ein tritt kann tödlich sein

haltung
Foto: stuewer-tierfoto.de
Gesellschaftstaugliche Hunde – hundetaugliche Gesellschaft
«ein tritt kann tödlich sein»
Gegenseitige Rücksichtnahme ist der Schlüssel zu einem stressfreien Nebeneinander. Was es dazu braucht, sind Respekt, Einfühlungsvermögen und Wissen. Mit dieser neuen Serie trägt das Schweizer Hunde Magazin zu einem guten
Miteinander bei. Heute geht es um Hund, Reiter und Pferd. Trotz Domestikation: Pferde sind Flucht-, Hunde Raubtiere,
dennoch ist Harmonie möglich.
Andrea Fischer mit
ihrem Pferd Vinsch.
Foto: Andreas Krebs
«Als ich letzthin durch den Wald geritten bin, hatte
sich eine junge Frau mit ihrem Hund doch tatsächlich
im Gebüsch versteckt», erzählt Barbara Wyser. Zum
Glück reagiere ihr Pferd ziemlich gelassen auf Hunde.
«Keepon ist auf einem Bauernhof mit Bernhardinern
aufgewachsen.» Die Hundebesitzerin habe sich in
guter Absicht versteckt, fährt Wyser fort. «Sie wollte
das Pferd nicht erschrecken. Aber ein Hund, der sich
versteckt, wird vom Pferd als potenziell viel gefährlicher wahrgenommen als ein Hund, der gut sichtbar
am Wegrand steht, selbst wenn er bellt.» Sie habe die
junge Hundebesitzerin dann aufgeklärt, sagt Wyser,
denn ein Pferd in Panik kann gefährlich werden für
Reiter, Hund und Spaziergänger. «Sie hat sich sogar
bedankt und gemeint, da habe sie doch mal wieder
was Neues gelernt.» >
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haltung
So verhalten Sie sich richtig bei der
Begegnung mit Pferden
Fluchttier Pferd und Raubtier
Hund haben sich angefreundet.
Foto: dogsinmedia.de/Meike Bölts
• Hunde sind Raubtiere, Pferde deren potenzielle Beutetiere. Auch wenn die beiden Arten schon lange als
Haus- und Hoftiere gehalten werden: Die Angst vor
Raubtieren ist bei den Pferden tief verwurzelt. Diese
Tatsache bestimmt, wie man sich als Hundehalter bei
Begegnungen mit Pferden verhalten sollte:
• Hund anleinen oder den sicheren Hund bei Fuss nehmen, sobald das Pferd in Sichtweite ist. Wenn Sie eine
Flexileine verwenden, ist besondere Vorsicht geboten. Diese muss unbedingt fix arretiert werden. Das
dünne Seil der Flexileine kann einem Pferdebein sehr
schlimme Verletzungen zufügen. Schon mancher Hund
ist plötzlich aufgesprungen, weil er auf der anderen
Strassenseite etwas Spannendes entdeckte.
Das plötzliche Auftauchen eines Hundes
kann auch ein ruhiges
Pferd erschrecken.
Foto: fotolia.de
Früh bemerkbar machen
Wenn es zu Zwischenfällen kommt, liegt es meist
nicht an mangelnder Toleranz, sondern an Unkenntnis. Diese Erfahrung hat auch Andrea Fischer gemacht.
Die 38-Jährige reitet seit 26 Jahren. «Die meisten Hundebesitzer reagieren verständnisvoll und richtig»,
sagt sie. «Nur manche wollen es nicht verstehen, dass
ein Pferd womöglich erschrickt und ausschlägt, wenn
ein Hund von hinten angerannt kommt. Dabei kann
so ein Tritt für den Hund tödlich sein.»
Auch für Velofahrer, ob mit oder ohne Hund, gelte es,
mit lautem Sprechen auf sich aufmerksam zu machen, vor allem wenn sie von hinten kommen, fährt
Fischer fort. «Sie sollten sich früh bemerkbar machen und langsam fahren. Oder allenfalls absteigen
und warten, bis die Reiter vorüber sind.» Ihre Stute
reagiere auch bei Bikern in der Regel recht gelassen.
«Man kann bei Tieren aber nie wissen. Wenn bei einem Kindervelo ein Fähnchen hin und her schwenkt,
dann reagiert auch meine sonst so gelassene Vinsch
mitunter panikartig.»
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• Mit dem Hund an den Wegrand oder eventuell ein Stück
ins Feld oder in die Wiese gehen. Wenn man sieht, dass
das Pferd zu tänzeln beginnt oder laut schnaubt, dann
rasch, aber ohne Hektik so viel Platz wie möglich machen. Nicht unbeweglich still stehen, manche Pferde
haben Mühe mit neuen «Gegenständen» an einem Ort,
wo sonst nie etwas stand. Grüssen Sie den Reiter mit
ruhiger, gut hörbarer Stimme, so kann das Pferd Sie als
Menschen einordnen.
• Nicht verstecken! Ein Raubtier, das sich versteckt, wird
vom Fluchttier Pferd als potenziell viel gefährlicher
wahrgenommen als ein gut sichtbares am Wegrand.
• Ist das Pferd vorbeigegangen, den Hund erst wieder
laufen lassen, wenn sicher ist, dass er nicht dem Pferd
hinterherrennt. Die nötige Entfernung variiert von Hund
zu Hund. Besser länger warten, als ein Risiko einzugehen!
• Natürlich beruht das gute Miteinander auf gegenseitiger
Rücksichtnahme. Reiter traben oder galoppieren nicht
an Spaziergängern und Velofahrern vorbei, egal ob mit
oder ohne Hund. Stattdessen wird das Tempo verringert und im Schritt an Passanten vorbeigeritten – auch
der eigenen Sicherheit zuliebe. Man weiss ja nie, wie
Tiere reagieren.
Konsequente Erziehung
• Für reitende Hundehalter gelten die gleichen Regeln
wie für spazierende Hundehalter. Die Kotaufnahmepflicht ist einzuhalten und wildernde Hunde gehören an
Orten, wo Wild zu erwarten ist, an die Leine. Begegnet
der Reiter einem Spaziergänger mit angeleintem Hund,
hat er seinen Hund «bei Fuss» zu führen, sodass dieser
den angeleinten Hund nicht belästigt.
Viele Pferde sind sich Hunde mehr oder weniger gewohnt. An Reitturnieren sind oft zahlreiche Hunde
anwesend – in der Regel herrscht aber Leinenpflicht.
Auch als Begleiter beim Ausritt sind Hunde sehr beliebt. Ausgerechnet der Jack Russell Terrier ist quasi
ein Accessoire vieler Reiterinnen und Reiter – ein
Überbleibsel von früher, als Gutsherren mit Pferd
und Hund zur Jagd gingen. Jack Russells wurden gezüchtet, um in Erdbauten zu kriechen und wehrhafte
Tiere wie Füchse und Dachse hinauszutreiben. Sie
• Sind Sie als Fussgänger mit Ihrem freilaufenden Hund
unterwegs und Ihnen kommt ein Reiter mit einem ebenfalls freilaufenden Hund entgegen, liegt es in Ihrem Ermessen, ob Sie Ihren Vierbeiner frei laufen lassen. In
der Regel sind Pferde von hundehaltenden Reiten einiges gewohnt und schlagen nicht so schnell aus, und
meistens beschäftigen sich die Hunde miteinander und
kümmern sich nicht um das Pferd. Wissen Sie jedoch,
dass Ihr Hund auf schnelle Bewegungsreize reagiert
(z. B. ein sich hastig bewegender Pferdeschweif), ist es
ratsam, den Hund anzuleinen. Schon mancher Hund
hing einem Pferd am Schweif…
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Ihre erfahrungen
Was haben Sie erlebt? Wie sind Ihre
Erfahrung beim Zusammentreffen von
Hund und Pferd? Ihre Erlebnisse interessieren uns und sind sicher auf für
andere Leser spannend. Schreiben
Sie uns über www.hundemagazin.ch.
zeichnen sich aus durch einen ausgeprägten Jagdtrieb
und erhöhte Bellfreudigkeit, eigentlich nicht das, was
Pferde mögen. Und doch funktioniert in den meisten
Fällen das Zusammenleben. Was ist das Geheimnis?
Das A und O, sagt Wyser, sei eine artgerechte, konsequente Erziehung – von Hund und Pferd. «Beide
brauchen Zuwendung, Bewegung, Beschäftigung
und Ausbildung. Weder Pferd noch Hund werden von
selbst zu unkomplizierten, sozialverträglichen Freizeitpartnern. Beide können Langeweile und Frustration mit allen möglichen Unarten kompensieren.»
Wie Hunde: Pferde erkennen Konkurrenten an deren Mist
Wie Hunde schnüffeln Pferde intensiv an Urin und
Kot von Artgenossen. Besonderes Interesse zeigen sie
laut einer Studie der Universität Regensburg am Kot
unbekannter Pferde des selben Geschlechts. Die Zoologin Konstanze Krüger vermutet, dass die olfaktorische
Pferdeapfel-Analyse vor allem Hengsten der Einschätzung von Konkurrenten dient. Hengste rochen nämlich
besonders intensiv an den Kothaufen anderer Hengste,
die sich zuvor ihnen gegenüber aggressiv verhalten
hatten.
Ob man einen anderen «riechen kann» oder nicht,
spielt also auch beim ausgeprägten Gruppentier Pferd
eine wichtige Rolle. Der hochkomplexe Geruchssinn ist
entwicklungsgeschichtlich besonders alt und der erste
ausgeprägte Sinn überhaupt – auch beim Menschen:
Babys erkennen ihre Eltern zuerst am Geruch.
Pferden und Hunden können Ausdünstungen von im
Kot enthaltenen Hormonen präzise Informationen
liefern: Von Alter und Geschlecht über Aggression und
Angst bis hin zu genetischen Dispositionen vermittelt der Geruch ein weitaus vielschichtigeres Bild von
einem Individuum, als es etwa visuelle Reize vermögen. Beim Menschen werden diese Eindrücke – meist
unbewusst – im Zwischenhirn verarbeitet.
Viel Training, damit es zu dritt funktioniert
Wer selber reitet und neu einen Hund will, der muss
sich bewusst sein, dass ein Hund noch einmal so viel
Zeit und Energie erfordert wie ein Pferd. Im Zweifel
sollte man besser auf den Hund verzichten. Fällt der
Entscheid dennoch für einen Hund, sollte man ihn
langsam und koordiniert ans Pferd heranführen, am
besten schon im Welpenalter. Der Welpe darf keine
Angst, muss aber Respekt haben vor seinem neuen
grossen Freund.
Die Annäherung von Pferd und Hund ergibt auch für
Hundebesitzer Sinn, die öfters Pferden begegnen. Am
besten tut man sich mit Reitern zum Üben zusammen. Auch gibt es Hundetrainer, die ihre Unterstützung bei Hund-Pferd-Begegnungen anbieten oder
Hilfestellung bei der Zusammenführung von Hund
und Pferd geben.
Text: Andreas Krebs
Für Reitbegleithunde
gelten die gleichen
Benimmregeln wie für
Hunde von Spaziergängern.
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