Karl`s kühne Gassenschau fliegt und feuerwerkt wieder in Winterthur

Zürich 21
Tages-Anzeiger – Dienstag, 15. März 2016 Karl’s kühne Gassenschau fliegt
und feuerwerkt wieder in Winterthur
Attacke läuft unter
versuchter Tötung
Der junge Mann, der seine
Der erfolgreichsten Gauklertruppe der Schweiz gelingt, was subventionierte Theater nicht zu träumen wagen: 76-jährige Grosstante in
Boppelsen schwer verletzt
jeden Abend 1400 Zuschauer. Im Juni spielt die Gruppe mit ihrem neuen Spektakel «Sektor 1» auf.
hat, ist in Untersuchungshaft.
Stefan Hohler
Ruedi Baumann
Früher, im Sommer 1984, jonglierten
und improvisierten vier junge Artisten
an der Zürcher Seepromenade mit Bällen, hatten einen Koffer als einzige Requisite, tanzten auf dem Seil und machten Handstände. Ihren Lohn sammelten
sie mit dem Hut. Heute jongliert Karl’s
kühne Gassenschau mit eindrücklichen
Zahlen. Sie verbaut 200 Tonnen Stahl,
5 Millionen Franken beträgt das Budget
für das neuste Stück. «Vor unserer Kühnheit wird uns selbst bange», sagt Mitbegründer Paul Weilenmann.
Doch kaum ein Unternehmen kann so
zuversichtlich und exakt budgetieren
wie die Gassenschau – die mit Ernesto
Graf erst noch einen Doktor der Mathematik in ihren Reihen hat: 1400 Zuschauer jeden Abend bis in den Herbst
hinein sind praktisch garantiert.
580 000 Fans besuchten das letzte Spektakel «Fabrikk», das fünf Jahre lang gespielt wurde – zwei in Winterthur, zwei
in Olten und ein Jahr in der Westschweiz.
Gestern Montag lud die Truppe zum
Baustellenbesuch ins Oberwinterthurer
Industriequartier. Diese Brache ist so
mysteriös, wie es das neue Stück noch
ist. Zwischen serbelnden Sulzer-Produktionsstätten, neuen Betrieben und der
Eisenbahnlinie liegt ein wüster Acker.
Darauf stehen ein Dutzend Wohnwagen,
zwei Kräne und ein paar grosse Zelte, in
denen geschweisst und gehämmert wird
– vor allem aber klafft eine turnhallengrosse Grube im Boden. Markus Heller,
gelernter Orgelbauer und heute Stuntkoordinator, Oberbastler, Feuerwerker
und technischer Gesamtleiter, zuckt
bloss die Schultern. «Mal schauen, was
aus dieser Grube wird.»
Höllenmaschinen und Bunker
Brigitt Maag, die mit Paul Weilenmann
das Stück und die Dialoge entwirft, sagt
es so: «Als Strassenartisten möchten wir
möglichst viel improvisieren.» Technikchef Markus Heller dagegen hat bereits
vor zwei Jahren mit der Planung von
Höllenmaschinen, 50 Meter langen Tunneln, einem Kontrollturm, einem See
und ebendiesem geheimnisvollen Bunker samt Seilbahn begonnen. «Es ist wie
bei den James-Bond-Filmen», sagt Weilenmann. «Da wird 007 von Waffenmeister Q mit den raffiniertesten Gadgets
und Autos ausgestattet – und auch Bond
weiss nie, was auf ihn zukommt.»
Was drei Monaten vor der Premiere
klar ist: Die 22. Produktion in der Geschichte von Karl’s Kühnen heisst «Sektor 1». Wenn Maag und Weilenmann den
Inhalt zusammenfassen, tönt es noch
Auf der Industriebrache in Oberwinterthur sind bereits die Wohnwagen da, nun folgen dicke Stromkabel. Foto: Doris Fanconi
«Wie bei James Bond:
Q gibt uns das Spielzeug,
und wir wissen nicht,
was auf uns zukommt.»
Gründer und Schauspieler Paul Weilenmann
ziemlich fantastisch – oder etwa so, wie
wenn Kinder am Abend der Mutter von
ihren Abenteuern erzählen: wirr, aber
voll begeistert. Als kommerziell erfolgreiche Unterhaltungsprofis und Träger des
aktuellen Schweizer Theaterpreises
kennt die Truppe das Rezept: «Wir wollen ein aktuelles Lebensgefühl beschreiben und die Mehrheit der Schweizer Gesellschaft ansprechen.» Das heisst: mehrheitsfähiges Volkstheater mit Action, wilden Stunts und Tränen der Rührung.
Und ungefähr so geht das Stück: Wegen all der Kriege und Naturkatastrophen
stecken immer mehr Leute den Kopf in
den Sand; sie werden zugemüllt von
schlechten Nachrichten. Deshalb beschliesst die Menschheit, allen Müll in
den Orbit zu schiessen und schön sauber
mit strengen Regeln und Disziplin neu zu
beginnen. Der Sektor 1 ist quasi die VIPLounge oder Wohlfühloase der Musterschüler. Doch da beginnt der Orbit zu rinnen, der Müll rieselt zurück, und die Probleme beginnen von neuem.
Das wäre, so erzählt, keine Geschichte, mit der ein Theater irgendeine
Seele hinter dem Ofen hervorzulocken
vermag. Zumal der dichtgrüne Dschungel aus den Spielzeiten 2006 und 2007
(«Silo 8») sowie 11/12 («Fabrikk») auf dem
Spielgelände wegen des chinesischen
Laubborkenkäfers gerodet werden
musste. Doch Habitués sind zuversichtlich: Die Handwerker, Musiker und alle
neun Schauspieler der letzten Spektakel
sind wieder dabei. «Alle wollten bleiben,
niemand ist schwanger», sagt Brigitt
Maag, «also haben wir zur Blutauffrischung noch zwei Neue geholt» – Simon
Engeli, Autor des Freilichtspektakels im
Nationalpark, und die Circus-MontiClownin Céline Rey.
Auf dem zukünftigen Theatergelände
wuseln bereits über 50 Musiker, Schauspieler und vor allem Handwerker
Das Tram Affoltern braucht noch Zeit
Zum zweiten Mal schon
verlangt der Stadtrat einen
Aufschub, um die neue
Tramlinie zu planen.
Sie darf den Autoverkehr
nicht beeinträchtigen.
Jürg Rohrer
Morgen Mittwoch muss der Gemeinderat zum zweiten Mal entscheiden, ob er
dem Stadtrat mehr Zeit zur Erledigung
eines Auftrags gewähren will. Der Auftrag lautet: ein Kredit mit Beteiligung
des Verkehrsverbundes für einen
Konzept­
entscheid für eine Tramlinie
nach Affoltern. Damit soll auch die
Linien­führung festgelegt und die Finan­
zierung vereinbart werden. Es handelt
sich um eine Motion von Hans Jörg
­Käppeli (SP) und Thomas Wyss (Grüne),
eingereicht im Dezember 2011.
Auch der Stadtrat will diese neue
Tramlinie, die im Norden Zürichs die
Trolleybuslinie 32 ersetzt und als Ver­
längerung der Linie 11 vom Bucheggplatz
via Wehntalerstrasse zur Endstation
Holzerhurd führt. In der Lang­
frist­
planung der Verkehrsbetriebe Zürich ist
die neue Tramlinie ab dem Jahr 2023
aufgeführt; sie ist auch im regionalen
Richtplan eingetragen und im jüngsten
Beschluss des Kantonsrates über die
mittel- und langfristige Entwicklung des
öffentlichen Personenverkehrs ent­
halten. Längerfristig soll eine zweite
Tramlinie – Nordtangente genannt – von
Affoltern via Oerlikon nach Schwamendingen und Stettbach verkehren.
Den Stadtrat stört die Form des Auftrags: Eine Motion muss innert zweier
Jahre zwingend erfüllt werden. Der
Stadtrat ist aber noch nicht so weit und
hat schon vor einem Jahr um Frist­
erstreckung ersucht. Jetzt tut er es erneut mit der wiederholten Begründung,
das Vorhaben sei komplex und erfordere
zwingend die Mitarbeit des Kantons.
Das Auto bleibt
Folgendes ist bereits klar: Auf der Wehntalerstrasse braucht das Tram wegen des
starken Autoverkehrs ein eigenes Trassee in der Mitte der Strasse. Auf Geheiss
des Kantons darf die Leistungsfähigkeit
für den Autoverkehr nicht geschmälert
werden, was ab Glaubtenstrasse zwei
Fahrspuren stadtauswärts nötig macht.
herum. Tieflader kommen an, und
Kräne laden tonnenschwere, geheimnisvolle Stahlkonstruktionen aus. In den
nächsten Wochen treffen 100 Leute ein
– gelernte Bootsbauer, Schweisser, Karbonspezialisten, Statiker, Elektriker,
ETH-Laboranten. Viel Stahl aus den letzten Shows wird wiederverwertet. Man
erkennt die Container aus dem Altersheim von «Silo 8» oder die Schienen, auf
denen die gesamte Schokoladenfabrik
Richtung China abtransportiert wurde.
Ein Grosstheater auf dem Acker
Um Verpflegung, Toiletten und Sitzplätze für 1400 Personen bereitzustellen, müssen die Techniker 2,5 Kilometer
Wasserleitungen verlegen und Stromanschlüsse für 550 Ampères bereitstellen.
Allein 700 000 Franken kostet eine neue
Tribüne, die den aktuellen Sicherheitsanforderungen genügt. Und weil die früheren Parkplätze überbaut sind, muss
eine Brücke über die Strasse zu einem
anderen Feld erstellt werden.
Weitere Informationen und Vorverkauf
ab sofort unter www.sektor1.ch.
Wutausbrüche und Nörgeleien
Zum Tatmotiv wollte die Staatsanwältin
nichts sagen, dies werde untersucht. In
der Nachbarschaft ist man sich aber einig, dass die Rentnerin den jungen Mann
«wieder einmal zur Weissglut getrieben
hat». Die alleinstehende 76-Jährige wird
als «nervig und streitsüchtig» beschrieben. Sie soll häufig wirres Zeug gesprochen und mit ihren Wutausbrüchen und
Nörgeleien auch ihrem Lebenspartner,
der vor einigen Jahren gestorben war,
das Leben schwergemacht haben.
Auch mit Nachbarn soll es immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen sein. So soll die Tierliebhaberin
etwa fremde Katzen angefüttert und im
Haus eingesperrt haben. Auch die Rotmilane, die dort häufig anzutreffen
seien, habe sie regelmässig mit Fleischstücken im Garten angelockt. Die Vögel
verkoteten dann die aufgehängte Wäsche und die Glasscheiben der Wintergärten in der Nachbarschaft, was immer
wieder zu Reklamationen führte.
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Stadteinwärts genügt eine Fahrspur. Die
Abklärungen haben weiter ergeben,
dass der Raumbedarf dank der Bau­
linien mehrheitlich gesichert ist, ver­
einzelt aber noch genauer untersucht
werden muss.
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Der Bund zahlt mit
Grösster Knackpunkt ist der Zehntenhausplatz, der nicht nur den bisherigen
und den neuen Verkehr bewältigen
muss, sondern auch noch zum Quartierzentrum umgebaut werden soll. Mög­
liche Varianten liegen vor, aber noch
keine Entscheide.
Wie beim Tram Zürich-West und
beim Tram Hardbrücke will die kantonale Volkswirtschaftsdirektion beantragen, das Tram Affoltern ins Agglomerationsprogramm aufzunehmen, damit
sich der Bund an den Baukosten beteiligt. Ursprünglich war geplant, Affoltern
als A-Projekt ins 3. Programm aufzu­
nehmen. Dazu braucht es aber ein Vorprojekt mit einer Kostengenauigkeit von
plus/minus 20 Prozent, und so weit sind
Stadt und Kanton noch nicht. Also soll
das Tram Affoltern ins 4. Programm.
Wie weit und ob das den Baubeginn verzögert, ist noch nicht klar.
Die Tat trug sich am vergangenen Donnerstagabend in einem Einfamilienhaus
in Boppelsen im Furttal zu: Ein 21-jähriger Schweizer verletzte nach einem
Streit seine 76-jährige Grosstante so
schwer am Kopf, dass diese in kritischem Zustand ins Spital gebracht werden musste. Nach der Tat soll der junge
Mann die Rollläden heruntergelassen
haben, sagt ein Nachbar gegenüber dem
TA. Eine Nachbarin hatte Schreie gehört
und die Polizei alarmiert. Diese fand in
einem Zimmer des Hauses die schwer
verletzte Frau. Der junge Mann befand
sich ebenfalls noch im Haus. Er wies
Blutspuren auf und wurde von der Kantonspolizei verhaftet.
Wie die zuständige Staatsanwältin auf
Anfrage sagte, hat das Zwangsmassnahmengericht gegen den Mann Untersuchungshaft angeordnet. Er war gegenüber der Polizei geständig. Das Verfahren gegen ihn läuft unter dem Titel «versuchte Tötung». Der Gesundheitszustand der Frau hat sich inzwischen stabilisiert. Die Sanität hatte sie am Tatabend in lebensgefährlichem Zustand
ins Spital eingeliefert.
Der junge Mann hatte mit seinen
Schweizer Eltern zuvor in Polen gelebt
und dort eine Landwirtschaftsschule absolviert. Er war erst vor einigen Monaten
zu der Grosstante in die Schweiz gezogen, um hier zu arbeiten. Er übte manchmal Gelegenheitsjobs aus und war ansonsten arbeitslos und bei der RAV angemeldet. Nachbarn beschreiben ihn als
ruhig, nett und sympathisch.
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