52 wohnen F R A N K F U R T E R A L L G E M E I N E S O N N TA G S Z E I T U N G , 1 2 . J U L I 2 0 1 5 , N R . 2 8 ALLES, WAS RECHT IST SOMMER AUF DEM BALKON VON ANNE-CHRISTIN SIEVERS W Der Meidlinger Markt ist das Herz des Bezirks. Fotos Jacqueline Godany WOHNEN IN WIEN-MEIDLING Grätzl mit Schäbig-Schick Euro weniger als in einer beliebten Gegend wie dem 6. Bezirk, „obgleich es dort genauso aussieht“. Die Kunden des Burgenländers Ulreich kommen überwiegend von außerhalb Wiens. „Der klassische Wiener würde nicht nach Meidling ziehen, aber eine Menge andere Leute zieht der Schäbig-Schick an. Das ist ein bisschen wie in Berlin“, sagt er. Der türkische Bäcker an der Ecke hat bis Mitternacht geöffnet, nicht weit entfernt liegt das „U4“, der bekannteste Tanzclub Österreichs. Hier sind schon Prince, Kurt Cobain, Grace Jones, Rammstein und natürlich Falco aufgetreten. Einer der Eigentümer in der Spittelbreitengasse heißt Manfred Gollop. Der Kärntner wohnt mit seiner kanadischen Frau und dem Sohn auf 115 Quadratmetern plus Terrasse im Dachgeschoss. „So etwas hätten wir uns anderswo nicht leisten können“, sagt er. Die Anbindung sei ideal mit zwei U-Bahnlinien und der Nähe zur Autobahn. Auch das Freizeitangebot schätzt die junge Familie. „Wir gehen gern im Park von Schönbrunn spazieren, da sind wir in einer Viertelstunde.“ Auf der gegenüberliegenden Seite des Schlosses, im Westen, liegt der Edelstadtteil Hietzing. „Da zu wohnen ist von der Lage her auch nicht besser, wäre aber unbezahlbar“, sagt der Informationstechniker. Es gibt „Grätzl“, die wie Meidling angefangen, den Aufschwung aber schon durchlaufen haben. Sie alle sind rund um örtliche Lebensmittelmärkte entstanden. Das bekannteste Beispiel ist der Naschmarkt im 6. Bezirk, an dem viele angesagte Bars und Restaurants liegen und einige der begehrtesten Wohnlagen der U U U4 U U U U Schloss Schönbrunn WIEN U „U4“ Meidlinger Markt U Spittelbreitengasse Schlosspark Hietzing U6 U Str. Meidling Wien Meidling Hauptstraße U sdorfer Hans Jörg Ulreich, baut und investiert ner der Angestellten hier wohnte. Nicht einmal zu Mittag wollten sie hier essen, sagt er. „Es gab kein anständiges Lokal – und das bei 90 000 Einwohnern.“ Mit dem „Milchbart“, dem „Purple Eat“ und den anderen Neugründungen hat sich das Angebot stark erweitert, in nur anderthalb Jahren stieg die Zahl der Marktbesucher um 50 Prozent. Einige der Neuankömmlinge begannen nach hochwertigen Wohnungen zu suchen, doch das Angebot war gering. Ulreich erzählt, wie Peter Stöger, der Trainer des 1. FC Köln, in seinem Wiener Heimatstadtteil Favoriten erfolglos eine geräumige Dachgeschosswohnung suchte. Favoriten, mit fast 190 000 Einwohnern der größte Bezirk der Hauptstadt, grenzt an Meidling und weist eine ähnliche Sozialstruktur auf. „In solchen Gegenden gab es lange keinen anspruchsvollen Wohnraum“, sagt Ulreich. Zumindest in Ansätzen hat der Unternehmer das geändert, etwa in der Spittelbreitengasse, ein paar Straßenzüge westlich vom Meidlinger Markt. Hier errichtete Ulreich einen modernen Sechsgeschosser. Zwischen Gründerzeitfassaden und sozialem Wohnungsbau, einer Mischung, die typisch ist für viele Wiener Quartiere, ist ein lichtes Eckhaus mit innenliegenden Balkonen entstanden. Ulreich hat auf die Energieeffizienz geachtet, es gibt eine Solaranlage und eine Biomasseheizung. Sein Konzept beschreibt er als einfach: In B-Lagen möchte er solche Käufer ansprechen, für die Wohnqualität und verträgliche Preise wichtiger sind als das Image. In einem guten Meidlinger Neubau oder einem „topsanierten Altbau“ koste der Quadratmeter 3500 bis 4000 Euro, rechnet er vor. Das sind 700 Altmann Gabriele Mörk, Meidlingerin von Geburt an D er 12. Wiener Gemeindebezirk, Meidling, ist für seinen Dialekt bekannt. Legendär ist das „Meidlinger L“, ein im Gaumen gesprochener Konsonant, den böhmische Dienstboten in die Hauptstadt gebracht haben sollen. Hans Jörg Ulreich ist angetreten, dem urigen Zungenschlag ein bauliches Denkmal zu setzen. Auf dem Markt hat er drei Ladenlokale gekauft, die im rechten Winkel zueinander stehen. Einheitlich lila getüncht, bilden sie das Meidlinger L im Herzen des Viertels. Mit etwas Fortune könnte das knallige Ensemble zur Keimzelle für den Strukturwandel in einem Quartier werden, in dem bis heute viele Personen mit geringem Einkommen und niedriger Bildung leben: Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Ausländer und „Mindestpensionisten“, Rentner, die staatliche Zuschüsse erhalten. Der Bauunternehmer Ulreich und seine Mitstreiter wollen junge kaufkräftige Schichten nach Meidling holen und so das Bild bunter und einladender machen. Auf dem Markt gelingt das schon. In einem der drei Flachbauten ist eine alternative Gaststätte eingezogen, das „Purple Eat“. Hier kochen und servieren abgelehnte Asylbewerber Speisen aus ihren Heimatländern. Alle sind ehrenamtlich tätig, da sie keine Arbeitserlaubnis haben. Es gibt keine festen Preise, keine Rechnung, nur Spenden und Spendenquittungen. Heute kocht eine Afghanin Lachs mit Safranreis, eine Chinesin serviert, ein Somalier räumt ab. Junge, hippe Leute lieben so etwas, und deshalb sitzen sie vor dem „Purple Eat“ in der Sonne, trinken Michkaffee, Johannisbeerschorle oder Bier aus Flaschen und schaukeln Babys in Bugaboo-Kinderwagen. Das alte Meidling schmaust gleich nebenan. In und vor der „Holzhütt’n“ sitzt eine deutlich ältere und beleibtere Kundschaft, es gibt Käsekrainer, Gulasch, Bohnensuppe, Knödel mit Ei. Hier ist das „Meidlinger L“ häufiger zu hören als im „Purple Eat“ oder im „Milchbart“ in derselben Marktzeile. Das Szenecafé war 2012 der erste Vorbote der neuen Zeit und ist bis heute so etwas wie ihr Impulsgeber geblieben. Eine der ehemaligen Aushilfskräfte im Milchbart hat nebenan einen Feinkoststand eröffnet, „Anna am Markt“. Weil er vom Potential des Standorts südwestlich der Innenstadt überzeugt ist, hat Ulreich nicht nur in die Markthütten, sondern auch in vier Mehrfamilienhäuser investiert. Ein unsaniertes Objekt nutzt er karitativ: Im „Freunde-schützen-Haus“ kommen abgelehnte Asylbewerber unter, wie sie im „Purple Eat“ arbeiten. Ulreich hat das Potential des „Grätzls“, wie man einen Wiener Kiez nennt, früh erkannt. Ihm fiel auf, dass es in Meidling wegen der günstigen Mieten zwar viele Büros gab, dass aber kaum ei- Gü r nbe rgs tr. Der echte Wiener zieht nicht ins Arbeiterquartier. Doch immer mehr Zugereiste schätzen seine Lage und den rauen Charme. Von Christian Geinitz Wienerbe rgstra ße Favoriten 1000 m U Eigentumswohnungen im 12. Wiener Bezirk 1540 1491 1538 1520 1413 2006 2007 2008 2009 2010 2258 +60% Quadratmeterpreis beim Kauf 1) 1606 1720 2011 2012 1) Kategorie: guter Wohnwert. Quelle: Immobilienpreisspiegel/Fachverband der Immobilien- und Vermögenstreuhänder – www.wkimmo.at 1898 2013 2014 F.A.Z.-Grafik Sieber Aufwertung ist nötig – sagen die Meidlinger. Stadt. Der Karmelitermarkt im 2. Bezirk hat einen ähnlichen Boom erlebt, desgleichen der Brunnen- und Yppenmarkt im 16. Bezirk. Dort, im Arbeiterstadtteil Ottakring, waren die Bedingungen vergleichbar mit Meidling, inzwischen aber sind die Immobilienpreise viel höher. „Den Aufstieg hat niemand erwartet“, sagt Ulreich. Eher widerwillig übernahm er vor zwölf Jahren am Brunnenmarkt ein Haus im Paket mit einem zweiten. „Später hat man es mir aus den Händen gerissen.“ Die alteingesessenen Meidlinger beobachten die Aufwertung mit Wohlwollen, denn ihr Stadtteil hat sich nicht immer zum Guten entwickelt. In der Fußgängerzone mussten etliche Traditionsbetriebe schließen, etwa der „Handschuhpeter“, wie sich Gabriele Mörk mit Bedauern erinnert: „Heute wird da billiger Modeschmuck verkauft.“ Später, als am Markt ein Einkaufszentrum eröffnete, gaben viele der kleinen Stände auf, der Platz verödete und zog dunkle Gestalten an. „Das war früher das mieseste Viertel des Bezirks“, sagt Mörk, die vor 53 Jahren in Meidling geboren wurde. „Heute ist die Gegend voll im Kommen.“ Mörk, deren Eltern in den fünfziger Jahren als burgenländische Kroaten nach Meidling kamen, vertritt den Bezirk im Wiener Landtag und im Gemeinderat. Die Politik habe schon viel erreicht, indem sie für eine bessere Strom- und Wasserversorgung gesorgt und am Markt neue Toiletten und eine Abfallpresse installiert habe, wirbt sie. Zudem helfe die Stadt bei Sanierungen und Krediten für Wohnungskäufe. „Jetzt kommen die interessanten Lokale und die privaten Bauinvestoren, so soll es sein.“ Dass die einheimische Bevölkerung verdrängt werden könnte und dass die Mieten stark steigen, befürchtet Mörk nicht. Dieser Art von „Gentrifizierung“ schiebe das österreichische Mietrecht, das Bestandsmieten begrenzt, einen Riegel vor. Aber zeigen nicht die Beispiele am Nasch- und am Brunnenmarkt, dass die Veränderungen auch Gefahren für die Authentizität bringen können? „Eins ist klar“, sagt die Abgeordnete nach kurzem Nachdenken, „so schickimicki wie da wollen wir nicht werden.“ arum in die Ferien fahren? Auf Balkonien ist es doch so schön. Wenn die Temperaturen steigen, wirft der Heimurlauber hier gemütlich den Grill an, zischt mit Freunden ein paar Biere und lässt den lauschigen Sommerabend mit einer kleinen Freiluftparty ausklingen. Doch klingelt kurz vor Mitternacht der ältere Herr von nebenan an der Tür und regt sich über lautes Gelächter und dicke Rauchschwaden auf, findet die Feier ein jähes Ende. Leider hat der Nachbar recht, wenn er sich beschwert. Denn es ist zwar vieles auf dem Balkon erlaubt, was Spaß macht – aber eben nicht alles. Grundsätzlich darf jeder Mieter seinen Balkon so nutzen, wie er möchte, weil er zur vermieteten Wohnung dazugehört – das gilt auch für Terrasse und Garten. Er kann Geranien pflanzen und Tomaten züchten, Stühle und Tische aufstellen, seinen Sonnenschirm aufspannen oder seine Wäsche trocknen. Eigentlich ist es auch in Ordnung, auf dem Balkon seine Buletten zu braten. Es sei denn, der Mietvertrag verbietet das Freiluft-Grillen ausdrücklich – meist aus Feuerschutzgründen. In diesem Fall müssen sich Mieter daran halten, sonst riskieren sie eine Abmahnung oder Kündigung, heißt es beim Deutschen Mieterbund. Wer draußen seine Koteletts wendet, sollte aber trotzdem darauf achten, dass sich die anderen Anwohner nicht zu stark von Qualm oder Geruch belästigt fühlen. Denn die Richter sind sich nicht ganz einig, wie oft und wie lange Grillen in Ordnung ist. Manche verlangen sogar, dem Nachbarn 48 Stunden vorher Bescheid zu sagen – Spontanität wird hier nicht geschätzt. Wer Streit vermeiden will, sollte deshalb auf einen Elektrogrill umsteigen und Aluminiumschalen verwenden. Die elektronische Version lässt zwar ein wenig Grillromantik vermissen, dafür qualmt und riecht sie nicht. Außerdem sollte man die Grill-Aktion pünktlich zur Nachtruhe um 22 Uhr beenden. Blumenkästen am Balkon machen sich immer gut. Die Bewohner müssen nur dafür sorgen, dass sie stabil genug befestigt sind, um heftigen Unwettern standzuhalten. Stürzen sie auf die Straße, müssen die Mieter für die entstandenen Schäden haften. Blumenfreunde sollten außerdem darauf achten, dass wuchernde Pflanzen nicht zu stark über die Brüstung hinauswachsen und so dem Mieter eine Etage tiefer den Balkon überschatten oder verdrecken. Wenn ein paar Blüten runterfallen oder ein wenig Gießwasser danebengeht, ist das kein Grund, sich aufzuregen. Was für die Flora gilt, gilt nicht unbedingt für die Fauna. Haustiere dürfen im Frühling und Sommer nicht dauerhaft auf dem Balkon leben. Kleintiere wie Hamster, Meerschweinchen oder Singvögel dürfen Mieter nur dann draußen halten, wenn sich die Nachbarn nicht vom Geruch beziehungsweise vom Gezwitscher der Tiere belästigt fühlen. Wer auf eigene Faust den Balkon verschönern und dazu eine Markise oder ein Rankgitter installieren will, braucht dafür eine Genehmigung des Vermieters, weil er in die Bausubstanz eingreift. Das Trocknen kleiner Wäsche und das Aufstellen eines Wäscheständers sind selbstverständlich erlaubt. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Hausordnung das Wäschetrocknen auf Balkon oder Terrasse verbieten will. Alle Anhänger der FKK-Kultur können beim Thema Balkon aufatmen. Denn sie dürfen sich hier ohne Einschränkung nahtlos von der Sonne bräunen lassen. Wie das Amtsgericht Merzig entschieden hat, ist dabei die Frage, ob der Sonnenanbeter gesehen werden kann oder nicht, ebenso irrelevant wie jene nach der Ästhetik des Anblicks. Bei Sex unter freiem Himmel ist die Sachlage eine andere: Nachbarn oder Vermieter können dagegen klagen – etwa wegen Störung des Hausfriedens oder Lärmbelästigung. Ein Recht auf Lärm am späten Abend haben auch Feierfreudige nicht. Von 22 Uhr an gilt die Nachtruhe. Das regeln die Landesimmissionsschutzgesetze. Wer danach weiter draußen sitzen will, sollte sich leise unterhalten und die Musik herunterdrehen. Alternativ kann man den Nachbarn einfach auf den Balkon einladen und ihn mit Salat und Würstchen milde stimmen.
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