Ist Ungewissheit die einzige Gewissheit? – Wirtschaftliche

Referat bei SKOS vom 28. Mai 2015
Ist Ungewissheit die einzige Gewissheit? –
Wirtschaftliche Perspektiven und der Arbeitsmarkt.
Ist Ungewissheit die einzige Gewissheit? Ganz aktuell, aber nicht nur
aktuell, sondern schon seit geraumer Zeit, seit vielen Jahren? Und wie
steht es um die wirtschaftlichen Perspektiven generell – und speziell für
den Arbeitsmarkt? – Das mein Thema für die nächste knappe halbe
Stunde.
Gleich vorneweg. Es liegt auf der Hand, dass solche Fragen gestellt
werden. Ob sie auch einfach zu beantworten sind, ist dann schon eine
andere Frage.
Ich werde zumindest versuchen, Teilantworten zu geben. Antworten, die
zum Teil banal sein mögen oder auch sind. Aber vielleicht helfen sie zu
verstehen, in welchen Spannungsfeldern wir uns befinden – in der
Schweiz, aber auch über die Schweiz hinaus.
Im Zeitalter der Globalisierung liegt es nahe, dass die Schweizer
Volkswirtschaft keine Insel ist, dass Unsicherheiten hierzulande viel mit
internationalen Veränderungen zu tun haben. Trotzdem sehe ich die
Globalisierung nicht nur als übermächtige Triebkraft, welche die
nationalen Wirtschaftspolitiken alternativlos nur Sachzwängen unterwirft.
Dazu mehr später.
Vorerst ein kurzer Überblick darüber, worauf ich im Folgenden eingehe
(Powerpoint Übersicht)
1. Zuerst ein Blick auf aktuelle Unsicherheiten
2. Zweitens dann ein Blick zurück auf die sogenannten „Trente
Glorieuses“, also die Periode 1945 bis Mitte der 70er Jahre – um
den Kontrast zu heute deutlich zu machen.
3. Drittens werde ich skizzieren, wie die Schweiz im Vergleich zum
Ausland dasteht. Ist die Schweiz auch wirtschaftlich ein
europäischer Sonderfall?
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4. Danach werde ich kurz ein paar Gedanken anstellen zur Formel
„Ökonomie ist nicht gleich Ökonomie“. Die Experten widersprechen
sich ja dauernd. Und das nicht erst seit kurzem. Das war in den
letzten 80 bis 90 Jahren fast immer so – auch wenn das zu oft
nicht transparent gemacht wird, was verständlicherweise einer
grossen Verwirrung in der Öffentlichkeit Vorschub leistet.
5. Schliesslich werde ich auf das Verhältnis Wirtschaft, Arbeitsmarkt
und sozialer Ausgleich eingehen und fragen, ob dieses angebliche
Spannungsverhältnis tatsächlich eines ist wie oft behauptet wird.
1. Unsicherheit aktuell
Vor wenigen Monaten, nämlich Ende 2014 schien die Schweizer
Wirtschaftswelt noch im Lot zu sein. Der Bundesrat stellte in seinem
damals geschriebenen Bericht über die „Grundlagen für die Neue
Wachstumspolitik“, …. (Zitat) „im internationalen Vergleich
überdurchschnittliche Zuwächse des Bruttoinlandprodukts“ und der
Beschäftigung fest. Einzig im grossen Krisenjahr 2009 sei die positive
Tendenz kurz unterbrochen worden.
Eine gewisse Unsicherheit war zwar nach der Abstimmung über die
Zuwanderung vom Februar 2014 zu spüren. Staatssekretär Yves
Rossier warnte jedenfalls in einem Interview – Zitat: „Wir müssen jetzt
zwei, drei Jahre mit der wirtschaftlichen Unsicherheit leben.“ (UBS
Outlook Schweiz, 4. Quartal 2014)
Doch die Unsicherheit hielt sich bisher noch in Grenzen. Die Nachfrage
nach ausländischen Arbeitskräften beispielsweise blieb jedenfalls
unverändert gross, sehr gross sogar.
Doch Mitte Januar dieses Jahres änderte sich die Szenerie schockartig.
Sie erinnern sich: Die Nationalbank gab den Frankenkurs gegenüber
dem Euro frei. (Powerpoint Euro-Frankenkurs) Der Euro verlor
gegenüber dem Franken innert Minuten massiv an Wert. Er erholte sich
zwar wieder – aber nur ein bisschen. Nun schwankt er seit Wochen um
den Kurs von 1.04 herum.
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Der Entscheid von Mitte Januar provozierte düstere Voraussagen..
(siehe Powerpoint Franken-Schock): Jeder fünfte Industriebetrieb sei
nun existenziell bedroht / Die Banken würden Milliardenverluste erleiden
/ Die Schweiz erleide eine Rezession / Oder Experten gestanden für
einmal ein, dass sie nicht wüssten, was geschehe ……
Nach ein paar Wochen schien die Lage etwas weniger dramatisch zu
sein. Ein Prognose-Institut korrigierte seine Rezessions-Voraussage
bereits wieder in ein Wachstum von immerhin plus 1 %.
Es gab zwar auch die Stimme eines wöchentlich erscheinenden
nationalkonservativen Magazins, das den Entscheid der Nationalbank
als – Zitat - „mutige Rückkehr zur Unabhängigkeit“ feierte. Aber natürlich
war es kein Sieg – oder wie es ein Experte in der selbigen WochenZeitschrift in der darauf folgenden Woche formulierte und korrigierte: Es
hätte sich gezeigt, „wie wenig autonom die Schweiz ist“. (Hans-Werner
Sinn, Weltwoche, 29.01.2015).
In der Maschinen- und Metallindustrie, der zweit-wichtigsten
Exportbranche, sieht man jedenfalls keinen Grund, die angebliche
Rückkehr zur Unabhängigkeit zu feiern. Die Bestellungen sind
eingebrochen (minus 17 %) Ein Drittel der Unternehmen befürchtet für
dieses Jahr rote Zahlen. Jeder sechste Betrieb überlegt sich nach
Auskunft des Branchenverbandes Verlagerungen ins Ausland.
Die Angst der Deindustrialisierung geht um im Lande. Selbst der
Altmeister unter den Währungsexperten der Schweiz – Professor Peter
Bernholz – hat kürzlich davor gewarnt.
Die neue Unsicherheit ist offensichtlich fremdbestimmt. Sie hat viel zu
tun mit der Euro-Krise, die sich Anfang dieses Jahres wieder zugespitzt
hatte. (Powerpoint Schäuble – Varoufakis) Die beiden (abgebildeten)
Finanzminister aus Deutschland und Griechenland personifizieren die
erneute Zuspitzung der Euro-Krise. Die Krise hat Fluchtbewegungen in
den Schweizer Franken ausgelöst. Das Nationalbank-Direktorium fühlte
sich zu schwach, um den Franken weiter zu verteidigen.
Und da die Euro-Krise noch einige Zeit dauern wird - und vielleicht sich
nochmals verschlimmert – hält auch die Ungewissheit an. Das ist im
Moment die einzige Gewissheit.
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2. Die „Trente Glorieuse“ – eine Ausnahme
Dennoch wäre es falsch, wirtschaftliche Unsicherheit nur mit der
jüngsten Vergangenheit zu verbinden. Sie herrscht inzwischen seit
Jahrzehnten. Jedenfalls, wenn wir es vergleichen mit der Periode, die
zuweilen als die „Trente Glorieuses“ bezeichnet wird, die NachkriegsPeriode von 1945 bis Mitte der 70er Jahre des vergangenen
Jahrhunderts.
Es war die glorreiche Periode (Powerpoint Les Trente Glorieuses) mit
-
stetig hohem Wirtschaftswachstum und steigendem Wohlstand
mit Vollbeschäftigung
mit stabilen Preisen
mit dem Ausbau des Sozialstaates
mit der Verkleinerung der Kluft zwischen Oben und Unten.
Oder anders gesagt: Ein offensichtlicher Kontrast zur Entwicklung in den
letzten 30, 40 Jahren. Eine Entwicklung fast im Stil der besten aller
Welten..
Das hat sich seither gründlich verändert. Der deutsche Soziologe
Wolfgang Streeck hat in seinem Buch „Gekaufte Zeit, Die vertagte Krise
des demokratischen Kapitalismus“ (2014) die Schwächen und
Hintergründe der Entwicklung über die letzten 40 bis 50 Jahre
scharfsinnig analysiert und blossgelegt. (Powerpoint Nach den Trente
Glorieuses nach Wolfgang Streeck)
Die Entwicklung seither ist quasi das Negativ-Bild der „Trente
Glorieuses“, nämlich:
- Der Wachstumsmotor stottert.
- Vollbeschäftigung gibt es nicht mehr – oder nur für jene Experten,
die mit Blick auf die besser gestellten Länder eine Arbeitslosigkeit
von 4 oder 5 Prozent als angebliche Vollbeschäftigung
schönreden.
- Massiv erhöhte Schuldenlasten –
mal sind die Staaten besonders stark verschuldet, wie jetzt viele
europäische Länder und auch die USA,
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mal mehr die privaten Haushalte – so 2008 bei der grossen
Finanzkrise und dem Fast-Kollaps des globalen Bankensystems
insbesondere in den USA, aber auch in Spanien oder Irland.
Die Verschuldung brauchte es aber, um den schwächelnden
Wachstumsmotor weiter in Trab halten zu können. Die
Konsumblase in den USA wäre sonst viel früher geplatzt. Und
diese Konsumblase über Schuldenmachen hat die ganze
Weltwirtschaft angetrieben.
- Diese negativen Trends sind begleitet von wachsender
Ungleichheit. In den meisten Ländern sowohl bei den Einkommen
als auch bei den Vermögen.
Der deutsche Soziologe Wolfgang Streeck macht in seiner Analyse über
die Entwicklung der letzten Jahrzehnte auch klar, dass sich
wirtschaftliche Stagnation, Arbeitslosigkeit, Verschuldung und soziale
Ungleichheiten gegenseitig verstärken – und so die Probleme weiter
verschärfen. Es kommt hinzu, dass von Krise zu Krise deren Schwere
zugenommen hat und die Kriseneinbrüche in immer kürzeren Abständen
aufeinandergefolgt sind.
Die verschiedenen Krisenphänomene wirken etwa wie folgt:
Hohe Schulden bremsen das Wachstum, weil nun Sparen angesagt ist;
Die wachsenden Ungleichheiten zwischen Oben und Unten wirken
bremsend – denn oben gehen zusätzliche Einkommen verhältnismässig
weniger in den Konsum als es unten und in der Mitte der Gesellschaft ist;
Wenn es noch Wachstum gab, so zu einem guten Teil dank zusätzlicher
Verschuldung;
Umgekehrt führt aber Stagnation nicht zum Abbau der Schulden. Sie
wachsen stattdessen weiter, weil den staatlichen Kassen die Einnahmen
schneller wegbrechen als sie auf der Ausgabenseite kürzen können;
Der Kontrast zu den „Trente Glorieuses“ ist offensichtlich.
Ungeklärt ist damit aber, ob die Hochkonjunktur in der Nachkriegszeit
schlicht eine historische Ausnahme darstellte, die sich nicht wiederholt.
Befinden wir uns etwa in einer Phase der sogenannt säkularen
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Stagnation, wie uns international renommierte Ökonomen weismachen
wollen? Oder könnte es sein, dass wir das Modell für unsere Zukunft in
unserer Vergangenheit finden können?
Es gilt aber noch weitere Unsicherheitsfaktoren in den Blick zu rücken.
Technologie-Experten künden uns grosse Umwälzungen an. Sie
prophezeien uns einen gewaltigen Technologie-Schub.
Was wir in den letzten Jahren mit Internet, Mobilen
Kommunikationsformen und Automatisierung erlebt haben, soll erst das
Vorspiel gewesen sein.
Zum Beispiel meinte unlängst in einem Interview mit dem TagesAnzeiger (06.03.2015) der in den USA lehrende Erik Brynjolffson
(Powerpoint Die Roboter kommen 1) In naher Zukunft gebe es noch
bedeutend grössere Veränderungen als in der jüngsten Vergangenheit
Und in einem anderen kürzlich in der „NZZ am Sonntag“ (15.03.2015)
publizierten Interview mit dem an der ETH in Zürich lehrenden Raffaello
D’Andrea (Powerpoint Die Roboter kommen 2) war die gleiche Botschaft,
wenn auch noch dramatischer tönend zu vernehmen: Bisher hätten wir
durch Umschulung und durch die Generationenabfolge noch mit dem
technologischen Wandel mithalten können. Das sei in naher Zukunft
nicht mehr möglich, weil sich der technologische Wandel beschleunige .
Die Ungewissheiten sollen also noch grösser werden.
3. Sonderfall Schweiz?
Und doch: Die Schweiz hat es noch immer gut – Franken-Schock hin
oder her. Unabhängig vom Streit über die Zuwanderung. Ist die Schweiz
etwa doch ein Sonderfall? (Powerpoint, Sonderfall Schweiz?)
- Die Schweizer Volkswirtschaft ist in den letzten Jahren stabil
gewachsen.
- Die staatlichen Schulden wurden sukzessiv reduziert – selbst nach
dem grossen Einbruch von 2008
- Es gibt keine Inflation
- Die Beschäftigung nahm in den letzten Jahren kontinuierlich zu.
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Ein eigentliches Gegenstück zur Entwicklung in den meisten
europäischen Ländern.
Dieses Jahr dürfte zwar schwieriger werden als die letzten Jahre. Die
Arbeitslosigkeit dürfte steigen. Im internationalen Vergleich ist das aber
noch immer sehr wenig. Die Bundeskasse soll ins Defizit abgleiten.
Doch die Finanzlage ist übers Ganze gesehen nach wie vor glänzend.
Also Klagen auf hohem Niveau !!!
- Rekordhohe Beschäftigungszahlen (Powerpoint Jobwunder): Im
letzten Jahr gab es in der Schweiz erstmals 5 Millionen Jobs. Eine
Million mehr als vor zwei Jahrzehnten.
- Rekordhohe Erwerbsquote: Bei der sogenannten „Erwerbsquote“
rangiert die Schweiz zusammen mit Norwegen ganz oben. Mehr
als vier Fünftel aller potenziell Erwerbstätigen im Alter von 15 bis
65 haben einen Job. In vielen europäischen Ländern liegt dieser
Wert nur um die 60 % herum oder darunter.
- Im internationalen Vergleich tiefe Arbeitslosigkeit. In der EU weisen
nur Deutschland und Österreich ähnlich tiefe Werte aus.
Es gibt allerdings auch Stimmen, die negative oder angeblich negative
Entwicklungen ausmachen. Es gibt Stimmen, die wenig vom „Jobwunder
Schweiz“ halten. Es handle sich in der Schweiz „viel eher um ein
Bürokratiewachstum“. – wurde unlängst in der NZZ beklagt. Gemeint
waren damit die vielen neuen Stellen nicht zuletzt in den Bereichen
Gesundheit und Bildung.
Und ebenfalls kürzlich war dort auch zu lesen - Zitat:
„Der helvetische Vorzeigestaat hat sich in den vergangenen Jahren in
einen überbordenden Staatsapparat verwandelt“. Und weiter: Dass dabei
besonders die Beschäftigung im öffentlichen Sektor und im Sozialwesen
weiter ausgebaut werden soll, gibt ((allerdings)) zu denken.“ (NZZ,
11.03.2015)
Sie hier im Saal regen offenbar gewisse Wirtschaftsjournalisten zum
Nachdenken an…. Das ist bestimmt keine schlechte Nachricht… Nur ist
das im zitierten Text kaum so gemeint…..
Warum es schlecht sein soll, dass das Gesundheitswesen angesichts
des demographischen Wandels stetig mehr
Beschäftigungsmöglichkeiten bietet, scheint allerdings eher
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ideologischer Voreingenommenheit als ökonomischem Sachverstand
geschuldet zu sein. Ebenso verwirrend tönen Klagen über die
zusätzlichen Stellen in den Bereichen Erziehung und Unterricht in einer
Zeit, da Bildung als eines der höchsten Güter einer fortgeschrittenen und
zukunftsfähigen Volkswirtschaft anzusehen ist.
Ernster zu nehmen ist das Problem der sogenannt steigenden
Sockelarbeitslosigkeit (Powerpoint „Sockelarbeitslosigkeit“). Das heisst,
seit den 90er Jahren ist der untere Sockel von Konjunkturzyklus zu
Konjunkturzyklus stets gestiegen.
1990 lag der Tiefpunkt der Arbeitslosigkeit noch bei 0,5 %, im Jahre
2001 vor der sogenannten Dotcom-Krise hatte sich der Sockel auf rund
1,8 % mehr als verdreifacht, inzwischen liegt die offiziell ausgewiesene
Arbeitslosigkeit selbst in guten Jahren bei knapp 3 %.
Und das erst noch statistisch geschönt. Die Wirklichkeit sieht weniger
attraktiv aus. Denn wenn wir mit dem Ausland vergleichbare Statistiken
publizieren, so liegt die effektive Arbeitslosigkeit momentan nicht bei
rund 3,5 %, sondern um rund einen Prozentpunkt höher, bei knapp
viereinhalb Prozent. – Dahinter verbirgt sich eine wachsende Zahl von
Menschen, die kaum mehr mit der wirtschaftlichen Entwicklung
mitzuhalten vermögen.
Die schöne Fassade verdeckt also auch in der Schweiz eine zuweilen
weniger glänzende Wirklichkeit. Das gilt auch für die im internationalen
Vergleich auffallend grosse Ungleichheit bei der Verteilung der
Vermögen.
4. „Kulturkampf“ der Ökonomen
- Die wirtschaftliche Lage ist also sehr stark und zusehends stärker
geprägt durch Unsicherheit – auch in der Schweiz.
- Die Zeiten haben sich stark verändert seit dem Ende der „Trente
Glorieuses“.
- Der Schweiz steht zwar überdurchschnittlich gut da, aber auch hier
mehren sich die Zeichen der Unsicherheit.
Da stellt sich die Frage, ob sich was machen lässt gegen die
Unsicherheit?
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Wer diese Frage stellt, muss sich aber zuerst eines klar machen. Die
Wirtschaftswissenschaftler sind sich heute so uneinig, wie sie es schon
immer waren.
Es ist der alte Streit (Powerpoint Keynes kontra von Hayek) – etwas
vereinfacht formuliert – zwischen der Schule des britischen Ökonomen
John Maynard Keynes und jener des österreichischen Ökonomen
Friedrich August von Hayek, der immer von neuem ausgefochten wird.
John Maynard Keynes steht für Interventionismus (Powerpoint John
Maynard Keynes) «Die Volkswirtschaftslehre sei wertlos, wenn sie nur
abwartet, bis stürmische Zeiten wieder vorbei sind.“
Es ist das Zitat, zu dem auch noch die oft zitierte Pointe gehört „auf
lange Sicht sind wir alle tot“.
Friedrich August von Hayek steht für wenig Staat, möglichst staatliche
Abstinenz, wie das Zitat deutlich macht. (Powerpoint Friedrich August
von Hayek) Er ist misstrauisch gegenüber jeglichen Eingriffen der Politik.
Oder wie es ein prominenter Hayek-Anhänger mal formulierte: Ziel sei
eine Marktwirtschaft ohne Adjektiv.
Die beiden ökonomischen Grossmeister waren bereits in den 30er
Jahren des vergangenen Jahrhunderts grosse Gegenspieler.
Keynes hatte damals gesiegt – und prägte die internationale
Wirtschaftspolitik bis zum Ende der „Trente Glorieuses“, also Mitte der
70er Jahre.
Damals wurde Keynes vom Sockel gestürzt. An seine Stelle trat von
Hayek – oder wie es ein unverdächtiger Zeuge, der bei der UBS für
Superreiche Kunden zuständige Banker am Radio SRF (26.05.2015)
prägnant formulierte: „Nach der Reagan-Revolution wurde der
Kapitalismus neu erfunden. Die Regulierungen wurden sehr
marktfreundlich, die Milliardäre haben sich das zunutze gemacht.“
Als 2008 der grosse Banken- und Finanzkollaps drohte, erinnerte man
sich zwar kurzfristig wieder an Keynes zurück und verhinderte mit dem
Griff in seinen Werkzeugkasten den Absturz in eine tiefe Depression mit
Massenarbeitslosigkeit. – Das war aber nur eine zweijährige Episode,
jedenfalls in Europa und besonders in der Eurozone.
Zugegeben: Dieser Exkurs ist etwas grob gezeichnet, aber es scheint
mir dennoch wichtig zu sein, auf diese grundsätzlichen Differenzen
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hinzuweisen. Denn ohne diese Zurückbesinnung auf die Gegensätze
von Keynesianern und von Hayek-ianern lassen sich die vielen oft
widersprüchlichen Ratschläge der Experten zur Krisenbewältigung nicht
einordnen. Es gibt in der Wirtschaftswissenschaft nicht nur „la pensée
unique“, auch wenn dieser Eindruck - ganz besonders in Deutschland
und auch in der Schweiz – nur allzu oft erweckt wird.
5. Wirtschaft und sozialer Ausgleich – (K)ein Widerspruch?
Kündigt sich nun wieder ein Epochenwechsel an, wenn neuerdings nicht
mehr nur Wirtschaftswissenschaftler ausserhalb des Mainstream wie
etwa der Franzose Thomas Piketty mit seinem monumentalen und
Aufsehen erregenden Werk „Das Kapital des 21. Jahrhunderts“ oder die
prominenten US-amerikanischen Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und
Paul Krugma kritisieren, dass der Kapitalismus auf Abwege geraten sei.
Denn kritisch äussern sich jetzt auch Experten des Internationalen
Währungsfonds, der ab den 80er Jahren während mindestens zwei
Jahrzehnten die wirtschaftspolitische Speerspitze der Deregulierung
bildete. Und auch die OECD, die Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung.
Im grossen Krisenjahr 2008 tönte es von der OECD noch vorsichtig
fragend „Growing Unequal?“; dann 2011 nach den Gründen forschend
„Why Inequality keeps rising?“, Ende 2014 schon klarer positioniert mit
„Income Inequality and Its Impact on Economic Growth“ und jetzt – letzte
Woche - eindeutig: „Why Less Inequality benefits all“.
Die neue Botschaft aus der OECD lautet also: „Ungleichheit schadet
wirtschaftlichem Wachstum.“ (Powerpoint) Und umgekehrt: Weniger
Ungleichheit stimuliere das Wirtschaftswachstum und stärke zugleich
das soziale Gefüge.
((((( Eines scheint gewiss zu sein. Wenn es darum geht, der Unsicherheit
und Ungewissheit entgegenzusteuern, dann kann die Rückbesinnung
auf einige Grundzüge der „Trente Glorieuses“ hilfreich sein. Es geht nicht
um eine Kopie. Die Geschichte wiederholt sich nicht. Viele Bedingungen
sind ganz anders als damals. Es geht auch nicht darum, die damalige
Periode schön zu reden, über fehlerhafte Entwicklungen hinwegzusehen,
die schliesslich zu hoher Inflation und damit massiver Geldentwertung
geführt haben. )))))
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Es geht auch nicht nur darum, die wachsenden Ungleichheiten zu
beklagen. Sondern um deren Hintergründe: So insbesondere die hohe
Arbeitslosigkeit in sehr vielen Ländern, die massiv eingebrochenen
Löhne, die Ausbreitung prekärer Tieflohn-Jobs – die kaum mehr
existenzsichernd sind. Mit anderen Worten, es geht um die Krise auf den
Arbeitsmärkten.
Diese zu beheben passiert offensichtlich nicht automatisch, schon gar
nicht in den Euro-Krisenländern, wo die Arbeitslosigkeit weit über zehn
Prozent liegt, zum Teil sogar um die 20 % oder noch deutlich höher.
Auch die Rezepte des Lohndrucks verfangen nicht. Gemäss vielen
Lehrbüchern hätte das zu mehr Arbeitsplätzen führen sollen. Doch
passiert ist das Gegenteil. Sinkende Löhne führten in den Krisenländern
zu noch mehr Arbeitslosen, deren Einkommen dramatisch sinken.
Deshalb sinkt der Konsum, was auf die Unternehmen zurückschlägt –
und so die Krise weiter verschärft.
Die Krise in Europa zeigt, dass Lohn- und Sozialabbau der Wirtschaft
schaden, und umgekehrt: Wirtschaft und sozialer Ausgleich wären kein
Widerspruch.
Auch in der Schweiz sollte man nicht auf einen Automatismus setzen obwohl die Arbeitsmarkt-Probleme hierzulande viel geringer sind und
zum Teil sogar anders gelagert sind als in den allermeisten anderen
Ländern.
Am offensichtlichsten zeigt es sich bei uns im seit Jahren beklagten
Fachkräftemangel. Parolen allein schaffen offensichtlich keine Abhilfe.
Die Grossbank UBS hat kürzlich geschätzt, dass die Schweiz in den
letzten Jahren dank der grossen Zuwanderung gut ausgebildeter
Fachkräften jährlich zwischen sechs und acht Milliarden Franken gespart
habe. Den Fachkräftemangel zu beheben ist also nicht gratis zu haben.
Auch die Einsparungen, welche die Sozialhilfe durch den
Leistungsabbau für Jugendliche in Zukunft gemäss den neusten
Beschlüssen erzielen wird, werden letztlich nur echte Einsparungen
bewirken, wenn die Betroffenen für berufliche Ausbildungsgänge
motiviert werden können. Eingesparte Gelder sollten umgelagert werden
- damit die Integration in den Arbeitsmarkt gelingen kann.
Ähnlich sieht es bei der IV aus. Nach der Kritik des OECD-Berichts
„Psychische Gesundheit und Arbeit: Schweiz“ von Anfang 2014
(23.01.2014) setzt sich offenbar die Einsicht durch, dass der Einstieg ins
11
Arbeitsleben für Jugendliche mit psychischen Problemen eine viel
intensivere Begleitung und Betreuung voraussetzt. Also auch hier
braucht es einen aktiven Staat.
Ich bin mir bewusst, dass ich diese Dinge zuletzt ihnen erzählen muss.
Sie kennen die Situation aus der Praxis, ich hingegen nur von vielen
Erzählungen aus meinem Umfeld.
Ich betone es hier abschliessend dennoch, weil gerade aus
ökonomischer Betrachtung solche Wirklichkeiten von grosser Tragweite
sind. Sie zeigen nämlich, dass die noch heute vielfach beschworene und
hochgepriesene „unsichtbare Hand“ im Sinne des grossen Ökonomen
Adam Smith aus dem 18. Jahrhundert vieles nicht zu leisten vermag. Der
Markt reguliert sich sehr oft nicht von alleine.
Es braucht die sichtbare und aktive Hand des Staates, auch wenn es oft
anders gelehrt wird. – Im Bereich der Bildung erst recht, wenn zutreffen
sollte, was uns die Technologie-Fachleute voraussagen - dass es noch
schwieriger wird, mit den technologischen Veränderungen auch nur
halbwegs mitzuhalten. .
Auch die sichtbare Hand der Schweizerischen Nationalbank – um noch
kurz Bezug zur grossen aktuellen Unsicherheit zu nehmen - auch diese
sichtbare Hand gab Orientierung, signalisierte Verlässlichkeit. Es hätte
die Nationalbank Nerven gekostet und womöglich Verluste eingebracht.
Doch nicht alles was kostet, ist schlecht. Was jetzt kostet, kann auf die
Dauer sogar billiger sein – Und vor allem: Es liesse sich vertrauensvoller
in die ungewisse Zukunft zu blicken.
Markus Mugglin, 28. Mai 2015
12
(Powerpoint Wirtschaft und sozialer Ausgleich)
-
Keine Wettbewerbsfähigkeit ohne starken Staat
Was kurzfristig kostet, kann längerfristig billiger sein
„Unproduktive“ Care-Arbeit hat Zukunft
Arbeitszeitverkürzung?
-------------------------------------------------Das Versprechen war ja, dass tiefere und flexible Löhne der Weg zu
besserer Beschäftigung ebnen würden. Inzwischen liefern die
Entwicklungen in Europa genügend Belege dafür, dass dem nicht so ist.
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Was billiger zu haben ist, wird offenbar nicht in jedem Fall vermehrt
nachgefragt. Was nützen dem Unternehmer billige Arbeitskräfte, wenn
es keine Nachfrage nach den Gütern gibt, die diese Arbeitskräfte
herstellen könnten. Das lässt sich in den Krisenländern beobachten. Sie
investieren nicht, stellen keine Leute neu ein, weil es ihnen nur Kosten
aber keine Erträge bringt, wenn sie auf Lager produzieren.
Der Arbeitsmarkt funktioniert offensichtlich nicht wie irgend ein
Gütermarkt.
– insbesondere in den Euro-Krisenstaaten, einfach um
Umverteilungstransfers von oben nach unten – auch wenn das
selbstverständlich ein Thema ist.
----------------------„Why Less Inequality Benefits all“ – scheint mir jedenfalls eine gute
Leitschnur zu sein, wenn es um Vertrauen in die Zukunft geht…..
Dabei geht es nicht einfach um Ideologie, es geht um Korrekturen einer
Entwicklung, die in den letzten 30, 40 nicht nur zu grösseren
Ungleichheiten geführt haben, sondern in atemberaubenden Tempos
immer wieder zu tiefen Krisen.
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Die Arbeitslosigkeit erreicht inzwischen Rekordwerte. Die Steuerlasten
für die Unternehmen und reicheren Schichten sind stetig gesunken. Die
Löhne in den Euro-Krisenstaaten sind in den letzten Jahren massiv
gesunken, doch das Versprechen, tiefe Löhne würden dazu führen, dass
Arbeitsplätze geschaffen werden, dieses auf den ersten Blick plausibel
tönende Versprechen hat sich als leeres Versprechen entpuppt.
Das Gleichgewicht, von dem immer wieder theoretisch geträumt wird,
stellt sich entgegen der Theorie nur in Ausnahmefällen ein. Da braucht
es dahinter eine lenkende Hand, um den Märktkräften die gewünschte
und gewollte Richtung zu weisen.
(Powerpoint Wirtschaft und sozialer Ausgleich)
Dazu folgende Stichworte:
-
Keine Wettbewerbsfähigkeit ohne starken Staat
Was kurzfristig kostet, kann längerfristig billiger sein
„Unproduktive“ Care-Arbeit hat Zukunft
Umverteilung zahlt sich (wirtschaftlich) aus.
Arbeitszeitverkürzung?
Meist wird behauptet, je weniger Staat umso besser für die Wirtschaft.
Es ist eine Behauptung auf schwacher empirischer Grundlage. Dazu
genügt ein Blick nach Skandinavien. Sie gehören wirtschaftlich ebenso
zur Spitze wie auch die Schweiz – ihr staatlicher Sektor ist aber viel
grösser als irgendwo.
Ein starker und aktiver Staat heisst allerdings nicht ein möglichst grosser
Staat. Er soll auch effizient sein mit seinen Diensten.
Wenn wir technologisch mithalten oder gar führend sein wollen, gilt es ja
ganz besonders die Bildung und Forschung zu fördern, was
selbstverständlich nicht billig ist. Das gilt künftig noch weit mehr als es
schon in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Denn die grossen
technologischen Schübe sollen uns unmittelbar bevorstehen. Sie fordern
uns in unserem Alltag noch viel stärker als bisher.
Hinzu kommt die Debatte und Klage über den Fachkräftemangel. Ihn zu
beheben und zugleich die Zuwanderung bremsen, wird nicht gratis sein.
Die Grossbank UBS hat kürzlich geschätzt, dass die Schweiz in den
letzten Jahren dank der grossen Zuwanderung gut ausgebildeter
15
Fachkräften jährlich zwischen sechs und acht Milliarden Franken gespart
habe.
Gemäss dem Bundesamt für Statistik kostet eine tertiäre Ausbildung den Staat 300‘000 bis 400‘000 Franken. Zur
Ausbildung der jährlich rund 20‘000 eingewanderten Spezialisten hätte wir hierzulande pro Jahr zusätzliche 6 bis
8 Milliarden Franken an Bildungsausgaben budgetieren müssen. Das sind nicht weniger als 1% bis 1,3% des
Schweizer Bruttoinlandsproduktes oder rund ein Viertel des heutigen schweizerischen Bildungsetats.
Auch die Einsparungen, welche die Sozialhilfe durch den
Leistungsabbau für Jugendliche in Zukunft machen kann, werden
letztlich nur zu Einsparungen führen, wenn die Betroffenen über diese
Sanktion hinaus für Ausbildungsgänge motiviert werden können. Wenn
also der Abbau der Sozialhilfe mit der gleichzeitigen Erhöhung der
Ausbildungsbeiträge für Jugendliche verknüpft wird. Das kann bedeuten,
dass zwar kurzfristig nichts gespart wird, aber die Chance steigt, dass es
mittelfristig der Fall sein kann.
Ähnlich verhält es sich doch mit der verschärften Praxis bei der IV. Sie
wird letztlich nur erfolgreich sein, wenn – wie es nach einem Bericht der
OECD jetzt auch bei uns dämmert – dass die Jugendlichen intensiver
begleitet und betreut werden müssen, damit sie den Einstieg ins
Arbeitsleben schaffen.
Warum sage ich das Ihnen. Das wissen Sie natürlich besser als ich –
durch ihre tägliche Praxis. Ich sage es dennoch, weil die MainstreamÖkonomie und Mainstream-Wirtschaftspolitik falschlicherweise den Blick
meist nur auf die unmittelbaren und kurzfristigen Kosten richtet – und auf
dieser ungenügenden Basis angeblich ökonomische Überlegungen
anstellt. Umgekehrt Psychologen und Sozialpolitiker oft nicht nur sozial,
sondern auch ökonomisch eine ausgereiftere Analyse parat halten.
Denn ihre Sicht ist des öftern auf die mittlere Sicht orientiert.
So haben „Fachkräftemangel“, „IV und psychische Krankheiten“, Frauen
und Beschäftigung eines gemeinsam? Gute Lösungen sind nicht gratis
zu haben. Sie erfordern vielmehr einen aktiven Staat. Das ist nicht gratis
zu haben, und dennoch zahlt es sich volkswirtschaftlich aus.
„Vertrauensvoll ins Ungewisse“ …….
-------------------------------------------------------------Es wird in diesem Zusammenhang oft gesagt, dass insbesondere
technisch-naturwissenschaftliche Lehrgänge zu wenig belegt würden,
dass wir aber zu viele geisteswissenschaftliche Studiengänge belegten.
Das tönt auf den ersten Blick plausibel – ist es aber gar nicht unbedingt.
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Der Chefredaktor der NZZ am Sonntag hat nach einem Blick in die
Arbeitslosenstatistik jedenfalls darauf aufmerksam gemacht. Diese hat
zwar gezeigt, dass ein Jahr nach Studienabschluss Absolventen der
Geistes- und Sozialwissenschaften häufiger arbeitslos sind als Abgänger
der exakten Naturwissenschaften. Nach fünf Jahren hatte sich die
Rangordnung aber umgekehrt. Der Anteil arbeitsloser
Naturwissenschafter war dann - überraschenderweise – höher als der
Anteil arbeitsloser Geisteswissenschaftler.
- z.B. indem er mehr Ärzte ausbildet, um nicht mehr so viele vom
Ausland ausgebildete und finanzierte Ärzte ins Land zu holen. Das
gilt generell für die Ausbildung von Pflegepersonal;
- z.B. soll der Staat die Infrastruktur für Tagesschulen bereitstellen;
- z.B. sollen die Anstrengungen für die Integration von psychisch
kranken Menschen in den Arbeitsmarkt verstärkt werden. Das
kostet zweifellos, kommt uns auf mittlere Frist in einer
Gesamtrechnung wohl billiger zu stehen.
Diese Diskussion ist ja inzwischen angelaufen, nachdem die
OECD uns dazu geraten hat. Die Forderung ist eindeutig: Wir
sollen junge Menschen mit psychischen Problemen bei der
Ausbildung und der beruflichen Integration viel stärker
unterstützen.
Etwas mehr Staat in diesem Bereich wird nicht gratis sein, kann
uns aber dennoch billiger zu stehen kommen.
- Ein besonderes (staatliches) Augenmerk sollen wir auch auf
weitere Jugendliche richten, die mit dem Berufseinstieg grosse
Mühe haben. Auch das ist nicht gratis zu haben, wird sich aber
mittelfristig auszahlen.
Im übrigen hat die UBS-Research-Abteilung im Zusammenhang mit der
Zustimmung zur Zuwanderungsinitiative geschätzt, wie teuer es uns zu
stehen kommen kann, wenn wir versuchten, weniger von der
Rekrutierung ausländischer Fachkräfte abhängig zu werden. Die UBS ist
zum Ergebnis gekommen, dass wir uns bisher 8 Milliarden Franken
jährlich gespart hätten – das entspricht mehr als zehn Prozent des
jährlichen Bundesbudgets.
Ein dritter Punkt: Wir leben bekanntlich im Zeitalter einer globalisierten
Wirtschaft. Die Beziehungen beim Warenhandel, bei den
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Kapitalbeziehungen und bei den Dienstleistungen haben sich über die
Jahrzehnte massiv intensiviert.
Die Globalisierung wird kaum rückgängig gemacht – oder falls doch,
dann mit schwerwiegenden Folgen.
Aber Globalisierung muss nicht Hyperglobalisierung sein, um einen
Begriff des US-amerikanischen Ökonomen Dani Rodrik zu gebrauchen.
Das heisst, die Staaten sollten sich nicht einfach beugen vor angeblichen
wirtschaftlichen Deregulierungs-Sachzwängen. Denn tun sie es, würde
oder wird die Globalisierung den Rückhalt in den Bevölkerungen
vollends verlieren.
Und es ist ja auch so, dass sich nicht alle wirtschaftlichen Tätigkeiten
globalisieren lassen. Wir lassen uns die Haare nicht in China oder in
Ungarn schneiden. Wir verlagern unsere Alten und pflegebedürftigen
Menschen nicht in Zentren ausserhalb des Landes. (Wir wollen es aber
angeblich mit unseren Gefangenen tun!!!)
Das heisst, viele Dienstleistungen werden auch künftig lokal erfüllt. Aber
sie müssen auch künftig finanzierbar sein – also das ganze CareBusiness. Es wird allein aufgrund der demografischen Entwicklung
weiter an Bedeutung gewinnen. – Auch hier geht es nicht ohne Staat. Er
wird künftig noch verstärkt benötigt.
Und was bedeutet der grosse technologische Schub für den
Arbeitsmarkt. Die Experten entwerfen ein faszinierendes und zugleich
beängstigendes Bild…..
Folgerung:
Wenn wir uns „Vertrauensvoll ins Ungewisse“ vorwagen wollen (Ende
März Tagungsthema des bso, Berufsverband für Coaching, Supervision
und Organisationsberatung)
Dann braucht es zwei Dinge
-Ausbildung – nach dem bekannten Motto fördern und fordern
-weniger Ungleichheit und soziale Gegensätze
Was es nicht braucht
- Die ideologischen Polemiken gegen den Staat und die Kampagnen
der Deregulierung
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Die Schweiz ist nicht allein, keine Insel – da gibt es internationalen
Druck, ein neuer Umgang damit….
Es geht um die Rettung des Kapitalismus…..
Warum sollen zusätzliche Jobs im Gesundheitsbereich weniger gut sein
als beispielsweise im Bankensektor? Nichts gegen den Finanzsektor –
jedenfalls nicht grundsätzlich und wenn ich von Casino-ähnlichen
Auswüchsen absehe. Es ist jedenfalls klar, dass der Banken- und
Finanzsektor derart aufgebläht war und zum Teil noch immer ist, dass es
volkswirtschaftlich wenig Sinn machte und noch immer macht.
Aber es leuchtet doch allen ein. Die Gesundheit ist das wohl eines der
höchsten Güter…..
Warum sollen zusätzliche Jobs im Bildungs- und Unterrichtswesen
schlechter sein als Jobs irgendwo in der Privatwirtschaft? Immerhin ist
es ausgemacht, auch in der Mainstream-Ökonomie, dass gute
Ausbildung wirtschaftlich höchst bedeutsam ist. Wer technologisch
führend und innovativ sein will, investiert in die Ausbildung. Es ist doch
unbestritten, dass es heute ohne gute Ausbildung nicht mehr geht, dass
wenig Qualifizierte das grösste Arbeitslosen-Risiko haben. Das ist
regelmässig den Statistiken über Arbeitslosigkeit und Sozialhilfen zu
entnehmen – und Sie hier wissen es aus ihrer beruflichen Praxis.
An solchen Beispielen zeigt sich immer wieder, wie konfus angeblich
ökonomische Argumentationen ausfallen. Viele ökonomisch
ausgebildete oder vielleicht besser gesagt verbildete Leute lassen sich
vom Vorurteil leiten, Privat ist gut, Staat ist schlecht.
Es wird oft die Differenz nicht gesehen zwischen einzelwirtschaftlicher
und gesamtwirtschaftlicher Logik. Oder es ist zu vermuten, dass solche
Unterschiede bewusst geleugnet werden.
Diese grundlegenden Unterschiede zu beleuchten, wäre ein Thema für
sich und für ein Referat – was ich hier aus Zeitgründen aber nicht weiter
beleuchten kann und will.
Es gibt aber andere Einwände gegen den aktuellen Zustand des
„Erfolgsmodells Schweiz“. Denn offiziell ausgewiesene Statistiken
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geben nicht immer das wirkliche Bild der Schweizer Wirtschaft wieder.
Es geht manchmal nach dem Motto
„Schenke nur jenen Statistiken Glauben, die du selber manipuliert oder
gefälscht hast. (Powerpoint über die Wahrheit der Statistiken)
Die Arbeitslosigkeit ist nämlich grösser als die allmonatlich vom
Staatssekretariat für Wirtschaft SECO publizierte Statistik vorgibt. Sie
liegt – wenn wir auf die international angewandte Methodik abstellen –
regelmässig höher. Aktuell liegt sie nicht etwas höher als 3 %, sondern
über 4 %. Das Bundesamt für Statistik stützt sich auf die international
anerkannte Definition und publiziert entsprechend die höheren
Arbeitslosenzahlen – nur schenken ihnen die Medien weniger
Aufmerksamkeit
Die Beschäftigungsprobleme sind grösser als meist eingestanden wird,
wie es sich an der Entwicklung der sogenannten Sockelarbeitslosigkeit
ablesen lässt. (Sockelarbeitslosigkeit, Powerpoint)
Zu Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts war die
Arbeitslosigkeit bei guter Konjunkturlage noch auf unter 1 % gesunken,
an der Schwelle zum neuen Jahrtausend auf knapp 2 %, zehn Jahre
später dann knapp 3 %. Jetzt liegt der neue Tiefpunkt etwas höher als 3
% (wobei der Sockel noch etwas höher liegt, wenn wir auf die
international vergleichbare Statistik abstellen).
So attraktiv wie oft behauptet ist das Schweizer Modell auch nicht, wenn
es um die Verteilung von Einkommen und Vermögen geht. (Powerpoint)
Und droht jetzt gar der Mittelschicht der Abstieg? Sie soll es schlechter
haben als die Unterschicht. (Powerpoint)
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1. Franken-Schock macht die Ungewissheit zur einzigen Gewissheit:
Einstieg mit „News“ nach dem Franken-Schock von Mitte Januar 2015 –
eine Prognose-Korrektur folgt der andern, die SECO-Experten gestanden
ein, dass sie im Moment nichts wüssten, alle Seiten übertrumpfen sich mit
Vorschlägen. – Gewiss ist nur, dass die Ungewissheit grösser ist denn je.
2. Ungewissheit erst recht in Euro-Land mit Durchwursteln als einziger
Konstante: Ungewissheit aber nicht nur in der Schweiz, der Franken ist
ja auch nicht einfach eine Schweizer Angelegenheit. Im Unterschied zum
Kartoffelpreis wird er nicht in der Schweiz bestimmt!!! Euro-Land wankt –
und das seit vielen Jahren bereits. Sie macht nun wahrhaftig die sieben
mageren Jahre durch. Und auch sonst sind die Verhältnisse
„ungewöhnlich“. Das lässt sich am geschäftigen Tun der Notenbanker
rund um den Globus ablesen. Sie tun alles nur Erdenkliche und bisher
Undenkbare, um die Finanzmärkte zu fluten, um die Zinsen rekordtief zu
halten. Ja selbst Negativ-Zinsen im wörtlichen Sinne gibt es jetzt.
3. Ungewöhnliche Zeiten schon seit langem: Aber das ist ja nur die kurze
Sicht – also ganz aktuell und zurückblickend auf drei oder fünf Jahre.
Ungewöhnlich sind die Verhältnisse aber schon seit längerem! Das
analysiert der deutsche Soziologe Wolfgang Streeck präzis.
Ungewöhnlich, weil kein Wachstum mehr, aber hohe Schuldenlasten und
Massenarbeitslosigkeit verbunden mit wachsender Ungleichheit. Und
weltweit fragen Ökonomen besorgt, ob wir uns in einer Periode der
säkularen Stagnation befänden – angesichts von Wachstumsschwäche
bei gleichzeitig hoher Verschuldung.
4. Ungewöhnlich sind auch die technologischen Umbrüche: Also nicht
nur kurzfristig Unsicherheit – und hier kommt noch die Frage dazu, ob die
Technologie sowieso uns noch viele Überraschungen bereit halten wird.
siehe Interview im TA vom ersten März-Wochenende mit Erik Brynjolffson
(siehe unten). Die Roboter kommen erst recht richtig….
5. Die guten alten Zeiten der „trente glorieuse“: Das Sittenbild der
globalen Ökonomie wirkt wenig verlockend. Längst sind die Zeiten der
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„trente glorieuse“ von 1945 - 1975 mit Wachstum, Vollbeschäftigung
und sozialem Ausgleich vergangen. Warum sollte das nicht wieder
machbar sein? Es war damals Kapitalismus und auch heute ist es der
Kapitalismus oder wie andere es vorziehen auszudrücken
Marktwirtschaft.
6. Die Schweiz hat es gut! In der Schweiz haben wir es aber noch
vergleichsweise gut oder gar sehr gut. In der Wachstumsrangliste stehen
wir europäisch weit oben, auch bei der Arbeitslosigkeit, auch bei der
Staatsverschuldung, kaum in einem anderen Land finden so viele
Menschen eine Beschäftigung (Erwerbsquote) - Ein gewaltiger Kontrast
zu Europa! Nicht nur gegenüber Griechenland. Selbst gegenüber dem
angeblichen Wirtschaftswunderland Deutschland.
7. Selbst die Ärmsten sollen es gut haben: Unterschichts-Haushalten
gehe es oft sogar besser als der Mittelschicht, wollen Studien wissen. Die
ihnen gewährten vielfältigen Unterstützungen für Krankenkassen,
Krippen, Mieten usw. privilegiere sie zuweilen so sehr, dass sie
schliesslich über mehr Einkommen verfügten als lohnmässig deutlich
besser gestellte Mittelschichts-Haushalte.
(Ein kinderloser Haushalt mit einem Vollzeitsalär von 105‘000 Franken über ein
Einkommen von 66‘000 Fr., während ein Haushalt mit einem Teilzeitsalär von
32‘000 Fr. nach dem staatlichen Eingriff über 72‘000 Fr. verfügt!)
8. Aber so sorgenfrei wie die Ökonomen es oft darstellen, sind wir
doch nicht: Die Arbeitslosigkeit ist auch bei uns grösser als bisher
gewohnt. Und grösser als uns die Arbeitslosenstatistiker monatlich
weismachen wollen. Ja sie beträgt nicht weniger als 4 %, sondern liegt
über 4 %, seit Monaten. Oder die angeblich gegenüber der Mittelschicht
bevorzugte Unterschicht: Ihre Steuerlast soll sich seit 1990 um 90 %
reduziert haben, jene der Einkommensmillionäre aber nur um 10 %! Doch
schaut man sich das in absoluten Zahlen an, bedeutet es ein paar
hundert Franken Ersparnis für die ärmere Familie, hingegen mehrere
Zehntausend Franken für die reichere Familie.
Es geht nach dem Motto, glaube nur den eigenen Statistiken, die du
selber gefälscht oder manipuliert hast.
Die Sockelarbeitslosigkeit wird mit jedem Kriseneinbruch höher. Den
Wirtschaftsminister kümmert es nicht gross, spricht er doch auch bei
effektiv mehr als 4 % Arbeitslosigkeit von Vollbeschäftigung!
9. Strukturwandel und Strukturreformen jagen Furcht und Angst ein:
Strukturwandel ist rasant und überfordert viele. Und viele Experten geben
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noch einen drauf, propagieren „Strukturreformen“ als höchstes Gut – in
der Schweiz, aber z.B. auch in Griechenland. Laut OECD-Experten steht
dieses Krisenland bei den Strukturreformen ganz oben und wird deshalb
hochgelobt. Dass diese Erfolge zu einem wesentlichen Teil für das
soziale Elend und die Hoffnungslosigkeit im Lande verantwortlich sind,
kümmert diese Experten wenig. Es geht nach dem zynischen Motto, der
Wirtschaft geht es gut, der Bevölkerung aber schlecht.
10. Der ökonomische Kulturkampf tobt: Nicht nur die Zeiten haben sich
geändert. Auch die Götter hinter den verschiedenen Zeiten sind nicht die
gleichen. In den „trente glorieuse“ inspirierte der Brite John Maynard
Keynes die Geister. Vor 40 Jahren wurde er vom Geist des Österreichers
Friedrich August von Hayek verdrängt, dem die pointierte Formulierung
zugeschrieben werden kann:
„Wahr ist nur, dass eine soziale Marktwirtschaft keine
Marktwirtschaft, ein sozialer Rechtsstaat kein Rechtsstaat, ein
soziales Gewissen kein Gewissen, soziale Gerechtigkeit keine
Gerechtigkeit – und ich fürchte auch, soziale Demokratie keine
Demokratie ist.“ (in: Wissenschaft und Sozialismus: Aufsätze zur
Sozialismuskritik.) Der frühere tschechische Präsident Vaclav Klaus
hatte in seinem Geiste dafür mal die Kurz-Formel „Marktwirtschaft
ohne Adjektiv“ geprägt.
Wer gibt jetzt den Ton an. Die Hayek-ianer behaupten, die Keynesianer.
Die Keynesianer hingegen umgekehrt die Hayek-ianer.
11. Was nun, da die Wachstumsdroge fehlt? Wachstum war die Droge für
Stillhalten, für nicht aufbegehren. Wachstum schuf Jobs, brachte
Steuereinnahmen, ermöglichte die Finanzierung des Sozialstaates.
Wachstum stimmt die Konsumenten zuversichtlich, was wiederum das
Wachstum animiert.
12. Den Kapitalismus neu denken? Der neue „Rock-Star“ unter den
Ökonomen, der Franzose Thomas Piketty hält mit „Das Kapital im 21.
Jahrhundert“ dem Kapitalismus den Spiegel vor. Der Österreicher
Stephan Schulmeister … Der deutsche Soziologe Wolfgang Streeck…
Der deutsche Heiner Flassbeck, der unter dem linken Finanzminister
Oskar Lafontaine Staatssekretär war, möchte staatlich intervenieren,
damit die Marktwirtschaft überhaupt erst richtig als Markwirtschaft
funktionieren könnte. Der US-Amerikaner mit türkischen Wurzeln, Dani
Rodrik möchte die Hyperglobalisierung bremsen. Der griechische
Finanzminister Yanis Varoufakis, der sich als unorthodoxer Marxist
versteht, will den Zusammenbruch des Kapitalismus unter allen
Umständen vermeiden.
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Keiner dieser radikal denkenden Ökonomen will den Kapitalismus
überwinden. Keiner fordert einen Systemwechsel. Diese Zeiten sind
vorbei, der Glaube daran ist mit dem Untergang des Realsozialismus
ebenfalls untergegangen.
13.Alternativen trotzdem nicht alternativlos? Weil das Wachstum fehlt,
braucht es nach Ansicht des Soziologen Wolfgang Streeck umso mehr
sozialen Ausgleich. Thomas Piketty macht sich für höhere Steuern und
damit mehr Umverteilung stark. Stephan Schulmeister wendet sich gegen
das verheerende Laisser-faire, laisser-aller auf den Finanzmärkten. Er will
das Casino stoppen und dafür reale Investitionen fördern. Dani Rodrik will
will die Hyper-Globalisierung eindämmen und den Staaten wieder mehr
Interventions-Spielraum zurückgeben.
14.Undenkbares Denken in der Schweiz? Employability ist nicht gratis,
aber immer noch günstiger als das, was jetzt passiert oder eben nicht
passiert; (der Grundsatz „Eingliederung kommt vor der Rente“, ein leeres
Versprechen), die Schweiz kann nicht länger auf brain-gain bauen;
Es gab das goldene Zeitalter des Kapitalismus, die „trente glorieuse“ von 1945 bis 1975. So nennt sie
der neue Star der Ökonomen-Gilde, der Franzose Thomas Piketty. Es sei eine Art Kapitalismus ohne
Kapitalisten gewesen. Oder in den Worten des österreichischen Ökonomen Stephan Schulmeister: Es
war die Zeit des Realkapitalismus, der später und bis heute durch den Finanzkapitalismus verdrängt
wurde. Und auch der deutsche Soziologe Wolfgang Streeck blickt fast wehmütig zurück in die drei
Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg.
Es war die Periode mit hohen Wachstumsraten und Vollbeschäftigung. Die Kluft zwischen Reich und
Arm wurde kleiner. Sozialhilfe-Budgets waren kaum der Rede Wert. Und gepaart waren diese stolzen
Errungenschaften durch stabile Verhältnisse zwischen den Staaten – jedenfalls in der westlichen
Hemispähre.
Es geht mir nicht um Nostalgie. Auch nicht ums Zurückdrehen. Natürlich waren es andere Zeiten. Ich
weiss es auch aus eigener Jugend. Wer besass ein Auto? Längst nicht alle. Ein Kühlschrank war auch
für Mittelschichtsfamilien keine Selbstverständlichkeit. Welche Familien konnten sich Skiferien leisten.
Die Einkommen sind heute höher, wir können uns, und nicht nur die Mittelschicht und die oberen
Schichten, mehr leisten. Heute machen die Ausgaben für die Ernährung nur noch gut zehn Prozent
eines Budgets aus, vor 30, 40 Jahren lag dieser Anteil noch deutlich höher. Ich vermute, dass es kaum
noch Sekundarschülerinnen und Sekundarschüler gibt, die kein Mobil-Telefon haben. Und dieses Gerät
steht für die ungeahnten Möglichkeiten, die die neuen Technologien uns bieten – und sei es nur, dass
ich – wenn sich meine Kinder irgendwo auf einer Reise in fremden Landen befinden, ich dennoch mit
ihnen gratis in Mobil-Telefon Kontakt bleiben kann.
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Also die Zeiten haben sich geändert. Und wie? Und in welchem Tempo nur schon allein in den letzten
10 bis 20 Jahren. - Und dennoch kann man sich fragen, ob die Suche nach Alternativen und einer
besseren Zukunft in der Vergangenheit liegt.
Der grosse Jung-Star der Ökonomen, der Franzose Thomas Piketty, der sich mit seinem „Kapital im
21. Jahrhundert“ die Bestseller-Listen erklommen hat und selbst von Nobelpreisträgern wie …
Krugman höchstes Lob erhielt, tut die „trente glorieuse“ als Ausnahme ab. ….
Elemente
-
-
Ein neuer Star, laut NZZ gar als neuer Rockstar gefeiert (Hansueli Schöchli, 31.05.2014),
Thomas Piketty, er stellt die Frage frontal, gewissermassen in Anlehnung an Karl Marx
analysiert er „Das Kapital im 21. Jahrhundert“. Er fragt nach der Entwicklung der
Ungleichheit und den Rechtfertigungen. Die Geschichte lehre, dass die Kapitalrendite meist
über der Wachstumsrate liege. Das führt über die Dauer zu enorm grosser Ungleichheit. Erst
die Weltkriege hätten systematisch Kapital vernichtet und zur ‚Euthanasie der Rentiers‘
(Keynes) geführt. Einzig während den sozialdemokratisch geprägten Nachkriegsjahren seien
Unternehmer und leitende Angestellte im Vergleich zu den Erben besser gestanden. Es seien
Ausnahmejahre gewesen. Bei weiterhin schwachem Bevölkerungs- und
Produktionswachstum wie seit den 70er Jahren werde sich die Kapitalkonzentration und
damit die Ungleichheit immer weiter verstärken. Nicht die „Trente Glorieuse“ von 1945 bis
75, die wie ein Kapitalismus ohne Kapitalisten erschienen, seien der Normalzustand.
Kein Anti-Kapitalismus – Piketty will den Kapitalismus vielmehr retten. Seine Forderung einer
globalen progressiven Steuer auf Kapital sei ein „vergleichsweise harmloser Vorschlag“ (NZZ,
11.02.15)
Dani Rodrik, Das Globalisierungsparadox, Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft, 2011:
Das grundlegende politische Trilemma der Weltwirtschaft: „Wir können die drei Dinge Demokratie,
nationale Selbstbestimmung und wirtschaftliche Globalisierung nicht zugleich vorantreiben.“ (S. 20)
„Demokratie und nationale Selbstbestimmung sollten uns wichtiger sein als eine
Hyperglobalisierung.“ (S. 21) „Wir brauchen eine intelligente Globalisierung, keine maximale.“ (S. 21)
Die Mittelklasse wird ausgehöhlt»
InterviewWirtschaftsprofessor Erik Brynjolfsson von der US-Eliteuniversität MIT glaubt,
dass die technologische Entwicklung Millionen von Jobs zerstört und dafür verantwortlich
ist, dass die Ungleichheit im Westen steigt.
Mit Erik Brynjolfsson sprachen Angela Barandun und Markus Diem Meier06.03.2015
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Sie prophezeien eine zweite industrielle Revolution. Nehmen uns bald Roboter
die Jobs weg?
Das passiert bereits. Millionen von Arbeitsplätzen wurden schon durch Roboter und Software
ersetzt. Bisher betraf das Beschäftigungen, bei denen routinemässig strukturierte
Entscheidungen getroffen werden: Bei Büroangestellten, Buchhaltern, gewissen Tätigkeiten
in der Fertigung. Viele solcher Arbeiten sind in Ländern wie der Schweiz, den USA oder
anderen reichen Ländern bereits verschwunden.
Wie steht es um Beschäftigungen, die eine höhere Qualifikation erfordern?
Immer mehr sind jetzt Arbeiten betroffen, für die man bislang eine höhere Ausbildung
brauchte – etwa in Anwaltskanzleien. Heute gibt es Systeme, die Millionen von Dokumenten
durchforsten, um genau jene Stelle zu finden, die für einen bestimmten Fall relevant ist.
Früher hat man dafür einen Berufseinsteiger engagiert. Der Bedarf an Anwälten ist dadurch
in den USA deutlich gesunken. Ein anderes Beispiel sind medizinische Diagnosen. Der IBMSupercomputer Watson, der vor einigen Jahren mit seinem Sieg im TV-Quiz «Jeopardy»
seine Fähigkeiten demonstriert hat, wird heute in einem amerikanischen Spital genau dafür
eingesetzt.
Über die Zeit hat der technologische Fortschritt Stellen vernichtet, aber es
wurden neue geschaffen und uns geht es insgesamt besser.
Dieses Mal ist es anders. Seit der Jahrtausendwende – also bereits vor der Finanzkrise –
stellen wir eine Entkoppelung fest: Der Wohlstand steigt, die Wirtschaftsleistung wächst, es
gibt mehr Millionäre denn je – und trotzdem fallen oder stagnieren die Beschäftigungsquote
und die mittleren Einkommen. Die Ungleichheit ist grösser geworden.
Sie glauben, das geht so weiter?
Ja. Neue Jobs gibt es vor allem für unqualifizierte und für hochqualifizierte Arbeitskräfte. Die
Mittelklasse wird ausgehöhlt. Das dürfte sich noch verschärfen.
Dass sich die Lohnschere weiter öffnet, ist demnach auch Folge der
technologischen Entwicklung?
Die technologische Entwicklung war in den letzten 10 Jahren ein zentraler Treiber dahinter.
Aber das ist nichts im Vergleich dazu, was noch kommt. In den nächsten 10 Jahren stehen
uns bedeutend grössere Veränderungen bevor, weil die Technologien viel mächtiger werden.
Und die Entwicklung geht viel rascher, als ich noch vor zwei Jahren erwartet habe. Lange Zeit
war es fast unmöglich, einem Roboter beizubringen, einen Stift aufzuheben. Aber in letzter
Zeit sehen wir hier massive Fortschritte.
Heisst das, wir haben bald nur noch die Wahl zwischen einem Job als Putzhilfe
oder einer Stelle als Softwareentwickler?
Ich weiss nicht genau, welche Jobs verbleiben. Wir hatten schon immer Schwierigkeiten, das
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vorherzusagen. Vor 200 Jahren waren die meisten Leute Bauern. Irgendwann erfand Henry
Ford das Auto und Steve Jobs und Bill Gates haben völlig neue Industrien erschaffen. Das hat
niemand vorhergesehen.
Welche Jobs sind am wenigsten gefährdet?
Im Moment sind Beschäftigungen, bei denen die zwischenmenschliche Beziehung wichtig ist,
am schwierigsten zu ersetzen: Tätigkeiten, bei denen es darum geht, zu pflegen, zu erziehen,
zu verhandeln, zu überzeugen, zu führen oder zu motivieren. Das alles kann man nicht
einfach programmieren. Das Gleiche gilt für Kreativität – die Fähigkeit, sich ausserhalb von
etablierten Denkmustern zu bewegen. Darum kommt auch der Förderung des
Unternehmertums eine grosse Bedeutung zu.
Können Sie das ausführen?
Die Jobs der Zukunft entstehen in neuen Unternehmen, neuen Branchen, neuen Produkten
oder Dienstleistungen.
Bedeutet das, dass Grosskonzerne tendenziell an Bedeutung verlieren?
Das hängt davon ab, wie man Grösse definiert. Die drei grossen Autokonzerne, die die USWirtschaft bis zum Ende des 20. Jahrhunderts dominiert haben, sind an der Börse heute sehr
viel weniger wert als die drei einflussreichsten Technologiefirmen. Allerdings beschäftigten
General Motors, Ford und Chrysler noch immer ein Vielfaches mehr an Leuten als
Apple, Google (GOOG 572.9 -1.47%) undFacebook. (FB 80.005 -1.48%) Heute dominiert
Grösse ohne Masse: Internetkonzerne beeinflussen zwar das Leben von Milliarden von
Menschen. Sie brauchen dafür aber viel weniger Arbeitskräfte oder Kapital als früher.
Welche gesamtwirtschaftlichen Folgen hat das?
Technologien ersetzen nicht nur Arbeit, sondern auch Kapital. Wenn es keine grossen
Investitionen mehr braucht, um ein Unternehmen mit einem globalen Angebot aufzubauen,
hat das eine geringere Kapitalnachfrage zur Folge. Das führt zu tieferen Zinsen.
Was für einen Einfluss hat die aktuelle Wachstumsschwäche auf diese
Entwicklung?
Mir ist schleierhaft, wieso in den USA trotz rekordtiefer Zinsen nicht mehr in öffentliche
Infrastruktur investiert wird. Auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung haben sich
in den letzten Jahren halbiert – von 6 auf 3 Prozent der Wirtschaftsleistung. Flughäfen,
Strassen, Brücken – wenn wir das nicht jetzt modernisieren, wann dann? Aber wir müssen
auch tiefer liegende strukturelle Probleme angehen.
Eines dieser Probleme ist die Ungleichheit. Die Mehrheit der Wirtschaftsführer
glaubt nicht, dass sie in den nächsten fünf Jahren kleiner wird. Was sagen Sie
dazu?
Das ist mein grösster Frust. Alle fragen mich: Was wird mit uns geschehen? Wird alles gut?
Oder geht alles den Bach runter? Das ist die falsche Einstellung. Technologie ist ein
mächtigeres Mittel, als es in der Geschichte der Menschheit je zur Verfügung stand. Es gibt
uns die Freiheit, die Dinge anders anzupacken. Wir haben die Wahl: Wir können eine
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Gesellschaft mit geteiltem Wohlstand gründen, die reicher ist und gleichzeitig mehr
Menschen an diesem Reichtum teilhaben lässt. Oder wir entscheiden uns für eine
Gesellschaft, in der es noch mehr Ungleichheit gibt und die einigen wenigen Menschen noch
mehr Macht verleiht. Wir müssen entscheiden, in was für einer Welt wir leben wollen.
Wo müssen wir konkret ansetzen?
Die Frage ist nicht, was Technologie mit uns anstellt – sondern was wir mit Technologie
anstellen wollen. Einer der wichtigsten Aspekte scheint mir die Neuerfindung des
Bildungssystems zu sein. Es muss darauf ausgelegt werden, Kreativität und Sozialkompetenz
zu fördern. Es ist bestimmt kein Zufall, dass Microsoft-Gründer Bill Gates, Amazon-Gründer
Jeff Bezos, Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder die
Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin alle eine Montessori-Schule besucht haben.
Was ist deren Erfolgsrezept?
Maschinen sind sehr gut in strukturierter Problemlösung – man muss ihnen nur die richtigen
Schritte beibringen. Bei unstrukturierten Problemen haben sie allerdings Mühe. Pablo
Picasso sagte: «Computer sind nutzlos. Sie können nur Antworten geben.» Und er hatte
recht. Natürlich sind Antworten nützlich, aber heute ist es wichtiger, die richtigen Fragen zu
stellen. Die Montessori-Methode ermutigt die Kinder, spielerisch zu erkunden, was wichtig
ist und was nicht – auf eine Art, wie es Maschinen nicht können. Solche kreativen
Problemlöser brauchen wir künftig.
Und wer soll die Neuerfindung des Bildungssystems bezahlen?
Es geht nicht nur um Geld. Ein Grossteil des letzten Jahrhunderts kann als Wettlauf
zwischen Technologie und Bildung betrachtet werden. Im 20. Jahrhundert haben wir uns
den Vorsprung erkauft, indem wir mehr in Bildung investiert haben. Aber das reicht nicht
mehr. Wir werden auch in diesem Jahrhundert mehr investieren müssen. Wichtiger ist aber,
das System zu reformieren. Solange wir das nicht fertigbringen, ist jeder zusätzliche Dollar
umsonst.
Wie soll das gehen?
In gewissen Bereichen kann Technologie die Bildung radikal demokratisieren. Nicht nur, was das ZurVerfügung-Stellen von Inhalten betrifft, sondern auch den Zugang zum Bildungssystem. Am MIT
bieten wir eine Gratisinternetvorlesung für die Entwicklung von Leiterplatten an. 150 000 Studenten
haben sie letztes Jahr abonniert, darunter ein 16-Jähriger aus der Mongolei. Er erzielte bei der
Prüfung die maximale Punktzahl – und studiert darum jetzt am MIT. Ohne den Onlinekurs wäre er nie
so weit gekommen. Ich bin überzeugt, dass der junge Mongole in fünf Jahren kein Einzelfall mehr ist –
sondern die Regel.
Dennoch geht die Entwicklung weltweit nicht hin zu mehr Gleichheit, auch nicht in der Bildung. Was muss die Politik tun?
Politiker in einem demokratischen System machen das, was das Volk von ihnen verlangt. Sie werden
also nichts unternehmen, bis die Leute verstanden haben, was auf dem Spiel steht. Diesen Schritt kann
man nicht einfach überspringen. Selbst die führenden Köpfe der Welt orientieren sich an den Anliegen
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der Wähler. Daran müssen wir arbeiten. Ich habe selbst mit US-Präsident Barack Obama und anderen
Staatsoberhäuptern gesprochen. Einige von ihnen haben die Probleme sogar verstanden.
Was, wenn all jene, die aktuell von der steigenden Ungleichheit profitieren, kein
Interesse daran haben, etwas zu ändern? Wenn sie ihren Reichtum nicht teilen wollen?
Ich habe mit vielen dieser Leute gesprochen. Die meisten sind der Meinung, dass es in ihrem Interesse
wäre, die Ungleichheit zu bekämpfen. Sei es, weil ihnen etwas am Rest der Welt liegt oder weil sie
keine Lust haben, in einer Gesellschaft zu leben, in der sie bewaffnetes Wachpersonal benötigen.
Die Reichen können ihren Besitz nur bewahren, wenn der Rest der Gesellschaft das duldet.
In Ländern mit einer hohen Ungleichheit sehen wir von einem solchen Bewusstsein
wenig.
Die Geschichte hat immer wieder gezeigt, was passiert, wenn es kippt. Ich plädiere weder für einen
Klassenkampf noch sage ich, dass uns einer bevorsteht. Aber die Angst davor ist unter den Reichsten
real.
Sie sind zu einem Viertel Schweizer. Wo sehen Sie die Rolle unseres Landes?
Reiche Länder wie die Schweiz haben das Potenzial, der Welt als Vorbild dafür zu dienen, wie man mit
einer Gesellschaft umgeht, in der es mehr Automatisierung und mehr Reichtum gibt. Dazu müssen der
Arbeitsmarkt und die Verteilung von Einkommen oder Steuern neu organisiert werden. Mindestlöhne
zum Beispiel sind ein wichtiges Thema. Es ist grossartig, dass es auf der ganzen Welt Länder gibt, die
verschiedene Massnahmen testen. Nur so finden wir heraus, was am besten funktioniert. Mein
Anliegen ist es, die zentrale Fragestellung zu verändern. Von «Was wird geschehen» zu «Was wollen
wir, dass geschieht». (Tages-Anzeiger) (Erstellt: 06.03.2015, 23:18 Uhr)
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