Wie schreibt man einen ERC-Antrag?

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KA R R IE R E , KÖP FE & KON Z EPTE
Fördergelder
Wie schreibt man einen ERC-Antrag?
RAINER MECKENSTOCK
BIOFILM CENTRE, UNIVERSITÄT DUISBURG-ESSEN
© Springer-Verlag 2015
ó Das European Research Council (ERC) ist
eine relativ junge Förderorganisation der EU
(seit 2007), die exzellente Möglichkeiten gerade für junge Antragsteller bietet. Die ERCGrants haben sich zu Prestigeprojekten entwickelt, die von Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen heiß
begehrt sind und den Preisträgern gute
Karrieremöglichkeiten versprechen. So
gelangt man an manchen Unis mit einem
ERC-Grant direkt auf Tenure-Track-Positionen oder gar Professorenstellen. Anträge können als „Starter“ (bis 6 Jahre nach Dissertation; 1,5 Mio. Euro), „Consolidator“ (bis
12 Jahre; 2 Mio. Euro), oder „Advanced“ (ab
12 Jahre; 2,5 Mio. Euro) gestellt werden.
Dem Antragsteller muss allerdings bewusst
sein, dass ERC-Anträge sehr speziell sind,
weil der ERC einzelne Personen und ihre
Ideen fördert, was jeweils zur Hälfte in die
Bewertung einfließt. Er sollte selbstkritisch
überlegen, ob er mit seinem bisherigen wissenschaftlichen Werdegang überhaupt in Frage kommt. Er muss in den Top-Journalen des
jeweiligen Fachgebiets publiziert und erfolgreich Drittmittel eingeworben haben. Leider
sind auch ERC-Gutachter durch die schiere
Anzahl von Publikationen und Impact-Faktoren zu beeindrucken. Aber in Ausnahmefällen
haben durchaus junge Leute ohne allzu viele
Publikationen mit einer überragenden Idee
gepunktet.
Das Wichtigste in einem ERC-Antrag ist die
wissenschaftliche Exzellenz und vor allem
die Idee. Dankenswerter Weise kann man sich
deshalb alle gesellschafts- oder forschungspolitischen Sprechblasen sparen, mit denen
man ansonsten Gutachter von EU- oder BMBFAnträgen beglücken muss. Auch die wirtschaftliche Verwertung ist völlig irrelevant.
Dank des Gründungs-Generalsekretärs, dem
ehemaligen DFG-Präsidenten Ernst-Ludwig
Winnacker, ist der ERC zusammen mit der
DFG noch eine Insel der Glückseligen, auf der
ausschließlich wissenschaftliche Qualität und
Grundlagenforschung zählen. Der wesentliche Unterschied zu einem DFG-Antrag ist,
dass zwar Expertise im wissenschaftlichen
Gebiet des Antrags gefragt ist, man aber auf
keinen Fall den alten Stiefel der letzten Jahre weiter machen sollte. Das wird als incremental (Erweiterung) angesehen und umgehend aussortiert.
Wichtigstes Kriterium für einen ERCAntrag ist die innovative Idee – in der ERCDefinition ground-breaking (bahnbrechend).
Man sollte ein kleines, aber unbedingt neues
wissenschaftliches Gebiet aufstoßen, und das
muss die Gutachter sofort fesseln. Als Test
empfehle ich, die Projektidee einigen Kollegen
(auch Fachfremden) vorzustellen – sie sollten begeistert sein! Betritt der Antragsteller
ein neues Gebiet? Öffnet er Türen, hinter
denen Spektakuläres zu erwarten ist? Hilfreich ist die Etablierung eines neuen Paradigmas oder Prinzip bzw. die Revision eines
alten. Idealerweise ist der Antrag nicht nur
spannend, sondern weist auch wissenschaftliche Relevanz auf.
High risk, high gain wird vom ERC als Gutachterkriterium gefordert und ist ein weiterer
Unterschied zum bekannten DFG-Antrag.
Während beim DFG-Antrag die nachvollziehbare Machbarkeit ein wesentliches Kriterium
ist, sollte man sich beim ERC bis an den Rand
des Machbaren bewegen. Dieser Teil sollte so
außergewöhnlich sein, dass er eventuell nicht
funktioniert (high risk). Sollte es aber trotz-
dem funktionieren, dann muss der erwartete
Erfolg wirklich spektakulär sein (high gain).
Eine weitere wichtige Frage für die Schlagwort-geplagten ERC-Gutachter ist die Verwendung innovativer Technologien. Bestenfalls entwickelt man diese Technologien noch
selbst weiter. Der nachvollziehbare Grund ist,
dass man mit neuen Techniken Erkenntnisse
gewinnen kann, die andere Forscher ohne
diese Technologie gar nicht erst gewinnen
konnten, auch wenn ihre Hypothese oder Idee
noch so gut war.
In der deutschen, DFG-geprägten Antragswelt sind wir mit einer bescheidenen, nüchternen Art zu schreiben aufgewachsen, in der
man möglichst nicht zu dick aufträgt und
eher indirekt auf die vermeintliche, eigene
Genialität hinweist. In der angelsächsisch
geprägten internationalen Wissenschaftswelt
ist das kontraproduktiv. Der ERC-Antrag sollte eindeutig und klar herausstellen, warum
man diesen angesehenen Forschungspreis
verdient. Keine falsche Bescheidenheit! Ein
ERC-Grant zeichnet eine Person aus – und
die Gutachter wollen erfahren, warum Antrag
und Antragsteller exzellent sind. Die Gutachterkriterien sollten genau gelesen und
erfüllt werden. Der Antrag muss klar, eindeutig und unmissverständlich formuliert
sein. Diese Klarheit beginnt schon im
Abstract. Manche ERC-Gutachter lesen in der
ersten Runde des zweistufigen Auswahlprozesses 20–30 Anträge. Um dabei bestehen
zu können, sollten schon die ersten zehn Zeilen des Abstracts die innovative Idee kristallklar rüberbringen, um den Gutachter zu
fesseln.
Das Schreiben eines ERC-Antrags verlangt
viel Zeit und Mühe – schätzungsweise drei
Monate mit mehreren Korrekturrunden. Ein
bis zwei befreundete Kollegen sollten einbezogen und um schonungslose Kritik gebeten
werden. Das fängt bei der Ideenformulierung
an und zieht sich über mehrere Korrekturphasen des Textes. Die Konkurrenz im ERC ist
sehr groß, darunter die besten Wissenschaftler Europas. Für eine überragende Idee sind
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die Förderchancen sehr gut, weil es wirklich
„nur“ um Exzellenz geht.
Sollte man einen ERC-Grant bekommen, ist
die Belohnung nicht nur finanziell fürstlich –
sei es die Chance auf eine Professur für junge Wissenschaftler oder fünf komfortable Jahre mit unkomplizierter, extrem guter Förderung für etablierte Forscher. Eine wunderbare Erfahrung, die die Welt eines Wissenschaftlers eindeutig zum Positiven verändert.
Letztes Jahr ging etwa jeder zehnte ERCGrant nach Deutschland. Was zuerst wie ein
schönes Ergebnis aussieht, relativiert sich
angesichts des Bevölkerungsanteils in Europa (ca. 20 %) und der überdurchschnittlich
starken Position der deutschen Forschung.
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Rainer Meckenstock leitet den Lehrstuhl für
Aquatische Mikrobiologie an der Universität
Duisburg-Essen und ist Sprecher der Fachgruppe Umweltmikrobiologie der VAAM.
Seit einigen Jahren ist Meckenstock Gutachter für den ERC und erhielt 2015 selbst
einen ERC-advanced Grant für die Untersuchung fundamentaler Prinzipien der
mikrobiellen Ökologie am Beispiel von MiniÖkosystemen im Erdöl.
Der Grund ist, dass sehr wenige ERC-Anträge
aus Deutschland gestellt werden, die aber
trotzdem überdurchschnittlich erfolgreich
sind. Insofern kann ich den vielen exzellen-
ten Wissenschaftlern in Deutschland nur
wärmstens empfehlen, einen ERC-Antrag zu
stellen. Es ist noch Platz für euren Antrag –
und es lohnt sich!
ó
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Rainer Meckenstock
Universität Duisburg-Essen
Biofilm Centre
Raum S05 V03 F26
Universitätsstraße 5
D-45141 Essen
Tel.: 0201-183-6601
[email protected]
www.uni-due.de/biofilmcentre