Für schwarze Kids keine Papiere

Diskriminierung von Amts wegen
Für schwarze Kids keine Papiere
Kinder ausländischer Eltern bekommen im Standesamt Bremen zum Teil jahrelang keine
Geburtsurkunde. Jetzt wird das Verfahren geprüft.
Willkommenskultur im Standesamt Bremen? Bei schwarzen Menschen eher nicht. Foto:
Nikolai Wolff
BREMEN taz | Lisa W.* hat eine Tochter, mittlerweile ist sie drei Jahre alt. Bis heute wartet
Lisa auf eine Geburtsurkunde für das im Mai 2012 in Bremen geborene Kind. Als sie
seinerzeit zum Standesamt Bremen ging, bezweifelte man die Echtheit ihrer nigerianischen
Geburtsurkunde, die sie als Mutter vorlegen muss.
Fälle wie diesen gibt es in Bremen zahlreiche: Bei Holger Dieckmann, Sozialberater beim
Projekt „Willkommen“ der Inneren Mission, sind Dutzende Menschen in der Beratung, bei
denen das Standesamt den Kindern jahrelang keine Geburtsurkunde ausstellte. Und die über
Monate hinweg nicht mal den Nachweis einer Registrierung bekamen.
Betroffen sind vor allem Menschen aus Nigeria und Ghana, sagt Dieckmann. Immer geht es
um Kinder ausländischer Eltern. In allen Fällen, die er kennt, sind die Kinder schwarz. Erst im
Mai verurteilte das Amtsgericht Bremen das Standesamt dazu, die Geburt eines Kinder zu
beurkunden – auch hier hat das über drei Jahre gedauert.
Ohne die Urkunde gibt es Probleme: Bei der Beantragung von Kindergeld und Sozialhilfe, bei
der Ausländerbehörde oder der Anerkennung der deutschen Staatsbürgerschaft, wenn ein
Kind einen deutschen Vater hat. Die Registrierung ist so wichtig, dass sie eigens in der UNKinderrechtskonvention aufgeführt wird. „Das Kind ist unverzüglich nach seiner Geburt in
ein Register einzutragen“, heißt es in Artikel 7.
Was „unverzüglich“ ist, ist strittig
Doch was „unverzüglich“ ist, davon hat das Standesamt Bremen eine ganz eigene
Auffassung. In den betreffenden Fällen zweifelt das Standesamt an der Legitimität der
Dokumente der Eltern. Laut Stadtamtsleiterin Marita Wessel-Niepel seien „die
Voraussetzungen des Personenstandrechts sehr eng“. Die Beamte seien verpflichtet, diese
intensiv zu prüfen: Eine fehlerhafte Geburtsurkunde habe enorme Auswirkungen, etwa beim
Erbrecht.
Für Dieckmann ist klar, dass diese Eifrigkeit übers normale Maß hinaus geht. „Ich habe den
Eindruck, dass das Standesamt Bremen Willkür walten lässt“, so Dieckmann. Was er
berichtet, klingt hanebüchen: Da würden Dokumente anders als bei anderen Standesämtern
nicht anerkannt, da würden Pässe angezweifelt, die die nigerianische Botschaft in
Deutschland ausgestellt hat. Auch wer etwa seine Identität damit nachzuweisen versucht, dass
er in Nigeria seine eigene Geburt von der Mutter eidesstattlich versichern lässt, kommt nicht
weiter. Das könne in Nigeria nur das Familienoberhaupt, sagt die deutsche Behörde – also der
Vater.
Selbst Geburtsurkunden, die zuvor im Standesamt schon akzeptiert wurden, hält die Behörde
mitunter für gefälscht: „Die inhaltliche Richtigkeit der vorgelegten Dokumente ist
zweifelhaft, auch wenn ihre Unterlagen bereits für die Beurkundung des Sohnes
herangezogen wurden“, heißt es in einem Schreiben, das der taz vorliegt.
Probleme selbst mit deutschem Pass
Bei Lisa W. wurde ein kleiner Eintragungsfehler zum Problem. Als ihr Onkel in Nigeria eine
Geburtsurkunde für sie beantragte, war irgendwo fehlerhaft „Neffe“ statt „Nichte“
eingetragen worden, als es um sein Verwandtschaftsverhältnis ging. Der taz berichtet Lisa W.
zudem, dass auch der Vater des Kindes Probleme ob seiner ausländischen Geburtsurkunde
hatte – obwohl er mittlerweile Deutscher ist. Bei seiner Einbürgerung wurde seine
Geburtsurkunde nicht angezweifelt – als es um die Geburt seines Kind ging, sperrte sich das
Standesamt aber. Erst nachdem der Vater mehrfach auf seinen deutschen Pass hinwies, ließ
der Beamte ab, berichtet Lisa W.
„Die Zweifel werden nicht begründet und sind oft absurd“, sagt Dieckmann. „Die Betroffenen
empfinden es als Rassismus“. Ein Vorwurf, der bereits vor Jahren erhoben wurde: 2011
berichtete die taz, dass das Standesamt Bremen unter anderem bei binationalen Paaren vor der
Eheschließung regelmäßig den Aufenthaltsstatus überprüft – obwohl das rechtlich unerheblich
ist.
Im Mai wandte sich Dieckmann an Stadtamtsleiterin Marita Wessel-Niepel. Sie solle
sicherstellen, dass das Standesamt „keine unverhältnismäßig hohen Anforderungen“ stelle, die
Zweifel an Dokumenten begründe und nachvollziehbar erkläre – und spätestens nach vier
Wochen zumindest ein Nachweis über eine Registrierung ausgestellt werde. Lisa W. bekam
erst nach über einem halben Jahr einen Zettel, der die Eintragung ihres Kindes ins
Geburtenregister unter Vorbehalt bestätigt.
Seit Jahren keine Rückmeldung
Damit ihre Tochter doch noch eine richtige Geburtsurkunde bekommt, sollte Lisa W. 665
Euro für ein „Amtshilfe-Verfahren“ bezahlen, bei dem ein Anwalt der deutschen Botschaft in
Lagos ihre Identität ermittelt. Lisa W. bezahlte – das Geld lieh sie sich vom Jobcenter. Das
war vor zweieinhalb Jahren. Seitdem hat sie nichts mehr gehört. „Es hat sich in der ganzen
Zeit niemand bei meiner Familie in Nigeria gemeldet“, sagt W.
Stadtamtsleiterin Wessel-Niepel sagt, zu den Ermessensentscheidungen der Standesbeamten
könne sie wenig sagen, ohne den Einzelfall zu kennen. Die geschilderten Fälle seien auf den
ersten Blick auch für sie „nicht nachvollziehbar“. Sie will den Hinweisen nachgehen und das
Verfahren überprüfen. Womöglich könne man es tatsächlich „etwas verschlanken“.
* Name der Redaktion bekannt
Quelle: taz Nord online, Bremen, 31. Juli 2015