Andacht beim Empfang zum Beginn des neuen Kirchenjahres 4. Dezember 2015, CityKirche Wuppertal von Superintendentin Ilka Federschmidt „Weite wirkt“. Weite wirkt auch in den Geschehnissen vor der Geburt Jesu und mit seiner Geburt, an die der Advent und das Christfest an Weihnachten erinnern. Weite wirkt – damals in Nazareth, in Bethlehem, in Jerusalem – bis ins Morgenland, in den Orient, und von da aus bis heute, bis hier zu uns, bis nach Indonesien und in die Welt. Weite wirkt. In der biblischen Weihnachtsgeschichte wird der menschliche Horizont in immer wieder anderer Weite geweitet und werden neue Horizonte eröffnet. Einigen Spuren möchte ich nachgehen. Weite wirkt. Auch politisch, wirtschaftlich, militärisch, gewaltsam. Da ist auch die Schattenseite einer Weite, die wirkt. Vielen sind diese Worte noch vertraut aus der Weihnachtsgeschichte im 2. Kapitel des Lukasevangeliums: „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.“ Wenige Worte erinnern an eine dunkle, problematische Wirkung von „Weite“, an eine Schattenseite von „Globalisierung“. In der damaligen Welt das „Imperium Romanum“, der Herrschaftsbereich des römischen Kaisers, durchgesetzt mit Roms Militär. Eine politische, wirtschaftliche und militärische bedrückende Wirkung von imperialer Weite nach menschlichem Maß. Auch diese Weite wirkt. Lassen wir sie weiter wirken? Weite wirkt. Wie in einer gegenläufigen Geschichte erzählen die biblischen Evangelisten Lukas und Matthäus davon wie Gottes Weite wirkt. Die Geburt, die Ankunft von Jesus Christus eröffnet Weite in engen menschlichen Horizonten und beginnt eine sanfte, verborgene und doch unwiderstehliche Globalisierung der Gnade Gottes. Weite wirkt. Das geschieht ganz persönlich, in der persönlichen Biografie von Menschen. Matthäus erzählt, dass Maria und Josef verlobt waren. Von Lukas erfahren wir, dass er Zimmermann war. Dass sie im Örtchen Nazareth in Galiläa lebten. Ihr Sinn wird auf die Heirat gerichtet gewesen sein. Darauf, eine Familie zu gründen. Den Lebensunterhalt zu verdienen. Den Alltag zu bewältigen, mit der ganz normalen Liebe, dem ganz normalen Hoffen und Bangen, Schaffen und Versagen, Sorgen und Freuen. Plötzlich mischt sich Gott in ihr Leben. In Marias kleiner Welt steht der Engel, der ihr ankündigt, dass sie Jesus zur Welt bringen wird, und „er wird der Sohn des Höchsten genannt werden“. In Traumbotschaften bekommt Josef eine neue Rolle, einen neuen Weg als Beschützer eines Kindes, das niemals seine Werkstatt übernehmen wird, das ganz Gott gehören wird, nicht ihm. Weite wirkt hier auch schmerzhaft, heißt Loslassen für den Weg Gottes mit Menschen, für seine Aufgabe, heißt für Maria auch Zweifel und Bitterkeit, als Jesus sich Feinde macht und in den Tod geht. Zugleich erfahren sie, dass Gottes Kraft gerade da ist, wo sie sich auf seinen Weg einlassen, auch wenn sie ihn nicht verstehen. Sinn und Ziel ihres Lebens erfahren sie genau da. Weite wirkt. Ich muss denken: Wenn wir Jesus Christus in unser Leben lassen, ihn darin wirken lassen, dann heißt es loslassen. Dann wird der Horizont meiner kleinen Biografie gesprengt. Der Rückzug in meine kleine Welt, in die so eingeübten Abläufe, in die vertrauten Pläne und Geschäfte und Spielregeln: das geht dann nicht mehr, wenn ich mich auf ihn einlasse. Wenn seine Weite wirkt, dann braucht es Mut. Aber es hat die Verheißung, ihn selbst zu erfahren. Einen weiteren Horizont zu erfahren, über mein kleines Leben hinaus. Den weiten Horizont der Gnade und der Liebe Gottes, den Horizont einer neuen Welt. Weite wirkt. Lassen wir sie wirken? Weite wirkt. In der Weihnachtsgeschichte werden die Grenzen von Herkunft und Kultur und Religion gesprengt. Matthäus erzählt von den Gelehrten, den Weisen aus dem Morgenland, die den Stern gesehen haben und das Kind suchen und finden. Ihre Reise ist ein spannender Weg, nicht nur geografisch. Es ist wie eine gleichnishafte Reise durch die Irrtümer der Menschen, wenn es um Macht, um Geltung, um Besitz, um Herrlichkeit geht. Die Weisen suchen den neugeborenen König auf dem Thron weltlicher Macht. Auf dem Thron des Königs Herodes. Im Herrscherpalast. Sie geraten in die Mühlen seiner Macht. Im Traum lässt Gott sie vor den dunklen Absichten und Intrigen des Königs Herodes warnen. Er öffnet ihnen die Augen, dass der neugeborene König Gottes ganz woanders zu finden ist. Über ihren Umweg geschieht etwas. Die Bedeutung der weltlichen Macht wird entzaubert. Da weitet sich wirklich der Horizont über das Greifbare, Verführerische hinaus. Die Augen werden geöffnet darüber, wo wir Menschen Macht und Geltung und Lebensfülle suchen – und wozu es führen kann. Die Augen werden geöffnet, dass Gottes Macht ganz woanders zu finden ist. Und nun werden sie zu ganz wichtigen Boten genau dafür. Indem sie, die Fremden, sich vor dem Kind in der Krippe verbeugen, werden sie zu wichtigen Zeugen für Maria und Josef, die oft genug zweifeln werden, ob Gott denn wirklich so abseits aller menschlichen Herrschaft und Geltung am Werk ist. Gottes Weite wirkt. Sie schenkt uns solche Zeugen. Manchmal denke ich: Welche Umwege durch die Mühlen der Macht und er Gewalt gehen die Flüchtenden heute? Werden sie uns nicht vielleicht zu unfreiwilligen Boten, dass das Leben ganz woanders zu finden ist als da, wo wir Macht und Geltung und Besitz suchen? Weite wirkt – lassen wir sie wirken? Weite wirkt. Ein Letztes. In der Weihnachtsgeschichte werden soziale Grenzen gesprengt. Lukas erzählt von den Hirten, die zur Zeit Jesu längst nicht mehr dem Ideal der großen biblischen Hirten entsprachen. Vermutlich waren viele von ihnen schlecht bezahlte Saisonarbeiter. Sie hören auf dem Feld die Botschaft der Engel und begeben sich sofort zu dem Kind in der Krippe. Zu der kleinen Familie, die wohl ärmlich dort gewesen sein mag, aber allerbester Abkunft ist: Aus dem Hause Davids… Und nun passiert etwas Bemerkenswertes: Diese Hirten erzählen weiter, offenbar auch den Eltern des Neugeborenen, was die Engel von diesem Kind gesagt haben. Und dann heißt es von Maria: Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Als wenn sie diese Botschaft so ganz anderer Menschen gebraucht hat für ihren eigenen Glauben. Weite wirkt. So, bin ich überzeugt, wie Maria und Josef die Botschaft der Weisen von ganz anderswoher brauchten, wie sie offenbar die Botschaft der ganz anderen Hirten brauchten, so brauchen wir die Botschaften aus der Weite. Wir als Kirche brauchen nicht zuletzt sondern zuerst die solidarische, aber vielleicht auch unbequeme, korrigierende und ermutigende Botschaft der Christinnen und Christen in unseren Partnerkirchen weltweit. Weit wirkt. Lassen wir sie wirken! Amen
© Copyright 2025 ExpyDoc