„Der Ausbilder war ein Bastard“

ANTWORTEN 03
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Mittwoch, 5. August 2015
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Aleaddine T.
soll nun auch
für IS kämpfen
„Auch
Verdächtige
haben Rechte“
2007 schmuggelte der
Wolfsburger Zünder für
die Sauerland-Gruppe.
Darf man die Angeklagten
kenntlich machen?
Von Hendrik Rasehorn
Wolfsburg. Als Scharfmacher in
der Wolfsburger DschihadistenSzene stand Aleaddine T. jahrelang im Visier der Sicherheitsbehörden. Der Deutsch-Tunesier
(Jahrgang 1991) schrieb Schlagzeilen als Helfershelfer der islamistischen Sauerland-Gruppe. Wie im
Prozess in Celle erstmals bekannt
wurde, hat sich auch T., der zuletzt in Berlin wohnte, dem IS angeschlossen. Auf Frage eines
Richters an Ayoub B., welche Motivation Mitglieder der Wolfsburger Dschihadisten-Gruppe gehabt
hätten, überhaupt nach Syrien zu
gehen, antworte dieser, T. sei für
einige eine Art Vorbild gewesen.
Wiedersehen in der IS-Hochburg
ar-Raqqa in Syrien
„Wenn einer sagte, er gehe nach
Syrien zu Aleaddine, dann wussten wir alle, was damit gemeint ist;
dass der am bewaffneten Dschihad teilnehmen will“, erklärte B..
T. sei schon im Jahr 2000 im Gewand zur Schule gegangen, erinnerte sich B.. In Wolfsburg hätten
sich beide nur flüchtig gekannt.
Als er Mitglied des IS war, habe er
T. in der syrischen IS-Hochburg
ar-Raqqa getroffen. „Ich habe gehört, er wurde später im Kampf
verletzt, eine Kugel soll ihm im
Rücken getroffen haben“, berichtete B..
Der Vater von T. war ein in
Wolfsburg bekannter Einzelhändler. Wegen Kokaingeschäften saß
er mehrere Jahre im Gefängnis. In
dieser Zeit radikalisierten sich
seine Söhne. Ein Bruder von T.
wurde im Sommer 2007 in Tunesien unter Terrorverdacht verhaftet.
Im August 2007 war T. nach Istanbul gereist und hatte von einem
Mann eine Tüte mit Schuhen
übernommen.
Darin
waren
26 Sprengstoff-Zünder versteckt.
Die Tüte übergab T. dem Drahtzieher der Sauerlandgruppe, Fritz
G.. Die Terroristen wollten in
Deutschland Bombenanschläge
auf Kasernen, Kneipen oder Discos verüben, in denen vor allem
US-Amerikaner verkehrten. „Ich
bin aber kein Terrorist“, behauptete T. später vor Gericht. Damit
kam der Schüler auch durch.
T. soll Wolfsburger Muslime für
den Dschihad begeistert haben
2010 soll eine Gruppe von Muslimen – allen voran T. – vier junge
Muslime aus Wolfsburg davon
überzeugt haben, in den Jemen in
ein Terrorcamp von Al-Qaida zu
reisen. Dies berichtete eine Mutter von einem der Männer damals
unserer Redaktion. Sie wandte
sich hilfesuchend ans Landeskriminalamt, das wiederum die
Stadtverwaltung
informierte.
Dort wurden die Reisepässe der
jungen Männer eingezogen. Bis zu
diesem Jahr waren dies die letzten
Fälle, in denen die Stadt mit Hilfe
von Passentzug versuchte, die
Ausreise von Terrorverdächtigen
zu verhindern.
Eine Polizeieskorte sicherte den Transport der angeklagten Wolfsburger von der Haftanstalt zum Gerichtsgebäude ab. Vor dem Gericht patroullierten bewaffFoto: Hendrik Rasehorn
nete Polizeibeamte.
„Der Ausbilder war ein Bastard“
Der mutmaßliche IS-Kämpfer Ayoub B. beklagt sich über das Leben im Terrorcamp.
Von Hendrik Rasehorn
Celle. Auch am zweiten Tag des
Prozesses gegen die zwei Wolfsburger, die als Mitglieder der terroristischen Organisation „Islamischer Staat“ (IS) angeklagt
werden, stand Ayoub B. (27) im
Mittelpunkt des Interesses. Anders als am ersten Verhandlungstag am Montag wirkte er zwar aufgeregt, aber insgesamt gelöster.
„So, wie man in
Deutschland an jeder
Ecke einen Kiosk findet,
kann man in Syrien an
jeder Ecke Waffen
kaufen.“
Ayoub B. über das Leben in syrischen
Städten
Selbstbewusst stellte er auf
Fragen der Richter Gegenfragen,
wodurch diese schon mal aus dem
Konzept gerieten. Seine lockeren
Sprüchen führten auch immer mal
wieder zur Erheiterung bei allen
Beteiligten. Fast konnte man als
Zuhörer meinen, man sitzt nicht
bei einem Terror-Prozess in einem
Hochsicherheitsgerichtssaal,
sondern wohnt einer Plauderstunde bei – die übrigens auch nicht
mehr so gut besucht war wie noch
am Montag. Zahlreiche Journalisten, die zum Auftakt des Prozesses nach Celle angereist waren,
blieben schon gestern der Verhandlung wieder fern.
B. berichtete von seiner Zeit in
zwei Terrorcamps des IS. Der Tagesablauf sei dort fast immer ähnlich strukturiert gewesen: Mitten
in der Nacht erschallte der Weckruf zum Gebet. „Als ich einmal
nicht aufstehen wollte, hat eine
Wache neben mir einen Schuss
abgefeuert“, erinnerte sich B..
An den Tagen wechselten sich
Theorie und Praxis ab: einerseits
Koran-Unterricht oder erbauliche
Vorträge über Ziele des Islamischen Staats, Sport und Waffentraining andererseits.
Im ersten IS-Terrorcamp seien
die Rekruten aus Europa – darunter B. und drei weitere Wolfsburger – geschliffen worden. Am
Montag in der Erklärung seines
Verteidigers hatte B. erzählt, insbesondere ein Ausbilder habe sie
übel gedrillt, „ein Bastard“, wie
ihn B. bezeichnete. Er habe deshalb rebelliert. Um in dem Streit
zu schlichten, hätten die Ausbilder den Wolfsburger IS-Anwerber
Yassin O. sowie den Wolfsburger
Dschihadisten Aleaddine T. ins
Camp geholt.
Während die Rekruten das erste Ausbildungscamp nicht verlassen durften, war es ihnen in einem
zweiten Camp hingegen dann gestattet worden, auch mal Einkäufe
in einer naheliegenden Stadt zu
erledigen. Die IS-Chefs hätten die
Rekruten aber vor der syrischen
Bevölkerung gewarnt, so B.. Die
Gefahr sei hoch, dass insbesondere die europäischen IS-Kämpfer
gekidnappt und gegen Geldzahlung an die Feinde des IS verkauft
werden könnten.
„Ich habe Angst, dass
ein Kranker meiner
Familie etwas antut.“
Ayoub B. glaubt, dass seine Familie in
Wolfsburg in Gefahr sein könnte, wenn er
über über andere IS-Kämpfer auspackt
B. behauptete, vor Entführung
habe er Angst gehabt. „Ich wollte
nicht gefoltert werden. Deshalb
habe ich mir einen Sprengstoffgürtel gekauft. Der war eine Versicherung für mich. Bei denen, die
einen solchen Gürtel tragen, halten die Entführer Abstand.“ Den
Sprengstoffgürtel habe er für 100
Dollar einem Händler abgekauft.
„So, wie man in Deutschland an
jeder Ecke einen Kiosk findet,
kann man in Syrien an jeder Ecke
Waffen kaufen.“
Mit dem Sprengstoffgürtel um
die Hüfte, einem Gewehr über der
Schulter und der schwarzen Fahne
des IS in der Hand wurde B. im
Irak fotografiert. Diese Aufnahme, auf der er lächelt, ist im Prozess ein wichtiges Beweismittel
gegen ihn. B. behauptet, der IS
habe das Foto inszeniert, um ihm
die Rückkehr nach Deutschland
unmöglich zu machen.
Er legte wert darauf festzustellen, dass die Vorstellung, die man
in Deutschland von Syrien habe,
meist falsch sei. „Ich habe in meiner Zeit in Syrien viele Städte gesehen. Dort hatten ganz normal
die Geschäfte geöffnet. Wenn
nicht Bewaffnete herumlaufen wären, hätte man gar nicht gewusst,
dass in dem Land Krieg ist.“
Nach Syrien ging B. laut eigener
Aussage, um dort neun Monate
lang eine Islamschule zu besuchen
– dies hätte ihm der IS-Anwerber
Yassin O. in Wolfsburg angeblich
versprochen. Der Richter hakte
ein, warum er denn von einem
Aufenthalt von neun Monaten
ausging, aber nur vier Wochen Urlaub bei VW eingereicht hatte. B.
antwortete, er habe sehen wollen,
ob das Leben unter der Sharia etwas für ihn ist. „Hätte es mir dort
gefallen, hätte ich dort gelebt.
Geld wäre nicht das Problem gewesen, meine Familie hätte mich
unterstützt.“
Bei Fragen zu weiteren Dschihadisten aus Wolfsburg wollte B.
keine Namen nennen. „Ich habe
Angst, dass ein Kranker meiner
Familie etwas antut. Drei Stunden, nachdem die meinem Vater
etwas angetan haben, wären die
schon über die grüne Grenze weg.“
SO NUTZT DER IS SOZIALE MEDIEN
Ein wichtiges Instrument für
den „Islamischen Staat“ bei
der Rekrutierung von Nachwuchs
aus Europa spielt das Internet,
insbesondere Facebook.
Ayoub B. berichtete in seinen
Aussagen am Montag und
Dienstag, Anweisung des IS an
die Wolfsburger Kämpfer sei gewesen, mehrere Facebook-Profile
einzurichten. „Auf diese Weise
sollten die Anzahl der ausländischen Kämpfer verschleiert wer-
den. Zum anderen sollten auf diese Weise auch so viele Ermittler
wie möglich beschäftigt werden“,
verriet B.. Eines seiner – mittlerweile gelöschten – Facebook-Profile lautete auf den Namen „Abou
malek Tounsi“.
B. behauptete, es gebe allerdings auch Fälle, in denen
Kämpfer per Facebook für tot
erklärt werden oder sie ihre Seite abschalten müssen. Dies geschehe, wenn die Kämpfer ein zu
großes Interesse auf sich lenken
würden. Zahlreiche Wolfsburger
Kämpfer posteten monatelang
stolz auf Facebook Bilder aus Syrien und Irak, so Bilel H. oder Mohamed B.F.. Der eine soll im Frühjahr, der andere vor einem Monat
bei Kämpfen gefallen sein. „Wer
sagt, dass Bilel wirklich tot ist?
Wer sagt, dass Mohamed tot
ist?“, meinte B.. „Ich glaube das
nicht, nur weil es auf Facebook
steht, ich glaube es nur, wenn ich
Bilder ihrer Leichen sehe.“
Celle. Ein Tag nach dem Ausschluss der „Bild“-Zeitung vom
IS-Prozess in Celle ist eine Lösung des Streits nicht in Sicht.
Das Boulevard-Blatt hatte sich
der gerichtlichen
Anordnung
widersetzt, die beiden
Angeklagten in
seiner Berichterstattung unkenntlich
zu
machen.
Das
Angebot, den Lutz Tillmanns,
zweiten
Pro- Geschäftsführer
zesstag aus dem des Presserats.
Zuschauerraum
zu verfolgen, lehnte die Zeitung
gestern ab und spricht vom „Angriff auf die Pressefreiheit“. Über
den Fall sprach Dirk Breyvogel mit
Lutz Tillmanns, dem Geschäftsführer des Deutschen Presserats.
Herr Tillmanns, hat sich das Gericht
mit seiner Entscheidung, die
„Bild“-Zeitung vom Prozess auszuschließen, einen Gefallen getan?
Tendenziell nein, aber das ist abschließend noch nicht zu bewerten. Es gibt bei vielen Strafprozessen gerichtspolizeiliche Auflagen, die das Gericht erfüllt sehen
will. Hier hat das Oberlandesgericht Celle offenbar einen Verstoß
gesehen – und der Zeitung die Akkreditierung entzogen.
Was spricht für die Auffassung des
Gerichts?
Jeder Gewaltverbrecher, ja sogar
jeder Mordverdächtige, hat das
Recht, dass auch vor Gericht seine Persönlichkeitsrechte und die
seiner Angehörigen gewahrt werden. Die „Bild“-Zeitung sieht das
im Fall der Angeklagten anders.
Sie stellt hier die Pressefreiheit
über das Persönlichkeitsrecht der
Täter. Es ist zu vermuten, dass
das Gericht durch die Kenntlichmachung zudem den Fortlauf des
Prozesses gefährdet sah.
Haben Sie Verständnis für den Ärger der Redaktion?
Ja, denn jede Redaktion muss im
Zweifel selbst entscheiden können, wie sie verfährt. Nach dem
Pressekodex darf die Presse im
Verlaufe einer Kriminalberichterstattung Fotos aber nur dann veröffentlichen, wenn das berechtigte
Interesse der Öffentlichkeit „im
Einzelfall“ die schutzwürdigen Interessen der Betroffenen überwiegt. Der Chefredakteur von
„Bild.de“ begründet die Form der
Berichterstattung mit einem allgemeinen großen öffentlichen Interesse. Allerdings geht es in dem
konkreten Fall um zwei Angeklagte und deren ganz persönliche
Schuld. „Bild“ argumentiert, dass
die Mitgliedschaft in der Terrormiliz IS Grund genug ist, das Persönlichkeitsrecht der Pressefreiheit unterzuordnen. Diese Begründung halte ich für suboptimal
und auch die Art und Weise, wie
sich dieser Konflikt gerade auf
beiden Seiten hochschaukelt.