Management-Fassung zur wissenschaftlichen Begleitung des Verkehrssicherheitsprojektes „Schutzengel“ im Kreis Gütersloh Stand: 02.12.2015 Projektverantwortung: Kreisverwaltung Gütersloh, Abteilung Straßenverkehr Kreispolizeibehörde Gütersloh, Direktion Verkehr Verkehrswacht Gütersloh e.V. Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation: Hochschule Bochum, Prof. Dr.-Ing. Iris Mühlenbruch (Projektleitung) Danny Hilke, M Sc.; Veronika Brotzmann, M Sc. 1. Das Projekt Das Schutzengel-Projekt wurde 2008 im Kreis Gütersloh gemeinsam von der Kreisverwaltung Gütersloh (Straßenverkehrsbehörde), der Kreispolizeibehörde Gütersloh und der Verkehrswacht Gütersloh eingeführt; eine Vielzahl weiterer Partner und Akteure konnten zur Unterstützung des Projektes gewonnen werden. Hauptakteure im Gütersloher Schutzengel-Projekt sind 16-24-Jährige, die bereit sind, als „Schutzengel“ in ihrer Altersgruppe (peer-group) auf emotionaler Ebene Einfluss auf Freunde und Bekannte zu nehmen und sie davon abzuhalten, sich unter dem Einfluss von Alkohol/Drogen oder nicht angeschnallt ans Steuer zu setzen oder zu „rasen“. Neben der Einflussnahme auf Gleichaltrige, ist auch die Änderung des eigenen Verhaltens hin zu einem verkehrssichereren Verhalten Ziel des Projektes. Als Dankeschön und Anerkennung für ihr Engagement bekommen alle registrierten Schutzengel einen Ausweis, ähnlich einer Bankkarte, der ihnen Vorteile und Vergünstigungen bei verschiedenen Sponsoren ermöglicht. Beworben und bekannt gemacht wird das Projekt auf verschiedenen Kanälen, u. a. durch aktive Schutzengel im Fahrschulunterricht, mit Hilfe der Projekt-Homepage: www.be-my-angel.de, auf Info-Ständen und in verschiedenen Medien. Das Projekt findet im Kreis hohe Akzeptanz. Zum Stand November 2015 haben sich insgesamt rund 19.800 Junge Menschen auf der Projekt-Homepage als Schutzengel registriert. 2. Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation Prof. Dr.-Ing. Mühlenbruch, Hochschule Bochum wurde mit der wissenschaftlichen Begleitung der Schutzengel-Kampagne seitens des Kreises Gütersloh beauftragt. Für den Langzeit-Vergleich wurden zusätzlich Mittel der Eugen-Otto-Butz-Stiftung zur Verfügung gestellt. Die Ziele der Evaluation waren neben einer Messung der Wirksamkeit des Projektes eine Optimierung der Projektkonzeption. Die wissenschaftliche Evaluation besteht aus folgenden Teiluntersuchungen, die im Folgenden nacheinander beschrieben werden: • Befragungen der Schutzengel 2009 und 2014 (Online-Befragungen) • Unfallanalyse im Kreis Gütersloh (Vorher-Nachher-Vergleiche) • Kontrollraumvergleich (Vergleich der Verunglücktenzahlen mit den Kreisen Minden-Lübbecke, Steinfurt und Düren sowie Gesamt Nordrhein-Westfalen) 2 2.1 Online-Befragungen 2009 und 2014 Im Zuge des Schutzengelprojektes wurden in den Jahren 2009 und 2014 zwei Online-Befragungen durchgeführt. Ziel war es dabei, Wirkungen des Projektes zu erheben, aber auch die Kampagne weiter zu verbessern und zu optimieren. Im Fokus standen Einstellungen, Verhaltensweisen und Erfahrungen der Schutzengel. Durch die zweite Online-Befragung im Jahr 2014 ergab sich die Möglichkeit, Veränderungen im Zeitverlauf zu bewerten. Aus diesem Grund waren Teile der Befragung identisch, einige Fragen wurden 2014 ergänzt bzw. nicht wiederholt, um sich dem aktuellen Projektstand anzupassen. Zusammengefasst waren die wichtigsten Ergebnisse beider Befragungen: a) Ernsthafte Motivation der Schutzengel: Sowohl im Jahr 2009 als auch im Jahr 2014 wurde als Grund für die Beteiligung am Schutzengel-Projekt am häufigsten (jeweils von rund 80% der Befragten) genannt, dass Verkehrsunfälle als Problem erkannt werden und die Befragten helfen wollen. b) Der hohe Anteil derer, die schon als Schutzengel aktiv waren: Einer der Kernparameter für die Messung der Wirksamkeit des Projektes Schutzengel ist, dass die jungen Menschen auch als Schutzengel aktiv werden. Die Befragungen aus 2009 und 2014 ergaben Anteile zwischen rund 72% (2014) und 78% (2009). Diese Quoten sind positiv zu werten und zeigen, dass das Projekt im Sinne der Konzeption wirkt. Bezieht man die Quoten auf alle registrierten Schutzengel (Stand November 2015: 19.800 Schutzengel), kann man von etwa 14.000 – 15.500 Schutzengeln ausgehen, die bereits aktiv geworden sind. c) Die Einschätzung der Wirksamkeit seitens der Schutzengel: Die Schutzengel sollten in beiden Befragungsjahren die Wirksamkeit des Projektes selbst beurteilen. Die Wirkung wird dabei insgesamt sehr positiv eingeschätzt, die Rangfolge der einzelnen Aspekte ist in beiden Befragungsjahren gleich. Die größte Zustimmung findet dabei die Aussage, dass durch das Schutzengel-Projekt mehr auf Freunde und Bekannte geachtet wird (2014: 79% Zustimmung, 2009: 78%), gefolgt von der Aussage, dass Gefahren im Straßenverkehr häufiger Themen sind (2014: 65% Zustimmung, 2009: 72%). 2009 stimmten 64% zu, dass sie als Schutzengel auch selbst vorsichtiger fahren, 2014 waren es 68%. 3 2.2 Unfallanalyse: Entwicklung der Verunglücktenzahlen im Kreis Gütersloh Im Rahmen der Unfallanalyse wurden Verunglücktenzahlen für die Zeiträume 20022007 (Vorher-Zeitraum) und 2009-2014 (Nachher-Zeitraum) für die Altersgruppe der jungen Fahrer (18-24 Jahre) aus der VUD gefiltert und ausgewertet. Das Jahr 2008 wurde dabei nicht betrachtet, da das Projekt „Schutzengel“ im Verlauf des Jahres im Kreis Gütersloh eingeführt wurde. Im Zuge der Unfallanalyse wurden Kernparameter für die Verunglücktenzahlen festgelegt: • Alle Verunglückten • Verunglückte relevanter Verkehrsbeteiligungsarten (VB)1 • Schwerverletzte und Getötete • Verunglückte mit dem jeweiligen Kennzeichen (Kennzeichen) Die Auswahl der Kernparameter entspricht dabei der inhaltlichen Ausrichtung des Schutzengelprojektes. So werden in der Kategorie „VB“ nicht-motorisierte Verkehrsbeteiligungsarten (Fußgänger, Radfahrer) ausgeschlossen, die vor dem Kontext des Projektes nicht im Vordergrund standen. Um im Weiteren die Verunglückten herausfiltern zu können, die mit einem kreisfremden Kennzeichen (und die keine Schutzengel sein können) im Kreis Gütersloh verunglücken, wurde die Kategorie „Kennzeichen“ (nur Kennzeichen GT) betrachtet. Bei einer Betrachtung dieser Unterkategorien (Kernparametern) kann zwar die Wirksamkeit des Schutzengelprojektes genauer betrachtet werden, andererseits stehen dann geringere Fallzahlen pro Unterkategorie zur Verfügung mit der entsprechend geringeren statistischen Aussagefähigkeit. Dies kann dadurch ausgeglichen werden, dass im Rahmen der Untersuchung jeweils ein Sechs-Jahreszeitraum vorher mit einem Sechs-Jahreszeitraum nachher verglichen werden konnte. Mit diesem Ansatz kann sichergestellt werden, dass Jahresschwankungen bzw. Ausreißer in einzelnen Jahren nicht zu einer Verzerrung führen. Die folgenden Tabellen beinhalten die Verunglücktenzahlen für die Zeiträume „Vorher“ und „Nachher“ im Kreis Gütersloh. Eine Markierungen mit dem Zeichen „*“ stellt im Folgenden eine statistische Signifikanz dar.2 1 Ausgeschlossen wurden Beteiligte mit den Verkehrsbeteiligungsarten Straßenbahn und Eisenbahn, sowie Fahrradfahrer, Fußgänger und andere Nicht-Motorisierte Verkehrsmittel (VB 61, 62, 71, 81, 83, 91, 93). Bei den Mitfahrern werden Mitfahrer in Bussen (VB 31-35) und Straßenbahnen (>/= 61, inkl. 92) nicht betrachtet. 2 Anzumerken ist dabei, dass für die Berechnung der Signifikanz neben der Veränderungsrate ebenfalls die Anzahl der jeweiligen Fälle von Bedeutung ist. 4 Tabelle 1: Entwicklung der Verunglücktenzahlen im Kreis Gütersloh (alle Verunglückten - Vorher/Nachher) Tabelle 2: Entwicklung der Verunglücktenzahlen im Kreis Gütersloh (relevante Verkehrsbeteiligungsarten - Vorher/Nachher) Tabelle 3: Entwicklung der Verunglücktenzahlen im Kreis Gütersloh (Schwerverletzte und Getötete - Vorher/Nachher) Tabelle 4: Entwicklung der Verunglücktenzahlen im Kreis Gütersloh (mit Kennzeichen GT - Vorher/Nachher) Der Rückgang der Verunglücktenzahlen im Kreis Gütersloh ist unter Betrachtung der Sechs-Jahres-Zeiträume vor und nach dem Projektstart in allen untersuchten Kategorien statistisch signifikant. 2.3. Unfallanalyse: Kontrollraumvergleich In einem mehrstufigen Prozess wurden geeignete Kontrollräume ermittelt, die anschließend mit Unterstützung der ZEVA (LKA NRW, SG 32.3 Zentralstelle für Evaluation) und dem LZPD (Landesamt für zentrale Polizeilichen Dienste, Dez. 44) entsprechend informiert wurden. Das Einbeziehen von Kontrollgruppen/-räumen dient dazu, die Wirkungen des Programms „Schutzengel“ möglichst genau abzuschätzen und gewährleistet insbesondere, dass potentielle allgemeine übergeordnete (bundesweite) Einflüsse auf das Verkehrsverhalten herausgefiltert werden können. 5 Die drei Landkreise Minden-Lübbecke, Düren, Steinfurt wurden ausgewählt, da sie hinsichtlich einer Vielzahl von Parametern (z.B. Pkw-Dichte, Anteil Berufsschüler, Anzahl Mittelzentren) in Bezug auf das hier zu evaluierende Projekt am besten mit dem Kreis Gütersloh vergleichbar sind. Neben den bereits oben beschriebenen Verunglücktenzahlen wurden beim Kontrollraumvergleich auch die Unfallursachen „Geschwindigkeit“ und „Alkohol“ im Zeitverlauf betrachtet, um ein weiteres Kriterium heranzuziehen, das die Unfallanalyse auf eine breitere Basis stellt. Diese Unfallursachen wurden aufgrund ihres direkten Zusammenhangs zu den Kernbotschaften des Schutzengel-Projektes (nicht rasen, kein Alkohol am Steuer siehe oben) ausgewählt. Die Ergebnisse des Kontrollraumvergleichs zeigten eine überwiegend positivere Entwicklung des Unfallgeschehens im Kreis Gütersloh als in den Kontrollräumen. In 21 von 23 geprüften Kategorien konnte in Gütersloh ein größerer Rückgang festgestellt werden, als in den Kontrollkreisen und Nordrhein-Westfalen, wie die Tabelle 5 zusammenfassend zeigt. Statistische Signifikanzen konnten insbesondere für den Vergleich mit NRW festgestellt werden. Tabelle 5: Zusammenfassende Bewertung der unterschiedlichen Entwicklungen der Kernparameter im Kreis Gütersloh und den Kontrollräumen Vergleich Kreis Gütersloh und Kontrollräume Kontrollkreise Kategorien Vorher: 2002-2007 – Nachher: 2009-2014 Minden- Düren Steinfurt NRW + o +* +* + + +* +* + + + + ++ ++ ++* - ++ ++* + ++ ++* + ++* Lübbecke Alle Verunglückten Relevante Verkehrsbeteiligungsarten Kennzeichen des jeweiligen Kreises Getötete und Schwerverletzte Unfallursache „Alkohol“ Unfallursache „Geschwindigkeit“ Grün = Der Rückgang im Kreis Gütersloh ist stärker als im Kontrollkreis ++ = Der Unterschied beträgt mehr als 10% + = Der Rückgang im Kreis Gütersloh ist 1 bis 10 % höher als im Vergleichskreis o = Der prozentuale Rückgang ist in beiden Kreisen gleich - = Der Rückgang im Vergleichskreis ist höher als im Kreis Gütersloh * Der Unterschied ist signifikant 6 2.4 Fazit Zunächst kann hervorgehoben werden, dass das anhaltende Interesse am Projekt „Schutzengel“, das sich in den stetig anwachsenden Registrierungszahlen der jungen Menschen als Schutzengel, aber auch in dem anhaltenden Engagement der Projektbeteiligten widerspiegelt, bereits an sich einen beachtlichen Projekterfolg darstellt. Die durchgeführten wissenschaftlichen Untersuchungen belegen zudem die positive (gewünschte) Wirkung des Schutzengelprojektes auf die Unfallbeteiligung der jungen Fahranfänger. Besonders hervorzuheben ist, dass die Ergebnisse der verschiedenen Ansätze (Zweifache Online-Befragung, Unfallanalyse im Kreis Gütersloh, Kontrollraumvergleich, Ergänzende Betrachtung der Unfallursachen) sich gegenseitig bestätigen und somit eine fundierte Basis für die Ableitung einer zusammenfassender Bewertung darstellen. Dies gilt für die gesamte Bandbreite der hier ausgewählten Parameter. Somit lässt sich das Projekt „Schutzengel“ nach umfassender Analyse als wirksames Instrument der Unfallprävention bei jungen Fahrern bewerten. 7
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