .....................................................................................................4 ii. Der Schutz des Familienlebens ...................................................................................5 (1) Der Begriff der Familie .........................................................................................5 (2) Die Reneja-Rechtsprechung ..................................................................................5 iii. Der Schutz des Privatlebens.......................................................................................7 iv. Die Interessenabwägung gemäss Art. 8 Abs. 2 EMRK .............................................7 b. Die Rechte des Kindes .....................................................................................................8 2. Verfassungsrechtliche Garantien .........................................................................................9 III. Der Familiennachzug nach FZA ...........................................................................................10 1. Allgemeines .......................................................................................................................10 2. Der Anspruch gemäss Art. 7 lit. d FZA in Verbindung mit Art. 3 Anhang I FZA ............10 3. Das Verhältnis zum AuG ...................................................................................................12 IV. Der Familiennachzug nach Art. 42 bis Art. 52 AuG ...........................................................13 1. Allgemeines .......................................................................................................................13 2. Familiennachzug als Rechtsanspruch ................................................................................13 a. Familienangehörige von Schweizerinnen und Schweizern ...........................................13 i. Nachzug aus einem Drittstaat.....................................................................................14 ii. Nachzug aus der EU/EFTA.......................................................................................16 b. Ehegatten und minderjährige Kinder von Personen mit einer Niederlassungsbewilligung ...................................................................................................17 c. Gemeinsame Bestimmungen .........................................................................................18 3. Familiennachzug im Ermessen der Behörde ......................................................................20 III V. Prozessuales ..............................................................................................................................23 C. DIE AUFLÖSUNG DER FAMILIE ...........................................................................................24 I. Einführung .................................................................................................................................24 II. Die Auflösung gemäss FZA .....................................................................................................24 III. Die Auflösung gemäss AuG ...................................................................................................26 1. Historischer Kontext ..........................................................................................................26 2. Persönlicher und sachlicher Geltungsbereich ....................................................................28 3. Exkurs: Der unbestimmte Rechtsbegriff ............................................................................30 4. Die Folgen einer Auflösung ...............................................................................................31 a. Die Voraussetzungen gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG ................................................31 i. Allgemeines................................................................................................................31 ii. Drei Jahre ..................................................................................................................31 iii. Erfolgreiche Integration ...........................................................................................33 b. Die Voraussetzungen gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG (oder der sogenannte nacheheliche Härtefall) .........................................................................................................34 c. Die wichtigen persönlichen Gründe gemäss Art. 50 Abs. 2 AuG .................................37 i. Allgemeines................................................................................................................37 ii. Eheliche Gewalt ........................................................................................................37 (1) Aktuelle Fakten ...................................................................................................37 (2) Auslegung............................................................................................................40 (3) Herrschende Kritik ..............................................................................................41 (4) Rechtsprechungsübersicht ...................................................................................45 iii. Fehlender freier Ehewille .........................................................................................49 iv. Gefährdung der sozialen Wiedereingliederung im Herkunftsland...........................52 (1) Auslegung............................................................................................................52 (2) Rechtsprechungsübersicht ...................................................................................53 v. Weitere Gründe .........................................................................................................56 (1) Kinder ..................................................................................................................56 (2) Tod des Ehegatten ...............................................................................................59 (3) Gesundheitliche Notlage .....................................................................................60 (4) Rechtsprechungsübersicht ...................................................................................60 d. Frist (Art. 50 Abs. 3 AuG) .............................................................................................63 IV. Die Auflösung gemäss VZAE ................................................................................................64 1. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich..............................................................64 2. Exkurs: Die Gegenüberstellung von Rechtsanspruch und Ermessen ................................64 V. Prozessuales ..............................................................................................................................66 IV D. SCHLUSSWORT .........................................................................................................................67 Appendix I ......................................................................................................................................... XXX V Literaturverzeichnis Zitierweise: Die nachstehenden Werke werden, wenn nichts anderes angegeben ist, mit Nachnamen des Autors sowie mit Seitenzahl oder Randnummer zitiert. ACHERMANN ALBERTO Migration und Völkerrecht, in: ACHERMANN ALBERTO / EPINEY ASTRID / KÄLIN WALTER / NGUYEN MINH SON (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2004/2005, Bern 2005, S. 89-103 (zit. ACHERMANN, Migration und Völkerrecht) DERSELBE Integration und Habitat, die „angemessene Wohnung“ als Voraussetzung für den Familiennachzug, Materialien zur Integrationspolitik, Ausländische Ausländerkommission EKA (Hrsg.), 2004 (zit. ACHERMANN, die angemessene Wohnung) ACHERMANN ALBERTO / Einfluss der völkerrechtlichen Praxis auf das schweizerische CARONI MARTINA Migrationsrecht, in: UEBERSAX PETER / RUDIN BEAT / HUGI YAR THOMAS / GEISER THOMAS (Hrsg.), Ausländerrecht: Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz, von A(syl) bis Z(ivilrecht), 2. Auflage, Basel 2009, S. 189218 BANGERTER SIMON Die Reneja-Praxis des Bundesgerichtes – Zeit für den nächsten Schritt, in: AJP 11/2003, S. 1364-1369 BERTSCHI SUSANNE Berücksichtigung häuslicher Gewalt in der aufenthaltsrechtlichen Praxis, in: FamPra.ch 03/2009, S. 605-611 BREITENMOSER STEPHAN Kommentierungen zu Art. 13 Abs. 1 BV, Schutz der Privatsphäre, in: EHRENZELLER BERNHARD / SCHINDLER BENJAMIN / SCHWEIZER RAINER J. / VALLENDER KLAUS A. (Hrsg.), die Schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Auflage, Zürich/St. Gallen 2014, S. 341-366 (zit. BREITENMOSER, Kommentierungen zu Art. 13 Abs. 1 BV) VI DERSELBE Der Schutz der Privatsphäre gemäss Art. 8 EMRK, Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs, in: VISCHER F. / KLEIN F.-E. / WILDHABER L. (Hrsg.), Schriftenreihe des Instituts für internationales Recht und internationale Beziehungen, Bd. 39, Basel 1986 (zit. BREITENMOSER, Der Schutz der Privatsphäre gemäss Art. 8 EMRK) BREITENMOSER STEPHAN Der Rechtsschutz im Personenfreizügigkeitsabkommen zwischen der / ISLER MICHAEL Schweiz und der EG sowie den EU-Mitgliedstaaten, AJP 09/2002, S. 1003-1021 BRYNER ANGELA Die Frau im Migrationsrecht, in: UEBERSAX PETER / RUDIN BEAT / HUGI YAR THOMAS / GEISER THOMAS (Hrsg.), Ausländerrecht: Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz – von A(syl) bis Z(ivilrecht), 2. Auflage, Basel 2009, S. 1379-1402 (zit. BRYNER, Die Frau im Migrationsrecht) DIESELBE Die Frau im Asyl- und Ausländerrecht, in: UEBERSAX PETER / MÜNCH PETER / GEISER THOMAS / ARNOLD MARTIN (Hrsg.), Ausländerrecht, Ausländerinnen und Ausländer im öffentlichen Recht, Privatrecht, Strafrecht, Steuerrecht und Sozialrecht der Schweiz, Handbücher für die Anwaltspraxis, Bd. VIII, Basel 2002, S. 1055-1071 (zit. BRYNER, Die Frau im Asyl- und Ausländerrecht) BÜCHLER ANDREA Zwangsehen in zivilrechtlicher und internationalprivat-rechtlicher Sicht, Rechtstatsachen – Rechtsvergleich – Rechtsanalyse, in: FamPra.ch 04/2007, S. 725-750 (zit. BÜCHLER, Zwangsehen) DIESELBE Gewalt in Ehe und Partnerschaft, Polizei-, straf- und zivilrechtliche Interventionen am Beispiel des Kantons Basel-Stadt, Basel/Genf/München, 1998 (zit. BÜCHLER, Gewalt in Ehe und Partnerschaft) BÜCHLER ANDREA / Ehe Partnerschaft Kinder, Eine Einführung in das Familienrecht der VETTERLI ROLF Schweiz, 2. Auflage, Basel 2011 VII BUSER DENISE Gender impact und Ausländerrecht, in: UEBERSAX PETER / MÜNCH PETER / GEISER THOMAS / ARNOLD MARTIN (Hrsg.), Ausländerrecht, Ausländerinnen und Ausländer im öffentlichen Recht, Privatrecht, Strafrecht, Steuerrecht und Sozialrecht der Schweiz, Handbücher für die Anwaltspraxis, Bd. VIII, Basel 2002, S. 1073-1088 CARONI MARTINA Der Familiennachzug in der Schweiz – Gratwanderung zwischen Menschenrechten, Gleichberechtigung und restriktiver Zulassungspolitik, in: ACHERMANN ALBERTO / AMARELLE CESLA / CARONI MARTINA / EPINEY ASTRID / KÄLIN WALTER / UEBERSAX PETER (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2012/2013, Bern 2013, S. 3-30 (zit. CARONI, Der Familiennachzug in der Schweiz) DIESELBE Vorbemerkungen Art. 42-52, in: CARONI MARTINA / GÄCHTER THOMAS / THURNHERR DANIELA (Hrsg.), Stämpflis Handkommentar zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer, Bern 2010, S. 355-382 (zit. CARONI, Vorbemerkungen zu Art. 42-52) DIESELBE Kommentierungen zu Art. 42-52, in: CARONI MARTINA / GÄCHTER THOMAS / THURNHERR DANIELA (Hrsg.), Stämpflis Handkommentar zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer, Bern 2010, S. 383-503 (zit. CARONI, Kommentierungen zu Art.) DIESELBE Privat- und Familienleben zwischen Menschenrecht und Migration, Eine Untersuchung zu Bedeutung, Rechtsprechung und Möglichkeiten von Art. 8 EMRK im Ausländerrecht, Berlin 1999 (zit. CARONI, Privat- und Familienleben zwischen Menschenrecht und Migration) CARONI MARTINA / Die Familie im Ausländerrecht, in: SCHWENZER INGEBORG / BÜCHLER BOLZLI PETER ANDREA (Hrsg.), Vierte Schweizer Familienrecht§Tage, Bern 2008, S. 119-126 VIII CARONI MARTINA / Migrationsrecht, dritte Auflage, Bern 2014 GRASDORF-MEYER TOBIAS / OTT LISA / SCHEIBER NICOLE DUBACHER CLAUDIA / Häusliche Gewalt und Migrantinnen, Schweizerische Beobachtungsstelle REUSSER LENA für Asyl- und Ausländerrecht (Hrsg.), Internetpublikation 2011, abrufbar unter: http://beobachtungsstelle.ch/index.php?id=428, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit. DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen) DIESELBEN Familien im Härtefallverfahren, Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (Hrsg.), Internetpublikation 2010, abrufbar unter: http://beobachtungsstelle.ch/index.php?id=428, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit. DUBACHER / REUSSER, Familien im Härtefallverfahren) EGGER THERES / SCHÄR Gewalt in Paarbeziehungen, Ursachen und in der Schweiz getroffene MOSER MARIANNE Massnahmen, Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG (Hrsg.), Bern 2008 EPINEY ASTRID / Zur schweizerischen Rechtsprechung zum Personenfreizügigkeits- CIVITELLA TAMARA abkommen, in: ACHERMANN ALBERTO / CARONI MARTINA / EPINEY ASTRID / KÄLIN WALTER / NGUYEN MINH SON / UEBERSAX PETER (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2007/2008, Bern 2008, S. 227-248 GÄCHTER THOMAS Kommentierungen zu Art. 1, in: CARONI MARTINA / GÄCHTER THOMAS / THURNHERR DANIELA (Hrsg.), Stämpflis Handkommentar zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer, Bern 2010, S. 1-6 GEISER THOMAS / Ausländische Personen als Ehepartner und registrierte Partnerinnen, in: BUSSLINGER MARC UEBERSAX PETER / RUDIN BEAT / HUGI YAR THOMAS / GEISER THOMAS (Hrsg.), Ausländerrecht: Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz – von A(syl) bis Z(ivilrecht), 2. Auflage, Basel 2009, S. 662-722 IX GLOOR DANIELA / MEIER Beurteilung des Schweregrades häuslicher Gewalt, HANNA Sozialwissenschaftlicher Grundlagenbericht, Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG (Hrsg.), Bern 2012 Internetpublikation, abrufbar unter: http://www.ebg.admin.ch/dokumentation/00012/00196/index.html?lang= de, zuletzt besucht am 9.3.2015 GÖKSU TARKAN Wirkungen von Eheschliessung, Trennung und Eheauflösung auf den ausländerrechtlichen Status der Ehegatten und ihrer Kinder (2. Teil), in: FamPra.ch 02/2003, S. 237-259 HÄFELIN ULRICH / Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Auflage, Zürich/St. Gallen 2010 MÜLLER GEORG / UHLMANN FELIX HÄNNI PETER Schweizerisches Europarecht, Sämtliche relevanten Erlasse zum Schweizerischen Europarecht mit Anmerkungen, Zürich 2007 HAUSAMMANN Migrantinnen: Aufenthaltsrecht und häusliche Gewalt, Erteilung und CHRISTINA Verlängerung Rechtslage, von Aufenthaltsbewilligungen, Expertinnenbericht, Kantonale Übersicht über die Fachkommission für Gleichstellungsfragen (Hrsg.), Bern 2004 HUGI YAR THOMAS Von Trennungen, Härtefällen und Delikten – Ausländerrechtliches rund um die Ehe- und Familiengemeinschaft, in: ACHERMANN ALBERTO / AMARELLE CESLA / CARONI MARTINA / EPINEY ASTRID / KÄLIN WALTER / UEBERSAX PETER (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2012/2013, Bern 2013, S. 33-139 KÄLIN WALTER Die Bedeutung der Menschenrechte für das Migrationsrecht, in: ACHERMANN ALBERTO / EPINEY ASTRID / KÄLIN WALTER / NGUYEN MINH SON (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2004/2005, Bern 2005, S. 75-87 X KÄLIN WALTER / EPINEY Völkerrecht, eine Einführung, dritte Auflage, Bern 2010 ASTRID / CARONI MARTINA / KÜNZLI JÖRG KOLLER ALFRED Die Reneja-Praxis des Bundesgerichts, Ein Rechtsprechungsbericht, in ZBl 86/1985, S. 513-522 KURT STEFANIE / SHY Heirat und Migration, Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und CHAU HUEY Ausländerrecht (Hrsg.), Bern 2013 LENZ PETER / ANDREY Rahmencurriculum für die sprachliche Förderung von Migrantinnen und STÉPHANIE / LINDT- Migranten, Bundesamt für Migration (BFM) (Hrsg.), Freiburg 2009 BANGERTER BERNHARD MEIER YVONNE Zwangsheirat, Rechtslage in der Schweiz, in: SCHWENZER INGEBORG / BÜCHLER ANDREA (Hrsg.), Schriftenreihe zum Familienrecht, Bd. 16, Bern 2010 MÜLLER JÖRG PAUL / Grundrechte in der Schweiz, im Rahmen der Bundesverfassung, der SCHEFER MARKUS EMRK und der UNO-Pakte, 4. Auflage, Bern 2008 NEUBAUER ANNA / Studie „Zwangsheiraten“ in der Schweiz: Ursachen, Formen, Ausmass, DAHINDEN JANINE Bundesamt für Migration (BFM) (Hrsg.), Neuenburg 2012 NGUYEN MINH SON Migrations et relation familiales: de la norme à la jurisprudence et vice versa, in: CESLA AMARELLE / CHRISTEN NATHALIE / NGUYEN MINH SON (Hrsg.), Migrations et regroupement familial, S. 109-280 RASELLI NICCOLÒ / Ausländische Personen als Ehepartner und registrierte Partnerinnen, in: HAUSAMMANN UEBERSAX PETER / RUDIN BEAT / HUGI YAR THOMAS / GEISER THOMAS CHRISTINA / MÖCKLI (Hrsg.), Ausländerrecht: Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung URS PETER / URWYLER von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz – von A(syl) bis DAVID Z(ivilrecht), 2. Auflage, Basel 2009, S. 743-816 XI REETZ CAROLA Wer schlägt, bleibt. Zur rechtlichen Situation gewaltbetroffener Migrantinnen, in: Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (Hrsg.), Häusliche Gewalt und Migration, Frauenfragen, 28. Jahrgang, Nr. 1, Juni 2005, S. 29-32 RUMO-JUNGO Kindeswohl, Kindesanhörung und Kindeswille in ausländerrechtlichen ALEXANDRA / SPESCHA Kontexten, in: AJP 09/2009, Zürich/St.Gallen 2009, S. 1103-1115 MARC SCHWANDER MARIANNE Rechtliche Vorbedingungen für ein Bedrohungsmanagement bei Häuslicher Gewalt in der Schweiz, Gutachten, Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG, Fachbereich Häusliche Gewalt FHG (Hrsg.), Bern 2013 (zit. SCHWANDER, Gutachten) DIESELBE Häusliche Gewalt: Situation kantonaler Massnahmen aus rechtlicher Sicht, Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann, Fachstelle gegen Gewalt (Hrsg.), Bern 2006 (zit. SCHWANDER, Situation kantonaler Massnahmen) SPESCHA MARC Zwischen Hoffen grenzüberschreitenden und Bangen: Ehen Spannungsverhältnissen, und in: Familien in RUMO-JUNGO ALEXANDRA / FOUNTOULAKIS CHRISTIANA (Hrsg.), Familien in Zeiten grenzüberschreitender Beziehungen: Familien- und migrationsrechtliche Aspekte: 7. Symposium zum Familienrecht 2013, Zürich 2013, S. 85-114 (zit. SPESCHA, Zwischen Hoffen und Bangen) DERSELBE Verdammt zum Eheglück – Paarleben unter dem Damoklesschwert der Migrationsbehörden, in: BANNWART BETTINA / COTTIER MICHELLE / DURRER CHEYENNE / KÜHLER ANNE / KÜNG ZITA / VOGLER ANNINA (Hrsg.), Keine Zeit für Utopien? Perspektiven der Lebensformenpolitik im Recht, Zürich 2013, S. 299-320 (zit. SPESCHA, Verdammt zum Eheglück) XII DERSELBE Die familienbezogene Rechtsprechung im Migrationsrecht (FZA/AuG/EMRK) ab August 2012 bis Ende Juli 2013, in: FamPra.ch 04/2013, S. 960-998 (zit. SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2012/2013) DERSELBE Kommentierungen zu Art. 42-62 und Art. 96 AuG, in: SPESCHA MARC / THÜR HANSPETER / ZÜND ANDREAS / BOLZLI PETER (Hrsg.), OF- Kommentar Migrationsrecht, Schweizerisches Ausländergesetz (AuG) und Freizügigkeitsabkommen (FZA) mit weiteren Erlassen, 3. Auflage, Zürich 2012, S. 115-175 und 256-258 (zit. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art.) DERSELBE Kommentierungen zum BGG, in: SPESCHA MARC / THÜR HANSPETER / ZÜND ANDREAS Migrationsrecht, / BOLZLI PETER Schweizerisches (Hrsg.), OF-Kommentar Ausländergesetz (AuG) und Freizügigkeitsabkommen (FZA) mit weiteren Erlassen, 3. Auflage, Zürich 2012, S. 334-337 (zit. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, BGG) DERSELBE Kommentar zu den Bestimmungen der BV, EMRK und UNO-KRK, in: SPESCHA MARC / THÜR HANSPETER / ZÜND ANDREAS / BOLZLI PETER (Hrsg.), OF-Kommentar Migrationsrecht, Schweizerisches Ausländergesetz (AuG) und Freizügigkeitsabkommen (FZA) mit weiteren Erlassen, 3. Auflage, Zürich 2012, S. 565-582 (zit. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, BV, EMRK und UNOKRK) DERSELBE Kommentierungen zum FZA, in: SPESCHA MARC / THÜR HANSPETER / ZÜND ANDREAS Migrationsrecht, / BOLZLI Schweizerisches PETER (Hrsg.), OF-Kommentar Ausländergesetz (AuG) und Freizügigkeitsabkommen (FZA) mit weiteren Erlassen, 3. Auflage, Zürich 2012, S. 591-724 (zit. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, FZA, Art.) DERSELBE Kleinlaute Kapitulation vor verfassungsfernem Bundesgericht beseitigt Inländerdiskriminierung publiziert am 04. Dezember 2012, S. 1-4 Gesetzgeber, nicht, in: dRSK, XIII DERSELBE Die familienbezogene Rechtsprechung im Migrationsrecht (FZA/AuG/EMRK) ab August 2011 bis Ende Juli 2012, in: FamPra.ch 04/2012, S. 1052-1072 (zit. SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2011/2012) DERSELBE Das Familienleben als hervorragendes Rechtsgut des Freizügigkeitsrechts – am Beispiel der aktuellen Rechtsprechung zum Familiennachzug im Geltungsbereich des FZA, in: EPINEY ASTRID / METZ BEATE / MOSTERS ROBERT (Hrsg.), das Personenfreizügigkeitsabkommen Schweiz - EU, Auslegung und Anwendung in der Praxis, Zürich/Basel/Genf 2011, S. 141-156 (zit. SPESCHA, Das Familienleben als hervorragendes Rechtsgut) DERSELBE Die familienbezogene Rechtsprechung im Migrationsrecht (FZA/AuG/EMRK) ab September 2010 bis Ende Juli 2011, in: FamPra.ch 04/2011, S. 851-889 (zit. SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2010/2011) DERSELBE Die familienbezogene Rechtsprechung im Migrationsrecht (FZA/AuG/EMRK) ab September 2009 bis Ende August 2010, in: FamPra.ch 04/2010, S. 857-881 (zit. SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2009/2010) DERSELBE Die familienbezogene Rechtsprechung im Migrationsrecht (ANAG/AuG/FZA/EMRK) ab August 2008 bis Ende August 2009, in: FamPra.ch 04/2009, S. 991-1010 (zit. SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2008/2009) DERSELBE Inländerdiskriminierung im Ausländerrecht? Das EuGH-Urteil vom 25. Juli 2008 in der Rechtssache Metock u.a. und seine Folgen für die Schweiz, AJP 13/2008, S. 1432-1440 (zit. SPESCHA, Inländerdiskriminierung) XIV DERSELBE Die familienbezogene Rechtsprechung im Migrationsrecht (ANAG/AuG/FZA/EMRK) in den Jahren 2007 und 2008 (bis Ende Juli) und zugleich ein Blick auf offene Rechtsfragen, in: FamPra.ch 04/2008, S. 843-863 (zit. SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2007/2008) DERSELBE Migrationsabwehr im Fokus der Menschenrechte, 1. Auflage, Zürich/St.Gallen 2007 (zit. SPESCHA, Migrationsabwehr) SPESCHA MARC / Handbuch zum Migrationsrecht, 2. Auflage, Zürich 2015 KERLAND ANTONIA / BOLZLI PETER TRIPPEL HANNA Inländerdiskriminierung im schweizerischen Ausländergesetz, in: AJP 12/2011, S. 1559-1570 TSCHANNEN PIERRE / Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Auflage, Bern 2014 ZIMMERLI ULRICH / MÜLLER MARKUS UEBERSAX PETER Das AuG von 2005: zwischen Erwartungen und Erfahrungen, in: ACHERMANN ALBERTO / AMARELLE CESLA / CARONI MARTINA / EPINEY ASTRID / KÄLIN WALTER / UEBERSAX PETER (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2011/2012, Bern 2012, S. 3-62 (zit. UEBERSAX, Das AuG von 2005) DERSELBE Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, in: BREITENMOSER STEPHAN / EHRENZELLER BERNHARD (Hrsg.), EMRK und die Schweiz, La CEDH et la Suisse, Schriftenreihe des Instituts für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis, Bd. 68, St. Gallen 2010, S. 203242 ff. (zit. UEBERSAX, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz) XV DERSELBE Einreise und Anwesenheit, in: UEBERSAX PETER / RUDIN BEAT / HUGI YAR THOMAS / GEISER THOMAS (Hrsg.), Ausländerrecht: Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz – von A(syl) bis Z(ivilrecht), 2. Auflage, Basel 2009, S. 221-309 (zit. UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit) DERSELBE Der Rechtsmissbrauch im Ausländerrecht, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichts, in: ACHERMANN ALBERTO / CARONI MARTINA / EPINEY ASTRID / KÄLIN WALTER / NGUYEN MINH SON (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2005/2006, Bern 2006, S. 3-29 (zit. UEBERSAX, Der Rechtsmissbrauch im Ausländerrecht) WILDHABER LUZIUS Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens, Art. 8 EMRK, in: PABEL KATHARINA / SCHMAHL STEFANIE, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Köln/Berlin/München 1986 (14. Lfg. 2012), S. 44-162 (zit. WILDHABER, IntKommEMRK, Art. 8 EMRK) WILDHABER LUZIUS / Allgemeines zum Schutzbereich von Art. 8 EMRK, in: PABEL BREITENMOSER STEPHAN KATHARINA / SCHMAHL STEFANIE, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Köln/Berlin/München 1986 (14. Lfg. 2012), S. 9-26 (zit. WILDHABER / BREITENMOSER, IntKommEMRK, Art. 8 EMRK) ZÜND ANDREAS / HUGI Aufenthaltsbeendende Massnahmen im schweizerischen Ausländerrecht, YAR THOMAS insbesondere unter dem Aspekt des Privat- und Familienlebens, EuGRZ, 2013, S. 1-19 XVI Materialienverzeichnis Eidgenössische Materialien Botschaft zum Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten vom 23. Februar 2011, BBl 2011, S. 2185 ff., SR 11.018 (zit. Botschaft Zwangsheirat) Botschaft zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 8. März 2002, BBl 2002, S. 3709 ff., SR 02.024 (zit. Botschaft AuG) Bundesbeschluss betreffend das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 13. Dezember 1996, AS 1998, S. 2053 f. (zit. Bundesbeschluss KRK) Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl 1997 Bd. I, S. 1 ff., SR 96.091 (zit. Botschaft BV) Botschaft betreffend den Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen von 1989 über die Rechte des Kindes vom 29. Juni 1994, BBl 1994, Bd. V, S. 1 ff., SR 94.064 (zit. Botschaft KRK) Eidgenössische amtliche Publikationen Weisungen: Weisungen und Erläuterungen Ausländerbereich (Weisungen AuG) vom Bundesamt für Migration BFM, aktualisiert am 13. Februar 2015, abrufbar unter: http://www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/bfm/rechtsgrundlagen/weisungen/auslaender/weisungenaug-d.pdf, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit. BFM Weisungen AuG) Weisungen und Erläuterungen zur Verordnung über die Einführung des freien Personenverkehrs (Weisungen VEP) vom Bundesamt für Migration BFM vom Januar 2015, abrufbar unter: http://www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/bfm/rechtsgrundlagen/weisungen/fza/weisungen-fzad.pdf, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit. BFM Weisungen VEP) Rundschreiben: Rundschreiben „Eheliche Gewalt“ vom Bundesamt für Migration vom 12. April 2013, abrufbar unter: https://www.bfm.admin.ch/dam/data/bfm/rechtsgrundlagen/weisungen/auslaender/familie/20130413rs-ehegewalt-d.pdf, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit. BFM Rundschreiben Eheliche Gewalt) XVII Rundschreiben „Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen durch Staatsangehörige aus der EU / Übernahme des Urteils Metock des EuGH vom 25. Juli 2008 (C-127/08) durch das BGer“ vom Bundesamt für Migration vom 27. Januar 2010, abrufbar unter: https://www.bfm.admin.ch/dam/data/bfm/rechtsgrundlagen/weisungen/fza/20100127-rsfamiliennachzug-d.pdf, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit. BFM Rundschreiben Übernahme Urteil Metock) Statistiken und Zahlen: Zahlen zu Häuslicher Gewalt in der Schweiz vom Dezember 2014 vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG, abrufbar unter: http://www.ebg.admin.ch/dokumentation/00012/00442/, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit. Zahlen zu Häuslicher Gewalt in der Schweiz) Ausländerstatistik Ende August 2014 vom Bundesamt für Migration BFM, Information und Kommunikation, Statistikdienst, abrufbar unter: https://www.bfm.admin.ch/dam/data/bfm/publiservice/statistik/auslaenderstatistik/2014/auslaenderstat istik-2014-08-d.pdf, zuletzt besucht am 9.3.2015 Ausländerstatistik Ende April 2014 vom Bundesamt für Migration BFM, Information und Kommunikation, Statistikdienst, abrufbar unter: https://www.bfm.admin.ch/dam/data/bfm/publiservice/statistik/auslaenderstatistik/2014/auslaenderstat istik-2014-04-d.pdf, zuletzt besucht am 9.3.2015 Ausländerstatistik Ende August 2013 vom Bundesamt für Migration BFM, Information und Kommunikation, Statistikdienst, abrufbar unter: https://www.bfm.admin.ch/dam/data/bfm/publiservice/statistik/auslaenderstatistik/2013/auslaenderstat istik-2013-08-d.pdf, zuletzt besucht am 9.3.2015 Polizeilich registrierte häusliche Gewalt, Übersichtspublikation von 2012 vom Bundesamt für Statistik (BFS), Neuchâtel 2012, abrufbar unter: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/19/22/publ.html?publicationID=4988, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit. Polizeilich registrierte häusliche Gewalt) Berichte: Zwischenbericht des Bundesrates zum Stand der Umsetzung der in seinem Bericht vom 13. Mai 2009 angekündigten Massnahmen, zuhanden der Rechtskommission des Nationalrates (RK-NR) vom 22. Februar 2012, BBl 2012, S. 2419 (zit. Zwischenbericht Gewalt in Paarbeziehungen) XVIII Gewalt in Paarbeziehungen – Bericht zum Forschungsbedarf, Umsetzung einer Massnahme aus dem Bericht des Bundesrates „Gewalt in Paarbeziehungen – Ursachen und in der Schweiz getroffene Massnahmen“ vom 13. Mai 2009 vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG, Fachbereich Häusliche Gewalt vom Oktober http://www.ebg.admin.ch/dokumentation/00012/00196/index.html?lang=de, 2011, abrufbar zuletzt besucht unter: am 9.3.2015 (zit. Gewalt in Paarbeziehungen - Bericht zum Forschungsbedarf) Bericht des Bundesrates über Gewalt in Paarbeziehungen. Ursachen und in der Schweiz getroffene Massnahmen (in Erfüllung des Postulats Stump 05.3694 vom 7. Oktober 2005) vom 13. Mai 2009, BBl 2009, S. 4087 ff. (zit. Bericht Gewalt in Paarbeziehungen) Schlussbericht der Fachstelle gegen Gewalt, Kampagne des Europarates zur Bekämpfung der Gewalt an Frauen, einschliesslich der häuslichen Gewalt, vom April 2008, abrufbar unter: http://www.ebg.admin.ch, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit. Schlussbericht der Fachstelle gegen Gewalt) Zwischenbericht der Fachstelle gegen Gewalt, Kampagne des Europarates zur Bekämpfung der Gewalt an Frauen, einschliesslich der häuslichen Gewalt, vom Mai 2007, abrufbar unter: http://www.ebg.admin.ch, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit. Zwischenbericht der Fachstelle gegen Gewalt) Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates bezüglich der parlamentarischen Initiativen „Gewalt gegen Frauen als Offizialdelikt“ und „Sexuelle Gewalt in der Ehe als Offizialdelikt“ vom 28. Oktober 2002, BBl 2003, S. 1909 ff. (zit. Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates) Weitere Unterlagen: Häusliche Gewalt im Migrationskontext, Informationsblatt des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG, Fachbereich Häusliche Gewalt vom Oktober 2014, abrufbar unter: http://www.ebg.admin.ch/dokumentation/00012/00442/, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit. Informationsblatt Häusliche Gewalt im Migrationskontext) Häusliche Gewalt in der Schweizer Gesetzgebung, Informationsblatt des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG, Fachbereich Häusliche Gewalt vom April 2013, abrufbar unter: http://www.ebg.admin.ch/dokumentation/00012/00442/, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit. Informationsblatt Häusliche Gewalt in der Schweizer Gesetzgebung) XIX Richtlinien von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe vom April 2005, abrufbar unter: http://skos.ch/uploads/media/2012_RL_deutsch.pdf, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit SKOS-Richtlinien) Parlamentarische Vorstösse Stichwort Inländerdiskriminierung: Parlamentarische Initiative von TSCHÜMPERLIN ANDY bezüglich „Beseitigung und Verhinderung von Inländerdiskriminierung“ vom 19. März 2010, 10.427 (zit. Initiative TSCHÜMPERLIN) Bericht der Staatspolitischen Kommission vom 18. November 2010 zur parlamentarischen Initiative „Beseitigung und Verhinderung von Inländerdiskriminierung“, abrufbar unter: http://www.parlament.ch/sites/kb/2010/Kommissionsbericht_SPK-N_10.427_2010-11-18.pdf, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit. Bericht der Staatspolitischen Kommission zur Initiative TSCHÜMPERLIN) Stichwort eheliche Gewalt: Parlamentarische Initiative von GOLL CHRISTINE bezüglich „Rechte für Migrantinnen“ vom 12. Dezember 1996, 96.461 (zit. Initiative GOLL). Stellungnahme des Bundesrates vom 4. März 1999 zum Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates bezüglich der parlamentarischen Initiative „Rechte für Migrantinnen“ (GOLL) vom 14. April 1999, 96.461, BBl 1999, S. 5033 ff. (zit. Stellungnahme des Bundesrates zur Initiative GOLL) Wortprotokoll des Ständerats zur parlamentarischen Initiative „Rechte für Migrantinnen“ (GOLL), vom 6. Dezember 2001, AB Ständerat (zit. Ständerat, AB 2001) Wortprotokoll des Ständerats zum Ausländergesetz vom 17. März 2005, AB Ständerat (zit. Ständerat, AB 2005) Postulat von STUMP DORIS bezüglich „Ursachen von Gewalt untersuchen und Massnahmen dagegen ergreifen“ vom 7. Oktober 2005, 05.3694 (zit. Postulat STUMP) Motion von BERNASCONI MARIA bezüglich „Zivilstandsunabhängige Aufenthaltsbewilligung“ vom 30. April 2009, 09.3414 (zit. Initiative BERNASCONI) Postulat von GOLL CHRISTINE bezüglich „Aufenthaltsrecht von Opfern ehelicher Gewalt“ vom 16. Juni 2010, 10.3459 (zit. Postulat GOLL) XX Stellungnahme des Bundesrates vom 17. September 2010 zum Postulat von GOLL CHRISTINE bezüglich „Aufenthaltsrecht von Opfern ehelicher Gewalt“ vom 16. Juni 2010, 10.3459 (zit. Stellungnahme des Bundesrates zum Postulat GOLL) Interpellation von GILLI YVONNE bezüglich „Unterzeichnung des Übereinkommens des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ vom 13. März 2013, 13.3074 (zit. Interpellation GILLI) Stichwort Zwangsheirat: Postulat von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates bezüglich „Strafbarkeit von Zwangsheiraten und arrangierten Heiraten“ vom 9. September 2005, 05.3477 (zit. Postulat Strafbarkeit von Zwangsheiraten und arrangierten Heiraten) Motion von der FDP-Liberalen Fraktion vom 7. Dezember 2006, 06.3650 (zit. Motion FDP) Motion von HEBERLEIN TRIX bezüglich „Massnahmen gegen Zwangsheiraten und arrangierte Heiraten“ vom 7. Dezember 2006, 06.3658 (zit. Motion HEBERLEIN) Motion von WEHRLI RETO bezüglich „Zwangsehen“ vom 7. Dezember 2006, 06.3657 (zit. Motion WEHRLI) Motion von HALLER VANNINI URSULA bezüglich „Eheschliessung. Rechte und Pflichten müssen allen bekannt und verständlich sein“ vom 21. März 2007, 07.3116 (zit. Motion HALLER VANNINI) Bericht des Bundesrates vom 14. November 2007 in Erfüllung des Postulats 05.3477 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 9. September 2005, abrufbar unter: https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/gesellschaft/gesetzgebung/archiv/zwangsheirat/ber-brzwangsheiraten-d.pdf, zuletzt besucht am 9.3.2015 (zit. Bericht des Bundesrates vom 14.11.2007) Motion von SEGMÜLLER PIUS bezüglich „Mindestalter für Einwanderung durch Familiennachzug“ vom 12. Juni 2008, 08.3394 (zit. Motion SEGMÜLLER) Motion von TSCHÜMPERLIN ANDY bezüglich „Wirksame Hilfe für die Betroffenen bei Zwangsheirat“ vom 11. Dezember 2009, 09.4229 (zit. Motion TSCHÜMPERLIN) Motion von ANITA FETZ bezüglich „Wirksame Hilfe für die Betroffenen bei Zwangsheirat“ vom 11. Dezember 2009, 09.4342 (zit. Motion FETZ) XXI Kantonale amtliche Publikationen St. Galler Leitfaden betreffend „Häusliche Gewalt im Rahmen der Migrationsproblematik“, Stand 1. Januar 2012, abrufbar unter: http://www.migrationsamt.sg.ch/home/einreise-aufenthaltausreise/_jcr_content/Par/downloadlist/DownloadListPar/download.ocFile/Leitfaden%20Häusliche%2 0Gewalt%20Migration_1201.pdf, zuletzt besucht am 9.3.2015 XXII Rechtsquellenverzeichnis Schweizerische Rechtsquellen ANAG Bundesgesetz vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, AS 49, S. 279 ff., seit 1. Januar 2008 aufgehoben AuG Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer, SR 142.20 BGG Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht, SR 173.110 BV Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999, SR 101 BVO Verordnung vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der Zahl der Ausländer, AS 1986, S. 1791 ff., seit 1. Januar 2008 aufgehoben Massnahmengesetz Bundesgesetz vom 15. Juni 2012 über Massnahmen gegen Zwangsheiraten, SR Zwangsheiraten 142.20 OHG Bundesgesetz vom 23. März 2007 über die Hilfe an Opfer von Straftaten, SR 312.5 StGB Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937, SR 311.0 VGG Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht, SR 173.32 VIntA Verordnung vom 24. Oktober 2007 über die Integration von Ausländerinnen und Ausländern, SR 142.205 VwVG Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren, SR 172.021 VZAE Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit, SR 142.201 ZGB Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907, SR 210 Internationale Rechtsquellen Antidiskriminierungs- Übereinkommen vom 26. April 1997 zur Beseitigung jeder Form von übereinkommen Diskriminierung der Frau, SR 0.108 EFTA- Übereinkommen vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Übereinkommen Freihandelsassoziation (EFTA), SR 0.632.31 EMRK Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, SR 0.101 XXIII FZA Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit, SR 0.142.112.681 Istanbul-Konvention Übereinkommen vom 11. Mai 2011 des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, SEV-Nr. 2010 KRK Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes, SR 0.107 Richtlinie Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 2004/38/EG April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG, ABl. Nr. L 158 vom 30. April 2004, S. 77-123 Richtlinie Richtlinie 75/34/EWG des Rates vom 17. Dezember 1974 über das Recht der 75/34/EWG Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, nach Beendigung der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zu verbleiben, ABl. Nr. L 014 vom 20. Januar 1975, S. 10-13 UNO-Pakt II Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte, SR 0.103.2 UNO-Pakt I Internationaler Pakt vom 18. September 1992 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, SR 0.103.1 Verordnung (EWG) Verordnung (EWG) Nr. 1251/70 der Kommission vom 29. Juni 1970 über das Nr. 1251/70 Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verbleiben, ABl. Nr. L 142 vom 30. Juni 1970, S. 24-26 XXIV Judikaturverzeichnis Schweizerische Rechtsprechung Veröffentlichte Bundesgerichtsentscheide: BGE 139 I 315 BGE 138 I 305 BGE 137 I 284 BGE 137 I 247 BGE 136 I 285 BGE 135 I 153 BGE 135 I 143 BGE 129 I 173 BGE 122 I 267 BGE 120 Ib 257 BGE 120 Ib 22 BGE 120 Ib 6 BGE 120 Ib 1 BGE 119 Ib 91 BGE 119 Ib 81 BGE 118 Ib 153 BGE 118 Ib 145 BGE 115 Ib 1 BGE 110 Ib 201 BGE 109 Ib 183 BGE 139 II 393 BGE 138 II 393 BGE 138 II 229 BGE 137 II 345 BGE 137 II 1 BGE 136 II 120 BGE 136 II 113 BGE 136 II 78 BGE 136 II 65 BGE 136 II 5 BGE 136 II 1 BGE 135 II 377 XXV BGE 135 II 369 BGE 134 II 10 BGE 130 II 281 BGE 130 II 113 BGE 130 II 54 BGE 130 II 1 BGE 129 II 249 BGE 128 II 200 BGE 128 II 145 BGE 127 II 49 BGE 126 II 425 BGE 125 II 633 BGE 124 II 361 BGE 122 II 385 BGE 122 II 289 BGE 121 II 97 BGE 124 III 90 Unveröffentlichte Bundesgerichtsentscheide: Urteil des Bundesgerichtes 2C_985/2014 vom 5. November 2014 Urteil des Bundesgerichtes 2C_773/2013 vom 25. März 2014 Urteil des Bundesgerichtes 2C_177/2013 vom 6. Juni 2013 Urteil des Bundesgerichtes 2C_13/2012 vom 8. Januar 2013 Urteil des Bundesgerichtes 2C_1027/2012 vom 20. Dezember 2012 Urteil des Bundesgerichtes 2C_276/2012 vom 4. Dezember 2012 Urteil des Bundesgerichtes 2C_358/2012 vom 28. November 2012 Urteil des Bundesgerichtes 2C_295/2012 vom 5. September 2012 Urteil des Bundesgerichtes 2C_354/2011 vom 13. Juli 2012 Urteil des Bundesgerichtes 2C_428/2012 vom 18. Mai 2012 Urteil des Bundesgerichtes 2C_749/2011 vom 20. Januar 2012 Urteil des Bundesgerichtes 2C_427/2011 vom 26. Oktober 2011 Urteil des Bundesgerichtes 2C_430/2011 vom 11. Oktober 2011 Urteil des Bundesgerichtes 2C_149/2011 vom 26. September 2011 Urteil des Bundesgerichtes 2C_155/2011 vom 7. Juli 2011 Urteil des Bundesgerichtes 2C_365/2010 vom 22. Juni 2011 Urteil des Bundesgerichtes 2C_830/2010 vom 10. Juni 2011 XXVI Urteil des Bundesgerichtes 2C_690/2010 vom 25. Januar 2011 Urteil des Bundesgerichtes 2C_544/2010 vom 23. Dezember 2010 Urteil des Bundesgerichtes 2C_590/2010 vom 29. November 2010 Urteil des Bundesgerichtes 6B_497/2010 vom 25. Oktober 2010 Urteil des Bundesgerichtes 2C_195/2010 vom 23. Juni 2010 Urteil des Bundesgerichtes 2C_50/2010 vom 17. Juni 2010 Urteil des Bundesgerichtes 2C_660/2009 vom 7. Juni 2010 Urteil des Bundesgerichtes 2C_575/2009 vom 1. Juni 2010 Urteil des Bundesgerichtes 2C_764/2009 vom 31. März 2010 Urteil des Bundesgerichtes 2C_635/2009 vom 26. März 2010 Urteil des Bundesgerichtes 2C_606/2009 vom 17. März 2010 Urteil des Bundesgerichtes 2C_554/2009 vom 12. März 2010 Urteil des Bundesgerichtes 2C_540/2009 vom 26. Februar 2010 Urteil des Bundesgerichtes 2C_358/2009 vom 10. Dezember 2009 Urteil des Bundesgerichtes 2C_388/2009 vom 9. Dezember 2009 Urteil des Bundesgerichtes 2C_416/2009 vom 8. September 2009 Urteil des Bundesgerichtes 2C_216/2009 vom 20. August 2009 Urteil des Bundesgerichtes 2C_679/2008 vom 2. Juni 2009 Urteil des Bundesgerichtes 2C_587/2008 vom 4. Dezember 2008 Urteil des Bundesgerichtes 2C_222/2008 vom 31. Oktober 2008 Urteil des Bundesgerichtes 2C_278/2008 vom 18. Juni 2008 Urteil des Bundesgerichtes 2A.534/2006 vom 19. Oktober 2007 Urteil des Bundesgerichtes 2A.508/2005 vom 16. September 2005 Bundesverwaltungsgericht: Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes C-6240/2008 vom 23. Dezember 2011 Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes C-6133/2008 vom 15. Juli 2011 Kantonale Rechtsinstanzen: Urteil des Rekursgerichtes im Ausländerrecht des Kantons Aargau 1-BE.2010.28 vom 9. Juni 2011 Europäische Rechtsprechung Europäischer Gerichtshof (EuGH): Urteil des EuGH vom 25. Juli 2008, Rs. C-127/2008, Metock, Slg. 2008 I-06241 (zit. Urteil Metock) Urteil des EuGH vom 9. Januar 2007, Rs. C-1/05, Jia, Slg. 2007 I-00001 (zit. Urteil Jia) XXVII Urteil des EuGH vom 23. September 2003, Rs. C-109/01, Akrich, Slg. 2003 I-09607 (zit. Urteil Akrich) Urteil des EuGH vom 17. September 2002, Rs. C-413/99, Baumbast und R, Slg. 2002 I-07091 (zit. Urteil Baumbast und R) Urteil des EuGH vom 13. Februar 1985, Rs. C-267/83, Aissatou Diatta, Slg. 1985 567 (zit. Urteil Diatta) Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR): Urteil des EGMR Udeh gegen Schweiz (Nr. 12020/09) vom 16. April 2013 (zit. Urteil Udeh) Urteil des EGMR Emre gegen Schweiz (No. 2) (Nr. 5056/10) vom 11. Oktober 2011 (zit. Urteil Emre 2) Urteil des EGMR Emre gegen Schweiz (Nr. 42034/04) vom 22. Mai 2008 (zit. Urteil Emre) Urteil des EGMR Üner gegen Niederlande (Nr. 46410/99) vom 18. Oktober 2006 (zit. Urteil Üner) Urteil des EGMR Boultif gegen Schweiz (Nr. 54273/00) vom 2. August 2001 (zit. Urteil Boultif) XXVIII Abkürzungsverzeichnis a.M. anderer Meinung AB Amtliches Bulletin Abs. Absatz Art. Artikel AS Amtliche Sammlung BBl Bundesblatt Bd. Band BFM Bundesamt für Migration BGE Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts [Amtliche Sammlung] BGer Bundesgericht BVGer Bundesverwaltungsgericht bzw. bzw. E. Erwägung ebd. ebenda EBG Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EFTA Europäische Freihandelsassoziation EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof FamPra Die Praxis des Familienrechts gl.M. gleicher Meinung lit. litera m.w.H. mit weiteren Hinweisen m.w.Verw. mit weiteren Verweisen Rn Randnote S. Seite SEM Staatssekretariat für Migration SKOS - Richtlinien der schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe Richtlinien SR Systematische Rechtssammlung vgl. vergleiche 1 A. Einleitung Der Familiennachzug stellt seit Jahren den zweitwichtigsten Grund für die Einwanderung in die Schweiz dar. 1 Ziel dieses Familiennachzuges ist, die (Wieder-)Vereinigung einer Familie zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Personen verschiedener Staatsangehörigkeit ihre Familienangehörigen in die Schweiz nachziehen können. Diesem Gedankengang folgend, drängt sich eine weitere, brisante Fragestellung auf, nämlich welches rechtliche Schicksal diese nachgezogenen Ausländerinnen und Ausländer ereilt, wenn sich ihre Familien- oder genauer gesagt Ehegemeinschaft nach der Einreise in die Schweiz wieder auflöst. Ziel der vorliegenden Arbeit ist also einerseits zu untersuchen, welche völker- und verfassungsrechtlichen Garantien und materiell- und prozessrechtlichen Gesetzesbestimmungen die Zusammenführung der Familie rechtlich umrahmen und damit sicherstellen. Andererseits herauszufinden, ob und unter welchen Voraussetzungen diese einst nachgezogenen Familienangehörigen nach Scheitern der Ehegemeinschaft ein Verbleiberecht in der Schweiz erhalten. Zu Beginn der Arbeit soll der Leser einen Einblick in die Thematik des Familiennachzuges erhalten. Dabei werden in einem ersten Schritt die wichtigsten einschlägigen Völkerrechts- und Verfassungsnormen erläutert, um dann in einem weiteren Schritt auf die rechtliche Erfassung des Familiennachzuges im Abkommen über die Freizügigkeit (FZA) und im Bundesgesetz über Ausländerinnen und Ausländer (AuG) einzugehen. Obwohl diese Ausführungen einen Drittel der Arbeit ausmachen, so geben sie doch nur einen kleinen Teil der umfassenden Theorie und der sich stellenden Probleme zum Familiennachzug wieder. Spezifische Themenausgrenzungen werden daher in den jeweiligen Kapiteln vorgenommen. Dieser erste und einleitende Teil stellt die Grundlage für den zweiten und gleichzeitig den Hauptteil der Arbeit dar, welcher sich mit der Auflösung der Familie auseinandersetzt. Dieser wird in drei Teile gegliedert, in welchen die rechtliche Regelung des weiteren Aufenthalts nach gescheiterter Ehe im Geltungsbereich des FZA, des AuG und der VZAE näher betrachtet wird. Zum besseren Verständnis erfolgen kurze Exkurse ins allgemeine Verwaltungsrecht bezüglich unbestimmter Rechtsbegriffe, Rechtsansprüchen und Ermessensbestimmungen. Dem einleitenden Teil entsprechend schliesst auch der Hauptteil mit einer kurzen Erläuterung prozessrechtlicher Fragen. 1 Ausländerstatistik April und August 2014 und August 2013, S. 4. Zu beachten ist, dass die Ausländerstatistik auf der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung basiert und internationale Funktionäre und deren Familienangehörige, Kurzaufenthalterinnen und Kurzaufenthalter unter 12 Monaten, Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene nicht umfasst. 2 Der Fokus des Hauptteils liegt auf der Regelung von Art. 50 AuG, dessen Ziel es ist, Härtefälle bei Scheitern einer Ehe zu vermeiden. In diesem Zusammenhang wird zuerst die Entstehungsgeschichte der Norm erläutert, bevor die einzelnen Kriterien von Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG und die wichtigen persönlichen Gründe gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 AuG veranschaulicht werden. Schwerpunkt hierbei bilden die Vertiefungen betreffend die wichtigen persönlichen Gründe (oder der sogenannte nacheheliche Härtefall). Die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe von Art. 50 AuG dienen der Einzelfallgerechtigkeit und dazu, Härtefälle zu vermeiden. Sie laufen der Rechtssicherheit – welche gerade für Opfer von Härtefallsituationen so massgeblich wäre – aber diametral entgegen. Wie diese unbestimmten Rechtsbegriffe also ausgelegt werden, hat einen massgeblichen Einfluss auf die Wirksamkeit des beabsichtigten Opferschutzes. In der vorliegenden Arbeit soll versucht werden, genau diese Fragestellung anzugehen; dies unter anderem mithilfe einer aktuellen bundesgerichtlichen Rechtsprechungsübersicht, welche die behördliche Handhabung von Art. 50 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 AuG beleuchtet aber auch kritisch hinterfragt. 3 B. Überblick Familiennachzug I. Einführung Wie noch zu zeigen ist, stehen im Bereich des Familiennachzuges die Interessen einer restriktiven Einwanderungspolitik einerseits 2 und des Schutzes der Familie andererseits – und in diesem Zusammenhang der Förderung grosszügiger Familiennachzugsregelungen – in einem Spannungsverhältnis, überschneiden sich und laufen sich zuwider. Diesen Interessen gilt es gleichermassen gerecht zu werden, was – so viel sei vorwegzunehmen – eine schier unmögliche Aufgabe darstellt.3 Ging man im Geltungsbereich des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG) noch von einem traditionellen Familienbild aus, änderten sich die Ansichten des Gesetzgebers im Verlaufe der Zeit. Heute werden gemäss dem AuG nun auch vermehrt moderne Familienformen bejaht. Dieses Umdenken wurde stark durch die Entwicklungen und die Rechtsprechung in der Europäischen Union (EU) in Bezug auf das FZA vorangetrieben, ja teilweise sogar durch die daraus resultierenden Inländerdiskriminierungen bedingt.4 So erkennen wir ein weiteres Spannungsverhältnis: nämlich dasjenige zwischen dem FZA, welches nach einem ungehinderten Personenverkehr strebt, und dem AuG, welches für Drittstaatsangehörige restriktive Zulassungsvoraussetzungen (beispielsweise die Beschränkung auf qualifizierte Arbeitskräfte oder die Einführung von Kontingenten) bestimmt.5 Gerade im Bereich der Migration aus Drittländern, in welchem das AuG Anwendung findet, wird damit der Familiennachzug umso bedeutender (obwohl das AuG auch im Bereich des Familiennachzuges restriktivere Regelungen vorsieht als das FZA).6 2 Vgl. Art. 3 AuG. CARONI, Vorbemerkungen zu Art. 42-52, Rn 2. 4 Vgl. ebd., Rn 3: Eine Inländerdiskriminierung liegt vor, wenn die Schweiz eigene Staatsangehörige im Vergleich zu Staatsangehörigen der EU-/EFTA-Staaten, für welche das FZA zur Anwendung gelangt, rechtlich schlechter stellt. Vgl. SPESCHA, Inländerdiskriminierung, S. 1437. Auf die Thematik der Inländerdiskriminierung wird jeweils im Fliesstext oder in den Fussnoten mit dem Stichwort „Inländerdiskriminierung“ hingewiesen, jedoch nicht vertieft eingegangen. 5 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 50 und 69, mit dem Hinweis, dass eine restriktive Arbeitsmigration eine stärkere Familienmigration zur Folge hat. 6 Vgl. ebd., S. 29 und 55. 3 4 II. Völker- und verfassungsrechtliche Garantien 1. Völkerrechtliche Garantien Wie schon in der Einleitung dargestellt, ist Migrationsrecht – seinem grenzüberschreitenden Charakter widersprechend – im Wesentlichen nationales Recht. 7 Denn der souveräne Staat entscheidet selbst, wer ein- oder ausreisen und sich somit auf seinem Gebiet aufhalten darf.8 Aus völkerrechtlicher Perspektive handelt es sich beim Migrationsrecht somit um eine domaine réservé.9 Durch die stetige Weiterentwicklung der Menschenrechte wie auch der bilateralen und multilateralen Abkommen (beispielsweise das FZA, die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (KRK)) wird diese Souveränität in Bezug auf das Migrationsrecht immer weiter eingeschränkt. Diese Entwicklung steht in Wechselwirkung zu einer gesteigerten Migration und Mobilität.10 Die immer dichter werdenden zwischenstaatlichen Vereinbarungen im Bereich des Migrationsrechts und die damit zusammenhängende wachsende Bedeutung des Völkerrechts haben somit Auswirkungen auf die nationale Rechtsetzung und -anwendung in diesem Rechtsbereich: So schränken die durch das Völkerrecht garantierten Rechte sowohl den Gesetzgeber beim Legiferieren wie auch die Behörden bei der Ausübung ihres Ermessens ein.11 Im Rahmen dieser Masterarbeit sind insbesondere Art. 8 EMRK, Art. 3, Art. 9, Art. 10, Art. 12 und Art. 16 KRK und Art. 13 BV von Bedeutung. Auf diese soll im Folgenden in den Grundzügen eingegangen werden. Auf weitere im Bereich des Familiennachzuges und der Auflösung der Familie bedeutende völker- und verfassungsrechtliche Garantien wird im Verlauf der Masterarbeit hingewiesen, diese werden vorliegend jedoch nicht vertieft behandelt. a. Art. 8 EMRK i. Anwendungsbereich Art. 8 EMRK hat den Schutz des Privat- und Familienlebens zum Zweck.12 Er gewährt zwar keinen eigentlichen Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung in einem bestimmten Land13, wird aber die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung abgelehnt und dadurch das Privat- oder Familienleben verunmöglicht oder beeinträchtigt, kann daraus eine Verletzung der Garantie von 7 Vgl. ACHERMANN, Migration und Völkerrecht, S. 89 f.; CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 33 f. 8 ACHERMANN, Migration und Völkerrecht, S. 89 f.; KÄLIN, S. 76. 9 Kritisch zur vermeintlichen Macht des souveränen Staates: ACHERMANN, Migration und Völkerrecht, S. 90; CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 33 f. 10 Vgl. ACHERMANN, Migration und Völkerrecht, S. 90. 11 CARONI, Vorbemerkungen zu Art. 42-52, Rn 5; ausführlich zur Wirkung des Vorrangs des Völkerrechts in der Rechtsetzung und in der Rechtsanwendung: KÄLIN / EPINEY / CARONI / KÜNZLI, S. 115 ff.; KÄLIN, S. 77. 12 Die EMRK ist für die Schweiz am 28.11.1974 in Kraft getreten. 13 BFM Weisungen AuG, Rn 6.17.2; UEBERSAX, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, S. 215 f. 5 Art. 8 EMRK resultieren.14 Kann einer Familie hingegen zugemutet werden, ihr Familienleben im Ausland zu führen, so ist der Schutzbereich von Art. 8 EMRK nicht tangiert.15 Art. 8 EMRK hat auf die Bestimmungen des Familiennachzuges des AuG entscheidend eingewirkt und so kommt ihm auch bei deren Auslegung und Anwendung massgebende Bedeutung zu.16 Weiter spielt Art. 8 EMRK insbesondere dann eine Rolle, wenn das AuG keinen Schutz (mehr) bietet: Beispielsweise beim Nachzug von erwachsenen Kindern, beim Nachzug von weiteren Familienangehörigen, die nicht mehr unter den Begriff der Kernfamilie gemäss AuG fallen, oder etwa beim Nachzug von Eltern (sogenannter umgekehrter Familiennachzug).17 ii. Der Schutz des Familienlebens (1) Der Begriff der Familie Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) legt den in Art. 8 EMRK statuierten Familienbegriff weit aus: Darunter subsumiert werden – im Gegensatz zum AuG – nicht nur die sogenannte Kernfamilie (Eltern und ihre minderjährigen Kinder), sondern auch das erweiterte Familienleben.18 Das heisst, zum Beispiel auch Beziehungen von Grosseltern zu ihren Kindern, Nichten/Neffen zu ihren Tanten/Onkeln, von erwachsenen Kindern zu ihren Eltern, zwischen Geschwistern, von einem Elternteil zum Stiefkind oder zwischen einem Konkubinatspaar werden vom Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK erfasst.19 Hierbei setzt der EGMR aber voraus, dass ein tatsächlich gelebtes Familienleben besteht, somit bedarf es stets einer Prüfung im Einzelfall.20 (2) Die Reneja-Rechtsprechung Gemäss Reneja-Rechtsprechung des Bundesgerichtes hingegen21, kann die Garantie von Art. 8 Abs. 1 EMRK nur angerufen werden, wenn „eine tatsächlich gelebte und intakte Beziehung zu nahen Verwandten“22 besteht, welche Inhaber eines gefestigten Anwesenheitsrechts in der Schweiz sind. Ein gefestigtes Anwesenheitsrecht liegt vor, wenn die nachziehende Person über das Schweizer Bürgerrecht, eine Niederlassungsbewilligung oder eine Aufenthaltsbewilligung, auf welche ein 14 Statt vieler: BGE 130 II 281, E. 3.1; vgl. CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 40 und 148; UEBERSAX, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, S. 216. 15 BGE 126 II 425, E. 5c); BFM Weisungen AuG, Rn 6.17.2. 16 CARONI, Vorbemerkungen zu Art. 42-52, Rn 43. 17 CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 44 f. 18 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, BV, EMRK und UNO-KRK, Rn 17; zum dynamischen Verständnis des Familienbegriffes: WILDHABER, IntKommEMRK, Art. 8 EMRK, Rn 340 ff. 19 Ebd.; CARONI, Vorbemerkungen zu Art. 42-52, Rn 45. 20 BFM Weisungen AuG, Rn 6.17.2; CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 41. Für den Nachweis eines tatsächlich gelebten Familienlebens sprechen etwa das Führen einer Haushaltsgemeinschaft, eine wirtschaftliche Abhängigkeit, die Regelmässigkeit von Kontakten oder eine besonders enge Verbundenheit: CARONI, Vorbemerkungen zu Art. 42-52, Rn 45; m.w.H. zur „Effektivität des Familienlebens“: WILDHABER, IntKommEMRK, Art. 8 EMRK, Rn 428 ff. 21 BGE 109 Ib 183 (Prozessentscheid); BGE 110 Ib 201 (Sachentscheid). 22 Statt vieler: BGE 125 II 633, E. 2e). 6 gefestigter Rechtsanspruch besteht, verfügt23: „Wer selber keinen Anspruch auf längere Anwesenheit in der Schweiz hat, vermag einen solchen grundsätzlich auch nicht einem Dritten zu verschaffen, selbst wenn eine gelebte familiäre Beziehung zur Diskussion steht.“24 So vermögen weder (Kurz-)Aufenthaltsbewilligungen, auf welche keinen Rechtsanspruch besteht, noch humanitäre Bewilligungen gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG oder die vorläufige Aufnahme einen entsprechenden Anspruch zu begründen.25 Beziehungen zur erweiterten Familie werden gemäss Bundesgericht nur vom Schutzbereich von Art. 8 EMRK umfasst, wenn sie von besonderer Intensität sind, was regelmässig ein Abhängigkeitsverhältnis voraussetzt.26 Diese Auffassung weicht von der Praxis des EGMR ab und lässt wiederum neue Familienformen unbeachtet und schutzlos.27 Wie bereits ausgeführt, statuiert Art. 8 EMRK keinen absoluten Anspruch auf Familiennachzug. So fällt etwa ein Familiennachzug, der zu einem anderen Zweck als der Familienvereinigung erfolgt, beispielsweise für bessere Jobaussichten für die Familienangehörigen, nicht in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK.28 Ein Zusammenleben wie es der Familiennachzug gemäss AuG fordert, wird gemäss Art. 8 EMRK nicht explizit vorausgesetzt. In einigen Fällen reicht auch ein regelmässig ausgeübtes Besuchsrecht, um sich auf Art. 8 EMRK berufen zu können.29 Dies aber nur, wenn die Wahrnehmung des Besuchsrechts vom Ausland her nicht möglich oder unzumutbar ist. Der Nachzug von Eltern durch ihre Kinder (sogenannter umgekehrter Familiennachzug) wird ebenfalls von Art. 8 EMRK umfasst. Im Geltungsbereich des AuG findet sich keine solche explizite Regelung, jedoch können sich Betroffene im Fall eines umgekehrten Familiennachzuges neben Art. 23 BGE 109 Ib 183, E. 2a); BFM Weisungen AuG, Rn 6.17.2; kritisch zu dieser restriktiven Rechtsprechung: CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 46 f. sowie SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, BV, EMRK und UNO-KRK, Rn 14a; m.w.H. UEBERSAX, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, S. 225 f. Zur Frage, ob auch ein faktisches Aufenthaltsrecht ausreichend ist, um einen aufenthaltsrechtlichen Anspruch zu begründen: BGE 126 II 335, E. 2 (faktisches Aufenthaltsrecht abgelehnt) und m.w.H. BGE 130 II 281, E. 3.2 und 3.3 (faktisches Aufenthaltsrecht bejaht). 24 BGE 119 Ib 91, E. 1c); vgl. BANGERTER, S. 1365 ff., welcher die Reneja-Praxis des Bundesgerichtes stark kritisiert und als nicht mit der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK vereinbar erklärt; KOLLER, S. 516. 25 Kritisch dazu CARONI, Vorbemerkungen zu Art. 42-52, Rn 57 ff.; UEBERSAX, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, S. 225. 26 BGE 115 Ib 1, E. 2c) und d) (Abhängigkeitsverhältnis bejaht bei gehörloser Tochter); BGE 120 Ib 257, E. 1e) und f) (Abhängigkeitsverhältnis verneint). Kritisch zu den erhöhten Anforderungen an die erweiterte Familie: UEBERSAX PETER, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, S. 219 f., insbesondere Bezug nehmend auf moderne Familienformen, wie beispielsweise die Patchworkfamilien, welche nicht unter den Begriff der Kernfamilie subsumiert werden. 27 M.w.H. UEBERSAX, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, S. 220. 28 BGE 119 Ib 81, E. 4a); BFM Weisungen AuG, Rn 6.17.3. 29 BGE 120 Ib 1, E. 1d); BFM Weisungen AuG, Rn 6.17.2. 7 8 EMRK auch auf einen nachehelichen Härtefall gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG berufen.30 Diese Thematik wird daher erst unter C.III.4.c.v.1 vertieft behandelt.31 iii. Der Schutz des Privatlebens Neben dem Familienleben ist auch das Privatleben vom Schutzbereich von Art. 8 EMRK erfasst. Was genau unter den Rechtsbegriff des Privatlebens fällt und wie weit dieser reicht, ist weitgehend unklar.32 So entfaltet das Recht auf Achtung des Privatlebens diverse Schutzwirkungen, wie etwa den Schutz der körperlichen Selbstbestimmung, den Persönlichkeitsschutz (beispielsweise die Ehre, das Ansehen und den Namen), der Schutz der Privatsphäre und – vorliegend vor allem von Bedeutung – den Schutz sämtlicher sozialer Kontakte.33 Eine ausländerrechtliche Massnahme kann etwa zu einer Beeinträchtigung des Privatlebens führen, wenn eine Person die Schweiz verlassen muss, obwohl sie schon viele Jahre hier gelebt hat und über besonders intensive soziale Kontakte verfügt.34 Das Recht auf Achtung des Privatlebens hat gegenüber dem Recht auf Achtung des Familienlebens, dessen Schutzbereich enger ausgestaltet ist, eine Auffangfunktion inne.35 iv. Die Interessenabwägung gemäss Art. 8 Abs. 2 EMRK Art. 8 EMRK gilt nicht absolut und eine Behörde kann unter der Voraussetzung des Bestehens einer gesetzlichen Grundlage und der Verhältnismässigkeit in das Recht eingreifen (Art. 8 Abs. 2 EMRK).36 Im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK findet somit eine Güterabwägung zwischen dem privaten Interesse auf Familien- oder Privatleben und dem öffentlichen Interesse auf Sicherheit und Ordnung statt.37 Auch das Interesse an einer restriktiven Einwanderungspolitik stellt ein legitimes öffentliches Interesse dar: Sie hat zum Ziel, das Verhältnis von inländischer und ausländischer Bevölkerung im Gleichgewicht zu halten und so etwa die Voraussetzungen für die berufliche und kulturelle Integration der in der Schweiz lebenden ausländischen Bevölkerung zu gewährleisten und verbessern.38 Bei der Abwägung der genannten Interessen müssen die von der Rechtsprechung 30 CARONI, Der Familiennachzug in der Schweiz, S. 26 f.; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 8a f.; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, BV, EMRK und UNO-KRK, Rn 19a; vgl. SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 237. 31 Auch im Geltungsbereich des FZA ist ein umgekehrter Familiennachzug möglich, siehe B.III.2. 32 M.w.H. WILDHABER, IntKommEMRK, Art. 8 EMRK, Rn 96. 33 Vgl. CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 41. 34 Ebd., S. 41 ff.; CARONI, Vorbemerkungen zu Art. 42-52, Rn 47 ff. Zu den bundesgerichtlichen Anforderungen an einen solchen Anspruch siehe BGE 130 II 281, E. 3.2. 35 BREITENMOSER, Der Schutz der Privatsphäre gemäss Art. 8 EMRK, S. 106; vgl. zur Auffangfunktion: WILDHABER, IntKommEMRK, Art. 8 EMRK, Rn 102 ff. Der kombinierte Schutzbereich des Familien- und Privatlebens, welcher etwa angerufen werden kann, wenn Secondos aus- oder weggewiesen werden, wird vorliegend nicht erläutert. Siehe dazu inbesondere CARONI, Vorbemerkungen zu Art. 42-52, Rn 47 ff. 36 BGE 130 II 281, E. 3.1; vgl. CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 40; ausführlich zur Rechtsgüterabwägung und zur Einheit von Art. 8 Abs. 1 und 2: WILDHABER / BREITENMOSER, IntKommEMRK, Art. 8 EMRK, Rn 4 ff. 37 BGE 120 Ib 6, das Bundesgericht hat im Fall eines Ausländers, der zu einer Freiheitsstrafe von über fünf Jahren verurteilt wurde, das öffentliche Interesse stärker gewichtet als das private Interesse. In casu ist ihm und seiner schweizerischen Ehefrau – welche er erst im Strafvollzug kennengelernt und geheiratet hat – zuzumuten, in Argentinien zu leben. 38 BFM Weisungen AuG, Rn 6.17.4.1. 8 entwickelten Boultif-Kriterien berücksichtigt werden. 39 Daraus kann geschlossen werden, dass immer eine umfassende Prüfung im konkreten Einzelfall zu erfolgen hat.40 Kommt die Behörde bei der Interessenabwägung zum Resultat, dass ein Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK unverhältnismässig ist, so darf die betroffene Person nicht zur Ausreise verpflichtet werden und sie ist zur Anwesenheit in der Schweiz berechtigt.41 Sie hat hingegen keinen Anspruch auf eine bestimmte Art von Bewilligung.42 b. Die Rechte des Kindes Die am 26.3.1997 in der Schweiz in Kraft getretene KRK hat zum Zweck, die Kinder zu schützen und zu unterstützen und so zu ihrer Persönlichkeitsentfaltung bestmöglich beizutragen.43 Dabei weist die KRK insbesondere auf die besondere Schutzbedürftigkeit der Kinder hin.44 Art. 3 Abs. 1 KRK – welcher zugleich den Leitgedanken der KRK darstellt – statuiert, dass das Kindeswohl bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, vorrangig zu berücksichtigen ist. Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 KRK verankern sodann den Schutz des Kindes vor einer Trennung von seinen Eltern und das Recht auf regelmässige persönliche Kontakte. Art. 10 KRK statuiert zudem, dass Anträge auf Ein- oder Ausreise aus einem Vertragsstaat zwecks Familienvereinigung „wohlwollend, human und beschleunigt“ zu bearbeiten sind. Diesbezüglich brachte die Schweiz dann auch einen Vorbehalt bezüglich Art. 10 KRK an.45 Weiter von Bedeutung ist Art. 12 KRK, welcher dem Kind ein Recht auf Anhörung gibt. Das bedeutet, die Meinung des Kindes ist in sämtlichen, das Kind betreffenden 39 M.w.H. zu den Boultif-Kriterien CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 42; UEBERSAX, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, S. 216 f. In der Rn 48 des Urteils Boultif werden folgende Kriterien aufgeführt: Die Art und Schwere der begangenen Straftat, die Aufenthaltsdauer in der Schweiz, die seit Begehung der Straftat verstrichene Zeitspanne und das Verhalten des Auszuweisenden in dieser Zeit, die Staatsangehörigkeiten der betroffenen Personen, die Familiensituation des Auszuweisenden, die Dauer der vorliegenden Ehe sowie auch allfällige Kenntnis des Ehegatten von der Straftat bei Aufnahme der familiären Beziehung, die Existenz und das Alter allfälliger Kinder. Weiter berücksichtigt werden Schwierigkeiten des Ehegatten bei einer Rückkehr in das Heimatland des Auszuweisenden (Frage der Zumutbarkeit); in Rn 58 des Urteils Üner konkretisierte der EGMR zwei dieser Kriterien: Das Kindeswohl und die Schwierigkeiten der Kinder bei der Rückkehr in das Heimatland des Auszuweisenden sowie die Intensität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen im Aufenthaltsstaat und im Heimatland. Des Weiteren schloss er in Rn 59, dass eine Ausweisung auch in den Schutz des Privatlebens eingreifen kann und somit eine Interessenabwägung auch dann vorgenommen werden muss, wenn der Schutz des Familienlebens nicht tangiert ist. 40 Vgl. UEBERSAX, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, S. 218 f. 41 Ebd., S. 217 f. Die Schweiz wurde unter anderem in den Urteilen Emre und Emre 2 gerügt, da sie die privaten Interessen des betroffenen Ausländers im Verhältnis zu den öffentlichen Interessen zu wenig stark gewichtet hat. In Anbetracht der Rügen des EGMR sollte eine Anpassung der Gewichtung bei den Interessenabwägungen gemäss Art. 8 Abs. 2 EMRK stattfinden: SPESCHA, OF-Kommentar, BV, EMRK und UNO-KRK, Rn 24a f. Vgl. auch die kritische Würdigung der schweizerischen Rechtsprechung von SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2007/2008, S. 858 ff. 42 BGE 122 II 385, E. 1b; m.w.H. UEBERSAX, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, S. 232 f. 43 Zur Umsetzung und Relevanz der KRK siehe RUMO-JUNGO / SPESCHA, S. 1115. 44 Vgl. die Präambel der KRK. 45 Bundesbeschluss KRK, S. 2053 f., vorbehalten bleiben gemäss diesem Ausländerinnen und Ausländer, welchen durch die schweizerische Gesetzgebung keinen Familiennachzug gewährt wird. M.w.H. RUMOJUNGO / SPESCHA, S. 1104 f.; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, BV, EMRK und UNO-KRK, Rn 6 und 12, welcher diesen Vorbehalt nunmehr als unbegründet erachtet, da seit Einführung des AuG auch für Kurzaufenthalter der Kindernachzug vorgesehen ist. 9 Verfahren in angemessener Weise und seinem Alter entsprechend zu würdigen.46 Nennenswert ist des Weiteren Art. 16 KRK, welcher das Kind insbesondere vor willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in das Privat- und Familienleben schützt.47 Allgemein ist festzuhalten, dass die Normen der KRK keinen direkt durchsetzbaren Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung statuieren, sie sind jedoch im Rahmen einer Interessenabwägung gemäss Art. 8 Abs. 2 EMRK zu beachten.48 2. Verfassungsrechtliche Garantien Die in unserer Bundesverfassung (BV) garantierten Grundrechte kommen im Allgemeinen allen Menschen zu und zwar unabhängig von ihrer Nationalität oder ihrem Aufenthaltsstatus in der Schweiz.49 Vorliegend von Bedeutung ist vor allem Art. 13 BV, welcher das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens schützt. Für weitere Ausführungen bezüglich des Schutzbereiches von Art. 13 BV kann indessen auf die Ausführungen zu Art. 8 EMRK (siehe B.II.1.a) verwiesen werden, da die Garantien von Art. 8 EMRK und Art. 13 BV deckungsgleich sind.50 46 M.w.H. RUMO-JUNGO / SPESCHA, S. 1106 ff., sie kritisieren insbesondere die restriktive Ansicht des Bundesgerichtes, dass Kinder nicht zwingend persönlich, sondern lediglich in angemessener Art und Weise anzuhören sind: Vgl. dazu BGE 124 II 361, E. 3 c). 47 Der Schutzbereich stimmt weitgehend mit demjenigen von Art. 8 EMRK überein. 48 BFM Weisungen AuG, Rn 6.17.4.4; Botschaft KRK, S. 33. 49 CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 74. 50 Botschaft BV, S. 152; m.w.H. BREITENMOSER, Kommentierungen zu Art. 13 Abs. 1 BV, S. 345; MÜLLER / SCHEFER, S. 218; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, BV, EMRK und UNO-KRK, Rn 12. 10 III. Der Familiennachzug nach FZA 1. Allgemeines Das FZA ist eines der sieben sektoriellen Abkommen, welche am 21.6.1999 von der Schweiz, der EU und deren Mitgliedstaaten ratifiziert wurden und am 1.6.2002 in Kraft traten.51 Mit Inkrafttreten wurde das FZA Bestandteil des Schweizerischen Rechts.52 Bezugnehmend auf rechtliche Fragen ist sodann immer zwischen den Regelungen für EU-Bürgerinnen und Bürger und Drittstaatsangehörigen zu unterscheiden. Diese Unterscheidung folgt aus dem dualen System und kommt auch bei der Regelung des Familiennachzuges zum Tragen.53 Eine Anwendung des FZA kommt zudem nur in grenzüberschreitenden Sachverhalten in Frage, in Konstellationen also, in denen eine betroffene Person Gebrauch von ihrem Freizügigkeitsrecht macht.54 Die Rechte und Pflichten des FZA gelten somit gegenseitig für EU-Bürgerinnen und Bürger auf Schweizerischem Territorium sowie Schweizerinnen und Schweizer, welche sich in einem Mitgliedstaat der EU befinden (oder nach einem Aufenthalt in einem solchen in die Schweiz zurückkehren). 55 In allgemeiner Weise verankert Art. 2 FZA zudem ein Nichtdiskriminierungsgebot, welches sich im Verlauf der Zeit zu einem eigentlichen Gebot der Inländergleichbehandlung entwickelt hat.56 Die nachstehenden Ausführungen zum FZA gelten mutis mutandis auch für das EFTA-Übereinkommen.57 2. Der Anspruch gemäss Art. 7 lit. d FZA in Verbindung mit Art. 3 Anhang I FZA Kommt Personen aufgrund des FZA ein Aufenthaltsrecht in einem Vertragsstaat des FZA zu58, so erwerben auch deren Familienangehörige ein abgeleitetes Recht zum Aufenthalt.59 Art. 3 Abs. 2 Anhang I FZA statuiert dabei, wer als Familienangehöriger und damit nachzugsberechtigt gilt: - Ehegatten und Verwandte in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt** gewährt wird (lit. a)* - Eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten in aufsteigender Linie, denen Unterhalt** gewährt wird (lit. b) und 51 CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 192; SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 77. M.w.H. BREITENMOSER / ISLER, S. 1006 f. Damit wurde der acquis communautaire mit Stand vom 21.6.1999 übernommen (Datum der Unterzeichnung), dazu CARONI, Vorbemerkungen zu Art. 42-52, Rn 15 ff. 53 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 77 ff. und S. 211. 54 Das Bundesgericht spricht diesbezüglich von der Voraussetzung eines Auslandbezuges: BGE 129 II 249, E. 4.2. M.w.H. BFM Weisungen AuG, Rn 6.2.3; vgl. BFM Weisungen VEP, S. 117; CARONI / GRASDORFMEYER / OTT / SCHEIBER, S. 198; HÄNNI, S. 351. 55 CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 195. 56 Ebd., S. 204; SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 78. 57 Gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des FZA trat auch der Anhang K zum EFTA-Übereinkommen in Kraft. Art. 7 lit. d Anhang K regelt den Familiennachzug und wird ergänzt durch Art. 3 Anlage I zu Anhang K. Letzterer ist gleichlautend mit den Regelungen zum Familiennachzug im FZA. 58 Zur Thematik von Doppelbürgerinnen und Doppelbürgern vgl. BGE 135 II 369, E. 2. 59 CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 217. 52 11 - im Fall von Studierenden der Ehegatte und unterhaltsberechtigte** Kinder (lit. c) - die Aufnahme aller nicht unter die Litera a bis c fallenden Familienangehörigen, denen Unterhalt** gewährt wird oder mit denen der Staatsangehörige im Herkunftsland in einer häuslichen Gemeinschaft lebt, wird begünstigt*** (Abs. 2). * Nicht nur gemeinsame Kinder sind nachzugsberechtigt, sondern auch Stiefkinder des Nachziehenden können unter gewissen Voraussetzungen einen Anspruch aus Art. 3 Anhang I FZA ableiten.60 ** Das Kriterium der Unterhaltsbeiträge gilt einerseits als erfüllt, wenn tatsächlich Unterhaltszahlungen fliessen (auch wenn keine zivilrechtliche Verpflichtung zur Zahlung von Unterhaltszahlungen vorliegt).61 Andererseits wenn eine Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt besteht (auch wenn diese niemals tatsächlich erfüllt wurde).62 *** Im Vergleich zu den Nachzugsansprüchen gemäss lit. a bis c, haben die weiteren Familienangehörigen – worunter etwa Konkubinatspartner, nicht eingetragene gleichgeschlechtliche Partner oder beispielsweise Seitenverwandte wie Brüder, Tanten oder Neffen, fallen63 – gemäss Abs. 2 keinen Anspruch auf eine Anwesenheitsbewilligung. Erfüllen die betroffenen Familienangehörigen jedoch die Bedingungen von Abs. 2, so darf ihnen der Nachzug nur bei Vorliegen gewichtiger Gründe verweigert werden.64 Es ist festzuhalten, dass der Kreis der Nachzugsberechtigten gemäss FZA weiter gefasst ist als derjenige gemäss AuG.65 Gleichgeschlechtliche Paare in eingetragener Partnerschaft werden im Vergleich zu Art. 52 AuG im FZA nicht erwähnt und müssen nicht explizit gleichbehandelt werden. 66 Eine Gleichbehandlung mit Ehepaaren ergibt sich jedoch aus dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbot (Art. 8 BV).67 Art. 3 Abs. 2 Anhang I FZA setzt zudem fest, dass Staatsangehörigkeit 60 den betreffenden zukommt. 68 Die Familienangehörigen einzige das Voraussetzung Recht für den ungeachtet ihrer Nachzug von Im Gemeinschaftsrecht wurde der Nachzug von Stiefkindern explizit verankert: Richtlinie 2004/38/EG, Art. 2 Ziff. 2 lit. c. Vgl. EuGH Baumbast und R, Rn 57; BGE 136 II 65, E. 4, autonomer Nachvollzug; CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 218; m.w.H. SPESCHA, Das Familienleben als hervorragendes Rechtsgut des Freizügigkeitsrechts, S. 152; SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 215. 61 Vgl. BFM Weisungen VEP, S. 116; CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 217; SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 214 f. 62 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 214 f. 63 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, FZA, Art. 3 Anhang 1, Rn 15. 64 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 216. 65 BFM Weisungen VEP, S. 109; mit Ausnahme von Art 42 Abs. 2 AuG, welcher weitgehend gleich lautet: SPESCHA, OF- Kommentar, FZA, Art. 3 Rn 9; Stichwort Inländerdiskriminierung. 66 Die Richtlinie 2004/38, welche in Art. 2 lit. b Lebenspartner in eingetragener Partnerschaft Ehepaaren gleichstellt, gehört für die Schweiz nicht zum acquis communautaire. Für die Schweiz gilt daher immer noch die ältere Richtlinie 64/221/EWG, welche keine entsprechende Regelung enthält. 67 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 215 f. 68 CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 219: Seit Praxisänderung der Rechtsprechung (Urteil Metock) ist nicht mehr erforderlich, dass Drittstaatsangehörige sich bereits rechtmässig in einem 12 Familienangehörigen ist, dass der Arbeitnehmer über eine angemessene Wohnung69 verfügen muss (Art. 3 Abs. 1 Anhang I FZA).70 Des Weiteren dürfen die Behörden gemäss Art. 3 Abs. 3 Anhang I FZA verlangen, dass die Familienangehörigen sich ausweisen und das Verwandtschaftsverhältnis nachweisen. Entgegen der zu engen Formulierung von Art. 3 Anhang I FZA ist es keine Voraussetzung, dass die Familienangehörigen zusammenleben 71 – selbstverständlich immer unter dem Vorbehalt des Rechtsmissbrauchs72 – und es ist grundsätzlich auch kein Nachweis über genügende finanzielle Mittel zu erbringen.73 Das heisst, dass die Behörde die Bewilligungserteilung nicht von zusätzlichen Anforderungen abhängig machen darf.74 Sind die Voraussetzungen erfüllt, so entsteht ein Aufenthaltsrecht. 75 Die Freizügigkeitsrechte dürfen nur aus den in Art. 5 Anhang I FZA genannten Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit eingeschränkt werden. Das abgeleitete Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen hat sodann die gleiche Gültigkeit wie dasjenige der nachzugsberechtigten Person (Art. 3 Abs. 4 Anhang I FZA) und die Nachzugsrechte sind an keine Nachzugsfristen geknüpft.76 Gemäss Art. 7 lit. e FZA in Verbindung mit Art. 3 Abs. 5 Anhang I FZA haben die Nachgezogenen zudem ohne Weiteres ein Recht auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Für prozessuale Rechtsfragen siehe die Ausführungen unter B.V. 3. Das Verhältnis zum AuG Art. 2 Abs. 2 AuG statuiert, dass das AuG nur zur Anwendung kommt, wenn das FZA keine abweichenden Bestimmungen oder aber das AuG günstigere Bestimmungen enthält.77 So bestimmt dann auch Art. 12 FZA, dass das Abkommen günstigeren innerstaatlichen Bestimmungen nicht entgegensteht. Diese Bestimmung nimmt dabei nicht nur Bezug auf das AuG, sondern vielmehr auf das ganze nationale Recht, wozu auch das Völkerrecht gehört.78 Mitgliedstaat der EU/EFTA aufhalten, um nachgezogen werden zu können. Weitere Ausführungen dazu und zur Inländerdiskriminierung unter B.IV.2.a.ii. 69 M.w.H. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, FZA, Art. 3 Anhang 1, Rn 6: Eine Wohnung muss den ortsüblichen Verhältnissen genügen; diese Bestimmung darf jedoch nicht zu einer Diskriminierung von EU/EFTA-Angehörigen führen. 70 BFM Weisungen VEP, S. 110; CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 218. 71 Urteil Diatta, Rn 18-20. 72 Statt vieler m.w.Verw. BGE 139 II 393, E. 2.1. In BGE 130 II 113, E. 9.5 erklärte das Bundesgericht, dass die im Rahmen des ANAG statuierten Rechtsmissbrauchsgrundsätze für das FZA mutatis mutandis anwendbar seien; es ist in diesem Zusammenhang darum auf die Ausführungen unter B.IV.2.c zu verweisen. Die Thematik des Rechtsmissbrauches in Bezug auf die Auflösung der Familie wird unter C.II. vertieft behandelt. 73 CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 218 f.; SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 212 f. 74 Ebd. 75 CARONI, Vorbemerkungen zu Art. 42-52, Rn 35. 76 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, FZA, Art. 3 Anhang 1, Rn 10; Stichwort Inländerdiskriminierung. 77 Vgl. beispielsweise die Norm Art. 43 Abs. 3 AuG, welche bestimmt, dass Kinder unter zwölf Jahren Anspruch auf eine sofortige Erteilung der Niederlassungsbewilligung haben. 78 CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 200. 13 IV. Der Familiennachzug nach Art. 42 bis Art. 52 AuG 1. Allgemeines Die Gesetzgebung über die Ein- und Ausreise, den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländerinnen und Ausländer liegt in der Kompetenz des Bundes (Art. 121 Abs. 1 BV). Gestützt auf diese Bestimmung hat der Gesetzgeber das AuG erlassen und gestützt auf Letzteres wiederum hat der Bundesrat die Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE) erlassen. 79 Der Vollzug dieser bundesrechtlichen Bestimmungen obliegt im Wesentlichen den Kantonen.80 Wollen Schweizerinnen und Schweizer oder in der Schweiz aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige ihre Familien in die Schweiz nachziehen, so finden nicht immer die gleichen Normen Anwendung. Denn die Bewilligungsart, über welche die Nachziehenden verfügen, entscheidet über die Bedingungen eines Nachzuges. Weiter abhängig von dieser Bewilligungsart ist auch die Frage, ob die Nachziehenden einen Anspruch auf Familiennachzug haben oder aber die Erteilung der Nachzugsbewilligung im Ermessen der zuständigen Behörden liegt.81 In einem ersten Schritt ist somit zwischen einem Familiennachzug, auf dessen Erteilung ein Rechtsanspruch besteht, und einem Familiennachzug, dessen Genehmigung im Ermessen der Behörden liegt, zu unterscheiden. 82 Diese zwei Gruppen werden im Folgenden gemäss den verschiedenen geltenden Bedingungen noch weiter unterteilt. Für gleichgeschlechtliche Paare in eingetragener Partnerschaft finden die nachstehenden Ausführungen gemäss Art. 52 AuG ebenfalls Anwendung. Nachstehend nicht behandelt wird der Familiennachzug von ausländischen Pflegekindern zur Adoption gemäss Art. 48 AuG. Auf die Thematik des Stiefkindernachzugs wird – wie schon unter B.III.2 – lediglich hingewiesen, aber nicht vertieft eingegangen. Auch der Gegenstand des Aufenthalts zwecks Vorbereitung einer Eheschliessung wird vorliegend ausgeklammert.83 2. Familiennachzug als Rechtsanspruch a. Familienangehörige von Schweizerinnen und Schweizern Noch unter Geltung des alten Rechts, Art. 7 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG), hatten lediglich Ehegatten Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung sowie nach fünf Jahren auf eine Niederlassungsbewilligung. Nicht vorausgesetzt wurde, dass die Ehegatten zusammenwohnen. Da ausländische Kinder von Schweizerinnen und Schweizern von dieser Regelung nicht umfasst wurden, wurde gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung Art. 17 79 Inkrafttreten beider am 1.1.2008. Zum Ganzen GÄCHTER, Rn 2 ff. Zur Koordination erlässt das SEM Weisungen: Sie haben zum Zweck, die Normanwendung abzustimmen und zu vereinheitlichen und die Ermessensausübung der Behörden zu leiten. 81 CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 132 ff. 82 Vgl. ebd., S. 132 ff. 83 Ausführlich dazu SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 240 f. 80 14 Abs. 2 ANAG, welcher den Kindernachzug von in der Schweiz Niederlassungsberechtigter regelte, sinngemäss angewendet.84 Danach wurde Kindern unter 18 Jahren die Niederlassungsbewilligung erteilt. Weitere Familienangehörige konnten nur gemäss Art. 8 EMRK nachgezogen werden.85 Gemäss Art. 42 AuG muss vorerst weiter unterschieden werden zwischen einem Nachzug von Familienangehörigen, die im Zeitpunkt des Nachzugs in einem Drittstaat und ebensolchen, die in der EU/EFTA aufenthaltsberechtigt sind. Das Kriterium der Staatsangehörigkeit spielt folglich keine Rolle, im Gegenteil: Es ist allein auf die Aufenthaltsberechtigung im Zeitpunkt des Nachzugs abzustellen.86 i. Nachzug aus einem Drittstaat Von Art. 42 Abs. 1 AuG werden ausländische Ehegatten und ledige Kinder unter 18 Jahren (die sogenannte Kernfamilie) erfasst. Weitere Familienangehörige können gemäss Art. 42 Abs. 1 AuG nicht nachgezogen werden 87 , gegebenenfalls können diese gestützt auf die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen von Art. 18 ff. AuG, Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG oder Art. 8 EMRK zugelassen beziehungsweise nachgezogen werden. 88 Es ist erforderlich, dass diese mit dem schweizerischen Ehegatten beziehungsweise Elternteil zusammenwohnen.89 Sinn und Zweck dieses Erfordernisses ist die Bekämpfung des Rechtsmissbrauches, insbesondere die rechtsmissbräuchliche Berufung auf eine bestehende Familiengemeinschaft oder die Scheinehe.90 Von dem Erfordernis des Zusammenwohnens kann gemäss Art. 49 AuG abgewichen werden, wenn wichtige Gründe91 für getrennte Wohnorte bestehen und die Familiengemeinschaft weiter besteht.92 84 BGE 118 Ib 153, E. 1b). CARONI, Kommentierungen zu Art. 42, Rn 1 ff. 86 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 220 f. 87 Im Gegensatz zum Geltungsbereich vom FZA, werden Stiefkinder von Art. 42 AuG nicht erfasst: BGE 137 I 284, E. 1.2; BGer 2C_764/2009 vom 31.3.2010, E.2; BFM Weisungen Rn 6.2.6; kritisch dazu CARONI, Kommentierungen zu Art. 42, Rn 15; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 42, Rn 3. Stichwort Inländerdiskriminierung. 88 CARONI, Kommentierungen zu Art. 42, Rn 17. 89 CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 133. Art. 42 Abs. 1 AuG statuiert im Gegensatz zum ANAG (vgl. den Wortlaut von Art. 17 Abs. 2) einen Anspruch auf Teilfamiliennachzug, das heisst den Nachzug eines Kindes durch nur einen Elternteil: Vgl. BGE 136 II 78, E. 4.7; entsprechend gilt ein Anspruch auf Teilfamiliennachzug auch gestützt auf Art. 8 EMRK, vgl. BGE 137 I 284, E. 2.6. 90 Botschaft AuG, S. 3770 f., vgl. zudem S. 3753: Das Fehlen einer Haushaltsgemeinschaft ist ein Indiz für eine Scheinehe. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 42, Rn 2. 91 Das „living apart together“ stellt keinen wichtigen Grund dar: Statt vieler BGer 2C_388/2009 vom 9.12.2009, E. 4. Ein wichtiger Grund liegt nicht vor, wenn man die Haushaltsgemeinschaft aufgelöst hat, um sich über die Beziehung im Klaren zu werden. Aus den Wortprotokollen des Ständerats geht hervor, dass ein wichtiger Grund hingegen bei Fällen von häuslicher Gewalt vorliegt, vgl. dazu Ständeräte HEBERLEIN und BLOCHER, AB 2005, S. 310. 92 Statt vieler BGer 2C_50/2010 vom 17.6.2010, E. 2.3.2: Voraussetzung ist, dass die Familiengemeinschaft weiter besteht. Eine vage Eventualität der Wiederaufnahme der Familiengemeinschaft reicht dafür nicht aus: BGer 2C_1027/2012 vom 20.12.2012, E. 3.3. Für das Weiterbestehen kann beispielsweise die Intensität der familiären Beziehung sprechen: CARONI, Kommentierungen zu Art. 49, Rn 18. 85 15 Art. 76 VZAE statuiert, dass etwa berufliche Verpflichtungen93 oder eine vorübergehende Trennung aufgrund familiärer Konflikte94 einen wichtigen Grund im Sinne von Art. 49 AuG darstellen können.95 Es kann somit festgehalten werden, dass nicht jede Auflösung der Haushaltsgemeinschaft per se eine Auflösung der Familiengemeinschaft darstellt.96 Wird die Haushaltsgemeinschaft aufgehoben und sind die Voraussetzungen gemäss Art. 49 AuG nicht erfüllt, so besteht grundsätzlich kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht der Nachgezogenen mehr. Gegebenenfalls kann ein solches jedoch unter Berufung auf Art. 50 AuG geltend gemacht werden.97 Auf diese Thematik wird vertieft unter C.III.4 eingegangen. Der bestehende Rechtsanspruch auf Familiennachzug muss im Fall von Ehegatten98 und Kindern unter zwölf Jahren innert fünf Jahren und im Fall von Kindern über zwölf Jahren innert zwölf Monaten nach Einreise oder Entstehung des Familienverhältnisses geltend gemacht werden (Art. 47 Abs. 1 und 3 lit. a AuG).99 Diese verkürzte Nachzugsfrist dient einem raschen Nachzug und der Integration. 100 Bestimmend für die Beurteilung des Alters ist der Zeitpunkt der Gesuchseinreichung.101 Die Fristen beginnen bei Familienangehörigen von Schweizerinnen und Schweizern mit Einreise oder der Entstehung des Familienverhältnisses (Art. 47 Abs. 3 lit. a AuG) und bei Familienangehörigen von Ausländerinnen und Ausländern mit Erteilung der Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung oder wiederum der Entstehung des Familienverhältnisses (lit. b). Ein nachträglicher Familiennachzug wird nur ausnahmsweise bei Vorliegen von wichtigen familiären Gründen bewilligt (Art. 47 Abs. 4 AuG). Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn das Kindeswohl nur 93 BGer 2C_50/2010 vom 17.6.2010, E. 2.3.1: Berufliche Verpflichtungen stellen nicht automatisch einen wichtigen Grund im Sinne von Art. 49 AuG respektive Art. 76 VZAE, dar. 94 Das Bundesgericht verneint die genügende Intensität des familiären Konfliktes, um einen wichtigen Grund im Sinne von Art. 49 AuG darzustellen, in: BGer 2C_635/2009 vom 26.3.2010, E. 4.4. Kritisch zur Ambivalenz zwischen der restriktiven Annahme von wichtigen Gründen durch das Bundesgericht und der Voraussetzung, dass nur vorübergehende Trennungen erlaubt sind: SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 42, Rn 2. 95 Voraussetzung sind objektive Gründe, die von gewisser Intensität sind. Des Weiteren liegt ein wichtiger Grund umso eher vor, je weniger die Ehegatten die Gründe für das Getrenntleben beeinflussen können, ohne gewichtige Nachteile hinzunehmen: BGer 2C_544/2010 vom 23.12.2010, E. 2.3.1. Nach einem Jahr Getrenntleben wird vermutet, dass die Familiengemeinschaft nicht mehr besteht: BGer 2C_575/2009 vom 1.6.2010, E. 3.5. Vgl. Botschaft AuG, S. 3753. 96 Von einer definitiven Auflösung der Familiengemeinschaft kann erst dann gesprochen werden, wenn sowohl eine emotionale als auch eine wirtschaftliche Trennung erfolgt ist: GÖKSU, S. 238. SPESCHA, OFKommentar Migrationsrecht, Art. 49, Rn 2. 97 CARONI, Kommentierungen zu Art. 49, Rn 31. 98 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 47, Rn 2: Kritisch zur Tatsache, dass für Ehegatten ebenfalls eine Fünfjahresfrist gelten soll. Gemäss SPESCHA steht dies im Widerspruch zu Art. 8 EMRK und Art. 13 BV. 99 CARONI, Kommentierungen zu Art. 47, Rn 8 f.; a.M. SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 222, nach welchen sich die Nachzugsfrist nur auf Kinder und Jugendliche bezieht, da Sinn und Zweck von Art. 47 AuG die Erleichterung der Integration ebengenannter ist. 100 Botschaft AuG, S. 3754 f.: Der Bundesrat führt dazu aus, dass das Stellen von Gesuchen kurz vor dem 18. Altersjahr verhindert werden soll, die lediglich dem erleichterten Zugang zur Erwerbstätigkeit und nicht der Familienzusammenführung dienen. CARONI, Kommentierungen zu Art. 47, Rn 9. 101 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 47, Rn 1. 16 durch einen Nachzug in die Schweiz gewahrt werden kann (Art. 75 VZAE).102 Art. 47 Abs. 4 AuG gebietet zudem, Kinder über 14 Jahre anzuhören, sofern dies erforderlich ist.103 ii. Nachzug aus der EU/EFTA Gemäss Art. 42 Abs. 2 AuG haben – im Gegensatz zum sachlichen Geltungsbereich von Art. 42 Abs. 1 AuG – auch weitere Familienangehörige einen Anspruch auf die Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung, wenn sie im Besitz einer dauerhaften Aufenthaltsbewilligung eines Staates sind, mit dem ein Freizügigkeitsabkommen abgeschlossen wurde. Als weitere Familienangehörige gelten dabei der Ehegatte und Verwandte in absteigender Linie, wie beispielsweise Kinder und Enkel, die unter 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten in aufsteigender Linie, wie beispielsweise Eltern und Grosseltern, denen Unterhalt gewährt wird.104 Es ist auch hier nicht massgebend, ob eine zivilrechtliche Verpflichtung zur Zahlung von Unterhaltszahlungen vorliegt.105 Damit ist festzuhalten, dass die Nachzugsrechte für die in der EU/EFTA Aufenthaltsberechtigten grosszügiger ausgestaltet sind (man beachte den weiteren Kreis von Nachzugsberechtigten sowie die Altersgrenze beim Kindernachzug), was wiederum zu einer Inländerdiskriminierung führt.106 Dieses sogenannte erweiterte Nachzugsrecht hat(te) zum Zweck, Schweizerinnen und Schweizer gegenüber Staatsangehörigen aus EU- und EFTA-Staaten, auf welche die grosszügigeren Regelungen des FZA Anwendung finden, gleichzustellen.107 Jedoch hat die neueste Rechtsprechung des EuGH das Erfordernis des rechtmässigen Aufenthalts in einem anderen Vertragsstaat der EU oder EFTA aufgehoben.108 In der Folge hat auch das Bundesgericht entschieden, dass keine sachlichen Gründe gegen eine Übernahme dieser neuen Rechtsprechung des EuGH – und somit für eine Inländerdiskriminierung – sprechen und erklärte die Metock-Rechtsprechung als massgeblich für 102 CARONI, Kommentierungen zu Art. 47, Rn 22, welche darauf hinweist, dass auch ein nachträglicher Nachzug des Ehegatten unter Abs. 4 fällt. Wichtige Gründe können eine Ausbildung, die Betreuung von Kindern oder Verwandten oder etwa finanzielle Probleme sein, siehe dazu GEISER / BUSSLINGER, Rn 14.59. Ausführlich zum zu beachtenden Kindeswohl: SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 47, Rn 7 ff.; SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 223 ff. 103 M.w.H. CARONI, Kommentierungen zu Art. 47 Rn 25 ff. Vgl. Art. 12 UNO-KRK, welcher in aller Regel eine Kindesanhörung verlangt. 104 BFM Weisungen AuG, Rn 6.2.2. 105 Botschaft AuG, S. 3792; m.w.H. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 42, Rn 8. Siehe auch die Ausführungen unter B.III.2. 106 BGE 129 II 249, E. 5.2, noch bezugnehmend auf das ANAG. Die Frage nach einem Stiefkindernachzug im Rahmen von Art. 42 Abs. 2 AuG wurde vom Bundesgericht noch nicht abschliessend beantwortet. Da mit ebengenannter Regelung aber die Gleichbehandlung von Schweizer Bürgern mit EU/EFTA-Bürgern beabsichtigt war, wäre eine solche Frage wohl positiv zu beantworten: Siehe CARONI, Kommentierungen zu Art. 42, Rn 36 und SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 42, Rn 8. Stichwort Inländerdiskriminierung. 107 CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 137; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 42, Rn 4. 108 Urteil Metock. 17 das FZA.109 Für den Familiennachzug von Schweizerinnen und Schweizern gemäss Art. 42 Abs. 2 AuG wurde diese Rechtsprechungsänderung jedoch nicht übernommen, was zu einer erneuten Inländerdiskriminierung führte. 110 Die Erfordernisse des Zusammenwohnens und der Nachzugsfristen gelten lediglich für aus Drittstaaten stammende Familienangehörige von Schweizerinnen und Schweizern und fällt bei den Anwendungsfällen von Art. 42 Abs. 2 AuG (und wie schon erwähnt auch in denjenigen gemäss FZA) weg.111 b. Ehegatten und minderjährige Kinder von Personen mit einer Niederlassungsbewilligung Unter dem alten Recht hatten ausländische Ehegatten von Personen mit Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 17 Abs. 2 ANAG in der Schweiz Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung unter der Voraussetzung, dass sie mit diesen zusammenwohnen. Kinder unter 18 Jahren hatten zudem Anspruch auf eine sofortige Niederlassungsbewilligung.112 Auch gemäss AuG besteht im Fall von ausländischen Ehegatten und Kindern unter 18 Jahren von Ausländerinnen und Ausländern mit einer Niederlassungsbewilligung in der Schweiz, ein Anspruch auf die Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, soweit diese mit dem Nachziehenden zusammenwohnen (Art. 43 Abs. 1 AuG).113 Weitere Familienangehörige haben keinen Anspruch und können gegebenenfalls gemäss den allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen von Art. 18 ff. AuG sowie gestützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG oder Art. 8 EMRK zugelassen 109 Vgl. die alte und neue Rechtsprechungspraxis des EuGH: Urteile Akrich, Rn 50 f., Jia, Rn 33 und Metock, Rn 58 und die jeweils darauf gestützte alte und neue Rechtsprechung des Bundesgerichtes: BGE 130 II 1, E. 3.6, BGE 134 II 10, E. 3 und BGE 136 II 5, E. 3.6.2 und 3.7. Beachte zudem das BFM Rundschreiben Übernahme Urteil Metock. Ausführlich zur Übernahme der Rechtsprechung und zur Parallelität der Rechtslage auch: SPESCHA, Das Familienleben als hervorragendes Rechtsgut des Freizügigkeitsrechts, S. 146 ff. 110 In BGE 136 II 120 bestätigt das Bundesgericht die Inländerdiskriminierung und appelliert an den Gesetzgeber, diese zu beseitigen, da es sich ansonsten gezwungen sehe, diese entgegen Art. 190 BV, aber gestützt auf Art. 14 EMRK und den Vorrang des Völkerrechts selber zu beseitigen. Der im Nachzug eingereichten Initiative TSCHÜMPERLIN wurde keine Folge gegeben mit der Begründung, dass keine Dringlichkeit bestehe, die festgestellte Inländerdiskriminierung sogleich zu beseitigen. Es sind vorerst nämlich die Entwicklungen in der Rechtsprechung abzuwarten. Die Staatspolitische Kommission führt in ihrem Bericht zur Initiative TSCHÜMPERLIN, S. 2 f., unter anderem aus, dass der Familiennachzug einer der einzigen Bereiche der Ausländerpolitik ist, in welchem der Schweiz ein Entscheidungsspielraum übrig bleibt. Dieser soll weiterhin in diesem Umfang verbleiben, insbesondere um Scheinehen entgegenzuwirken und den Familiennachzug begrenzen zu können. Mit Urteil BGer 2C_354/2011 vom 13.7.2012 hat das Bundesgericht seiner Warnung in BGE 136 II 120 keine Taten folgen lassen: Wiederum hat es festgestellt, dass es an Bundesgesetze gebunden ist und ein Tätigwerden des Gesetzgebers erforderlich ist (E. 2.7.3). Das Ganze vehement kritisierend: SPESCHA, Kleinlaute Kapitulation, S. 1-4. 111 CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 136; SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 225 f. Ehepaare, die getrennt wohnen, stehen aber unter dem Verdacht des Rechtsmissbrauchs, kritisch dazu: SPESCHA, OFKommentar Migrationsrecht, Art. 42, Rn 4 ff. Stichwort Inländerdiskriminierung. 112 CARONI, Kommentierungen zu Art. 43, Rn 1. 113 Auch hier ist ein Teilfamiliennachzug (im Gegensatz zu Art. 17 Abs. 2 ANAG) möglich: Vgl. BGE 136 II 78, E. 4.7; entsprechend gilt ein Anspruch auf Teilfamiliennachzug auch gestützt auf Art. 8 EMRK, vgl. BGE 137 I 284, E. 2.6. 18 beziehungsweise nachgezogen werden.114 Die Behörde kann von den Nachgezogenen verlangen, dass sie einen Sprach- oder Integrationskurs besuchen (Art. 54 Abs. 1 AuG). 115 Auch im Anwendungsbereich von Art. 43 AuG müssen die Nachzugsfristen von Art. 47 Abs. 1 AuG beachtet werden. Wiederum kann beim Vorliegen wichtiger familiärer Gründe ein späterer Nachzug bewilligt werden (Art. 47 Abs. 4 AuG). c. Gemeinsame Bestimmungen Kinder unter zwölf Jahren haben einen Anspruch auf die sofortige Erteilung der Niederlassungsbewilligung (Art. 42 Abs. 4 respektive Art. 43 Abs. 3 AuG). Dagegen haben Kinder über zwölf Jahren – die Tatsache berücksichtigend, dass bei über Zwölfjährigen besondere Integrationsschwierigkeiten auftauchen können – lediglich einen Rechtsanspruch auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung 116 . Sie können sodann nach den allgemeinen Regelungen von Art. 34 AuG eine Niederlassungsbewilligung erwerben.117 Ehegatten haben nach einem ordnungsgemässen118 und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren Anspruch auf die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung (Art. 42 Abs. 3 respektive Art. 43 Abs. 2 AuG). Bei der Berechnung dieser fünfjährigen Frist wird nur der ununterbrochene Aufenthalt in der Schweiz während der Ehe berücksichtigt. Nicht berücksichtigt werden im Ausland verbrachte Ehezeit oder Aufenthalte während früheren Ehen in der Schweiz, diese können jedoch im Rahmen von Art. 34 AuG berücksichtigt werden. 119 Gemäss Art. 46 AuG können die Ehegatten und Kinder von Schweizerinnen und Schweizern in der ganzen Schweiz eine selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit ausüben. Werden die Ansprüche aus Art. 42 und Art. 43 AuG rechtsmissbräuchlich geltend gemacht (vgl. Art. 51 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. a AuG) oder liegen Widerrufsgründe gemäss Art. 62 respektive 63 AuG vor, so erlöschen sie. Gemäss ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes spricht man von Rechtsmissbrauch, wenn „ein Rechtsinstitut zweckwidrig zur Verwirklichung von Interessen 114 CARONI, Kommentierungen zu Art. 43, Rn 10 ff., wiederum ist ein Nachzug von Stiefkindern ausgeschlossen. 115 BFM Weisungen Rn 6.3.1. 116 Ebd., Rn 6.2.4.2 und 6.3.2; CARONI, Kommentierungen zu Art. 43, Rn 9 und 23; m.w.H. CARONI, Kommentierungen zu Art. 42, Rn 57 f. und Art. 43, Rn 30: Dies stellt eine Verschlechterung gegenüber der Rechte im ANAG dar, denn gemäss Art. 17 Abs. 1 ANAG erhielten Kinder bis 18 Jahre eine sofortige Niederlassungsbewilligung, Ziel des Gesetzgebers war es jedoch, einen raschen Nachzug und somit die Integration zu fördern. 117 BFM Weisungen AuG, Rn 6.2.4.2; a.M. CARONI, Kommentierungen zu Art. 42, Rn 35 und 51 und SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 42, Rn 10, die es als gesetzgeberisches Versehen erachten, dass Kinder über zwölf Jahren nicht in Art. 42 Abs. 3 AuG aufgeführt werden und dafür plädieren diesen im Rahmen der Lückenfüllung die Rechte aus Art. 42 Abs. 3 AuG zukommen zu lassen. 118 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 42, Rn 9, welcher ausführt, dass Ordnungsmässigkeit sich lediglich auf die Rechtmässigkeit des Aufenthalts bezieht. 119 Bezüglich Fristenlauf beachte BGE 130 II 54, E. 3.2.3; BFM Weisungen AuG, Rn 6.2.4.1; vgl. BRYNER, Die Frau im Asyl- und Ausländerrecht, Rn 24.23. 19 verwendet wird, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will“. 120 Eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung im Bereich des Familiennachzuges liegt vor, wenn etwa an einer nicht mehr – beziehungsweise nur noch formell – bestehenden Ehe weiterhin festgehalten wird, um eine Aufenthaltsbewilligung nicht zu verlieren oder zu erhalten oder die Ehe lediglich zur Umgehung von Zulassungsvorschriften geschlossen wird (eine sogenannte Scheinehe121).122 Mit Inkrafttreten des AuG wurden Art. 97a, Art. 105 Ziff. 4 (unbefristeter Eheungültigkeitsgrund) und Art. 109 Abs. 3 (Dahinfallen der Vaterschaftsvermutung) in das Zivilgesetzbuch (ZGB) aufgenommen. 123 Gemäss Art. 97a ZGB haben Zivilstandsbeamte die Befugnis, ein Gesuch auf Eheschliessung abzulehnen, wenn die Brautleute offensichtlich keine Lebensgemeinschaft begründen, sondern allein rechtliche Bestimmungen umgehen wollen.124 Der Rechtsmissbrauch ist meistens keinem Beweis zugänglich und kann bloss mittels Indizien nachgewiesen werden.125 Für das Vorliegen einer Scheinehe sprechen Indizien wie eine drohende Wegweisung, ein grosser Altersunterschied, nur eine kurze Dauer des Kennenlernens vor der Heirat, das Fehlen einer Wohngemeinschaft oder eine Bezahlung für die Hochzeit.126 Von einem Rechtsmissbrauch ist auszugehen, wenn mindestens ein Ehepartner nicht die Gründung oder die Führung einer Lebensgemeinschaft beabsichtigte.127 Eine rechtsmissbräuchliche Berufung auf eine nur noch formell bestehende Ehe oder das Vorliegen einer Scheinehe darf aber nur mit Zurückhaltung angenommen werden128: Vorausgesetzt sind stets eine sorgfältige Abwägung aller Umstände im Einzelfall und eindeutige Hinweise. 129 Nach Inkrafttreten des AuG erläuterte das Bundesgericht, dass die Bewilligungsvoraussetzungen und Missbrauchstatbestände im neuen Gesetz – im Vergleich zum ANAG – detaillierter statuiert wurden und daraus gefolgert werden kann, dass „das Rechtsmissbrauchsverbot heute wieder stärker auf seinen Kernbereich zu beschränken [sei], das heisst auf eigentliche Machenschaften, um die Behörden zu täuschen bzw. eine Bewilligung zu erschleichen“.130 Ansonsten kann die im Rahmen des ANAG ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtes zum Rechtsmissbrauch aber für das AuG übernommen werden.131 SPESCHA und UEBERSAX weisen mit Nachdruck darauf hin, dass eine rechtmissbräuchliche Geltendmachung im Zusammenhang mit der Ehe nur schwer nachzuweisen 120 Statt vieler m.w.Verw. BGE 127 II 49, E. 5a). Der Entscheid des Zivilstandsbeamten ist für die Migrationsbehörde indessen nicht verbindlich: BFM Weisungen AuG, Rn 6.14.2.2. Kritisch dazu UEBERSAX, Der Rechtsmissbrauch im Ausländerrecht, S. 16. 122 Botschaft AuG, S. 3795. 123 Kritisch dazu UEBERSAX, Der Rechtsmissbrauch im Ausländerrecht, S. 26. 124 Ausführlich zu dieser Thematik SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 238 ff. 125 BGE 127 II 49, E. 5a); BFM Weisungen AuG, Rn 6.14.1. 126 Statt vieler BGer 2C_587/2008 vom 4.12.2008, E. 4. 127 BGer 2C_177/2013 vom 6.6.2013, E. 3.4; BGE 128 II 145, E. 2.2. Demgegenüber schliesst eine Haushaltsgemeinschaft und eine Intimbeziehung das Vorliegen einer Scheinehe nicht aus, da diese Umstände auch nur vorgetäuscht werden können: BGE 122 II 289, E. 2b). 128 Statt vieler BGE 128 II 145, E. 2.2. 129 Statt vieler BGE 127 II 49, E. 5a). Wenig zurückhaltend und eher spitzfindig erscheint dagegen ein im Jahr 2008, aber noch im Geltungsbereich des ANAG, ergangenes Urteil: BGer 2C_222/2008 vom 31.10.2008, E. 4.2. 130 BGer 2C_606/2009 vom 17.3.2010, E. 2.4. Schon im Jahr 2006 an den achtsamen Umgang mit dem Rechtsmissbrauchsverbot appellierend: UEBERSAX, Der Rechtsmissbrauch im Ausländerrecht, S. 27 f. 131 BFM Weisungen AuG, Rn 6.14. 121 20 ist und Zurückhaltung geboten ist, insbesondere, da es keine Verpflichtung zur Liebesehe gibt und „ausländerrechtliche Heiratsmotive“ noch lange keine Scheinehe ausmachen.132 Das Verbot des rechtsmissbräuchlichen Nachzuges von Kindern findet im Geltungsbereich von AuG fast keine Anwendung mehr, deshalb wird vorliegend nicht darauf eingegangen.133 Des Weiteren wird auch die Thematik des fehlenden Aufenthaltsrechts als Ehehindernis ausgeklammert.134 Die Nachzugsansprüche gemäss Art. 42 AuG erlöschen, wenn Widerrufsgründe im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AuG vorliegen. Diese umfassen etwa unwahre Angaben im Bewilligungsverfahren (Art. 63 lit. a in Verbindung mit Art. 62 lit. a), die Verurteilung zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe oder zu bestimmten Massnahmen (Art. 63 lit. a in Verbindung mit Art. 62 lit. b), schwerwiegende Verstösse gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Art. 63 lit. b) oder eine dauerhafte und erhebliche Sozialhilfeabhängigkeit (Art. 63 lit. c). Demgegenüber erlöschen die Ansprüche gemäss Art. 43 AuG schon bei Vorliegen weniger gewichtiger Umstände: So bei erheblichen und wiederholten Verstössen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Art. 62 lit. c), Missachtung von Verfügungsbedingungen (Art. 62 lit. d) oder die Sozialhilfeabhängigkeit (Art. 62 lit. e). Die Widerrufsgründe gemäss Art. 62 und 63 AuG müssen stets bei der nachzuziehenden Person vorliegen.135 Abschliessend bleibt darauf hinzuweisen, dass aus dem Vorliegen von Erlöschensgründen gemäss Art. 51 AuG nicht zwangsläufig das Erlöschen der Rechtsansprüche folgt. Denn die Nichterteilung, die Verweigerung einer Verlängerung oder der Widerruf einer Aufenthaltsbewilligung müssen stets dem Prinzip der Verhältnismässigkeit entsprechen.136 3. Familiennachzug im Ermessen der Behörde Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden nur die Konstellationen von Art. 44 und 45 AuG näher erläutert. Der Familiennachzug von vorläufig aufgenommenen Personen – welcher gemäss Art. 85 Abs. 7 AuG ebenfalls im Ermessen der Behörde liegt – wird nicht behandelt. Unter dem alten Recht, gemäss Art. 38 und 39 BVO, konnte ausländischen Personen mit Aufenthaltsbewilligung unter gewissen Voraussetzungen der Nachzug von Ehegatten und minderjährigen Kindern bewilligt werden. Kurzaufenthalter hingegen hatten gemäss Art. 38 Abs. 2 BVO grundsätzlich keine Möglichkeit, ihre Familie nachzuziehen.137 Gemäss geltendem Recht (Art. 44 und 45 AuG) besteht für Ausländerinnen und Ausländer mit einer Aufenthaltsbewilligung 132 SPESCHA, Migrationsabwehr, S. 121; UEBERSAX, Der Rechtsmissbrauch im Ausländerrecht, S. 14 f. CARONI, Kommentierungen zu Art. 51, Rn 19 und zur diesbezüglichen Praxis im Geltungsbereich des ANAG siehe Rn 18 f.; UEBERSAX, Der Rechtsmissbrauch im Ausländerrecht, S. 25. 134 Vgl. Art. 98 Abs. 4 und Art. 99 Abs. 4 ZGB. Ausführlich dazu SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 241 f. 135 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 51, Rn 3 und 9. 136 BGE 135 II 377, E. 4.3; SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 238. 137 CARONI, Kommentierungen zu Art. 44, Rn 1 und Art. 45, Rn 1. 133 21 oder Kurzaufenthaltsbewilligung immer noch kein Rechtsanspruch auf Familiennachzug des Ehegatten und der minderjährigen Kinder: Sind die betreffenden Voraussetzungen erfüllt, so kann die Behörde eine Bewilligung erteilen. Die Behörden sind dabei verpflichtet, ihr Ermessen verfassungskonform auszuüben. 138 Die Kantone können gar strengere Anforderungen an die Bewilligungserteilung stellen, als das AuG voraussetzt. 139 Weitere Familienangehörige können gegebenenfalls unter Einhaltung der generellen Zulassungsvoraussetzung gemäss Art. 18 ff. AuG, gestützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG oder Art. 8 EMRK zugelassen beziehungsweise nachgezogen werden.140 Um einen Familiennachzug gemäss Art. 44 und 45 AuG geltend machen zu können, müssen die folgenden Voraussetzungen (lit. a-c) erfüllt sein: − Die ausländischen Ehegatten und ledigen Kinder unter 18 Jahren müssen mit der nachziehenden Person zusammenwohnen. Nur beim Nachzug gemäss Art. 44 AuG kann vom Erfordernis des Zusammenlebens unter den Voraussetzungen von Art. 49 AuG abgewichen werden. 141 − Dabei muss – im Gegensatz zum Nachzug nach Art. 42 AuG – eine bedarfsgerechte Wohnung vorhanden sein. 142 Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist, Ausländerinnen und Ausländer vor menschenunwürdigen Existenzbedingungen zu bewahren.143 Im Sinne eines möglichst raschen Familiennachzuges dürfen an die Wohnung aber keine übersetzten Anforderungen gestellt werden.144 Gemäss SEM und Bundesrat gilt eine Wohnung dann als bedarfsgerecht, wenn die Gesamtfamilie darin wohnen kann und keine Überbelegung vorliegt. Viele Ausländerbehörden nehmen zur Beurteilung den Grundsatz „Anzahl Personen minus 1 gleich Mindestwohnungsgrösse“ zur Hilfe.145 Es führt weiter aus, dass wenn auch nur gemäss dem Wortlaut von Art. 44 und 45 AuG eine bedarfsgerechte Wohnung erforderlich ist, doch auch in den Fällen von Art. 42 und Art. 43 AuG das 138 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 44, Rn 1. Zur Thematik der Ermessensausübung im Besonderen siehe C.IV.2. 139 BFM Weisungen AuG, Rn 6.4.1; kritisch zur Handhabung des Ermessens durch die kantonalen Behörden SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 44, Rn 1. 140 CARONI, Kommentierungen zu Art. 44, Rn 5 und Art. 45, Rn 3: Angehörige von Kurzaufenthaltern können sich nicht auf Art. 8 EMRK stützen. Zu den bundesgerichtlichen Voraussetzungen für einen Familiennachzug gemäss Art. 8 EMRK siehe B.II.1.a.ii.2. 141 CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 147; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 49, Rn 1. 142 CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 146; m.w.H. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 44, Rn 4. 143 CARONI, Kommentierungen zu Art. 44, Rn 11. 144 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 44, Rn 4. 145 BFM Weisungen AuG, Rn 6.1.4. 22 Vorhandensein einer tauglichen Wohnung vorausgesetzt wird. Dies ergebe sich indirekt aus der Bedingung, dass die Familie zusammenwohnen muss.146 − Zudem dürfen die nachzuziehenden Ehegatten und Kinder nicht auf Sozialhilfe angewiesen sein, das heisst, sie müssen über genügend finanzielle Mittel verfügen. Gemäss SEM sollten mindestens finanzielle Mittel im von den Richtlinien der schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien) vorgegebenen Rahmen vorliegen.147 Die Kantone können aber höhere Voraussetzungen an die finanziellen Mittel stellen.148 Die Behörde kann von den Nachgezogenen zudem verlangen, dass sie einen Sprach- oder Integrationskurs besuchen (Art. 54 Abs. 1 AuG).149 Auch in den Fällen von Art. 44 und 45 AuG müssen Nachzugsfristen eingehalten werden, diese richten sich nach Art. 73 VZAE. Ausnahme von diesen Fristen bildet der nachträgliche Familiennachzug bei Vorliegen wichtiger familiärer Gründe (Art. 73 Abs. 3 und Art. 75 VZAE). Den nachgezogenen Familienangehörigen wird bei positivem Entscheid der Behörden eine Aufenthalts- beziehungsweise Kurzaufenthaltsbewilligung erteilt.150 Bei erfolgreicher Integration kann nach fünfjährigem Aufenthalt eine Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 34 Abs. 4 AuG erteilt werden.151 Nur die Familienangehörigen von Ausländerinnen und Ausländern mit einer Aufenthaltsbewilligung dürfen einer Erwerbstätigkeit nachgehen (Art. 46 AuG). Unter gewissen Voraussetzungen kann den Familienangehörigen von Ausländerinnen und Ausländern mit einer Kurzaufenthaltsbewilligung die Ausübung einer Erwerbstätigkeit bewilligt werden (Art. 30 Abs. 1 lit. a AuG in Verbindung mit Art. 26 VZAE). Wie erläutert, statuieren Art. 44 und Art. 45 AuG keine Rechtsansprüche auf Familiennachzug. Liegen Rechtsmissbrauchstatbestände oder Widerrufsgründe vor, so kann die zuständige Behörde die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung im Rahmen ihres Ermessens verweigern.152 146 Vgl. BGE 119 Ib 81, E. 2b) f.; BGer 6B_497/2010 vom 25.10.2010, E. 1.2; vgl. ACHERMANN, die angemessene Wohnung, S. 18 f.; BFM Weisungen AuG, Rn 6.1.4 und 6.4.2.2; Botschaft AuG S. 3784 und 3792; a.M. CARONI, Kommentierungen zu Art. 42, Rn 20. 147 BFM Weisungen AuG, Rn 6.4.2.3; SKOS-Richtlinien; m.w.H. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 44, Rn 5. 148 BFM Weisungen AuG, Rn 6.4.2.3. 149 Ebd., Rn 6.3.1. 150 Vgl. ebd., Rn 6.1.5 und 6.5. 151 Ebd., Rn 6.4.3; vgl. SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 253. 152 GEISER / BUSSLINGER, Rn 14.56. 23 V. Prozessuales Die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung sowie auch deren Widerruf liegt in der Kompetenz der Kantone.153 Je nach Bewilligung ist vor der Erteilung beim SEM eine Zustimmung einzuholen (vgl. Art. 98 in Verbindung mit Art. 99 AuG sowie Art. 85 und Art. 86 VZAE). Das SEM führt sämtliche zustimmungspflichtigen Bewilligungen in ihren Weisungen auf.154 Liegt ein Entscheid einer kantonalen Migrationsbehörde vor, so richtet sich das weitere Verfahren nach kantonalem Recht 155 : Grundsätzlich gelangen die Betroffenen mit Beschwerde zuerst an eine verwaltungsinterne Beschwerdeinstanz und das Urteil ebengenannter kann an das kantonale Verwaltungsgericht weitergezogen werden. 156 Welche Überprüfungsbefugnis den kantonalen Instanzen dabei zukommt, bestimmt sich nach kantonalem Recht.157 Jedoch schreibt Art. 29a BV vor, dass mindestens eine richterliche Behörde Rechtsfragen – Ermessensmissbrauch sowie Ermessensunterschreitung, nicht aber die Unangemessenheit – und Sachverhaltsfragen umfassend prüfen muss. 158 Liegt hingegen ein Entscheid des SEM vor, so kann Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht geführt werden (vgl. Art. 31 des Bundesgesetzes über das Bundesverwaltungsgericht (VGG) in Verbindung mit Art. 33 lit. d VGG). Dieses prüft Rügen sowohl betreffend Rechtsverletzungen und unrichtigen oder unvollständigen Sachverhaltsfeststellungen wie auch betreffend Unangemessenheit (vgl. Art. 31 VGG in Verbindung mit Art. 49 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren (VwVG)). Die Beschwerde sowohl gegen Entscheide des kantonalen Verwaltungsgerichtes als auch des Bundesverwaltungsgerichtes steht nur offen, wenn ein Rechtsanspruch auf eine Bewilligung besteht (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario). Ein solcher liegt in den Fällen von Art. 3 Ziff. 1 Anhang I FZA159 und Art. 42 und Art. 43 AuG sowie auch Art. 8 EMRK vor.160 Hingegen sind die Beschwerdemöglichkeiten bei einer Nichterteilung einer Bewilligung im Rahmen von Art. 44 und Art. 45 AuG eingeschränkt.161 Auf Stufe des Bundesgerichtes können im Wesentlichen nur Rechtsverletzungen sowie offensichtliche unrichtige oder auf einer Rechtsverletzung beruhende Sachverhaltsfeststellungen geltend gemacht werden (vgl. Art. 95-98 BGG). 153 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 351. Die kantonalen Migrationsbehörden werden auf der Homepage des SEM aufgeführt: https://www.bfm.admin.ch/bfm/de/home/ueberuns/kontakt/kantonale_behoerden/adressen_kantone_und.html , zuletzt besucht am 9.3.2015. 154 BFM Weisungen AuG, Rn 1.3. 155 Wobei nach Art. 29a BV ein Anspruch auf gerichtliche Überprüfung besteht: M.w.H. SPESCHA, OFKommentar Migrationsrecht, BGG, Art. 83, Rn 2. 156 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 360 f. 157 UEBERSAX, Einreise und Anwesenheit, Rn 7.319: Zumeist üben die kantonalen Gerichte lediglich eine Rechts- und keine Angemessenheitskontrolle aus. 158 GEISER / BUSSLINGER, Rn 14.64 f.; vgl. SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 361. 159 Für eine Beschwerde gestützt auf das FZA sind schweizerische Rechtsmittelinstanzen zuständig, vgl. Art. 11 FZA. Ausführlich dazu: SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, FZA, Art. 11, Rn 1. 160 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, BGG, Art. 83, Rn 5. 161 GEISER / BUSSLINGER, Rn 14.64 f. und 147. Auch die subsidiäre Verfassungsbeschwerde gegen willkürliche Ermessensentscheide steht den Betroffenen nicht offen: M.w.H. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, BGG, Art. 83, Rn 6. 24 C. Die Auflösung der Familie I. Einführung Im ersten Teil der Arbeit wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen des Familiennachzuges aufgezeigt und zugleich wurde auf einige problematische Fragestellungen, die sich insbesondere im Zusammenhang mit Grundrechtsansprüchen aber auch in Bezug auf die Inländerdiskriminierung stellen, hingewiesen. Der zweite Teil der Arbeit fokussiert auf die Fragestellung, wie der weitere Aufenthalt nach einer gescheiterten Ehe rechtlich erfasst wird. Dem Aufbau des ersten Teils folgend, wird vorerst auf die diesbezüglichen Rechtsfragen im Geltungsbereich des FZA, danach im Geltungsbereich des AuG und zu guter Letzt in demjenigen der VZAE eingegangen. Die Ausführungen zu Art. 50 AuG werden zusätzlich umrahmt von einer Untersuchung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung im Zeitfenster von anfangs Juli 2013 bis Ende Juni 2014.162 II. Die Auflösung gemäss FZA Wie unter B.III ausführlich dargestellt, ist ein originäres Aufenthaltsrecht Voraussetzung für einen Familiennachzug. Die nachgezogenen Familienangehörigen erhalten folglich ein vom Nachziehenden abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Dessen zeitliche Geltung ist grundsätzlich vom Bestehen des originären Aufenthaltsrechts abhängig (vgl. Art. 3 Abs. 4 Anhang I FZA).163 Davon ausgenommen ist das Verbleiberecht nach Auflösung der Familien- beziehungsweise Ehegemeinschaft. 164 Es regelt somit, ob und nach welcher Zeitdauer die Nachgezogenen ein vom Nachziehenden unabhängiges Aufenthaltsrecht in der Schweiz erwerben.165 Wie unter B.III.2 bereits erläutert, ist das Zusammenwohnen im Geltungsbereich des FZA keine Voraussetzung für den Familiennachzug. Demzufolge verlieren Nachgezogene ihr Aufenthaltsrecht nicht schon bei Auflösung der Haushaltsgemeinschaft.166 Vorbehalten bleibt gemäss Bundesgericht jedoch die rechtsmissbräuchliche Berufung auf eine nur noch formell bestehende Ehe. Das Bundesgericht tätigt dabei im Vergleich zum EuGH eine äusserst restriktive Rechtsprechung: So entschied der EuGH im für die Schweiz verbindlichen Urteil Diatta, Rn 18-20, eine Ehe gelte erst dann als aufgelöst, wenn sie geschieden sei und auch die Absicht einer späteren Scheidung lasse das Aufenthaltsrecht nicht untergehen. Dagegen hat das BGer in BGE 130 II 113, E. 9.5 seine Rechtsmissbrauchsrechtsprechung auch auf Fälle im Geltungsbereich des FZA für anwendbar 162 Vgl. dazu den Appendix I. Im Fliesstext werden davon nur die – nach Ansicht der Autorin – wichtigsten Fälle vertieft behandelt. Wie noch zu zeigen ist, können nur Ansprüche gemäss Art. 50 AuG mit Beschwerde beim Bundesgericht angefochten werden. Das heisst, dass Fälle mit Bezug auf das Verbleiberecht gemäss Art. 77 VZAE – dessen Erteilung im Ermessen der Behörde liegt – im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht untersucht wurden. 163 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 216. 164 BFM Weisungen VEP, S. 108. 165 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 217. 166 Ebd., S. 163. 25 erklärt.167 Diese besagt, dass eine Umgehung der Zulassungsvorschriften vorliegt, wenn Betroffene sich auf eine Ehe berufen, die nur noch weitergeführt wird, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten beziehungsweise nicht zu verlieren. Um eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung zu bejahen, werden eindeutige Hinweise vorausgesetzt, dass keine Ehegemeinschaft mehr geführt wird und die Wiederaufnahme derselben auch nicht beabsichtigt ist.168 Zu unterscheiden sind folgende Konstellationen: − EU-/EFTA-Bürger können bei Auflösung der Familie respektive der Ehe ein eigenes, originäres Aufenthaltsrecht geltend machen.169 Sie unterstehen dabei den jeweilig geltenden Voraussetzungen.170 − Bei Familienangehörigen aus Drittstaaten muss unterschieden werden, ob die Ehe durch Tod oder Scheidung aufgelöst wird.171 Wird der Nachziehende arbeitsunfähig oder stirbt er, erhalten die Nachgezogenen nach zweijährigem Aufenthalt ein Verbleiberecht. War der Tod gar Folge eines Unfalles oder einer Berufskrankheit, so erhalten sie ein sofortiges Verbleiberecht, unabhängig von der Aufenthaltsdauer.172 Wird die Ehe hingegen durch Scheidung aufgelöst, so findet die Regelung von Art. 50 AuG analog Anwendung.173 Das bedeutet konkret, dass sich der Drittstaatsangehörige auf das Verbleiberecht nach Art. 50 AuG berufen kann, selbst wenn dessen Ehegatte – ein in der Schweiz aufenthaltsberechtigter EU/EFTA-Bürger – noch über keine Niederlassungsbewilligung im Sinne von Art. 43 AuG verfügt.174 167 Kritisch dazu EPINEY / CIVITELLA, S. 237 f.; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, FZA, Art. 3 Anhang 1, Rn 7; SPESCHA, das Familienleben als hervorragendes Rechtsgut des Freizügigkeitsrechts, S. 143 f. 168 BFM Weisungen VEP, S. 112 f. 169 Ebd., S. 113; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, FZA, Art. 3 Anhang 1, Rn 17; SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 218. 170 Vgl. Art. 6, Art. 12 und Art. 24 Anhang 1 FZA. 171 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 218 f., vgl. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, FZA, Art. 3 Anhang 1, Rn 17. 172 Art. 4 Abs. 2 Anhang 1 FZA verweist auf Art. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1251/70 und Art. 4 Abs. 2 Anhang K - Anlage 1 EFTA-Übereinkommen verweist auf Art. 3 der Richtlinie 75/34/EWG. Zu beachten sind jedoch auch jeweils Art. 5 ebengenannter Verordnung und Richtlinie, die vorsehen, dass das Verbleiberecht innert einer Zweijahresfrist seit Entstehung geltend gemacht werden muss. 173 CARONI, Vorbemerkungen zu Art. 42-52, Rn 38; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, FZA, Art. 4 Anhang 1, Rn 6. Im Gemeinschaftsrecht der EU kommt die EU-Richtlinie 2004/38 (Art. 13 Abs. 2) zur Anwendung, welche unter gewissen Voraussetzungen ein Verbleiberecht bei Scheidung, Aufhebung der Ehe oder Beendigung der eingetragenen Partnerschaft für Drittstaatsangehörige vorsieht. Diese Richtlinie ist jedoch im Geltungsbereich des FZA für die Schweiz nicht verbindlich. Im Sinne der Rechtsgleichheit ist daher die Regelung von Art. 50 AuG entsprechend auf EU-Bürger anwendbar. 174 HUGI YAR, S. 68. Gemäss Art. 2 FZA dürfen EU-/EFTA-Angehörige gegenüber Schweizerinnen und Schweizern nicht diskriminiert werden. Es wird unter C.III.2 erklärt, dass Art. 50 AuG nur auf die Fälle von Art. 42 und 43 AuG, aber nicht auf diejenigen von Art. 44 und 45 AuG Anwendung findet. 26 III. Die Auflösung gemäss AuG 1. Historischer Kontext Bevor das AuG am 1.1.2008 in Kraft trat, gab es unter dem Geltungsbereich des ANAG keine gesetzliche Regelung bezüglich Auflösung der Familiengemeinschaft, wie wir sie heute kennen (vgl. Art. 50 AuG).175 Sodann behandelte man die gesetzlichen Folgen einer Auflösung nach der allgemeinen Regel von Art. 7 ANAG, welche statuierte, dass der ausländische Ehegatte eines schweizerischen Staatsangehörigen nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren, einen Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung hat. Wurde die Ehe – e contrario – vor Ablauf der fünf Jahre durch Scheidung oder Tod des schweizerischen Ehegatten aufgelöst, so verloren die Nachgezogenen ihren Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung. 176 Zwar konnten die kantonal zuständigen Behörden eine Aufenthaltsbewilligung schon vor Ablauf der Fünfjahresfrist aufgrund Vorliegen eines Härtefalles erteilen, doch lag dieser Entscheid in deren freiem Ermessen (vgl. Art. 4 ANAG).177 Entgegen der heute geltenden Regelung war gemäss Art. 7 ANAG jedoch das Führen einer Haushaltsgemeinschaft keine Voraussetzung. Eine Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung war somit einzig und allein vom formellen Bestand der Ehe abhängig.178 Für ausländische Ehepartner von Ausländerinnen und Ausländern, die über eine Niederlassungsbewilligung in der Schweiz verfügten, fand eine gleichartige Regelung Anwendung179, jedoch verloren sie den Anspruch nicht erst bei Auflösung der Ehegemeinschaft, sondern schon bei Aufgabe des gemeinsamen Haushaltes vor Ablauf von fünf Jahren (vgl. Art. 17 Abs. 2 ANAG).180 Die am 12.12.1996 von CHRISTINE GOLL eingereichte Initiative bezüglich Rechte von Migrantinnen verlangte eine eigenständige und zivilstandsunabhängige Aufenthaltsbewilligung für Migrantinnen.181 Vorgeschlagen wurde unter anderem die Aufnahme von Ausnahmeregelungen für Härtefälle. Antrieb für die Einreichung dieser Initiative gab der Umstand, dass Migrantinnen an das 175 CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 1. Ebd. 177 M.w.H. Stellungnahme des Bundesrates zur Initiative GOLL, S. 5034. 178 BGE 121 II 97, E. 2; BGE 118 Ib 145, E.3, in welchem die Entstehungsgeschichte von Art. 7 ANAG erläutert wird und darauf hingewiesen wird, dass der Gesetzgeber in Art. 7 ANAG bewusst auf die Voraussetzung des Zusammenlebens verzichtet hat, um zu verhindern, dass Ausländerinnen vermehrt der Willkür ihrer schweizerischen Ehegatten ausgesetzt sind. BRYNER, Die Frau im Asyl- und Ausländerrecht, Rn 24.22; vgl. BUSER, Rn 25.7. SPESCHA, Migrationsabwehr, S. 124 f., welcher kritisiert, dass dieses Schutzziel nun hinter die Rechtsmissbrauchsbekämpfung zurücktreten musste und dieses neue Erfordernis zudem zu einer Inländerdiskriminierung führe. 179 CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 1. 180 Vgl. Initiative GOLL, S. 1 und Stellungnahme des Bundesrates zur Initiative GOLL, S. 5034. 181 Seither wurde die Forderung nach einem zivilstandsunabhängigen Aufenthaltsrecht von mehreren Autoren gefordert: DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 27 f.; KURT / SHY CHAU, Vorwort; REETZ, S. 32. Wie das zivilstandsunabhängige Aufenthaltsrecht rechtlich ausgestaltet und welche rechtlichen Folgen es nach sich ziehen würde, wird indessen von keinem Autor weiter vertieft. Damit diese Forderung nicht nur ein politisches Schlagwort bleibt, müsste m.E. eine wissenschaftliche Ausarbeitung des zivilstandsunabhängigen Aufenthaltsrechts als rechtliches Konstrukt erfolgen. 176 27 Aufenthaltsrecht des Ehemannes gekoppelt waren und sie so ihre Aufenthaltsbewilligung verloren, wenn sie sich – beispielsweise gegen gewalttätige Ehemänner – zur Wehr setzten (insbesondere bei Verlassen des gemeinsamen Haushalts oder Einreichung der Scheidung).182 Dies war wohl auch Reaktion auf eine äusserst restriktive Rechtsprechung des Bundesgerichtes.183 Da zum Zeitpunkt der Einreichung der parlamentarischen Initiative GOLL bereits die Totalrevision des ANAG vorbereitet wurde, erachtete der Bundesrat die von der parlamentarischen Initiative beabsichtigte Teilrevision des ANAG als nicht zweckmässig. Er erklärte aber, dass die Forderungen im Rahmen der Totalrevision Beachtung finden würden.184 In der Folge setzte der Ständerat die Behandlung der Initiative bis zur Behandlung des Entwurfs für ein neues Ausländergesetz aus.185 Nach dem Gesagten kann geschlossen werden, dass mit Inkrafttreten von Art. 50 AuG im Jahr 2008 erstmalig die Folgen nach Auflösung der Ehegemeinschaft gesetzlich verankert wurden.186 Sinn und Zweck von Art. 50 AuG ist die Vermeidung von Härtefällen, indem bei Erfüllen bestimmter Voraussetzungen (vgl. Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG) oder bei Vorliegen eines persönlichen Härtefalles (vgl. Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG) ein Aufenthaltsrecht erteilt oder verlängert wird.187 Im Jahre 2009, also bereits ein Jahr nach Inkrafttreten des AuG und über ein Jahrzehnt nach der Initiative GOLL wurde erneut eine Motion mit der Forderung einer zivilstandsunabhängigen Aufenthaltsbewilligung eingereicht.188 Argumentiert wurde insbesondere, dass sich die Situation von Migrantinnen und Migranten aus Drittstaaten unter dem neuen Recht erheblich verschlechtert habe, deren Verbleiberecht vollständig vom Ermessen der Behörde abhänge und sie somit beispielsweise immer noch schutzlos gewalttätigen Ehegatten ausgesetzt seien.189 Diese wurde vom Nationalrat abgelehnt. Nun – sieben Jahre nach Inkrafttreten des AuG – stellt sich die Frage, ob die gesetzliche Regelung von Art. 50 AuG die Forderungen nach mehr Rechtssicherheit bezüglich Verbleiberecht nach Auflösung der Ehe- oder Familiengemeinschaft erfüllen konnte oder nicht. Nicht viel Hoffnung 182 Parlamentarische Initiative GOLL, S. 1. Vgl. etwa BGE 122 I 267, E. 3c), in dem das Bundesgericht entschied, dass „es indessen nicht der Sinn des Instituts der Aufenthaltsbewilligung [sei], den Beschwerdeführern zu einem Ausweg aus ihren familiären Problemen zu verhelfen und sie vor ihrem gewalttätigen Ehemann, bzw. Vater zu schützen.“ 184 Stellungnahme des Bundesrates zur Initiative GOLL, S. 5035. 185 Ständerat FORSTER-VANNINI, AB 2001, S. 898 f. 186 CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 2. 187 Botschaft AuG, Rn 1.3.7.6. Für Familienangehörige von Schweizerinnen und Schweizern führte der Wechsel zum neuen Recht jedoch auch zu einer markanten Verschlechterung ihrer rechtlichen Situation, da mit Inkrafttreten des AuG das Erfordernis des Zusammenlebens für sie eingeführt wurde: Vgl. Art. 42 Abs. 1 AuG und die Ausführungen unter B.IV.2. 188 Initiative BERNASCONI. 189 Initiative BERNASCONI, S. 1. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Initiative unter Hinweis auf die damit verbundene Erleichterung von Scheinehen. 183 28 lassen die bereits vor und kurz nach Inkrafttreten publizierten Berichte der Fachstelle gegen Gewalt, welche lapidar festhalten, dass das AuG für Gewaltbetroffene – die nicht aus der EU/EFTA stammen – keine Verbesserung herbeiführt.190 2010 reichte die Parlamentarierin CHRISTINE GOLL ein Postulat ein mit dem Auftrag zu überprüfen, ob der neue Artikel 50 AuG die erhofften Ziele erreiche. Der Bundesrat zeigte sich in seiner Stellungnahme bereit, eine entsprechende Evaluation in den kommenden drei Jahren vorzunehmen. Das Postulat wurde 2011 zurückgezogen, jedoch erhebt das SEM halbjährlich statistische Angaben bezüglich abgelehnter Gesuche nach Art. 50 AuG bei den Kantonen.191 2. Persönlicher und sachlicher Geltungsbereich Wie schon erwähnt, kann die Auflösung von Ehe- oder Familiengemeinschaften zu persönlichen Härtefällen führen. Diese können durch die Erteilung von Härtefallbewilligungen vermieden werden.192 Die Regelung von Art. 50 AuG findet Anwendung auf die Ehegatten und Kinder von Schweizerinnen und Schweizern (Art. 42 AuG) oder Ausländerinnen und Ausländern, die über eine Niederlassungsbewilligung in der Schweiz verfügen (Art. 43 AuG).193 Keine Anwendung findet Art. 50 AuG jedoch auf Ehegatten und Kinder von Ausländerinnen und Ausländern, die über eine Aufenthaltsbewilligung verfügen (Art. 44 AuG). Diese Konstellation wird vielmehr von Art. 77 VZAE erfasst und in der vorliegenden Arbeit unter C.IV behandelt.194 Den Eheleuten rechtlich gleichgestellt sind gemäss Art. 52 AuG eingetragene gleichgeschlechtliche Paare. 195 Die nachstehenden Ausführungen gelten für gleichgeschlechtliche Paare somit sinngemäss. Zwar spricht der Gesetzestext von Art. 50 Abs. 1 lit. a nur von der Auflösung der Ehegemeinschaft – welcher in der Praxis auch die grössere Bedeutung zukommt – doch wird vom Geltungsbereich auch die Auflösung der Familiengemeinschaft umfasst.196 Anders als die Formulierung von Art. 50 Abs. 1 AuG vermuten lässt, kommt dieser Artikel nicht erst im Fall der formellen Auflösung der Ehe (sprich durch ein Scheidungsurteil) zur Anwendung, sondern schon im Fall des definitiven 190 Zwischenbericht der Fachstelle gegen Gewalt, S. 3; Schlussbericht der Fachstelle gegen Gewalt, S. 2. Rundschreiben Eheliche Gewalt, S. 5. 192 M.w.H. BFM Weisungen AuG, Rn 6.15.1; Botschaft AuG, Rn 1.3.7.6. 193 Ebd.; CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 5. 194 Für die Ehegatten und Kinder von Personen mit einer Kurzaufenthaltsbewilligung gemäss Art. 45 AuG besteht im Fall der Auflösung der Ehe- und Familiengemeinschaft keine Regelung. Siehe dazu C.IV. 195 Das SEM statuiert in diesem Zusammenhang weiter, dass gleichgeschlechtlichen Paaren, die sich beispielsweise aufgrund von Diskriminierungen im Herkunftsland nicht eintragen lassen können, eine Härtefallbewilligung gestützt auf Art. 31 VZAE erteilt werden kann: BFM Weisungen AuG, Rn 6.1.8. 196 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 2, welcher als Beispiel die alleinerziehende Mutter, welcher das Sorgerecht entzogen und deren Kind fremdplatziert wird, nennt. SPESCHA geht dabei davon aus, dass nur von einer Auflösung der Familiengemeinschaft gesprochen werden kann, wenn neben dem Verlust des Sorgerechts – und der damit zusammenhängenden räumlichen Trennung – auch kein persönlicher Verkehr mehr ausgeübt werden kann. 191 29 Scheiterns der Ehe.197 Wann eine Ehe als definitiv gescheitert betrachtet werden kann, wird unter C.III.4.a.ii ausführlich behandelt. Ist die Ehe definitiv gescheitert, erlöschen die Ansprüche der nachgezogenen Familienangehörigen auf Anwesenheitsbewilligungen und ein Anspruch auf einen weiteren Verbleib ist nur noch im Geltungsbereich von Art. 50 AuG – unter Erfüllung bestimmter Voraussetzungen – möglich.198 Art. 50 AuG setzt voraus, dass eine Ausreisepflicht – sprich eine Verweigerung oder Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung – in der konkreten Situation als unzumutbar erscheint. Wann eine Ausreise als unzumutbar angesehen werden kann, führen Art. 50 Abs. 1 lit. a und lit. b AuG näher aus.199 Daneben sind bei der Beurteilung der Zumutbarkeit insbesondere die Umstände der Auflösung der Ehegemeinschaft, die Aufenthaltsdauer in der Schweiz, die Verbindungen zur Schweiz und zum Heimatland sowie die Integrationsschwierigkeiten bei einer Rückkehr stets mitzuberücksichtigen.200 Hingegen ist eine Ausreise zumutbar, wenn der Betroffene sich nur für kurze Zeit in der Schweiz aufgehalten hat, keine intensiven Beziehungen zur Schweiz bestehen und eine Reintegration im Heimatland keine Schwierigkeiten bereiten würde.201 Sind weder die Bedingungen von Art. 50 Abs. 1 lit. a noch diejenigen von lit. b AuG erfüllt, so liegt die Verlängerung – oder vielmehr aufgrund des geänderten Aufenthaltszweckes die Erteilung202 – einer Aufenthaltsbewilligung im Ermessen der Behörde und bestimmt sich gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG.203 Hat die Ehe länger als fünf Jahre gedauert, so besteht ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung und somit auf ein selbständiges Aufenthaltsrecht (Art. 42 Abs. 3 und Art. 43 Abs. 3 AuG).204 Nicht nur der Anspruch auf Familiennachzug, sondern auch das Verbleiberecht erlischt, wenn eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung vorliegt (Art. 51 Abs. 2 AuG) oder Widerrufsgründe vorliegen (Art. 62 AuG).205 Der rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung gemäss Art. 51 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 50 AuG verbleibt jedoch ein kleiner Anwendungsbereich206 : In einem ersten Schritt ist stets zu untersuchen, ob die Voraussetzungen gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG erfüllt 197 CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 8; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 1. CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 9 f. 199 Ebd., Rn 12 f.; HUGI YAR, S. 68. 200 BGE 136 II 1, E. 5.1; vgl. Botschaft AuG, S. 3754. 201 BFM Weisungen AuG, Rn 6.15.1. 202 Vgl. Art. 54 VZAE. 203 CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 19; a.M. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 11. 204 Vgl. CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 19; HUGI YAR, S. 73. Zu den Widerrufsgründen siehe B.IV.2.c. 205 CARONI, Kommentierungen zu Art. 51, Rn 30. 206 Ebd.; vgl. UEBERSAX, Der Rechtsmissbrauch im Ausländerrecht, S. 25 f. 198 30 sind, da ansonsten die Bestimmung ohnehin keine Anwendung findet.207 Sind die Voraussetzungen gegeben, stellt sich die Frage, ob das betroffene Ehepaar vor Auflösung der Ehegemeinschaft nur zum Schein zusammengewohnt hat, um die Dreijahresfrist zu erfüllen. Stellt sich tatsächlich heraus, dass die Ehegatten die Haushaltsgemeinschaft lediglich zum Schein aufrecht erhalten haben, wird die entsprechende Dauer nicht an die Dreijahresfrist angerechnet.208 In Fällen, in denen das Zusammenwohnen keine Voraussetzung darstellt, wie gemäss Art. 42 Abs. 2 AuG – und wie unter B.II schon erwähnt gemäss FZA –, sind Rechtsmissbrauchssituationen eher denkbar.209 Es ist zu betonen, dass die Berechnung, ab wann eine Ehe nur noch formellen Bestand hat, nahezu unmöglich ist, was eine dementsprechende Rechtsunsicherheit zur Folge hat.210 Im Folgenden – jedoch für die gesamte Masterarbeit einschlägig – soll die Theorie zum unbestimmten Rechtsbegriff erläutert werden und Schlüsse gezogen werden, welche Auswirkungen diese unbestimmten Rechtsbegriffe auf die Stellung der Betroffenen haben. 3. Exkurs: Der unbestimmte Rechtsbegriff Sowohl bei unbestimmten Rechtsbegriffen als auch bei Ermessensbestimmungen (siehe dazu C.IV.2) handelt es sich um offene Normen. Offen formulierte Normen eröffnen den zuständigen Behörden Handlungsspielräume und dienen dazu, den Umständen im Einzelfall genügend Rechnung zu tragen.211 Bei unbestimmten Rechtsbegriffen ist die Tatbestandsseite offen umschrieben, das bedeutet, dass die Frage, ob der Tatbestand einer Norm erfüllt ist, eine Konkretisierung seitens der anwendenden Behörde verlangt.212 Im Rahmen von Art. 50 AuG liegen etwa folgende unbestimmte Rechtsbegriffe vor: Eine erfolgreiche Integration, wichtige persönliche Gründe, die einen weiteren Aufenthalt erforderlich machen, eheliche Gewalt von gewisser Intensität und eine starke Gefährdung der Wiedereingliederung. Auch beim Begriff Härtefall handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. 213 Die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffes stellt eine Rechtsfrage dar und ist somit immer Folge einer rechtlichen Auslegung.214 Das Resultat dieser Auslegung kann grundsätzlich von allen Gerichten überprüft werden.215 In der Praxis erfolgt diese grundsätzlich freie Überprüfung aber oft mit Zurückhaltung (beispielsweise aufgrund grösserem Fachwissen und grösserer Nähe zu den tatsächlichen und örtlichen Gegebenheiten).216 Dies hat 207 Zum Ganzen BGE 136 II 113, E. 3.2. HUGI YAR, S. 70. 209 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 51, Rn 2c und 7. 210 UEBERSAX, Das AuG von 2005, S. 33. 211 TSCHANNEN / ZIMMERLI / MÜLLER, § 26, Rn 1 f. Offene Normen sind vor allem dort zweckmässig, wo der Gesetzgeber die Möglichkeiten von verschiedenen Sachverhalten nicht abschliessend erfassen kann: HÄFELIN / MÜLLER / UHLMANN, Rn 428 f. 212 TSCHANNEN / ZIMMERLI / MÜLLER, § 26, Rn 25; kritisch zur Unterscheidung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge: HÄFELIN / MÜLLER / UHLMANN, Rn 451 f. 213 Vgl. TSCHANNEN / ZIMMERLI / MÜLLER, § 26, Rn 26. 214 Ebd., § 26, Rn 28. 215 M.w.H. HÄFELIN / MÜLLER / UHLMANN, Rn 446b ff. 216 Ebd., Rn 446c f.; m.w.H. TSCHANNEN / ZIMMERLI / MÜLLER, § 26, Rn 29. 208 31 sodann zur Folge, dass den Behörden im Rahmen von unbestimmten Rechtsbegriffen ein Beurteilungsspielraum zukommt, welcher von den Beschwerdeinstanzen nicht voll überprüft wird.217 Zwingende Voraussetzung ist stets, dass die zuständige Behörde alle relevanten Aspekte untersucht und die dazu notwendigen Abklärungen getroffen hat.218 In der Lehre wird teilweise statuiert, dass auch unbestimmte Rechtsbegriffe eine Quelle echten Ermessens darstellen.219 Obwohl die rechtliche Verankerung des Verbleiberechts begrüssenswert ist, wurden doch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe eingeführt, die faktisch zu grossen Beurteilungsspielräumen für die zuständigen Behörden führen.220 Diese wiederum führen zu einer Rechtsunsicherheit für die Betroffenen.221 Es erscheint somit fraglich, ob Sinn und Zweck von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG, der zum Ziel hatte die kantonalen Praxen zu vereinheitlichen und Härtefälle zu vermeiden, erfüllt werden kann.222 Im Folgenden sollen diese unbestimmten Rechtsbegriffe deshalb genauer ausgelegt werden. 4. Die Folgen einer Auflösung a. Die Voraussetzungen gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG i. Allgemeines Liegen die Voraussetzungen gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG – der Bestand einer mindestens dreijährigen Ehe und eine erfolgreiche Integration – vor, muss von einer unzumutbaren Rückkehr ausgegangen werden und es besteht ein Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung. Demnach verbleibt den Behörden in dieser Konstellation im Vergleich zu Abs. 1 lit. b und Abs. 2 ein kleinerer Beurteilungsspielraum.223 ii. Drei Jahre Als erste Bedingung wird das Bestehen einer dreijährigen Ehe vorausgesetzt. Für die Berechnung der drei Jahre von Bedeutung ist die Dauer, in der die Ehegemeinschaft tatsächlich gelebt wurde und ein entsprechender Ehewille bestand.224 Die Dauer der Ehegemeinschaft beginnt bei Eheschluss respektive Zusammenziehen der Ehegatten in der Schweiz zu laufen und nur die in der Schweiz verbrachte Dauer wird an die Frist angerechnet.225 Gegen diese Rechtsprechung spricht vor allem, dass der Gesetzestext von Art. 50 Abs. 1 AuG (entgegen demjenigen von Art. 77 Abs. 1 217 HÄFELIN / MÜLLER / UHLMANN, Rn 446b. TSCHANNEN / ZIMMERLI / MÜLLER, § 26, Rn 29. 219 HÄFELIN / MÜLLER / UHLMANN, Rn 446; vgl. TSCHANNEN / ZIMMERLI / MÜLLER, § 26, Rn 1 und 31 ff. 220 Vgl. BFM Rundschreiben Eheliche Gewalt, S. 1. 221 Vgl. BERTSCHI, S. 609 ff. 222 BGer 2C_590/2010 vom 29.11.2010, E. 2.5.2; Botschaft AuG, S. 3754. 223 CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 12. 224 CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 16. 225 BGE 137 II 345, E. 3.3.1; BGE 136 II 113, E. 3.3, in welchem das Bundesgericht sich erstmalig zur Frage äusserte, welche Ehedauer an die Frist angerechnet wird. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50 Rn 4 und 7. 218 32 lit. a VZAE 226 ) nicht nur die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, sondern auch die (erstmalige) Erteilung jener umfasst.227 Für die bundesgerichtliche Rechtsauffassung spricht hingegen die zusätzlich zu erfüllende Voraussetzung der Integration (Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG), welche ohne vorausgehenden Aufenthalt in der Schweiz wohl kaum je erfüllt werden könnte.228 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung gilt die Dreijahresfrist absolut, jedoch sind Unterbrechungen möglich.229 So entschied das Bundesgericht in einem Fall, in dem die Ehegemeinschaft zwei Jahre, elf Monate und zwanzig Tage dauerte, dass die Dreijahresfrist nicht erfüllt sei.230 Den Vorwurf des überspitzten Formalismus (Art. 29 Abs. 1 BV) hat das Bundesgericht mit der Begründung abgelehnt, dass die Anwendung von Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG praktikabel und rechtsgleich erfolgen soll.231 Es wäre m.E. ebenfalls fraglich, inwiefern die – insbesondere im Hinblick auf das Erfordernis der erfolgreichen Integration ohnehin schwierige – rechtsgleiche Anwendung von Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG noch gewährleistet werden könnte, wenn das Fristerfordernis seiner Kontur enthoben würde.232 Um die Dreijahresfrist zu berechnen, ist im konkreten Einzelfall zu bestimmen, ab wann eine Ehegemeinschaft als definitiv gescheitert betrachtet werden kann. 233 Da sich eine bestehende Ehegemeinschaft gegen Aussen hin oft durch das Führen eines gemeinsamen Haushaltes kennzeichnet234, wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die Ehegemeinschaft mit Auflösung der Haushaltsgemeinschaft endet.235 Diese Rechtsprechung wird mitunter kritisiert, verkennt sie doch den Umstand, dass in der heutigen Zeit viele verschiedene Formen von gelebten Ehe- und Familiengemeinschaften bestehen236 und ihre Berechtigung haben sollen.237 Des Weiteren zeigt sie die Notwendigkeit einer geeigneten Definition der Ehe auf: So befand das Bundesgericht etwa, dass „freundschaftliche Kontakte, auch zwei oder drei Mal die Woche, für die Annahme einer gelebten Ehegemeinschaft nicht genügen“.238 Es ist jedoch zu beachten, dass die Annahme, dass eine Ehe bei Auflösung der Haushaltsgemeinschaft gescheitert ist, nur in denjenigen Fällen Geltung erlangen kann, in denen das Zusammenwohnen eine Voraussetzung für den 226 Siehe dazu die Ausführungen unter C.IV. CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 18. 228 BGE 136 II 113, E. 3.3; CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 18. 229 BGer 2C_430/2011 vom 11.10.2011, E. 4.1.2. Mehrere kürzere Ehegemeinschaftsdauern können jedoch nicht kumuliert werden: BGer 2C_773/2013 vom 25.3.2014, E. 3.7. 230 BGer 2C_195/2010 vom 23.6.2010, E. 5.1. 231 BGer 2C_985/2014 vom 5.11.2014, E. 2.3; gl.M. HUGI YAR, S. 71 f. 232 Vgl. HUGI YAR, S. 71. 233 BGE 137 II 345, E. 3.1.2; HUGI YAR, S. 69. 234 Vgl. BGer 2C_416/2009 vom 8.9.2009, E. 2.1.2; m.w.H zum Rechtsmissbrauchsverbot: BGE 136 II 113, E. 3.2; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50 Rn 1. 235 BGE 136 II 113, E. 3.2; CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 16; SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 232 f.; insbesondere zur Beweisschwierigkeit: SPESCHA, Zwischen Hoffen und Bangen, S. 105 ff. 236 Insbesondere das living apart together. 237 CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 16; SPESCHA, Verdammt zum Eheglück, S. 311 f. 238 BGer 2C_278/2008 vom 18.6.2008, E. 4.2 f.; m.w.H. SPESCHA, Verdammt zum Eheglück, S. 308 f. und 312 sowie zur Suche nach einer tauglichen Ehedefinition: SPESCHA, Zwischen Hoffen und Bangen, S. 96 ff. 227 33 Familiennachzug darstellt und gilt folglich für Fälle gemäss Art. 42 Abs. 2 AuG e contrario nicht.239 Wird aus beruflichen Gründen oder aufgrund vorübergehender Eheprobleme der gemeinsame Haushalt aufgehoben, folgt daraus nicht immer das Erlöschen des Ehewillens. Diesem Umstand trägt Art. 49 AuG Rechnung.240 CARONI geht daher erst von einer gescheiterten Ehe aus, wenn die Ehegatten ein voneinander unabhängiges Leben führen und auch die wirtschaftlichen Verhältnisse getrennt geregelt werden.241 Sie geht aber noch weiter und verlangt, dass selbst bei Anordnung von Eheschutzmassnahmen nicht automatisch von einem Scheitern der Ehe ausgegangen werden dürfe. Sollen die Massnahmen gemäss Art. 171 ff. ZGB ja gerade die Ehe schützen und nicht deren Auflösung herbeiführen.242 Dies mag im Ergebnis wohl richtig und begrüssenswert sein, doch steht die Begründung m.E. auf wackligen Beinen, dienen die Eheschutzmassnahmen gemäss Art. 171 ff. ZGB grundsätzlich schon lange nicht mehr dazu, eine Ehe zu retten, sondern vielmehr die Scheidung derselben vorzubereiten. 243 Ebenso die Schlussfolgerung von CARONI / BOLZLI, welche argumentieren, dass im Sinne von Art. 114 ZGB eine Scheidung vor Ablauf von zwei Trennungsjahren nicht möglich sei und analog vor Ablauf einer zweijährigen Trennungsfrist an die Trennung keine ausländerrechtlichen Folgen geknüpft werden dürfen. 244 Diese Argumentation übersieht m.E., dass die schwammige Diskussion über eingehaltene Fristen sich von der Frage „wann die Haushaltsgemeinschaft aufgehoben wurde“ auf die Frage „wann haben sich die Ehegatten getrennt“ verschiebt. Viel einfacher und praktikabler wäre es, das Erfordernis des Zusammenwohnens – analog zu Art. 42 Abs. 2 AuG und der Regelung im FZA und somit dem Gebot der Rechtsgleichheit entsprechend – aufzuheben.245 iii. Erfolgreiche Integration Gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG hat zusätzlich zum Erfordernis der Dreijahresfrist das Erfordernis der erfolgreichen Integration vorzuliegen. 246 Dabei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff.247 Gemäss Art. 77 Abs. 4 VZAE spricht für eine erfolgreiche Integration, wenn die rechtsstaatliche Ordnung und die Werte der BV respektiert werden sowie der Wille zum Erlernen 239 GEISER / BUSSLINGER, Rn 14.148; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 1. Auch im Rahmen des FZA gilt diese Voraussetzung nicht: Art. 3 Anhang I FZA e contrario. Siehe dazu C.II. 240 Weitere Ausführungen zu Art. 49 AuG siehe unter B.IV. CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 16. Im Fall von rechtmässig begründeten getrennten Wohnsitzen, stellt sich weiter die Frage, ob lediglich die Dauer vor und nach Getrenntleben zu addieren ist oder – wie SPESCHA befürwortet – auch die Dauer des Getrenntlebens für die Bemessung der drei Jahre zu berücksichtigen ist: SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2012/2013, S. 976 f.; gl.M. HUGI YAR, S. 69 f. 241 CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 9. 242 Ebd., Rn 17. 243 BÜCHLER / VETTERLI, S. 84. 244 CARONI / BOLZLI, S. 124. 245 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte von Art. 7 ANAG und zu den Argumenten für die Nichtaufnahme der Voraussetzung des Zusammenwohnens in denselben: BGE 118 Ib 145, E. 3. 246 Vgl. BFM Weisungen AuG, Rn 6.15.2; CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 20. 247 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 5. 34 einer Landessprache (vgl. Art. 54 Abs. 1 AuG) und zur Teilnahme am Wirtschaftsleben vorliegen.248 Diese beispielhaften Kriterien stellen jedoch keine zwingenden Voraussetzungen dar, es braucht bei der Beurteilung vielmehr eine Abwägung aller Umstände im Einzelfall249 und der zuständigen Behörde kommt somit ein Beurteilungsspielraum zu.250 Unter anderem wird aber gefordert, dass keine übersetzten Anforderungen an das Vorhandensein einer erfolgreichen Integration gestellt werden.251 Mangelnde Sprachkenntnisse252 oder eine Sozialhilfeabhängigkeit bedeuten so nicht ohne Weiteres, dass die betroffene Person nicht erfolgreich integriert ist. 253 Beispielsweise spricht die Sozialhilfeabhängigkeit einer alleinerziehenden Mutter nicht automatisch für eine fehlende Integration.254 Auch die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht weist daraufhin, dass die zuständigen Behörden Fälle traditioneller Rollenverteilung, in denen sich Frauen um den Haushalt und Kinder kümmern, berücksichtigen müssen. Gemäss derselben sind auch Situationen, in denen Frauen von ihren Ehemännern bewusst an der Integration gehindert (beispielsweise wird ihnen verboten einen Sprachkurs zu besuchen) und so sozial isoliert werden, nicht selten.255 Voraussetzung für einen Anspruch gestützt auf Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG ist sodann lediglich eine erfolgreiche Integration und keine „speziell erfolgreiche Integration mit besonders intensiven Beziehungen“ wie etwa gemäss der Rechtsprechung im Geltungsbereich von Art. 8 EMRK.256 b. Die Voraussetzungen gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG (oder der sogenannte nacheheliche Härtefall) Sind die Voraussetzungen von Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG nicht erfüllt, so kann trotzdem ein Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung entstehen, wenn jeweils 248 Eine erfolgreiche Integration wurde beispielsweise verneint in BGer 2C_195/2010 vom 23.6.2010, E. 5.2. Beachte hierzu ausserdem Art. 4 der Verordnung über Integration von Ausländerinnen und Ausländern (VIntA). Für weiterführende Hinweise zur Frage der Integration siehe die BFM Weisungen zur Integration sowie das BFM Rahmencurriculum von LENZ / ANDREY / LINDT-BANGERTER. 249 BGer 2C_749/2011 vom 20.1.2012, E. 3.3: Die berufliche Integration setzt aber eben keinen besonders qualifizierten beruflichen Werdegang voraus und auch eine Arbeitslosigkeit von verhältnismässiger Dauer reichen nicht aus, um eine Integration im Generellen zu verneinen. So wurde etwa die berufliche Integration bei einer Arbeitslosigkeit von elf Monaten im Verhältnis zu einer Arbeitstätigkeit von drei Jahren bejaht. Massgebend ist somit, ob die betroffene ausländische Person für ihre Bedürfnisse aufkommen kann, nicht von der Sozialhilfe abhängig ist oder verschuldet ist: BGer 2C_430/2011 vom 11.10.2011, E. 4.2. 250 Vgl. BGer 2C_430/2011 vom 11.10.2011, E. 4.2; BRYNER, Die Frau im Migrationsrecht, Rn 27.38; CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 21. 251 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 235; vgl. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 5. 252 M.w.H. bezüglich des Erfordernisses der Sprachkenntnisse: BVGer C-6240/2008 vom 23.12.2011, E. 6.36.5. 253 Statt vieler BGer 2C_427/2011 vom 26.10.2011, E. 5.3, bei einer Person, die in das Wirtschaftsleben der Schweiz integriert ist, nie Sozialhilfe empfangen hat, mit den rechtsstaatlichen Werten zu keinem Zeitpunkt in Konflikt gekommen ist und die Landessprache am Aufenthaltsort spricht, braucht es gewichtige Argumente, um das Kriterium der erfolgreichen Integration zu verneinen. BGer 2C_430/2011 vom 11.10.2011, E.4.2, es wird nicht verlangt, dass eine qualifizierte Arbeitsbeschäftigung vorliegt oder eine ununterbrochene Erwerbstätigkeit. CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 21. 254 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 5. 255 DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 23. 256 BGer 2C_276/2012 vom 4.12.2012, E. 2.2.3; HUGI YAR, S. 76. 35 wichtige persönliche Gründe nach lit. b vorliegen, die einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen.257 Mit Hilfe dieser Regelung sollen nacheheliche ausländerrechtliche Härtefälle vermieden werden.258 Ob ein persönlicher schwerwiegender Härtefall vorliegt, muss von der zuständigen Behörde unter Beachtung der Gesamtumstände des Einzelfalles geprüft werden und es kommt ihr ein vergleichsweise grösserer Beurteilungsspielraum zu als im Geltungsbereich von Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG. 259 Damit ein nachehelicher Härtefall bejaht werden kann, setzt das Bundesgericht „eine erhebliche Intensität der Konsequenzen für das Privat- und Familienleben der ausländischen Person voraus, die mit deren Lebenssituation nach dem Dahinfallen [...] der abgeleiteten Anwesenheitsberechtigung verbunden sind.“260 Voraussetzung ist, dass die Existenz der betroffenen Person im Vergleich mit derjenigen anderer Ausländerinnen und Ausländern überdurchschnittlich schwer betroffen ist und zwar in einem Masse, dass ihr nicht zumutbar ist, in ihr Herkunftsland zurückzukehren.261 Der Gesetzgeber bestimmt im AuG verschiedene Arten von Härtefällen. So kann neben dem nachehelichen Härtefall gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG in Verbindung mit Art. 31 VZAE auch gestützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG in Verbindung mit Art. 31 VZAE – bei einem sogenannten allgemeinen ausländerrechtlichen Härtefall – eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. Und zwar an Personen ohne Aufenthaltsstatus oder Erwerbstätigkeit, an Konkubinatspaare mit und ohne Kindern sowie gleichgeschlechtliche Paare, welche nicht in eingetragener Partnerschaft leben. Des Weiteren an Opfer und Zeuginnen und Zeugen von Menschenhandel. Aber auch für den Aufenthalt zur Vorbereitung der Heirat kann eine vorübergehende Aufenthaltsbewilligung erteilt werden. Gemäss Art. 84 Abs. 5 AuG kann zudem Personen mit vorläufiger Aufnahme und gemäss Art. 14 Abs. 2 lit. c AsylG Asylsuchenden bei Vorliegen von schweren persönlichen Härtefällen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt werden.262 Im Unterschied zu einer allgemeinen ausländerrechtlichen Härtefallbewilligung gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG, bei welcher die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung im Ermessen der Behörden liegt, statuiert Art. 50 Art. 1 lit. b AuG – soweit die Voraussetzungen erfüllt sind – einen Anspruch.263 Weiter darf im Anwendungsbereich von Art. 50 Art. 1 lit. b AuG – im Gegensatz zu demjenigen von Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG – das öffentliche Interesse an einer restriktiven Einwanderungspolitik bei der Beurteilung, ob ein persönlicher Härtefall vorliegt, keine 257 BGE 137 II 345, E. 3.2.1. BGE 136 II 1, E. 5.3; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 7. 259 BFM Weisungen AuG, Rn 5.6.1; CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 13; vgl. HUGI YAR, S. 78; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 7. 260 BGE 137 II 345, E. 3.2.3. 261 Statt vieler BGE 137 II 345, E. 3.2.3; BFM Weisungen AuG, Rn 5.6.1. 262 Zum Ganzen ausführlich BFM Weisungen AuG, Rn 5.6.2 f. 263 BGE 137 II 345, E. 3.2.1; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 7. 258 36 Beachtung finden.264 Das Bundesgericht führt dazu aus, dass das Ziel ist, den unbestimmten Rechtsbegriff der wichtigen persönlichen Gründe „mit Inhalt zu füllen“ und nicht eine Interessenabwägung vorzunehmen. 265 Ausschlaggebend sind demnach einzig und allein die persönlichen Folgen für die betroffene ausländische Person.266 Bei der Ermessensbewilligung gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG hingegen hat die Behörde die öffentlichen Interessen, wie etwa gesamtwirtschaftliche Interessen oder kulturelle und wissenschaftliche Bedürfnisse, aber auch soziale, demographische und gesellschaftliche Entwicklungen, miteinzubeziehen.267 Darüber hinaus hat sie die persönlichen Verhältnisse der betroffenen Person, beispielsweise den Gesundheitszustand, die familiären Verhältnisse und die Beziehungen zur Schweiz und zum Heimatland sowie den Grad der Integration, zu berücksichtigen.268 Nach Gesagtem kann geschlossen werden, dass Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG als lex specialis der allgemeinen Härtefallregelung von Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG vorgeht.269 Die Situation des persönlichen Härtefalles muss sich unzweifelhaft aufgrund der Auflösung der Ehe- oder Familiengemeinschaft ergeben.270 So geht der Anspruch aus Art. 50 AuG beispielsweise unter, wenn die Hausgemeinschaft aufgelöst wird, ohne dass ein wichtiger Grund dafür vorliegen würde. In der Folge lebt dieser grundsätzlich auch nicht wieder auf.271 Auch die Kriterien von Art. 31 VZAE können bei der Beurteilung gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG ins Gewicht fallen, allerdings können sie für sich alleine keinen Härtefall begründen.272 Es sind dies die Beachtung des Integrationsgrades, die vorliegenden Familienverhältnisse, die finanziellen Verhältnisse sowie die berufliche Eingliederung, die Anwesenheitsdauer in der Schweiz und der Gesundheitszustand der betroffenen Person und die Möglichkeit der Wiedereingliederung im Herkunftsland (Art. 31 Abs. 1 lit. a-g VZAE).273 Umstritten ist, ob der Verweis in Art. 31 VZAE auf Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG sinnvoll ist: Denn im Vergleich zu den anderen Härtefallsituationen, auf welche Art. 31 VZAE verweist, statuiert Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG einen Anspruch.274 264 BGer 2C_365/2010 vom 22.6.2011, E. 3.2; BGE 137 II 345, E. 3.2.1. SPESCHA anerkennt eine restriktive Einwanderungspolitik auch im Geltungsbereich von Art. 30 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 96 Abs. 1 AuG nicht als generelles öffentliches Interesse an: SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 96, Rn 3. 265 BGer 2C_149/2011 vom 26.9.2011, E. 2.2 und 2.5. 266 BGer 2C_365/2010 vom 22.6.2011, E. 3.2; BGE 137 II 345, E. 3.2.1. 267 Vgl. Art. Art. 3 Abs. 1 und 3 und Art. 96 Abs. 1 AuG; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 96, Rn 3. 268 Ebd., Rn 4. 269 HUGI YAR, S. 96. 270 Ebd., S. 81, welcher darauf hinweist, dass die Rechtsprechung den hinreichenden Bezug des Härtefalles zur Auflösung noch nicht umfassend abgegrenzt hat, sondern diesen lediglich in Einzelfällen verneint hat. 271 Vgl. BGer 2C_590/2010 vom 29.11.2010, 2.5.3. Beachte hier auch den Wortlaut von Art. 50 Abs. 1 AuG „weiter bestehen“. 272 BGE 137 II 1, E. 4.1; BFM Weisungen AuG, Rn 6.15.3.1. 273 Ebd., Rn 5.6.4. 274 Die Frage aufgeworfen, jedoch offen gelassen in BGer 2C_216/2009 vom 20.8.2009, E. 2.2 und BGer 2C_195/2010 vom 23.6.2010, E. 6.3. Kritisch dazu CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 24. 37 c. Die wichtigen persönlichen Gründe gemäss Art. 50 Abs. 2 AuG i. Allgemeines Wichtige persönliche Gründe, die einen weiteren Verbleib in der Schweiz erforderlich machen, liegen gemäss Art. 50 Abs. 2 AuG insbesondere bei Fällen ehelicher Gewalt, stark gefährdeter sozialer Wiedereingliederung im Heimatland sowie bei Zwangsehen vor.275 Wie dem Wortlaut von Art. 50 Abs. 2 AuG zu entnehmen ist, ist diese Aufzählung nicht abschliessend.276 So fallen gemäss Lehre und Rechtsprechung unter wichtige persönliche Gründe gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG auch etwa der Tod des Ehegatten, gemeinsame Kinder sowie eine gesundheitliche Notlage.277 Den Gründen kommt zudem alternative Geltung zu, das heisst, jeder für sich kann das Vorliegen eines Härtefalles begründen.278 Sind in einem Fall mehrere dieser Gründe erfüllt, so kann grundsätzlich von einem Anspruch auf ein weiteres Verbleiberecht ausgegangen werden.279 Die Konkretisierung dieser Härtefallkriterien ist sodann eine ständige Aufgabe des SEM. 280 Gesamtschweizerisch richtungsweisend bei der Erläuterung der wichtigen Gründe war und ist zudem der erstmals 2007 veröffentlichte St. Galler Leitfaden betreffend „Häusliche Gewalt im Rahmen der Migrationsproblematik“.281 ii. Eheliche Gewalt (1) Aktuelle Fakten Bevor auf die eheliche Gewalt im Kontext von Art. 50 AuG eingegangen wird, sollen zuerst die aktuellen Zahlen häuslicher Gewalt und deren Risikofaktoren erläutert werden sowie die Wahrnehmung von häuslicher Gewalt in der Gesellschaft und deren Entwicklungen in der Politik und in der Gesetzgebung thematisiert werden.282 Vorab ist aber zu verdeutlichen, was überhaupt unter den Begriffen der häuslichen Gewalt, der Paargewalt und der ehelichen Gewalt zu verstehen ist. „Häusliche Gewalt liegt vor, wenn eine Person in einer bestehenden oder einer aufgelösten familiären oder partnerschaftlichen Beziehung in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität verletzt oder gefährdet wird und zwar entweder durch Ausübung oder 275 HUGI YAR, S. 79. Vgl. BGE 136 II 1, E. 5.3. 277 BGer 2C_540/2009 vom 26.2.2010, E. 2.1; Botschaft AuG, S. 3754; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 11. 278 BGE 136 II 1, E. 4 f.; BGer 2C_540/2009 vom 26.2.2010, E. 2.1; BFM Weisungen AuG, Rn 6.15.3.1. 279 BGE 136 II 1, E. 5.3. 280 BFM Rundschreiben Eheliche Gewalt, S. 1. 281 BERTSCHI, S. 611; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 10. 282 Die konsultierten Statistiken, Berichte und Gutachten enthielten keine spezifischen Zahlen zur ehelichen Gewalt, sondern bezogen sich in allgemeiner Weise auf die häusliche Gewalt oder Gewalt in Paarbeziehungen. 276 38 Androhung von Gewalt oder durch mehrmaliges Belästigen, Auflauern oder Nachstellen.“283 „Gewalt in Paarbeziehungen meint alle Formen von Gewalt in den verschiedensten Konstellationen von bestehenden oder aufgelösten Paarbeziehungen zwischen Erwachsenen. Konkret also körperliche, sexuelle oder psychische Gewalt in Ehe und Partnerschaft, bei heterosexuellen oder homosexuellen Paaren, bei gemeinsamem und getrenntem Wohnsitz und auch bei Paaren in der Phase der Trennung oder nach der Trennung.“284 Aus diesen Definitionen kann geschlossen werden, dass eheliche Gewalt eine spezifische Form von Paargewalt ist, welche wiederum eine spezifische Form von häuslicher Gewalt darstellt.285 Im Jahr 2013 wurden 16'495 Straftaten registriert, welche Fällen von häuslicher Gewalt zugeordnet werden konnten.286 In 51% der Fälle handelte es sich um Gewalt in einer bestehenden Paarbeziehung; in 29% der Fälle um Gewalt in einer aufgelösten Paarbeziehung.287 Aus Statistiken kann geschlossen werden, dass mehrheitlich Frauen Opfer von häuslicher Gewalt werden und dass bei den Frauen Ausländerinnen häufiger von häuslicher Gewalt betroffen sind.288 Diese Zahlen sind jedoch mit Vorsicht zu geniessen, berücksichtigt nämlich keine die Heterogenität der ausländischen Bevölkerung.289 Risikofaktoren können etwa individuelle Faktoren, wie Alter oder Isolation, aber auch sozioökonomische Faktoren sein, wie schlechte Arbeitsbedingungen oder gar Arbeitslosigkeit. Auch der Migrationskontext selbst bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich, welche Gewalt begünstigen können. So haben manche ausländische Personen schon Gewalterfahrungen in ihrer Heimat gemacht oder wuchsen in einem „gewaltbejahenden Umfeld“ auf. Aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse und Integration nehmen Betroffene zudem gar nicht oder nur zögernd behördliche Hilfeleistungen in Anspruch. Welchen Einfluss die Kultur der betroffenen Personen auf diese Risikofaktoren hat, wurde bisher nicht untersucht.290 283 SCHWANDER, Situation kantonaler Massnahmen, S. 13. EGGER / SCHÄR MOSER, S. 5; Gewalt in Paarbeziehungen - Bericht zum Forschungsbedarf, S. 7. 285 Vgl. EGGER / SCHÄR MOSER, S. 5. 286 Zahlen zu Häuslicher Gewalt in der Schweiz, S. 2, der Bericht geht dabei von der oben genannten Definition von häuslicher Gewalt aus. Nicht zu vergessen ist die hohe Dunkelziffer im Bereich von häuslicher Gewalt: Vgl. SCHWANDER, Situation kantonaler Massnahmen, S. 13. 287 Zahlen zu Häuslicher Gewalt in der Schweiz, S. 2. 288 DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, Vorwort; Informationsblatt Häusliche Gewalt im Migrationskontext, S. 2; m.w.H. Polizeilich registrierte häusliche Gewalt, S. 21 ff. und S. 33 f.; m.w.H. Zahlen zu Häuslicher Gewalt in der Schweiz. 289 Informationsblatt Häusliche Gewalt im Migrationskontext, S. 2 ff.: Zahlreiche Faktoren begünstigen Gewalt, eine Unterscheidung allein gestützt auf die Staatsangehörigkeit ist nicht ausreichend, um wissenschaftliche Schlüsse zu ziehen. 290 M.w.Verw. DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 8.; m.w.H. zum Risikofaktor Migration: EGGER / SCHÄR MOSER, S. 33 ff.; m.w.Verw. Informationsblatt Häusliche Gewalt im Migrationskontext, S. 5 f. 284 39 Seit 2004 sind die Körperverletzung gemäss Art. 123 Ziff. 2 StGB, die wiederholte Tätlichkeit gemäss Art. 126 Abs. 2 StGB, die Drohung gemäss Art. 180 Abs. 2 StGB, die sexuelle Nötigung gemäss Art. 189 StGB und die Vergewaltigung gemäss Art. 190 StGB in Ehe und Partnerschaft Offizialdelikte und werden somit von Amtes wegen verfolgt. 291 Im Gegensatz zu anderen Offizialdelikten des StGB kann gemäss Art. 55a StGB unter gewissen Voraussetzungen das Verfahren auf Antrag des Opfers sistiert oder eingestellt werden, wenn die Tat292 während der Ehe oder innerhalb eines Jahres nach Scheidung begangen worden ist. 293 Des Weiteren legt das Opferhilfegesetz (OHG)294 fest, dass die Kantone Beratungsstellen zur Verfügung stellen müssen. Auch das ZGB wurde um den Art. 28b 295 erweitert, welcher ein Annäherungs-, Orts- und Kontaktverbot (Abs. 1 Ziff. 1-3) sowie die Möglichkeit einer Wohnungsausweisung (Abs. 2 und 3) vorsieht. Um eheliche Gewalt umfassend und erfolgreich zu verhindern und bekämpfen, benötigt man vor allem Grundlagenarbeit bezüglich der Ursachen von Gewalt.296 Im Jahr 2005 erfolgte ein Postulat von DORIS STUMP, welches eine Untersuchung von Gewalt im sozialen Nahraum und einen Aktionsplan zur Verhinderung von Gewaltdelikten forderte. In Erfüllung dieses Postulats und gestützt auf eine Untersuchung des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG)297 , veröffentlichte der Bundesrat 2009 einen Bericht über Gewalt in Paarbeziehungen.298 Zur Umsetzung der darin statuierten Massnahmen übertrug der Bundesrat dem EBG die Aufgabe, einen Bericht über die Forschungslücken zu erstellen.299 291 Bericht Gewalt in Paarbeziehungen, S. 4100. Dies gilt nicht für die Vergewaltigung und die sexuelle Nötigung: Art. 55a StGB e contrario. 293 Informationsblatt Häusliche Gewalt in der Schweizer Gesetzgebung, S. 2 f. 294 In Kraft seit 1.1.2009. 295 In Kraft seit 1.7.2007. 296 Vgl. Gewalt in Paarbeziehungen - Bericht zum Forschungsbedarf, S. 8. 297 EGGER / SCHÄR MOSER: In der Studie werden insbesondere die bezeichnende Forschungsliteratur und die bestehenden rechtlichen Grundlagen erläutert. Weiter wurden Expertinnen und Experten befragt und die rechtliche Situation in sechs Kantonen umfassend beleuchtet. Die Studie weist daraufhin, dass der Vollzug von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG von Expertinnen und Experten als problematisch erachtet wird. Diese fordern eine Sensibilisierung der betroffenen Behörden und eine konsequente Anwendung der Härtefallbewilligung im Sinne des Opferschutzes, S. I ff. und S. 54. 298 Bericht Gewalt in Paarbeziehungen: Dieser umfasst zwanzig Massnahmen, mit denen die Prävention und Bekämpfung von Gewalt in Paarbeziehungen intensiviert werden soll. Unter anderem beauftragte der Bundesrat das SEM mit der Konkretisierung der Härtefallkriterien im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG und mit der Information und Weiterbildung von Arbeitenden im Migrationsbereich bezüglich häuslicher Gewalt sowie auch mit der Aufklärung von Ausländerinnen und Ausländern über ihre Rechte in Bezug auf häusliche Gewalt, S. 4119 f. Des Weiteren stellte er fest, dass die Anwendung der nachehelichen Härtefallregelung von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG untersucht werden sollte, S. 4106. Siehe zum Ganzen auch den Zwischenbericht Gewalt in Paarbeziehungen, S. 2424 f. 299 Gewalt in Paarbeziehungen - Bericht zum Forschungsbedarf. Dieser Bericht erläutert Ansätze für verschiedene wissenschaftliche Fragestellungen, vgl. S. 11-26. Dabei hebt der Bericht hervor, dass in der Forschung insbesondere ein Schwerpunkt in der Thematik Migration zu setzen und unter anderem zu erforschen ist, weshalb Gewalt bei Paaren mit Migrationshintergrund häufiger vorkommt, vgl. S. 27. 292 40 Die vielen Gesetzesänderungen und parlamentarischen Vorstösse in den letzten Jahren verdeutlichten, dass Gewalt in der Familie nicht mehr als reine Privatsache und Tabuthema erachtet wird. Eheliche Gewalt wird von der Gesellschaft wahrgenommen und thematisiert. Fraglich ist, was unter ehelicher Gewalt im Bereich des Ausländerrechts, in Bezug auf Art. 50 Abs. 2 AuG, gemeint ist und was für Konsequenzen diese Bestimmung nach sich zieht. Auf diese Fragestellungen soll im Folgenden eingegangen werden. (2) Auslegung Das Bundesgericht definiert die eheliche Gewalt im Kontext einer nachehelichen Härtefallbewilligung als „eine systematische Misshandlung mit dem Ziel, Macht und Kontrolle auszuüben“.300 Ob dabei physische oder psychische301 Gewalt ausgeübt wird, ist gleichbedeutend.302 Erforderlich ist einzig, dass der gewaltbetroffenen Person der weitere Verbleib beim Ehegatten unzumutbar ist. Unzumutbar ist eine Aufrechterhaltung der Beziehung, wenn die Persönlichkeit der betroffenen Person erheblich gefährdet ist.303 Die ausgeübte eheliche Gewalt muss somit eine gewisse Intensität erreichen.304 In diesem Zusammenhang führte das Bundesgericht aus, dass etwa eine einmalige Ohrfeige oder gelegentliche verbale Auseinandersetzungen die geforderte Intensität nicht erreichen.305 Erreicht die eheliche Gewalt eine erhebliche Intensität, sollen die betroffenen Personen die Haushaltsgemeinschaft verlassen können, ohne Rechtsnachteile davon tragen zu müssen.306 Diese staatlichen Schutzpflichten leiten sich gemäss dem BGE 138 II 229, E. 3.2.2 aus Art. 7 und 35 Abs. 1 und 3 BV und Art. 3 und 8 EMRK ab. Des Weiteren ist aber unter anderem auch Art. 10 BV, welcher jedem Menschen das Recht auf persönliche Freiheit zusichert, betroffen.307 Art. 50 AuG hat zum Ziel, diese staatlichen Schutzpflichten zu erfüllen und ist demgemäss 300 Statt vieler BGer 2C_295/2012 vom 5.9.2012, E.3.2 mit Hinweisen; BGE 138 II 229, E. 3.2.2; BGer 2C_428/2012 vom 18.5.2012, E. 2.2.3. 301 Im äusserst lesenswerten BGE 138 II 229, E. 3.2.2 führt das Bundesgericht aus, dass psychische Gewalt beziehungsweise sozioökonomische Druckausübung etwa bei anhaltenden Erniedrigungen, Beschimpfungen oder Drohungen vorliegt. 302 BFM Weisungen AuG, E. 6.15.3.4. 303 Statt vieler BGer 2C_554/2009 vom 12.3.2010, E. 2.1; Botschaft AuG, S. 3754. 304 BGE 136 II 1, E. 5.3; CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 34. 305 Die Intensität wurde verneint im Fall von Kratzspuren infolge einer einmaligen Gewalttätigkeit, da sich das Ehepaar in der Folge wieder annäherte: BGer 2C_690/2010 vom 25.1.2011, E. 3.2. BGer 2C_358/2009 vom 10.12.2009, E. 4.2 und 5.2, im Fall eines Ehepartners, welcher aus der Wohnung vertrieben wurde, dabei jedoch keinerlei physische oder psychische Schädigungen erlitt. BGer 2C_155/2011 vom 7.7.2011, E. 4.6, im Fall einer Ehefrau, die aufgrund der Eifersucht des Ehemannes aus der gemeinsamen Wohnung ausgesperrt wurde. Die Intensität wurde als nicht erreicht erachtet, zumal die Eifersucht durch die Ehefrau provoziert wurde. 306 BGE 138 II 229, E. 3.2.2. Ein Verbleiberecht im Rahmen eines nachehelichen Härtefalles muss auch erteilt werden, wenn nicht eheliche Gewalt vorliegt, sondern die Gewalt gegenüber den Kindern verübt wird. Trennt sich der Ehegatte, um die Kinder vor dem gewalttätigen Elternteil zu schützen, so muss dem Ehegatten und den gewaltbetroffenen Kindern analog ein Verbleiberecht zukommen: CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 36 und RASELLI / HAUSAMMANN / MÖCKLI / URWYLER, Rn 16.59. 307 MÜLLER / SCHEFER, S. 71 ff., insbesondere zu den staatlichen Schutzpflichten siehe S. 74 ff.; SCHWANDER, Gutachten, S. 4 f. Ausführlich zu einer möglichen indirekten Diskriminierung nach Art. 8 BV: BERTSCHI, S. 610. 41 auszulegen. Demnach darf der Staat keine zu hohen Voraussetzungen an das Verbleiberecht in der Schweiz stellen. 308 Die ausgeübte Gewalt muss von der betroffenen Person zumindest glaubhaft gemacht werden. Für den Nachweis 309 von ehelicher Gewalt dienen gemäss Art. 77 Abs. 6 VZAE beispielsweise Arztzeugnisse, Polizeirapporte, Strafanzeigen, Massnahmen gemäss Art. 28b ZGB oder strafrechtliche Verurteilungen. 310 Informationen von spezialisierten Fachstellen, wie beispielsweise behördlich anerkannter Frauenhäuser oder der Opferhilfe, werden mitberücksichtigt. 311 Diese Formulierung („mitberücksichtigen“) und der Umstand, dass diese Informationen nicht unter die anderen Hinweismöglichkeiten gemäss Abs. 6 eingefügt wurden, lassen die Vermutung aufkommen, dass der Gesetzgeber diesen ein geringeres Gewicht zukommen lassen möchte.312 Aussagen von Drittpersonen, wie beispielsweise Freunden oder Verwandten der gewaltbetroffenen Person, müssen gemäss SEM aufgrund von Sympathien stets mit kritischen Augen betrachtet werden.313 Das Opfer hat bei der Ermittlung der Umstände gemäss Art. 90 AuG eine Mitwirkungspflicht.314 Bloss allgemeine Aussagen auf eheliche Konflikte genügen demnach nicht, vielmehr braucht es eine geeignete Dokumentation der ausgeübten Gewalt.315 So muss das Vorliegen von psychischer Gewalt etwa „objektiv nachvollziehbar, konkretisiert und beweismässig unterlegt werden“ können.316 Eine strafrechtliche Verurteilung ist jedoch keine Voraussetzung, um einen nachehelichen Härtefall begründen zu können.317 Zusammenfassend kann somit gesagt werden, dass eine umfassende und vollständige Dokumentation von grosser Wichtigkeit ist.318 (3) Herrschende Kritik Zweifelsohne ist für gewaltbetroffene Ausländerinnen und Ausländer die Rechtsicherheit bezüglich ihres Aufenthaltsstatus von höchster Bedeutung. Bestimmend dafür ist, dass für Gewaltbetroffene klar ersichtlich ist, welche Bedingungen sie erfüllen müssen, um ein Verbleiberecht in der Schweiz zu erhalten. Denn es kann nicht sein, dass Opfer von Gewalt aus Angst vor den 308 BGE 138 II 229, E. 3.2.2; HUGI YAR, S. 85. Beachte Art. 77 Abs. 5 VZAE. 310 BFM Weisungen AuG, Rn 6.15.3.4; kritisch DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 10, gemäss welchen es im freien Ermessen der Behörde liegt, welche Nachweise sie annehmen oder nicht. 311 Am 1.1.2012 neu in Kraft getreten: Art. 77 Abs. 6bis VZAE. M.w.H. zu den Anforderungen an die Berichte: BFM Rundschreiben Eheliche Gewalt, S. 4. 312 Kritisch: DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 16, welche die Ansicht kritisieren, dass eine Strafanzeige als glaubhafter eingestuft wird als (lediglich zu berücksichtigende) Berichte von Fachstellen, da Letztere doch meist über geschultere Fachleute verfügen. 313 Vgl. BFM Rundschreiben Eheliche Gewalt, S. 4. 314 BGE 124 II 361, E. 2b; BFM Weisungen AuG, Rn 6.15.3.4. 315 BFM Rundschreiben Eheliche Gewalt, S. 4. 316 M.w.H. BGE 138 II 229, E. 3.2.3; HUGI YAR, S. 85. 317 BGE 138 II 229, E. 3.3.3, unbeachtlich ist demnach ebenfalls, ob ein entsprechendes Verfahren eingestellt worden ist. 318 BFM Rundschreiben Eheliche Gewalt, S. 4. 309 42 aufenthaltsrechtlichen Folgen in einer Beziehung ausharren. 319 Vermehrt regen sich jedoch kritische Stimmen, welche die geforderte Intensitätsstufe der Gewalt und die geforderten Nachweise derselben als zu hoch einstufen und den Schutz von Opfern häuslicher Gewalt durch diese zu hohen Anforderungen als torpediert ansehen. 320 Im Folgenden soll daher beleuchtet werden, ob das mit der Einführung von Art. 50 AuG insbesondere beabsichtigte Ziel des Opferschutzes tatsächlich erreicht wurde beziehungsweise erreicht werden kann. In diesem Zusammenhang folgt eine kritische Würdigung der ausländerrechtlichen Regelung, dies insbesondere mit Fokus auf sozialwissenschaftliche Aspekte und mit Blick auf Probleme in der Praxis. Wie schon ausführlich dargestellt wurde, sollen mit der Regelung von Art. 50 Abs. 2 AuG unter anderem für Gewaltbetroffene Härtefälle vermieden werden. Wie der unbestimmte Rechtsbegriff „eheliche Gewalt von einer gewissen Intensität“ ausgelegt wird, hat enorme Auswirkungen auf die Rechtstellung der Betroffenen. Die bundesgerichtliche Voraussetzung der gewissen Intensität hat zudem zur Folge, dass Fälle ehelicher Gewalt unterteilt werden in Fälle mit „genügend“ Gewalt und solchen mit „zu wenig“ Gewalt. Dies führt unter anderem zur kontroversen Situation, dass der Staat ein gewisses Mass an Gewalt toleriert und so auch legitimiert.321 Entgegen der Auffassung des Bundesgerichtes gehen GLOOR / MEIER in ihrem Grundlagenbericht322 zur Beurteilung von ehelicher Gewalt nicht vom Kriterium der Intensität aus, sondern von den „Verhaltensmustern der gewaltausübenden Personen“ und der „Gewalterfahrung und deren Auswirkungen auf Seiten der betroffenen Personen“. 323 Die Autorinnen kritisieren, dass das Kriterium der Intensität eine Fokussierung auf physische Gewalt und auf einzelne Gewaltausübungen impliziere.324 Sie führen weiter aus, dass generell eheliche Gewalt in der Gesellschaft und in der juristischen Praxis oft mit physischer Gewalt gleichgestellt wird: Unter anderem weil diese „sichtbare“ Gewalt einfach einer Dokumentation zugänglich ist und sich somit auch juristisch ohne weitere Probleme einordnen lässt. Diese Reduktion verkennt die verschiedenen Formen von ehelicher Gewalt: Beispielsweise 319 BERTSCHI, S. 605. Die Folgen des zivilstandsabhängigen Aufenthaltsrecht zu verhindern versucht auch die Istanbul-Konvention, welche von der Schweiz am 11.9.2013 unterzeichnet, bisher aber noch nicht ratifiziert wurde. So verpflichtet sie in Art. 59 Abs. 1 die Vertragsstaaten sicherzustellen, dass ein Opfer bei besonders schwierigen Umständen auf Antrag einen eigenständigen Aufenthaltstitel erhält. Weiter sollen die Vertragsstaaten garantieren, dass Opfer nicht zusammen mit dem Gewalttätigen – in Folge einer strafrechtlichen Verurteilung – ausgewiesen werden (Abs. 2). 320 DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 26; vgl. zudem GLOOR / MEIER, S. 21 ff.; SPESCHA, Verdammt zum Eheglück, S. 313. 321 DUBACHER / REUSSER stellen sich m.E. zu Recht die Frage, ob der Staat überhaupt das Recht hat darüber zu entscheiden, wie viel Gewalt einer Person im Einzelfall zugemutet werden kann: Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 17. GLOOR / MEIER, S. 5 und 22. 322 Die Soziologinnen GLOOR / MEIER wurden 2012 vom EBG, einen Grundlagenbericht bezüglich der bundesgerichtlichen Rechtsprechung „gewisse Intensität ehelicher Gewalt“ aus sozialwissenschaftlicher Sichtweise zu erstellen. 323 M.w.Verw. GLOOR / MEIER, S. 6. 324 Ebd., S. 21; DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 4, welche das Kriterium der Intensität als schwammig bezeichnen. 43 auch konstantes Einschüchtern, Drohen, die soziale Isolation oder eine ständige Kontrolle fallen unter die eheliche Gewalt, lassen sich mit einem rein physischen Gewaltverständnis jedoch nicht erfassen.325 Daher bezeichnen die Autorinnen den Begriff der ehelichen Gewalt als missverständlich und das Kriterium der Intensität als unzureichend. So empfehlen sie, dass bei der Beurteilung ehelicher Gewalt anstatt von der Intensität von den Verhaltensmustern der gewalttätigen Person und den Gewalterfahrungen des Opfers ausgegangen wird.326 Ihrer Meinung nach dürfen auch nicht einzelne Gewalthandlungen losgelöst betrachtet werden, sondern die einzelnen Handlungen sollen vielmehr in ihrem Zusammenhang und auch in ihrer Wechselwirkung analysiert werden.327 Um den missverständlichen Begriff der ehelichen Gewalt zu vermeiden, gehen die Autorinnen von einem „systematischen Gewalt- und Kontrollverhalten“ – welches wiederum den fortwährenden Charakter der Gewalthandlungen vor die einzelnen Gewalthandlungen stellt – oder von einem „situativ übergriffigen Konfliktverhalten“ aus.328 Besonderes Augenmerk ist dabei den Folgen von ehelicher Gewalt zu schenken: Liegen bei physischer Gewalt oft augenfällige Verletzungen vor, liegen bei erlittener psychischer Gewalt nicht sichtbare Folgen vor. So etwa psychische oder gesundheitliche Beeinträchtigungen oder (psycho-) somatische Störungen.329 In einem weiteren Schritt gehen GLOOR / MEIER in ihrem Bericht im Sinne einer Sensibilisierung auf Handlungen von Gewaltbetroffenen ein, die bei den zuständigen Behörden Misstrauen erwecken und auf den ersten Blick den Anschein machen, es möge keine oder eine nicht so schlimme Gewaltsituation vorliegen. Betrachtet man diese Handlungen aber im Zusammenhang mit einer gewaltgeprägten Ehe erscheinen sie verständlich: So etwa die Rückkehr zum Ehepartner330, der Rückzug einer Strafanzeige oder eine verspätete Anzeige, eine fehlende Kontaktaufnahme mit Hilfsstellen und fehlende Dokumentationen oder Zeugnisse.331 Es ist stets zu berücksichtigen, dass Gewaltbetroffene unter grossem Druck stehen: Entweder sie harren weiter in einer von Gewalt beherrschten Beziehung aus oder sie riskieren ihr Aufenthaltsrecht zu verlieren.332 Dies führt nicht nur zu einer doppelten Viktimisierung, sondern verstärkt ihre Abhängigkeit333 gegenüber dem oder 325 GLOOR / MEIER, S. 8. Ebd., S. 22. 327 Ebd., S. 6. 328 Ebd., S. 8 ff. 329 Ebd., S. 12. 330 So etwa in BGer 2C_690/2010 vom 25.1.2011, E. 3.2, in welchem das Bundesgericht entschied, dass aufgrund der Akten nur eine einmalige Gewalteskalation als erwiesen betrachtet werden könne und da sich die Beschwerdeführerin auf das Fortdauern der Ehe berufe und eine Wiederannäherung geltend mache (um die Voraussetzungen von Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG zu erfüllen), könne die Gewalt nicht derart schwer gewesen sein, um eine Zumutbarkeit des Zusammenlebens zu verneinen. 331 GLOOR / MEIER, S. 15. 332 DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 3. 333 So meldete sich beispielsweise in einem von der Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht dokumentierten Fall der gewalttätige Ehegatte bei der Behörde, nachdem seine Ehefrau ins Frauenhaus flüchtete, und informierte die Behörde über die Trennung. Im dokumentierten Fall behauptete er sogar, seine Ehefrau habe ihn nur aufgrund einer Aufenthaltsbewilligung geheiratet und forderte, die Ehe sei für ungültig zu erklären: DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 11. 326 44 der Gewalttätigen.334 Aus der Rückkehr zum Gewalttätigen oder dem Rückzug einer Strafanzeige folgern Behörden, dass die eheliche Gewalt nicht so intensiv sei. Sie verkennen die Realität, in der neben der nicht mehr aushaltbaren Gewaltsituation auch Gefühle der Liebe und Vertrauen auf Besserung, Angst, aber auch pragmatische Gedanken bezüglich ökonomischer Abhängigkeit und gemeinsamen Kindern eine Rolle spielen.335 Des Weiteren werden Strafanzeigen auch aufgrund von Drohungen oder Druckausübung durch den gewalttätigen Ehepartner zurückgezogen.336 Den Gewaltopfern obliegt zudem meist die gesamte Beweislast zum Nachweis von ehelicher Gewalt. Aufgrund rechtlicher und institutioneller Unkenntnis, aus Angst oder schlechten Erfahrungen mit Behörden im Heimatland – um nur wenige Gründe zu nennen – suchen Betroffene oft keine Ärzte, Behörden oder Hilfsstellen auf, geschweige denn erstatten sie Anzeige. 337 Dies führt oft zur Beweislosigkeit und Aussagen können als blosse Behauptungen empfunden werden.338 Nach Gesagtem kann geschlossen werden, dass sowohl aus juristischer als auch soziologischer Sicht viel Handlungsbedarf im Zusammenhang mit dem Härtefallkriterium der ehelichen Gewalt besteht. An Vorschlägen für einen besseren Opferschutz fehlt es hingegen nicht: So fordern unter anderem GLOOR / MEIER die gezielte Weiterbildung von Behörden und Fachleuten und die Schaffung von Kompetenzstellen. Sie fordern eine vertiefte Analyse des Einzelfalles und eine umfassende Aufklärung der Betroffenen über ihre Rechte und Möglichkeiten. Des Weiteren sprechen sie sich dafür aus, dass allein die Kontaktaufnahme mit einer Behörde oder Hilfsstelle für das Vorliegen von tatsächlicher Gewalt genügen muss.339 REETZ macht sich dafür stark, dass die Behörden bei Verweigerung der Härtefallbewilligung die Beweislast für das „Nichtvorliegen“ von ehelicher Gewalt tragen.340 Dagegen fordert HAUSAMMANN etwa ein Fachgremium, welches bei Beurteilungen von Härtefällen stets beizuziehen ist. 341 Gemäss DUBACHER / REUSSER fehlen zudem Hilfsangebote sowie einfach zugängliche Informationen für Betroffene und es braucht eine Sensibilisierung der betroffenen Behörden.342 Um Gewalt umfassend und erfolgreich zu verhindern und bekämpfen und auch um die bereits erwähnten staatlichen Schutzpflichten zu erfüllen und die Grundrechte zu verwirklichen, benötigt es eine konstante Haltung des Gesetzgebers, die eheliche Gewalt nicht toleriert und sanktioniert.343 334 Ebd., S. 3 und 12. Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates, S. 1912; m.w.H. zum „Kreislauf der Gewalt“ GLOOR / MEIER, S. 15. 336 Ebd., S. 16. 337 DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 14; GLOOR / MEIER, S. 17 f. 338 DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 3. 339 GLOOR / MEIER, S. 18 ff. 340 REETZ, S. 30. 341 HAUSAMMANN, S. 18. 342 DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 15. Vgl. auch das Informationsblatt Häusliche Gewalt im Migrationskontext, S. 9 f. 343 Vgl. BÜCHLER, Gewalt in Ehe und Partnerschaft, S. 30. 335 45 Der Einfluss von rechtlichen Bestimmungen ist daher nicht zu vernachlässigen: So weisen auch EGGER / SCHÄR MOSER daraufhin, dass Migrantinnen und Migranten aufgrund der geltenden ausländerrechtlichen Regelungen häufiger oder länger Opfer von ehelicher Gewalt werden. Dies sei insbesondere auf den vom Gewaltausübenden abhängigen Aufenthaltsstatus und die Gefahr, dass Aufenthaltsrecht bei Trennung zu verlieren, zurückzuführen344 (4) Rechtsprechungsübersicht Im Folgenden soll nun auf die in der untersuchten Zeitperiode von anfangs Juni 2013 bis Ende Juli 2014 ergangenen Bundesgerichtsurteile in Bezug auf das Kriterium der ehelichen Gewalt eingegangen werden. Die detaillierte Liste der untersuchten Bundesgerichtsentscheide wird im Appendix I aufgeführt. Im ersten zu vertiefenden Entscheid345 geht es um eine Mazedonierin, die im Jahre 2009 einen Landsmann mit Niederlassungsbewilligung in der Schweiz heiratete. Sie reiste in der Folge in die Schweiz ein, wo sie eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib beim Ehegatten erhielt. Der gemeinsame Haushalt wurde lediglich ein halbes Jahr nach Einreise wieder aufgehoben; wenig später wurde die gemeinsame Tochter geboren. Die Ehe wurde 2012 geschieden. Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie sei Opfer von systematischer Gewalt durch ihren Ehegatten und dessen Familie geworden, indem sie mehrfach geschlagen worden sei, mit Folge von Blutungen und Narben (zum Nachweis legt die Beschwerdeführerin spitalärztliche Berichte von zentimeterlangen Unterblutungen und diversen Narben vor). Weiter sei ihr und dem gemeinsamen Kind mit dem Tod gedroht sowie ihr Mobiltelefon zerstört worden, um sie von der Aussenwelt abzuschotten. Die Beschwerdeführerin legte zum Nachweis Unterlagen von Frauenhäusern, Ärzten und Sozialarbeitern bei (E. 4). Die Vorinstanz (kantonales Verwaltungsgericht) führt hingegen aus, dass nicht erwiesen sei, ob die Beschwerdeführerin überhaupt Opfer ehelicher Gewalt geworden sei. Sie stützt sich bei der Begründung vor allem auf den Umstand, dass die Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung gegen den Ehegatten eingestellt hatte und weiter auf die getätigte Aussage der Beschwerdeführerin, dass sie die Gewaltausübung des Ehegatten und dessen Familie nicht zu beweisen vermöge. Ohne weiter darauf einzugehen führt sie ergänzend aus, dass in casu das Kriterium der gewissen Intensität ohnehin nicht erfüllt wäre (E. 4.2). Das Bundesgericht pflichtet dem Verwaltungsgericht zwar insoweit bei, als der Beschwerdeführerin bei der Feststellung des Sachverhaltes eine Mitwirkungspflicht obliege und sie diese in geeigneter Weise glaubhaft machen müsse. Indessen sei aber kein direkter Beweis zu erbringen und auch keine strafrechtliche Verurteilung vorausgesetzt (E. 4.1 und 4.3). Das Bundesgericht führt aus, dass aufgrund der Belege nicht eindeutig erwiesen sei, ob die Gewalt vom Ehegatten und dessen Familie ausgeübt wurde, jedoch starke Indizien für diese Annahme vorliegen würden. Es rügt die 344 345 Vgl. EGGER / SCHÄR MOSER, S. 47. BGer 2C_765/2013 vom 2.6.2014. 46 Vorinstanz für die unvollständigen Sachverhaltsfeststellungen und das zu hoch angesetzte Beweismass und weist die Sache zur Ermittlung des Sachverhaltes und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurück (E. 4.5 und 5). In casu handelt es sich um ein gutes Beispiel, um ein zu hoch angesetztes Beweismass zu verdeutlichen: Obwohl die Beschwerdeführerin Nachweise von Ärzten, Frauenhäusern und Sozialarbeitern vorlegt, erachtet die Vorinstanz den Nachweis von Gewalt durch den Ehemann und dessen Söhne als nicht erbracht und sieht sich auch nicht veranlasst, dahingehende Abklärungen zu treffen. Auch der Umstand, dass das Strafverfahren eingestellt wurde, wird der Beschwerdeführerin zum Nachteil ausgelegt, obwohl ein solches explizit keine Voraussetzung von Art. 50 Abs. 2 AuG oder Art. 77 Abs. 5 und 6 VZAE darstellt. Zudem werden der Beschwerdeführerin getätigte Aussagen im Prozess in beinahe spitzfindiger Weise zum Nachteil ausgelegt. Die von der Vorinstanz gestellten Anforderungen an den Nachweis von Gewalt torpedieren m.E. so einen wirksamen Opferschutz. Auf das Kriterium der gewissen Intensität geht das Bundesgericht bedauerlicherweise nicht ein: Sollten die Sachverhaltsermittlungen ergeben, dass die Ausübung ehelicher Gewalt glaubhaft ist, müsste bei Vorliegen von zentimeterlangen Narben und Unterblutungen, ein weiterer Verbleib beim Ehegatten m.E. als unzumutbar eingestuft werden. Der BGer 2C_73/2013 vom 3.4.2014 handelt von einer türkischen Staatsangehörigen, welche im Jahre 2006 einen Schweizer Bürger heiratete und daraufhin in die Schweiz einreiste. Zwei Jahre später reichte der Ehemann ein Gesuch um Bewilligung des Getrenntlebens ein und im Jahre 2011 reiste er in die Türkei aus. Die Beschwerdeführerin führt aus, in ihrer Ehe seien eheliche Gewalt und Polygamie allgegenwärtig gewesen. Sie beschreibt in diesem Zusammenhang mehrere Vorfälle (E. 3): Zum einen haben ihr Ehemann und dessen Sohn im Jahre 2007 ihren Kopf gegen den Fussboden geschlagen und sie gewürgt. Die Beschwerdeführerin legt zum Nachweis zwar einen ärztlichen Bericht vor, in diesem wird aber nur Schwindel und eine Depression attestiert. Weiter macht die Beschwerdeführerin geltend, sie sei im Jahre 2008 vom Sohn des Ehemannes mit einer Waffe bedroht worden und daraufhin aus der gemeinsamen Wohnung geflüchtet. Gemäss polizeilichem Bericht wurde sie nach zweitägigem Herumirren aufgegriffen und in ein Frauenhaus gebracht. Die Vorinstanz (das kantonale Verwaltungsgericht) stuft diese Vorbringungen als nicht erwiesen ein und führt weiter aus, dass die behauptete Gewalt sowieso nicht Ursache der Trennung der Ehegatten gewesen sei, da der Ehemann zu dieser Zeit schon den Willen zur Trennung geäussert hätte (Gesuch um Bewilligung des Getrenntlebens). Der dritte von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Vorfall wurde von der Vorinstanz als nicht massgeblich eingestuft, da er sich erst nach Auflösung des gemeinsamen Haushaltes ereignete: Die Beschwerdeführerin legt ein Arztzeugnis vor, welches vermeintlich mit einer Stange ausgeübte Schläge attestiert. Weiter stellt die Polizei in diesem Zusammenhang beim 47 Ehegatten diverse Waffen, darunter auch mehrere Schusswaffen, sicher. Obwohl auch das Bundesgericht diesen Vorfall als nicht massgeblich einstuft, so misst es diesem dennoch ein gewisses Gewicht zu: Stellt er doch einen konkreten Hinweis auf ausgeübte eheliche Gewalt dar. Die Beschwerdeführerin reicht zudem einen Bericht vom Haus für Frauen in Not, eine Bescheinigung der Opferhilfe, drei Journaleinträge der Polizei, einen Strafantrag sowie mehrere Arztberichte ein. Insofern – so das Bundesgericht – liegen genügend Indizien vor und die Vorbringungen der Beschwerdeführerin können nicht als blosse Behauptungen abgetan werden. Das Bundesgericht resümiert, dass das Vorliegen von ehelicher Gewalt als glaubhaft erscheine (E. 3.2). Weiter wird im Entscheid auf die behauptete gesundheitliche Notlage der Beschwerdeführerin eingegangen346 . Da von der Vorinstanz unzureichend ermittelt, weist das Bundesgericht die Sache zur Ergänzung des Sachverhaltes an die Vorinstanz zurück. Ergeben die weiteren Abklärungen, – so das Bundesgericht – dass eine gesundheitliche Notlage vorliege, so sei in Zusammenhang mit der glaubhaft erscheinenden ehelichen Gewalt ein Härtefall zu bejahen (E. 4.4). Weiter habe die Vorinstanz aber zu prüfen, ob allenfalls ein Widerrufsgrund gemäss Art. 62 AuG vorliege, insbesondere aufgrund der Sozialhilfeabhängigkeit der Beschwerdeführerin (E. 5). Wiederum handelt es sich in casu um eine Beschwerdeführerin, die zum Nachweis erlebter ehelicher Gewalt mehrere Unterlagen einreicht und die Vorinstanz dennoch nicht von ihrem Leid zu überzeugen vermag. Erneut verkennt die Vorinstanz, dass kein Beweis für eheliche Gewalt erbracht, sondern diese lediglich glaubhaft gemacht werden muss. Des Weiteren erachtet sie es – trotz Vorliegen zahlreicher Nachweise – als nicht notwendig, weitergehende Abklärungen zu treffen und überlässt die Beschwerdeführerin einer offensichtlich unmöglichen Beweispflicht. Besonders auffällig ist dabei, dass die kantonale Behörde den vermeintlich gewalttätigen Ehemann zu keiner Zeit befragen konnte, da dieser bereits in die Türkei ausgereist war (E. 3.2). Die Vorinstanz führt überdies aus, dass sämtliche Hinweise (nur) auf Aussagen der Beschwerdeführerin stützen.347 Der Gedankengang der Vorinstanz, wonach eine vermeintliche Gewaltausübung nicht als ursächlich für die Trennung bezeichnet werden kann, wenn der Ehemann vor der Gewaltausübung schon den Willen zur Trennung manifestiert habe, erscheint grob stossend. Das Bundesgericht seinerseits hat das Vorliegen von ehelicher Gewalt als glaubhaft eingestuft (jedoch mit den Worten: erscheint glaubhaft). Das Bundesgericht lässt auch in diesem Fall offen, ob das Kriterium der gewissen Intensität vorliegend erfüllt wäre und weist den Entscheid zur weiteren Sachverhaltsermittlung bezüglich einer medizinischen Notlage zurück. Sollten sowohl die eheliche Gewalt als auch die medizinische Notlage vorliegen, wäre die Erteilung einer Härtefallbewilligung ohnehin geboten.348 Abgesehen von Ausführungen zum Beweismass wäre m.E. eine Stellungnahme des Bundesgerichtes zur vorliegend ausgeübten Gewalt, die – soweit sie glaubhaft ist – die geforderte 346 Siehe die Rechtsprechungsübersicht zur gesundheitlichen Notlage unter C.III.4.c.v.4. Entscheid des Kantonsgerichtes Basel-Landschaft vom 26.9.2012, E. 6.3.7. 348 Vgl. BGE 136 II 1, E. 4 f. 347 48 Intensität zweifelsohne erreicht, unabdingbar. Denn es braucht auch vom Bundesgericht eine Haltung, die Gewalt nicht toleriert. Des Weiteren würde eine entsprechende Wertung auch die Vorinstanz beim erneuten Entscheid leiten. Auch der Hinweis auf Widerrufsgründe erscheint fragwürdig: Sind das Vorliegen von ehelicher Gewalt und einer medizinischer Notlage (was noch zu prüfen bleibt) zu bejahen, so kann der Widerrufsgrund der Sozialhilfeabhängigkeit m.E. wohl kaum schwer genug wiegen, um den Anspruch auf ein Verbleiberecht abzusprechen. Das nachfolgende Urteil BGer 2C_575/2013 vom 7.2.2014 betrifft nicht die physische, sondern die psychische Gewaltausübung gegenüber einem indischen Staatsbürger, welcher im Jahre 2008 eine Schweizer Bürgerin heiratete und gestützt darauf in die Schweiz einreiste. Anfangs 2011 wurde der gemeinsame Haushalt aufgelöst. Der Beschwerdeführer macht eine psychische Druckausübung durch seine Ehefrau geltend, da diese von ihm verlangt, ihr sein Einkommen auszuhändigen und ihm verbietet, das Arbeitspensum auszuweiten, um eine Reduktion der Sozialhilfe zu verhindern. Die Vorinstanz (das kantonale Verwaltungsgericht) erachtet dieses Verhalten zwar als inkorrekt, jedoch sei die geforderte Intensität von ehelicher Gewalt nicht erreicht. Das Bundesgericht schützt die Ansicht der Vorinstanz in seinem Entscheid (E. 4.2). Auch in weiteren Urteilen beriefen sich Beschwerdeführende auf eine psychische Oppression: Beispielsweise in BGer 2C_452/2014 vom 26.5.2014, in welchem der Beschwerdeführer eine psychische Oppression aufgrund ständiger Einmischungen der Schwiegermutter in die eheliche Gemeinschaft begründet (E. 3.2). Oder etwa im Entscheid BGer 2C_822/2013 vom 25.1.2014, im Fall eines Beschwerdeführers, der psychische Gewaltausübung durch die Ehefrau geltend macht, da diese ihn an der Ausübung religiöser Kultushandlungen gehindert und gezwungen habe einen Psychologen aufzusuchen (E. 5.3). In beiden Fällen erachtet das Bundesgericht die Intensität der Gewaltausübung als nicht erreicht. Ebenso im Fall einer Beschwerdeführerin349 die grosse psychische Belastungen geltend macht, da ihr Mann mit Drogen dealte und teilweise Freunde aus dem Drogenmilieu nach Hause gebracht habe. Sowohl die Vorinstanz als auch das Bundesgericht erachten die psychische Oppression als nicht glaubhaft dargestellt (E. 2.5). Diese Fälle psychischer Gewalt lassen erahnen wie schwierig die Abgrenzung einer psychischen Gewaltsituation von einer lediglich psychisch belastenden Beziehung ist. Im Gegensatz zu den eben untersuchten Fällen von physischer Gewalt geht das Bundesgericht hier auf das Kriterium der gewissen Intensität ein. Doch da keine sichtbaren Verletzungen vorliegen, ist eine Einordnung denkbar schwer. Wie SPESCHA bereits 2010 treffend formulierte, wird das Bundesgericht noch eruieren müssen, wo es die Grenze zwischen Umgehungstendenzen und tatsächlichem Schutzbedürfnis zieht. Gerade um das Kriterium der psychischen Oppression nicht zur 349 BGer 2C_317/2013 vom 14.1.2014. 49 inhaltsleeren Floskel verkommen zu lassen, sind glaubhafte Oppressionen jedoch zu berücksichtigen. Ziel soll ja gerade sein, Opfer von Gewaltsituationen – auch ohne sichtbare Verletzungen – zu schützen.350 iii. Fehlender freier Ehewille In einem ersten Schritt muss erörtert werden, was ein fehlender freier Ehewille bedeutet. Gemäss des Berichts des Bundesrates liegt „[...] eine Zwangsheirat vor, wenn die Ehe ohne den freien Willen eines oder beider Ehegatten geschlossen wird“.351 Der Zwang kann auf verschiedene Weise ausgeübt werden, beispielsweise durch Drohungen oder Erpressungen, psychische oder physische Gewalt.352 Durch eine Zwangsheirat wird das Selbstbestimmungsrecht einer Person beim Eingehen einer Ehe verletzt und es liegen somit unter anderem Verstösse gegen Art. 14 BV, Art. 12 EMRK, Art. 23 Abs. 3 UNO-Pakt II und Art. 10 Ziff. 1 UNO-Pakt I und Art. 16 Abs. 1 lit. b des UNÜbereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vor.353 Seit gut zehn Jahren ist die Thematik der Zwangsheiraten und -ehen in der Gesetzgebung präsent.354 Trotz dieser rechtlichen Auseinandersetzung und dem damit verbundenen beziehungsweise dadurch ausgelösten öffentlichen und medialen Diskurs355 ist die Zwangsheirat immer noch ein Tabuthema für die Betroffenen. Grund dafür sind häufig Sprachhindernisse, der familiäre Druck und die grosse Abhängigkeit der Opfer.356 Für die Prävention von Zwangsheiraten wichtig sind eine statistische Erfassung und Informationskampagnen.357 Im Jahr 2005 wurde der Bundesrat mit einem Postulat von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates358 beauftragt, sanktionierende Massnahmen im Zivil- und Strafrecht für Zwangsheiraten in der Schweiz zu prüfen.359 Lediglich ein Jahr später wurde eine Motion eingereicht360 , mit 350 SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2009/2010, S. 871. Es existiert keine Legaldefinition der Zwangsheirat. Zur Abgrenzung der Zwangsheirat zu arrangierten Ehen siehe den Bericht des Bundesrates vom 14.11.2007, S. 9 f.: Arrangierte Ehen werden zwar ebenfalls von Dritten veranlasst, jedoch erfolgt der Eheschluss selbst im freien Willen der Ehegatten. Diese Abgrenzung ist in der Praxis häufig sehr schwierig zu treffen, es ist stets eine Prüfung im Einzelfall vorzunehmen: MEIER, S. 21 und KURT / SHY CHAU, S. 18. 352 Bericht des Bundesrates vom 14.11.2007, S. 10. 353 Ziel des Übereinkommens ist die Diskriminierung der Frau durch den Staat in geeigneter Weise zu verhindern. Vgl. ebd., S. 9 f.; MÜLLER / SCHEFER, S. 226; m.w.H. MEIER, S. 43 ff. 354 Siehe dazu die nachstehenden Ausführungen. Vgl. MEIER, S. 2 und S. 29. 355 Vergleiche dazu folgende Artikel im Tagesanzeiger und in der NZZ: http://www.nzz.ch/aktuell/schweiz/hunderte-junge-frauen-pro-jahr-von-zwangsheirat-betroffen-1.17457061, zuletzt besucht am 9.3.2015 http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/ZeroTolerance-fuer-Zwangsheirat/story/28486381 und http://www.tagesanzeiger.ch/leben/gesellschaft/Die-Zwangsheirat-wird-entweder-banalisiert-oderbarbarisiert/story/12334504; zuletzt besucht am 9.3.2015. 356 MEIER, S. 2 f. 357 Ebd., S. 5. 358 Postulat Strafbarkeit von Zwangsheiraten und arrangierten Heiraten. 359 Bereits am 17.12.2004 reichte BORIS BANGA eine Anfrage zur Bekämpfung von Zwangsheiraten und besserem Schutz der Opfer von Zwangsheiraten ein. Mit dieser beauftragte er den Bundesrat, den 351 50 welcher der Bundesrat erneut aufgefordert wurde, in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig zu werden sowie ein Konzept zur Untersuchung und Prävention von Zwangsheiraten und Unterstützung von Opfern zu erarbeiten. In Erfüllung dieser Motion wurde das Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten ausgearbeitet.361 Im Jahr 2009 wurde der Bundesrat abermals aufgefordert, eine Untersuchung unter anderem bezüglich der Formen, dem Ausmass und der Ursachen von Zwangsheiraten zu erstellen.362 Im Jahr 2012 wurde in Erfüllung dieser Motion erstmals eine universitäre Studie zur Thematik von Zwangsheirat veröffentlicht. 363 Aus dieser Studie lässt sich entnehmen, dass die Autorinnen in den Jahren 2009 und 2010 von 348 Fällen ausgehen, die zur Heirat gezwungen wurden, von 384 Fällen, die zum Verzicht einer Beziehung gezwungen wurden und von 659 Fällen, die gezwungen wurden, verheiratet zu bleiben. 364 Gleichzeitig lancierte der Bund ein Programm zur Bekämpfung von Zwangsheirat. Dieses sieht dabei insbesondere vor, bis im Jahr 2018 Netzwerke gegen Zwangsheirat einzurichten.365 Mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über Massnahmen gegen Zwangsheiraten im Jahr 2012 wurde der Art. 50 Abs. 2 AuG um den wichtigen persönlichen Grund des unfreiwilligen Eheschlusses ergänzt.366 Der Wortlaut umfasst – entsprechend der anfänglich erwähnten bundesrätlichen Definition – lediglich die Zwangsheirat und lässt Zwangssituationen nach der Heirat, sprich Handlungsbedarf in diesem Bereich abzuklären. In der Antwort vom 16.2.2005 erläuterte der Bundesrat, dass seines Erachtens kein Handlungsbedarf bestehe. 360 Motion HEBERLEIN. Zeitgleich erfolgten auch die Motionen WEHRLI und FDP, welche den Bundesrat ebenfalls aufforderten gesetzgeberisch tätig zu werden. Beide Motionen wurden, nachdem sie zwei Jahre hängig waren, abgeschrieben. Im Nachgang wurde 2007 die Motion HALLER VANNINI eingereicht und angenommen, welche beantragte, dass ausländischen Personen bei der Visumserteilung, beim Familiennachzug oder beim Ehevorbereitungsverfahren Informationen bezüglich schweizerischen Rechtsvorschriften erteilt würden. Schon im Jahr 2008 erfolgte sodann die Motion SEGMÜLLER, welche ein Mindestalter von 24 Jahre für den Nachzug von Ehegatten forderte, um gegen Zwangsheiraten vorzugehen; diese wurde 2010 vom Ständerat abgelehnt. M.w.H. zum Mindestalter: MEIER, S. 237 ff. 361 Dieses trat schliesslich am 1.7.2013 in Kraft. 362 Motion TSCHÜMPERLIN. Zeitgleich und mit gleichlautendem Begehren erfolgte auch die Motion FETZ. Zur Entstehungsgeschichte als Ganzes siehe Botschaft Zwangsheirat, S. 2191 f. und MEIER, S. 29 ff. 363 NEUBAUER / DAHINDEN, S. 15. In der Studie werden sowohl Zwangsheiraten – also Zwangssituationen vor der Heirat –, wie auch Zwangsehen – Zwangssituationen nach der Heirat – behandelt. 364 Ebd., S. 35. Auch hier besteht das Problem von hohen Dunkelziffern, S. 35. Die Daten und Zahlen der Studie wurden von den Autorinnen bei Fachpersonen und Institutionen erhoben, die mit der Thematik der Zwangsheirat konfrontiert sind. 365 Diese dienen unter anderem der Förderung des Austausches und der Zusammenarbeit der betroffenen Fachstellen. Ziel ist es, Zwangsheiraten zu verhindern und bereits Betroffenen Hilfsangebote zur Verfügung zu stellen. Zum Programm und für weitergehende Informationen siehe die Plattform des Bundes gegen Zwangsheirat: http://www.gegen-zwangsheirat.ch, zuletzt besucht 9.3.2015. 366 Vgl. Botschaft Zwangsheirat, S. 2222 f. Diese Ergänzung entspricht auch Art. 59 der IstanbulKonvention. Vgl. dazu auch die Interpellation GILLI. Die durch das Bundesgesetz initiierten Änderungen betreffen jedoch nicht nur das AuG. So liegt etwa neu gemäss Art. 105 Ziff. 5 ZGB ein Ungültigkeitsgrund vor, wenn die Ehe nicht aus freiem Willen geschlossen wurde und das Zivilstandsamt trifft gemäss Art. 99 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB eine Pflicht zur Prüfung, ob das Gesuch auf Eheschliessung dem freien Willen entspricht. Kritisch dazu: KURT / SHY CHAU, S. 20 ff. Weiter wurde die Zwangsheirat gemäss Art. 181a StGB unter Strafe gestellt. Für die weiteren Änderungen siehe das Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten. 51 Zwangsehen, ausser Betracht.367 Gemäss den Weisungen des SEM kann der wichtige persönliche Grund des fehlenden freien Ehewillens jedoch erst geltend gemacht werden, wenn die Ehe gerichtlich für ungültig erklärt wurde.368 Diese Voraussetzung ist m.E. in der Botschaft zum Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten nicht ersichtlich und widerspricht dem Umstand, dass gemäss Art. 77 Abs. 6bis VZAE bei wichtigen persönlichen Gründen – so auch wenn eine Ehe nicht aus freiem Willen geschlossen wurde – Informationen von Fachstellen berücksichtigt werden. Auch SPESCHA plädiert dafür, dass eine behauptete Zwangsheirat lediglich glaubhaft gemacht werden muss, ansonsten der angestrebte Schutz ja gerade vereitelt würde.369 Bei Art. 50 Abs. 2 AuG handelt es sich aber um einen Schutz, der erst nachehelich greift.370 Die schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht zeigt auf, dass ein „voreheliches Bleiberecht“ unabdingbar ist: So gibt es auch Fälle, in denen die zur Hochzeit vorgesehenen Partner in die Schweiz einreisen und bereits vor der Hochzeit Opfer von Gewalt oder einer Beschränkung der Bewegungsfreiheit werden. Weigern sich die betroffenen Personen zu heiraten, so muss auch ihre Rückreise ins Heimatland als gefährdet angesehen werden.371 Ein weiteres Problem betrifft die Rückkehr von in der Schweiz aufenthaltsberechtigten Ausländerinnen und Ausländer, die im Ausland zwangsverheiratet werden: Gemäss Art. 61 Abs. 2 AuG erlischt die Aufenthaltsbewilligung nach drei beziehungsweise sechs Monaten nach Ausreise. Wiederum werden die Opfer doppelt viktimisiert. Von der Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht wird daher gefordert, ein Rückkehrrecht einzuführen, um diese Situation zu entschärfen.372 Vor Einführung des Bundesgesetzes über Massnahmen gegen Zwangsheiraten und der entsprechenden Ergänzung in Art. 50 Abs. 2 AuG wurde in Fällen von Zwangsheirat ein Verbleiberecht erteilt, wenn zusätzlich die Voraussetzungen von Art. 50 Abs. 1 lit. a oder lit. b AuG erfüllt waren.373. Eine Zwangsheirat ist häufig mit der Begehung von anderen Delikten, wie etwa physischer Gewalt, Sexualdelikten, Nötigung, Drohung und Freiheitsberaubung verbunden und bedeutet für die Betroffenen eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit und des Selbstbestimmungsrechtes. 374 Daher war vor Einführung dieses wichtigen persönlichen Grundes das Vorliegen von ehelicher Gewalt oder einer gefährdeten Wiedereingliederung meist erfüllt. 375 367 Bei einer Zwangsehe wird die betroffene Person zur Fortführung der Ehe gezwungen und eine Ehescheidung wird verboten: MEIER, S. 20; KURT / SHY CHAU, S. 21. Abweichend von der Studie „Zwangsheiraten“ in der Schweiz: Ursachen, Formen, Ausmass, welche auch die Zwangsehe eingehend thematisiert und dazu aufruft, diese Zwangssituationen auch in den Kampf gegen Zwangsheiraten miteinzubeziehen, S. 102 f. 368 BFM Weisungen AuG, Rn 6.14.3.2. 369 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 10a. 370 KURT / SHY CHAU, S. 18. 371 Ebd., S. 25. 372 Ebd., S. 21; gl.M. BÜCHLER, Zwangsehen S. 749. 373 Vgl. Botschaft Zwangsheirat, S. 2199 f. 374 BÜCHLER, Zwangsehen, S. 726. 375 CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 39; SPESCHA, Migrationsabwehr, S. 127. 52 Nach geltendem Recht stellt eine Zwangsheirat für sich alleine eine Gewaltform dar.376 Eine ausdrückliche Statuierung dessen ist wichtig, um den Unrechtsgehalt von Zwangsheiraten zu bekräftigen.377 In der untersuchten Zeitperiode fanden sich zum Kriterium „fehlender freier Ehewille“ keine Urteile des Bundesgerichtes, daher konnte das Kriterium nicht in die Rechtsprechungsübersicht aufgenommen werden. iv. Gefährdung der sozialen Wiedereingliederung im Herkunftsland (1) Auslegung Für die Beurteilung, ob die Wiedereingliederung als stark gefährdet betrachtet werden muss, ist die Zumutbarkeit der Heimreise massgebend. Folglich ist im Einzelfall die soziale, familiäre und wirtschaftliche Lage der betroffenen Person im Heimatstaat zu betrachten378, aber auch dem Grad der Integration in der Schweiz – so etwa der beruflichen und finanziellen Situation, den erworbenen Sprachkenntnissen und dem sozialen Umfeld – ist Rechnung zu tragen.379 Bei der Abwägung müssen auch die Trennungsursachen und deren allfällige Auswirkungen auf die Lage der betroffenen Person im Heimatstaat miteinbezogen werden.380 Nicht berücksichtigt werden können hingegen der blosse Wunsch nach einer Anwesenheit in der Schweiz, beispielsweise weil ein Leben hier einfacher wäre.381 Wie im allgemeinen Teil schon eingehend erläutert, müssen die Auswirkungen auf Privat- und Familienleben der betroffenen Person, damit ein nachehelicher Härtefall bejaht werden kann, genügend intensiv sein.382 Auch hier muss zudem die Gefährdung in geeigneter Weise glaubhaft gemacht werden.383 Gemäss Bundesgericht ist die Wiedereingliederung beispielsweise bei Frauen gefährdet, die in patriarchalische Gesellschaftsstrukturen heimkehren müssen, in denen sie als Geschiedene 376 Ebd., S. 728. Handelt es sich beim Täter um eine ausländische Person, so kann deren Anspruch auf Familiennachzug gemäss Art. 51 AuG aufgrund rechtsmissbräuchlichem Verhalten erlöschen oder deren Bewilligung gemäss Art. 62 lit. a-c sowie Art. 63 Abs. 1 lit. a und lit. b AuG widerrufen werden: M.w.H. MEIER, S. 235 ff. 377 Ebd., S. 749. 378 In BGer 2C_540/2009 vom 26.2.2010, E. 2.3, lehnte das Bundesgericht die starke Gefährdung ab, da die Betroffenen nur kurze Zeit in der Schweiz verbrachten und keine nahen Beziehungen geknüpft hatten, jedoch in der Ukraine noch über ein familiäres Netz verfügten. BGer 2C_216/2009 vom 20.8.2009, E. 3. Da im Gesetzestext von einer starken Gefährdung die Rede ist, gehen GEISER / BUSSLINGER, Rn 14.54, davon aus, dass für die Beurteilung der Zumutbarkeit ein strenger Massstab richtungsweisend ist. 379 HUGI YAR, S. 88. 380 CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 38. 381 BGer 2C_830/2010 vom 10.6.2011, E. 3.2.1; BGer 2C_216/2009 vom 20.8.2009, E. 3; GEISER/BUSSLINGER, 14.54. 382 BGer 2C_365/2010 vom 22.6.2011, E. 3.5. Siehe zudem die Ausführungen unter C.III.4.b. 383 HUGI YAR, S. 85 f. Zur Thematik der Beweislast siehe C.III.4.c.ii.2. 53 Diskriminierungen oder Ächtungen ausgesetzt wären.384 Weiter fallen darunter Fälle, in denen die Wegweisung aufgrund von Hindernissen nicht vollzogen werden kann.385 Ein solches Hindernis liegt beispielsweise vor, wenn die Rückkehr der betroffenen Person von den Behörden des Heimatlandes verweigert würde.386 (2) Rechtsprechungsübersicht Betrachtet man die in der untersuchten Zeitperiode ergangenen Bundesgerichtsurteile so fällt auf, dass das Kriterium der gefährdeten Wiedereingliederung am weitaus häufigsten geltend gemacht wurde.387 Dieser Umstand und die Lektüre der aufgeführten Urteile erwecken den Anschein, dass die Geltendmachung der gefährdeten Wiedereingliederung den Beschwerdeführenden als vermeintliches Auffangbecken dient, soweit keine anderen Kriterien gegeben sind (oder für den Fall, dass das Vorliegen anderer Kriterien verneint würde). Keine einzige der aufgeführten Beschwerden wurde gutgeheissen, zumeist wurden die Ausführungen als nicht genügend substantiiert oder zu allgemein erachtet.388 Die Ausführungen des Bundesgerichtes sind dementsprechend knapp gehalten. In einem ersten zu erläuternden Entscheid 389 lehnten es sowohl die Vorinstanz (das kantonale Verwaltungsgericht) als auch das Bundesgericht ab, einen Bericht eines Länderexperten einzuholen und wiesen stattdessen auf die Mitwirkungspflicht der Beschwerdeführerin hin. Die aus Marokko stammende Beschwerdeführerin macht geltend, dass sie bei einer Rückkehr als geschiedene Frau vor allem in ländlichen Regionen Ächtungen und sexuellen Übergriffen ausgesetzt sei. Sie nimmt dabei Bezug auf die islamischen Traditionen und den religiösen Fundamentalismus (E. 2.3.3). Gemäss Art. 90 AuG – so das Bundesgericht – obliege ihr aber eine Mitwirkungspflicht und eine Gefährdung müsste mindestens glaubhaft gemacht werden. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin erachtet das Bundesgericht als zu allgemein. Des Weiteren widerspricht sich die Beschwerdeführerin in einem entscheidenden Punkt: Sie behauptet aus 384 BGE 137 II 345, E. 3.2.2, wobei der aufgeführte Fall nicht von Frauen handelt, die in patriarchalische Gesellschaftsstrukturen zurückkehren müssen. Vgl. aber die Ausführungen in der nachstehenden Rechtsprechungsübersicht zu BGer 2C_982/2013 vom 21.6.2014. 385 BGE 137 II 345, E. 3.3.2. Ausführlich zu dieser Rechtsprechung SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2010/2011, S. 877 f. 386 BGer 2C_13/2012 vom 8.1.2013, E. 4. Die Vorinstanz verneinte dabei das Vorliegen eines nachehelichen Härtefalles, da die Verweigerung der Heimreise nach Kuba nicht in der Ehe begründet liege. Das Bundesgericht korrigiert diese Ansicht und betont, dass der Härtefall nicht direkt durch die Ehe hervorgerufen werden muss: Es reicht, wenn sich die persönlichen Folgen aus dem Dahinfallen der Aufenthaltsbewilligung ergeben. Bestätigt in BGer 2C_1062/2013 vom 28.3.2014. Ausführlich zu dieser Rechtsprechung SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2012/2013, S. 980; a.M. HUGI YAR, S. 83, welcher ausführt, dass die Wegweisungshindernisgründe im Widerspruch zur Praxis stehen, dass der Härtefall im Zusammenhang mit der Auflösung stehen muss und diese Gründe „nur“ dazu dienen, die betroffenen Personen nicht ohne Not in die rechtlich schlechtere Stellung eines vorläufig Aufgenommenen zu versetzen. 387 Siehe dazu die detaillierte Liste in Appendix I. 388 Vgl. dazu etwa die beiden Urteile BGer 2C_989/2013 vom 20.1.2014, E. 2.4 und BGer 2C_1179/2013 vom 30.12.2013, E. 3.2.2. 389 BGer 2C_982/2013 vom 21.6.2014. 54 ländlicher Gegend zu stammen und keine sozialen Kontakte in der Stadt zu haben. Aus den Akten ergibt sich jedoch das Gegenteil: Die Beschwerdeführerin stammt aus Marrakesch und wohnte dort bis vor Ausreise mit ihrer Mutter und ihrem Bruder zusammen. Weiter macht sie eine Zugehörigkeit zu dem gefährdeten Stamm der Berber zwar geltend, kann diese jedoch in keiner Weise belegen (E. 2.3.3). Aus dem vorliegenden Entscheid kann und muss eindeutig geschlossen werden, dass allgemeine Hinweise auf patriarchalische Gesellschaftsstrukturen oder den Islam nicht genügen, um einen Härtefall zu begründen. Vielmehr erwartet das Bundesgericht konkrete Ausführungen zu subjektiven Nachteilen, denen die Betroffenen im Fall einer Rückkehr ausgeliefert wären. So etwa auch in BGer 2C_1005/2013 vom 5.11.2013, in welchem die Beschwerdeführerin lediglich in (zu) allgemeiner Weise darstellt, dass die Rückkehr in eine patriarchalische „Macho-Gesellschaft“ ihre Wiedereingliederung gefährden würde.390 Bedauerlicherweise lässt das Bundesgericht jedoch offen, welche Voraussetzungen beziehungsweise welcher Konkretisierungsgrad denn genau vorliegen müsste(n), damit eine gefährdete Wiedereingliederung als glaubhaft eingestuft oder es sich zumindest aufdrängen würde, einen Länderbericht oder Expertenbericht einzuholen. Man könnte durchaus die Meinung vertreten, dass ein solcher in bekannt patriarchalischen Gesellschaften immer notwendig wäre (im Sinne einer Abklärungspflicht der Behörden), um einen Härtefall zu verneinen. So kritisiert etwa die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, dass die Prüfung der Gefährdung der sozialen Wiedereingliederung in den von ihr dokumentierten Fällen nicht oder nur ungenügend vorgenommen wurde. Oft werde auf die Situation einer geschiedenen Frau in der Gesellschaft aber auch in der Familie nicht eingegangen. Sie fordert daher eine gewissenhafte Abklärung der Umstände im Einzelfall, um den intendierten Schutz von Art. 50 Abs. 2 AuG zu verwirklichen.391 Auch in BGer 2C_428/2013 vom 8.9.2013 macht ein Marokkaner, welcher 2009 die Partnerschaft mit einem französischen Staatsangehörigen, mit Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz, eintragen liess, die Gefährdung seiner Wiedereingliederung geltend. Die Haushaltsgemeinschaft wurde anfangs 2011 aufgelöst. Der Beschwerdeführer beruft sich auf einen Härtefall gemäss Art. 30 Abs. 1 lit. b AuG, da Homosexualität in Marokko gesetzlich verboten sei und auch in der Gesellschaft als unsittlich erachtet werde. Das Bundesgericht prüft den geltend gemachten Härtefall unter Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG: Tatsächlich werde Homosexualität in Marokko mit Freiheitsstrafe sanktioniert. Das Bundesgericht hebt jedoch hervor, dass der Beschwerdeführer bis zu seinem 24. Altersjahr ohne Nachteile in Marokko gelebt habe und seine Homosexualität nicht der Grund für seine Ausreise 390 Das Bundesgericht betont auch hier, dass eine konkrete Gefährdung geltend gemacht werden muss, um einen Härtefall zu begründen, E. 2.3.2. 391 DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 22 f. 55 gewesen sei. Weiter wurde von der Vorinstanz (dem kantonalen Verwaltungsgericht) ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nach Einreise in die Schweiz und Eintragung der Partnerschaft mehrmals problemlos nach Marokko zurückgereist sei. Obwohl klar sei, dass dieser seine Homosexualität in Marokko nicht öffentlich machen könne, sei es doch gut möglich, sein bisheriges Leben in der Heimat – trotz dieser Einschränkungen – wieder aufzunehmen. Ein konkretes Risiko der drohenden Folter oder erniedrigender Behandlung sei nicht ersichtlich. Die Homosexualität allein reiche im konkreten Fall somit nicht aus, um seine Wiedereingliederung im Heimatland als gefährdet einzustufen (E. 5.3). Vorliegend problematisch sind die Rückreisen des Betroffenen in sein Heimatland (auch nach dem die Partnerschaft registriert wurde).392 Diese Faktenlage lässt die Vorinstanz und das Bundesgericht jede konkrete Gefährdung – trotz Pönalisierung der Homosexualität – verneinen. Sie übersehen dabei, dass beim vorliegenden Härtefallkriterium nicht vorausgesetzt wird, dass die oder der Betroffene bei einer Rückkehr an Leib und Leben gefährdet oder einer Strafe ausgesetzt wäre, sondern – wie der Name es schon sagt – „lediglich“ die Wiedereingliederung stark gefährdet ist.393 Des Weiteren ist es doch etwas anderes seine sexuelle Präferenz bei gelegentlichen Familienbesuchen verdeckt zu halten, als diese dauernd und im alltäglichen Leben zu negieren. An dieser Beurteilung ändert auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer bis zu seinem 24. Lebensjahr mit dieser Einschränkung leben konnte oder vielmehr musste, nichts. Nach der Lektüre dieses Entscheides bleibt fraglich, ob und inwiefern der wichtige persönliche Grund auch Ursache der Ausreise gewesen sein muss (wie das Bundesgericht bezüglich der Homosexualität in E. 5.3 bemängelte). Ein solches Kriterium wurde m.E. in keinem weiteren Entscheid vorausgesetzt. Auch zu im Rahmen von Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG geprüften Wegweisungshindernissen sprach das Bundesgericht in der untersuchten Zeitperiode ein Urteil394: Im Fall eines Kongolesen, der im Jahre 2010 eine Schweizerin heiratete und sich zwei Jahre später von ihr trennte. Das Bundesgericht bestätigte im Entscheid seine Rechtsprechung 395 , wonach Wegweisungshindernisse nacheheliche Härtefälle gemäss Art. 50 Abs. 2 AuG darstellen können. Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer von den südafrikanischen Behörden als Flüchtling anerkannt. Mit Einreise in die Schweiz verlor er diesen Flüchtlingsstatus jedoch wieder. Dies stellt gemäss Bundesgericht ein Wegweisungshindernis dar, welches bereits bei der Prüfung eines nachehelichen Härtefalles berücksichtigt werden muss (und nicht etwa erst in einem allfälligen Asylverfahren, bei der Prüfung einer vorläufigen Aufnahme oder eines allgemeinen Härtefalles) (E. 392 Siehe dazu auch Tribunal cantonal du Canton de Vaud, PE.2013.0025, E. 4b). Es handelt sich vorliegend schliesslich auch um ein ausländerrechtliches Verfahren und nicht um ein Asylrechtliches. 394 BGer 2C_1062/2013 vom 28.3.2014. 395 BGE 137 II 345. 393 56 3.2.3 und 3.3.3). Der Beschwerdeführer macht geltend, dass ihm bei einer Rückkehr in den Kongo eine Gefängnisstrafen drohen würde oder gar sein Leben gefährdet wäre (E. 3.3.2). Das Bundesgericht führt dazu aus, dass die Wegweisungshindernisse bereits unter dem Aspekt der gefährdeten Wiedereingliederung zu prüfen sind, soweit sie einen Zusammenhang mit der Auflösung der Familiengemeinschaft haben. Es rügt die Vorinstanz (kantonales Verwaltungsgericht) für die Nichtbeachtung dieser entwickelten Rechtsprechung und weiter dafür, dass diese die umfassende Ermittlung des Sachverhaltes unterlassen habe (E. 3.3.3). Das Bundesgericht weist die Sache daher zum erneuten Entscheid an das kantonale Verwaltungsgericht zurück (E. 3.4). v. Weitere Gründe Wie schon dargestellt, sind die Gründe in Art. 50 Abs. 2 AuG nicht abschliessend aufgezählt. Weitere Gründe für das Vorliegen eines nachehelichen Härtefalles können etwa gemeinsame Kinder, der Tod eines Ehegatten oder eine gesundheitliche Notlage sein. (1) Kinder Sind aus der Ehe Kinder hervorgegangen und einem Elternteil wird nun aufgrund gescheiterter Ehe kein Verbleiberecht mehr gewährt und so das Besuchsrecht vereitelt, kann unter Umständen ein Härtefall vorliegen.396 So entschied das Bundesgericht, dass ein wichtiger persönlicher Grund gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG „[...] in einer schützenswerten Beziehung zu einem in der Schweiz anwesenheitsberechtigten Kind bestehen [kann]“.397 Seit Inkrafttreten des AuG 2008 können sich Elternteile, die zu einem schweizerischen Staatsangehörigen oder einer niederlassungsberechtigten Person nachgezogen sind, nach Auflösung der Haushaltsgemeinschaft somit nicht nur auf Art. 8 EMRK, sondern auch auf Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG berufen.398 Im Folgenden werden die Thematik des umgekehrten Familiennachzuges und die dazu ergangene Rechtsprechung erläutert. Beim umgekehrten Familiennachzug muss vorerst unterschieden werden, ob es sich um einen sorgeberechtigten oder nicht sorgeberechtigten Elternteil handelt. Bei sorgeberechtigten, aber nicht aufenthaltsberechtigten Elternteilen muss sodann weiter unterschieden werden, ob ihre Kinder über die Schweizerische Staatsbürgerschaft verfügen oder lediglich niederlassungs- oder aufenthaltsberechtigt in der Schweiz sind. Für die Elternteile von Schweizer Kindern hat das Bundesgericht im Leitentscheid BGE 135 I 153399 seine dauernde 396 Vgl. BFM Weisungen AuG, Rn 6.15.3.2. M.w.Verw. BGE 139 I 315, E. 2.1. 398 BGE 139 I 315, E. 2.4; CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 27; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 8a f.; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, BV, EMRK und UNO-KRK, Rn 19a; vgl. SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 237; UEBERSAX, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, S. 227. 399 Im Fall einer türkischen Staatsangehörigen und ihrem Kind, welches über die schweizerische Staatsangehörigkeit verfügt. Der Vater des Kindes verstarb bloss eineinhalb Jahre nach der Hochzeit und der Einreise seiner Frau und ein halbes Jahr nach der Geburt des gemeinsamen Kindes an einer schweren Krankheit. 397 57 Rechtsprechung400 geändert401 : Damit eine Bewilligungserteilung verweigert werden kann, genügt es nicht, dass eine Ausreise für das betroffene Kind zumutbar wäre (E. 2.1 mit weiteren Hinweisen) und dass ein öffentliches Interesse an einer restriktiven Einwanderungspolitik besteht (E. 2.2.1 mit weiteren Hinweisen). Es müssen vielmehr besondere ordnungs- und sicherheitspolitische Gründe vorliegen (E. 2.2.4). Solche Gründe können etwa sein: Ein illegales Verhalten 402 , auch ein rechtsmissbräuchliches früheres 404 405 Sozialhilfeabhängigkeit . Verhalten 403 oder eine erhebliche und fortgesetzte Dieser Entscheid folgt damit den Forderungen in der Lehre, dass zum einen das Kindeswohl im Sinne der KRK stärker beachtet werden soll (E. 2.2.2) und zum anderen bei Schweizer Kindern Gedanken bezüglich der Niederlassungsfreiheit (Art. 24 BV), dem Ausweisungsverbot (Art. 25 BV) und des Wiedereinreiserechtes in Betracht fallen müssen (Art. 24 Abs. 2 BV) (E. 2.2.2 f.). 406 Des Weiteren sind aber auch demografische Interessen gemäss Art. 3 Abs. 3 AuG von Bedeutung: Denn heutzutage kann wohl kaum verneint werden, dass die immer stärker überalterte Schweiz gut integrierte junge Leute brauchen kann.407 In Bezug auf ein ausländisches Kind, welches lediglich über eine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung in der Schweiz verfügt und somit keine bürgerrechtliche Aspekte beachtet werden müssen, haben sich die Kriterien jedoch nicht geändert: So ist weiterhin zu prüfen, ob dem aufenthaltsberechtigten Kind eine Ausreise ins Heimatland des sorgeberechtigten Elternteiles zumutbar ist.408 Handelt es sich um nicht sorgeberechtigte und nicht anwesenheitsberechtigte Elternteile, müssen gemäss Bundesgericht mehrere Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein: Es muss eine wirtschaftlich und emotional besonders enge Beziehung vorliegen, die zudem aufgrund der Distanz zwischen dem Heimatstaat des nicht Sorgeberechtigten und der Schweiz nicht gepflegt werden könnte.409 400 Statt vieler BGer 2A.534/2006 vom 19.10.2007, E. 3. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde durch BGE 135 I 143 vollzogen, in welchem das Bundesgericht sich den Postulaten, dass das Kindeswohl stärkere Berücksichtigung finden soll, geöffnet hat. Ausführlich zu dieser Kehrtwende: SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2008/2009, S. 996 ff. 402 Es reicht jedoch nicht jede Straffälligkeit aus, um besondere ordnungs- und sicherheitspolitische Gründe zu bejahen: BGE 136 I 285, E. 5.3, im Fall einer illegalen Anwesenheit in der Schweiz und Vorliegen kleinerer Verstösse gegen das Gesetz über den öffentlichen Personenverkehr. BGE 137 I 247, E. 5.2.2, im Fall von verübten Bagatelldelikten. Das Vorliegen von besonderen Gründen bejaht in BGer 2C_660/2009 vom 7.6.2010, E. 2, im Fall einer sorgeberechtigten Mutter, die wiederholt und erheblich gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen hat und zu beinahe zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden ist. Kritisch zum Ganzen: RUMO-JUNGO / SPESCHA, S. 1114. 403 BGE 122 II 289, E. 3. 404 BGer 2C_679/2008 vom 2.6.2009, E. 4.4. 405 UEBERSAX, Die EMRK und das Migrationsrecht aus der Sicht der Schweiz, S. 228 f., unter anderem kritisch zur Frage, inwiefern Kinder für die Fehler ihrer Eltern zur Verantwortung gezogen werden dürfen. 406 ACHERMANN / CARONI, Rn 6.35. Bereits vor 15 Jahren gefordert von: CARONI, Privat- und Familienleben zwischen Menschenrecht und Migration, S. 472. Vgl. zudem auch SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, BV, EMRK und UNO-KRK, Rn 19; SPESCHA, Inländerdiskriminierung, S. 1438; SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2008/2009, S. 999. 407 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, BV, EMRK und UNO-KRK, Rn 19. 408 BGer 2A.508/2005 vom 16.9.2005, E. 2.2.3; ZÜND / HUGI YAR, Rn 47. 409 BGE 139 I 315, E. 2.5; BFM Weisungen AuG, Rn 6.17.4.2. In BGE 120 Ib 22, E. 4 entschied das Bundesgericht, dass ein Besuchsrecht auch vom Ausland her (in casu Tunesien) wahrgenommen werden könne und daher kein Aufenthaltsrecht in der Schweiz notwendig sei. 401 58 Des Weiteren wird ein tadelloses Betragen des betroffenen Elternteiles vorausgesetzt.410 Die vorhin genannten Überlegungen zur Niederlassungsfreiheit, dem Ausweisungsverbot und dem Wiedereinreiserecht fallen in dieser Konstellation nicht ins Gewicht. Das Bundesgericht präzisierte in BGE 139 I 315 seine Rechtsprechung und entschied, dass sich nicht sorgeberechtigte Elternteile, welche aufgrund einer mittlerweile aufgelösten Ehegemeinschaft bereits einmal über eine Aufenthaltsbewilligung verfügten, von Elternteilen, die um eine erstmalige Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ersuchen, unterscheiden: Ersteren kommt ein bedingter Anspruch gemäss Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG zu und es wird berücksichtigt, dass sie sich während des bisherigen Aufenthalts in der Schweiz integrieren und Kontakte knüpfen konnten. Deshalb erachtet es das Bundesgericht als gerechtfertigt, an Erstere weniger strenge Voraussetzungen zu stellen, dies entspreche zudem Art. 9 KRK (E. 2.4): So gilt für sie die Voraussetzung „der besonderen Intensität der affektiven Beziehung“ als erfüllt, wenn ein „übliches Besuchsrecht“ ausgeübt wird (E. 2.5). Ausländische Personen, die erstmals in die Schweiz einreisen und sich lediglich auf Art. 8 EMRK berufen können, müssen hingegen über ein „grosszügig ausgestaltetes Besuchsrecht“ verfügen.411 In beiden Fällen ist gemäss Bundesgericht jedoch unabdingbare Voraussetzung, dass das vereinbarte Besuchsrecht auch tatsächlich ausgeübt wird. 412 Anfangs 2013 entschied der EGMR im Urteil Udeh, dass der regelmässige Kontakt zu beiden Elternteilen im Sinne des Kindeswohls geboten ist (Rn 52) und weiter, dass ein lediglich vom Ausland aus gepflegter Kontakt den Anforderungen des Kindeswohls nicht zu genügen vermöge (Rn 53). In Anbetracht dieses Urteils erscheint fraglich, ob die bundesgerichtliche Praxis – nämlich die Erfordernisse der wirtschaftlichen Abhängigkeit, der besonders engen Beziehung und des tadellosen Verhaltens – weiterhin vertreten werden kann.413 In Bezug auf sorgeberechtigte Elternteile kritisieren CARONI und SPESCHA zudem, dass im Hinblick auf das Kindeswohl nicht nachvollziehbar ist, weshalb die anzuwendenden Voraussetzungen von der Staatsangehörigkeit des Kindes abhängig gemacht werden.414 Und auch die Lehre fordert, dass zur Beurteilung, ob ein persönlicher Härtefall vorliegt, stets die Kindesinteressen und das Kindeswohl ausschlaggebend sein müssen.415 Die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- 410 Statt vieler BGE 139 I 315, E. 2.5. M.w.Verw. BGE 139 I 315; aufgrund der geänderten Wahrnehmung der Wichtigkeit des Besuchsrechts in der heutigen Gesellschaft, hat sich der Umfang des Besuchsrechts in den letzten Jahren stark verändert. In E. 2.3 präzisiert das Bundesgericht daher seine Rechtsprechung und beurteilt ein Besuchsrecht im Umfang von zwei Wochenenden im Monat und der Hälfte der Ferien als üblich. 412 BGE 139 I 315, E. 2.5. 413 HUGI YAR, S. 130 f.; SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2012/2013, S. 981 f. 414 CARONI, Der Familiennachzug in der Schweiz, S. 28; SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2008/2009, S. 999 f. 415 CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 26; HUGI YAR, S. 80; vgl. RUMO-JUNGO / SPESCHA, S.1114 f.; vgl. SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 8. 411 59 und Ausländerrecht geht noch weiter und fordert, dass bei Vorhandensein gemeinsamer Kinder den geschiedenen Eheleuten automatisch ein Aufenthaltsrecht zukommen soll.416 (2) Tod des Ehegatten Auch bei Tod eines Ehegatten kann sich ein Anspruch auf ein Verbleiberecht aufgrund eines Härtefalles ergeben. Es ist wiederum anhand des konkreten Einzelfalles zu entscheiden, ob ein persönlicher Härtefall für die hinterbliebene Person besteht. Bei der Beurteilung der Gesamtumstände sind Pietätsgründe mitzuberücksichtigen.417 So führte das Bundesgericht aus, dass ein Anspruch auf Totenfürsorge – zu welcher auch „[...] ein regelmässiger Grabbesuch und das gedankliche Gespräch mit einer verstorbenen Person an deren letzter Ruhestätte [...]“ gehöre – für ein Verbleiberecht spreche.418 Der Todesfall alleine führt somit nicht ohne Weiteres zur Annahme eines Härtefalles. 419 Mit BGE 138 II 393 hat das Bundesgericht diese Rechtsprechung aber konkretisiert und ausgeführt, dass für den Tod des Ehegatten die Vermutung gelte, wonach ein wichtiger persönlicher Grund vorliege.420 Es behält jedoch berechtigte Zweifel an einer tatsächlich gelebten Ehegemeinschaft sowie an deren Verbundenheit vor. Demnach ist diese Vermutung etwa widerlegbar, wenn die nachgezogene Person bei Heirat von der schweren Krankheit und der damit zusammenhängenden verkürzten Lebenserwartung des Partners weiss und einzig heiratet, um ein Verbleiberecht aufgrund des Todes abzuleiten. Oder wenn die oder der Betroffene kurz vor dem Tod des Ehegatten ein Trennungs- oder Scheidungsverfahren einleitet und die Beziehung im Zeitpunkt des Todes offensichtlich bereits beendet ist (E. 3.3).421 Diese gesetzliche Vermutung ist begrüssenswert, da sie eine Gewichtung der Kriterien vornimmt und damit zu mehr Rechtssicherheit führt.422 Für SPESCHA erscheint eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung bei Tod des Ehegatten im Hinblick auf das Verbleiberecht gemäss FZA und somit im Sinne der Rechtsgleichheit unabdingbar.423 In der untersuchten Zeitperiode fanden sich zum Kriterium „Tod des Ehegatten“ keine Urteile des Bundesgerichtes, daher konnte das Kriterium nicht in die Rechtsprechungsübersicht aufgenommen werden. 416 KURT / SHY CHAU, S. 33. BGE 137 II 1, E. 4.1; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 7a; vgl. CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 25, die im Sinne von Pietätsgründen für Zurückhaltung bei der Verneinung eines Härtefalles plädiert. 418 BGE 129 I 173, E. 5.2. 419 BGE 137 II 1, E. 3.1; HUGI YAR, S. 91. 420 Ausführlich zu dieser Rechtsprechung siehe SPESCHA, Rechtsprechungsübersicht 2011/2012, S. 1060 f. 421 BGE 138 II 393, E. 3.3. HUGI YAR, S. 94, kritisiert in genanntem Entscheid den Bezug der Rechtsprechung auf Art. 96 AuG, welcher die Ermessensausübung der Behörde regelt, obwohl es im Geltungsbereich von Art. 50 AuG nicht um eine Interessenabwägung gehe. BFM Weisungen AuG, Rn 6.15.3.3; CARONI / GRASDORF-MEYER / OTT / SCHEIBER, S. 142. 422 Vgl. HUGI YAR, S. 136 f. 423 SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 7a; gl.M. TRIPPEL, S. 1565. 417 60 (3) Gesundheitliche Notlage Damit eine gesundheitliche Notlage einen nachehelichen Härtefall begründen kann, müssen gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung gesundheitliche Probleme vorliegen, die eine permanente oder dringliche medizinische Behandlung erforderlich machen. Weiter erforderlich ist zudem, dass diese Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland nicht bestehen und eine Rückreise gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen für die betroffene Person zur Folge hätte. Im Gegensatz dazu reicht es nicht, wenn die medizinischen Behandlungen in der Schweiz besser oder kostengünstiger sind. Ebenfalls ist ein nachehelicher Härtefall zu verneinen, wenn die ausländische Person bereits vor Einreise in die Schweiz erkrankt war und ein weiteres Verbleiberecht einzig gestützt auf diesen Umstand ableitet. 424 (4) Rechtsprechungsübersicht In Bezug auf das Kriterium von gemeinsamen Kindern erhebt das BFM mit BGer 2C_326/2013 vom 20.11.2013 Beschwerde gegen ein Urteil des kantonalen Verwaltungsgerichtes, im Fall einer serbischen Staatsangehörigen, die 2008 zu ihrem in der Schweiz niederlassungsberechtigten Ehemann einreiste. 425 Im Jahre 2009 wurde die gemeinsame Tochter geboren. Knapp ein Jahr später wurde der gemeinsame Haushalt aufgelöst und im Eheschutzverfahren wurde der Mutter die Obhut für die gemeinsame Tochter zugesprochen. Das kantonale Verwaltungsgericht stuft zwar die geltend gemachte eheliche Gewalt als nicht genügend intensiv und die Wiedereingliederung „nur“ als erschwert ein, jedoch anerkennt sie die überdurchschnittliche Integration der Beschwerdegegnerin. Der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtes entsprechend426, lässt das Verwaltungsgericht der Beziehung des Kleinkindes zu den Grosseltern, den Eltern der Beschwerdegegnerin, grosse Bedeutung zukommen: Letztere hüten das Kind während den Arbeitszeiten der Beschwerdegegnerin. Durch eine Ausreise würde diese stabile und wichtige Bindung beeinträchtigt (E. 3). Das BFM (die Beschwerdeführerin) hingegen erachtet die berufliche Integration als nicht gegeben und eine Wiedereingliederung in der Heimat als zumutbar. In Bezug auf das Kindeswohl vertritt es die Ansicht, dass Härtefälle insbesondere bei Jugendlichen bejaht würden, die bereits eine Beziehung zur Schweiz aufbauen konnten. Kleinkindern hingegen könne zugemutet werden dem sorge- beziehungsweise obhutsberechtigten Elternteil ins Ausland zu folgen. Die Fremdbetreuung während der Arbeitszeit erachtet es als üblich, eine solche könne auch in Serbien arrangiert werden (E. 4). Das Bundesgericht schliesst sich der Vorinstanz an und betont die vorliegende Bedeutsamkeit der Beziehung zu den Grosseltern: Diese Beziehung sei im Rahmen von Art. 50 Abs. 1 lit b AuG und Art. 3 KRK sehr wohl mit zu berücksichtigen (E. 5.1). Obwohl die weiteren Umstände für sich alleine ein Verbleiberecht nicht 424 BGE 128 II 200, E. 5.3; HUGI YAR, S. 90. Ausführlich zum vorinstanzlichen Urteil Rechtsprechungsübersicht 2012/2013, S. 985. 426 BGE 135 I 143, E. 3.1. 425 des aargauischen Verwaltungsgerichtes SPESCHA, 61 zu begründen vermögen (insbesondere die überdurchschnittliche Integration sowie die erschwerte Wiedereingliederung), so reichen sie vorliegend – im Zusammenhang mit der schützenswerten Grosseltern-Enkelkind-Beziehung – doch aus, um einen nachehelichen Härtefall zu begründen (E. 5.5). Der Lehre entsprechend stärkt das kantonale Verwaltungsgericht in casu die Bedeutung des Kindeswohls und der KRK. Es geht aber noch weiter und definiert auch die Beziehung von Grosseltern zu ihren Enkelkindern als schützenswert. Obwohl es sich vorliegend um ein Kind mit Niederlassungsbewilligung handelt, bei welchem somit bürgerrechtliche Überlegungen keine Anwendung finden, so gewichten die Gerichte das Kindeswohl stärker als das öffentliche Interesse an einer restriktiven Einwanderungspolitik427 . Wie im theoretischen Teil unter C.4.c.v.1 schon aufgeführt, erscheint im Hinblick auf das Kindeswohl ohnehin fragwürdig, die Kriterien zum Verbleib von der Staatsangehörigkeit des Kindes abhängig zu machen. Das kantonale Verwaltungsgericht hebt die berufliche und wirtschaftliche Integration der Beschwerdegegnerin äusserst positiv hervor428: Diese habe kurze Zeit nach dem Auszug aus der Haushaltsgemeinschaft eine Arbeitsstelle angetreten. Zur Zeit arbeite sie als Raumpflegerin bei verschiedenen Arbeitgebern, wobei es sich zum Teil um unbefristete Arbeitsverhältnisse handle. Sie erziele damit ein monatliches Einkommen in Höhe von CHF 3'000.00 (E. 3.2). In Anbetracht dieser Ausführungen muten die Ausführungen des BFM zur wirtschaftlichen Integration der Beschwerdeführerin umso seltsamer an: So führt es aus, dass das Einkommen der Beschwerdegegnerin „längere Zeit deutlich geringer ausgefallen sei“ (in casu CHF 1'400.00) und auch der Umstand, dass die Arbeitsverhältnisse teilweise befristet seien, schliesse eine berufliche Integration aus (E. 5.2). Hierbei handelt es sich m.E. um eine sophistische Argumentation: An die wirtschaftliche Integration einer alleinerziehenden Mutter können nicht dieselben Ansprüche an eine erfolgreiche Integration gestellt werden (siehe ausführlich zur Integration C.4.a.iii). Des Weiteren vermochte die Beschwerdegegnerin im vorliegenden Fall stets ohne jegliche finanzielle Unterstützung von Familie oder Staat für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Auch das Kriterium der gesundheitlichen Notlage wurde von den Beschwerdeführenden in der vorgegebenen Zeitperiode vergleichsweise häufig angerufen (vgl. Appendix I). In den meisten Fällen wurden die entsprechenden Beschwerden vom Bundesgericht relativ knapp abgewiesen.429 427 Obwohl m.E. fraglich erscheint, ob das öffentliche Interesse an einer restriktiven Einwanderungspolitik, welches im Rahmen von Art. 8 EMRK bei der Interessenabwägung eine Rolle spielt, in Bezug auf Art. 50 AuG überhaupt Anwendung finden darf. Vgl. dazu die Ausführungen unter C.III.4.b. 428 Dabei handelt es sich um ein Kriterium gemäss Art. 31 VZAE, welches bei der Beurteilung eines Härtefalles berücksichtigt werden kann. Siehe dazu C.III.4.b. 429 Etwa weil überhaupt kein ärztliches Attest vorliegt, vgl. BGer 2C_1047/2013 vom 24.6.2014, oder es an der Intensität fehlt, vgl. BGer 2C_1179/2013 vom 30.12.2013, im Fall eines Kameruners, welcher über eine Besonderheit der Herzmuskulatur, Kopfschmerzen und Depressionen klagt. Weiter urteilte das Bundesgericht vielfach, dass die Krankheiten im Ausland ebenso gut behandelt werden können wie in der Schweiz: 62 Weit ausführlicher begründet wurde jedoch der in der Rechtsprechungsübersicht zur häuslichen Gewalt schon erläuterte Entscheid BGer 2C_73/2013 vom 3.4.2014. In genanntem Entscheid macht die Beschwerdeführerin eine psychische Erkrankung (paranoide Schizophrenie), insbesondere eine akute Suizidgefahr, geltend. Sie führt dabei aus, dass ein weiterer enger Kontakt zu ihren Söhnen und Enkelkindern in der Schweiz für ihren Gesundheitszustand unerlässlich sei (E. 4). Die Vorinstanz führt ins Feld, dass die Beschwerdeführerin bereits vor Einreise erkrankt und eine Behandlung in der Türkei auch in der Zukunft möglich sei (E. 4.1). Von der Vorinstanz unbeachtet bleiben aber psychiatrische Berichte, welche ausführen, dass sich die gesundheitliche Lage der Beschwerdeführerin aufgrund von ehelicher Gewalt enorm verschlechtert habe und einzig der Kontakt zu ihren Söhnen und Enkelkindern ihr helfe, das Suizidrisiko zu verringern. Die Beschwerdeführerin befinde sich zudem in stetiger psychiatrischer Behandlung (E. 4.1 f.). Die Vorinstanz erachtet im Gegensatz zum Bundesgericht die Beziehung zu den Söhnen und deren Kindern als nicht massgeblich und tätigt keine diesbezüglichen Sachverhaltsabklärungen. Sollte – so schliesst das Bundesgericht – tatsächlich eine derart intensive Beziehung bestehen, welche die psychische Genesung der Beschwerdeführerin entscheidend stütze, so sei aufgrund der Gesamtumstände (zusätzlich glaubhaft erscheinende eheliche Gewalt), ein Härtefall zu bejahen (E. 4.4). Erneut stellt sich die Frage, warum die gerichtlichen Behörden in genereller Weise über erbrachte Nachweise hinwegsehen oder diese gar gänzlich unbeachtet lassen. M.E. ist die Beschwerdeführerin in casu ihrer Mitwirkungspflicht unzweifelhaft nachgekommen: Sie hat mehrere psychiatrische Berichte eingereicht, die die geltend gemachte medizinische Notlage attestieren. Und doch sieht sich die Vorinstanz nicht veranlasst, weitere Abklärungen zu treffen. So erwähnt die Vorinstanz zwar den ärztlichen Bericht, der festhält, das sich das Suizidrisiko der Beschwerdeführerin verstärkt habe, bemerkt dazu aber kurzerhand, dass davon ausgegangen werden müsse, dass der ärztliche Bericht zum grössten Teil auf Aussagen der Beschwerdeführerin beruhe. Weiter bemängelt es sodann auch den Aufbau des Arztzeugnisses, welches keine Schlüsse zulasse. Es führt dazu aus: „Die [ärztliche] Feststellung, wonach mit einer ernstzunehmenden Suizidalität zu rechnen sei, lässt darauf schliessen, dass diese aktuell eher nicht besteht [...].430 Ohne umfassende Akteneinsicht kann selbstverständlich kein abschliessendes Fazit gezogen werden. Doch drängt sich gerade angesichts solcher Fälle m.E. die Frage auf, ob die von den Behörden und Gerichten verlangten Anforderungen an das Beweismass und die Intensität – wobei die Statt vieler BGer 2C_886/2013 vom 20.12.2013, im Fall einer Leberzhirrhose, chronischen Rückenbeschwerden, Schlafstörungen und Depressionen, deren Behandlung in der Türkei als möglich einschätzt wird sowie BGer 2C_317/2013 vom 14.1.2014, im Fall einer Kolumbianerin, die an Asthma und diversen Allergien leidet. 430 Entscheid des Kantonsgerichtes Basel-Landschaft vom 26.9.2012, E. 6.5.2. 63 Gerichte auf Letztere in der untersuchten Rechtsprechungsperiode kaum eingingen und einen Anspruch meist aufgrund eines nicht glaubhaft gemachten Sachverhaltes verneinten – von nachehelichen Härtefällen überhaupt erfüllbar sind. d. Frist (Art. 50 Abs. 3 AuG) Die Frist für die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung richtet sich für Ausländerinnen und Ausländer, die gestützt auf Art. 50 AuG ein Verbleiberecht erhalten haben, nach Art. 34 AuG. Demnach kann diesen nach zehnjährigem Aufenthalt in der Schweiz die Niederlassungsbewilligung erteilt werden (Art. 34 Abs. 2 lit. a AuG). Bei erfolgreicher Integration kann die Erteilung bereits nach einem ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren erfolgen (Abs. 4). Das bedeutet die Privilegien von Art. 42 Abs. 3 AuG und Art. 43 Abs. 2 AuG, welche jeweils an eine noch bestehende Ehe anschliessen431 und Ansprüche auf Niederlassungsbewilligungen statuieren, finden keine Anwendung.432 431 432 Sie berücksichtigen so gebührend die integrative Wirkung der Ehe. CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 39; SPESCHA, OF-Kommentar Migrationsrecht, Art. 50, Rn 13. 64 IV. Die Auflösung gemäss VZAE 1. Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich Wie unter B.IV.3 schon erwähnt, hatten Ehegatten von Ausländerinnen und Ausländern mit einer Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz unter dem Geltungsbereich des ANAG keinen Anspruch auf Familiennachzug und die Behörde entschied in freiem Ermessen. Folglich lag auch die Bewilligung des weiteren Verbleibes nach einer gescheiterten Ehe im freien Ermessen der Behörde. 433 Nach heutigem Recht findet die Regelung von Art. 77 VZAE auf Fälle gemäss Art. 44 AuG Anwendung, das heisst für die Ehegatten und Kinder von Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung. Für die Ehegatten und Kinder von Personen mit einer Kurzaufenthaltsbewilligung gemäss Art. 45 AuG besteht im Fall der Auflösung der Ehe- oder Familiengemeinschaft keine Regelung. Grund für diese fehlende Regelung ist die Tatsache, dass die Aufenthaltsdauer von Kurzaufenthaltern von Anfang an befristet ist und eine Verlängerung der Bewilligung auf höchstens zwei Jahre möglich ist (Art. 32 Abs. 1 und 3 AuG).434 Die Regelung von Art. 77 VZAE ist mit derjenigen von Art. 50 AuG vergleichbar, doch statuiert sie keinen Anspruch der Betroffenen, sondern erfordert einen Ermessensentscheid der zuständigen Behörde.435 Aufgrund des identischen Wortlautes kann somit für Ausführungen zu Art. 77 Abs. 1 lit. a und b und Abs. 2 VZAE vollständig auf die Erläuterungen unter C.III verwiesen werden, während hierunter – jedoch für die gesamte Masterarbeit und insbesondere für den Teil C.III einschlägig – die bedeutende Unterscheidung zwischen einem Rechtsanspruch und dem Ermessen erläutert und die sich daraus ergebenden Folgen für die Betroffenen beleuchtet werden. 436 2. Exkurs: Die Gegenüberstellung von Rechtsanspruch und Ermessen Die Beurteilung, ob ein Anspruch auf die Erteilung einer Bewilligung besteht oder ob diese vielmehr im Ermessen der zuständigen Behörde liegt, hat elementare Auswirkungen auf die Rechtsposition der betroffenen Person. Besteht ein Anspruch auf eine bestimmte Rechtsposition, so muss bei Vorliegen der Voraussetzungen, dieser Folge gegeben werden (davon ausgenommen sind Fälle des offensichtlichen Rechtsmissbrauches). Das bedeutet, dass der zuständigen Behörde kein Entscheidungsspielraum verbleibt.437 Demgegenüber handelt es sich bei Ermessen häufig um sogenannte Kann-Bestimmungen438 , welche der zuständigen Behörde einen Ermessensspielraum bei der 433 BUSER, Rn 25.9; Stellungnahme des Bundesrates zur Initiative GOLL, S. 5036. CARONI, Kommentierungen zu Art. 45, Rn 4. 435 CARONI, Kommentierungen zu Art. 50, Rn 7. 436 Beachte, dass sich im Rahmen von Art. 77 VZAE in der gleichen Norm Ermessensbegriffe und unbestimmte Rechtsbegriffe vorfinden. Zur Thematik des unbestimmten Rechtsbegriffes siehe C.III.3. 437 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 89. 438 Für weitere Formulierungen, die auf Ermessensbestimmungen hindeuten, siehe die Ausführungen in TSCHANNEN / ZIMMERLI / MÜLLER, § 26, Rn 5. 434 65 Anordnung von Rechtsfolgen eröffnen.439 Diese sollen Raum für eine Einzelfallgerechtigkeit eröffnen.440 Es steht der Behörde im Rahmen ihres Ermessens frei, die betroffenen Personen aufzufordern, Nachweise für das Vorliegen der Voraussetzungen zu erbringen.441 Ermessensspielräume bedeuten somit Macht bei der Gesetzesanwendung.442 Das Ermessen muss von der Behörde jedoch pflichtgemäss ausgeübt werden, soll heissen, es müssen stets die gesamten Umstände des Einzelfalles Beachtung finden und ihre Gewichtung muss in qualifizierter Art und Weise erfolgen.443 Die Behörde ist bei der Ausübung ihres Ermessens an die Verfassung gebunden und hat das Willkürverbot gemäss Art. 9 BV, das Rechtsgleichheitsgebot gemäss Art. 8 BV und das Prinzip der Verhältnismässigkeit gemäss Art. 5 Abs. 2 BV stets zu berücksichtigen.444 Übt eine Behörde nun ihr Ermessen nicht pflichtgemäss aus, liegt ein Ermessensfehler vor. Je nach Schwere des Ermessensfehlers muss zwischen der Unangemessenheit und einem qualifizierten Ermessensfehler (die Ermessensunterschreitung, -überschreitung und der Ermessensmissbrauch) unterschieden werden.445 In Ermessensentscheide der Behörden wird von den Rechtsmittelinstanzen nur mit Zurückhaltung eingegriffen.446 Während die Unangemessenheit auf Bundesebene lediglich vom Bundesverwaltungsgericht (Art. 49 lit. c VwVG in Verbindung mit Art. 37 VGG), grundsätzlich aber nicht vom Bundesgericht (Art. 95 und Art. 116 BGG) überprüft werden kann, stellen qualifizierte Ermessensfehler Rechtsverletzungen dar, die grundsätzlich vor allen Gerichten geltend gemacht werden können.447 Im Bereich des Ausländerrechts ist jedoch zu beachten, dass gemäss Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG eine Beschwerde gegen Ermessensentscheide an das Bundesgericht ohnehin ausgeschlossen ist. Der fehlende Rechtsanspruch führt somit zu einer massiven rechtlichen Schlechterstellung von Ausländerinnen, die in einer Ehe mit einem Aufenthalter oder Kurzaufenthalter leben. Es ist 439 HÄFELIN / MÜLLER / UHLMANN, Rn 429, welche unter Rn 439 f. zudem weiter ausführen, dass die Frage, ob es sich bei der betreffenden Norm um eine Ermessensbestimmung handelt, durch Auslegung festzustellen ist. Bei der Gesetzesauslegung handle es sich um eine Rechtsfrage. Kritisch zur Unterscheidung von Tatbestand und Rechtsfolge zudem unter Rn 451 f. Im Fall von Art. 77 VZAE liegt ein sogenanntes Entschliessungsermessen vor, das heisst, es liegt im Ermessen der Behörde, ob eine Rechtsfolge verfügt werden soll. Zu den verschiedenen Ermessensarten, siehe die Ausführungen in TSCHANNEN / ZIMMERLI / MÜLLER, § 26, Rn 6 ff. 440 So auch die unbestimmten Rechtsbegriffe, siehe dazu die Ausführungen unter C.III.3. 441 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 90. 442 Ebd. 443 BGE 138 I 305, E. 1.4.3 (in Bezug auf eine Einbürgerung); SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 91. Das AuG bestimmt zudem, dass die Behörde ihr Ermessen im Sinne von Art. 96 AuG auszuüben hat und demnach den öffentlichen Interessen, den persönlichen Verhältnissen und dem Grad der Integration der betroffenen Person stets Rechnung zu tragen hat. 444 HÄFELIN / MÜLLER / UHLMANN, Rn 441. 445 TSCHANNEN / ZIMMERLI / MÜLLER, § 26, Rn 13. Zur Differenzierung zwischen der Unangemessenheit und dem qualifizierten Ermessensfehler siehe zudem die Erläuterungen derselben unter Rn 15 ff. A.M. HÄFELIN / MÜLLER / UHLMANN, Rn 430 und 459b ff., die auf die Unterscheidung zwischen der Unangemessenheit und einem qualifizierten Rechtsfehler verzichten. 446 SPESCHA / KERLAND / BOLZLI, S. 92. 447 TSCHANNEN / ZIMMERLI / MÜLLER, § 26, Rn 23. 66 fraglich, ob eine solche Ungleichbehandlung begründet ist.448 In ihrem Härtefallbericht ermittelten DUBACHER / REUSSER zudem, dass die Handhabung des Ermessens durch die Kantone sehr unterschiedlich erfolgt. Infolgedessen sind auch die Chancen auf Erhalt einer Härtefallbewilligung in den Kantonen verschieden. 449 Der grosse Ermessensspielraum ist einerseits Folge von unbestimmten Rechtsbegriffen und andererseits von Kann-Bestimmungen.450 Obwohl die Weisungen des SEM versuchen, die Voraussetzungen von Art. 50 AuG zu konkretisieren und somit die Praxis der Kantone zu vereinheitlichen, so ist der Spielraum der Kantone sehr gross.451 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden Fälle mit Bezug auf das Verbleiberecht gemäss Art. 77 VZAE nicht untersucht. Eine entsprechende Analyse der Entscheide der kantonalen Verwaltungsgerichte sowie des Bundesverwaltungsgerichtes wäre für die Beurteilung der Handhabung der Ermessensspielräume durch die Behörden und der davon abhängigen Wirksamkeit des beabsichtigen Opferschutzes unumgänglich. V. Prozessuales Wie unter B.V schon aufgeführt, liegt die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung in der Kompetenz der Kantone. Will die kantonale Behörde im Geltungsbereich von Art. 50 AuG ein Verbleiberecht erteilen, so muss sie beim SEM eine Zustimmung einholen, sofern die betroffene Person nicht aus der EU/EFTA stammt.452 Diese Unterscheidung hat nicht nur einen Einfluss auf den beschwerderechtlichen Instanzenzug (siehe B.V), sondern auch auf die Einheit der getätigten Entscheide: So erläutert der Bundesrat453 , dass keine vollständige Vereinheitlichung der kantonalen Härtefallpraxis im Rahmen von Art. 50 AuG stattfinden kann, da Fälle, in denen keine Zustimmung des SEM erforderlich ist, der Kontrolle ebengenannter entzogen sind. Die Rechtskontrolle erfolgt in diesem Fall im kantonalen Instanzenzug. 448 Vgl. DUBACHER / REUSSER, Häusliche Gewalt und Migrantinnen, S. 27. DUBACHER / REUSSER, Familien im Härtefallverfahren, Vorwort. 450 Ebd., S. 4. 451 Ebd., S. 12. 452 BFM Weisungen AuG, Rn 1.3.1.4. 453 Stellungnahme des Bundesrates zum Postulat GOLL. 449 67 D. Schlusswort Aus dem einführenden ersten Teil der Arbeit kann entnommen werden, dass sich die stetige Weiterentwicklung von Menschenrechten aber auch weiterer multi- und bilateraler Abkommen auf die Rechtsetzung und -anwendung im Bereich des – eigentlich nationalen – Migrationsrechts stark auswirkt. Im Bereich des Familiennachzuges von enormer Bedeutung sind dabei die deckungsgleichen Schutzbereiche von Art. 8 EMRK und Art. 13 BV. Im Vergleich zum AuG gehen Art. 8 EMRK und Art. 13 BV von einem weiteren Familienbegriff aus. Durch die von der Lehre stark kritisierte Reneja-Praxis des Bundesgerichtes, welche unter anderem das Kriterium des gefestigten Anwesenheitsrechtes einführte, wurden jedoch auch die Schutzbereiche von Art. 8 EMRK und Art. 13 BV in Bezug auf das Familienleben stark limitiert. Obwohl die Normen der KRK grundsätzlich keinen direkt durchsetzbaren Anspruch begründen, so stellen sie doch einen entscheidenden Schritt für einen besseren Schutz des Kindeswohls im Bereich des Familiennachzuges dar. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das schweizerische Interesse an einer restriktiven Einwanderungspolitik und die entgegenstehenden menschen- und grundrechtlichen Ansprüche auf den Schutz der Familie in einem scheinbar unlösbaren Widerspruch zueinander stehen. Die Unterscheidung von EU/EFTA-Bürgerinnen und Bürgern und Drittstaatsangehörigen gemäss dem dualen Zulassungssystem bringt diesen Widerspruch noch deutlicher zu Tage: Während das FZA den freien Personenverkehr postuliert, verfolgt das AuG für Drittstaatsangehörige (auch) im Bereich des Familiennachzuges eine restriktive Zulassungspraxis. Dies führt nicht nur zu einer markanten Schlechterstellung von Drittstaatsangehörigen gegenüber EU/EFTA-Bürgerinnen und Bürgern, sondern gleichzeitig auch zu zahlreichen Inländerdiskriminierungen. Trotz herrschender Kritik in Lehre und Politik und wachsendem Unmut in der Bevölkerung, sieht sich offensichtlich weder das Bundesgericht noch der Gesetzgeber veranlasst, diese Inländerdiskriminierungen zu beheben. Mit Inkrafttreten des AuG im Jahr 2008 wurde ein Verbleiberecht nach gescheiterter Ehe erstmals gesetzlich verankert. Die Einführung eines solchen war unter anderem eine Reaktion auf parlamentarische Forderungen nach einem besseren Schutz von Migrantinnen. Demnach ist Ziel und Zweck von Art. 50 AuG, Härtefälle zu vermeiden, Rechtssicherheit bezüglich den Anforderungen an eine Härtefallbewilligung zu schaffen sowie die kantonale Härtefallpraxis in diesem Bereich zu vereinheitlichen. Wie gezeigt wurde, enthalten Art. 50 AuG sowie der wortgleiche Art. 77 VZAE mehrere unbestimmte Rechtsbegriffe, welche grosse Beurteilungsspielräume für die zuständigen Behörden zur Folge haben. Diese sind für eine Einzelfallgerechtigkeit zwar unumgänglich, sie führen jedoch auch zu viel Rechtsunsicherheit und erschweren eine rechtsgleiche Anwendung. Dazu kommt, dass die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe von den Rechtsmittelinstanzen nur mit Zurückhaltung überprüft wird. 68 Die Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe ist somit für die Betroffenen und ihre Rechtsstellung entscheidend. In der herrschenden Lehre wird kritisiert, dass die Rechtsprechung überhöhte Anforderungen an das Beweismass und die Intensität von wichtigen persönlichen Gründen stellt. Insbesondere im Bereich der ehelichen Gewalt wird klar, dass die geforderte Intensitätsstufe nicht nur ein gewisses Mass an Gewalt legitimiert, sondern Gewaltbetroffene aus Angst in einer Beziehung verharren lässt. Aus soziologischer Sicht erscheint der bundesgerichtliche Gewaltbegriff zudem höchst umstritten. Angesichts der untersuchten Rechtsprechung drängt sich ferner die Notwendigkeit nach einer Festlegung der gerichtlichen Aufklärungspflicht gegenüber der Mitwirkungspflicht der Prozessführenden auf. Zumal ein zu hohes Beweismass einen Schutz von Opfern und Betroffenen torpediert und in krassem Widerspruch zu staatlichen Schutzpflichten steht. Im Bereich von gemeinsamen Kindern stellt sich zunehmend die Frage, inwiefern es gerechtfertigt ist, die Anforderungen des Verbleiberechts an die Staatsangehörigkeit des Kindes zu knüpfen. Erfreulich hingegen ist die Tendenz des Bundesgerichtes, das Kindeswohl im Sinne der KRK stärker zu gewichten. Es wird sich zeigen, ob sich die Richter in Lausanne diesem Postulat – und somit auch der Strassburger Rechtsprechung – noch weiter öffnen werden. Besonderes Augenmerk verdient auch die Rechtsstellung von Familienangehörigen von in der Schweiz Aufenthaltsberechtigten: Diese sind bei Auflösung der Familie im Vergleich zu den im Geltungsbereich von Art. 42, Art. 43 AuG und Art. 3 Anhang I FZA Nachgezogenen massiv schlechter gestellt. So liegt ihr rechtliches Schicksal im Fall einer gescheiterten Ehe im Ermessen der Behörde und ihr Rechtsweg ist beschränkt. Gerade im Bereich von Härtefallsituationen erscheint eine solche rechtliche Schlechterstellung sinnwidrig. Abschliessend ist festzustellen, dass die Härtefallkriterien im Sinne der Rechtssicherheit weiter zu konkretisieren sind und zwar so, dass Betroffene einschätzen können, welche Umstände für und welche gegen einen Härtefall sprechen und welche Gewichtung denselben zukommt. Im Sinne einer Beachtung aller Umstände im Einzelfall hingegen, benötigt es eine Sensibilisierung und Weiterbildung von Behörden und einen gezielten Einsatz von Fachleuten: Denn nur so können die staatlichen Schutzpflichten erfüllt und damit die Grundrechte des Einzelnen verwirklicht werden. XXX Appendix I Die Liste der Bundesgerichtsentscheide in der Zeitperiode von Anfang Juli 2013 bis Ende Juni 2013 in Bezug auf nacheheliche Härtefälle.454 Entscheidnummer BGer 2C_588/2014 vom 30.6.2014 Entscheid Abgewiesen Vorinstanz Kant. Verwaltungsgericht BGer 2C_117/2014 vom 27.6.2014 BGer 2C_1047/2013 vom 24.6.2014 Abgewiesen BVGer Abgewiesen Kant. Verwaltungsgericht BGer 2C_982/2013 vom 21.6.2014 BGE 139 I 315 (BGer 2C_1112/2012 vom 14.6.2013) Abgewiesen Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht BGer 2C_765/2013 vom 2.6.2014 BGer 2C_444/2014 vom 28.5.2014 BGer 2C_308/2014 vom 26.5.2014 Gutgeheissen, Rückweisung an die Vorinstanz Gutgeheissen, Rückweisung an die Vorinstanz Abgewiesen Abgewiesen Kant. Verwaltungsgericht Eheliche Gewalt Kant. Verwaltungsgericht BVGer Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung; Gesundheitliche Notlage Eheliche Gewalt (psychische Gewalt) Eheliche Gewalt; Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung Eheliche Gewalt; Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung Eheliche Gewalt BGer 2C_452/2014 vom 26.5.2014 BGer 2C_196/2014 vom 19.5.2014 Abgewiesen Abgewiesen Kant. Verwaltungsgericht BVGer BGer 2C_1111/2013 vom 12.5.2014 BGer 2C_204/2014 vom 5.5.2014 Abgewiesen BVGer Abgewiesen BVGer BGer 2C_362/2014 vom 1.5.2014 BGer 2C_956/2013 vom 11.4.2014 BGer 2C_1025/2013 vom 7.4.2014 Abgewiesen Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht 454 Abgewiesen Abgewiesen Details Gefährdung der Wiedereingliederung; Gesundheitliche Notlage Kinder, umgekehrter Familiennachzug Kinder, umgekehrter Familiennachzug; Gesundheitliche Notlage Gefährdung der Wiedereingliederung Eheliche Gewalt; Kinder, umgekehrter Familiennachzug Kinder, umgekehrter Familiennachzug Gesucht wurde auf der Suchmaske des Bundesgerichtes je in deutscher und französischer Sprache mit den Deskriptoren „Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG“ und „Art. 50 Abs. 2 AuG“ und unter den Stichworten „Art. 50 AuG Härtefall“, „häusliche“ respektive „eheliche Gewalt“, „Zwangsheirat“ und „Tod des Ehegatten“. Die Suche wurde jeweils auf das Staatsrecht, genauer das Bürger- und Ausländerrecht, beschränkt. Der vorliegende Appendix umfasst nicht das gesamte Suchresultat, da dieses viele Urteile umfasste, welche bei genauerem Betrachten keinen oder bloss geringen Zusammenhang mit Art. 50 Abs. 1 lit. b oder Abs. 2 AuG aufwiesen. Ebengenannte wurden aussortiert. XXXI BGer 2C_73/2013 vom 3.4.2014 Gutgeheissen Rückweisung an die Vorinstanz BGer 2C_1062/2013 vom 28.3.2014 Gutgeheissen Rückweisung an die Vorinstanz Abgewiesen BGer 2C_873/2013 vom 25.3.2014 BGer 2C_773/2013 vom 25.3.2014 BGer 2C_225/2014 vom 20.3.2014 BGer 2C_281/2013 vom 20.3.2014 BGer 2C_178/2014 vom 20.3.2014 BGer 2C_193/2014 vom 27.2.2014 BGer 2C_979/2013 vom 25.2.2014 BGer 2C_822/2013 vom 25.2.2014 Abgewiesen Abgewiesen Nichteintreten Abgewiesen Abgewiesen Abgewiesen Abgewiesen BGer 2C_757/2013 vom 23.2.2014 BGer 2C_866/2013 vom 21.2.2014 Abgewiesen BGer 2C_784/2013 vom 11.2.2014 Abgewiesen BGer 2C_575/2013 vom 7.2.2014 BGer 2C_989/2013 vom 20.1.2014 BGer 2C_317/2013 vom 14.1.2014 Abgewiesen BGer 2C_1213/2014 vom 6.1.2014 BGer 2C_1179/2013 vom 30.12.2013 Abgewiesen BGer 2C_886/2013 vom 20.12.2013 BGer 2C_1134/2013 vom 20.12.2013 Abgewiesen Abgewiesen Abgewiesen Abgewiesen Abgewiesen Abgewiesen Entscheid des Kantonsgerichts BaselLandschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht vom 26.9.2012 Kant. Verwaltungsgericht Eheliche Gewalt; Gesundheitliche Notlage Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht BVGer Eheliche Gewalt (psychische Gewalt) Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung Kinder, umgekehrter Familiennachzug Eheliche Gewalt (psychische Gewalt); Gefährdung der Wiedereingliederung Kinder, umgekehrter Familiennachzug Eheliche Gewalt; Gefährdung der Wiedereingliederung Eheliche Gewalt Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Tribunal cantonal du Canton de Vaud, Cour de droit administratif et public, PE.2013.0143 vom 6.8.2013 Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Wegweisungshindernisse Eheliche Gewalt (psychische Gewalt) Gefährdung der Wiedereingliederung Eheliche Gewalt (psychische Gewalt); Gefährdung der Wiedereingliederung; Gesundheitliche Notlage Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung; Gesundheitliche Notlage Gesundheitliche Notlage Gefährdung der Wiedereingliederung XXXII BGer 2C_719/2013 vom 10.12.2013 Abgewiesen BVGer BGer 2C_326/2013 vom 20.11.2013 BGer 2C_771/2013 vom 11.11.2013 Abgewiesen Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht BGer 2C_1005/2013 vom 5.11.2013 Abgewiesen Kant. Verwaltungsgericht BGer 2C_888/2013 vom 14.10.2013 BGer 2C_857/2013 vom 4.10.2013 BGer 2C_821/2013 vom 26.9.2013 BGer 2C_133/2013 vom 13.9.2013 BGer 2C_428/2013 vom 8.9.2013 Abgewiesen BGer 2C_1258/2012 vom 2.8.2013 Abgewiesen Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Tribunal cantonal du Canton de Vaud, Cour de droit administratif et public, PE.2013.0025 vom 16.4.2013 Kant. Verwaltungsgericht BGer 2C_275/2013 vom 1.8.2013 BGer 2C_198/2013 vom 22.7.2013 BGer 2C_1172/2012 vom 22.7.2013 BGer 2C_596/2013 vom 18.7.2013 BGer 2C_1123/2012 vom 11.7.2013 Abgewiesen Abgewiesen Kant. Verwaltungsgericht BGer 2C_274/2012 vom 8.7.2013 BGer 2C_1119/2012 vom 4.7.2013 Abgewiesen Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht BGE 139 II 393 (BGer 2C_65/2012 vom 22.3.2013) Abgewiesen Abgewiesen Abgewiesen Abgewiesen Abgewiesen Abgewiesen Abgewiesen Abgewiesen Abgewiesen Abgewiesen Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht Kant. Verwaltungsgericht BVGer Kant. Verwaltungsgericht Gefährdung der Wiedereingliederung; Gesundheitliche Notlage Kinder, umgekehrter Familiennachzug Eheliche Gewalt; Gefährdung der Wiedereingliederung Eheliche Gewalt (psychische Gewalt); Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung (Ehebruch) Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung Kinder, umgekehrter Familiennachzug Gefährdung der Wiedereingliederung Eheliche Gewalt (psychische Gewalt); Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung; Tod des Ehegatten Gefährdung der Wiedereingliederung Gefährdung der Wiedereingliederung; Gesundheitliche Notlage Kinder, umgekehrter Familiennachzug
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