Dantons Tod - Staatstheater Braunschweig

Materialmappe zu
Dantons Tod | 16+
ein Drama von Georg Büchner
Theaterpädagogik:
Kai Müller
[email protected]
Tel. (0531) 1234 553
Dramaturgie:
Axel Preuß
[email protected]
Tel. (0531) 1234 102
Vorwort
Mit dieser Mappe möchten wir Anregungen zur Vor- und Nachbereitung eines
Theaterbesuchs von »Dantons Tod« unterbreiten. Dabei beschäftigen wir uns mit
verschiedenen Schlaglichtern unserer Inszenierung.
Die Materialsammlung ist eine dramaturgisch und theaterpädagogisch
aufgearbeitete Sammlung an Hintergrundwissen und Arbeitsangeboten vor allem für
die Lehrerinnen und Lehrer für ihren Unterricht. Die Bausteine sind frei
kombinierbar. Nicht alle Informationen dienen dazu, detailliert an die Schülerinnen
und Schüler weitergegeben zu werden. Es ist Ihnen überlassen, wie viel Sie
verraten wollen und welche Übungen Sie von dem praktischen Vor- oder
Nachbereitungsblock im Unterricht einsetzen.
Wir wünschen einen anregenden Theaterbesuch und sind auf Meinungen zum
Stück sowie auch zu dieser Mappe gespannt,
Kai Müller und Axel Preuß
»Dantons Tod« – Materialmappe
2
Inhalt
Besetzung
4
Zum Autor Georg Büchner
6
Zum Stück
7
Die Französische Revolution
9
Politische Gruppierungen
14
Protagonisten
17
Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte
23
Ästhetische Aspekte der Inszenierung
28
Zur Vorbereitung eines Theaterbesuchs
33
Zur Nachbereitung eines Theaterbesuchs
36
Theaterknigge
41
Impressum
43
»Dantons Tod« – Materialmappe
3
Besetzung
Inszenierung Martin Schulze
Chöre und Musik Dirk Raulf
Bühne Ulrich Leitner
Kostüme Pia Maria Mackert
Lichtdesign Holger Klede
Dramaturgie Axel Preuß
Theaterpädagogik Kai Müller
Depurtierte des Nationalkonvents:
Georg Danton Hans-Werner Leupelt
Legendre Birte Leest
Camille Desmoulins Oliver Simon
Hérault-Séchelles Tobias Beyer
Lacroix Götz van Ooyen
Thomas Payne Moritz Dürr
Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses:
Robespierre Sven Hönig
St. Just Philipp Grimm
Barère Anke Stedingk
Collot d‘Herbois Andreas Bißmeier
Billaud-Varennes Moritz Dürr
Fouquier-Tinville, öffentlicher Ankläger Andreas Bißmeier
Herman, Präsident des Revolutionstribunals Moritz Dürr
Simon, Souffleur Moritz Dürr
Weib Simons Anke Stedingk
Julie, Dantons Gattin Lisa Schwindling
Lucile, Gattin des Camille Desmoulins Birte Leest
Marion, Grisette Anke Stedingk
Ein Herr Andreas Bißmeier
Chor der Bürger, Bürgersoldaten, Jakobiner,
Männer und Weiber aus dem Volk Ensemble
Premiere am 3. Oktober 2015 im Großen Haus
Aufführungsdauer 3 Stunden, eine Pause
Regieassistenz und Abendspielleitung Timo-Hakim Djebrallah Ausstattungsassistenz Antonia
Schulz Inspizienz Simone Großmann Soufflage Arne Ziegfeld Hospitanz Katerina Brausmann,
Nele Jacobs (Regie), Mara Lena Schönborn (Ausstattung) Technische Direktion/ Ausstattungsleitung
Thomas Pasternak Technischer Inspektor Paul Strugalla Bühneneinrichtung Wiebke Borges Leitung
Beleuchtungsabteilung Frank Kaster Beleuchtungseinrichtung Holger Klede Leitung Tontechnik
Burkhard Brunner Toneinrichtung Matthias Brückner, Roman Schneider Videoprogrammierung
Matthias Lebe Video Gregor Dobiaschowski Leitung Requisite Sascha M. Kaminski Requisite
Stefan Tietz, Anke Vorwick Waffenmeister Helmut Menz Leitung Kostümabteilung Ernst Herlitzius
Leitung Maskenabteilung Nicolas Guth Maske Ingelore Mitlehner-Syren, Philipp Schäfer
»Dantons Tod« – Materialmappe
4
»Die Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers« | Anke Stedingk
»Dantons Tod« – Materialmappe
5
Zum Autor Georg Büchner
»Keiner wusste es besser, als Büchner selbst,
dass er kein Shakespeare war. Aber wenn irgend
einer, so hatte er das Zeug dazu, es zu werden.
[…] Und aus tausenderlei Zeichen, aus seiner
Gabe, bald tragisch erschütternde Auftritte, bald
die seltsamsten und lustigsten Verwicklungen nur
so als beiläufige Zugabe zur Unterhaltung zu
improvisieren, leuchtete deutlich genug hervor,
dass er mit voller dramatischer Schöpfungskraft
ausgerüstet war. In ihm hätte Deutschland seinen
Shakespeare bekommen, wie es 1848 beinahe
seine Freiheit und seine Einheit bekommen hätte.«
Wilhelm Schulz, 1851
»Dieser Büchner war ein toller Hund. Nach kaum 23 oder 24 Jahren verzichtete er
auf weitere Existenz und starb. Es scheint, die Sache war ihm zu dumm. Das war
damals eine Epoche finsterster und dumpfester Reaktion, in die er hineingeboren
wurde. […] Büchner, das war ein Revolutionär vom reinsten Wasser.«
Alfred Döblin, 1921
Georg Büchner wurde am 17. Oktober 1813 als erstes von acht Kindern in
Goddelau bei Darmstadt geboren. Ab 1831 studierte er Medizin und
Naturwissenschaften in Straßburg und ab 1833 auch Geschichte und Philosophie in
Gießen. Er gründete 1834 die geheime »Gesellschaft für Menschenrechte« und
verfasste zusammen mit Ludwig Weidig, einem führenden Oppositionellen, die
Flugschrift »Hessischer Landbote«. Unter der Parole »Friede den Hütten! Krieg den
Palästen!« riefen sie im Sommer 1834 die hessische Landbevölkerung zur
Revolution gegen die Unterdrückung auf. Im selben Jahr siedelte Büchner nach
Darmstadt um. Steckbrieflich gesucht, musste er 1835 vor den hessischen
Behörden nach Straßburg fliehen. Zuvor hatte er – nach eigenen Angaben – in nur
fünf Wochen sein Revolutionsdrama »Dantons Tod« verfasst und mit der Bitte um
Veröffentlichung an Karl Gutzkow geschickt. Büchner brauchte dringend Geld für
seine bevorstehende Flucht. 1836 wurde ihm die Doktorwürde der Universität Zürich
verliehen, wo er auch seine Lehrtätigkeit als Privatdozent für vergleichende
Anatomie aufnahm. Schon vor seiner Übersiedlung nach Zürich hatte Büchner seine
Arbeit am »Woyzeck« begonnen. Das Werk blieb Fragment. Anfang 1837 erkrankte
Büchner an Typhus. Am 19. Februar 1837 verstarb der Autor, Revolutionär und
Wissenschaftler in Zürich. Er wurde nur 23 Jahre alt. Sein Werk, obwohl nur wenige
Schriften umfassend, gehört zu den einflussreichsten der europäischen
Dramenliteratur.
1835 »Dantons Tod« (Drama)
1835 »Lenz« (Erzählung)
1836 »Leonce und Lena« (Lustspiel)
1837 »Woyzeck« (Dramenfragment)
»Dantons Tod« – Materialmappe
6
Zum Stück
Die Französische Revolution stellt in der europäischen Geschichte einen radikalen
Einschnitt dar. Erstmals wird in Europa versucht, ein Königreich in eine Demokratie
des Volkes zu verwandeln. 1789 konstituiert sich die erste Nationalversammlung
und verkündet kurz darauf die »Erklärung der Rechte des Menschen und des
Bürgers«. »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« lautet die Losung der Stunde. 1791
wird König Ludwig XVI. schließlich gezwungen, der Umwandlung von der absoluten
in eine konstitutionelle Monarchie zuzustimmen, 1792 wird er abgesetzt und von
den Revolutionären zum Tode verurteilt. Am 21. Januar 1793 wird Ludwig XVI. in
Paris mit der Guillotine hingerichtet. Seine Frau, die Österreicherin Marie Antoinette,
folgte ihm am 16. Oktober 1793 aufs Schafott.
Der Traum von einem besseren Leben für alle verkehrt sich jedoch in einen
Alptraum. 1794, also fünf Jahre nach Beginn der Revolution, ist das Volk noch
immer ausgehungert, die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse selbst in
Gefahr. Äußerlich bedroht durch den Krieg gegen Preußen, Österreich,
Großbritannien, Spanien und Niederlande, tobt im Inneren Frankreichs der Kampf
um den weiteren Weg der Revolution.
Genau hier setzt Büchners Stück ein und erzählt von der Zuspitzung des Konflikts
zwischen dem 24. März und dem 5. April 1794. Es ist die Zeit der so genannten
Schreckensherrschaft. Im politischen Machtzentrum stehen sich zwei Lager
gegenüber. Auf der einen Seite die Anhänger von Maximilien Robespierre, einem
Anwalt und Politiker, der sich im Laufe der Jahre immer weiter radikalisiert hat und
zum mächtigsten Mann der Revolution aufgestiegen ist; auf der anderen Seite
George Danton und seine politischen Freunde, die der Revolutionsregierung um
Robespierre entgegentreten. Während Robespierre eine Sicherung der bürgerlichen
Revolutionsziele mit unerbittlicher Härte anstrebt, hoffen die Dantonisten auf ein
Ende des staatlichen Blutvergießens. Danton steckt in einem Dilemma. Denn er hält
Robespierres Vorgehen prinzipiell für richtig, mag aber selbst nicht mehr Teil des
revolutionären Verfolgungsapparats sein:
»Robespierre ist das Dogma der Revolution, es darf nicht ausgestrichen
werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die Revolution, sondern die
Revolution hat uns gemacht. Und wenn es ginge – ich will lieber guillotiniert
werden als guillotinieren lassen. Ich hab es satt; wozu sollen wir Menschen
miteinander kämpfen?« (Danton, 2. Akt, 1. Szene)
Dantons Sehnsucht nach einer toleranten Republik und einem Ende des
Blutvergießens bringt ihm den Vorwurf ein, mit seinem Ruf nach Erbarmen der
Konterrevolution in die Hände zu spielen. Hinzu kommt sein genussvoller
Lebenswandel, der dem Tugendwächter Robespierre hinsichtlich der Armut der
hungernden Bevölkerung ein Dorn im Auge ist. Danton verkennt die Gefahr. Als
ehemals führendes Mitglied der Revolutionsregierung hält er sich – trotz seines
Lebenswandels und der öffentlich gegen ihn erhobenen Vorwürfe – für unangreifbar.
Ein Fehler mit tödlicher Konsequenz für ihn und seine politisch gemäßigten
Freunde.
»Dantons Tod« – Materialmappe
7
Georg Büchner setzte sich für sein Stück intensiv mit der Französischen
Revolution auseinander. Die Charaktere seines Schauspiels beruhen häufig auf den
Biografien der Revolutionäre und auch originale Reden und Manuskripte fanden
Eingang in das Stück. Im Aufbau entspricht das Stück zwar noch der
konventionellen Einteilung in 4 Akte mit mehreren Szenen, sein Verlauf folgt aber
einer neuen, offenen Dramaturgie. Epische wie lyrische Elemente verbinden sich,
Konflikte bleiben ungelöst, Handlungslinien verlaufen fragmentarisch. Somit nimmt
Büchner in »Dantons Tod« Elemente des naturalistischen und sogar des
expressionistischen Dramas des 20. Jahrhunderts vorweg. Gattungstechnisch wird
»Dantons Tod« dem »Vormärz« zugerechnet.
Inszeniert wird Büchners Schauspiel vom Regisseur Martin Schulze. Im Gespräch
über »Dantons Tod« sagt er über die Menschenrechte und die revolutionäre Rolle
der Bevölkerung: »Die Umsetzung der ›Erklärung der Rechte des Menschen
und des Bürgers‹ steht am Beginn der Revolution. Darum setzen wir sie auch
an den Beginn der Inszenierung. Der Ansporn der Revolution war deren
Verwirklichung. Das Volk auf der Straße ist dabei ein wichtiges Element. Es
fordert Essen, es fordert Gerechtigkeit, es fordert den Tod. Wir erarbeiten die
Passagen des Textes, die die Bevölkerung zu Wort kommen lassen, in Form
von Sprechchören. Dies verspricht eine intensive Übersetzung der Macht und
der Gewalt, die von den Menschen auf der Straße damals ausging.«
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Die Französische Revolution
Eugène Delacroix: »Die Freiheit führt das Volk«, 1830
Die Französische Revolution gehört zu den folgenreichsten Ereignissen der
neuzeitlichen Geschichte Europas. Die Abschaffung der Monarchie, die
Propagierung und Umsetzung grundlegender Werte und Ideen der Aufklärung,
insbesondere die Menschen- und Bürgerrechte, führten zu tiefgreifende macht- und
gesellschaftspolitische Veränderungen in ganz Europa. In ihrer Zeit zwischen 1798
und 1799 prägt die Französische Revolution bis heute unser modernes
Demokratieverständnis. Konkret lässt sich dieser Einfluss durch den Vergleich der
damaligen französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte mit dem
deutschen Grundgesetz ablesen.
Die Französische Revolution ist, wie jede Revolution, ein vielschichtiges und
komplexes Geflecht zwischen politischen Umständen, sozialen Ungerechtigkeiten,
wirtschaftlichen Krisen. Zu ihr gehören unterschiedliche Personen(gruppen) mit
ihren je eigenen politischen Einstellungen, Interessen, Bedürfnissen und
Unzufriedenheiten. Die wichtigsten Ereignisse und Personen(gruppen) stellen wir
hier vor:
Gemäßigte Phase 1789 – 1791
Um einen drohenden Staatsbankrott Frankreichs zu verhindern, beruft der
französische König Ludwig XVI. am 5. Mai 1789 die Generalstände ein. Der Erste
Stand verfügt über 291 Abgeordnete, der Zweite Stand über 270 Abgeordnete und
der Dritte Stand über 578 Abgeordnete. Jeder Stand hat nur eine einzige Stimme.
Zunächst drängen die Abgeordneten des Dritten Standes nun auf Abstimmung nach
Köpfen statt nach Ständen.
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Am 17. Juni 1789 erklärt sich der Dritte Stand zur Nationalversammlung.
Am 20. Juni 1789 wurden die Abgeordneten des Dritten Standes sowie einige
Gesinnungsgenossen aus Adel und Klerus aus ihrem Versammlungssaal
ausgesperrt. Daraufhin trafen sie sich in einem nahe gelegenen Ballhaus (Turnhalle)
und schworen einander, diesen nicht zu verlassen, ehe sie Frankreich eine
Verfassung gegeben hätten. Dies ist der berühmte Ballhausschwur.
Jacques-Louis David: »Der Ballhausschwur«, 1791
Am 9. Juli 1789 erklärt sich die Nationalversammlung zur Verfassung gebenden
Nationalversammlung, die bis September 1791 eine Verfassung ausarbeitet.
Am 14. Juli 1789 stürmen bewaffnete Bürger und
Bürgerinnen die Bastille, eine als Gefängnis benutzte
Festung, die für viele den Absolutismus des Königs
symbolisierte. Der 14. Juli ist heute der Nationalfeiertag
Frankreichs. Durch das Volk regiert Paris sich selbst und der
Bürgermeister der Stadt überreicht dem König eine
dreifarbige Kokarde. Die Farben sind blau, weiß und rot. Blau
und Rot sind die Stadtfarben von Paris, die das königliche
Weiß umklammern – so kann diese Anordnung als ein
Zeichen der Macht des Volkes über den nun eingeschränkten
Königs gelesen werden. Die französische Fahne, »Trikolore«
genannt, hat bis heute die Farben Blau, Weiß und Rot.
Im Sommer 1789 weitet sich die Revolution auch auf das gesamte Land aus.
Bauern zünden Schlösser der Adligen an und verbrennen Urkunden, in denen die
Rechte, Privilegien und Besitzverhältnisse der Adligen aufgezeichnet waren. Aus
Angst flüchten viele Adlige. »La Grande Peur«, Die große Angst beginnt.
Die Nationalversammlung nutzte diese Stimmung und schaffte das Feudalsystem
und die Ständeordnung ab. Mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte am
26. August 1789 wird die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz verabschiedet.
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Im Sommer 1791 wird der König zusammen mit seiner Familie hwährend eines
Fluchtversuchs bei Varennes gefangen genommen und nach Paris zurückgebracht.
Radikalere Phase 1791 – 1793
Am 1 .Oktober 1791 wird die Gesetzgebende Nationalversammlung als neues
Parlament gewählt. Die monarchistischen Anhänger der Verfassung stellen die
Mehrheit an Abgeordneten. Die politisch radikalen Jakobiner und die gemäßigteren
republikanischen Girondisten sind in der Minderheit und verfolgen das Ziel,
Frankreich zu einer Republik zu formen. Ein Krieg soll die Absetzung des Königs
erleichtern.
Am 20. April 1792 erklärt Frankreich Österreich den Krieg. Zunächst rückt die
feindliche Koalitiionsarmee aus anderen europäischen Königreichen erfolgreich auf
Paris vor. Ihr Befehlshaber, der Herzog von Braunschweig, droht mit der Zerstörung
von Paris, sollte dem König etwas geschehen, stattdessen aber stürmt eine Meute
des Volkes die Residenz des Königs in Paris und verhaftet ihn und seine Familie.
Die politischen Anhänger des Königs, die sogenannten Konstitutionellen, werden
von nun an verfolgt.
Zwischen dem 2. und 6. September 1792 werden über 1200 Gefangene durch
einen von George Danton aufgeputschten Mob ermordet: Dieses Massaker geht als
»Septembermorde« in die Geschichte ein. Hierdurch gewinnen die Jakobiner und
Girondisten politisch die Überhand.
»Die Septembermorde«, unbekannt
Am 21. September 1792 wird das Parlament, der Nationalkonvent, neu gewählt, der
König noch am selben Tag offiziell abgesetzt und ab dem 22. September 1792 gilt
Frankreich offiziell als Republik.
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Am 21. Januar 1793 wird der König dann als mutmaßlicher Hochverräter durch
Konspiration mit den ausländischen Kriegsgegnern enthauptet.
Georg Heinrich Sieveking: »Hinrichtung Ludwig XVI.«, 1793
»Sie haben gesagt: das Veto frisst euer Brot; wir haben das Veto
totgeschlagen.« (Chor der Bürger auf der Straße, Akt, 1. Szene)
Die radikale Phase: Jakobinerdiktatur (1793 bis Juli 1794)
Unter
Ausnutzung
der
französischen
Niederlagen
kommen
die
radikaldemokratischen Jakobiner 1793 an die Macht. Die allgemeine Wehrpflicht
und eine totale Mobilisierung der Bevölkerung für den Krieg führen zu Siegen für
Frankreich.
Am 6. April 1793 wird der Wohlfahrtausschuss als Organ der Diktatur eingesetzt
und die Gewaltenteilung aufgehoben.
Im Sommer 1793 verfolgen, verhaften und verurteilen die Jakobiner die Girondisten
zum Tode und herrschen mit Terror. Außerhalb der Kontrolle des
Wohlfahrtauschusses wird jegliche politische Betätigung verboten. Der Terror wird
vom Sicherheitsausschuss organisiert, der dem Wohlfahrtauschuss unterstellt ist,
sowie insbesondere vom Revolutionstribunal.
Wer von nun an vor das Revolutionstribunal gestellt wird, wird später guillotiniert.
Begründet wird der Terror mit der Gefahr durch den Aufstand im Innern und das
Vordringen der Armeen der äußeren Feinde. Robespierre behauptete, dass man
das Volk durch Vernunft leiten und die Feinde des Volkes durch Terror beherrschen
müsse.
Die Revolution, mit dem Ziel der Verwirklichung der Menschenrechte, führt zu
ihrem Gegenteil: zur Unterdrückung und politischen Verfolgung von
Menschen, mit (leicht) anderen politischen Einstellungen.
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Diese Situation führten zu Spannungen innerhalb der Jakobiner: während sich
einige rund um Robespierre immer weiter radikalisierten, plädierten Danton und
seine Anhänger für ein Aufhören der Hinrichtungen und dass sie anfangen sollten,
zu regieren.
»Die Revolution muss aufhören, und die Republik muss anfangen.«
(Hérault, Akt 1, Szene 2)
Georg Büchners Stück spielt während dieser paradoxen Legitimisierung der
Schreckensherrschaft, genauer zwischen dem 24. März und dem 5. April 1794.
Danton wird am 31. März 1794 als Revolutionsgegner verhaftet und vors
Revolutionstribunal gestellt. Die von Robespierre befürwortete Anklage
verdächtigt ihn der Kooperation mit dem Ausland, fußt aber auch auf Dantons
gemäßigten politischen Einstellung, seinem Plädoyer, die Schreckensherrschaft zu
beenden sowie seinem lasterhaften Lebensstils. Nur einen Tag später, am 5. April
1794, wird Georges Danton durch die Guillotine zusammen mit seinen Freunden
und politischen Weggefährten Camille Desmoulins, Lacroix und Hérault-Séchelles
hingerichtet.
Robespierre und seine Anhänger haben nun kaum eine ernstzunehmende politische
Opposition mehr, auch wenn ihre Schreckensherrschaft nicht lange fortdauert: im
Juli 1794 werden Robespierre und seine Anhänger ihrerseits guillotiniert, da
inzwischen jedermann in Furcht leben muss, als Revolutionsgegner hingerichtet zu
werden. Durch diese Hinrichtungen endet die Schreckensherrschaft der Jakobiner.
Direktorium 1794-1799
Während des nun folgenden Direktoriums mit gemäßigter Verfassung steigt
Napoleon Bonaparte auf. Seine Siege in Italien und sein Durchgreifen gegen
Putschversuche im Innern machen ihn zum starken Mann.
Konsulat 1799 – 1804
Gestützt auf die Armee macht er sich zum Konsul, praktisch einem Militärdiktator.
Kaiserreich (Empire) 1804
Danach schwingt er sich zum selbst gekrönten Kaiser der Franzosen auf. 1804
beendet er die Revolution offiziell.
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Politische Gruppierungen
Die Französische Revolution wurde durch verschiedene politische Gruppierungen
im Nationalkonvent ab dem September 1792 politisch geprägt. Hier beschreiben wir
die beiden einflussreichsten und wichtigsten Gruppierungen zum Zeitraum des
Dramas zwischen dem 24. März und dem 5. April 1794: die Jakobiner, die sich in
»Montagnards« (Robbespierre) und »Indulgents« (Danton) aufteilten sowie die
Sansculotten, sprich das politisierte Volk.
Jakobiner
Die Jakobiner waren eine der einflussreichsten politischen Gruppierungen während
der Französischen Revolution. Sie gründeten sich 1789 als »Club breton«, wurden
aber unter den Namen Jakobiner bekannt, da sie in einem Saal tagten, der nach
dem heiligen Jakob benannt war. Die Mitglieder gehörten vor allem dem gebildeten
Bürgertum an, verstanden sich aber als Wortführer des einfachen Volkes. Mit ihren
Forderungen nach politischer Gleichberechtigung und sozialen Reformen, die sich
mehr und mehr radikalisierten, prägten sie früh zentrale revolutionäre Ideen.
Kennzeichnend waren die roten Jakobinermützen.
Innerhalb der Jakobiner entwickelten sich die »Montagnards« (»die Bergpartei«,
von »la montagne«, frz. für Berg) zur stärksten politischen Kraft. 1792 waren
Robbespierre und Danton die berühmtesten Führungskräfte dieser Gruppierung.
Gemeinsam leiteten sie die »Petite Terreur« ein, in dessen Zeitraum (Juni 1793 –
Frühjahr 1794) viele Girondisten wegen ihrer politisch gemäßigten Haltung
hingerichtet wurden. Die Jakobiner wurden zur politisch stärksten Kraft, die die
»Grande Terreur« auslöste. Die »Montagnards« unter der Führung von
Robbespierre radikalisierten sich zunehmend: im Namen der Revolution und der
Verwirklichung der Menschen- und Bürgerrechte legitimieren sie die Beseitigung all
»Dantons Tod« – Materialmappe
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jener, die ihrer Ansicht nach nicht (genug) für die revolutionären Ziele einstehen. So
werden auch die »Indulgents«, die politisch gemäßigten Jakobiner sowie ihr
Anführer Danton aufgrund ihrer gemäßigten politischen Haltung, aber auch wegen
Dantons »lasterhaftem« Lebenssespierres am 27. Juli 1794.
Was bedeutet die rote Jakobinermütze?
Die »Jakobinermütze« – französisch
»Bonnet rouge«, »Bonnet de la Liberté«
oder »Bonnet de la République« – gilt
neben dem Freiheitsbaum als das
Symbol der Französischen Revolution.
Vorbild der Mützen war die phrygische
Mütze
bzw.
der
»pileus«
der
freigelassenen römischen Sklaven. Auch
die drei Weisen aus dem Morgenland
wurden anfangs gerne mit phrygischen
Mützen dargestellt, um auf ihre Herkunft aus dem Osten hinzuweisen. Im
vorrevolutionären Frankreich trug die einfache männliche Bevölkerung »sans
culotte« (also ohne Kniebundhosen), besonders aber die Mittelmeer-Fischer, rote
Mützen mit herabhängendem Zipfel. Und nachdem befreite Galeerensträflinge, die
wegen Aufruhrs in Nancy verhafteten und nach Brest auf die Galeeren gebrachten
Schweizer Soldaten, bei ihrem feierlichen Einzug in die Nationalversammlung jene
roten, den Galeerensklaven eigentümlichen Mützen trugen, kam diese Art der
Kopfbedeckung unter der revolutionären Bevölkerung, besonders den Anhängern
der Jakobiner, schnell in Mode. Am 20. Juni 1792 musste sich gar Louis XVI. die
Jakobinermütze aufsetzen.
Der Konvent machte die Jakobinermütze am 15. August 1792 zur offiziellen
revolutionären Kopfbedeckung. Sie erschien fortan auch auf allen öffentlichen
Schriftstücken und ersetzte generell die königliche Lilie. Während die Bevölkerung
einfache rote Jakobinermützen bevorzugte, trug die französische Polizei zwischen
1792 und 1794 kunstvoll bestickte. Nach dem Sturz Robespierres im Juli 1794
verlor die Kopfbedeckung an Bedeutung und verschwand allmählich.
Girondisten
Die Girondisten waren eine Gruppe von Abgeordneten im französischen
Nationalkonvent. Sie wurden Girondisten genannt, da sie ursprünglich aus der
Gironde, einer Region im Süden Frankreichs, stammen. Einer ihrer bekanntesten
Anführer war Jacques Pierre Bressot. Während sie in der Gesetzgebenden
Nationalversammlung 1791, als Frankreich noch eine Monarchie war, eine große
politische Macht hatten, die sie ab der Absetzung der Monarchie zunehmend an die
Jakobiner
verlor.
Während
die
Girondisten
ihre
Ziele,
wie
die
Menschenrechtserklärung erreicht sahen, wollten die Jakobiner die Revolution
weiter vorantreiben und für weitergehende Gerechtigkeit sorgen. Da die Girondisten
zu Anfangs gegen wirtschaftliche Reformen der Jakobiner in Opposition gingen,
wurden sie als Revolutionsgegner hingerichtet. Die radikalen Jakobiner übernahmen
die absolute Macht, die Terrorherrschaft begann.
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Sansculotten
Mit der Französischen Revolution trat erstmals eine politische Kraft auf, die es
vorher nicht gab: das Volk. Sie forderten soziale und wirtschaftliche Gleichheit,
Unterstützung für Bedürftige und wirtschaftlichen Aufschwung.
»Wir sind das Volk und wir wollen, dass kein Gesetz sei, ergo ist dieser Wille
das Gesetz, ergo im Namen des Gesetzes, gibt’s kein Gesetz mehr, ergo
totgeschlagen!«
Aufgrund ihrer Gewaltbereitschaft besaßen die Sansculotten großen politischen
Einfluss und unterstützten die Jakobiner, die dieselben Ziele verfolgten. Deshalb
wird Robespierres bei seinem ersten Auftritt im Stück (I,2) von einer Gruppe
Sansculotten begleitet. Zugleich verdeutlicht dieser Auftritt die politische Macht, aber
auch die Beeinflussbarkeit des »einfachen« revolutionären Volkes.
Die Abbildung zeigt zwei bewaffnete Sansculottes
(dt. Sansculotten). Die Sansculotten waren
Pariser Arbeiter, Handwerker, Händler, Gastwirte
und Kleinbürger, die im Gegensatz zu den von
Adligen und Klerus getragenen Kniebundhosen
lange Hosen trugen. Die von den Männern
getragenen langen Hosen waren ein Zeichen für
körperliche Arbeit (»Sansculotte« franz. für »ohne
Kniebundhose«, Culotte).
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Protagonisten
Georges Jacques Danton
Geboren wurde Georges Danton am 26. Oktober 1759
in Arcis-sur-Aube im Département Aube.
Zunächst arbeitet er als Anwalt, mit Einsetzen der
Französischen Revolution macht er als Politiker schnell
Karriere. 1790 gründet er gemeinsam mit Camille
Desmoulins und Jean Paul Marat den Club der
Cordeliers, eine Vereinigung radikaler Demokraten.
Danton und Saint-Just tun sich als Redner hervor und
vertreten die Anliegen der Cordeliers unter dem Motto
»Liberté, Égalité, Fraternité« (Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit). Ziel des Clubs der Cordeliers ist es, die gesetzgebende
Versammlung zu beobachten, um die Ideale der Revolution durchzusetzen.
Gleichzeitig wird Danton Mitglied im Club der Jakobiner, deren Präsident Robespierre wird. 1791 setzt sich Danton für die Absetzung des Königs ein, 1792
schließlich beschließt die Nationalversammlung die Entmachtung von Ludwig
XVI. Danton wird zum Justizminister. Im selben Jahr bricht der Erste
Koalitionskrieg aus. Danton tritt mutig für den Widerstand ein. Im September 1792
marschieren die Truppen Österreichs und Preußens auf Paris. Die Pariser Bürger
wenden sich nun gegen alle, die sie als Verbündete des Königs betrachten. Aus
Angst vor einer Revolte der Konterrevolutionäre werden über 1.000 Insassen in den
Pariser Gefängnissen ermordet. Danton duldet das »Septembermassaker«. Als
er in den Nationalkonvent gewählt wird, legt Danton das Amt des Justizministers
nieder. Er unterstützt die Anklage gegen Ludwig XVI. wegen Hochverrats und votiert
im Konvent für dessen Tod. Auf Vorschlag Dantons richtet der Nationalkonvent
1793 das Revolutionstribunal ein, ein Gerichtshof für politische Prozesse, der
Nationalkonvent im Frühjahr 1793 gründet den Wohlfahrtsausschuss, ein
Exekutivorgan, das schrittweise die politische Macht faktisch übernimmt. Die von
Danton zunächst befürwortete Terrorherrschaft – die unnachgiebige Verfolgung aller
realen oder vermeintlichen Royalisten und Konterrevolutionäre – wird erst durch den
Wohlfahrtsausschuss und das Revolutionstribunal möglich. Nur ein Jahr später, am
31. März 1794 wird Danton selbst als Revolutionsgegner verhaftet und vors
Revolutionstribunal gestellt. Die von Robespierre befürwortete Anklage
verdächtigt ihn der Kooperation mit dem Ausland. In seiner Verteidigungsrede
vom 4. April 1794 erinnert er noch einmal an seine Verdienste um die Revolution:
»Wir haben ein Ende gemacht mit der Tyrannei der Privilegien. Wir haben ein
Ende gemacht mit den uralten Übeln, jenen Herrschaftsrechten und Gewalten,
auf die kein Mensch ein Anrecht hatte. Wir haben ein Ende gemacht mit dem
Alleinanspruch von Reichtum und Geburt auf alle Entscheidungen unseres
Staates, unserer Kirchen, unserer Armee. […] Wir haben erklärt, dass der
einfachste Mann gleich ist mit dem Größten im Land. Wir haben uns die
Freiheit genommen, und gaben sie unseren Sklaven. […] Es ist eine
Inspiration für die Visionen aller Menschen überall; ein Lufthauch von Freiheit,
der sich nicht mehr verleugnen lässt.«
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Nur einen Tag später, am 5. April 1794, wird Georges Danton als angeblicher
Verschwörer gegen die Revolution hingerichtet.
Hans-Werner Leupelt und Ensemble
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Maximilien Marie Isidore de Robbespierre
Die Historiker müssen sich damit abfinden, dass ihnen
der Mensch hinter den politischen Masken für immer
verborgen bleibt. Zumal es keinen Nachlass gibt: Das
Gros seiner persönlichen Papiere und Manuskripte
wurde nach seinem Tod von seinen Gegnern vernichtet. Was von Robespierre blieb, sind vor allem seine
Reden und die offiziellen Verlautbarungen aus den Jahren 1793 und 1794. Anhand von Gemälden und zeitgenössischen Beschreibungen können wir uns allerdings
den ebenso hageren wie bleichen, stets sorgfältig gekleideten, ja bis zur Steifheit kultivierten Junggesellen, der jeglichem Vergnügen abhold war und noch inmitten der Sansculotten und in der Terrorzeit eine gepuderte
Perücke trug, recht plastisch vorstellen. Doch diese äußere Erscheinung war schon
Teil einer für die Öffentlichkeit bestimmten Inszenierung, die Robespierre glänzend
beherrschte. Dem Gerücht nach soll die Stube bei seinen Wirtsleuten Duplay mit
zahlreichen Spiegeln und Bilddrucken seiner Person gefüllt gewesen sein. Bühnen
für seine vielfältigen Rollen waren vor allem die Nationalversammlung, der Jakobinerclub und die Presse. Diese Bilder, die Robespierre von sich darbot, und die Bilder, die seine Freunde oder seine Feinde von ihm zeichneten, sind der Ursprung
vieler späterer Wahrnehmungen.
Als Robespierre im Mai 1789 als Vertreter der Generalstände nach Paris reiste, war
er ein unbekannter Anwalt aus der Provinz und ein unbeschriebenes Blatt. Schon
nach wenigen Wochen begann er jedoch, sich in der aus den Generalständen hervorgegangenen Nationalversammlung einen Namen zu machen. Trotz seiner
stimmlichen und rhetorischen Schwächen traktierte er die Versammlung mit langen
und abstrakten Reden. Einflussreiche Ämter bekleidete er vor 1791, als er zum ersten Mal Präsident des Jakobinerclubs wurde, noch keine. Doch die Verve, mit der er
über die revolutionären Ideale und über »das Volk« zu sprechen verstand, verschaffte ihm Gehör. In der Anfangsphase der Revolution knüpfte er an eine Rolle
an, die er schon als Anwalt in Arras zu spielen begonnen hatte: Er profilierte sich
als »Stütze der Unglücklichen« und »Rächer der Unschuld«. Er betonte die
Notwendigkeit, die Volkssouveränität so direkt wie möglich auszuüben, setzte sich
für das unbeschränkte (Männer-) Wahlrecht, gegen ein Vetorecht des Königs, für
die Emanzipation der Juden und Farbigen und sogar für die Sklavenbefreiung ein.
Vor allem aber profilierte er sich als unermüdlicher Mahner vor den Machenschaften der Revolutionsfeinde. Robespierre verstand es, sich als Stimme des
universellen Freiheits- und Gleichheitsversprechens der Revolution zu positionieren, wobei er alles tat, um eine symbolische Verbindung zwischen sich und
Rousseau herzustellen. So entstand das politische Image eines Mannes, den man
schon 1790 den »Unbestechlichen« nannte
Ab 1791 veränderte sich Robespierres Rolle. Er begann, seinen Part in den einsetzenden Bruderkämpfen innerhalb der revolutionären Bewegung zu spielen. Als sich
der Pariser Jakobinerclub zum ersten Mal spaltete, war er es, der die radikale Fraktion und die zögernden Tochtervereine der Provinz zusammenhielt und die gemäßigten Kräfte marginalisierte. Wenig später begannen die Gefechte zwischen der
»Dantons Tod« – Materialmappe
19
Fraktion Robespierres und den Anhängern Brissots, die man später die »Girondisten« nannte. Konfliktstoff bot zunächst die Frage des Krieges gegen Preußen und
Österreich. »Niemand liebt bewaffnete Missionare«, hielt Robespierre den Brissotins
entgegen. Diese brandmarkten dafür seinen Pazifismus als Parteinahme für die österreichischen Interessen der Königin. Nach der Ausrufung der Republik am 20.
September 1792 verschärfte sich die Gegnerschaft beider Gruppen. Nun suchte
Robespierre Unterstützung bei der Volksbewegung, und es waren die Pariser Sansculotten, die ihn am 2. Juni 1793 beim finalen Schlag gegen die Gironde unterstützten. Auf diese Weise profilierte sich der Idealist von 1789 als unerbittlicher Kämpfer
in der politischen Arena und damit als Gestalter und Lenker der revolutionären Bewegung.
Am 27. Juli 1793 trat Robespierre in den »Wohlfahrtsausschuss« ein, jenes Exekutivkomitee des Konvents, das den abgesetzten König ersetzen sollte. Damit saß er
an den Hebeln der Macht. An politischen Herausforderungen bestand kein Mangel:
Die verfeindeten Mächte Europas bereiteten sich erneut auf eine Invasion vor, in
mehreren Regionen Frankreichs herrschte Bürgerkrieg, und eine schwere Versorgungskrise zeichnete sich ab. Dennoch kam es im Sommer und Frühherbst 1793 zu
einem neuen Aufschwung des revolutionären Idealismus. Eine neue Verfassung,
sogar eine neue Menschenrechtserklärung, wurde per Volksbefragung verabschiedet. Der Versorgungskrise wirkte der Wohlfahrtsausschuss mit Marktregulierungen
entgegen. Zum Schutz der kleinen Leute wurden Maximalpreise und -löhne durchgesetzt. Außerdem stellte der Staat Lebensmittel sicher und verteilte sie. Der Konvent beschloss auch die Einführung einer flächendeckenden Primärschulerziehung.
Gleichzeitig wurden die einfachen Leute jedoch für das Vaterland in die Pflicht genommen, indem der Wohlfahrtsausschuss gegenüber dem angreifenden Ancien regime zur »levee en masse« aufrief, zur Mobilmachung des gesamten Volkes. Zu
Beginn von Robespierres Regierungsbeteiligung trug die revolutionäre Politik also
Züge eines politisch-gesellschaftlichen Neuanfangs mit egalitären Akzenten. Noch
im Februar und März 1793 wurden die sogenannten »Ventôse-Dekrete« erlassen,
die eine Verteilung von beschlagnahmtem Besitz an besonders bedürftige Bürger
vorsahen.
Dieser sorgende, gerechte und sich verteidigende Volksstaat war aber nur die eine
Seite der Medaille. Immer stärker wurde die Macht in den Händen der im Wohlfahrtsausschuss repräsentierten jakobinischen Führung konzentriert. Demgegenüber verlor die Verfassung zunehmend an praktischer Bedeutung, und die Jakobiner
griffen erst zögerlich, dann beherzt zum Mittel der Repression. Mit dem Gesetz gegen die Verdächtigen (17. September 1793) und der Umstrukturierung des im März
1793 gegründeten Revolutionstribunals sowie der Einrichtung von außerordentlichen Gerichten im ganzen Land wurde die Justiz zu einer Waffe gegen tatsächliche
und angebliche Feinde der Revolution. Die neuen Tribunale verurteilten etwa 16.000
Menschen zum Tod. 30.000 Aufständische, vor allem in Lyon und in der Vendée,
wurden ohne individuellen Prozess exekutiert. Darüber hinaus forderte der Bürgerkrieg zwei- bis dreihunderttausend Opfer. Die jakobinische Führung war dabei nur
zum Teil Herr dieser Unterdrückungsmaßnahmen, die vielfach weit von Paris und
ohne Befehle der Zentrale stattfanden. Aber das politische Handeln Robespierres
hatte die Rahmenbedingungen für die Entstehung einer mörderischen Justiz geschaffen. Vor allem hatte er erneut seine Rolle den Umständen angepasst und in
»Dantons Tod« – Materialmappe
20
einer Reihe von Ansprachen den massenhaften Tod für das Vaterland als unausweichliche Notwendigkeit, ja als heilige Pflicht dargestellt. Die Guillotine kam ihm als
Mittel im politischen Kampf zugute und erlaubte es ihm, sich seiner Widersacher –
erst Hébert auf der »Linken«, dann Danton auf der »Rechten« – zu entledigen.
Im Frühjahr des Jahres 1794 erreichte Robespierre, nachdem er sowohl im eigenen
Land als auch im Ausland alle ernstzunehmenden Gegner besiegt hatte, im Wohlfahrtsausschuss und im Konvent den Höhepunkt seiner Macht. Von seinem Freund,
dem Maler David, inszeniert, nahm dieser Triumph die Form einer neuen, einer alternativen Religion an: als »Kult des Höchsten Wesens«. Bei einer Massenveranstaltung auf dem Pariser Marsfeld am 10. Juni 1794 nahm Robespierre im Kreis der
Konventsmitglieder auf einer reich dekorierten Tribüne Platz, predigte der Menge
von der Allmacht des »Höchsten Wesens« und setzte mit einer Fackel die allegorischen Figuren des Atheismus, des Ehrgeizes, der Zwietracht und der falschen Einfachheit in Brand; darunter kam, leicht angerußt, die Statue der Weisheit zum Vorschein. Diese Inszenierung, in welcher der ehemalige Anwalt gleichsam zum Priester wurde, sollte dem Regime eine sakrale Weihe verschaffen.
Damit hatte Robespierre, der bald nach dem Fest weitere Terrorgesetze erließ, den
Bogen überspannt. Die Pariser Sansculotten-Bewegung stand nicht mehr geschlossen hinter ihm, und seinen Gegnern im Konvent gelang es zum ersten Mal, ein wirkungsvolles Gegenbild zu lancieren. In Paris kursierte das Gerücht, der Unbestechliche sei endgültig größenwahnsinnig geworden und plane, sich zum König ausrufen
zu lassen. Daraufhin wurde Robespierre am 27. Juli 1794 im Konvent verhaftet,
vom Revolutionstribunal abgeurteilt und am folgenden Tag hingerichtet. Sein
Wunsch, als Märtyrer der Revolution in die Geschichte einzugehen, blieb zunächst
unerfüllt; die von seinen Gegnern lancierte schwarze Legende verbreitete sich dagegen rasch. Aus Robespierre, dem Unbestechlichen, dem Freund der Schwachen, dem erbarmungslosen Verfolger aller Feinde der Republik, wurde Robespierre, der »Tyrann«, das »blutrünstige Monster«.
»Dantons Tod« – Materialmappe
21
Sven Hönig und Ensemble
»Dantons Tod« – Materialmappe
22
Erklärung der Menschen- & Bürgerrechte
vom 26. August 1789
Da die Stellvertreter der französischen Nation, welche die Nationalversammlung
ausmachen, in Erwägung zogen, dass Unwissenheit, Vergessenheit und
Verachtung der Menschenrechte, die einzigen Ursachen des allgemeinen Unheils,
und der Verderbtheit der Regierungen sind; So beschließen sie, die natürlichen
unveräußerlichen und heiligen Rechte der Menschen, mittels einer feierlichen
Erklärung, in deutliches Licht zu setzen: Damit diese Erklärung allen und jeden
Gliedern des Staatskörpers immer vor Augen liege, und sie an ihre Rechte und
Pflichten unablässig erinnere; Damit man die verschiedenen Handlungen der
gesetzgebenden und der ausführenden Macht, mit dem Zweck aller und jeder
Staatseinrichtungen stets vergleichen könne, und daher mit desto mehr Ehrfurcht für
dieselben erfüllet werde; Damit künftighin des Reichsbürgers Berufungen auf
Rechte in dieser Erklärung so einfache als unumstößliche Gründe finden, und
demnach selbst sein Widerstand zu Erhaltung unserer Reichsverfassung und zu
allgemeiner Wohlfahrt, gedeihen möge. Zufolge dessen erkennet und erkläret die
National-Versammlung, in Gegenwart und unter Obwaltung des Höchsten, folgende
Rechte des Menschen und des Bürgers.
Artikel eins.
Von ihrer Geburt an sind und bleiben die Menschen frei und an Rechten einander
gleich. Bürgerliche Unterscheidungen können nur auf gemeinen Nutzen gegründet
sein.
Zwei.
Jede Bildung politischer Gesellschaften hat die Erhaltung der natürlichen und
unveräußerlichen Rechte des Menschen zu ihrem Zwecke. Dieser Rechte
Gegenstände sind Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen
Unterdrückung.
Drei.
Die höchste Machthabung jedes Staates gründet sich wesentlich auf die Nation.
Weder einzelne Personen, noch Körperschaften, können je irgendeine Macht
ausüben, die nicht ausdrücklich aus dieser Quelle fließe.
Vier.
Die Freiheit besteht darin, dass jeder alles tun darf, was keinem anderen schadet. In
Ausübung natürlicher Rechte sind demnach keinem Menschen andere Grenzen
gesetzt, als die, welche den Genuss gleicher Rechte anderen Gliedern der
Gesellschaft sichern. Das Gesetz allein kann diese Grenzen bestimmen.
»Dantons Tod« – Materialmappe
23
Fünf.
Das Gesetz darf Handlungen nur in so fern verbieten, als die der Gesellschaft
schädlich sind. Was das Gesetz nicht verbietet, darf niemand hindern; und niemand
darf gezwungen werden, zu tun, was das Gesetz nicht befiehlt.
Sechs.
Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willens. Zur Bildung desselben haben
alle Bürger gleiches Recht, persönlich, oder durch Stellvertreter, Teil zu nehmen.
Das Gesetz muss für alle und jeden, es seie zum Schutz oder zur Strafe, ein und
dasselbe Gesetz sein. Vor ihm sind alle Bürger gleich, haben alle zu allen
öffentlichen Würden, Stellen und Ämtern, nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten, gleiche
Ansprüche. Es lässt keinen anderen Unterschied zu, als den, welchen Tugenden
und Talente machen.
Sieben.
Kein Mensch darf gerichtlich angeklagt, in Haft genommen, oder sonst in
persönlicher Freiheit gestöret werden; es seie denn in Fällen, die das Gesetz
bestimmt, und nach der Form, die es vorschreibt. Alle die, welche willkürliche
Befehle bewirken, ausfertigen, ausüben, oder vollstrecken lassen, sind der Strafe
unterworfen. Hingegen ist jeder Bürger, der in Kraft des Gesetzes vorgeladen oder
gegriffen wird, augenblicklichen Gehorsam schuldig. Durch Widerstand wird er
straffällig.
Acht.
Das Gesetz soll nur Strafen verordnen, die unumgänglich und einleuchtend
notwendig sind. Niemand kann je gestraft werden, als nur in Kraft eines verordneten
Gesetzes, welches vor dem Begehen der Straftat beschlossen, und nachher auf das
Verbrechen gesetzmäßig angewendet worden ist.
Neun.
Da kein Mensch eher für schuldig angesehen werden kann, als bis er nach dem
Gesetz dafür erklärt wird; so folgt daraus, dass jeder, den man in Haft zu nehmen
unumgänglich nötig findet, gegen alle Strenge, die dazu nicht nötig ist, durch das
Gesetz ernstlich geschützt werden muss.
Zehn.
Wegen Meinungen, selbst in Religionssachen, darf niemand behelligt werden, wenn
er nur die öffentliche Ordnung, welche das Gesetz eingeführet hat, durch selbige
Äußerungen nicht störet.
»Dantons Tod« – Materialmappe
24
Elf.
Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der schützbarsten
Rechte des Menschen. Jeder Bürger darf demnach frei reden, schreiben und
drucken lassen, was er will. Nur in den, vom Gesetz bestimmten, Fällen hat er den
Missbrauch dieser Freiheit zu verantworten.
Zwölf.
Zur Gewährleistung der Rechte des Menschen und des Bürgers wird öffentliche
Gewalt erfordert. Folglich dienet die Einführung dieser Gewalt zu gemeiner
Wohlfahrt aller und jeder, und nicht zu besonderem Nutzen derer, denen sie
anvertrauet wird.
Dreizehn.
Zu Unterhaltung öffentlicher Gewalt, und zur Bestreitung der Verwaltungskosten
wird allgemeiner Beitrag unumgänglich erfordert. In diesem müssen alle Bürger,
nach Maßgabe ihres Vermögens, gleichen Anteil nehmen.
Vierzehn.
Die Bürger haben das Recht, die Notwendigkeit des öffentlichen Beitrages
untersuchen, und ihn durch sich selbst, oder durch ihre Stellvertreter, frei
genehmigen, zu bestätigen, desselben Verwendung zu wissen, und die Summe,
Quellen, woraus sie bezogen wird, die Art der Erhebung und die Dauer
bestimmen.
zu
zu
die
zu
Fünfzehn.
Die Gesellschaft hat das Recht, von jedem öffentlichen Geschäftsträger, wegen
seiner Verwaltung, Rechenschaft zu fordern.
Sechzehn.
Ein Staat, worin der Rechte Gewährleistung nicht gesichert ist, worin die Grenzen
verschiedener Machthabungen nicht bestimmt sind, hat keine Verfassung.
Siebzehn.
Da das Eigentum ein unverletzbares und heiliges Recht ist; so kann niemand
desselben beraubt werden: es seie denn, dass öffentliche und gesetzmäßig
bewährte Not solches Opfer augenscheinlich verlangen. Aber auch dann darf dies
nur unter Bedingung gerechter und vorläufiger Entschädigung geschehen.
»Dantons Tod« – Materialmappe
25
Zum Werk »Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen«
»Dantons Tod« – Materialmappe
26
Die Abbildung auf Seite 26 zeigt den oberen Teil eines Gemäldes von JeanJacques-François Le Barbier (1738 – 1826) aus dem Jahr 1790. Barbier
kommentiert durch die Bildelemente den Text der Erklärung der Menschen- und
Bürgerrechte, den er vollständig übernimmt. Der Text erscheint auf zwei schwarzen
Marmortafeln in goldenen Buchstaben – eine Darstellung, die an die zwei Tafeln
erinnert, auf welchen Moses auf dem Berg Sinai die Zehn Gebote empfangen hat.
Die Marmortafeln mit der Menschen- und Bürgerrechtserklärung werden als Teil
eines Denkmals dargestellt, auf dem sich ein Aufsatz mit folgender Inschrift
befindet: »Déclaration des droits de l’homme et du citoyen. Décretés par
l’Assemblée Nationale dans les séances des 20, 21, 23, 24 et 26 aoûst [richtig:
août] 1789, acceptés par le Roi« (dt.: »Erklärung der Menschen- (bzw. Männer-)
und Bürgerrechte, die von der Nationalversammlung in den Sitzungen vom 20., 21.,
23., 24. und 26. August 1789 verabschiedet und vom König angenommen worden
sind«). Unter den Tafeln steht »Aux représentans [richtig: représentants] du peuple
françois« (»Den Vertretern des französischen Volkes«).
Durch die Art der Darstellung wird dem Betrachter vermittelt, dass es sich bei dieser
Erklärung um einen äußerst wichtigen Gesetzestext handelt, der von ebenso
grundlegender Bedeutung ist wie die Zehn Gebote. Dass die Erklärung lange,
möglichst ewig gelten soll, verdeutlichen zwei Symbole: die lange Girlande aus
Eichenlaub (als Symbol der Beständigkeit) und der Schlangenkreis (als Symbol der
Vollkommenheit und Ewigkeit). In der Mitte zwischen den beiden Tafeln befindet
sich eine Pike (als Zeichen der Wehrhaftigkeit), die an ihrem Griff von einem
Rutenbündel (als Zeichen der Gleichheit und Gerechtigkeit) umschlossen ist und die
eine Jakobinermütze (als Symbol der Freiheit) auf ihrer Spitze trägt. Auf dem
Denkmal sitzen zwei Frauenfiguren: Die Figur links verkörpert allegorisch das
Königreich Frankreich, das sich von den Ketten der Despotie befreit hat. So trägt die
Frauenfigur gleichzeitig die Krone sowie den blauen Königsmantel mit den Lilien der
Bourbonen und ein Gewand in den Revolutionsfarben blau-weiß-rot. Sie hält eine
zerrissene Kette in der Hand und blickt nach links zur zweiten Figur, wohl eine
Allegorie von Recht und Gesetz. Die junge Frau mit den Flügeln scheint den
Bildbetrachter anzusehen. In der rechten Hand hält sie ein Zepter, mit dem sie auf
ein von der Sonne umstrahltes Dreieck deutet. Mit der linken Hand weist die
Engelsfigur auf die Gesetzestafeln, vermutlich um zu zeigen, auf wen diese Gesetze
zurückgehen. Das Dreieckssymbol mit dem Auge in der Mitte ist mehrdeutig: Es ist
ebenso ein christliches Symbol wie ein Symbol der Freimaurer, es kann die göttliche
Dreifaltigkeit genauso symbolisieren wie die Vernunft. Die Sonnenstrahlen sind
ebenfalls ein altes Symbol für den höchsten Gott und Herrscher. In der Präambel
der Menschen- und Bürgerrechtserklärung ist vom »Höchsten Wesen« (frz.: »L’Être
suprême«) die Rede.
Somit verwendet der Maler Le Barbier in seiner Darstellung Symbole des Christentums, der römischen Antike und der Aufklärung, um die Bedeutung der Menschenund Bürgerrechtserklärung für das Königreich Frankreich deutlich zu machen: Die
Erklärung beendet den Zustand der Unfreiheit und Despotie und bringt den Bürgern
Gleichheit und Freiheit. Diese Rechte gelten ewig, müssen aber auch verteidigt
werden. Sie entspringen (je nach Lesart) der Vernunft oder dem göttlichen Willen.
»Dantons Tod« – Materialmappe
27
Ästhetische Aspekte der
Inszenierung
Inszeniert wird Büchners Schauspiel vom Regisseur Martin Schulze, d.h. aber
nicht, dass er die einzige Person ist, die die Inszenierung ästhetisch gestaltet. Ein
Regisseur arbeitet mit vielen verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern
zusammen, allen voran mit Bühnenbildner/innen, Kostümbildner/innen, Licht- oder
Videokünstler/innen, Musiker/innen und nicht zuletzt mit den Schauspielerinnen und
Schauspielern, die auf der Bühne spielen. Sie alle zusammen haben sich ein
Konzept zur Inszenierung von Büchners »Dantons Tod« ausgedacht und in den
Proben umgesetzt und weiterentwickelt. Was Sie also sehen werden, ist eine
theatrale Bearbeitung des Originaltexts – nicht nur wurden Szenen gekürzt und die
Reihenfolge der Szenen umgestellt, sondern die Schauspieler mit ihren Spiel- und
Sprechweisen, die Kostüme, das Bühnenbild, das Licht und Sound/ Musik setzen
eigene Akzente. Komplettiert wird das Erleben der Inszenierung durch die
Zuschauer/innen, die ihrerseits das Live-Spiel auf der Bühne beeinflussen.
Hier gehen wir beispielsweise auf herausstechende Merkmale der Ästhetik der
Inszenierung ein.
Bühnenbild/ Licht
Das Stück beginnt mit Anke Stedingk, die vor dem »Eisernen Vorhang« mit Kreide
die Worte »Erklärung der Rechte des Menschen und der Bürger« schreibt.
Dieser Vorhang mit den Worten darauf wird zur Pause und am Ende des Stückes
runtergefahren, um immer wieder auf das Erbe der Französischen Revolution und
Büchners Stück hinzuweisen: die Menschenrechte.
Der Vorhang hebt sich, die Bühne wird sichtbar. Zu sehen ist eine weiße Wand in
der Mitte der Bühne, die in eine weiße Fläche auf dem Boden weiterreicht und bis
nach vorne zum Bühnenrand führt. Diese Fläche wird in Form von horizontalen
schwarzen Linien flackernd beleuchtet und erinnert an Störbildern in Fernsehern.
Dieses Motiv der flackernden oder sich bewegenden Linien auf dieser weißen
Fläche zieht sich durch das gesamte Stück. Das Licht kommentiert auf diese Weise
das szenische Spiel und/ oder irritiert die Wahrnehmung des Zuschauers.
Die weiße Fläche ist zugleich die Spielfläche, das nur verlassen wird, um ab- oder
aufzutreten. Hierdurch konzentriert sich das Spiel auf diejenigen, die in der weißen
Fläche stehen und spielen. Zugleich dient die hintere Wand als eine Art »off«, d.h.
die Schauspieler, die an der Wand stehen, sind zwar Teil der Szene (da die
Zuschauer sie sehen können), spielen aber nicht aktiv mit. Diese ästhetische
Entscheidung verweist darauf, dass alle Akteure von allen Bühnenereignissen
mittelbar oder unmittelbar betroffen sind.
Am Bühnenbild und Lichtdesign haben v.a. Ulrich Leitner und Holger Klede
gearbeitet. Die Abbildung auf der nächsten Seite zeigt das Lichtkonzept.
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Ensemble
»Dantons Tod« – Materialmappe
29
Kostüme
Die Kostüme sind ein weiteres optisches Merkmal der Inszenierung, das sofort
auffällt. Alle Spielerinnen und Spieler tragen Kniebundhosen, die Spielerinnen dazu
in einigen Szenen Röcke darüber. Dazu haben alle Kniestrümpfe und
enganliegende Oberteile an. Ab bestimmten Szenen ziehen sich die Spielerinnen
und Spieler hohe Lederstiefel und Jacken an. Die Jacken spielen hier eine
besondere Rolle und sind modisch am auffälligsten.
Die Jacken zitieren die damalige Mode, so wie auf der
Abbildung links zu sehen ist. Allerdings sind die Jacken in
der Inszenierung stark stilisiert: die Grundfarben sind weiß,
grau oder beige. Die Grundfarben verweisen auf die
Verbindungen zwischen den Figuren: Robespierre und seine
Anhänger tragen graue Jacken, die Dantonisten BeigeFarbende und Danton sowie Julie tragen weiße Jacken.
Durch (fast) alle Jacken zieht sich die Farbe Rot, in
Anlehnung an die Jakobinermützen, die in der Inszenierung
vor allem vom Volk getragen wird. Dies zeigt, dass sich alle
mit der Farbe Rot politisch nahe stehen, wenn auch sie sich
in ihrer Radikalität unterscheiden.
Gleicht sich der Stil der Jacken, so weisen sie Unterschiede
zueinander auf: Einige haben eine Doppelknopfreihe, andere
haben eine Kapuze, während andere einen hohen Kragen
besitzen. Jede Spielerin und jeder Spieler hat ihre bzw. seine eigene Jacke, die nur
von ihr bzw. ihm getragen wird. Dies unterstreicht bei aller Gemeinsamkeit in
politischen Einstellung und dem Leben in einer gemeinsamen Zeit die Individualität
der Figuren.
Ensemble
»Dantons Tod« – Materialmappe
30
Moritz Dürr, Andreas Bißmeier, Anke Stedingk und Philipp Grimm
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Sprechchöre
Im Gespräch über »Dantons Tod« sagt der Regisseur Martin Schulze über die
Menschenrechte und die revolutionäre Rolle der Bevölkerung: »Das Volk auf der
Straße ist […] ein wichtiges Element. Es fordert Essen, es fordert
Gerechtigkeit, es fordert den Tod. Wir erarbeiten die Passagen des Textes, die
die Bevölkerung zu Wort kommen lassen, in Form von Sprechchören. Dies
verspricht eine intensive Übersetzung der Macht und der Gewalt, die von den
Menschen auf der Straße damals ausging.«
Gleich zu Beginn und danach im Verlauf des Stückes sprechen die Spielerinnen und
Spieler einige Male chorisch. Dies ist immer dann der Fall, wenn sie Bürger,
Bürgersoldaten, Jakobiner oder Männer und Weiber aus dem Volk spielen. Diese
Textpassagen werden dann von allen Spieler/innen gemeinsam gleichzeitig
gesprochen, wobei einige Sätze von einzelnen Spieler/innen gesprochen wird, um
einerseits das chorische Sprechen zu variieren und andererseits auf die politische
Einstellung der Figur, die der sprechende Schauspieler verkörpert.
In einigen Szenen spricht der Chor auch im Hintergrund, um der Szene eine zweite
inhaltliche Ebene zu geben.
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Anke Stedingk und Hans-Werner Leupelt
Vorbereitung
Hier finden Sie Übungseinheiten, Spiele und Gedankenanstöße, mit denen Sie Ihre
Schülerinnen und Schüler auf den Vorstellungsbesuch einstimmen können. Wir
haben sowohl thematische als auch ästhetische Aspekte in unserem Angebot
berücksichtigt.
1 Sammeln: Was war nochmal die Französische Revolution?
Lassen Sie zu Beginn die Schüler/innen jeweils alleine schriftlich sammeln, was Sie
von der Französischen Revolution wissen und vom Geschichtsunterricht noch
erinnern. Sie sollen alles unzensiert aufschreiben, jedes noch so kleine Detail und
Halbwissen.
In Kleingruppen tragen Sie Ihr Wissen zusammen und versuchen, in einer eigenen
Zeitleiste einzutragen, was wann passiert ist. Hier geht es erstmal darum, zu
schätzen, wann was passierte sowie die Reihenfolge an Ereignissen festzulegen.
Mit der gesamten Klasse können Sie die Ergebnisse zusammentragen und anhand
einer offiziellen Zeitleiste über die Ereignisse der Französischen Revolution
aufklären.
»Dantons Tod« – Materialmappe
33
2 Schreibt Eure eigenen Menschen- und Bürgerrechte
Die Inszenierung verweist immer wieder auf die Menschenrechte, deren Erklärung
im Jahre 1789 einen Meilenstein für die heutigen Demokratien ist. Das Deutsche
Grundgesetz wurde durch diese Erklärung maßgeblich inspiriert.
Lassen Sie die Schüler/innen in Kleingruppen ihre eigenen Menschenrechte
schreiben: Welche Grundrechte hat jeder Mensch? Ist ein Internetzugang
mittlerweile ein Grundrecht? Benannt als »Zugangsrecht an Daten und
Informationen«?
Tragen Sie »Ihre« Menschenrechte zusammen.
Vergleichen Sie diese Menschenrechte mit denen der historischen
Menschenrechtserklärung von Frankreich 1789 und mit dem Deutschen
Grundgesetz von 1949:
Welche Unterschiede lassen sich feststellen? Wie unterscheiden sich die
franzöische und deutsche Menschenrechte?
Diskussion: Wie selbstverständlich sind die Menschenrechte?
Sprechen sie mit den Schüler/innen über die Bedeutung der Menschenrechte.
Schauen Sie dabei über den Tellerrand: Wo werden sie aktuell auf der Welt
verletzt? Und auch auf den Teller: Werden Menschenrechte auch bei uns verletzt?
3 Auf einen damaligen Brief antworten
Lassen Sie die Schüler/innen auf einen Erlebnisbericht oder Brief aus der damaligen
Zeit antworten. Sie können entweder aus der Sicht von heute schreiben, also man
weiß, was passieren wird, oder sie antworten als eine der Figuren aus dem Stück.
Augenzeugenbericht
»Von neuem auf der Straße, packte mich nun wirklich die Angst. Während ich auf
gut Glück dahinging und nicht recht wußte, wohin ich meine Schritte lenken sollte,
nahm ich mir vor, mich in ein entferntes Viertel zu begeben, (…). Als ich durch
mehrere große Straßen gekommen war, ohne einem einzigen Menschen zu
begegnen, hörte ich ein dumpfes Geräusch, das näher zu kommen schien, und
undeutliche Schreie. (…). Da ich nicht wusste, wohin ich gehen sollte, und übrigens
auch nicht mehr daran dachte, mich irgendwohin zu begeben, blieb ich nahezu zwei
Stunden an derselben Stelle, die Arme über der Brust gekreuzt und die Augen auf
das Tor des Klosters geheftet, (…). Eine Uhr, die Mitternacht schlug, riß mich jedoch
aus meinem vagen Gedanken; die Füße waren vor Kälte erstarrt, ich fühlte einen
Frostschauder und versuchte zu gehen, um ihn zu überwinden. Ich hatte aber kaum
hundert Schritte getan, als ich an der Einmündung einer Straße auf eine Streife
stieß, dich mich entsprechend der Prophezeiung meines liebevollen Freundes
festnahm und erst dann wieder freigab, nachdem sie zu der Posthalterei gegangen
war und kontrolliert hatte, (…). Vom Eisen der Guillotine abgetrennt, fielen sie [die
abgetrennten Köpfe] einer nach dem anderen in einen Bottich, wo sie im Blut
schwammen, das aufspritzte, über den Rand des Bottichs floß und das Pflaster des
für diese täglichen Abschlachtungen bestimmten Platzes überschwemmte. ›Für die
»Dantons Tod« – Materialmappe
34
paar Leute‹, fügte [eine] Frau hinzu, ›wäre es eigentlich nicht der Mühe wert
gewesen, sich vom Platz zu rühren; (…)‹«
Pernoud & Flaissier: »Die französische Revolution in Augenzeugenberichten. Die Schreckensherrschaft 1978«,
S. 283-294.
10. 000 Henker
Camille Desmoulins: Brief an den Vater, Juli 1789
Vorgestern hat im Palais oyal ein Polizeispion eine e emplarische üchtigung
erhalten; man hat ihn entkleidet, man hat gesehen, dass er Spuren von
Peitschenhieben trug, dass er gebrandmarkt war; man hat eine Karbatsche bei ihm
gefunden; das sind die handfenen Handschellen, deren sich diese elenden Schufte
bedienen. Man hat ihn im Bassin gebadet, dann hat man ihn gehetzt, wie man einen
Hirsch hetzt, bis er zusammenbrach, man bewarf ihn mit Steinen, man schlug ihn
mit Stöcken, man schlug ihm ein Auge aus der Höhle; schließlich warf man ihn,
ohne auf sein Flehen und sein Um-Gnade-Bitten zu hören, zum zweiten Mal ins
Becken. Seine Marter hat von Mittag bis halb sechs Uhr gedauert, und er hatte an
10. 000 Henker.
4 Personenkonstellationen und Charaktere
Erarbeiten von Rollenbiographien und Entwickeln eines Figurenbildes für eine
mögliche Darstellung auf der Bühne.
Stellen Sie eine Personenliste zu »Dantons Tod« auf und entwerfen Sie in
Stichpunkten eine Kurz-Vita zu den einzelnen Figuren. Gehen sie von den
Informationen aus, die Büchner seine Figuren sagen lässt. Um eine
Rollenbiographie zu entwickeln, ist es darüber hinaus möglich, weitere
Informationen, Charakteristika zu erfinden. Ziel ist es, ein deutliches Bild der Figuren
zu entwickeln und sich die Unterschiede unter ihnen zu vergegenwärtigen.
Arbeiten Sie dabei heraus, wie Danton und Robbiespierre zu ihren Freunden und
Mitstreitern steht, sowohl im Privaten als auch im Öffentlichen.
Viel Spaß beim Suchen und Ausprobieren!
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Nachbereitung
Ein moderiertes Nachgespräch, ein spielerisches Rekonstruieren der Erinnerungen
vom Inszenierungsbesuch, Rezensionen schreiben, und vieles mehr kann bei der
Nachbereitung eingesetzt werden.
Hier finden Sie Vorschläge zum Nachbereiten des Inszenierungsbesuchs.
Erinnerungsprotokoll
Aufwand: mindestens 20 Minuten
Aufgabentext: Welche Momente in der Aufführung wirken bei Dir besonders nach?
Was ist Dir in Erinnerung geblieben? Beschreibe den Moment (»Was ist
geschehen?«) und die Wirkung (»Was hat es ausgelöst? Wie fühle ich mich? Was
denke ich darüber?«).
Zur Nachbereitung einer Aufführung lohnt es sich immer, ein sogenanntes
»Erinnerungsprotokoll« zu schreiben.
In einem Erinnerungsprotokoll geht es um eine persönliche Auseinandersetzung mit
dem Theaterbesuch, v.a. mit dem, wie man die Aufführung persönlich erlebt und
was man wann wahrgenommen hat. Und dies soll möglichst genau beschrieben
werden.
»Dantons Tod« – Materialmappe
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Genau beschreiben heißt, konkret zu benennen, was geschehen ist, worauf man
sich konzentriert hat und zu spekulieren, warum das so war. Am besten man nimmt
sich die prägnanteste Erinnerung, also der Moment, der am meisten nachwirkt. Dies
kann ein Bild, ein Satz oder ein Aspekt der Inszenierung.

Was ist geschehen?

Was konnte man sehen, hören, gar riechen?

Was hat das bei mir oder bei den anderen Zuschauern ausgelöst? Bekam
ich Gänsehaut? Konnte ich nicht mehr aufhören zu lachen? Habe ich alles
um mich herum ausgeblendet und mich nur auf das Bühnengeschehen konzentriert? Oder wurde ich abgelenkt durch die Zuschauer/innen neben mir?

Ein Nachgespräch
Danach wird beschrieben bzw. spekuliert, warum man gerade diesen Moment
gewählt hat und in welcher Form man emotional an diesen Aspekt der Inszenierung
anknüpft.

Was hat dieser Moment bei mir ausgelöst?

Warum ist es gerade dieser Moment, der haften geblieben ist?

Was finde ich daran spannend, interessant?
Wichtig ist, dass es hier nicht vorrangig um’s Verstehen geht, sondern um
Erfahrungen! Auch wenn man ein Theaterstück nicht verstanden hat, hat man etwas
erlebt! Ein Erinnerungsprotokoll ist keine Kritik, es geht also nicht darum, möglichst
alle Aspekte der Inszenierung zu beschreiben und ihr Zusammenwirken objektiv zu
bewerten.
Ein Erinnerungsprotokoll ist
bewusst
subjektiv!
Die subjektiven
Erfahrungen werden dann durch die möglichst genaue Beschreibung des Erlebens
intersubjektiv nachvollziehbar.
Da Erinnerungen schnell nachlassen können, sollten Erinnerungsprotokolle einen
Tag nach der Aufführung geschrieben werden. In der Regel reicht max. eine Din-A4Seite aus – das Protokoll soll als Einstieg in ein Gespräch über die Inszenierung
dienen, die nicht direkt von einer Wertung bestimmt ist.
Ein entscheidender Hinweis: Der Unterschied zwischen Inszenierung und
Aufführung
In der Theaterwissenschaft und –landschaft besitzen die Begriffe »Inszenierung«
und »Aufführung« eine leicht andere Bedeutung und werden nicht synonymhaft
verwendet: Eine »Inszenierung« bezeichnet alle Absprachen und Entscheidungen,
was man wie machen wird: wo die Schauspieler/innen wann stehen; zu wem sie
welche Replik wie sagen, auf welches Zeichen eine bestimmte Lichtstimmung oder
ein gebautes Bühnenbild geändert wird, etc. Diese Absprachen und Entscheidungen
werden vor und in den Proben getroffen.
»Dantons Tod« – Materialmappe
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In den Aufführungen »realisieren« sich die Inszenierungen, indem die
Schauspieler/innen, sowie alle, die hinter der Bühne stehen oder an Technikpulten
sitzen, gemäß ihren Aufgaben und den Absprachen und Entscheidungen handeln.
Doch es sind nicht alleine diejenigen, die an den Proben beteiligt waren, die die
Inszenierung zum Leben erwecken – entscheidend beteiligt hieran ist das körperlich
anwesende Publikum. Ohne es kann kein Theater stattfinden. Alles, was die
Zuschauer/innen machen oder nicht machen, hat einen Einfluss auf den Verlauf der
Aufführung: aufmerksam zuschauen, miteinander reden, Handy klingeln, klatschen
oder Buhrufe. Da in jeder Aufführung ein neues Publikum zusammensitzt, passiert
immer etwas Unerwartetes. Das bedeutet, dass man, wenn man zweimal in die
selbe Inszenierung geht, zwei unterschiedliche Aufführungen erlebt, auch wenn sie
sich in vielen Teilen gleichen. So gesehen erlebt man nie eine Inszenierung,
sondern immer nur ihre Aufführung im Hier und Jetzt. Eine Inszenierung muss jeden
Abend »neu« aufgeführt – auch deswegen werben wir mit unserem Motto »Neu seit
1690«.
Eine Inszenierung ist demnach ein Konzept, das auf Wiederholung angelegt ist und
mehrere, einander möglichst ähnliche Aufführungen einer einzelnen Theaterarbeit
ermöglichen soll. Da man aber immer wieder zusammenkommen muss und immer
wieder neue Menschen anwesend sind, gleichen sich die Aufführungen einer
Inszenierung nie vollständig, vielmehr ist jede Einzelne einzigartig und
unwiederholbar.
Einstieg ins Nachgespräch
Als Einstieg ins Nachgespräch bieten sich die Erinnerungsprotokolle an: Lassen Sie
die Schüler/innen in Kleingruppen Ihre Erinnerungsprotokolle sich gegenseitig
vorlesen. Anschließend können Sie im Plenum die Erinnerungen zusammentragen.
Falls Sie kein Erinnerungsprotokoll haben anfertigen lassen: Bitten Sie jede
Schülerin und jeden Schüler, alleine in ca. 3-5 Minuten aufzuschreiben, an welche
Momente der Aufführung sie sich erinnern. Sie sollen dabei aber nicht nur
dokumentieren, sondern auch spekulieren, warum sie sich gerade an diese
Momente erinnern: Lag es am Schauspiel, am Licht, am Text oder daran, dass ich
bis kurz vorher abgeschaltet und dann wieder Energie hatte? Oder hatte mich dieser
Moment an etwas aus meinem Leben erinnert?
Lassen Sie in Kleingruppen die Erinnerungen der Schüler/innen zusammentragen
und besprechen.
Tipp: Sollten Sie Schüler/innen beim Nachgespräch haben, die nicht die Aufführung
besuchen konnten, nutzen Sie dies aus, indem Sie die Schüler/innen, die die
Aufführung gesehen haben, möglichst genau und wertfrei von der Aufführung
erzählen: Was ist zu sehen (Schauspieler/innen, Kostüme und Requisite,
Bühnenbild, Licht, etc.)? Zu hören? Was passiert? Wie passiert es? Und: Wie war
das Zusammenspiel zwischen Schauspieler/innen und dem Publikum?
Theaterpädagogischer Einstieg ins Nachgespräch
Nach den Gesprächen in den Kleingruppen geht es nicht in ein Gespräch mit der
gesamten Gruppe weiter, sondern sie erarbeiten auf Grundlage einer Erinnerung
(Welche das ist, entscheiden die jeweiligen Kleingruppen) eine kurze, prägnante
Szene. Sie beginnen die Szene zusammen als eingefrorenes Bild, bewegen sich /
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spielen die Situation 100% an und frieren wieder ein. (gegenseitige Präsentation
nach 5minütiger Erarbeitungsphase)
Sprechen Sie im Anschluss an die Präsentationen über die unterschiedlichen
Erinnerungen.
Tipp – Die +1 Regel: Um zu vermeiden, dass eine Schülerin oder ein Schüler eine
Aussage wiederholt, weil die Erfahrungen ähnlich sind, kann man »+ 1« sagen.
Damit sagt man, dass man eine ähnliche Erfahrung gemacht hat, ohne es erzählen
zu müssen. Dies bietet auch schüchternen Schüler/innen die Gelegenheit, sich zu
äußern und Ihnen die Möglichkeit, gezielt nochmals nachzufragen.
Mögliche Fragen für das Nachgespräch oder eine Aufführungsanalyse:

Wie könnte man die Geschichte / die Inszenierung einem Außenstehenden
in wenigen Worten erzählen?

Was hat die Inszenierung erzählt? Wo lag der Fokus?

Welche Theatermittel sind besonders in Erinnerung geblieben?

Was haben die Kostüme über die Figuren und ihre Beziehungen zueinander
erzählt?

Inwiefern hat für Dich das Bühnenbild auf das Bühnengeschehen Bezug
genommen?

Waren die Figuren, wie Sie sie sich vorgestellt haben? Gab es
Übereinstimmungen und/ oder Unterschiede zu denen von Ihnen in der
Vorbereitung erarbeiteten Rollenbiographien?

Warum glaubt ihr, spielt man dieses Stück heute? Hatte es etwas mit eurer
Realität zu tun? Wo sind vielleicht die Bezugspunkte und Assoziationen zu
heute?
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Theaterknigge
Ein Theater ohne Publikum ist wie …
… ein Erzähler ohne Zuhörer.
… eine Geschichte ohne Leser.
… ein Witz ohne Pointe.
Daher freuen wir uns darüber, dass ihr da seid!
Im Theater gibt es ein paar Regeln, die wir euch hier für zusammengestellt haben:
Abendkleid, das: Viele Menschen ziehen sich gern schön an, wenn sie ins Theater
gehen. Sie wollen den Schauspieler/innen, Sänger/innen und Musiker/innen ihren
Respekt erweisen oder selber auch ein bisschen glitzern. Es macht natürlich Spaß,
die schönsten Teile aus dem Kleiderschrank hervorzuholen, ist aber kein Muss.
Essen, das: Ihr könnt euch vorstellen, wie sehr es Dir, aber auch den
Schauspieler/innen stören würde, wenn in ganz leisen oder traurigen Szenen
plötzlich jemand im Publikum in einen knackigen Apfel beißen würde. Und dann
stellt euch vor, dass jemand neben euch eine fürchterlich knisternde Tüte
auspackt... Essen und Trinken ist im Theater grundsätzlich nicht erlaubt.
Fotografieren, das: Auch das Fotografieren ist nicht erlaubt. Wenn ihr Bilder von
einer Inszenierung haben wollt, schaut auf unsere Homepage. Da gibt es eine
Bildergalerie und einen Trailer zu fast jeder Inszenierung.
Handy, das: Wie sollen sich denn die Schauspieler/innen und Sänger/innen auf
ihren Text und ihre Töne konzentrieren, wenn ständig irgendwo ein Handy klingelt?
Also schaltet bitte vor dem Zuschauerraum das Handy aus oder schaltet den
Flugzeugmodus ein, bevor man von allen Seiten vorwurfsvoll angesehen wird.
Klatschen, das: Der Applaus spielt für die Darsteller/innen eine ganz besondere
Rolle. Je lauter und länger er erklingt, desto besser ist die Inszenierung beim
Publikum angekommen. Scheue dich also nicht, nach der Vorstellung laut und
ausgiebig zu klatschen, wenn es dir gefallen hat.
Programmheft, das: Ein Programmheft mit Hintergrundwissen zur Inszenierung
könnt ihr an der Kasse oder beim Einlasspersonal für 3,- € erwerben. Dort findet ihr
z. B. Interviews mit dem/der Regisseur/in oder Informationen zum Stück und zum
Autor. Im Internet findet ihr auch zu jedem Stück eine kurze Inhaltsbeschreibung.
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Quasseln, das: Für eine gute Theateraufführung müssen sich Zuschauende und
Darstellende konzentrieren. Wenn ihr mit eurer Sitznachbarin oder eurem
Sitznachbar quatscht, dann stört das nicht nur die auf der Bühne, sondern auch alle
anderen, die zuschauen wollen.
Vorstellungsdauer, die: Wie lange ein Theaterstück dauert und ob es eine Pause
gibt, kann man an der Kasse und beim Einlasspersonal erfragen oder im
Programmheft nachlesen. Um einen Theaterabend im Vollen zu beurteilen, ist es
wichtig ihn bis zum Schluss zu erleben! Vorzeitiges Verlassen des Saals stört
außerdem Schauspieler und Zuschauer.
Wir wünschen euch viel Spaß im Theater!
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Impressum
Herausgeber Staatstheater Braunschweig, Am Theater, 38100 Braunschweig
Generalintendant Joachim Klement
Redaktion und Gestaltung Kai Müller, Axel Preuß
Fotos Volker Beinhorn
Redaktionsschluss 06. Oktober 2015
Änderungen vorbehalten!
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