Eine tief verschneite Blockhütte. Aus dem Schornstein steigt Rauch

Yukon
ALLEIN IN EINER BLOCKHÜT TE
Eine tief verschneite Blockhütte. Aus dem Schornstein steigt Rauch auf. Warmes
Eine tief verschneite Blockhütte. Aus dem Schornstein steigt Rauch auf. Warmes
VON OLE HELMHAUSEN UND J.FRANK (FOTOS)
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Eine tief verschneite Blockhütte.
Aus dem Schornstein steigt Rauch auf.
Warmes Licht fällt aus einem
winzigen Fenster, das gerade noch aus
dem Schnee ragt. Dort möchte ich
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Eine tief verschneite Blockhütte.
Aus dem Schornstein steigt Rauch auf.
Warmes Licht fällt aus einem
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dem Schnee ragt. Dort möchte ich
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Aus dem Schornstein steigt Rauch auf.
Warmes Licht fällt aus einem
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ine tief verschneite Blockhütte. Aus dem
Schornstein steigt Rauch auf. Warmes Licht
fällt aus einem winzigen Fenster, das gerade noch aus dem
Schnee ragt. Dort möchte ich jetzt sein. Ich würde vor dem Ofen
hocken, Scheite nachlegen, dem Prasseln und Knistern lauschen, mir heißen Tee einschenken und Wärme, Ruhe und Frieden genießen. Aber ich genieße gar nichts. Ich liege im Behandlungsraum meiner Zahnärztin in Toronto. Sie macht sich über
meinen entzündeten Wurzelkanal her. Mein einziger Fluchtweg
aus Schmerzen und Betäubung ist ein Poster, das direkt über
der Zahnarztliege an der Decke hängt: eine Blockhütte im
Schnee, nur das Dach ragt heraus, aus dem Schornstein steigt
Rauch auf…
Das Bild von einem Wintertraum spukt mir noch durch den
Kopf, als ich abends im Bett liege. Der Kühlschrank springt an.
Türen schlagen. Draußen fahren Autos vorbei. Eine Alarmanlage heult eine Weile. Große Städte leiden unter Schlaflosigkeit.
Ich auch. Ich wälze mich auf die Seite, aber davon geht die Span-
nung in meinem Rücken auch nicht weg. Ich müsste mal wieder
Sport treiben. Oder körperlich arbeiten. Draußen kicken Nachtschwärmer eine Blechdose durch die Straße. Ich wünsche mich
zurück in das Poster. Bestimmt würde ich in der Hütte nun tief
und entspannt schlafen. Ich hätte ja ein paar Kubikmeter
Schnee geräumt, Holz gehackt, Feuer gemacht. Ich wäre rechtschaffen müde. Kein Geräusch würde mich stören.
Es ist Ende März, und ich bin aufgebrochen, meinen Traum zu wahrzumachen. Meine Hütte liegt am
Lake Laberge, am Klondike Highway.
Mit Scott McDougal vom Veranstalter “Canoe People” bin ich von
Whitehorse, der Hauptstadt des Yukon Territory, etwa eine Stunde auf
dem Highway nach Norden gefahren. Dann brachte er mich mit dem
Schneemobil über eine gut fünf
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Dort möchte ich jetzt sein.
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winzigen Fenster, das gerade noch aus
dem Schnee ragt. Dort möchte
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Aus dem Schornstein steigt Rauch auf.
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winzigen Fenster, das gerade noch aus
dem Schnee ragt. Dort möchte
Kilometer lange Piste. Wir erreichten eine kleine Bucht an dem
weiten, zugefrorenen See. Er half mir beim Abladen der Vorräte
und verabschiedete sich. So einfach geht das, wenn man wirklich mal eine Weile ganz allein sein und seine Ruhe haben
will.
DIE HÜTTE BESTEHT AUS EINEM EINZIGEN RAUM
mit Bett,
Tisch und Stühlen. Kein Strom, kein fließend Wasser. Ein Bullerofen steht darin, ein Gasherd, in einer Ecke eine Kiste mit
Werkzeug. Proviant habe ich mitgebracht – wahrscheinlich viel
zu viel. Durchs Fenster über dem Tisch kann ich nach Richthofen Island blicken, der Insel in der Mitte des Sees. Eigentlich ist
der Lake Laberge kein richtiger See, sondern eine 30 Meilen lange Verbreiterung des Yukon River. Zu Goldrauschzeiten im 19.
Jahrhundert schipperten zehntausende Abenteurer auf dem
Weg nach Dawson City hier vorbei. Mein nächster Nachbarn
lebt 20 Autominuten entfernt. Auf der anderen Seite des Klondike Highway erhebt sich die 2000 Meter hohe Miners Range,
ein Höhenzug, dessen monotone runde Kuppen das Einsamkeitsgefühl noch verstärken.
Am nächsten Tag stehe ich mitten auf dem Lake Laberge und finde es gar nicht mehr so prickelnd, meine Muskeln zu
spüren. Über eine Stunde Plackerei
habe ich hinter mir. Die Axt in meinen Händen wiegt jetzt eine Tonne.
Der Schweiß fließt in Strömen - was
ich unbedingt vermeiden sollte, wie
mir erfahrene Yukoner geraten hatten: Wer bei minus 20 Grad schwitzt,
läuft den Rest des Tages in Kleidern
umher, die nicht mehr trocknen.
Deshalb legen sie, wenn sie im Winter draußen malochen, Pausen ein,
sobald ihnen warm
wird. Zeit ist
am Yukon nicht wichtig. Überleben hingegen schon.
Doch mich hat der sportliche Ehrgeiz getrieben. Eine Stunde
hatte ich veranschlagt, um ein Loch ins Eis zu schlagen. Ich
brauche ja Wasser, zum Trinken, Kochen und Waschen. Zudem
will ich angeln. Und ich fand die Vorstellung richtig schön romantisch: Jeden Morgen, noch vor dem Rasieren, würde ich mit
Eimern zum See hinunter gehen, mich mit dem eiskalten Wasser waschen – kann es etwas Natürlicheres geben?
DOCH NUN DROHE ICH ZU SCHEITERN wie ein greenhorn bei
Jack London: zugrunde gegangen an der eigenen Dummheit.
Zwischen mir und dem Wasser liegt Eis so schwarz und dick, wie
ich es noch nie gesehen habe. Nach einer Stunde Hacken ist das
verdammte Loch erst einen halben Meter tief. Ein Bohrer wäre
jetzt prima. Scott hatte ihn mir angeboten. Aber das erschien
mir nicht stilecht, und ich lehnte ab. Seinen Rat, die Wände
senkrecht zu halten, damit das Loch bereits beim Durchstoß
groß genug zum Angeln ist, habe ich in meinem Eifer auch vergessen. Meines ist eher eine trichterförmige Schüssel. Es kommt
also wie es kommen muss: Nach weiteren 20 Zentimetern stoße ich zwar ins Wasser durch, doch das Loch flutet sofort voll.
Mir bleibt keine Chance, den Durchstoß zu erweitern. Zum Wasserschöpfen reicht es zwar, doch die Forellen für die Pfanne
kann ich mir abschminken.
Jack London, der Schriftsteller, der den Yukon vor hundert
Jahren in Klassikern wie “Ruf der Wildnis” und “Wolfsblut” verewigte, hatte vor dem Winter in diesen Breiten einen Heidenrespekt. Die Natur, schrieb er, habe viele Möglichkeiten, den
Menschen von seiner Sterblichkeit zu überzeugen, doch am
betäubendsten sei “die totengleiche Ruhe des weißen Schwei-
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Eine tief verschneite Blockhütte.
Warmes Licht fällt aus einem winzigen Fenster, das gerade
Aus dem Schornstein steigt Rauch auf.
Dort möchte ich jetzt sein.
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dem Schnee ragt. Dort möchte ich
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gens.“ Diese Sätze gehen mir auf dem Rückweg zur Hütte durch
den Kopf. Ich wollte das Kontrastprogramm zur Zivilisation,
nun habe ich es. Die Sache mit dem Loch hat meiner Euphorie
einen gehörigen Dämpfer versetzt. Das hatte ich mir leichter
vorgestellt.
Auf dem Rückweg komme ich wieder ins Schwitzen, doch
vorerst habe ich noch Glück. Über dem See rührt sich kein Lüftchen. Auch ohne Wind ist es so kalt, dass Speichel sofort gefriert.
Der Schlitten zieht sich nun schwerer. Klar: der Wasserbehälter
ist ja voll. Zurück in der
Hütte muss ich feststellen, dass ich zu wenig
Holz nachgelegt habe.
Der Ofen ist aus. Drinnen
ist es nun so fast so kalt
wie draußen. Gottseidank
sind ein paar Scheite übrig. Die nächsten Arbeiten erledige ich fast mechanisch: Holz hacken,
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Feuer machen, Wasser aufsetzen. Ich möchte vorsorgen, stets heißes Wasser zur Hand haben,
und vor allem: der Ofen darf nicht mehr ausgehen. Am frühen
Nachmittag komme ich endlich zur Ruhe. Erst über der wärmenden Ofenplatte bemerke ich die Holzsplitter in meinen
Händen. An einem halben Tag habe ich soviel Gewicht bewegt
wie sonst in einem Monat nicht. Nach einem Vier-Eier-Omelette genehmige ich mir eine Siesta. Aus dem Nickerchen wird
ein dreistündiges Koma.
WÄHREND DER NÄCHSTEN TAGE STELLT SICH ROUTINE EIN.
Wasser holen, Wasser lassen (im Plumpsklo neben der Hütte).
Holz hacken und ständig nachlegen. Drei Scheite reichen drei
Stunden, lerne ich rasch. Wasser aufsetzen, Essen kochen, essen,
abwaschen. Spülwasser entsorgen, Hütte fegen. Der Alltag in
der Wildnis hält mich ziemlich prosaisch auf Trab. Vier Bücher
habe mitgebracht, doch zum Lesen komme ich erstmal überhaupt nicht.
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rück. Und als meine Zahnärztin sich erkundigt, wo ich die ganze Zeit gesteckt hätte, deute
ich auf das Bild an der Decke. In diesem Augenblick bin ich sicher, dass ich wiederkommen
will. Dann aber mit Bohrer.
Nach und nach verwandeln sich manche Arbeiten
in Rituale. Kaffee kochen und dem Dampf auf seinem
Weg durch die Hütte nachschauen. Brotscheiben auf
den Ofen legen und den Toastduft genießen. Brennholz nachlegen und die um die Scheite leckenden
Flammen beobachten. Nichts geht im Handumdrehen und auf
Knopfdruck. Alles dauert ein wenig länger und ist mit körperlicher Anstrengung verbunden. Doch es stört mich immer weniger. Meine innere Uhr tickt schon deutlich langsamer.
Die Kälte draußen ist auch nicht mehr länger mein Gegner.
Ich lerne, mit ihr umzugehen. Alles, was nicht länger als zehn
Minuten dauert, erledige ich ohne Mantel. Ich wasche mich sogar im Schnee. Für größere Aktionen schütze ich mich mit mehreren Kleidungsschichten: Die Fehlerserie am Eisloch war mir
eine Lehre.
Die größte Herausforderung allerdings kommt erst noch. Als
ich eines Morgens nach Richthofen Island aufbreche, um nach
der alten Goldrausch-Hütte zu suchen, von der Scott erzählt
hatte, herrscht Bilderbuchwetter. Der Himmel ist stahlblau und
wolkenlos, unter mir spannt das Eis knackend die Muskeln. Auf
halbem Weg kommt mir ein Hundeschlitten entgegen. Nachbar
Ned Cathers ist auf dem Weg nach Hause: “Wohne da drüben”,
sagt er und zeigt auf eine Bergfalte am gegenüberliegenden
Ufer. Auch durch das Fernglas sehe ich nichts als Bäume, Busch
und Felsen. “Im Sommer nehme ich die Logging Road, zum
Klondike Highway, da steht mein Truck. Im Winter nehme ich
den Hundeschlitten.” Und im Frühjahr, wenn es taut? Ned grinst
nachsichtig: “Dann sind wir zwei Monate lang abgeschnitten
und genießen unsere Ruhe.”
DREI STUNDEN SPÄTER ERREICHE ICH DIE HÜTTE .
Sie steht
auf einer kleinen Anhöhe, dunkel und verfallen. Während des
Goldrauschs, hat Ned erzählt, habe sie einem Mann gehört, der
hier jeden Sommer 500 Schlittenhunde versorgte, ehe sie im
Winter wieder für die Transporte angespannt wurden. Ich verzehre meinen Proviant und mache mich auf den Heimweg.
Dann schieben sich Wolken vor die Sonne. Augenblicklich verschwinden alle Farben. Selbst das Rot meines Mantels wirkt
matt. Die morgens noch strahlendweiße Schneedecke verwandelt sich in ein graues Leichentuch. Das fahle Licht sägt an mei-
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nen Nerven. Auf einmal wäre ich
am liebsten woanders. Das Knacken
im Eis kllingt nicht mehr wohlig,
sondern bedrohlich. Die sieben Kilometer über den Lake Laberge zurück zur Hütte kommen mir vor wie 70: Ich gehe und gehe,
doch die Hütte kommt nicht näher. Einmal halte ich an. Aber
nur sehr kurz. Ich will wieder das beruhigende Knacken des
harten Schnees unter meinen Stiefeln hören. Doch die Stille in
ist kaum auszuhalten. Nichts rührt sich, nichts bewegt sich, ich
bin der einzige Mensch auf der Welt. Die Alten vom Yukon sagen, die Ruhe mache taub, da man glaube, sein Gehör verloren
zu haben. Es ist das weiße Schweigen, von dem Jack London
gesprochen hatte.
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DEN LETZTEN KILOMETER MARSCHIERE ICH IM MONDLICHT.
Es scheint heller als vorhin die Sonne. Die Bäume am Ufer vor
der Hütte werfen unheimliche Schatten auf den fahlblauen
Schnee. Zum Schluss schafft es die Kälte doch noch unter meine Kleider. Als endlich der schwarze Umriss meiner Hütte in
Sicht kommt, fällt mir ein Stein vom Herzen.
Drinnen wartet ein Erfolgserlebnis: der Ofen ist noch an.
Während meiner Rituale – Scheite nachlegen, Wasser aufsetzen,
essen, aufräumen - kommt die Sicherheit zurück, die mir auf
dem Rückweg abhanden gekommen war. Nachts wache ich
noch einmal auf. Es ist so still. Dann höre ich ein merkwürdiges
Geräusch. Etwas scheint an der Wand zu kratzen. Ich stehe auf,
ziehe die Werkzeugkiste gegen die Tür und lege mich wieder
hin.
Am nächsten Morgen kommt Harris, Scotts rechte Hand und
ein bärtiger Yukon-Oldtimer unbestimmbaren Alters, um mich
abzuholen. Ich begrüße ihn mit gemischten Gefühlen. Einerseits stört er meine Kreise, zugleich freue ich mich über Gesellschaft. Während er überall nach dem Rechten sieht, werfe ich
meine Sachen in den Koffer und lasse den Blick ein letztes Mal
durch die Hütte schweifen. So idyllisch wie auf dem Foto bei
meiner Zahnärztin war es hier nicht. Noch steckt mir jeder einzelne Tag in den Knochen.
Der Yukon hat mir die Romantik ausgetrieben. Aber schon
die erste heiße Dusche bringt die schönen Erinnerungen zu9 . 2 0 0 5 | g e o sa i s o n
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