Trauma im Kindesalter und die Folgen

Trauma im Kindesalter
und die Folgen
Michaela Huber
www.michaela-huber.com
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Neurobiologie: Von allem Anfang
an…
Die Hirnentwicklung des Fötus wird
aus dem eigenen Signalmuster
des Körpers weiterentwickelt.
Kann sich der Fötus gut bewegen,
und später das Baby, fördert das
dessen Hirnentwicklung.
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Schwangerschaft und Gewalt
 Bei Angst spannt sich die Bauchdecke an. Das
Fruchtwasser ist aber nicht komprimierbar.
 Druck auf das Kind entsteht bei Angst der
Schwangeren.
 Folge: Das Kind zieht sich zusammen.
 Folge davon: Mögliche Entwicklungsverzögerungen…
(Hüther, 2013)
 Beispiele weiterer Folgen: Die laute Stimme des Vaters
„draußen“ führt dazu, dass das Kind später Angst vor
dem Vater hat; das Kind kann sich nicht beruhigen und
wird ein „Schrei-Kind“; das wiederum „nervt“ (stresst)
die (traumatisierte) Mutter; diese bekommt Angst vor
Kontakt mit dem Kind und „geht innerlich weg“ oder
wird aggressiv; evtl. dito der Vater.…
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Stress-Toleranz-Fenster und Affekte
Übererregung  Sympathikus  Dissoziation
 EINFRIEREN
Panik
Todesangst
Aktivertes Bindungsbedürfnis
+
Erschlaffung,
Totale Unterwerfung
Untererregung  Parasympathikus  Dissoziation
 ERSCHLAFFUNG
Überarbeitet nach: zptn-Lutz-Ulrich Besser
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Neurophysiologie und Bindung:
Wenn Eltern sich streiten
und Gewalt ausüben
 Werden die Spiegelneurone der Kinder aktiviert. Und
da seelischer wie körperlicher Schmerz verarbeitet
wird
 Bekommen die Kinder körperliche Schmerzen, Panik,
Wut, Ekel, Scham, Ohnmacht, Hilflosigkeit, HassAttacken.
 Da die Bindungspersonen mit sich beschäftigt sind,
erhält das Kind keinen Schutz.
 (Quelle: Brisch 2013)
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Überlebens-Modi: Fight and Flight
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Erstarrung im Hagel der StressReize: Freeze
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Dissoziation – innere Zerrissenheit
Rechte
Gesichtsseite: Angst
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Linke Gesichtsseite:
„Zugewandte
Freundlichkeit“
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Anstrengend:
Immerzu
aufpassen
müssen:
Hypervigilanz
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Bis zur totalen
Eschöpfung
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Beziehungsmuster in vernachlässigenden
und gewalttätigen Familien
 Despotismus und Laissez-Faire, Double-Binds
 Schuldabwehr und Schuldübernahme
 Bestechung, Erpressung, Nötigung
 Verführung und brachiale Gewalt
 Geiselnahme und Solidarisierung mit dem Mächtigen
 Verrat
 Kollusive Verwicklungen und Parentifizierung
 Opferung
 Intergenerationelle Weitergabe
 Und manchmal Liebevolles, Sanftes… sehr verwirrend!
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Was macht Gewalt mit Kindern?
Kaskadenmodell von Teicher (ab 2000):
 Wiederholte frühe Stresserfahrung verändert die StressReaktionssysteme von Grund auf (u.a. epigenetische Veränderung d.
Glukokortikoid-Rezeptor-Gens); das bewirkt
 Veränderungen in der Genexpression, Myelinisierung, neuronaler
Morphologie (Bsp. PFC), Neurogenese und Synaptogenese.
 Das „Timing“ der Schädigung ist wichtig.
 Dauerhafte Konsequenzen: Schädigungen des Neokortex (v.a. links),
verminderte Integration der beiden Großhirnhälften, gesteigerte
elektr. Reizbarkeit der Schaltkreise im limbischen System…
 Schwere (psychiatrische) Folgen wie (komplexe) PTBS, Dissozialität
und Depression treten oft erst später auf, so dass gilt:
 Je früher eingreifen, desto besser!
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Häusliche Gewalt IST Kindeswohlgefährdung!
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 Kinder- und Jugendbericht: Es soll mehr Hilfsangebote für traumatisierte Kinder und
Jugendliche geben.
 Familiengerichte müssen bei häuslicher Gewalt Ermittlungen durchführen.
 Die gemeinsame elterliche Sorge ist ein Risiko bei häuslicher Gewalt, denn auch das
MITERLEBEN von Gewalt schädigt die Kinder.
 De facto aber: beschleunigte Verfahren, Konsenspflicht, Begutachtung mit dem Ziel
der Erzielung von Einvernehmen….
 Tatsächlich aber ist das Recht des Erwachsenen und das Recht des Kindes auf Schutz
und Menschenwürde NICHT gleichrangig.
 Zum Umgang gezwungene Kinder entfremden sich den Eltern erst recht und wollen
meist sobald sie können nichts mehr mit dem Elternteil zu tun haben, der den
Umgang erzwungen hat.
 Dt. Bundesverfassungsgericht: Gemeinsame Sorge setzt tragfähige Beziehung
zwischen den Eltern voraus!!
 (Quelle: Salgo, DGTD-Tagung 2013)
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Manchmal ist es anderswo schöner…
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Aber was, wenn man dauernd Angst
hat, wieder angegriffen zu werden?
Oder seinerseits anzugreifen?
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Täterintrojekte – der Feind im Innern
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 Durch Spiegelneurone bedingt, vermutlich.
 Biologisch vorgegeben (Empathielernen).
 Besonders brisant, wenn primäre Bindungsperson Täter
ist und Traumata sich wiederholen.
 Ergebnis von Verrats-Trauma (betrayal trauma, s.
Jennifer Freyd).
 Zustände, Bilder, Denkweisen, Absichten des Täters, ja
sein „So sein“ werden (u.U. in voneinander separierten
Teilen) nach innen genommen und
 bleiben bei komplexer PTBS unintegriert.
 Folge: Man geht so schlecht mit sich um, wie man
behandelt wurde.
 Und/oder mit anderen….
Huber, 2013
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Kinder in traumatisierenden Eltern-Beziehungen haben
eine pathologische Bindung an Täter UND Opfer!
1. Pathologische Bindung an TäterIn
 Täterloyal: Ich helfe dem Täter/der Täterin
 Täterimitierend: Ich versuche, so zu sein wie der Täter/die Täterin
 Täteridentifikation: Ich BIN der Täter/die TäterIn
2. Pathologische Bindung an Opfer:
 Wie oben plus: Ich kann keine Hilfe holen, sondern muss das Opfer
schützen.
Konsequenz: Das Kind braucht zuerst einen sicheren äußeren Rahmen,
damit es einen sicheren inneren bekommen kann. Eltern brauchen
Psychotherapie, einzeln und zusammen, sonst Pflegefamilie. Die Kinder
brauchen häufig eine Intervall-Behandlung. (s. Brisch, 2013)
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Tim sucht und sucht…
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 Tim weiß nicht, ob er ein Junge ist. Oder ein Mädchen. Oder
gar nichts. Es spielt auch keine Rolle.
 Tim läuft oft weg von zu Hause. Hängt rum. Mit Pennern,
Punkern, Glatzen…. Fühlt sich und ist „Abschaum“, wie viele
sagen.
 Zu Hause wird oft auf den Körper eingetreten, geschlagen,
gewürgt, gebissen.
 Tim hat gelernt, seinen/ihren Körper „wegzugeben“.
Manchmal bekommt seine Mutter oder ihr Stiefvater Geld
dafür. Manchmal kann er/sie es behalten.
 Tim war schon öfter in der Kinder-Jugend-Psychiatrie. Er/sie
will da nicht mehr hin, wie er/sie überall abhaut….
 Tim schluckt alles, was den Kopf zudröhnt: Alk, Medis, Drogen
zum Runterkommen, Drogen zum Partymachen. Manchmal
zu viel. Manchmal findet er/sie sich auf einer Brücke wieder.
Oder in einem Auto nach dem Crash.
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 Tim sucht. Und sucht. Und sucht. Hat Sehn-Sucht. Und Sucht…
01.09.2015
Bindungstrauma – späte Folgen
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Größte epidemiologische Studie: ACE (Felitti
et al., ab 1998)
Punkte für: Emotionale, körperliche, sexuelle
Misshandlung sowie Substanzmissbrauch,
psychische Krankheit, Gewalt an
Mutter(ersatz), Kriminalität, Trennung/Tod v.
Eltern(teilen).
ACE-Werte: „Dosisabhängig“ schlimmere
Folgen. Solche schädlichen KindheitsErfahrungen sind für 50 – 75 % der
Depressionen, Suizidversuche, Drogen- und
Alkoholabhängigkeit in der Bevölkerung
verantwortlich (Michaud et al., 2006).
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Erlittene Gewalt –
gegen wen sie gerichtet wird
 Traumatisierte Jungs/
Männer neigen dazu,
hyperaktiv (übererregt) oder
depressiv (untererregt) und gewalttätig gegen
andere zu werden. 80 %
der schweren Gewalt gegen
Menschen wird von
Männern verübt.
 Ein traumatisierter Junge
oder Mann provoziert eher
eine körperliche
Auseinandersetzung und
wird dabei verletzt, als sich
selbst direkt zu verletzen.
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• Traumatisierte Mädchen und
Frauen werden gewalttätig
gegen sich selbst, gegen andere
(weibl.) Opfer u. ihre eigenen
Kinder.
• Eine weibliche TraumaÜberlebende tut sich eher selbst
unmittelbarer Gewalt an, indem
sie sich verletzt oder – indirekter
-, indem sie (wiederholt)
Partnerschaften mit
MisshandlerInnen eingeht.
• Eher verbale und psychische
Gewalt.
Farber, 2002
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Der gequälte Junge lernt, was Macht
macht…
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Traumatisierte Mädchen quälen ihren Körper…
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01.09.2015
Frühe Traumata – und die Folgen…
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 „Zu den untersuchten Traumafolgestörungen zählen: Depressive
Störungen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, Suizid,
Posttraumatische Belastungsstörung, Suchterkrankungen,
Somatoforme Störungen, Verhaltensstörungen,
Entwicklungsstörungen, Übergewicht, Diabetes mellitus,
Bluthochdruck, Ischämische Herzkrankheit, Schlaganfall, Krebs,
Chronisch obstruktive Lungenkrankheit (COLD),
Lebererkrankungen und Frakturen als Traumafolgestörung –
Definition im Kontext dieses Dokuments 31 konkrete
Gesundheitsstörungen, aber auch Faktoren wie
Rauchgewohnheiten, Kriminalität, Sexualverhalten oder
Schullaufbahn wurden in Zusammenhang mit einer
Traumatisierung analysiert…. (Quelle: Hebetha, S. et al, 2012:
Deutsche Traumafolgekosten-Studie, S. 32)
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01.09.2015
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Wiederholung von traumatischer
Selbstverteidigung in Beziehungen
In kritischen Situationen werden archaische
Selbstschutz-Maßnahmen wie Flüchten,
Kämpfen (gegen andere, gegen sich), Erstarren,
Bindungsschrei, totaler Zusammenbruch,
Erschlaffen und inneres Leermachen als Abwehr
eingesetzt.
Zurückhaltung wird als Zurückweisung erlebt;
Absage eines Termins als Kontaktabbruch;
Annäherung als Überwältigung, Kritik als
Vernichtung; ein kritischer Blick als Hass; etc. – mit
den entsprechenden basalen Reaktionen, s.o.
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Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung
(Folge von – oft frühem - Langzeittrauma)
1.
Störungen v. Gefühlszuständen und Impulsen
(keine Kontrolle darüber…); in der Folge oft
Süchte
2.
Dissoziative Störungen (Gedächtnislücken,
Entfremdungserleben, getrennte Anteile…)
3.
Störungen der Selbstwahrnehmung (Gefühl des
Opferseins, Schuld, Scham, unzureichende
Selbstfürsorge)
4.
Störungen in der Beziehung zu anderen
5.
Somatisierung (mal zuviel, mal zuwenig
fühlen…)
6.
Veränderung von Lebenseinstellungen (es gibt
keinen guten Gott, oder zynisch sein, oder dem
Bösen in sich nachgeben, oder das Gefühl,
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Michaela
Huber
bald sterben
zu
müssen…)
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Wie sich unter Kontrolle bekommen?
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 Dissoziation bei Komplextrauma: Zustände
integrieren nicht, sondern trennen sich weiter.
 Kl. muss lernen, sich „nach innen zu wenden“
und eigene (erwachsene) Hilfsstrukturen
aufzubauen (Selbstfürsorge etc.) – in sicherer
und freundlicher Begleitung. Dabei ist oft „TeileArbeit“ nötig.
 HelferInnen: Seien Sie lieber „Coach“ als
„Mama“ !
 Wir tun gut daran, mehr an der Struktur (dem
„inneren Gewebe“ der Persönlichkeit), als am
Inhalt (des Traumas) interessiert zu sein!
 Und an den Kräften und Ressourcen!
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01.09.2015
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Stabilisierungstechniken
 Sichere, geborgene innere Orte; innere HelferInnen
 Schwieriges per Screen (Bildschirmtechnik) in Distanz
anschauen.
 „Film“ anschließend wegpacken.
 Tresor oder andere Behältnisse, teils wörtlich
(Schublade, Karton etc.)
 Achtung: Sehr früh Traumatisierte können zunächst
fast nicht imaginieren, sie müssen alles konkretistisch
tun, bevor sie imaginieren können!
 Auch: Praktisches Tun, sichere Aktivitäten…
 Körperlich: Traumasensibles Yoga, SE, Klopftechniken;
Hand aufs Herz…
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Wissen, was man will, ist schwer…
… es dann
umsetzen,
noch viel
mehr…☻
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Resilienz beachten und fördern!
Besonders „schwierige“ Kinder/Jugendliche
und ihre Stärken: Was kann er/sie besonders
gut, was nicht so gut? Wie können die
Stärken besser gefördert werden?
Achten auf: Humor, zielgerichtetes Denken,
emotionale Regulation, Fürsorglichkeit,
Explorieren/Tüfteln/Lernen/ Sich in etwas
Versenken (Absorbiertsein), sich ablenken
(lassen), angemessenes Beziehungsverhalten
zeigen können….
Wann haben Sie diese Stärke/n das letzte Mal
dem Kind/Jugendlichen gegenüber
anerkannt?
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Welche Bestandteile sicherer
Bindungsangebote helfen?
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Herstellen von äußerer Sicherheit
Emotionale Aufrichtigkeit und (langfristige)
Verlässlichkeit
Reorientierende und tröstende Berührung
Feinfühligkeit/Rapport
Anknüpfen an unterbrochene Kommunikation
Gemeinsam entwickelte und (re-)konstruierte
Geschichte/n
(Daniel Siegel, 2006)
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Und was hilft noch?
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Sichere Orte und Menschen – zum Trost finden!
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Und Gefahren rechtzeitig erkennen… 
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Fazit
 Traumatisierende Bindungserfahrungen neigen dazu, wenn nicht verarbeitet,
dann weitergereicht zu werden, manchmal über mehrere Generationen
hinweg.
 Traumatische „states“ (Persönlichkeits-Zustände) halten sich hartnäckig,
unabhängig von der Alltags-Persönlichkeit. Wer sie nicht integriert, ist
geradezu gezwungen, sie zu wiederholen oder zu reinszenieren (Janet).
 Es müssen Hilfen in die vernachlässigenden, verwahrlosenden bzw.
gewalttätigen Familien gegeben werden, je früher desto besser.
Zwangstherapien zur Not! Erfolge per Gutachten überprüfen lassen.
 Kinder aus gewalttätigen Familienverhältnissen herausholen, wenn die Eltern
nichts für sich tun! Sie brauchen sichere Bindungserfahrung. Jugendliche und
Erwachsene benötigen oft ebenfalls professionelle Hilfe, um Distanz schaffen
zu können. Tragisch: für junge, noch unselbständige Erwachsene gibt es
kaum Hilfen!
 Gewalt zu tolerieren, ist keine Option.
Copyright: Michaela Huber
 Also:
NIEMALS AUFGEBEN!