Gewaltfreies Reiten - Bild-Text-Ton

Sport Reitsport | Seite 62
Gewaltfreies Reiten
Gerte, Sporen und Trense braucht
Fred Rai nicht zum Reiten. Das nach
ihm benannte „Rai-Reiten“ verzichtet gänzlich auf Gewalt zur Kontrolle
über die Pferde und setzt auf positive Konditionierung und den Menschen als Leittier. Vor allem aber
versteht Fred Rai das Pferd als
Freund und Sportkamerad.
Text n Sascha Schneider
Fotos n Sascha Schneider, Jasmin Arntzen
Die Vorführungen von Fred Rai in der Reithalle auf dem Gelände der Western-City in
Dasing sind beeindruckend. Er kriecht unter
seinem Pferd „Spitzbub“ hindurch, er zwängt
sich zwischen die Hinterbeine und packt eines davon, er balanciert kniend auf dem Rücken des Pferdes oder rutscht am Hinterteil
des Pferdes runter. Erstaunlich, was dieses
Tier alles mit sich machen lässt. So manch
anderer Pferdebesitzer wäre mit solchen Geschichten Gefahr gelaufen, sich krankenhausreife Verletzungen einzuhandeln. Aber
Spitzbub lässt das alles gelassen über sich
ergehen. Das Pferd macht durchwegs einen
zufriedenen Eindruck. Was mit Sicherheit
auch an den Leckerlies liegt, die Fred Rai
seinem Spitzbub immer nach einer erledigten Aufgabe gibt. Diese positive Konditionierung, also die Abfolge „erst Arbeit, dann Belohnung“, ist einer der Hauptbestandteile des
Rai-Reitens. Das Pferd lernt ziemlich schnell,
dass es für erfolgreich bewältigte Aufgaben
seine Leckerlies bekommt.
Die zweite und wichtigste Säule des Rai-Reitens ist aber die Leittier-Funktion des Menschen. „Pferde haben eine strikte Rangordnung innerhalb ihrer Herde. Das lässt sich
auf einer Weide sehr gut beobachten. Wenn
die Nummer drei der Rangordnung am Futterkorb steht und es kommt die Nummer zwei,
Das gegenseitige Vertrauen von Ross und Reiter ist hier grenzenlos und macht solche Übungen möglich.
dann muss Nummer drei Platz machen“, erklärt Fred Rai. Und das ranghöhere Tier bekommt immer den Vorzug. Schließlich ist
das Leittier auch für die Sicherheit der Herde zuständig. Bei Gefahr gibt das ranghöchste Pferd die Fluchtrichtung vor, alle anderen
Pferde folgen ihm. „Und wenn es die Klippen
hinunter springt, dann folgen ihm alle anderen Tiere in der Herde in den Tod“, sagt Rai.
Und eben diese unbedingte Folgsamkeit und
seine Beobachtungen im Umgang mit Pferden
hat sich Fred Rai zunutze gemacht. Für sein
Pferd Spitzbub ist er der Ranghöchste, was
bei den beiden, wie auch bei den Pferden auf
der Weide, daran erkennbar ist, dass Rai als
Leittier immer vorangeht. Natürlich ist diese
Rangordnung nicht fest gemeißelt in Stein, die
Pferde versuchen immer wieder in der Rangordnung höher zu kommen. Auch Spitzbub
versucht es bei Rai immer mal wieder.
Nur stellt sich da natürlich überhaupt die Frage, wie sich ein Mensch gegenüber so einem
riesigen Tier wirklich behaupten kann. Die
Pferde untereinander greifen sich zum Beispiel an den Mäulern, an den Zähnen an oder
sie legen die Ohren an als Drohgebärde. Für
den Menschen sind solche Mittel natürlich
untauglich. Aber eine Form der Auseinandersetzung hat sich Rai abgeschaut. Die stärkste
Waffe der Pferde in solchen Auseinandersetzungen um die Rangordnung sind die Hinterbeine. Wenn ein Pferd sich umdreht, mit den
Hinterbeinen droht oder sogar mit den Hufen
ausschlägt, gibt das andere klein bei. Ausschlagen kann Rai zwar nicht, aber durch das
ruckartige Hochreißen seiner Schultern und
Arme wird dies vorgetäuscht. Das hat für das
Pferd offensichtlich die gleiche Wirkung und
es pariert wieder. Und so schafft es Rai, mit
Dominanzübungen am Boden und im Sattel,
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völlig ohne Zügel und ohne das übliche Instrumentarium auf seinem Spitzbub sicher zu
reiten, selbst im Gelände oder sogar durch
Augsburg. Am eindrucksvollsten wird diese
Methode bei seinen Auftritten im Saloon der
Western-City verdeutlicht.
Vor 50 Kindern mit leuchtenden Augen singt
Rai dort auf der Bühne Lieder wie „Ring of fire“
von Johnny Cash. Er sitzt auf seinem Spitzbub
Kinder, die Enge… es funktioniert, weil Rai
all dies mit Belohnung in Verbindung bringt.
Zwischendurch springt Rai dann mit seinem
Spitzbub – für die engen Verhältnisse äußerst
rasant – von der Bühne, noch näher ans Publikum. Der Kopf des Pferdes schwenkt über die
Kinderköpfe hinweg. Alles kein Problem. Fred
Rai und sein Spitzbub sind ein perfektes Team.
Und Rai selbst noch dazu der perfekte Gastgeber. Mit viel Freundlichkeit und seinem ihm
eigenen Charme zaubert
er ein Lächeln auf jedes
Gesicht. Er mag eben
nicht nur Pferde, sondern auch Menschen.
Und viele sind beim Besuch der Western-City erstaunt, wie sich da
jemand seinen Jugendtraum verwirklicht hat.
Rai wohnt auch tatsächlich in seiner WesternCity. Die Wohnung ist
genau so, wie sie sich
jeder vorstellen würde, im Western-Stil. Rai,
Jahrgang 1941, hat den Western-Rummel,
das Cowboy und Indianer spielen und Filme
wie „Winnetou“ in den fünfziger und sechziger
Jahren voll mitbekommen. Er lebt den Cowboy-Gentleman.
Aber am meisten liegen ihm seine Pferde am
Herzen. Er doziert an der Universität in Stuttgart über Psyche und Verhaltensweisen und
die von ihm festgestellte Übertragbarkeit von
Gefühlen, worüber gerade an der Weihenstephaner Uni eine Master-Arbeit geschrieben
wird. In diesem Rahmen wurde ein interessanter Test durchgeführt. Zehn Reiter mussten eine Strecke von 150 Metern insgesamt drei Mal
zurücklegen. Den Reitern sagte man, dass auf
der letzten Etappe plötzlich ein Regenschirm
aufgespannt werden würde, um zu sehen, wie
die Tiere reagieren. Tatsächlich war das aber
nur ein Bluff. Auf den Etappen wurden jeweils
die Herzfrequenzen von Reitern und Tieren gemessen, mit einem verblüffenden Ergebnis:
Auf der letzten Etappe hatten Pferd und Reiter beide eine gleichermaßen erhöhte Herzfrequenz, obwohl das Pferd nichts vom Regenschirm wissen konnte. Fred Rai fühlt sich >>
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und kein Zaun, kein Gatter trennen Darsteller
und Zuschauer. Das ist doch gefährlich, denkt
sich so mancher. Tatsächlich ist aber noch nie
etwas passiert. Denn Tiere können nicht falsch
sein und sind deshalb bei Kenntnis der Psyche und Verhaltensweisen, im Gegensatz zu
den Menschen, berechenbar. Das Pferd erträgt
hier erstaunlich vieles. Die Musik, die lauten
Oben: Reiten ohne
Trense und Zügel
– und sogar hinter
dem Sattel kniend
Unten: Fred Rai’s
Privaträume –
natürlich im Westernstil gestaltet
19.12.
26.12.
02.01.
08.01.
15.01.
22.01.
29.01.
05.02.
12.02.
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Fuggerstraße 16 . 86150 Augsburg . Tel. 0821 - 345 000
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durch solche Tests in vielen Dingen bestätigt.
„Das Pferd muss als Freund und Sportkamerad begriffen und fair behandelt werden“, sagt
Rai “und wenn Reiten irgendwann mal mit „ai“
geschrieben wird, dann hab‘ ich’s geschafft“.
Wer seine Augen dabei sieht, ist sich sicher,
dass er dabei nicht an den großen „Raibach“
denkt.
Der „Singende Cowboy“ in Aktion
Mit seinem Verständnis von Reiten will Fred
Rai all denen eine Heimat geben, die sich
mit dem Pferd zur Erholung in der freien Natur bewegen wollen. Und dazu passt nur das
Wort „Harmonie“. n
Buchtipp
Fred Rai
NATÜRLICHES
REITEN
Ohne Peitsche, ohne Sporen, ohne Trense
Fred Rai
Natürliches Reiten
In seinem aktuellen Buch
„Natürliches Reiten“ vermittelt Fred Rai nicht nur
RAI-Reiten –
Die Schule für Freizeitreiter
die Schule des Rai-Reitens
und die artgerechte Haltung
des Tieres, sondern schreibt auch über die
geschichtliche Entwicklung der Reiterei,
die Anatomie des Pferdes und gibt Tipps zu
Rechts- und Haftungsfragen für Reiter.
2. überarbeitete Auflage
Nessos Verlag
208 Seiten, gebunden
Preis 29,50 Euro
ISBN 978-3-934343-01-6