Ergänzungsfach Sport / Seeland Gymnasium Biel 1. Semester 2011/2012 Pete Moor Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel Diese Thematik geht unter anderem auf folgende Fragen ein und versucht sie zu beantworten: • • • • • • Was läuft in meinem Körper vom Zeitpunkt der Informationsaufnahme bis zur Bewegungsausführung ab? Was ist der Unterschied zwischen Reagieren und Entscheiden? Wie kann und worauf soll im Spiel bewusst die Aufmerksamkeit gelenkt werden? Wie sind komplexe Entscheidungsprozesse unter hohem Zeitdruck überhaupt möglich? Wie können Bewegungen automatisiert werden und worin liegt der Nutzen? Reicht dazu nur Erfahrung oder braucht es mehr um Situationen automatisieren zu können? Zentral sind also die beiden folgenden Fragen: • • wie findet ein Spieler in einer konkreten Situation zu einer Entscheidung? Wie kann das Entscheidungsverhalten im Spiel trainiert werden? Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel Seite 1 Ergänzungsfach Sport / Seeland Gymnasium Biel 1. Semester 2011/2012 Pete Moor Inhaltsverzeichnis 1 Kognitive Fähigkeiten ______________________________________________________________ 3 1.1 Definitionen ____________________________________________________________________ 3 1.2 Kognitive Aspekte im Sportspiel – vereinfachtes Schema ________________________________ 4 2 Aspekte der Wahrnehmung im Sportspiel ______________________________________________ 5 2.1 Grundlagen ____________________________________________________________________ 5 2.2 Die Formen der Wahrnehmung und Anforderungen an die visuelle Wahrnehmung (Fremdwahrnehmung) ________________________________________________________________ 7 2.3 Optische Informationsaufnahme ____________________________________________________ 8 3 Entscheiden im Sportspiel __________________________________________________________ 9 3.1 Entscheidungsfindung – welche Faktoren sind beteiligt? _________________________________ 9 3.2 Modell der Wahrnehmung und Entscheidung __________________________________________ 9 3.2.1 Wahrnehmungsfähigkeit ______________________________________________________ 10 3.2.2 Kenntnisse ________________________________________________________________ 10 3.2.3 Vergleichsmöglichkeiten ______________________________________________________ 11 4 Wie sind solche komplexe Entscheidungsprozesse möglich? ____________________________ 11 4.1 Die Automatisation von Entscheidungsprozessen _____________________________________ 11 4.2 Die Reduktion von Entscheidungsanforderungen ______________________________________ 11 5 Technische und taktische Kenntnisse erarbeiten_______________________________________ 12 5.1 Die persönlichen Techniken einschätzen lernen _______________________________________ 12 5.2 Kenntnis der Standardsituationen und Anwendung in Übung und Spiel _____________________ 12 5.3 Kenntnisse über den Zusammenhang von Nutzen und Zeitpunkt einer Bewegung ____________ 13 5.4 Erarbeiten der Entscheidungsschritte _______________________________________________ 13 5.4.1 Der Entscheidungsbaum ______________________________________________________ 13 5.4.2 Wenn ... dann - Entscheidungsregeln ____________________________________________ 14 5.4.3 Selbstkontrolle und objektive Rückmeldung _______________________________________ 14 Quellenangaben: ____________________________________________________________________ 14 Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel Seite 2 Ergänzungsfach Sport / Seeland Gymnasium Biel 1. Semester 2011/2012 Pete Moor 1 Kognitive Fähigkeiten 1.1 Definitionen Allgemein: „Kognition beschreibt diejenigen Fähigkeiten des Menschen, die es ihm ermöglichen sich in der Welt zu orientieren und sich an seine Umwelt anzupassen.“ (Lexikon der Pädagogik zweiter Band 1986, S.456 ff aus www.stangl.eu) „Kognition [lat. >das Erkennen<, >Kennen lernen<] Sammelbegriff für alle Prozesse und Strukturen, die mit dem Wahrnehmen und Erkennen zusammenhängen (Denken, Erinnern, Vorstellen, Gedächtnis, Lernen, Planen u. a.)“. (Brockhaus Band 8 1998, S. 151 aus www.stangl.eu) „Kognitionen können auch als Informationsverarbeitungsprozesse verstanden werden, in denen Neues gelernt und Wissen verarbeitet wird, siehe Denken und Problemlösen.“ (wikipedia.ch) In Bezug zum Sport: „Kognitive Fähigkeiten sind diejenigen Voraussetzungen der Sportlerin/des Sportlers, die es ihr/ihm ermöglichen, durch Informationsverarbeitungsprozesse Situationen wahrzunehmen, situationsgerechte Lösungen darauf zu antizipieren und in der Folge unter Einbezug koordinativer und konditioneller Fähigkeiten und Fertigkeiten auszuführen und auszuwerten.“ (Truffer, B.; 1995, S. 12) „Sportliche Handlungen werden durch Wahrnehmungen, Aufmerksamkeit und Konzentration, Erinnern und Vorstellungen, Antizipationsleistungen und Denkvorgänge in verschiedener Weise beeinflusst. Diese Faktoren nennt man kognitiv.“ (Gabler, H. u.a.; 2000; S. 165) Kognition ist also ein Sammelbegriff für alle Prozess des Wahrnehmens, Denkens, des Erkennens, des Sich-Vorstellens, des Sich-Erinnerns und des Sprechens. Gedächtnis Beispiele von Kognitionen: Denken Aufmerksamkeit und Konzentration Entscheidung Sprache Wahrnehmung Kognitionen Quelle: Gabler, H. u.a.; 2000, S. 165 Die kognitiven Teilbereiche stehen in einem komplexen Gefüge. Eine analytische Trennung der einzelnen Komponenten ist in der Realität nicht gegeben. Trotzdem werden in der Folge die Komponenten Wahrnehmen und Entscheiden vertieft betrachtet. Die Komplexität der kognitiven Aspekte soll mit dem nachfolgenden Beispiel veranschaulicht werden. Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel Seite 3 Ergänzungsfach Sport / Seeland Gymnasium Biel 1. Semester 2011/2012 Pete Moor Aufgabe: Lesen Sie diese Situation eines Fussballtorhüters unter dem Aspekt dessen Wahrnehmung. - wie verändert sich seine Wahrnehmung im Zeitverlauf? je hektischer, näher desto weniger nimmt er Rundherum wahr. Er fokussiert auf das WESENTLICHE! wodurch wird seine Wahrnehmung gesteuert? Denkprozesse: Aufmerksamkeit lenken, Konzentration - nimmt wahr (aus: Gabler, H. u.a.; 2000; S. 166) - verarbeitet Dieses Beispiel verdeutlicht, dass zum Themenkreis „kognitive Aspekte“ neben Wahrnehmungs-, Aufmerksamkeits-, Gedächtnis-, Denk- und Sprechvorgängen auch Entscheidungsprozesse zu zählen sind. Auf diese Entscheidungsprozesse werden wir später speziell eingehen. - entscheidet 1.2 - handelt Kognitive Aspekte im Sportspiel – vereinfachtes Schema Spielsituation Frage: Worin besteht der Unterschied zur klassischen Bewegungslehre – repräsentiert, durch folgende Grafik: Wahrnehmen Entscheiden Ausführen Spielleistung Aufgabe: Es geht ja auch darum, Spielleistungen zu optimieren. Was ist in diesem Prozess wesentlich, damit 'gelernt' werden kann? Die Rückmeldung der Spielleistung fehlt: Bewerten, Beurteilen, Rückmelden, damit Wahrnehmung – Entscheidung - Ausführung der nächsten Spielleistung beeinflusst werden kann. Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel neu: Entscheiden! Auswählen, da div. Wege mögl. sind vgl. closed skills (Täuschung und Wurf in Übung ohne Gegner) und open skills (dito im Spiel – immer neu) Seite 4 Ergänzungsfach Sport / Seeland Gymnasium Biel 1. Semester 2011/2012 Pete Moor 2 Aspekte der Wahrnehmung im Sportspiel 2.1 Grundlagen Wahrnehmung basiert auf Informationsaufnahme über die Sinnesorgane. Eindrücke werden aufgenommen und als Reizimpulse über Nervenbahnen an die Verarbeitungszentren weitergeleitet, wo sie auf cortikaler Ebene entschlüsselt werden und ein Abbild der Wirklichkeit entstehen lassen. Die Möglichkeiten der menschlichen Informationsaufnahme und -verarbeitung lassen eine fotographische Abbildung der Wirklichkeit nicht zu. Es entsteht ein jeweils subjektives Bild, basierend auf der Grundlage unterschiedlicher Erfahrungen, eigener Zielvorstellungen und Bedürfnisse. Es besteht also eine wechselseitige Beziehung zwischen sensorischer Wahrnehmung und Gedächtnisinhalten, so dass im Begriff "Wahrnehmung" die Grenzen zwischen Physiologie und Psychologie fliessend sind. Frage: wovon ist diese wechselseitige Beziehung abhängig? Erinnerungs-Frage: wo sind diese verschiedenen Rezeptoren lokalisiert? Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel Seite 5 Ergänzungsfach Sport / Seeland Gymnasium Biel Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel 1. Semester 2011/2012 Pete Moor Seite 6 Ergänzungsfach Sport / Seeland Gymnasium Biel 1. Semester 2011/2012 Pete Moor vgl. Schema auf Seite 3; Quelle: Gabler, H. u.a.; 2000; S. 171-173 2.2 Die Formen der Wahrnehmung und Anforderungen an die visuelle Wahrnehmung (Fremdwahrnehmung) Die Wahrnehmung von Spielsituationen und der eigenen Spielhandlungen sind sehr komplex und stellen eine grosse Anforderung an die Agierenden dar. Das folgende Schema zeigt eine Übersicht, was alles wahrgenommen werden soll / muss, um erfolgreich handeln zu können. Aufgabe: Besprechen Sie, weshalb in einem Spiel viele Fehler passieren. Quelle: Gabler, 2000; S. 167 Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel H. u.a.; Seite 7 Ergänzungsfach Sport / Seeland Gymnasium Biel 1. Semester 2011/2012 Pete Moor Charakteristisch für Sportspiele sind: - vorgegebene Handlungsspielräume (Spielfeld, Tor, Netz etc.) - schnelle Ball- und Spielerbewegungen von hoher Komplexität Bei der Informationsaufnahme dominiert in Sportspielen die optische Wahrnehmung, taktile und akustische Informationen wirken ergänzend. Damit ein/e SpielerIn dennoch den komplexen Spielanforderungen gerecht wird, braucht er/sie eine langjährige Erfahrung. Sie erlaubt es, „nur“ die wichtigsten Signale (Schlüsselmerkmale) aufzunehmen. Wir werden später darauf zurückkommen. Solche Fähigkeiten, Informationen zu „selegieren“, zeigen, dass Wahrnehmung ein aktiver Vorgang ist. Informationen werden nicht nur passiv entgegen genommen, sondern auch zielgerichtet zusammengetragen, geordnet, strukturiert und gedeutet. Das Wahrnehmungsergebnis wird aber auch nachhaltig durch die individuelle Motivationslage beeinflusst, d.h. Bedürfnisse, Einstellungen und Erwartungen beeinflussen den Wahrnehmungsprozess, indem sie zu Selektion und Akzentuierung beitragen. 2.3 Optische Informationsaufnahme Scharfsehen ist aufgrund der physiologischen Gegebenheiten nur in einem zentralen Bereich von 2 bis 5 Grad des gesamten Blickfeldes möglich. In den Randbereichen ist eine hohe Empfindlichkeit für minimale Intensitätsänderungen der Helligkeit vorhanden, so dass die Peripherie besonders für bewegte Objekte sensibel ist. Blicknachfolgebewegungen sind gleitende Augenfolgebewegungen, um ein bewegtes Objekt genau zu beobachten. Sie zielen darauf ab, das interessierende Objekt durchgängig im Bereich des schärfsten Sehens abbilden zu können. Dies gelingt allerdings nur bei relativ langsamen Bewegungen (bis etwa 10 Grad/Sekunde) wie etwa Laufbewegungen und langsamen Ballgeschwindigkeiten. Schnellere Bewegungen (einzelner Körperteile in Form von Wurf- oder Schussbewegungen und daraus resultierender hoher Ballgeschwindigkeiten) werden mit Blicksprüngen, Sakkaden genannt, verfolgt. Sakkadische Augenbewegungen erlauben schnelle und willkürliche Aufmerksamkeitswechsel. Da es gerade in Sportspiele sehr schnelle Bewegungsabfolgen gibt, sind auch diese Blicksprünge häufig zu langsam, um der zu beobachtenden Bewegung genau zu folgen. Nun weiss man aus Untersuchungen, dass bei Reizformen mit festgelegten Bewegungsverläufen bereits vor dem Auftreten der Richtungsänderung des Objekts Augenbewegungen in die entsprechende neue Bewegungsrichtung registriert werden (Ballprellen). In Sportspielen ist zwar nicht das gesamte Spielgeschehen festgelegt, jedoch gehorchen eine Vielzahl von Bewegungen typischen Verhaltensmustern (technische Ausführung eines Bewegungsablaufs wie Fortbewegungstechniken oder Ballspieltechniken, Ballflugbahn). Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel Aufgabe: 1) jemand läuft in einigen Metern Abstand in langsamem Tempo von links nach rechts. Eine Person beobachtet diesen Läufer ohne Kopf-, nur mit Augenbewegung. Was kann bez. der Augenfolgebewegung beobachtet werden. 2) Nun wird ein Ball von links nach rechts geworfen. Lässt sich bez. Augenfolgebewegungen ein Unterschied zu 1 feststellen? Seite 8 Ergänzungsfach Sport / Seeland Gymnasium Biel 1. Semester 2011/2012 Pete Moor Damit sind die Voraussetzungen für antizipatives Beobachten erfüllt, wenn denn der Beobachtende die entscheidenden Bewegungsmerkmale in ihrem situativen Verlauf genau kennt. Antizipatives Blickverhalten bedeutet für den beobachtenden Spieler einen zeitlichen Vorteil, der mit der Informationsaufnahme beginnt und letztlich mehr Handlungsspielraum (mehr Zeit für die Bewegungsausführung) bedeutet. Antizipatives Blickverhalten ist ohne kognitive Steuerung nicht denkbar. Es ist das Ergebnis eines Lernprozesses, der durch Erfahrungen in entsprechenden Situationen zur Optimierung der Informationsaufnahme in Form einer situationsangemessenen Beobachtungsfolge führt. Antizipation (lat. anticipatio: Vorwegnahme) bezeichnet in der Sportwissenschaft die mentale Vorwegnahme eines künftigen Bewegungsblaufes. (de.wikipedia.org) 3 Entscheiden im Sportspiel Die Fähigkeit, sich schnell und der Situation angemessen zu entscheiden – die Entscheidungsfähigkeit - wird als wichtige Grösse erkannt, die den guten und den schlechteren Spieler voneinander trennt. 3.1 Entscheidungsfindung – welche Faktoren sind beteiligt? Die Entscheidungsfindung ist ein Informationsverarbeitungsprozess: a) Der Spieler macht bestimmte Beobachtungen, b) analysiert deren Bedeutung c) und entwickelt daraus eine Hypothese über den weiteren Situationsverlauf. Gleichzeitig werden mögliche Antworthandlungen gesucht. Aufgrund der gemachten Wahrnehmungen und den möglichen Situationsentwicklungen wird sich der Spieler in Rahmen seiner Handlungsmöglichkeiten zu einer Antworthandlung entscheiden. 3.2 Modell der Wahrnehmung und Entscheidung Auswertung / Rückmeldungen Wahrnehmen Aufmerksamkeit richten: Merkmalsuche Vergleichen Wissen / Erfahrung: Bedeutungsrepräsentation Hypothesen bilden Erwartungsmodell: Entscheiden Ausführen Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel Wenn – dann Koordinieren und Phaseneinteilung (Raum – Zeit – Kraft) Seite 9 Ergänzungsfach Sport / Seeland Gymnasium Biel 1. Semester 2011/2012 Pete Moor Frage: Wie findet ein Spieler in einer konkreten Spielsituation zu seiner Entscheidung und welche Faktoren für den Entscheidungsprozess von Bedeutung sind. 3.2.1 Wahrnehmungsfähigkeit Eine optimale Wahrnehmungsfähigkeit ist wohl die wichtige Voraussetzung, um anschliessend die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Diese wichtigen Aspekte der Wahrnehmung wurden bereits im ersten Teil analysiert. Damit ich richtig wahrnehmen kann, muss ich wissen, was sich wahrzunehmen lohnt! Die Voraussetzungen dazu: Kenntnisse und Vergleichsmöglichkeiten. 3.2.2 Kenntnisse Schon bei der Wahrnehmung sind Kenntnisse von grosser Wichtigkeit, ja geradezu Voraussetzung, um eine Situation richtig zu analysieren. Nicht anders verhält es sich bei den Entscheidungsprozessen. Wenn ich die Doppelpasssituation nicht kenne, kann ich sie weder erkennen noch adäquat darauf agieren resp. reagieren. Im Spielverlauf trifft der Spieler unentwegt auf Situationen in denen er zwischen Handlungsalternativen, die ihm zur Verfügung stehen, entscheiden muss. Mit anderen Worten braucht er bestimmte Kenntnisse um überhaupt auswählen zu können. • Kenntnisse bilden also die Grundlage der Verhaltenssteuerung. • Dieses Wissen wächst mit der Spielerfahrung. • Die Reflexion über Spielsituationen mit anschliessendem gezielten Erproben möglicher Reaktionsweisen vergrössern die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Spielers und damit seine Handlungsmöglichkeiten. • FAZIT: Ohne Wissen kein gezieltes Verhalten Die gezielte Ausbildung dieses Wissens wird der Schwerpunkt im Kapitel 3 „Methodik zur Ausbildung der Wahrnehmungs- und Entscheidungsfähigkeit“ sein. Was sollte nun ein Spieler wissen? Der Spieler sollte u.a. Kenntnisse haben über: • den Spielgedanken und die Regeln • die eigenen Möglichkeiten • die eigene Taktik im Zusammenhang mit den eigenen Möglichkeiten die Möglichkeiten des Gegenspielers etc. Es kann festgehalten werden, dass Kenntnisse ein wichtiger Entscheidungsfaktor sind. Sie wachsen durch die praktische und reflektierte Auseinandersetzung mit Spielsituationen. Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel Sehr zentral ist also: sich richtig entscheiden zu können ist nicht einfach nur von der Erfahrung abhängig. Auch, doch Erfahrung alleine reicht nicht. Stellen wir uns z.B. vor, dass jemand etwas immer falsch gemacht hat ... Seite 10 Ergänzungsfach Sport / Seeland Gymnasium Biel 1. Semester 2011/2012 Pete Moor 3.2.3 Vergleichsmöglichkeiten Genügend Kenntnisse ermöglichen dem Spieler die ablaufende Spielsituation mit schon gemachten Erfahrungen zu vergleichen. Im Gedächtnis des Spielers sind je nach Erfahrung und Ausbildung zahlreiche Spielsituationen gespeichert, die er in der gerade ablaufenden Situation abrufen kann und mit dieser vergleichen wird. Beobachten – Vergleichen – Entscheiden, das sind die Verarbeitungsprozesse, die beim Spieler ablaufen, wenn er sich mit der Spielsituation auseinandersetzt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass: 1) der Spieler in der aktuellen Spielsituation konkrete Wahrnehmungen macht 2) und diese verarbeitet, indem er sie mit den gespeicherten Erfahrungen vergleicht. 3) Seine Interpretation aktiviert gleichzeitig entsprechende Bewegungsprogramme, in denen die Wahrnehmung und die Bedingungen der Ausführung verglichen werden. 4) Die Entscheidung für ein bestimmtes "Antworthandeln" fällt also in einer Situation, die die Situationsbedingungen mit gelernten Entscheidungsregeln vergleicht: "wenn – dann!" (Westphal u.a., 1987, S. 28) 4 Wie sind solche komplexe Entscheidungsprozesse möglich? Muss beim Sport wirklich soviel gedacht werden? Geht es in Spielsituationen nicht viel zu schnell um überhaupt solche Überlegungen anstellen zu können? Tatsächlich müssen Entscheidungsprozesse in Bruchteilen von Sekunden ablaufen. Die Frage ist nun, wie so komplexe Entscheidungsprozesse unter Zeitdruck und in kürzesten Momenten ablaufen können. 4.1 Die Automatisation von Entscheidungsprozessen Vielfach wiederholte und erfolgreich eingesetzte Verknüpfungen zwischen Wahrnehmung, Interpretation und Antworthandeln werden automatisiert. Ein bestimmtes Signal löst dann im Arbeitsprozess eine Folge von Bewegungen aus, die die gewünschte Handlung ermöglichen. Diese Handlung ist unter einem Stichwort als Begriff im Gedächtnis gespeichert. Die Automatisation ist aber erst dann möglich, wenn ich einen Prozess wirklich gelernt habe. Diese Prozesse laufen dann automatisch ab ohne dass sie gesteuert werden müssen (Täuschung beim Dribbling). 4.2 Frage: welche Signale aus dem Handballspiel kennen Sie: Die Reduktion von Entscheidungsanforderungen Durch gezielte Vorbereitung der Spieler auf kommende Situationen im Rahmen der Spielvorbereitung (eigene und gegnerische Möglichkeiten, Taktik des Gegners, eigene Taktik, Zielsetzungen) schränken sich die Handlungsvarianten ein. Die bevorstehenden Entscheidungsprozesse werden vorstrukturiert und erlauben dadurch dem Spieler, die konkret auftretenden Spielsituationen schneller bewältigen und kontrollieren zu können. Die Entscheidungsprozesse können verkürzt werden indem mögliche Handlungsalternativen ausgeblendet werden. Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel Je mehr ich über mich, den Gegner, die Taktiken, Zielsetzungen weiss, desto genauer weiss ich, was zu tun ist (die Vielzahl von möglichen Handlungsvarianten wird eingeschränkt). Seite 11 Ergänzungsfach Sport / Seeland Gymnasium Biel 1. Semester 2011/2012 Pete Moor Zusätzlich weiss man, dass erfahrenere Spieler u. a. auch schneller und gezielter wahrnehmen können, da sie weniger Erkennungspunkte brauchen, um die Situation zu erkennen. Damit können sie natürlich auch schneller entscheiden, d.h. der ganze Prozess läuft schneller ab. Mit zunehmendem Zeitdruck nimmt auch die Bewusstheit ab. Dies hat zur Folge, dass ein Spieler in dieser Situation über ein hohes Mass automatisierter „wenn – dann – Beziehungen verfügen muss. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Wahrnehmungen mit Signalcharakter, Erfahrungen von Verhaltensstereotypen sowie Orientierungshilfen in der Spielvorbereitung zu Entscheidungskriterien werden, die die Auswahl situationsangemessener Handlungsalternativen leiten (Westphal, u.a., 1987, S. 34). Diese Entscheidungshilfen ermöglichen auch unter hohem Zeitdruck komplexe Entscheidungsprozesse und adäquates Handeln. Umsetzung in die Praxis 5 Technische und taktische Kenntnisse erarbeiten 5.1 Die persönlichen Techniken einschätzen lernen Die Spieler müssen ihre eigene Spielfertigkeiten und –fähigkeiten einschätzen können. Sie sollen sich ein Bild machen können, welches ihr persönliches Bewegungsrepertoire ist. Dies gelingt am ehesten, wenn Fertigkeiten technisch richtig erworben werden und in gezielt ausgewählten Spiel- und Übungsformen angewendet und gestaltet werden können. Zentral sind hier sicher die Selbsteinschätzung der Spieler und die Beobachtungsfähigkeit der Trainer und Leiter. 5.2 Kenntnis der Standardsituationen und Anwendung in Übung und Spiel Beispiel: Erwerben von Zuspielen und Annehmen des Balles durch variantenreiches Üben oder Spielen. Weiss ein Spieler nun, dass er bei der erfolgreichen Ausführung von Direktpässen im Fussball noch Probleme hat, so wird er im Spiel eher die – für ihn sicherere - kontrollierte Ballannahme mit folgendem Weiterspiel forcieren wollen. Will ein Spieler ein taktisches Element anwenden, so ist es zwingend, dass er weiss, wie dieses Element in seinem Grundmuster gespielt werden muss und welches die Merkmale dieses Bewegungsablaufes sind. Dies bedeutet, dass taktische Elemente sorgfältig aufgebaut werden müssen. Hier geht es um Feinheiten: wer löst die Bewegung aus, welche Techniken muss ich wie anwenden, wie sieht es aus mit dem Timing, welche Spielregeln muss ich einhalten u.s.w.. Aufgabe: Beschreibe die Knotenpunkte des Kreuzens im Handball? Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel Skizze des Bewegungsablaufs: Seite 12 Ergänzungsfach Sport / Seeland Gymnasium Biel 5.3 1. Semester 2011/2012 Pete Moor Kenntnisse über den Zusammenhang von Nutzen und Zeitpunkt einer Bewegung Der Spieler soll neben der Kenntnis des Grundmusters eines taktischen Elementes auch den Sinn und Anwendungsbereich kennen. Denn nur wenn der Spieler weiss, welches der Nutzen eines taktischen Elementes ist, wird er in der Lage sein, dieses zum richtigen Zeitpunkt anzuwenden. Der Spieler soll beispielsweise wissen, dass das Element "Block stellen" nur in den seltensten Fällen ein geeignetes Element ist, um einen Gegenstoss erfolgreich abzuschliessen (zu hohes Tempo, zu grosse Abstände zum jeweiligen Verteidiger, ...), jedoch im Spiel vor dem Korb mit enger Deckung Vorteile bringt. So ist es zentral, dass erworbene und gefestigte Bewegungsabläufe in einen grösseren Zusammenhang gebracht werden. So sollen diese regelmässig im Spiel angewandt werden, um optimale Zeitpunkte und den Nutzen überprüfen zu können. 5.4 Erarbeiten der Entscheidungsschritte Entscheidungen im Spiel müssen als Auswahlreaktionen bewusst gemacht werden. Zur Optimierung des Entscheidungsverhaltens ist für den Spieler bewusstes Entscheiden Voraussetzung. Die einzelnen Handlungsalternativen müssen situationsspezifisch systematisch erarbeitet werden, und wachsen so zu einem "Entscheidungsbaum". 5.4.1 Der Entscheidungsbaum Bei der Erstellung Entscheidungsbaumes, wird von einer bestimmten taktischen Situation ausgegangen. Dabei entwickelt sich diese Situation je nach äusseren Einflüssen (Gegner, Mitspieler, Distanzen, usw.) verschiedenartig. Je nach Spiel- und Lernniveau wird dieser Baum einfacher oder sehr komplex ausfallen. Beispiel: Einen einfachen Entscheidungsbaum für die Situation 1 gegen 1 skizzieren (siehe Abbildung 5) und die verschiedenen Möglichkeiten in der Übung oder im Spiel anwenden. Aufgabe: Erstellen Sie einen Entscheidungsbaum für die Spielsituation 2:2 im Handball. 1 gegen 1 Verteidiger offensiv: Verteidiger defensiv: Täuschen und ... und ... Hände oben: Hände tief: Abbildung Torwurf Schlenzwurf Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel Sprungwurf Stark vereinfachte, elementare Handlungsmöglichkeiten des Angreifers bei einer 1:1–Situation Seite 13 Ergänzungsfach Sport / Seeland Gymnasium Biel 1. Semester 2011/2012 Pete Moor 5.4.2 Wenn ... dann - Entscheidungsregeln Sind einzelne Entscheidungsschritte in spielnahen Übungsformen erarbeitet worden, sollten die dabei erlernten Entscheidungsregeln "wenn ... dann" als Kenntnisse abfragbar sein, in der Praxis umgesetzt und durch Üben automatisiert werden. Beispiel: wenn ich einen Mitspieler sehe, der meinen Verteidiger beschäftigt (bindet), dann laufe ich sofort in die nächste entstandene Lücke und will vom Mitspieler da angespielt werden. Aufgabe: weitere Beispiele formulieren Wenn ... dann ... - Entscheidungsregeln können im Schema von S. 13 als Pfad/Verbindugnslinie eingetragen werden. Danach diese Pfade erarbeiten (Kopf und Praxis) und automatisieren. Aufgabe: welche Verbindungslinien erachten Sie für sich als erachtenswert (2:2)? 5.4.3 Selbstkontrolle und objektive Rückmeldung Nach Westphal u.a. (1987, S. 70f.) werden in der Form von 3-Schritten eine Orientierungshilfe angeboten, welche der Selbstkontrolle einerseits und der Möglichkeit einer objektiven Rückmeldung andererseits förderlich ist: 1. Der Spieler beobachtet den Ablauf der Ereignisse und versucht, Regelmässigkeiten aufzudecken. 2. Er übt, in einer Beobachtungsfolge die Merkmale abzufragen, die regelmässige „wenn – dann“ Beziehungen repräsentieren. 3. Er verknüpft seine Beobachtungen mit eigenem Handeln: Wenn das so ist, macht er dies und ich mache jenes. Beispiel: Am meisten geeignet erscheinen hier Übungsformen, die Fehlentscheidung als falsche Bewegungshandlung sofort sichtbar werden lassen. Handball-Zonenball 3:3: gelingt es, den Ball in die gegnerische Zone legen zu können. Konsequentes Anwenden der oben genannten 3 Schritte. Ebenso sollten dem Spieler unter diesem Punkt Möglichkeiten zur Korrektur seiner Selbsteinschätzung und zur Einschätzung der Zeitverläufe im Spiel gegeben werden, beispielsweise durch objektive Rückmeldung über Videoaufzeichnungen. Quellenangaben: Gabler, u.a.; Einführung in die Sportpsychologie; Teil 1; Hofmann Verlag; 2000 Truffer, B.; Kognitive Fähigkeiten; J&S-Broschüre; Magglingen; 1995 Westphal, G. u.a.; Entscheiden und Handeln im Sportspiel; Trainerbibliothek 25; Philippka; 1987 http://www.stangl.eu/psychologie/definition/Kognition.shtml wikipedia.ch Wahrnehmen – Entscheiden – Ausführen im Sportspiel Seite 14
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