Das Christkind und der Hirtenhund

Das Christkind und der Hirtenhund
Eine hundliche Weihnachtsgeschichte
Dass Ochs und Esel an der Krippe standen und das Jesuskind mit ihrem Atem wärmten, das weiß
jedes Kind und auf jedem Krippenbild sind die beiden dargestellt. Aber nur ganz wenige Menschen
wissen, dass ein Hund noch viel mehr für das Christuskind getan hat. Aber Hunde sind bescheiden,
ganz anders als die großen Tiere, die sich – auch heute noch – immer in den Vordergrund drängen.
Und damit endlich auch einmal dem Hund an der Krippe Gerechtigkeit geschieht, will ich Euch die
Geschichte erzählen.
Maria hatte Jesus geboren und ihn dann in Windeln gewickelt und in die Krippe gelegt. Das alles
war sehr anstrengend gewesen, vor allem nach dem langen Weg von Nazareth nach Bethlehem.
Und dann noch die ganze Aufregung mit dem Besuch der Hirten, die von wunderbaren
Engelserscheinungen berichteten und das neugeborene Kindlein als König grüßen wollten. Sie war
todmüde, als schließlich der letzte Hirte ein kleines Schaffell als Geschenk über die Krippe breitete
und mit seinen Kumpanen zurück zur Herde ging. In dem ganzen Staunen und Trubel hatte
niemand bemerkt, dass ein großer, weißer, zottiger Hirtenhund im Stall bei der Krippe
zurückgeblieben war. Er hatte sich halb unter die Krippe gelegt, so wie er das von der Hirtenhütte
her gewohnt war, und ohne dass er groß darüber nachgedacht hatte – denn Hunde denken nur
sehr wenig nach – fing er an, das Jesuskind zu bewachen. Schließlich bewachte er zu Hause auch
die Kinder der Hirten und die waren auch nicht besser gebettet, als der neugeborene Jesus.
Josef hatte noch einmal nach dem Kind geschaut, das ruhig schlief. Als er dabei den Hund sah,
brummelte er irgendwas Freundliches, kraulte ihm kurz die Ohren und kümmerte sich nicht weiter
um ihn. Dann legte er sich weiter hinten im Stall neben Maria auf eine Strohschütte und war gleich
darauf fest eingeschlafen, denn auch er war rechtschaffen müde.
Die Nacht schritt voran und langsam verhallte auch der letzte Engelschor, dessen "Ehre sei Gott in
der Höhe" die Hirten noch einmal sehr beeindruckt hatte. Der Mond ging allmählich unter, aber ein
seltsam heller Stern verbreitete einen milden Schein über die Felder bei Bethlehem. Leise und
vorsichtig schlich in diesem merkwürdigen Licht ein einsamer alter Wolf über die steinigen Weiden.
Ihn hatten wohl auch die Engelchöre aufgeweckt und jetzt merkte er, wie sehr ihm der Magen
knurrte. Einsame Wölfe haben es nämlich sehr schwer, denn sie haben niemand, der ihnen bei der
Jagd hilft. Und so nähren sie sich kläglich von Mäusen und Eidechsen und suchen sogar in den
Abfallgruben der Menschen nach Essbarem. Angelockt vom Geruch von Ochs und Esel näherte sich
der Wolf dem Stall. Vorsichtig windend und äugend kam er Schritt für Schritt näher. O wie gut es
da roch! Die Hirten hatten einen großen Laib Ziegenkäse mitgebracht und ein Krüglein Öl, ja sogar
eine gebratene Hammelkeule lag auf einem Sims im Stall. Und dann war da noch so ein Duft, nach
ganz frischem jungen Fleisch, fast so, wie neugeborene Lämmer riechen. Der Wolf war nicht etwa
böse und hatte es bestimmt nicht persönlich auf das Jesulein abgesehen, aber er war so hungrig,
dass er mit allem vorlieb genommen hätte, und da roch ein Neugeborenes für ihn mindestens so
gut, wie für uns der feinste Sonntagsbraten.
Sein Hunger machte ihn unvorsichtig und als er mit der Schnauze an die halb hohe Tür stieß, die
den Stall nach außen abschloss, da knarrte die hörbar. Der Wolf sprang erst mal zurück, aber sein
Hunger war stärker als seine Vorsicht. Er schlich wieder näher und überlegte nur noch, ob er die
Hammelkeule oder das neugeborene Lämmchen in der Krippe mitnehmen sollte. Als er aber endlich
in den Stall hineinschlich, da erlebte er eine böse Überraschung. Unter der Krippe tauchte ein
riesiger, weißer, zottiger Hirtenhund hervor. Der tat nichts anderes, als ganz langsam und
majestätisch aufzustehen. Er streckte seinen Kopf ein wenig vor, hob seine buschige Rute,
stemmte die Vorderläufe ein und starrte den Wolf aus grünfunkelnden Augen an. Der Wolf war fast
um die Hälfte kleiner als der Hund. Er setzte noch eine Pfote nach vorn, aber da ließ der Hund ein
böses, leises Knurren hören und machte sich noch ein bisschen größer. Und dieses bisschen war
dem Wolf zu viel. Er drehte um und rannte mit eingeklemmter Rute davon, so schnell, dass er über
den Rand der Abfallgrube neben dem Stall stolperte und hineinfiel.
Der Hirtenhund stand noch eine Weile vor der Krippe, den Kopf zur Türe gewendet und lauschte
und windete, ob wohl noch weitere ungebetene Gäste kämen. Als alles ruhig blieb, legte er sich
wieder nieder, diesmal aber ein wenig näher an der Tür.
Der arme Wolf mühte sich unterdessen, aus der Abfallgrube wieder herauszuklettern. Und wie er so
kletterte und seine Pfoten einstemmte, da spürte er auf einmal etwas Feuchtes, Weiches, von dem
die Erde abrutschte. Er fing zu graben an und fand ein totes Lämmchen, das offenbar bei der
Geburt gestorben war und das die Hirten in die Grube geworfen und nur wenig mit Erde bedeckt
hatten. Der Wolf grub es aus und machte sich darüber her. Schon lang hatte er keine so leichte
und reichliche Mahlzeit gehabt. Schließlich gelang es ihm, satt und zufrieden aus der Grube zu
klettern und er trabte gemächlich heim zu seinem Versteck jenseits der Weiden. Wenn ich jetzt
ganz fromm wäre, würde ich sagen, Gott wollte in dieser Nacht selbst den Wölfen eine Freude
machen – und vielleicht war es ja auch so.
Als der Morgen graute, stand Maria leise auf, um den Jesusknaben zu stillen. Sie erschrak
ungeheuer, als sie den großen Hund vor der Krippe liegen sah, aber der blickte nur kurz auf und
legte dann den mächtigen Schädel wieder auf die Pfoten. Noch mehr aber erschrak sie, als sie im
Staub des Stallbodens die Wolfsspuren sah – damals erkannten die Menschen Wolfsspuren noch
ganz leicht. Fast wäre sie vor Schreck in Ohnmacht gefallen, aber sie besann sich eines besseren.
Als spätere Mutter Gottes musste sie doch starke Nerven haben und so rief sie nur ihren Mann und
zeigte ihm den Hund und die Spuren. "Ja, den Kerl habe ich gestern Abend schon gesehen", meinte
Josef. "Er ist ganz freundlich". "Er ist mehr als freundlich", erwidertere Maria, "er ist tapfer! Er hat
unseren Erstgeborenen vor dem Wolf beschützt". Josef beschaute sich die Spuren genauer und er
musste Maria recht geben. Er beugte sich zu dem Hund nieder und streichelte ihn dankbar. Aber
Maria dachte praktischer: "Wir wollen ihn belohnen", sagte sie und schnitt ein großes Stück Fleisch
aus der Hammelkeule und gab es dem Hund. "Und an den Knochen lassen wir dir auch noch viel
Fleisch, wir werden sicher alle drei satt", sagte sie zum Hund, der dankbar das schöne Fleisch
verschlang.
Ja, so war das mit dem Hirtenhund. Aber weil niemand dabei war außer Maria und Josef, ist die
Geschichte so wenig bekannt geworden. Und als Maria sie dann später einmal ihrer Base Elisabeth
erzählte, meinte die: "Das war doch kein Hund, das war ein Engel!" Aber Maria wusste es besser –
und jetzt wisst Ihr es auch.