Mich interessiert, wie Verhältnisse zwischen

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Mich interessiert, wie Verhältnisse zwischen
unterschiedlichen Formen und Flächen
funktionieren.
Esther Stocker
Fremdkörper in
Schwarz--WeiSS?
Fotos: Matteo Groppo (3)
SILO BARTH: UMFANG 15,70 METER, HÖHE 21,50 METER, NITROLACK AUF EISEN. So lautet der
Werkartikel zum „“Kunst-am-Bau-Projekt“ der Firma Barth in Brixen. Die Künstlerin Esther Stocker
und der Unternehmer Ivo Barth realisierten die Idee: Aus einem grünen Silo-Turm wurde ein
Schwarz-Weiß-Kunstwerk.
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Rasterformen sind
erweiterbare Systeme.
Einzelteile, die nicht
aneinanderliegen, sondern
zwischen denen es Raum
gibt. Der Raum dazwischen
trennt die Einzelteile
voneinander.
nicht jeder andere bieten kann. So haben
wir letztes Jahr zum Beispiel für einen privaten Weinliebhaber in Toronto Vitrinen
gestaltet und eingebaut“, erzählt Ivo Barth
von den fernen Stationen, die er durch seine
Arbeit in den letzten Jahren immer wieder
aufgesucht hat. Dementsprechend arbeitet
Barth heute ausschließlich mit Architekturbüros zusammen.
In seiner Freizeit gehört die moderne Kunst
zu seinen Leidenschaften. Ivo Barth vermag
es besser auszudrücken: „Ich liebe moderne
Kunst!“ Und deshalb verbringt der Unternehmer seine Mußestunden damit, sich über
das aktuelle Kunstgeschehen auf dem Laufenden zu halten. „Ich bin in verschiedenen
Vereinen tätig und besuche regelmäßig Ausstellungen“, erläutert der Firmeninhaber.
Esther Stocker: „Was sind das für Dinge, die wir voraussetzen?“
Kunst sollte als freies Experimentierfeld
”Die
möglichst offen sein.”
In Südtirol: Wieso haben Sie sich für
die Außengestaltung des Silo-Turms
von Barth entschieden?
Esther Stocker: Es war eine Idee,
ein Vorschlag von Ivo Barth. Er hat mich
gefragt, was ich mir für die Gestaltung des
Silo-Turms vorstellen könnte. Es hat dann
eine Reihe von Entwürfen gegeben, und wir
haben uns gemeinsam für diesen entschieden.
Warum haben Sie sich für diese
Materialien und Formen des Projekts
entschieden?
Ich liebe die Vielseitigkeit dieses
Berufes und den Reiz, etwas
Besonderes zu schaffen.
Ivo Barth
Was mich daran fasziniert, ist die Form des
Turms, denn man kann sie nie als Ganzes
sehen. Man kann sie umrunden, und sie
hört nicht an einer bestimmten Stelle auf.
Ich habe die Arbeit so angelegt, dass der
Turm eine Struktur erhält, die sich ändert.
Jede Seite ist nämlich anders. Die Seiten
ähneln sich, aber sie sind nicht gleich. Als
Material wurde Nitrolack auf Eisen gewählt. Ich habe den Entwurf gefertigt. Der
Turm wurde dann von einer heimischen
Malerfirma bemalt.
Warum haben Sie mit den beiden NichtFarben Schwarz und Weiß gearbeitet?
In diesem Fall war es für mich sehr spannend, weil diese Kombination in der na24
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Foto: Michael Höpfner
Esther Stocker
türlichen Umwelt nicht vorhanden ist. Das
Umfeld ist durch das Bergpanorama sehr
schön, und deshalb finde ich den Kontrast
dazu so interessant. So zum Beispiel das
Blau des Himmels zum Schwarz. Man soll
auch sehen, dass es sich um etwas Technisches, etwas Unnatürliches handelt, das
dem Natürlichen gegenübersteht. Einfach
etwas anderes. Ruhig auch ein Fremdkörper, aber nicht im negativen Sinn.
Welche Eindrücke soll die Fassadengestaltung beim Betrachter hinterlassen?
Einfach: Der Betrachter soll die Freude haben, den Turm anzuschauen. Wichtig ist
auch, dass der Silo auch wiedererkennbar
ist, weil er ein ganz spezielles Aussehen hat.
Es geht auch um Fragen der Identität.
Welches Feedback haben Sie für die
Gestaltung erhalten?
Das ist sehr schwer zu beurteilen, aber ich
bin davon überrascht, dass das Projekt vor
allem auch viele interessiert, die nicht aus
der Gegend stammen. Das Projekt wird
nämlich hier in Wien gerne aus dem Katalog ausgesucht. Das finde ich deshalb sehr
positiv, weil der Silo außerhalb des behüteten Rahmens von einem üblichen Kunstort entstanden ist.
Interview: Tanja Leitner
Foto: Martin Pardatscher
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chon lange bevor das Betriebsgebäude
der Firma Barth sichtbar wird, fesselt
ein ganz besonderer Blickfang die Autolenker, die in die Stadt Brixen einfahren
oder am Rand der Bischofsstadt die Autobahn passieren. Fast wie ein Magnet zieht
er den Betrachter in seinen Bann. Der
Fremdkörper wirkt imposant auf die neugierigen Blicke, die an ihm haften, um die
interessante Erscheinung in sich aufzunehmen. Schwarz – Weiß – Schwarz – Weiß;
rundum blauer Himmel.
Der dunkelgrüne Silo-Turm mit aufgedrücktem „barth“-Logo bereitete dem Firmeninhaber Ivo Barth schon fünf Jahre
Kopfzerbrechen, und es dauerte eine ganze
Weile, bis sich der Kunstliebhaber für eine
geeignete Lösung entschied. Mehrere Mög-
lichkeiten wurden immer wieder durchgespielt: „Einen Kunstwettbewerb auszuschreiben und einige Künstler einzuladen“
war eine davon, erzählt der Unternehmer
Ivo Barth, der schon so manch interessante
Idee umgesetzt hat.
Die Ausstattung der Kaserne der Schweizergarde im Vatikan, das Archäologiemuseum,
das Touriseum Schloss Trauttmansdorff,
Einrichtungen von Showrooms in London,
Paris, Antwerpen, Madrid, Mailand, Büroeinrichtungen im IZD-Tower in Wien
oder Bibliothekseinrichtungen im Finanzministerium in Rom sind einige Beispiele
der endlos scheinenden Liste interessanter
Innenausstattungen des „Barthschen“ Unternehmungsgeistes.
Der gelernte Tischlermeister und ausgebildete Holztechniker hat sein Handwerk von
der Pike auf gelernt und dann das Unternehmen in der vierten Generation übernommen. Vor 130 Jahren lagen die Wurzeln der Firma noch in der Kunsttischlerei,
mittlerweile hat sich das Unternehmen auch
über die Bearbeitung von Holz hinausgewagt und lässt Materialien wie Glas und
Inox in seine Konstruktionen mit einfließen. „Schön langsam“ hat sich Ivo Barth
die unternehmerischen Raffinessen, die das
heutige Wirtschaftsleben erfordert, antrainiert. „Ich liebe die Vielseitigkeit dieses Berufes und den Reiz, etwas zu schaffen, das
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Zur Person
Esther Stocker
ist 1974 in Schlanders geboren und
besuchte die Akademie der bildenden
Künste in Wien. 2001 erhielt sie das
österreichische Staatsstipendium für
bildende Kunst und 2002 ein
Atelierstipendium für Chicago. Ihr
Werk war bisher in zahlreichen
Ausstellungen in Wien, Salzburg,
Graz, München, Berlin und Chicago
zu sehen. Heut lebt und arbeitet die
Künstlerin in Wien.
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Ich arbeite mit Schwarz und Weiß ,
weil das den größten Kontrast zwischen hell und dunkel gibt.
Esther Stocker
Den Beweis dafür liefert der Firmeninhaber
selbst, betrachtet man das Firmengelände.
Das Kunstwerk „Die Blase“ des Künstlers
Hans Kupelwieser ziert nämlich das Eingangsdach des Betriebsgebäudes. Im Hintergrund die imposante Erscheinung in
Schwarz–Weiß. „Die Idee, aus dem Silo
etwas Besonderes zu machen, ist langsam
in mir gereift“, resümiert der Kunstliebhaber, und er war davon überzeugt, dass
die Künstlerin Esther Stocker die richtige
Muße für so ein Projekt hatte. Die beiden
hatten sich bei der Ausstellung der Künstlerin in der Galerie Museum in Bozen 2004
kennengelernt und beschlossen, den grünen
Turm als Kunstwerk zu gestalten.
Für einen Tischlereibetrieb ist ein SiloTurm wie der Barth-Silo unabdingbar.
Holzabfälle jeglicher Art, die durch die
Produktion anfallen, werden darin gesammelt und durch geeignete Methoden wiederverwertet. Ivo Barth wollte diese Nütz-
lichkeit durch die ästhetische Gestaltung
noch unterstreichen. Esther Stocker lieferte
den Entwurf und realisierte so ihr erstes
„Kunst-am-Bau-Projekt“ in Südtirol. In ihrer Wahlheimat Wien hingegen ist die junge Künstlerin keine Unbekannte. Ihr bisher
bekanntestes „Kunst-am-Bau-Projekt“ ziert
die Fassade der Rückseite des Kunsthauses
in Graz. Außerdem zeigte Esther Stocker
ihre Werke bereits in zahlreichen Ausstellungen in unterschiedlichen Orten. So zum
Beispiel in Wien, Salzburg, Graz, München, Berlin und Chicago.
Grundsätzlich arbeitet Esther Stocker mit
den beiden Nicht-Farben Schwarz und
Weiß, die sie zu geometrischen Mustern
strukturiert, deren Raster Brüche und Verschiebungen aufweist.
Der Barth-Silo-Turm war deshalb eine besonders reizvolle Herausforderung für die
Künstlerin, denn die runde Form des Turms
widerspricht der geradlinigen Strenge der
Formen, die die Arbeiten der Künstlerin
kennzeichnen. Esther Stocker ist fasziniert
von der „reduzierten Formensprache“, denn
sie will zeigen, „wie Verhältnisse zwischen
unterschiedlichen Formen und Flächen
funktionieren“, und durch diese Technik
kann „man am besten sehen, wie ein Übergang oder eine Struktur funktioniert“, so
spezifiziert die Künstlerin ihre Werke.
Das Kunstwerk „Die Blase“ von Hans Kupelwieser
auf dem Dach des Firmengebäudes.
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Es waren die Gegensätze, die Esther Stocker an diesem Projekt gefangen genommen
haben. „Ich wollte einen künstlichen technischen Turm in Schwarz–Weiß mit dem
Bergpanorama und dem blauen Himmel im
Hintergrund kombinieren“ resümiert Esther Stocker über ihr Projekt.
Der Kontrast: Die exakt geführten waagrechten Flächen und Linien kontrastieren
mit den waagrechten, aber geschwungenen
Linien der Südtiroler Bergwelt im Hintergrund, genauso wie die Farbgebung in
Schwarz–Weiß mit dem Grün und Blau der
umgebenden Natur. „Ich wollte ein ganz
individuelles Gesicht zeichnen“, erzählt die
Künstlerin mit Begeisterung.
Die gefesselten Autolenker und die verwunderten Passanten werden diese Aussage
bestätigen können, wenn sie das Schwarz
– Weiß – Schwarz – Weiß auf ihrer Reise
begleitet.
Die Idee für das Projekt löste unterschied-
liche Reaktionen aus. Da hat schon so mancher dem Unternehmer die Frage gestellt:
„Was hast du dir denn dabei gedacht?“
Doch Ivo Barth nimmt solche Aussagen
ganz gelassen und meint nur: „Jeden Tag
freue ich mich, diese Arbeit zu betrachten,
und auch sonst habe ich weitgehend nur positives Echo erhalten.“
Mit dem Projekt Silo-Turm hat sich das
kunstschaffende Duo sogar am Südtiroler
„Kunst-am-Bau-Wettbewerb“ beteiligt und
erhofft sich gute Gewinnchancen.
Für so manchen Kunstbanausen ist die Umsetzung dieser Idee sicherlich verwunderlich.
Dennoch ist es der Wahl-Wienerin durch
ihre außergewöhnliche Arbeit gelungen,
auf diesen Kontrast aufmerksam zu machen
und zu zeigen, dass künstlerische Kreativität keine Grenzen kennt. Zahlreiche Ideen
und Innovationen schlummern noch im
Verborgenen. Sie warten darauf, von schöpferischen Talenten aus ihrem dunklen Kerker befreit und ans Tageslicht gebracht zu
werden.
Ob das Werk eine „Einheit mit der Architektur bildet, für die es geschaffen wurde“,
wie es in der Ausschreibung zum Wettbewerb verlangt und deshalb prämiert wird,
muss sich allerdings noch unter Beweis
stellen.
Tanja Leitner
Der Silo-Turm der Firma Barth mit
seiner ursprünglichen Außenfassade.
Quelle: Barth
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