Stephanie Senge von Veronika Schöne „I shop therefore I am“. So lautet das konsumkritische Credo der amerikanischen Künstlerin Barbara Kruger. Es beschreibt treffend den Glaubenssatz einer Gesellschaft, die den cartesianischen Zweifel gegen die falsche Sicherheit der Dingwelt eingetauscht hat. Wer Krugers Dictum kennt, dem wird es eingefallen sein, sobald er diesen Raum betreten hat. Den es beschreibt in der Umkehrung der cartesianischen Formel „ich denke also bin ich“ die trügerische Selbstvergewisserung durch das Festhalten an der Dingwelt. Nicht mehr Denken, sondern Shoppen ist gefragt – als könnte man sich selbst durch die schrankenlose Einverleibung der Welt in dieser besser verorten. Pralle Einkaufstüten verbarrikadieren fast den Zugang, ein heilloses Durcheinander breitet sich im Galerieraum aus und wächst als babylonischer Turm durch alle Stockwerke hindurch. Der Raum sieht aus, als hätte sich jemand in dem verzweifelten Versuch, sich ständig selbst neu zu entwerfen, durch alle Geschäfte Wolfsburgs geschoppt. Jeder Einkauf eine andere Identität, jede Tüte ein anderes Label, dessen Glücksversprechen sich auf den Konsumenten übertragen sollen. Die schöne neue Warenwelt bietet längst keine Ware mehr an, sondern ganze Weltanschauungs- und Identitätskonzepte, deren absurdes Ausmaß in der Werbung klar wird und in einem ziemlich alten Witz ziemlich treffend auf den Punkt gebracht wird. Da fordert ein Junge von seinem Papi auch einen Tampon geschenkt zu bekommen, weil er auch Tennis spielen, schwimmen und Fahrrad fahren können möchte. Den hohlen Konsum und das oberflächliche Labelling durchkreuzt Steffi Senge mit dem heillosen Chaos einer Unordnung, die mehr ist als nur die Folge eines hemmungsloses Kaufrausches: sie drückt auch eine Hilflosigkeit aus: eine Kapitulation vor dem Konsum, der selbst zum sprichwörtlichen babylonischen Turm auswuchert – die Schattenseite der Dingwelt, die die scheinbare Selbstvergewisserung verdunkelt. Der Messie, der nichts wegwerfen kann, seinem Sammelwahn erliegt, sich langsam in seiner Wohnung hinter den Dingen verbarrikadiert und von der Welt gerade isoliert statt sich in ihr zu verorten, ist das Extrembeispiel hierfür. Womit wir beim anderen Ende ihrer Arbeiten angelangt wären, dem Aufräumen. Eine Videoarbeit zeigt die Künstlerin beim Aufräumen ihres Wohn- und Arbeitszimmers, das sie ein halbes Jahr nicht mehr in Ordnung gebracht hatte. Dabei sortiert sie nicht etwa nur Stapel, sondern dokumentiert auch das verzweifelte Suchen von Gegenständen und den Prozess des Entscheidens, Aussortierens und Wegwerfens. Auch in anderen Arbeiten hat sie sich mit dem Aufräumen beschäftigt, so zum Beispiel in der Aktion „Glücklichräumen“, wo „Gastaufräumer“ bei anderen Leuten aufgeräumt haben, wie es ihnen selbst entspricht. Denn so wie es unterschiedliche Konsumtypen gibt, gibt es auch unterschiedliche Aufräumtypen. So hat jede ihrer Arbeiten ein Stück weit auch immer Porträtcharakter – nicht zuletzt ihrer selbst, da sich viel in ihrer Wohnung abspielt oder als persönliche Veranlagung und Erfahrung in ihre Arbeiten eingeflossen ist. Die schwierige Dialektik von Chaos und Ordnung, die Stephanie Senge in immer neuen Varianten am Beispiel der Dingwelt durchspielt, geht jedoch weit über eine schlichte Konsumkritik hinaus. Für Steffi Senge gehören Konsum und Chaos, Einkaufen und Aufräumen untrennbar zusammen – doch nicht nur im Sinne einer einfachen Illustration des sattsam bekannten Warenkreislaufs, sondern auch auf einer metaphorischen Ebene. Ihre Arbeiten illustrieren vielmehr die mühsamen Sinnstiftungsprozesse, mit denen wir uns versuchen, in der Welt ordnend und ortend zurechtzufinden. Ich möchte versuchen, das an der Fotoserie zu zeigen, die im Zentrum dieser Ausstellung steht: „Zuviel ist nicht genug“ zeigt ein heilloses Durcheinander von Farben, Formen, Strukturen. Einiges kann man auf Anhieb zuordnen, anderes bildet sich erst heraus, wenn man länger hinschaut. Da liegen Wäsche, Schuhe, Papierstapel, CDs, Blumen, Beutel, Nippes und immer wieder auffällig Einkaufstüten herum – liegen? Da geht es schon los: die Bilder öffnen sich nicht zu Raumsituationen, sind aber gleichzeitig auch nicht in der Fläche verortbar ebensowenig wie sie wirklich unräumlich sind. Sie scheinen vielmehr zwischen räumlicher Zuordnung und Unräumlichkeit zu schweben, was sie ortlos macht. Der Trick besteht in der Überblendung zweier Fotografien, die aus zwei unterschiedlichen Kontexten stammen, die genau das illustrieren, was für Steffi Senge zusammengehört: Einkaufen und Aufräumen. Die eine „Belichtung“ stammt aus einer Arbeit, in der sie – ähnlich wie hier – Waren aus unterschiedlichen Geschäften Münchens in Einkaufstüten ausgestellt hat, die andere aus ihrem eigenen häuslichen Chaos. Der Effekt ist jedoch verblüffend. Denn durch die Überblendung werden die Bilder nicht nur räumlich ortlos, sondern auch inhaltlich: die Heilsversprechen der Konsumwelt, die Identifikationsangebote der Werbung gehen mit den Logos und Labels im Chaos unter. Gleichzeitig löst sich die Unordnung ihrerseits zu einem abstrakten Bildteppich aus Farben, Formen und Mustern auf und funktioniert nicht mehr als solche – als Darstellung oder Abbildung von Unordnung. Man kann das mit dem Zustand der Entropie vergleichen, der Gleichverteilung von Molekülen nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik, die als maximale Unordnung uns doch gleichsam gleichmäßig homogen erscheint (weißes Rauschen, Fernsehschnee). Je größer und kleinteiliger das Chaos, desto größer die visuelle Gleichmäßigkeit, die uns fast als Ordnung erscheint. Wenn man so will, löst sich die Unordnung im visuellen Chaos auf, in dem zwar alle Informationen enthalten sind, aber gleichsam unformatiert und deshalb unverständlich. Der Aufwand zur Sinnstiftung und Bedeutungsherstellung ist vergleichsweise groß: man braucht ein gut ausgebildetes Imaginationsvermögen, um sozusagen „vexierbildartig“ die Ebenen voneinander trennen zu können, in der schwebenden Ortlosigkeit wieder räumliche Zuordnungen zu treffen, also sozusagen visuell „aufzuräumen“ – ein Erlebnis der eigenen Selbstverortung in der Welt, die genau das wieder fordert, was vom einfachen Konsumrausch und seinen Angeboten überdeckt wird: die eigene Denkleistung. Interessanterweise hat Steffi Senge jedoch vor nicht allzu langer Zeit auch noch einen zweiten/ dritten Weg eingeschlagen, um der Unordnung zu entrinnen: Neben der Flucht nach vorn in die Abstraktions- und Auflösungstendenz hat sie mit ihrer Fotoserie auch einen Weg zurück beschritten, hin zum Bild; (zwei Exemplare können Sie im unteren Raum sehen). Auf den ersten Blick scheinen die Aufnahmen Alltagsszenarien zu zeigen, Bilder, in denen das alltägliche Durcheinander von einer persönlichen Art des Gebrauchs bestimmt ist. Doch wenn man näher hinschaut, geht vieles nicht in einer Form des Gebrauchs auf: Warum zum Beispiel steckt das Messer im Brotlaib? Und spätestens, wenn man die sich dekorativ über den Tellerrand hinunterwindende Zitronenschale der halbgeschälten Frucht sieht, weiß man, was hier Pate gestanden hat: die holländischen Stilleben, jene Sinnbilder, die einerseits die Schönheit der Dingwelt herausstellten und gleichzeit die Vergänglichkeit des irdischen Daseins beschwörten. Doch anders als die holländischen Stilleben wachsen Steffi Senges Arrangements aus dem Alltag heraus, mit dem sie sich fast ununterscheidbar verbinden. Sie zeigen ein Durcheinander, was jedoch kompositorisch-bildlich einen Sinn ergibt: den der Schönheit, die einen Ausweg aus der Sinnlosigkeit des Chaos weist, und es doch gleichzeitig nicht verrät, sondern als das ganz Andere, jenseits der Logik und Kausalität Liegende bewahrt.
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