DRAMATURGEN DES STAATSTHEATERS MAINZ ERLÄUTERN ANTONIUS UND CLEOPATRA Von William Shakespeare BESETZUNG Inszenierung: Claudia Bauer Ausstattung: Patricia Talacko Musik: Smoking Joe Licht: Sebastian Ahrens Dramaturgie: Malin Nagel Es spielen: Lilith Häßle, Antonia Labs, Anna Steffens; Clemens Dönicke, Matthias Lamp, Henner Momann EINFÜHRUNG Antonius und Cleopatra entstand vermutlich im Jahre 1606 und kann als Fortsetzung von Shakespeares Julius Cäsar angesehen werden. Es spielt in Rom, Ägypten, Griechenland und Nordafrika und umfasst die historische Erzählzeit von ca. 10 Jahren. Nachdem Shakespeare die Jahre zuvor die vier großen Tragödien – Hamlet, Othello, König Lear und Macbeth – geschrieben hat, folgt nun mit Antonius und Cleopatra der Ausbruch aus dem Raum des Häuslichen in die große Welt der politischen Konflikte. Statt wie zuvor tief in die Psyche der Figuren und die inneren und familiären Verstrickungen des Ichs einzudringen, nimmt Shakespeare mit dieser Tragödie nun eine Außenperspektive ein und blickt mit uns auf die vielfältigen Kriegsschauplätze und die strategischen Schachzüge am Übergang von der historischen Epoche der Ära Julius Cäsar in die neue, rigide Ordnung unter Kaiser Augustus. Der Handlung von Antonius und Cleopatra geht die Ermordung Julius Cäsars im Senat in Rom voraus. Cäsars Neffe und Adoptivsohn Octavius Cäsar, der in Bauers Inszenierung, wie sein Onkel, ebenfalls Cäsar genannt wird, der große Feldherr Marcus Antonius und Lepidus kommen an die Macht, bilden zusammen das zweite Triumvirat und teilen das Römische Reich untereinander auf. Bald schon bekämpfen sie sich jedoch untereinander. Zuerst wird der Schwächste entmachtet: der Triumvir Lepidus. Daraufhin stellen sich die beiden übrigen, Octavius Cäsar und Marc Anton, gegeneinander. Zwei Feldherren und Herrschernaturen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der kontrollierte, berechnende Jüngere, und der risikoliebende, exzessive Ältere. Der, der den Zusammenhalt des Reiches als oberstes Gebot ansieht, und der, der von seiner Liebe nicht lassen will: von Cleopatra, Königin Ägyptens, der auch schon der ermordete Cäsar verfallen war und von der die Römer sagen, sie sei eine verruchte und launische Hure. Wie soll diese Liebe überhaupt unbeschadet bleiben und unabhängig von Kalkül und politischen Verstrickungen existieren? Das ganze Stück über ringen hier zwei Prinzipien Venus und Mars – oder auch das Dionysische und Apollinische – miteinander, reißen Antonius und Cleopatra hin und her zwischen den Pflichten gegenüber ihren Völkern und dem Verlangen nacheinander. Der Feldherr und die Königin misstrauen und lieben sich, verraten und versöhnen sich und unterliegen derweil in den entscheidenden Schlachten. Verzweifelt versucht Antonius noch seinem Untergang Einhalt zu gebieten, indem er Cäsar zum Kampf Mann gegen Mann DRAMATURGEN DES STAATSTHEATERS MAINZ ERLÄUTERN herausfordert, worüber dieser nur lacht und nach einer weiteren, sinnlosen Schlacht verlassen ihn seine Truppen endgültig und laufen in Cäsars Lager über. Nachdem Antonius deswegen Cleopatra heftige Vorwürfe macht, lässt sie ihm ausrichten, sie habe sich umgebracht, woraufhin dieser sich in sein eigenes Schwert stürzt. Doch als der sterbende Antonius erfährt, dass Cleopatra noch lebt, lässt er seinen Körper zu ihr zu tragen. Hier, im Moment des Todes, in dem das Rauschen der Weltpolitik verebbt, scheint das erste Mal so etwas wie Einigkeit und friedliche Liebe zwischen den beiden Herrschern möglich zu sein. Die beiden küssen sich ein letztes Mal, Antonius stirbt und auch Cleopatra beschließt nun zu sterben. Das Motiv der Vereinigung im Liebestod, wie wir es auch von Romeo und Julia kennen, hier taucht es wieder auf. Allerdings haben die Liebenden jetzt ein paar Jahre mehr auf dem Buckel und sind nicht, wie die Jungen, Opfer ihrer feindseligen Umwelt, sondern sie selbst sind durch ihre Macht und ihre berechnenden Handlungen mitschuldig an ihrer tragischen Situation. Es ist dann auch nicht nur die verlorene Liebe, die Cleopatra den Freitod wählen lässt, sondern nicht zuletzt Cäsars Plan, sie im Triumphzug in Rom vorzuführen. Deshalb lässt sie sich einen Korb mit Giftschlangen bringen, drückt eine Schlange an ihre Brust, eine andere an ihren Arm und stirbt. Cäsar – bald bekannt als Kaiser Augustus – wird zum Alleinherrscher über das Römische Reich. REZEPTION In Antonius und Cleopatra gelingt es Shakespeare, ein ganzes Geschichtspanorama in Schlaglichtern zu zeigen, mit schnell wechselnden Schauplätzen, 33 Figuren und in der Mitte das Liebespaar. Die zersplitterte Struktur, die permanenten Perspektivwechsel, die Unsicherheit des Augenblicks und die Fülle an Figuren sorgen dafür, dass dieses Stück sehr modern anmutet und an eher an ein Drehbuch für einen Kinofilm erinnert, als an eine Tragödie für die Bühne. Das mit 3000 Zeilen und über 40 Szenen umfangreiche und komplexe Werk war dem Theaterpublikum deshalb auch lange Zeit nur in Form stark verkürzter Nachdichtungen bekannt und wird bis heute eher selten gespielt. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es zeitgleich in England und Deutschland textnahe Aufführungen. Der Stoff wurde allerdings mehrfach verfilmt, und vermutlich kennen sie alle die legendäre Hollywood-Verfilmung von 1963 mit Richard Burton und Liz Taylor in den Hauptrollen. Der Film ist zum Mythos geworden – Mit dem Monumentalen des Films, dem Glamour, der Verschwendung vor allem aber durch die Liebesgeschichte der beiden Filmdiven während der Dreharbeiten, doppelt sich gewissermaßen in der Produktion des Films sein Inhalt: Wir haben es im Stück wie im Film mit zwei Paaren zu tun – Richard Burton und Liz Taylor, Antonius und Cleopatra – die das Spiel mit öffentlichen und privatem Verhalten auf die Spitze treiben, sich zwischen Politik bzw. der durchökonomisierten Traummaschine Hollywood und Liebe faszinierend souverän bewegen und dabei permanent zwischen Authentizität und Inszenierung, zwischen Unnahbarkeit und tiefer Verletzlichkeit oszillieren. Durch diese Doppelung hat es Shakespeares Stoff auch geschafft, zum Teil der Popkultur zu werden. INSZENIERUNG Claudia Bauer hat sich also diesem Stück nicht ohne Bezug auf seine Rezeptionsgeschichte nähren wollen. Sie interessiert sich für den Übergang von einer historischen Epoche in eine andere, den Shakespeare hier erzählt – geht anhand des Stücks jedoch vor allem dem Antagonismus von Vernunft und Leidenschaft nach, der Opposition zweier moralischer Sphären, die Shakespeare – ganz stereotyp – zwei Regionen zuschreibt: der rationalen Welt Roms und der leidenschaftlich, sinnlichen Welt Ägyptens. Unter den Motti „How to become a Diva“ und „How to become a politician“ erleben wir hier sechs Schauspieler, die sich an diesem Abend mit zwei DRAMATURGEN DES STAATSTHEATERS MAINZ ERLÄUTERN Prinzipien des strategischen Handelns auseinandersetzen, denen aus Bauers Sicht jedoch zwei konträre Lebenseinstellungen zugrunde liegen. Auf der Suche nach einer eingeübten, selbstbewussten Haltung, mit der die Herausforderungen und alltäglichen Kämpfe des Lebens zu meistern sind, ohne dabei das Spektrum an Emotionen und Sehnsüchten unterdrücken zu müssen, loten in Bauers Inszenierung einfache Menschen die Dimensionen des Diventums, des Glamours und der ikonenhaften Persönlichkeiten „Antonius“ und „Cleopatra“ aus. Ähnlich wie in Shakespeares Sommernachtstraum eine Truppe von Handwerkern sich das Stück Pyramus und Thisbe vornimmt, und der Zuschauer miterlebt, wie sich die Handwerker nach einigem Diskutieren und ungelenken Versuchen in die Figuren hineinbegeben, erleben wir an diesem Abend also, wie eine Gruppe von selbstkontrollierten Bürgern zusammenkommt, um mithilfe von Antonius und Cleopatra verborgene Leidenschaften und Sehnsüchte in sich selbst zu erwecken. Nach und nach nehmen die sechs Spieler Figuren an und beginnen, entlang der Handlung immer souveräner nach den unberechenbaren und strategischen Prinzipien des Diventums und der Politik zu handeln. Während die Diva ihre Emotionen kultiviert, die Pose übt und ihre Mimik voll zum Einsatz bringt, um zu überzeugen und Mitleid zu erregen, ist es in der Lektion „How to become a politician“ das Ringen um Macht, unter Einsatz floskelhafter Gesten, wobei stets das Pokerface bewahrt bleibt. Bauer trennt diese Sphäre deutlich von der Welt der Diva ab, indem sich die Schauspieler riesig, grinsende Politikerköpfe aufsetzen, das Licht kalt wird und die Maskenspieler sich puppenhaft bewegen. In bewusst plakativen Bildern kehren sie den Subtext der diplomatischen Sprache der Politiker hervor, wobei die nicht-involvierten Kollegen ihre Bewegungen mit dem Shakespearschen Text synchronisieren - im Laufe des Abends vermischen sich die beiden Ebenen jedoch immer mehr und je aussichtsloser und desolater die politische und private Situation für Antonius und Cleopatra wird, desto selbstverständlicher bewegen sich die Durchschnittsmenschen, die zu Beginn die Bühne betreten, in den Figuren des Stücks durch die Handlung. Atmosphärisch wird der Abend stark geprägt von Soundflächen vom Musiker und DJ „Smoking Joe“, die die jeweiligen Stimmungen mal eher subtil, dann wieder geradezu aufdringlich bestimmen – ob im Stile eines Sounddesigns für einen Action-Blockbuster oder eine Liebesschnulze aus den 60igern. Smoking Joe und Claudia Bauer verbindet schon eine jahrelange Zusammenarbeit, noch aus der Zeit, als Claudia Bauer zu Beginn der 2000er das Theaterhaus Jena leitete. Für beide ist der Filmemacher David Lynch ein wichtiger Referenzpunkt für die Ästhetik und Atmosphäre, die sie im Theater erzeugen wollen. Ausgehend von einer modernen, aber texttreuen Übersetzung von Jens Roselt, hat Bauer die Handlung des Stücks um etwa die Hälfte komprimiert und so aufgeteilt, dass das Stück mit sechs Hauptprotagonisten und zwei Boten in all seinen Wendungen erzählt werden kann. Juli 2015 Malin Nagel Staatstheater Mainz
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