Bürgerhaus Blaibach Altes Haus im neuen Mantel

Bürgerhaus Blaibach
Altes Haus im neuen Mantel
peter haimerl . architektur
01 Bürgerhaus
02 Konzerthaus
03 Waidlerhaus
Blaibacher
fotografiert von Jutta Görlich und Edward Beierle
für die Bürger von Blaibach
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Die neue Ortsmitte
Blaibach liegt nahe der tschechischen Grenze im Bayerischen Wald.
Das Dorf mit circa 2000 Einwohnern hat eine lange Steinhauertradition. Wie in vielen anderen Dörfern drohte auch hier die Ortsmitte
zu verfallen. Doch 2012 erworb die
Gemeinde das Bäckerhausanwesen
mit Wohn- und Geschäftshaus und
dem sogenannten „Blauen Haus“
um im Rahmen des Modellvorhabens „Ort schafft Mitte“ die Dorfmitte zu revitalisieren. Das „Blaue
Haus“ sollte als erstes Projekt in
der Ortsmitte erweitert und zu
einem Bürgerhaus umgebaut werden. Durch die Einbeziehung der
vorhandenen Bausubstanz und der
Erweiterung innerhalb des früheren Gebäudevolumens konnte ein
nachhaltiges Baukonzept umgesetzt
werden. Der Bau des Bürgerhauses
ist als erste Anregung für weitere
Projekte innerhalb des Dorfkerns
angedacht worden. Die Zielsetzung
einer völlig neuen Ortsmitte hat
sich mittlerweile erfüllt, da durch
zeitgemäßen und kräftigen Einsatz
moderner Stilmittel beim Bürgerhaus auch die nötige Aufbruchstimmung für die Sanierung des
Waidlerhauses und vor allem für
den Neubau eines Konzerthauses
ausgelöst wurde.
Prag
Blaibach
München
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Lageplan
M 1:2000
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5
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3
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1 Bürgerhaus, 2 Konzerthaus (im Bau), 3 Waidlerhaus, 4 Stadl Waidlerhaus, 5 Kramerladen
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Bürgerhaus Blaibach
Die Beibehaltung der Hausform
mit Satteldach führt die traditionelle Formensprache fort.
Die zeitgemäße Betonoberfläche
ist ähnlich lebendig wie traditionelle Fassaden aus Holz oder frühere
Kalkputzoberflächen.
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Nachhaltiges Bürgerhaus
Das Bürgerhaus in Blaibach ist auf den ersten Blick ein moderner Bau mit Betonfassade, es ist aber vor allem
ein Bau, der auf Qualität in der Baukunst und die Verwendung von ökologischen, beziehungsweise traditionellen
Baumaterialien Wert legt.
Der nachhaltigste Bau ist ein Bau, der schon gebaut ist
Das „Blaue Haus“ am Kirchplatz gegenüber Schloss und Kirche war so ein Haus, ein altes, leerstehendes Bauernhaus. Der Keller ist aus Granitsteinen gemauert, die Wände aus Lehmziegeln, Holzdachkonstruktion. Der Abriss
alleine würde neben hohen Kosten auch erheblichen Ressourcen- und Energieverbrauch bedeuten. Zudem ist
der Bestand bereits aus ökologischen, umweltfreundlichen Materialien wie ungebrannten Lehmziegeln mit hervorragenden Speichereigenschaften ausgestattet.
Recycling mit modernen Baustoffen und örtlichen Fundstücken
Die wärmedämmende Ummantelung des Bestandes sowie die Aussenwände des Anbaus bestehen aus Glasschaumschotterbeton. Dieser Beton eignet sich hervorragend durch seine guten bauphysikalischen Eigenschaften, seine angenehme lebendige Oberfläche, die an Naturstein oder Holz erinnert. Vor allem ist es aber einer
der wenigen echten Recyclingbaustoffe, der mit Hilfe von Wasserkraftstrom aus recycelten Glasflaschen hergestellt wird.
Der Fußboden in der Flez, im Eingangsbereich, besteht aus vor Ort gefundenen oder vorher eingebauten Granitplatten, wie die ehemaligen Fensterbretter. Über die Hälfte der Platten wurde von der Familie Bablic aus
Blaibach gespendet. Die Vielfältigkeit der Platten verleiht dem Fußboden eine Lebendigkeit, die monotone Granitsteinplatten vermissen lassen.
Altbewährtes neu gedacht
Auch beim Innenausbau wurde Wert auf biologische Bauweise gelegt.
Die Böden sowie die Türen im Innenbereich bestehen durchweg aus massiven, drei Zentimeter starken Tannenholzdielen in Breiten zwischen 20 bis 30cm. Hier wird die Tradition der Stubenböden aus Tanne wieder aufgegriffen. Auch sämtliche Möbel bestehen aus massiven Dreischicht-Tannenholzplatten. Besonders zu betonen ist
die Herkunft der Hölzer. Sie stammen alle aus dem Lamer Winkel im Bayerischen Wald.
Die Fenster und das Hauseingangstürelement bestehen aus witterungsbeständigem Lärchenholz, dessen Witterungsprozess eine schöne Farbwandelung von Rot nach Silbergrau aufweist.
Die meisten Putze sind Kalkputze mit weißer Kalkfarbe angestrichen, wie sie bis vor kurzem üblich waren im
Bayerischen Wald.
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Konzept
„Ummanteln“
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Schwarz: Altes Haus, Rot: Neuer Mantel, neuer Kern
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Grundrisse
M 1:200
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Geschäftsleitung
Bürgermeisterzimmer
Teeküche
Ratssaal
Toilette
Wandnische
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Obergeschoss
A
B
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Touristeninformation
Kasse
Foyer
Bürgeramt
Behindertentoilette
Wandnische
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Erdgeschoss
A
B
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Schnitte
M 1:200
Schnitt A-A
Schnitt B-B
Schwarz: Bestand, Rot: Neubau
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Ansichten
M 1:200
Nordansicht
Südansicht
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2012
Ostansicht
Westansicht
Schwarz: Bestand, Rot: Neubau
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Ratssaal
Im Ratssaal wird das architektonische Konzept von alter und neuer Hülle von Innen spürbar. Beim
Betreten durchschreitet man die
alte Wand, die in der Tradition des
Bayerischen Waldes mit weißer
Kalkfarbe gestrichen wurde. An
drei Seiten und der Decke wird der
Raum von monolithischen Wänden
aus Wärmebeton gefasst. Die großzügigen Fenstereinschnitte betonen
die Durchgängigkeit des Materials
von Wand und Decke. Statt komplizierter Technik wurde zur Regulierung der Sonneneinstrahlung ein
einfacher Holzladen zum Schieben
angebracht. Im Zentrum des Saals
schenkt der energiesparendem
LED-Kronleuchter von Denise Hachinger Licht. Er wurde mit dem
Best of Design Plus Award Formgebung ausgezeichnet. Sein filigranes
Äußeres passt sich mit Hilfe einer
regenschirmartigen Mechanik verschiedensten Raumsituationen an.
Ein Novum: Dieser Kronleuchter
ist auch Teil der Saalbeleuchtung. Er
dient als attraktive Beschirmung für
Brautpaare, die in diesem Ambiente
heiraten.
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Bürgerhaus
Bürgerhaus
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Tradition und Moderne
Die eigens für die Blaibacher angefertigte Bestuhlung aus mit Kuhfell
überzogenen
Holzschalensitzen
zeigt, dass sich die Bayerwäldler gerade durch hintergründige Selbstironie in Szene zu setzen wissen.
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Bürgermeisterzimmer
Die Inneneinrichtung entsteht aus
der Struktur des Hauses. Statt Regale einzustellen wird stellenweise
die Mauer des alten Hauses ausgebrochen. Die so entstehenden
Wandnischen betonen das Spiel
zwischen alter und neuer Wand.
Der Schreibtisch des Bürgermeisters scheint durch die durchlaufende Faserrichtung des Holzes von
Dielen und Tisch förmlich aus dem
Boden zu wachsen.
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Bayerischer Wald
Alter und neuer Teil des Hauses
werden durch den einheitlichen
Boden miteinander verbunden.
Schwellenlose Türen lassen die
durchgängigen
Fußbodenbretter
durch das gesamte Haus fließen.
Die Böden sowie die Türen im
Innenbereich bestehen aus massiven, drei Zentimeter starken Tannenholzdielen in Breiten zwischen
20cm bis 30cm. Hier wird die Tradition der Stubenböden aus Tanne
wieder aufgegriffen. Auch sämtliche Möbel bestehen aus massiven
Dreischicht-Tannenholzplatten. Die
HWinkel im Bayerischen Wald.
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Toilette
Im Mittelteil des Hauses wird einneuer Kern eingestellt, der Toiletten und Stauraum aufnimmt. Dieses
Implantat wird durch seine rote
Leuchtfarbe klar als neues Element
definiert.
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Steinhauer
Blaibach hat eine lange Steinhauertradition. Im Bürgerhaus wird dieses
im Dorf verschwundene Handwerk
sichtbar. Der Fußboden in der Flez,
im Eingangsbereich, besteht aus
vor Ort gefundenen oder vorher
eingebauten Granitplatten, wie die
ehemaligen Fensterbretter. Über
die Hälfte der Platten wurde von
der Familie Bablic aus Blaibach gespendet. Die Vielfältigkeit der Platten verleiht dem Fußboden eine
Lebendigkeit, die monotone Granitsteinplatten vermissen lassen.
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Blaibach im Aufbruch
Mit dem Bau des Bürgerhauses hat
die Gemeinde Blaibach die Möglichkeit ergriffen, traditionsbewusst
nach vorne zu schauen. In der Touristeninformation im Erdgeschoss
des Bürgerhauses sind Besucher
von nah und fern herzlich willkommen. Der Kurort Blaibach lockt
neben dem Erholungsgebiet Bayerischer Wald nun auch mit dem „Kulturwald“, Festspiele für klassische
Musik. Für diesen Zweck initiierte
Bariton Thomas Bauer den Neubau
eines Konzerthauses, das er mit der
Pianistin Uta Hielscher betreiben
wird. Zusammen mit der Sanierung
und Umnutzung des Waidlerhauses
zur Unterkunft für Künstler wird
die Orstmitte vervollständigt. Das
Ensemble aus Bürgerhaus, Konzerthaus und Waidlerhaus zeigt, wie
eine öde Dorfmitte zu neuer Blüte
gelangen kann.
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Peter Haimerl
Architekt BDA
„Charakteristisch ist seine Freude
an der Eigeninitiative. Peter Haimerl (*1961) gründete 1991 sein
Büro in München und überrascht
immer wieder damit, dass er sich
selbst Aufgaben stellt, mit denen
er auf gesellschaftliche, politische,
umweltrelevante Veränderungen
reagiert - ohne einen Auftrag dafür
zu haben. 2003 sorgte er mit einem
kleinen, mobilen Büro - „Cocobello“ - für Aufmerksamkeit; hier wurde die Lebens- und Arbeitswelt der
„neuen Nomaden“ alltagstauglich
in Angriff genommen. Design, klassisches Bauen, Mode und Stadtplangungskonzepte stecken das breite
Spektrum ab, in dem sich Haimerl
bewegt und stets Experten aus
den jeweils wichtigen Fachgebieten
einbezieht: Programmierer, Soziologen, Wirtschaftswissenschaftler,
Politiker und andere. Mobilität von
Gütern und Menschen zieht sich
als Thema durch viele seiner Projekte, die auch in Zusammenarbeit
mit Hochschulen erforscht werden. Zum Beispiel „Zoomtown“:
Untersucht wird, wie europäische
Großstädte mit den asiatischen
oder südamerikanischen Megacities nicht nur Schritt halten können,
sondern sich infrastrukturell neu
erfinden müssen, ohne ihre Identität, ihre Heimatwerte zu verlieren.
Neugier und Engagement führten
Peter Haimerl bereits in viele Kontinente.“
1994
2006
2006
2007
2008
2009
2010
2010
2010
2011
2011
Laudatio Deutscher Architekturpreis 2011
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Auszeichnungen
Förderpreis Baukunst Akademie
der Schönen Künste in Berlin
Anerkennung beim Renault Traffic
Design Award für die Salvatorgarage
BDA Preis Bayern für
„Das Schwarze Haus“
Besondere Anerkennung:
Deutscher Verzinkerpreis 2007
Architekturpreis Beton
Best Architects Award in Gold
2009
Preis für Stadtbildpflege der Stadt
München für die Aufstockung der
Salvatorgarage
BDA Preis Bayern 2010:
Preis der Jury
BDA Preis Bayern 2010:
Preis in der Kategorie Umbau
Anerkennung beim Deutschen
Architekturpreis „Birg mich, Cilli!“
Anerkennung beim Ernst A. Plischke Preis 2011 „Birg mich, Cilli“
Dank an
Förderer
„Ort schafft Mitte“, Städtebauförderung in Bayern gefördet im
Bund-Länderprogramm der Städtebauförderung „Stadtumbau“
Sponsoren
Sparkasse und Raiffeisenbank
Blaibach für den Kronleuchter
Familie Bablic aus Blaibach für
den Großteil der Granitplatten
im Foyer
Architektur
Tomohide Ichikawa
Jutta Görlich
Ulrich Pape
Zana Basle
Martin Kloos
Zusammenarbeit / Bauleitung
Architekturbüro Haslsteiner /
von Massow, Bad Kötzting
Johannes Haslsteiner
Ursula von Massow
Impressum
Herausgeber
peter haimerl . architektur
Konzept und Design
Elisabeth Kunkel
Architekten
peter haimerl . architektur
Fotografie
Edward Beierle und Jutta Görlich
Fotografie Portrait
Jens Passoth für Euroboden
Rendering
peter haimerl . architektur
Text
peter haimerl . architektur
Bürgerhaus Blaibach
Kirchplatz 6
93476 Blaibach
peter haimerl . architektur
architekt bda
lothringer str. 13
81667 münchen
fon 089 44760561
mobil 0171 1743289
[email protected]
www.peterhaimerl.com