Kultur Samstag, 22. August 2015 SZ-KU Friedland Das Thema Von Lyrik über Wissenschaft bis zu Krimi und Bildband reicht die Vielfalt von Neuerscheinungen aus Nordhessen und Südniedersachsen oder mit einem Bezug zu diesen Regionen, die wir auf dieser Seite vorstellen. Poesie Der Ahnataler Künstler und Autor Berthold Grzywatz hat einen dritten Gedichtband veröffentlicht, den er „Entblößungen“ betitelt hat. Das Titelfoto des schön gestalteten Bändleins zeigt die Metallguss-Skulptur „Trennungen“ des Künstlers. Eine poetische Zusammenkunft der Kunstformen. Schon der erste Text ist eine Reflektion über den künstlerischen Prozess, „Das Ende des Schreibens“ erzählt vom Widerspruch zwischen dem Eigenleben eines Schreibgeräts und desjenigen („Gefesselt / An seinen Stuhl / Hat er längst / Sich selbst vergessen“), der es aufs Papier führt. Aufbruchsorientiert handelt der letzte Text dann vom „Beginn des Schreibens“. (fra) Berthold Grzywatz: Entblößungen, DLV, 48 S., 6,90 Euro. Romantik Als „hoffnungslose Romantikerin“outet sich Dolores Mey auf ihrer Homepage. Sie verfasst Liebesromane, die in und um Kassel spielen – und will damit der Allgegenwart von Regionalkrimis etwas entgegensetzen. „Fundsachen“ spielt im Umfeld eines Restaurants. Sternekoch Max muss untertauchen und heuert in einer Gastwirtschaft bei der attraktiven Jungunternehmerin Lena an. Liebe ist unausweichlich. (fra) Dolores Mey: Fundsachen, Lipstick, 432 S., 9,90 Euro. Große Liebe Voriges Jahr veröffentlichte die Kasselerin Gloria Träger digital ihren ersten Roman über eine große und unglückliche Liebe. Nun gibt es die einfühlsame Geschichte über „Daniel & Ella“ auch als gedrucktes Buch. Der Vorteil gegenüber dem E-Book: Tränen sehen auf Papier schöner aus als auf einem E-Reader. Weinen werden die Leser garantiert. (mal) Gloria Träger: Daniel & Ella. Juneberry-Verlag, 207 Seiten, 10 Euro. Impressionen aus dem Kellerwald Zu jeder Jahreszeit unternimmt der Treysaer Jörg Döringer Streifzüge mit seiner Kamera. Zuletzt war er oft im Kellerwald unterwegs. Entstanden ist ein Fotoband mit Impressionen aus dem Naturpark, dem Urfftal und den Gemeinden Jesberg, Gilserberg und Bad Zwesten. Döringer hat Dorfansichten und Blumenwiesen ebenso ins Bild gesetzt wie Kirchen, Burgen und Bäche. Unsere Abbildungen zeigen den beleuch- teten Bergfried der Burgruine in Jesberg und den Aussichtsturm auf dem Wüstegarten, der mit 675 Metern höchsten Erhebung im Schwalm-EderKreis, im verschneiten Winterwald. Erhältlich ist der Band Herzlose Kohle-Killer Matthias P. Gibert erzählt in seinem neuen Kassel-Krimi von „Halbgöttern“ in weiß VON MATTHIAS LOHR D em Kasseler Schriftsteller Matthias P. Gibert geht es wie den „Tatort“-Autoren der ARD. Der Sonntagabendkrimi verlangt nach Superlativen. Deshalb ermittelte Til Schweiger in Hamburg in einem Fall mit 19 Toten, und in Frankfurt bei Ulrich Tukur gab es sogar mindestens 47 Leichen. Auch Gibert treibt es mit seinem Kasseler Hauptkommissar Paul Lenz immer bunter. Im bislang vorletzten Roman überstand der Polizist am Flughafen Calden einen hollywoodreifen Showdown, nun, im 14. Fall „Halbgötter“, muss der von Rückenschmerzen geplagte Lenz einen Mord an acht toten Herzmedizinern auflösen. Gibert weiß selbst nicht genau, ob das eine Bestmarke in seiner Krimireihe ist, die er 2007 begonnen und die sich bislang mehr als 200 000 Mal verkauft hat. Man verliert bei all den Toten schnell den Überblick. Im neuen Buch sterben die „Halbgötter“ bei einem Kongress in einem Hotel an der so genannten Hongkong-Methode und einer Kohlenmonoxidvergiftung. Der Täter hatte einen Grill mit Holzkohle entzündet und die Gase in einen geschlossenen Raum geleitet – unter Lebensmüden in Ostasien ist das eine beliebte Suizidvariante. In Kassel haben die Polizisten sofort zwei Männer unter Verdacht: den alkoholkranken Ex-Hausmeister und einen islamistischen Attentäter. Gibert mag es gern groß. Es gibt dann auch noch Einblicke ins Gesundheitswesen, das von geldgeilen Medizinern beherrscht wird, und dunkle Geheimnisse des Ministerpräsidenten werden gelüftet. Legt seinen 14. Krimi vor: Autor Matthias P. Gibert (55). Foto: nh Der Plot ist nicht immer logisch. Gibert hat weiterhin eine Vorliebe für überflüssige Synonyme und gestelzte Dialoge. Zahnärzte heißen „Dentalklempner“, Prostituierte „Bordsteinschwalben“, und wenn jemand etwas wiederholt, dann sagt er es nicht einfach, sondern „echot“ es. Aber darüber kann man hinwegsehen. „Halbgötter“ ist kein Meisterwerk wie der Frankfurter Tukur-Krimi, aber wieder unterhaltsam und mit viel Lokalkolorit geschrieben. Bislang veröffentlichte Gibert seine Bücher im Halbjahresrhythmus, „Halbgötter“ ist jedoch seine einzige Neuerscheinung 2015. Müde wird er trotzdem nicht. Gerade sitzt er an den letzten Seiten des nächsten Falls „Paketbombe“, der im Februar erscheint. Darin geht es um die Machenschaften des weltgrößten Online-Händlers. Amazon heißt das Imperium im Buch aus gutem Grund nicht. Denn es wird sicher nicht besser wegkommen als die Halbgötter. Matthias P. Gibert: Halbgötter. Gmeiner-Verlag, 371 Seiten, 12,99 Euro. Wertung: ����� Sinnfragen Literatur verstehen - warum eigentlich? Diese „Sinnfrage Nr. 1 der Literaturwissenschaft“ stellt die Kasseler Germanistikprofessorin Nikola Roßbach. „55 Literaturprofis aus Kunst und Wissenschaft“ - leider fehlen jegliche biografischen Hinweise oder eine Autorenübersicht - geben sehr unterschiedliche Antworten. Drei Beispiele: Jenny Bauer hat das berühmte Erich-Fried-Gedicht umgedichtet: „Es ist was es ist/Sagt der Text“. Andreas Wicke lässt Justus Jonas und Co. ermitteln: „Die drei ??? und der verschwundene Sinn.“ Ulrike Leuschner fürchtet, am eigenen Ast zu sägen: „Mein erlerntes Geschäft ist eben dies: Texte sichern, erläutern, interpetieren. Aber es wäre ein lausiges Geschäft, wenn die Texte ohne das nicht auskämen.“ Kunst sei nicht zu fassen: Artificium est ineffabile. (vbs) Nikola Roßbach: Literatur verstehen - wozu eigentlich? Igel, 292 S., 25,90 Euro. Störtebeker Winter 1390: Der Hamburger Hansekapitän Hermann Nyenkerken reitet nach Wismar. Zwischenstopp auf einer Reise nach Stockholm, das von den Dänen belagert wird. Er muss sich zunächst mit Johann Erik von Landorp, Wismaer Bürgermeister, herumschlagen. Landorp ermöglicht ihm letztlich die Überfahrt, jedoch nicht wie gedacht. Der Kapitän: Söldner-Hauptmann Klaus Störtebeker, ein Seeräuber, da er andere Hansestädte ausraubt. Eine spannende Reise aus Sicht des Kapitäns beginnt, der Leser wird mithilfe des histo- Südostasien Helmut Fälber aus NeukirchenChristerode bringt seine Protagonisten im Roman „Alzheimer lässt grüßen“ auf schwungvolle Art in schwierige Situationen. Ausgangspunkt ist der langsame Gedächtnisverlust seiner Hauptfigur Eddie , der nach Südostasien reist. Vertauschte Koffer, eine Waffe, Opium und der Tsunami sorgen für viele Handlungswendungen. (fra) Helmut Fälber: Alzheimer lässt grüßen, Tredition, 260 S., 14,80 Euro. „Kellerwaldimpressionen“ in drei Formaten zwischen 20 und 49 Euro in der Buchhandlung Werner Schmidt, Bahnhofstr. 25, Treysa, oder direkt bei Fotograf Jörg Döringer, Tel. 06691/23270. (vbs) Fotos: nh Mit Geschichte und Gegenwart des Grenzdurchgangslagers Friedland (Kreis Göttingen) haben sich Studierende des Masterstudiengangs Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie der Uni Göttingen ein Jahr befasst. Die Ergebnisse sind nicht nur ins dokumentarische Theaterstück „Schön, dass Ihr da seid!“ des Jungen Theaters eingeflossen, sondern als Buch erschienen. Die 15 Beiträge haben ein breites Spektrum - die Studenten haben u.a. Einträge in Fürbittenbüchern der Kirche gesichtet, im Frauenzentrum mitgearbeitet und Interviews geführt, um die mit Symbolkraft aufgeladene Bedeutung des Lagers zu hinterfragen. Mehr als vier Millionen haben es durchlaufen. In Friedland lernt man: Was „fremd“ ist, ist variabel, immer abhängig vom Kontext. Die guten Erfahrungen, die hier mit Schutzsuchenden gemacht wurden, sollten überall dort, wo jetzt neu Flüchtlinge ankommen, Mut machen. (vbs) Regina Löneke/Ira Spieker (Hg.): Hort der Freiheit. Ethnografische Annäherungen an das Grenzdurchgangslager Friedland. Selbstverlag, 212 S., 10 Euro. rischen Romans ins Spätmittelalter versetzt. Dabei gewinnt er Einblicke in eine Zeit, in der es Kaperkriege und Feindschaften zwischen den nördlichen Ländern gab. Hilfreich: Erklärungen, Karten und Stammtafeln im Anhang. Klaus-Peter Hünnerscheidt (60), Inhaber einer Druckerei, hat den Verlag Du Lac in seiner Heimatstadt Kassel gegründet und debütiert als Autor. (jda) Klaus Scheidt: Störtebeker, DuLac-Verlag, 624 S., 16,90 Euro. Erinnerungen Kassels „schöne Ecken“ Als der gebürtige Karlsruher Kai Stoess, Jahrgang 1981, nach Kassel zog, empfand er das als „Kulturschock“. Der Chemiker und begeisterte Fotograf lernte aber schnell „den verborgenen Charme und die weit weniger verborgene Schönheit Kassels“ schätzen, wie es im Nachwort seines vom Brighton Verlag publizierten Bildbandes „Schöne Ecken. Straßenfotografie in Kassel“ heißt. Stoess, dessen Bilder auch als Kalender 2016 erschienen sind, ist besonders von der Ästhetik der Nachkriegsmoderne fasziniert - und wie sie den Alltag bestimmt. Er fotografiert analog in SchwarzWeiß, hat ein gutes Auge (wie auf dieser Aufnahme vom Bankcarré nahe dem Ständeplatz), mit 49,90 Euro ist das nur gut 50 Seiten schmale Büchlein jedoch unverhältnismäßig teuer. (vbs) Foto: nh „Man zeugt, gebärt und bangt, dann glaubt, man hofft und schwankt, sündigt, bereut und schweigt“, das hat Hans Ulrich Trieschmann aus Hann. Münden seinen Erinnerungen vorangestellt. Ein Kreis schließt sich: Nach „sorgloser Kindheit an den drei Flüssen“ lebt er wieder dort. Dominierend in der Rückschau: der Krieg. Fronterlebnisse als Gefreiter eines Pionierbatallions bei Leningrad. Es braucht - zuerst im ländlich-idyllischen Welferode bei Homberg, „Zeit, um den Narben aus den Schlachten eine Kruste wachsen zu lassen“. (vbs) H. U. Trieschmann: An Ufern der Zeit. Im Selbstverlag, 278 S., Kontakt zum Autor: Tel. 05541/71747.
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