Exakt reist durch den Westen - Bremerhaven Bericht: Adrian

Exakt reist durch den Westen – Bremerhaven | Manuskript
Exakt reist durch den Westen - Bremerhaven
Bericht: Adrian-Basil Mueller, Efthymia Mourgela
Unsere Westreise führt uns diesmal nach Bremerhaven. Die Stadt, einst wichtiger Standort
großer Werften, zeigt sich auf den ersten Blick lebendig und modern. Doch wie denken die
Friesen über die Ossis? Spielen Ost und West hier im Norden überhaupt noch eine Rolle?
Beim Shantychor Bremerhaven hat man zumindest mit Ostimporten keine Probleme. Im
Gegenteil, man bedient sich freizügig am Kulturgut von drüben.
Munin Brust, Chorleiter:
"Zum Beispiel singen wir hier ja dieses Lied: 'Wo die Nordseewellen trecken an den Strand'
– eigentlich heißt das: 'Wo die Ostseewellen trecken an den Stand'. Und, das ist hier
übernommen worden von den Friesen. Sonst, die Shantys, da kann man nicht sagen, dass
es Unterschiede gibt."
Chorleiter Munin Brust war schon vor dem Bau neuer Verkehrswege sehr neugierig auf den
Osten. Die Anreise erfolgte selbstverständlich standesgemäß.
Munin Brust, Chorleiter:
"Ich bin 1993 das erste Mal nach Rostock gesegelt und habe den Aufbau gesehen. Wie da
die modernsten Telefonhäuschen - wieder alles renoviert wurden. Und ich sagte, wir sind
einmal Altdeutschland und das ist Neudeutschland."
Der Ost- West-Konflikt ist hier eher ein Nord- Ostseekonflikt.
Munin Brust, Chorleiter:
Frage: "Und was ist schöner - Nordsee oder die Ostsee?"
"Na, die Ostsee."
"Nein, die Nordsee. Die hat immer frisches Wasser. Zweimal am Tag wird da das Wasser
gewechselt."
"Es ist leider nicht so. Das frische saubere Wasser ist in der Ostsee und das Dreck-,
Schlickwasser ist in der Nordsee. Das ist überhaupt nicht zu vergleichen."
Bremerhaven, früher Werften- und Fischereizentrum, hat in den letzten 20 Jahren einen
Strukturwandel erlebt. Wo einst Schiffe gebaut wurden, entstehen jetzt Windräder. Doch
nicht alle partizipieren vom neuen Aufschwung. 15 Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos.
Offenbar auch ein Grund für die Popularität der Partei "Bürger in Wut".
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verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Jan Timke, Bürger in Wut, Mitglied der Bremer Bürgerschaft:
"Hier sind wir in Lehe und diese Straße ist exemplarisch für bestimmte Stadtteile in
Bremerhaven. Sie sehen hier dieses Haus ist leer, das nächste Haus ist leer, der ganze
Straßenzug ist nicht bewohnt. Und das zeigt, wie Teile der Straße - dass hier unheimlich
Nachholbedarf ist und wo wir in Bremerhaven stehen."
Für die Zustände macht der Bürgerschaftsabgeordnete auch den Solidarpakt verantwortlich.
Jan Timke, Bürger in Wut, Mitglied der Bremer Bürgerschaft:
"Bremerhaven hat ja von 1994 bis 2010 über 100 Millionen Euro in den Soli gezahlt. Das ist
ja Geld, was westdeutschen Kommunen abgenommen wird und ausschließlich an
Ostdeutsche Kommunen geht. Ich denke, 22 Jahre nach der Grenzöffnung darf die
Förderung nicht mehr nach Himmelsrichtungen gehen, sondern nach Bedürftigkeit. Und da
geht es ja ostdeutschen Kommunen wie Dresden viel besser als Bremerhaven."
Dass es selbst in Dresden immer noch Ecken gibt, die wesentlich düsterer wirken als das hier,
scheint der Politiker nicht zu wissen.
Jan Timke, Bürger in Wut, Mitglied der Bremer Bürgerschaft:
Frage: "So einen ganz verwahrlosten Eindruck macht es nicht oder täuscht das?"
"Na ja, man muss da mal sehen, welchen Maßstab legen sie an. Ich finde für eine
westdeutsche Kommune ist das traurig, was hier zu sehen ist."
Reporter: "Das ist ostdeutsche Wirklichkeit."
"Das mag sein, aber es stellt sich die Frage, ob das der Anspruch ist, den wir an uns selbst
stellen."
In Bremerhaven kommt der Schnee nicht vom Himmel, sondern vom Fließband der Eisfabrik.
Das deutsch-deutsche Arbeitsklima ist hier unter den Kollegen eher warm.
René Trost, Bremerhavener Eiswerk GmbH:
"Ost und West spielen bei uns keine Rolle hier. Bei uns heißt das nicht Ossi und Wessi, wie
man das so gerne sagt, sondern wir sind alles Norddeutsche."
Sagt René Trost, der vor 20 Jahren vom Darß hierher gekommen ist und seither den eisigen
Job macht. Man arbeitet nicht nur zusammen, man freut sich auch über die Kundschaft aus
den neuen Ländern. Immer wenn es im thüringischen Oberhof nicht schneit, liefert
Bremerhaven - und der Biathlon-Weltcup ist wieder gerettet.
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Helga Düring, Bremerhavener Eiswerk GmbH:
"Oberhof hatte ja mit schwierigen Witterungsbedingungen zu kämpfen. Nur durch die
Zusatzlieferungen, war das dann einfacher die Wettkämpfe zu machen. Wir partizipieren
in dem Moment vom Aufbau Ost, indem in den neuen Bundesländern dann diese
Wettkämpfe stattfinden können und wir beliefern können."
Feierabend für René Trost. Vor wenigen Wochen hat er geheiratet. Seine Familie konnte
nicht dabei sein, jetzt packt ihn die Sehnsucht nach der Heimat und den Freunden.
René Trost, Bremerhavener Eiswerk GmbH:
"Ich fahr jetzt nach Zingst nach Mecklenburg-Vorpommern und will meiner Mutter die
Hochzeitsbilder zeigen. Und würde mich natürlich auch freuen, wenn ich da noch einige
von meinen Kumpels treffen könnte. Weil, die sind ja nun nach der Wende in alle
Himmelsrichtungen verstreut, wegen der Arbeit, weil es dort wenig Arbeit gibt. Und da
wollen wir mal schauen – nech."
Dauerhaft zurückkehren wird er wohl nicht mehr, auch wenn inzwischen die Arbeitslosigkeit
auf dem Darß ein bisschen geringer ist als in Bremerhaven.
Ostrock an der Nordseeküste. Auch der Chef von diesem Plattenladen kommt aus der DDR.
Er flüchtete '89 über Ungarn.
Andreas Ristel, Plattenladenbesitzer:
"Ja, da sind natürlich noch so Klassiker übriggeblieben. Das beste aus der DDR. Da sind
natürlich die bekannten Größen, wie Silly und City usw. drauf. Aber auch so unbekanntere
wie Lift und so alte Klassiker eben. Dann gibt's natürlich heute eher so Newcomer aus dem
Osten, hier Tokyo Hotel, kennt ja mittlerweile jeder. Und natürlich, hier drüben im
Metalbereich, unsere vor allem auf der Welt bekannten Rammstein. Das wird natürlich
gern gekauft. Kraftclub, die neuen Newcomer sind gerade ausverkauft. Alles, was in den
Charts neu rauskommt, ist mehr oder weniger aus dem Osten."
Für Andreas Ristel ist das Verhältnis zwischen Ost und West in der Stadt entspannt und dafür
hat er eine Erklärung.
Andreas Ristel, Plattenladenbesitzer:
"Weil sie eben eine relativ arme Stadt ist und dadurch der soziale Zusammenhalt bei den
Leuten hier auch höher ist als in einer Stadt wie München, wo ich vorher mal gelebt habe.
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Deswegen kann man eigentlich gut vergleichen, die ostdeutschen Städte, wie
Bremerhaven. Irgendwie ist es hier ein Stück weit wie Osten."
Und nächste Woche geht unsere Westreise weiter. Wir fahren dort hin, wo Bürgermeister
den aktuellen Streit um den Solidarpakt entfacht haben - ins Ruhrgebiet.
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